Dr Alexander H. Schwan is a dance scholar and theologian with a research focus on spirituality, religion, and ethics. He is the author of the book, Schrift im Raum. Korrelationen von Tanzen und Schreiben bei Jan Fabre, Trisha Brown und William Forsythe, which was honoured with the Tiburtius Award in 2016. His current book project, Theologies of Modern Dance, researches theological implications in the works of modernist choreographers in Europe, Israel, and the US. He has been a visiting lecturer at the University of California Santa Barbara and has held visiting fellowships at UC Berkeley, Princeton University, and Harvard. His article “Queering Jewish Dance: Baruch Agadati” (Dance Research Journal 2022) was awarded an Honorable Mention for the Dance Studies Association’s Gertrude Lippincott Award for the best English-language article in dance studies.
Matthias Naumann (Ed.): Judenhass im Kunstbetrieb: Reaktionen nach dem 7. Oktober 2023, Relationen 19., 2024
Einleitung Am Anfang war kein Schweigen. Schon am 7. Oktober 2023 selbst, als das Pogrom im Süden... more Einleitung Am Anfang war kein Schweigen. Schon am 7. Oktober 2023 selbst, als das Pogrom im Süden Israels andauerte, Hamas-Terroristen noch immer im Land wüteten, vergewaltigten, schlachteten, schändeten, Stunden nur, nachdem mich in den frühen Morgenstunden die WhatsApp-Messages einer Freundin aus Israel geweckt hatten, irgendwann am Nachmittag des 7. Oktober, tauchten in meinen Social-Media-Feeds die ersten antiisraelischen Posts auf. Der Krieg in Gaza hatte noch nicht begonnen, als eine Religionswissenschaftlerin aus Berkeley, mit der ich seit einem Aufenthalt an der University of California in Kontakt war, ihren gesamten Vorrat an antiisraelischer Literatur aufstapelte, fotografierte und zusammen mit Palästina-Flagge und einem von Hass triefenden Statement gegen Israel veröffentlichte. Kurz darauf versah ein befreundeter Kulturwissenschaftler, ebenfalls aus Berkeley, einen Post der Friends of Al-Aqsa mit einem Herz. Seine Doktorandin veranstaltete später pro-palästinensische Filmabende und sammelte Spenden für Gaza. Eine Reise nach Jerusalem-das Wort Israel benutzte sie nie-hatte sie im Jahr zuvor umständlich gerechtfertigt, ebenfalls mit einem fotografierten Bücherstapel, diesmal zur ‚Dekolonialisierung' Israels. Auch sie habe ich als Kontakt verloren ebenso wie die britische Performance-Wissenschaftlerin, die sich nach ausdrücklichem Hinweis weigerte, die Verbreitung von blood libels gegen Israel zu löschen. Keine*r dieser Antisemit*innen
Judentum und Christentum teilen bei allen wechselseitigen Abgrenzungen die Vorstellung, dass Glau... more Judentum und Christentum teilen bei allen wechselseitigen Abgrenzungen die Vorstellung, dass Glaube und Religion Gemeinschaftsphänomene sind und nur in Gemeinschaft oder in Bezug zu ihr erfahren werden können. Die Tanzmoderne, die vielfältige Innovationsbewegung im Bereich des Tanzes und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, nimmt auf diese Communitas-Vorstellungen Bezug und lädt Tanzgemeinschaft quasi-religiös auf.
Auf der Basis von Franz Rosenzweigs jüdischem religionsphilosophischem Werk „Der Stern der Erlösung“ (1921), in dem Chor und Tanz eine bedeutende Rolle zugeschrieben wird, untersucht der Beitrag Gemeinschaftstheologien in der Tanzmoderne. Er problematisiert die nationalsozialistische Verschränkung von Tanz- und Volksgemeinschaft bei Mary Wigman und schlägt über die Choreographinnen Gertraud Kraus (Österreich/Israel) und Anna Halprin (USA) einen Bogen zu Gemeinschaftserfahrungen und Spiritualität im zeitgenössischen Tanz.
Wahrnehmungskräfte – Kräfte wahrnehmen. Dynamiken der Sinne in Wissenschaft, Kunst und Literatur, 2024
Eine vibrationsähnliche Unruhe in Bewegung und eine sich darin bekundende göttliche Kraft erfasst... more Eine vibrationsähnliche Unruhe in Bewegung und eine sich darin bekundende göttliche Kraft erfasst Alexander H. Schwan in den Choreographien Charlotte Baras (1901–1986). Zugespitzt auf die Begriffe Wahrnehmung, Kraft und Kraftlosigkeit etabliert Bara eine neue Form der Kunstreligion für die Tanzmoderne. Bara praktiziert Tanz dabei nicht als unmittelbaren Ausdruck einer göttlichen Kraft. Der religiös aufgeladene Tanz bei der zum Christentum konvertierten Bara verschränkt vielmehr ein passives Bewegtwerden mit dem aktiven Vorgang des Tanzens selbst. Das Ineinander von Empfangen einer göttlichen Kraft und aktiver Bewegung übertragt sich im Wahrnehmungsakt auf die Rezipient*innen.
Christian Danz/Werner Schüßler (Eds.): Paul Tillich in Dresden. Intellektuellen-Diskurse in der Weimarer Republik, Tillich Research 27, Berlin: De Gruyter, 2023
Birringer, Johannes/Fenger, Josephine (Ed.).: Tanz der Dinge/Things That Dance, 2019
Innerhalb des weiten Beziehungsfeldes von Tanz und Schrift lauert ein dunkles historisches Phänom... more Innerhalb des weiten Beziehungsfeldes von Tanz und Schrift lauert ein dunkles historisches Phänomen, das bis heute im rechts-esoterischen Umfeld praktiziert wird: der Runentanz, das körperliche Nachstellen germanischer Runen. Mit dem Ziel, über die Einnahme runenartiger Posen eine lesbare Körperschrift zu produzieren, wird der Runentanz, eine Nebenform der sogenannten Runengymnastik oder der Runenexerzitien, von völkischen Autoren der 1930er Jahre (Friedrich Bernhard Marby, Siegfried Adolf Kummer) entwickelt. Hintergrund ist die kulturhistorisch falsche Annahme, dass die germanischen Runen die Urformen von Schrift darstellen und alle ihre Zeichen auf Körperhaltungen und Bewegungen zurückzuführen seien. Eine tanzwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den hochproblematischen Phänomenen Runentanz und Runengymnastik hat bis heute nicht stattgefunden und wird hier erstmals im Kontext einer ausführlichen Theoretisierung von Tanz als Schrift in die Forschung eingebracht.
In diesem Text werde ich der Frage nachgehen, warum Tanz seit der frühen Tanzmoderne bis hin zum ... more In diesem Text werde ich der Frage nachgehen, warum Tanz seit der frühen Tanzmoderne bis hin zum zeitgenössischen Tanz in signifikanten Wellen mit Attributen des Rituellen, des Ritus und des Rituals verbunden wird – und warum dies in systematisch-ästhetischer Hinsicht zumindest fragwürdig, wenn nicht falsch und bisweilen hochproblematisch ist.
Forberg, Corinna/Stockhammer, Philipp W. (Eds.): The Transformative Power of the Copy: A Transcultural and Interdisciplinary Approach, Heidelberg Studies on Transculturality 2, Heidelberg: Heidelberg University Publishing, 2017
Beginning with the example of Beyoncé's music video for her song "Countdown," which copied moveme... more Beginning with the example of Beyoncé's music video for her song "Countdown," which copied movements from Anna Teresa De Keers-maeker's early choreographic work, this article explores the role of plagiarism, reconstruction, and recreation in contemporary dance. With regard to theories of repetition (such as those of Søren Kierkegaard and Giorgio Agamben), a particular focus is placed on the ephemerality and corporeality of movement, arguing for the convergence of copying and repetition in dance. While, due to the restrictions of human anatomy and the responding characteristics of movement, dancing is always already interwoven with the process of copying, it is, however, the inevitable inexactitude of these copies that guarantees the non-iterability of dance, as well as its alteration and innovation.
Spacescapes: Dance & Drawing since 1962, ed. by Sarah Burkhalter and Laurence Schmidlin, Documents Series 24, Zurich/Dijon: JRP Ringier/Les Presses du réel, 2017
Trisha Brown’s early choreographic work deals intrinsically with the relationship between dance a... more Trisha Brown’s early choreographic work deals intrinsically with the relationship between dance and urban space. Performed on rooftops, park benches or exterior house walls, some of her most famous pieces of Postmodern Dance investigate how choreography can interact with the topography of a city. Dance here does not merely react to the city as a stage, but rather creates and transforms its own surrounding space by leaving ephemeral inscriptions within the network of urban structures. But how does a dance piece performed outside the walls of a theatre or gymnasium read and even change the social structure of a city? To which ways of urban cartography – such as street maps and traffic signs – can choreography refer by copying systems of city-communication and developing them into an undecipherable form of body calligraphy? And finally: when dancing is far more than an ornamental addition to an urban landscape, to what extent can it be described as a form of architecture in itself? I will address these questions in regard to Trisha Brown’s „Roof and Fire Piece” originally performed on rooftops in SoHo in 1973 and recreated on the High-Line in Chelsea in 2011. By focusing in particular on the figuration and de-figuration of the bodily shapes of the dancers – who are dressed in scarlet-red costumes – I will argue that their movements, blended with an urban topography, create a synesthetic and kinesthetic vision of dance as an embodied form of fluid architecture and semaphore-like writing in the city.
Stefanie Heine/Sandro Zanetti (Ed.): Transaktualität. Ästhetische Dauerhaftigkeit und Flüchtigkeit, pp. 141–152., 2017
Der Beitrag gibt einen historischen Überblick über die unterschiedlichen Möglichkeiten, die Flüch... more Der Beitrag gibt einen historischen Überblick über die unterschiedlichen Möglichkeiten, die Flüchtigkeit von Tanzbewegung mit der Transitorik von Blumen zu verschränken. So wird im Bühnentanz das Auf- und Verblühen von Blumen verkörpert, etwa im Romantischen Ballett (»Théa, ou La Fée aux Fleurs«, 1847) oder in diversen Blumenchoreographien des Ausdruckstanzes. Umgekehrt erfahren Blumen trotz ihrer Sessilität eine kulturelle Zuschreibung von Tanzbewegungen, etwa bei William Wordsworth (»I wandered lonely as a cloud«, 1807) oder Hans Christian Andersen (»Die Blumen der kleinen Ida«, 1835), und fast immer wird auch hier die besondere Vergänglichkeit von Blumen mithilfe der Metapher des flüchtigen Tanzes reflektiert.
Floriographie. Die Sprachen der Blumen, ed. by Isabel Kranz, Alexander Schwan, and Eike Wittrock, pp. 259–285., 2016
Lilies that fester smell far worse than weeds. 2 Animation In cultural history, the tropisms and ... more Lilies that fester smell far worse than weeds. 2 Animation In cultural history, the tropisms and nastic movements of plants have been closely intertwined with the topos of transience. Floral movements, like the opening and clos ing of a blossom, its coming into bloom and its withering away, gradually emerged as a leading metaphor of ephemerality. 3 A radical understanding of this transi toriness assumed its exemplary representation in the largest class of seed-bearing plants, the Magnoliopsida or angiosperms, which encompasses all flowering plants, includ ing grasses, shrubs and trees. Plant movement, and specifically the movement of flowers, has become a regular allegory for the fleeting and impermanent nature of life, especially the life of human beings.
Floriographie. Die Sprachen der Blumen, pp. 11-30., 2016
Blumen sind mehr als Blumen: Sie kodieren historisch und kulturell bedingte Nachrichten, die entz... more Blumen sind mehr als Blumen: Sie kodieren historisch und kulturell bedingte Nachrichten, die entziffert und gelesen werden können. Was zeichnet eine solche Kommunikation durch die Blume aus? Der Band erkundet erstmals das Feld der kulturwissenschaftlich informierten Pflanzenkunde und fragt nach den Medien floraler Kommunikation. Die Beiträge aus Kunst-, Tanz- und Literaturwissenschaft, Medientheorie und Biologie untersuchen die kodierten Botschaften, die mit Blumen versendet werden, und fragen nach der Vermittlungsposition, die die Blume als hybrides Natur-Kultur-Objekt zwischen unterschiedlichen Wissensbereichen einnimmt. In drei Sektionen – Dissemination, Animation und Zirkulation – wird aufgezeigt, inwiefern das jeweilige Verständnis einer Blumenkommunikation durch die eingesetzten Medien bestimmt wird und welche Konsequenzen dies für die Konzeption des Vegetabilen nach sich zieht.
Vision in Motion: Streams of Sensation and Configurations of Time, ed. by Michael F. Zimmermann, pp. 317–333., 2016
This paper argues for an arabesque vision as a way to perceive postmodern and contemporary dance ... more This paper argues for an arabesque vision as a way to perceive postmodern and contemporary dance in particular, as such I investigate newer theories of ornament (Jean-Claude Bonne) which conceptualize the ornamental as a modus operandi beyond ἐπίθετον and πάρεργον and with particular reference to a theory of the arabesque beyond orientalism. The arabesque unfolding and branching of an ornamental dance lineament thus demands a unique perception and gaze from the viewer who actively constructs a vision that continues and crosses the écriture corporelle of the dancers in a likewise arabesque way.
Kleist-Jahrbuch 2015, Günter Blamberger et al. (eds.), pp. 120–29.
In Kleists ›Penthesilea‹ werden Blumen einerseits als Dingobjekte behandelt, wenn sie als Rosen a... more In Kleists ›Penthesilea‹ werden Blumen einerseits als Dingobjekte behandelt, wenn sie als Rosen abgeschnitten und zu Kränzen geflochten werden, anderseits wird ihnen als anonymen Blumen des Feldes eine eigentümliche Handlungsmacht zugeschrieben. So können sie als Gegenüber von Kommunikation direkt adressiert oder als beseelt und mit Affektverhalten wie Furcht und Freude begabt imaginiert werden. Erscheint schließlich Penthesilea „bekränzt mit Nesseln [...], dem dürren Reif des Hag’dorns eingewebt“, kommt der botanisch ebenfalls zu den Angiospermae (Blütenpflanzen) zählenden Brennnessel und der Hagebutte zudem eine erkenntniseröffnende Dimension zu. Denn Penthesileas letzter Kranz ist nicht nur christologisch (Dornenkrone) aufgeladen, sondern nimmt Bezug zum Konzept der Floriographie, der Codierung einzelner Blüten und Blätter mit arbiträr vereinbarten Bedeutungen, die durch die Blume ausgesagt werden können. In den floriographischen Lexika oder Blumensprachenbüchern des 19. Jahrhunderts, deren Vorläufer bis ins späte 17. Jahrhundert zurückreichen, ist die Nessel mit Begriffen wie Tod und Grausamkeit codiert, sodass der Kranz Penthesileas zu einem floriographisch lesbaren Gebinde wird. Welche literarischen und kulturellen Konzepte floraler agency und floriographischer Codierung setzt Kleists Penthesilea voraus und wie werden diese Konzepte mit der Verdinglichung von Blumen und ihrer kommunikativen Dimension verschränkt? Welche Rolle kommt dabei insbesondere der Bewegung zu, wenn entweder die Eigenbewegung von Blumen imaginativ verstärkt wird oder Blumen verdinglicht im Schmuck als ornamentale Indikatoren von Bewegung erscheinen? Welchen Part tanzen Penthesileas Blumen im "dance of agency" (Andrew Pickering)?
Gefühle. Sprechen. Emotionen an den Anfängen und Grenzen der Sprache, ed. by Viktoria Räuchle and Maria Römer, pp. 199–221. , 2014
Tied together in tussie-mussies or nosegays, flowers were allegedly used by 19th-century Europe a... more Tied together in tussie-mussies or nosegays, flowers were allegedly used by 19th-century Europe and America, along with herbs, leaves, and twigs, to communicate sentiments. The coding of these was recorded in multivolume floriographical lexica or in small Language of Flowers books the size of a keepsake. By selecting particular flowers and arranging them in a bouquet, the whole spectrum of love and friendship could be communicated sub rosa, including feelings such as rage and hatred as well as socially taboo love beyond class distinctions and heteronormativity. However, since different floriographical lexica vary significantly on the meaning of each flower, the question arises of whether the numerous Language of Flowers books were actually in use or were primarily literary phenomena.
After summarizing the development of the Language of Flowers in the 19th century, including an overview of the cultural parameters that finally led to the extinction of the floriographical obsession, the paper deals with the echoes of floriomania in the writings of Sigmund Freud (The Interpretation of Dreams, 1900) and George Bataille (The Language of Flowers, 1929). Both will be contrasted with Jacques Derrida's deconstruction of the flower-emotion-analogy in his reading of Jean Genet's Notre-Dame-des-Fleurs (Glas, 1974). For Derrida, the language of flowers serves as a role model for the artificiality of all metaphors and for the arbitrariness of language in general: "There is always, absent from any garden, a dried flower in a book" (Jacques Derrida, White Mythology. Metaphor in the Text of Philosophy, 1971).
Jenseits der Repräsentation: Körperlichkeiten der Abstraktion in moderner und zeitgenössischer Kunst, ed. by Olga Moskatova, Kathrin Schönegg and Sandra Beate Reimann, pp.143–157., 2013
Die Diskussion um Abstraktion und Körper ist auf engste mit dem Medium Schrift verbunden und subs... more Die Diskussion um Abstraktion und Körper ist auf engste mit dem Medium Schrift verbunden und subsumiert wesentliche Aspekte der Schriftphilosophie, insbesondere die Frage nach der Materialität von Schriftzeichen und der Körperlichkeit ihrer Hervorbringung. Der Text wirft einen Rückblick auf die historische Gewordenheit der Verschränkung von Schrift und Abstraktion samt ihrer Rolle als Negativfolie einer phonozentrischen Konkretionsidolatrie. Auf der Suche nach Alternativen zu der harten Dichotomie von Schrift und Konkretion fällt der Blick auf Tanz und Choreographie als Inszenierungen einer écriture corporelle. Am Beispiel von Trisha Browns 'Locus' (1975), einem der einflussreichsten Stücke des Postmodern Dance, stellen sich die Fragen: Mit welcher Taktik schreibt sich hier Tanzen in den Diskurs der Schrift ein? Wie verändert eine solche Einschreibung das Verhältnis von Konkretion und Körperlichkeit? Und: Warum provoziert gerade die Korporealität eines Schrifttanzes dessen Wahrnehmung als abstraktes Ornament?
Embodied Fantasies: From Awe to Artifice, Art/Knowledge/Theory Vol. 1, ed. by Suzanne Anker and Sabine Flach, pp. 217-227., 2013
An analogy between dancing and writing deals intrinsically with the question of embodied fantasy.... more An analogy between dancing and writing deals intrinsically with the question of embodied fantasy. Dancer and spectator create together an image of dance as a radically ornamental and therefore opaque figuration of moving letters and ephemeral lineaments, existing neither merely on the stage nor simply in the perception of the spectator, but rather in the complex interdependency that arises between them. Thus, the notion of dance as an écriture corporelle —which has a history dating back to the 17th century— is too often discussed in a phenomenologically oversimplified fashion which neglects the interweaving of fantasy and corporeality by focusing only on the materiality of dancing and the passive gaze of the spectator.
In order to properly examine the highly complex interweaving of fantasy and embodiment in dance I ask: where exactly does the figuration of pré-écriture-like forms take place? How does the Gestalt of a spatial writing suddenly emerge in the perception of the spectator as a fantasy always already embodied in his mind? And how does this impression vanish within the next moment, leaving a perceptual afterimage of the bodily movement that then becomes part of an imaginative diagram of lines or a phantasmagoric spatial calligraphy?
I will address these questions in regard to 'The Dance Sections' (1987) by the Flemish choreographer Jan Fabre dedicated to the exploration of the analogy between classical ballet and calligraphy. By focusing in particular on the figuration and de-figuration of the bodily shapes of the dancers I will argue that their movement blended with the constantly shifting imaginings of the spectator, create a synaesthetic and kinaesthetic vision of dance as an embodied form of writing.
Matthias Naumann (Ed.): Judenhass im Kunstbetrieb: Reaktionen nach dem 7. Oktober 2023, Relationen 19., 2024
Einleitung Am Anfang war kein Schweigen. Schon am 7. Oktober 2023 selbst, als das Pogrom im Süden... more Einleitung Am Anfang war kein Schweigen. Schon am 7. Oktober 2023 selbst, als das Pogrom im Süden Israels andauerte, Hamas-Terroristen noch immer im Land wüteten, vergewaltigten, schlachteten, schändeten, Stunden nur, nachdem mich in den frühen Morgenstunden die WhatsApp-Messages einer Freundin aus Israel geweckt hatten, irgendwann am Nachmittag des 7. Oktober, tauchten in meinen Social-Media-Feeds die ersten antiisraelischen Posts auf. Der Krieg in Gaza hatte noch nicht begonnen, als eine Religionswissenschaftlerin aus Berkeley, mit der ich seit einem Aufenthalt an der University of California in Kontakt war, ihren gesamten Vorrat an antiisraelischer Literatur aufstapelte, fotografierte und zusammen mit Palästina-Flagge und einem von Hass triefenden Statement gegen Israel veröffentlichte. Kurz darauf versah ein befreundeter Kulturwissenschaftler, ebenfalls aus Berkeley, einen Post der Friends of Al-Aqsa mit einem Herz. Seine Doktorandin veranstaltete später pro-palästinensische Filmabende und sammelte Spenden für Gaza. Eine Reise nach Jerusalem-das Wort Israel benutzte sie nie-hatte sie im Jahr zuvor umständlich gerechtfertigt, ebenfalls mit einem fotografierten Bücherstapel, diesmal zur ‚Dekolonialisierung' Israels. Auch sie habe ich als Kontakt verloren ebenso wie die britische Performance-Wissenschaftlerin, die sich nach ausdrücklichem Hinweis weigerte, die Verbreitung von blood libels gegen Israel zu löschen. Keine*r dieser Antisemit*innen
Judentum und Christentum teilen bei allen wechselseitigen Abgrenzungen die Vorstellung, dass Glau... more Judentum und Christentum teilen bei allen wechselseitigen Abgrenzungen die Vorstellung, dass Glaube und Religion Gemeinschaftsphänomene sind und nur in Gemeinschaft oder in Bezug zu ihr erfahren werden können. Die Tanzmoderne, die vielfältige Innovationsbewegung im Bereich des Tanzes und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, nimmt auf diese Communitas-Vorstellungen Bezug und lädt Tanzgemeinschaft quasi-religiös auf.
Auf der Basis von Franz Rosenzweigs jüdischem religionsphilosophischem Werk „Der Stern der Erlösung“ (1921), in dem Chor und Tanz eine bedeutende Rolle zugeschrieben wird, untersucht der Beitrag Gemeinschaftstheologien in der Tanzmoderne. Er problematisiert die nationalsozialistische Verschränkung von Tanz- und Volksgemeinschaft bei Mary Wigman und schlägt über die Choreographinnen Gertraud Kraus (Österreich/Israel) und Anna Halprin (USA) einen Bogen zu Gemeinschaftserfahrungen und Spiritualität im zeitgenössischen Tanz.
Wahrnehmungskräfte – Kräfte wahrnehmen. Dynamiken der Sinne in Wissenschaft, Kunst und Literatur, 2024
Eine vibrationsähnliche Unruhe in Bewegung und eine sich darin bekundende göttliche Kraft erfasst... more Eine vibrationsähnliche Unruhe in Bewegung und eine sich darin bekundende göttliche Kraft erfasst Alexander H. Schwan in den Choreographien Charlotte Baras (1901–1986). Zugespitzt auf die Begriffe Wahrnehmung, Kraft und Kraftlosigkeit etabliert Bara eine neue Form der Kunstreligion für die Tanzmoderne. Bara praktiziert Tanz dabei nicht als unmittelbaren Ausdruck einer göttlichen Kraft. Der religiös aufgeladene Tanz bei der zum Christentum konvertierten Bara verschränkt vielmehr ein passives Bewegtwerden mit dem aktiven Vorgang des Tanzens selbst. Das Ineinander von Empfangen einer göttlichen Kraft und aktiver Bewegung übertragt sich im Wahrnehmungsakt auf die Rezipient*innen.
Christian Danz/Werner Schüßler (Eds.): Paul Tillich in Dresden. Intellektuellen-Diskurse in der Weimarer Republik, Tillich Research 27, Berlin: De Gruyter, 2023
Birringer, Johannes/Fenger, Josephine (Ed.).: Tanz der Dinge/Things That Dance, 2019
Innerhalb des weiten Beziehungsfeldes von Tanz und Schrift lauert ein dunkles historisches Phänom... more Innerhalb des weiten Beziehungsfeldes von Tanz und Schrift lauert ein dunkles historisches Phänomen, das bis heute im rechts-esoterischen Umfeld praktiziert wird: der Runentanz, das körperliche Nachstellen germanischer Runen. Mit dem Ziel, über die Einnahme runenartiger Posen eine lesbare Körperschrift zu produzieren, wird der Runentanz, eine Nebenform der sogenannten Runengymnastik oder der Runenexerzitien, von völkischen Autoren der 1930er Jahre (Friedrich Bernhard Marby, Siegfried Adolf Kummer) entwickelt. Hintergrund ist die kulturhistorisch falsche Annahme, dass die germanischen Runen die Urformen von Schrift darstellen und alle ihre Zeichen auf Körperhaltungen und Bewegungen zurückzuführen seien. Eine tanzwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den hochproblematischen Phänomenen Runentanz und Runengymnastik hat bis heute nicht stattgefunden und wird hier erstmals im Kontext einer ausführlichen Theoretisierung von Tanz als Schrift in die Forschung eingebracht.
In diesem Text werde ich der Frage nachgehen, warum Tanz seit der frühen Tanzmoderne bis hin zum ... more In diesem Text werde ich der Frage nachgehen, warum Tanz seit der frühen Tanzmoderne bis hin zum zeitgenössischen Tanz in signifikanten Wellen mit Attributen des Rituellen, des Ritus und des Rituals verbunden wird – und warum dies in systematisch-ästhetischer Hinsicht zumindest fragwürdig, wenn nicht falsch und bisweilen hochproblematisch ist.
Forberg, Corinna/Stockhammer, Philipp W. (Eds.): The Transformative Power of the Copy: A Transcultural and Interdisciplinary Approach, Heidelberg Studies on Transculturality 2, Heidelberg: Heidelberg University Publishing, 2017
Beginning with the example of Beyoncé's music video for her song "Countdown," which copied moveme... more Beginning with the example of Beyoncé's music video for her song "Countdown," which copied movements from Anna Teresa De Keers-maeker's early choreographic work, this article explores the role of plagiarism, reconstruction, and recreation in contemporary dance. With regard to theories of repetition (such as those of Søren Kierkegaard and Giorgio Agamben), a particular focus is placed on the ephemerality and corporeality of movement, arguing for the convergence of copying and repetition in dance. While, due to the restrictions of human anatomy and the responding characteristics of movement, dancing is always already interwoven with the process of copying, it is, however, the inevitable inexactitude of these copies that guarantees the non-iterability of dance, as well as its alteration and innovation.
Spacescapes: Dance & Drawing since 1962, ed. by Sarah Burkhalter and Laurence Schmidlin, Documents Series 24, Zurich/Dijon: JRP Ringier/Les Presses du réel, 2017
Trisha Brown’s early choreographic work deals intrinsically with the relationship between dance a... more Trisha Brown’s early choreographic work deals intrinsically with the relationship between dance and urban space. Performed on rooftops, park benches or exterior house walls, some of her most famous pieces of Postmodern Dance investigate how choreography can interact with the topography of a city. Dance here does not merely react to the city as a stage, but rather creates and transforms its own surrounding space by leaving ephemeral inscriptions within the network of urban structures. But how does a dance piece performed outside the walls of a theatre or gymnasium read and even change the social structure of a city? To which ways of urban cartography – such as street maps and traffic signs – can choreography refer by copying systems of city-communication and developing them into an undecipherable form of body calligraphy? And finally: when dancing is far more than an ornamental addition to an urban landscape, to what extent can it be described as a form of architecture in itself? I will address these questions in regard to Trisha Brown’s „Roof and Fire Piece” originally performed on rooftops in SoHo in 1973 and recreated on the High-Line in Chelsea in 2011. By focusing in particular on the figuration and de-figuration of the bodily shapes of the dancers – who are dressed in scarlet-red costumes – I will argue that their movements, blended with an urban topography, create a synesthetic and kinesthetic vision of dance as an embodied form of fluid architecture and semaphore-like writing in the city.
Stefanie Heine/Sandro Zanetti (Ed.): Transaktualität. Ästhetische Dauerhaftigkeit und Flüchtigkeit, pp. 141–152., 2017
Der Beitrag gibt einen historischen Überblick über die unterschiedlichen Möglichkeiten, die Flüch... more Der Beitrag gibt einen historischen Überblick über die unterschiedlichen Möglichkeiten, die Flüchtigkeit von Tanzbewegung mit der Transitorik von Blumen zu verschränken. So wird im Bühnentanz das Auf- und Verblühen von Blumen verkörpert, etwa im Romantischen Ballett (»Théa, ou La Fée aux Fleurs«, 1847) oder in diversen Blumenchoreographien des Ausdruckstanzes. Umgekehrt erfahren Blumen trotz ihrer Sessilität eine kulturelle Zuschreibung von Tanzbewegungen, etwa bei William Wordsworth (»I wandered lonely as a cloud«, 1807) oder Hans Christian Andersen (»Die Blumen der kleinen Ida«, 1835), und fast immer wird auch hier die besondere Vergänglichkeit von Blumen mithilfe der Metapher des flüchtigen Tanzes reflektiert.
Floriographie. Die Sprachen der Blumen, ed. by Isabel Kranz, Alexander Schwan, and Eike Wittrock, pp. 259–285., 2016
Lilies that fester smell far worse than weeds. 2 Animation In cultural history, the tropisms and ... more Lilies that fester smell far worse than weeds. 2 Animation In cultural history, the tropisms and nastic movements of plants have been closely intertwined with the topos of transience. Floral movements, like the opening and clos ing of a blossom, its coming into bloom and its withering away, gradually emerged as a leading metaphor of ephemerality. 3 A radical understanding of this transi toriness assumed its exemplary representation in the largest class of seed-bearing plants, the Magnoliopsida or angiosperms, which encompasses all flowering plants, includ ing grasses, shrubs and trees. Plant movement, and specifically the movement of flowers, has become a regular allegory for the fleeting and impermanent nature of life, especially the life of human beings.
Floriographie. Die Sprachen der Blumen, pp. 11-30., 2016
Blumen sind mehr als Blumen: Sie kodieren historisch und kulturell bedingte Nachrichten, die entz... more Blumen sind mehr als Blumen: Sie kodieren historisch und kulturell bedingte Nachrichten, die entziffert und gelesen werden können. Was zeichnet eine solche Kommunikation durch die Blume aus? Der Band erkundet erstmals das Feld der kulturwissenschaftlich informierten Pflanzenkunde und fragt nach den Medien floraler Kommunikation. Die Beiträge aus Kunst-, Tanz- und Literaturwissenschaft, Medientheorie und Biologie untersuchen die kodierten Botschaften, die mit Blumen versendet werden, und fragen nach der Vermittlungsposition, die die Blume als hybrides Natur-Kultur-Objekt zwischen unterschiedlichen Wissensbereichen einnimmt. In drei Sektionen – Dissemination, Animation und Zirkulation – wird aufgezeigt, inwiefern das jeweilige Verständnis einer Blumenkommunikation durch die eingesetzten Medien bestimmt wird und welche Konsequenzen dies für die Konzeption des Vegetabilen nach sich zieht.
Vision in Motion: Streams of Sensation and Configurations of Time, ed. by Michael F. Zimmermann, pp. 317–333., 2016
This paper argues for an arabesque vision as a way to perceive postmodern and contemporary dance ... more This paper argues for an arabesque vision as a way to perceive postmodern and contemporary dance in particular, as such I investigate newer theories of ornament (Jean-Claude Bonne) which conceptualize the ornamental as a modus operandi beyond ἐπίθετον and πάρεργον and with particular reference to a theory of the arabesque beyond orientalism. The arabesque unfolding and branching of an ornamental dance lineament thus demands a unique perception and gaze from the viewer who actively constructs a vision that continues and crosses the écriture corporelle of the dancers in a likewise arabesque way.
Kleist-Jahrbuch 2015, Günter Blamberger et al. (eds.), pp. 120–29.
In Kleists ›Penthesilea‹ werden Blumen einerseits als Dingobjekte behandelt, wenn sie als Rosen a... more In Kleists ›Penthesilea‹ werden Blumen einerseits als Dingobjekte behandelt, wenn sie als Rosen abgeschnitten und zu Kränzen geflochten werden, anderseits wird ihnen als anonymen Blumen des Feldes eine eigentümliche Handlungsmacht zugeschrieben. So können sie als Gegenüber von Kommunikation direkt adressiert oder als beseelt und mit Affektverhalten wie Furcht und Freude begabt imaginiert werden. Erscheint schließlich Penthesilea „bekränzt mit Nesseln [...], dem dürren Reif des Hag’dorns eingewebt“, kommt der botanisch ebenfalls zu den Angiospermae (Blütenpflanzen) zählenden Brennnessel und der Hagebutte zudem eine erkenntniseröffnende Dimension zu. Denn Penthesileas letzter Kranz ist nicht nur christologisch (Dornenkrone) aufgeladen, sondern nimmt Bezug zum Konzept der Floriographie, der Codierung einzelner Blüten und Blätter mit arbiträr vereinbarten Bedeutungen, die durch die Blume ausgesagt werden können. In den floriographischen Lexika oder Blumensprachenbüchern des 19. Jahrhunderts, deren Vorläufer bis ins späte 17. Jahrhundert zurückreichen, ist die Nessel mit Begriffen wie Tod und Grausamkeit codiert, sodass der Kranz Penthesileas zu einem floriographisch lesbaren Gebinde wird. Welche literarischen und kulturellen Konzepte floraler agency und floriographischer Codierung setzt Kleists Penthesilea voraus und wie werden diese Konzepte mit der Verdinglichung von Blumen und ihrer kommunikativen Dimension verschränkt? Welche Rolle kommt dabei insbesondere der Bewegung zu, wenn entweder die Eigenbewegung von Blumen imaginativ verstärkt wird oder Blumen verdinglicht im Schmuck als ornamentale Indikatoren von Bewegung erscheinen? Welchen Part tanzen Penthesileas Blumen im "dance of agency" (Andrew Pickering)?
Gefühle. Sprechen. Emotionen an den Anfängen und Grenzen der Sprache, ed. by Viktoria Räuchle and Maria Römer, pp. 199–221. , 2014
Tied together in tussie-mussies or nosegays, flowers were allegedly used by 19th-century Europe a... more Tied together in tussie-mussies or nosegays, flowers were allegedly used by 19th-century Europe and America, along with herbs, leaves, and twigs, to communicate sentiments. The coding of these was recorded in multivolume floriographical lexica or in small Language of Flowers books the size of a keepsake. By selecting particular flowers and arranging them in a bouquet, the whole spectrum of love and friendship could be communicated sub rosa, including feelings such as rage and hatred as well as socially taboo love beyond class distinctions and heteronormativity. However, since different floriographical lexica vary significantly on the meaning of each flower, the question arises of whether the numerous Language of Flowers books were actually in use or were primarily literary phenomena.
After summarizing the development of the Language of Flowers in the 19th century, including an overview of the cultural parameters that finally led to the extinction of the floriographical obsession, the paper deals with the echoes of floriomania in the writings of Sigmund Freud (The Interpretation of Dreams, 1900) and George Bataille (The Language of Flowers, 1929). Both will be contrasted with Jacques Derrida's deconstruction of the flower-emotion-analogy in his reading of Jean Genet's Notre-Dame-des-Fleurs (Glas, 1974). For Derrida, the language of flowers serves as a role model for the artificiality of all metaphors and for the arbitrariness of language in general: "There is always, absent from any garden, a dried flower in a book" (Jacques Derrida, White Mythology. Metaphor in the Text of Philosophy, 1971).
Jenseits der Repräsentation: Körperlichkeiten der Abstraktion in moderner und zeitgenössischer Kunst, ed. by Olga Moskatova, Kathrin Schönegg and Sandra Beate Reimann, pp.143–157., 2013
Die Diskussion um Abstraktion und Körper ist auf engste mit dem Medium Schrift verbunden und subs... more Die Diskussion um Abstraktion und Körper ist auf engste mit dem Medium Schrift verbunden und subsumiert wesentliche Aspekte der Schriftphilosophie, insbesondere die Frage nach der Materialität von Schriftzeichen und der Körperlichkeit ihrer Hervorbringung. Der Text wirft einen Rückblick auf die historische Gewordenheit der Verschränkung von Schrift und Abstraktion samt ihrer Rolle als Negativfolie einer phonozentrischen Konkretionsidolatrie. Auf der Suche nach Alternativen zu der harten Dichotomie von Schrift und Konkretion fällt der Blick auf Tanz und Choreographie als Inszenierungen einer écriture corporelle. Am Beispiel von Trisha Browns 'Locus' (1975), einem der einflussreichsten Stücke des Postmodern Dance, stellen sich die Fragen: Mit welcher Taktik schreibt sich hier Tanzen in den Diskurs der Schrift ein? Wie verändert eine solche Einschreibung das Verhältnis von Konkretion und Körperlichkeit? Und: Warum provoziert gerade die Korporealität eines Schrifttanzes dessen Wahrnehmung als abstraktes Ornament?
Embodied Fantasies: From Awe to Artifice, Art/Knowledge/Theory Vol. 1, ed. by Suzanne Anker and Sabine Flach, pp. 217-227., 2013
An analogy between dancing and writing deals intrinsically with the question of embodied fantasy.... more An analogy between dancing and writing deals intrinsically with the question of embodied fantasy. Dancer and spectator create together an image of dance as a radically ornamental and therefore opaque figuration of moving letters and ephemeral lineaments, existing neither merely on the stage nor simply in the perception of the spectator, but rather in the complex interdependency that arises between them. Thus, the notion of dance as an écriture corporelle —which has a history dating back to the 17th century— is too often discussed in a phenomenologically oversimplified fashion which neglects the interweaving of fantasy and corporeality by focusing only on the materiality of dancing and the passive gaze of the spectator.
In order to properly examine the highly complex interweaving of fantasy and embodiment in dance I ask: where exactly does the figuration of pré-écriture-like forms take place? How does the Gestalt of a spatial writing suddenly emerge in the perception of the spectator as a fantasy always already embodied in his mind? And how does this impression vanish within the next moment, leaving a perceptual afterimage of the bodily movement that then becomes part of an imaginative diagram of lines or a phantasmagoric spatial calligraphy?
I will address these questions in regard to 'The Dance Sections' (1987) by the Flemish choreographer Jan Fabre dedicated to the exploration of the analogy between classical ballet and calligraphy. By focusing in particular on the figuration and de-figuration of the bodily shapes of the dancers I will argue that their movement blended with the constantly shifting imaginings of the spectator, create a synaesthetic and kinaesthetic vision of dance as an embodied form of writing.
Providing an introduction to six major contributions towards an ethics of contemporary dance, the... more Providing an introduction to six major contributions towards an ethics of contemporary dance, the text draws on the example of Anna Halprin’s "Circle the Earth: Dancing with Life on the Line" (1989) and raises the fundamental question: How does an ethical responsibility arise in the situation of a performance and extends beyond the moment of dancing and the experience of a dance piece? How can we understand contemporaneity beyond shared time and presence so that contemporary dance can acknowledge the fragility and incompleteness of the past and unlock the potentiality of the future? And how is this understanding of contemporaneity linked to ethical responsiveness in dance and dance reception?
The work of the homosexual Israeli dance pioneer and choreographer Baruch Agadati (1895–1976) que... more The work of the homosexual Israeli dance pioneer and choreographer Baruch Agadati (1895–1976) queered Jewish dance. His project of Hebrew Dance was a queer take on traditional Jewish dance material mixed with a seemingly queer shift of the antisemitic distortions of this material. Throughout his approach to Jewish dance traditions from a perspective as a nonobservant, secular Jew, Agadati transcended boundaries of religion, secularity, and nation to a complex questioning of how Jewishness could be expressed through modern dance.
Any line drawn on paper results from a bodily movement. It is the trace of a process of dancing i... more Any line drawn on paper results from a bodily movement. It is the trace of a process of dancing in miniature. But could dance itself be possibly regarded as a lattice made up of the lineaments of movement? Could it be imagined as an evanescent and interwoven sequence of dance-lineaments? Beginning with the etymology of the term “choreo-graphy,”, which literally means ”dance-writing”, a spectrum of far-reaching perspectives opens up on this question. Dancing becomes observable and even readable as a temporal inscription in space; it appears as an “écriture corporelle” according to Stéphane Mallarmé. The lineaments of movement, ephemerally written in space by dancing bodies, come together in a transitory iconicity of writing, at once opaque and ornamental. These lineaments of movement are perceived in various ways, but most often as hybrids of drawing and writing. The lineaments of dance can be regarded as a kind of scriptural arabesque; as a diagram; or as spatial scribbling and graffiti. In this text I will emphasize however the perception of dance as an imaginary process of Chinese ink-brush writing. This perception depends above all on the combination of discipline and esthetic normativity shared by ink-brush writing and dance, especially in the elaborate orderliness of classical ballet. But even beyond such normative similarities, Chinese ink-brush writing has a long history of being compared to dance: the writer’s brushwork is traditionally seen as the dance of his hands over the surface of the paper. The Taiwanese choreographer Lin Hwai-min has dedicated a trilogy of choreographic works to the exploration of the analogy between dance and ink-brush writing. In this text, I will analyze the middle piece of this trilogy, entitled “Pine Smoke” (2003), formerly named “Cursive II”. The following ideas will guide my analysis: It is the way we look at dancing or calligraphy that establishes an analogy between them. We not only look at lines drawn permanently on paper or ephemerally in space but take part in the unfolding lineament we perceive. We follow the linearity of the calligraphic or danced marks with our eyes and bodies and extend these lines imaginatively until they cross with others, whether real or phantasmagorical, or curl in on themselves ornamentally. These lineaments are never fixed but come in motion and are set in motion as soon as we become immersed in their dance.
In this essay, I examine aspects of implicit religion in modern dance, asking how religiousness, ... more In this essay, I examine aspects of implicit religion in modern dance, asking how religiousness, both Christian and Jewish, was visualized and evoked, specifically through dance aesthetics. How did the pioneers of modern dance make use of older and explicitly religious ideas when they conceptualized their dance practice, and with what movements, poses and dance techniques did they enact these religious notions? Finally, what was the role of the audience in reframing modern dance as a phenomenon that freely crossed the boundaries between the ostensibly separated social spheres of religion and secular culture?
Variations - Literaturzeitschrift der Universität Zürich, 2015
Der Beitrag nähert sich diskursanalytisch dem Verhältnis von Tanz und Kalligraphie und konzentrie... more Der Beitrag nähert sich diskursanalytisch dem Verhältnis von Tanz und Kalligraphie und konzentriert sich auf die Bedeutung der Imagination für die Wahrnehmung von Tanz und Schrift. Kritisch beleuchtet wird die Rolle, die der Erfüllung von Bewegungsvorschriften insbesondere für die Analogie von chinesischer Tuschschrift und Tanz historisch zugewiesen wurde. Als Alternative zu dieser nomistischen Engführung führt der Text die Kategorie der körperlichen Responsivität ein, in der sich die Wahrnehmungen von Tanz und Schrift als jeweils kinästhetische Rezeptionen treffen.
Beginning with Giorgio Agamben’s alignment of ethics and potentiality, this essay questions the e... more Beginning with Giorgio Agamben’s alignment of ethics and potentiality, this essay questions the ethical dimension of gesture in the field of dance as an eminently potentiality-bound art form. This draws on Daniel Sibony’s concept of law and dance, according to which the body simultaneously repels and longs for the law as a nexus of heteronomous structures. I frame this through a revision of Aby Warburg’s rhetorical concept, pathos formula, into the corollary term, ethos formula, as the encoded movement patterns of ethical attitudes or comportments which are motivated by decision-making rather than emotional content. Do gestures and their citation in dance bear an ethical dimension similar to the encoded transmission of emotions through movement?
This new concept of ethos formula finds an excellent example in the work of the American choreographer Ted Shawn (1891–1972). His strikingly hybrid use of ethos formula from the 19th century Catholic theorist François Delsarte and his parallel practice of quoting liturgical gestures from Protestant church services, pursues the ambiguity and uncanniness of modernity itself. For Shawn—like many other protagonists of modernist dance—argues on the one hand for freeing the body from the boundaries of classical ballet in the name of individual expression, and on the other hand for an instrumentalized body that still clings to principles of taxonomy and normativity.
Man könnte meinen, seit dem Tanz um das goldene Kalb sei es in der jüdisch-christlichen Tradition... more Man könnte meinen, seit dem Tanz um das goldene Kalb sei es in der jüdisch-christlichen Tradition um den Tanz nicht gut bestellt. Tatsächlich stehen Religionen in einem spannungsreichen Verhältnis zum bewegten menschlichen Körper. Im Forum-Interview mit Alexander Brandl erklärt der Tanzwissenschaftler und evangelische Theologe Alexander Schwan, was tanzende Gestirne und tanzende Hippies mit Religion zu tun haben.
Wo liegen die Gemeinsamkeiten zwischen dem lutherischen Gedanken der Realpräsenz und aktuellen ta... more Wo liegen die Gemeinsamkeiten zwischen dem lutherischen Gedanken der Realpräsenz und aktuellen tanzwissenschaftlichen Positionen? Was verbindet das Extra-Calvinisticum der reformierten Theologie mit dem zeitgenössischen Tanz? – Der Tanzwissenschaftler und evangelische Theologe Alexander Schwan fragt nach den Verbindungen zwischen Abendmahl und Tanz. Ausgangspunkt ist die Flüchtigkeit tänzerischer Bewegung, die in der Tanzwissenschaft einen wichtigen Stellenwert einnimmt.
Primitivismus intermedial, hg von Nicola Gess, Christian Moser und Markus Winkler, S. 69–89., 2015
Alexander Schwan geht in seinem Beitrag über Igor Stravinskys Ballett »Le Sacre du Printemps« der... more Alexander Schwan geht in seinem Beitrag über Igor Stravinskys Ballett »Le Sacre du Printemps« der Frage nach, inwieweit sich in Vaslav Nijinskys legendärer Choreographie der Uraufführung das primitivistische Konstrukt einer archaischen Vergangenheit mit Elementen der Avantgarde-Ästhetik verbindet. Ausgehend von Jacques Rivières im November 1913 publiziertem Essay über das Ballett, den Schwan als Manifest des Modernismus im Tanz liest, rekonstruiert der Beitrag Nijinskys innovativen Umgang mit dem Ornament, stellt Bezüge zwischen der geometrisch-angularen Formensprache seiner Choreographie und der zeitgenössischen Architektur (Adolf Loos) sowie Anthropologie (Cesare Lombroso) her und deutet das Gesamtkonzept Nijinskys als offensive Absage an traditionelle Ideale tänzerischer Grazie und Schönheit. Der im Zeichen des Primitivismus stehende ästhetische Normbruch bringt so auf subversive Weise das Kunstverständnis der Pariser Homosexuellenszene der 1910er Jahre zur Geltung.
Der zeitgenössische Tanz beschäftigt sich nur selten mit explizit religiösen Themen. Dennoch gibt... more Der zeitgenössische Tanz beschäftigt sich nur selten mit explizit religiösen Themen. Dennoch gibt es eine enge Verbindung zwischen Tanz und Spiritualität, auch scheinbar profane Bewegungen können einen transzendierenden Charakter haben. Alexander Schwan, Tanzwissenschaftler und evangelischer Theologe, erläutert aus diesem Blickwinkel das Geschehen in der zeitgenössischen Tanzszene.
"Twisted feet, snapped heads, jarring, abrupt movements, rhythmic stomping and trembling. In the ... more "Twisted feet, snapped heads, jarring, abrupt movements, rhythmic stomping and trembling. In the end, death by exhaustion, the staged sacrifice for the heathen sun god. Dancing – excessive, powerful, disturbing.
The premiere of “Le Sacre du Printemps” at the Parisian Théâtre des Champs-Elysées on 29 May 1913 shocked audiences. Vaslav Nijinsky’s choreography and Igor Stravinsky’s music created one of the greatest scandals in 20th-century dance history. Performed on the eve of World War I, the ballet uncannily foreshadowed the slaughter on the battlefields: “Le Sacre du Printemps” – a dance over trenches.
One hundred years later, an international and interdisciplinary conference has addressed the special role that “Le Sacre du Printemps” played in dance modernity and as a cultural-historical phenomenon. The debate focused on the aspects of victims and sacrifice, the relationship between abstraction and ornamentation, and the peculiar interweave of modernism and primitivism. What exactly caused the uproar at the premiere in 1913 and what relevance does the piece have today?
More than 500 visitors participated in debates and discussions, and over 2,000 people watched the performances staged at RADIALSYSTEM V and the HAU Hebbel am Ufer theatre. One of the artistic highlights of the congress was the reconstruction of Mary Wigman’s “The Rite of Spring” (1957), performed by the dance ensembles at the theatres in Osnabrück und Bielefeld. Another highlight was “The Autumn of Le Sacre du Printemps”, a reconstruction of Nijinsky’s choreography performed by Millicent Hodson and Kenneth Archer together with 20 members of the Sasha Waltz & Guests dance company. The scenographer Detlef Weitz and artist Dominique Müller presented a video installation created especially for the congress, featuring clips of various performances of “The Rite of Spring”. Earlier this year, the HAU Hebbel am Ufer launched an open call for treatments of the “Rite of Spring” by young choreographers. A selection of these contemporary approaches to the “Dance over Trenches” was presented at the congress.
With: Jan Assmann, Gabriele Brandstetter, Laurent Chétouane, deufert&plischke, Christine Gaigg, Lynn Garafola, Jack Halberstam, Millicent Hodson, Stephanie Jordan, Herfried Münkler, Sasha Waltz, Sigrid Weigel and others."
Alexander H. Schwan nimmt den bekannten Vergleich von Tanzen und Schreiben neu in den Blick und e... more Alexander H. Schwan nimmt den bekannten Vergleich von Tanzen und Schreiben neu in den Blick und entwickelt erstmals eine umfassende Poetik der Bewegung als körperliche Schrift: écriture corporelle. Im intensiven Dialog mit Schrift- und Bildtheorien analysiert er herausragende Arbeiten postmoderner und zeitgenössischer Choreographie, die Tanzbewegungen als ephemere Einschreibung im Raum organisieren. Er zeigt exemplarisch auf, wie diese Körperfigurationen als Veränderung eines imaginären Schriftbildes betrachtet werden können. So eröffnet die Studie wichtige theoretische Perspektiven für die Tanzwissenschaft und verändert die Wahrnehmung von Bewegung: Tanz wird sichtbar als flüchtiges Schreiben und unlesbare Schrift im Raum.
Blumen sind mehr als Blumen: Sie kodieren historisch und kulturell bedingte Nachrichten, die entz... more Blumen sind mehr als Blumen: Sie kodieren historisch und kulturell bedingte Nachrichten, die entziffert und gelesen werden können. Was zeichnet eine solche Kommunikation durch die Blume aus? Der Band erkundet erstmals das Feld der kulturwissenschaftlich informierten Pflanzenkunde und fragt nach den Medien floraler Kommunikation. Die Beiträge aus Kunst-, Tanz- und Literaturwissenschaft, Medientheorie und Biologie untersuchen die kodierten Botschaften, die mit Blumen versendet werden, und fragen nach der Vermittlungsposition, die die Blume als hybrides Natur-Kultur-Objekt zwischen unterschiedlichen Wissensbereichen einnimmt. In drei Sektionen – Dissemination, Animation und Zirkulation – wird aufgezeigt, inwiefern das jeweilige Verständnis einer Blumenkommunikation durch die eingesetzten Medien bestimmt wird und welche Konsequenzen dies für die Konzeption des Vegetabilen nach sich zieht.
Vaslav Nijinsky’s choreography for »The Rite of Spring« was structured by movement patterns based... more Vaslav Nijinsky’s choreography for »The Rite of Spring« was structured by movement patterns based on simple geometrical forms – such as circles, triangles, lines and angles – which his dancers incorporated with their bodies and limbs. Applying to »The Rite of Spring« new theories of ornament focusing more on generative and perceptive aspects rather than on the decorative functions of ornament, I will ask: what is the relationship between the narrative – the sacrifice of an individual person for the sake of the community – and the use of ornamental patterns in Nijinsky’s choreography? Looking back on »The Rite of Spring« in the knowledge that it premiered only one year before the outbreak of World War I, does its aesthetic relationship between disruption and continuity ultimately mirror a political impact? Is its use of ornament only connected to a potential continuity of decorative transformation and a lack of representation? Or does the modus of ornament generate narrative, emotional, and even political references?
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Book Chapters by Alexander H Schwan
Auf der Basis von Franz Rosenzweigs jüdischem religionsphilosophischem Werk „Der Stern der Erlösung“ (1921), in dem Chor und Tanz eine bedeutende Rolle zugeschrieben wird, untersucht der Beitrag Gemeinschaftstheologien in der Tanzmoderne. Er problematisiert die nationalsozialistische Verschränkung von Tanz- und Volksgemeinschaft bei Mary Wigman und schlägt über die Choreographinnen Gertraud Kraus (Österreich/Israel) und Anna Halprin (USA) einen Bogen zu Gemeinschaftserfahrungen und Spiritualität im zeitgenössischen Tanz.
But how does a dance piece performed outside the walls of a theatre or gymnasium read and even change the social structure of a city? To which ways of urban cartography – such as street maps and traffic signs – can choreography refer by copying systems of city-communication and developing them into an undecipherable form of body calligraphy? And finally: when dancing is far more than an ornamental addition to an urban landscape, to what extent can it be described as a form of architecture in itself?
I will address these questions in regard to Trisha Brown’s „Roof and Fire Piece” originally performed on rooftops in SoHo in 1973 and recreated on the High-Line in Chelsea in 2011. By focusing in particular on the figuration and de-figuration of the bodily shapes of the dancers – who are dressed in scarlet-red costumes – I will argue that their movements, blended with an urban topography, create a synesthetic and kinesthetic vision of dance as an embodied form of fluid architecture and semaphore-like writing in the city.
Der Band erkundet erstmals das Feld der kulturwissenschaftlich informierten Pflanzenkunde und fragt nach den Medien floraler Kommunikation. Die Beiträge aus Kunst-, Tanz- und Literaturwissenschaft, Medientheorie und Biologie untersuchen die kodierten Botschaften, die mit Blumen versendet werden, und fragen nach der Vermittlungsposition, die die Blume als hybrides Natur-Kultur-Objekt zwischen unterschiedlichen Wissensbereichen einnimmt. In drei Sektionen – Dissemination, Animation und Zirkulation – wird aufgezeigt, inwiefern das jeweilige Verständnis einer Blumenkommunikation durch die eingesetzten Medien bestimmt wird und welche Konsequenzen dies für die Konzeption des Vegetabilen nach sich zieht.
Erscheint schließlich Penthesilea „bekränzt mit Nesseln [...], dem dürren Reif des Hag’dorns eingewebt“, kommt der botanisch ebenfalls zu den Angiospermae (Blütenpflanzen) zählenden Brennnessel und der Hagebutte zudem eine erkenntniseröffnende Dimension zu. Denn Penthesileas letzter Kranz ist nicht nur christologisch (Dornenkrone) aufgeladen, sondern nimmt Bezug zum Konzept der Floriographie, der Codierung einzelner Blüten und Blätter mit arbiträr vereinbarten Bedeutungen, die durch die Blume ausgesagt werden können. In den floriographischen Lexika oder Blumensprachenbüchern des 19. Jahrhunderts, deren Vorläufer bis ins späte 17. Jahrhundert zurückreichen, ist die Nessel mit Begriffen wie Tod und Grausamkeit codiert, sodass der Kranz Penthesileas zu einem floriographisch lesbaren Gebinde wird.
Welche literarischen und kulturellen Konzepte floraler agency und floriographischer Codierung setzt Kleists Penthesilea voraus und wie werden diese Konzepte mit der Verdinglichung von Blumen und ihrer kommunikativen Dimension verschränkt? Welche Rolle kommt dabei insbesondere der Bewegung zu, wenn entweder die Eigenbewegung von Blumen imaginativ verstärkt wird oder Blumen verdinglicht im Schmuck als ornamentale Indikatoren von Bewegung erscheinen? Welchen Part tanzen Penthesileas Blumen im "dance of agency" (Andrew Pickering)?
After summarizing the development of the Language of Flowers in the 19th century, including an overview of the cultural parameters that finally led to the extinction of the floriographical obsession, the paper deals with the echoes of floriomania in the writings of Sigmund Freud (The Interpretation of Dreams, 1900) and George Bataille (The Language of Flowers, 1929). Both will be contrasted with Jacques Derrida's deconstruction of the flower-emotion-analogy in his reading of Jean Genet's Notre-Dame-des-Fleurs (Glas, 1974). For Derrida, the language of flowers serves as a role model for the artificiality of all metaphors and for the arbitrariness of language in general: "There is always, absent from any garden, a dried flower in a book" (Jacques Derrida, White Mythology. Metaphor in the Text of Philosophy, 1971).
In order to properly examine the highly complex interweaving of fantasy and embodiment in dance I ask: where exactly does the figuration of pré-écriture-like forms take place? How does the Gestalt of a spatial writing suddenly emerge in the perception of the spectator as a fantasy always already embodied in his mind? And how does this impression vanish within the next moment, leaving a perceptual afterimage of the bodily movement that then becomes part of an imaginative diagram of lines or a phantasmagoric spatial calligraphy?
I will address these questions in regard to 'The Dance Sections' (1987) by the Flemish choreographer Jan Fabre dedicated to the exploration of the analogy between classical ballet and calligraphy. By focusing in particular on the figuration and de-figuration of the bodily shapes of the dancers I will argue that their movement blended with the constantly shifting imaginings of the spectator, create a synaesthetic and kinaesthetic vision of dance as an embodied form of writing.
Auf der Basis von Franz Rosenzweigs jüdischem religionsphilosophischem Werk „Der Stern der Erlösung“ (1921), in dem Chor und Tanz eine bedeutende Rolle zugeschrieben wird, untersucht der Beitrag Gemeinschaftstheologien in der Tanzmoderne. Er problematisiert die nationalsozialistische Verschränkung von Tanz- und Volksgemeinschaft bei Mary Wigman und schlägt über die Choreographinnen Gertraud Kraus (Österreich/Israel) und Anna Halprin (USA) einen Bogen zu Gemeinschaftserfahrungen und Spiritualität im zeitgenössischen Tanz.
But how does a dance piece performed outside the walls of a theatre or gymnasium read and even change the social structure of a city? To which ways of urban cartography – such as street maps and traffic signs – can choreography refer by copying systems of city-communication and developing them into an undecipherable form of body calligraphy? And finally: when dancing is far more than an ornamental addition to an urban landscape, to what extent can it be described as a form of architecture in itself?
I will address these questions in regard to Trisha Brown’s „Roof and Fire Piece” originally performed on rooftops in SoHo in 1973 and recreated on the High-Line in Chelsea in 2011. By focusing in particular on the figuration and de-figuration of the bodily shapes of the dancers – who are dressed in scarlet-red costumes – I will argue that their movements, blended with an urban topography, create a synesthetic and kinesthetic vision of dance as an embodied form of fluid architecture and semaphore-like writing in the city.
Der Band erkundet erstmals das Feld der kulturwissenschaftlich informierten Pflanzenkunde und fragt nach den Medien floraler Kommunikation. Die Beiträge aus Kunst-, Tanz- und Literaturwissenschaft, Medientheorie und Biologie untersuchen die kodierten Botschaften, die mit Blumen versendet werden, und fragen nach der Vermittlungsposition, die die Blume als hybrides Natur-Kultur-Objekt zwischen unterschiedlichen Wissensbereichen einnimmt. In drei Sektionen – Dissemination, Animation und Zirkulation – wird aufgezeigt, inwiefern das jeweilige Verständnis einer Blumenkommunikation durch die eingesetzten Medien bestimmt wird und welche Konsequenzen dies für die Konzeption des Vegetabilen nach sich zieht.
Erscheint schließlich Penthesilea „bekränzt mit Nesseln [...], dem dürren Reif des Hag’dorns eingewebt“, kommt der botanisch ebenfalls zu den Angiospermae (Blütenpflanzen) zählenden Brennnessel und der Hagebutte zudem eine erkenntniseröffnende Dimension zu. Denn Penthesileas letzter Kranz ist nicht nur christologisch (Dornenkrone) aufgeladen, sondern nimmt Bezug zum Konzept der Floriographie, der Codierung einzelner Blüten und Blätter mit arbiträr vereinbarten Bedeutungen, die durch die Blume ausgesagt werden können. In den floriographischen Lexika oder Blumensprachenbüchern des 19. Jahrhunderts, deren Vorläufer bis ins späte 17. Jahrhundert zurückreichen, ist die Nessel mit Begriffen wie Tod und Grausamkeit codiert, sodass der Kranz Penthesileas zu einem floriographisch lesbaren Gebinde wird.
Welche literarischen und kulturellen Konzepte floraler agency und floriographischer Codierung setzt Kleists Penthesilea voraus und wie werden diese Konzepte mit der Verdinglichung von Blumen und ihrer kommunikativen Dimension verschränkt? Welche Rolle kommt dabei insbesondere der Bewegung zu, wenn entweder die Eigenbewegung von Blumen imaginativ verstärkt wird oder Blumen verdinglicht im Schmuck als ornamentale Indikatoren von Bewegung erscheinen? Welchen Part tanzen Penthesileas Blumen im "dance of agency" (Andrew Pickering)?
After summarizing the development of the Language of Flowers in the 19th century, including an overview of the cultural parameters that finally led to the extinction of the floriographical obsession, the paper deals with the echoes of floriomania in the writings of Sigmund Freud (The Interpretation of Dreams, 1900) and George Bataille (The Language of Flowers, 1929). Both will be contrasted with Jacques Derrida's deconstruction of the flower-emotion-analogy in his reading of Jean Genet's Notre-Dame-des-Fleurs (Glas, 1974). For Derrida, the language of flowers serves as a role model for the artificiality of all metaphors and for the arbitrariness of language in general: "There is always, absent from any garden, a dried flower in a book" (Jacques Derrida, White Mythology. Metaphor in the Text of Philosophy, 1971).
In order to properly examine the highly complex interweaving of fantasy and embodiment in dance I ask: where exactly does the figuration of pré-écriture-like forms take place? How does the Gestalt of a spatial writing suddenly emerge in the perception of the spectator as a fantasy always already embodied in his mind? And how does this impression vanish within the next moment, leaving a perceptual afterimage of the bodily movement that then becomes part of an imaginative diagram of lines or a phantasmagoric spatial calligraphy?
I will address these questions in regard to 'The Dance Sections' (1987) by the Flemish choreographer Jan Fabre dedicated to the exploration of the analogy between classical ballet and calligraphy. By focusing in particular on the figuration and de-figuration of the bodily shapes of the dancers I will argue that their movement blended with the constantly shifting imaginings of the spectator, create a synaesthetic and kinaesthetic vision of dance as an embodied form of writing.
In this text I will emphasize however the perception of dance as an imaginary process of Chinese ink-brush writing. This perception depends above all on the combination of discipline and esthetic normativity shared by ink-brush writing and dance, especially in the elaborate orderliness of classical ballet. But even beyond such normative similarities, Chinese ink-brush writing has a long history of being compared to dance: the writer’s brushwork is traditionally seen as the dance of his hands over the surface of the paper.
The Taiwanese choreographer Lin Hwai-min has dedicated a trilogy of choreographic works to the exploration of the analogy between dance and ink-brush writing. In this text, I will analyze the middle piece of this trilogy, entitled “Pine Smoke” (2003), formerly named “Cursive II”. The following ideas will guide my analysis: It is the way we look at dancing or calligraphy that establishes an analogy between them. We not only look at lines drawn permanently on paper or ephemerally in space but take part in the unfolding lineament we perceive. We follow the linearity of the calligraphic or danced marks with our eyes and bodies and extend these lines imaginatively until they cross with others, whether real or phantasmagorical, or curl in on themselves ornamentally. These lineaments are never fixed but come in motion and are set in motion as soon as we become immersed in their dance.
This new concept of ethos formula finds an excellent example in the work of the American choreographer Ted Shawn (1891–1972). His strikingly hybrid use of ethos formula from the 19th century Catholic theorist François Delsarte and his parallel practice of quoting liturgical gestures from Protestant church services, pursues the ambiguity and uncanniness of modernity itself. For Shawn—like many other protagonists of modernist dance—argues on the one hand for freeing the body from the boundaries of classical ballet in the name of individual expression, and on the other hand for an instrumentalized body that still clings to principles of taxonomy and normativity.
Schwan fragt nach den Verbindungen zwischen Abendmahl und Tanz. Ausgangspunkt ist die Flüchtigkeit tänzerischer Bewegung, die in der Tanzwissenschaft einen wichtigen Stellenwert einnimmt.
Clare Croft (ed.): Queer Dance: Meanings and Makings,
NewYork, NY: Oxford University Press, 2017.
Penny Farfan: Performing Queer Modernism,
New York, NY: Oxford University Press, 2017.
The premiere of “Le Sacre du Printemps” at the Parisian Théâtre des Champs-Elysées on 29 May 1913 shocked audiences. Vaslav Nijinsky’s choreography and Igor Stravinsky’s music created one of the greatest scandals in 20th-century dance history. Performed on the eve of World War I, the ballet uncannily foreshadowed the slaughter on the battlefields: “Le Sacre du Printemps” – a dance over trenches.
One hundred years later, an international and interdisciplinary conference has addressed the special role that “Le Sacre du Printemps” played in dance modernity and as a cultural-historical phenomenon. The debate focused on the aspects of victims and sacrifice, the relationship between abstraction and ornamentation, and the peculiar interweave of modernism and primitivism. What exactly caused the uproar at the premiere in 1913 and what relevance does the piece have today?
More than 500 visitors participated in debates and discussions, and over 2,000 people watched the performances staged at RADIALSYSTEM V and the HAU Hebbel am Ufer theatre. One of the artistic highlights of the congress was the reconstruction of Mary Wigman’s “The Rite of Spring” (1957), performed by the dance ensembles at the theatres in Osnabrück und Bielefeld. Another highlight was “The Autumn of Le Sacre du Printemps”, a reconstruction of Nijinsky’s choreography performed by Millicent Hodson and Kenneth Archer together with 20 members of the Sasha Waltz & Guests dance company. The scenographer Detlef Weitz and artist Dominique Müller presented a video installation created especially for the congress, featuring clips of various performances of “The Rite of Spring”. Earlier this year, the HAU Hebbel am Ufer launched an open call for treatments of the “Rite of Spring” by young choreographers. A selection of these contemporary approaches to the “Dance over Trenches” was presented at the congress.
With: Jan Assmann, Gabriele Brandstetter, Laurent Chétouane, deufert&plischke, Christine Gaigg, Lynn Garafola, Jack Halberstam, Millicent Hodson, Stephanie Jordan, Herfried Münkler, Sasha Waltz, Sigrid Weigel and others."
Der Band erkundet erstmals das Feld der kulturwissenschaftlich informierten Pflanzenkunde und fragt nach den Medien floraler Kommunikation. Die Beiträge aus Kunst-, Tanz- und Literaturwissenschaft, Medientheorie und Biologie untersuchen die kodierten Botschaften, die mit Blumen versendet werden, und fragen nach der Vermittlungsposition, die die Blume als hybrides Natur-Kultur-Objekt zwischen unterschiedlichen Wissensbereichen einnimmt. In drei Sektionen – Dissemination, Animation und Zirkulation – wird aufgezeigt, inwiefern das jeweilige Verständnis einer Blumenkommunikation durch die eingesetzten Medien bestimmt wird und welche Konsequenzen dies für die Konzeption des Vegetabilen nach sich zieht.