Mag. Dr. Andrea B. Braidt, MLitt. (*1971) ist Film- und Medienwissenschafterin mit Forschungsschwerpunkten in Gender/Queer Film Studies, Filmgenreforschung und artistic research studies. Studium der in Innsbruck und Newcastle-upon-Tyne (UK), Forschungsaufenthalten in Deutschland, den USA und Kanada, umfassende internationale Lehrtätigkeit, zahlreiche Publikationen und Herausgaben. Monographie: Film-Genus. Gender und Genre in der Filmwahrnehmung (Marburg 2004)
Der Text bietet einen Uberblick uber zentrale Paradigmen der feministischen Filmtheorie: Spectato... more Der Text bietet einen Uberblick uber zentrale Paradigmen der feministischen Filmtheorie: Spectatorship, psychoanalytische Erweiterungen, Queer Theory/Queer Cinema, Gender und Genre. Einfuhrend wird geklart, wie wissenschaftliche Theorien von wissenschaftlichen Methoden zu unterscheiden sind. Danach wird die historische Entwicklung der feministischen Filmtheorie entlang von vier paradigmatischen Ansatzen aufgezeigt: dem von Laura Mulvey in den 1970ern entwickelten psychoanalytischen Blickparadigma (spectatorship theory); dessen psychoanalytischen sowie psychoanalysekritischen Weiterentwicklungen durch die Cultural Studies der 1980er Jahre; der Queer Theory der 1990er Jahre; sowie aktuellen Uberlegungen zur medialen Konstruktion von Geschlecht aus Perspektive filmischer Gattungstheorien.
"Seit Bestehen des Kinos, seit 1898 eine Riesenfledermaus in Georges Méliès' Le Manoir d... more "Seit Bestehen des Kinos, seit 1898 eine Riesenfledermaus in Georges Méliès' Le Manoir du Diable flatterte und sich in Mephistopheles verwandelte, hat der Horrorfilm zahlreiche Metamorphosen durchgemacht. Sie alle sagen etwas über die Zeit aus, in der das jeweilige Produkt entstanden ist, und über den (Geistes-)Zustand der Zuschauer, der sich aus christlich verbrämter Mystik, unbefriedigten sexuellen Albträumen, postpubertären Gewissensbissen und einer ungesunden Portion Sadomasochismus zusammensetzt. [...] Können wir am Ende auch hinter eingefleischten Slasher-Fans und anal gehemmten Gore-Apologeten verhaltensgestörte Videokids vermuten, die (Gott sei Dank!) nicht den Mut zur Tat haben (mit seltenen Ausnahmen, zu denen auch das Massaker von Erfurt gehört)? So oder so, das Genre steckt in einer Sackgasse." Dieses ausführliche Zitat aus der Einleitung des "neuen Horrorfilm Lexikons" weist auf die besondere Stärke und zugleich auch Schwäche des Buches hin: Einerseits ist das Lexikon um eine sehr brauchbare Historisierung des Genres bemüht und trägt so zur Erhellung der Filmgenregeschichte bei; andererseits halten die Autoren mit ihrer Verachtung für das eigentliche Zielpublikum des Genres (das wohl auch die hauptsächliche Zielgruppe für ihr Lexikon darstellt) nicht hinterm Berg: und das nicht nur in der vierseitigen Einleitung, sondern in einem Gutteil der über 1800 Filmbesprechungen. Die Entstehungsgeschichte des Lexikons ist bei der Lektüre (bei der Benutzung) zwischen den Zeilen lesbar: 1985 erschien die erste Auflage des Buches, damals von Hahn und Jansen verfasst. In einer Zeit, in der die kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Genre noch zum großen Teil den Afficionados überlassen wurde, und filmwissenschaftliche Anthologien (etwa Barry Keith Grants The Dread of Difference ) oder einführende Genreüberblicke (etwa Paul Wells' The Horror Genre aus der Short Cuts Serie) noch eine Dekade weit entfernt waren, schien das Hahn'sche Lexikon wahrscheinlich gar nicht so unangemessen: Die Filmbesprechungen fokussierten vor allem die Filme aus der Entstehungszeit des Genres und ließen den "menschenverachtenden Schund" (aus der 1985er Einleitung), also vor allem Splatter- und Horrorfilme neueren Datums, außen vor. Es entstand das Bild eines Genres, das sich durch seine Klassiker konstituiert und durch sie auch gewissermaßen seine Grenzen erfährt. Die zeitgenössischen (postmodernen) ästhetischen Diskurse sollten – ginge es nach den Autoren – nichts mit der Kunst von Lon Chaney, Bela Lugosi oder Conrad Veidt zu tun haben. Deshalb wurden Filme nach 1960 entweder gar nicht aufgenommen oder im Lexikoneintrag gelinde gesagt verrissen. In der hier besprochenen Auflage aus 2002 wurde zwar der Umfang des Lexikons erheblich erweitert, das grundlegende Genrekonzept und die Werteperspektive, aus der die Besprechungen verfasst werden, änderten sich jedoch nicht. Was besonders skurril anmutet, ist die vollständige Ignorierung der in den Filmwissenschaften mittlerweile gut etablierten Horrorfilmforschung. Dadurch verabsäumen die Autoren die für gerade diesen Filmkorpus so wichtige Kontextualisierung mit komplexeren kulturellen und gesellschaftlichen Phänomenen. Denn auch in den im Lexikon enthaltenen Textbeiträgen zu wichtigen Motiven des Genres (wie "Dracula", "Frankenstein" etc.) bzw. zu genrebestimmenden Personen geben sich die Autoren mit positivistischer Faktensammlerei zufrieden und bleiben weit hinter einer Einbindung des kulturhistorischen Umfelds des Genres zurück. Ein Beispiel: Der Eintrag zu Hitchcocks Psycho , ein paradigmatischer Film des Genres, besteht nahezu gänzlich aus einer Inhaltsnacherzählung. Lediglich der letzte Absatz beschäftigt sich kurz mit der Produktionsgeschichte des Films und informiert über die formidablen Umsätze, welche der so billig (u.a. weil s/w gefilmte) produzierte Film zu machen imstande war. Der für die Filmgeschichte und jene des Horrorgenres wirklich wesentliche Aspekt von Psycho ist aber jener der ZuschauerInnendisziplinierung: Hitchcocks 1960 fertig gestellter Film war einer der ersten Filme, die nicht in der Form der Non-Stop-Vorstellung ins Kino kamen, sondern den die ZuschauerInnen von Anbeginn sehen mussten. Die Kinos wurden ab Sekunde eins der Projektion geschlossen, zu spät Kommende durften nicht mehr in die Vorstellung (da sie, so Hitchcock in seinen Psycho -PR Filmen, dadurch des ultimativen Schockerlebnisses des Films – die Protagonistin wird bekannterweise nach 30 Filmminuten brutal ermordet – beraubt werden würden). Die Konsequenzen dieser eigentlich als PR-Gag intendierten Disziplinierungsmaßnahme waren nicht unerheblich: Plötzlich gab es vor den Kinokassen Menschenschlangen wartender ZuschauerInnen. Was heute selbstverständlich ist, nämlich die Rezeption eines Kinofilmes von Anfang bis zum Ende, und nicht im Non-Stop-Modus, wurde (u.a.) durch jenen Film initiiert, welcher als der Beginn des "modernen" Horrorfilms gilt, jener Film, der das Grauen "nach Hause bringt",…
... wie Madeleine den Blick von Scottie inszeniert und so die Identifikation des Zusehers problem... more ... wie Madeleine den Blick von Scottie inszeniert und so die Identifikation des Zusehers problema-tisiert.(Modleski 1988, 92 f.) Page 298. 296 Andrea B. Braidt, Gabriele Jutz Im deutschsprachigen Raum reagiert ua die feministische Filmtheoreti-kerin Gertrud Koch auf Mulveys ...
This article serves as a thematic, conceptual and historiographical introduction to the entire vo... more This article serves as a thematic, conceptual and historiographical introduction to the entire volume. A brief presentation of its three central questions (the representation of the supernatural in the medja, the contingent boundary between the sensuous and the extrasensory, and the spatial conditions of the occult in an urban context) is followed by an epistemological examination of four heuristical concepts (occultism and science, spiritism and belief, mysticism and experience, esotericism and knowledge) and a discussion of the volume's four leitmotifs (religion versus science, personae versus networks, this world versus the next, metropole versus province). Rather than insisting on an analysis of the occult and its urban sites in the context of modernity, a more productive approach explores questions of the epistemology of the occult.This article serves as a thematic, conceptual and historiographical introduction to the entire volume. A brief presentation of its three central...
"Seit Bestehen des Kinos, seit 1898 eine Riesenfledermaus in Georges Melies' Le Manoir d... more "Seit Bestehen des Kinos, seit 1898 eine Riesenfledermaus in Georges Melies' Le Manoir du Diable flatterte und sich in Mephistopheles verwandelte, hat der Horrorfilm zahlreiche Metamorphosen durchgemacht. Sie alle sagen etwas uber die Zeit aus, in der das jeweilige Produkt entstanden ist, und uber den (Geistes-)Zustand der Zuschauer, der sich aus christlich verbramter Mystik, unbefriedigten sexuellen Albtraumen, postpubertaren Gewissensbissen und einer ungesunden Portion Sadomasochismus zusammensetzt. [...] Konnen wir am Ende auch hinter eingefleischten Slasher-Fans und anal gehemmten Gore-Apologeten verhaltensgestorte Videokids vermuten, die (Gott sei Dank!) nicht den Mut zur Tat haben (mit seltenen Ausnahmen, zu denen auch das Massaker von Erfurt gehort)? So oder so, das Genre steckt in einer Sackgasse." Dieses ausfuhrliche Zitat aus der Einleitung des "neuen Horrorfilm Lexikons" weist auf die besondere Starke und zugleich auch Schwache des Buches hin: Einerseits ist das Lexikon um eine sehr brauchbare Historisierung des Genres bemuht und tragt so zur Erhellung der Filmgenregeschichte bei; andererseits halten die Autoren mit ihrer Verachtung fur das eigentliche Zielpublikum des Genres (das wohl auch die hauptsachliche Zielgruppe fur ihr Lexikon darstellt) nicht hinterm Berg: und das nicht nur in der vierseitigen Einleitung, sondern in einem Gutteil der uber 1800 Filmbesprechungen. Die Entstehungsgeschichte des Lexikons ist bei der Lekture (bei der Benutzung) zwischen den Zeilen lesbar: 1985 erschien die erste Auflage des Buches, damals von Hahn und Jansen verfasst. In einer Zeit, in der die kulturwissenschaftliche Beschaftigung mit dem Genre noch zum grosen Teil den Afficionados uberlassen wurde, und filmwissenschaftliche Anthologien (etwa Barry Keith Grants The Dread of Difference ) oder einfuhrende Genreuberblicke (etwa Paul Wells' The Horror Genre aus der Short Cuts Serie) noch eine Dekade weit entfernt waren, schien das Hahn'sche Lexikon wahrscheinlich gar nicht so unangemessen: Die Filmbesprechungen fokussierten vor allem die Filme aus der Entstehungszeit des Genres und liesen den "menschenverachtenden Schund" (aus der 1985er Einleitung), also vor allem Splatter- und Horrorfilme neueren Datums, ausen vor. Es entstand das Bild eines Genres, das sich durch seine Klassiker konstituiert und durch sie auch gewissermasen seine Grenzen erfahrt. Die zeitgenossischen (postmodernen) asthetischen Diskurse sollten – ginge es nach den Autoren – nichts mit der Kunst von Lon Chaney, Bela Lugosi oder Conrad Veidt zu tun haben. Deshalb wurden Filme nach 1960 entweder gar nicht aufgenommen oder im Lexikoneintrag gelinde gesagt verrissen. In der hier besprochenen Auflage aus 2002 wurde zwar der Umfang des Lexikons erheblich erweitert, das grundlegende Genrekonzept und die Werteperspektive, aus der die Besprechungen verfasst werden, anderten sich jedoch nicht. Was besonders skurril anmutet, ist die vollstandige Ignorierung der in den Filmwissenschaften mittlerweile gut etablierten Horrorfilmforschung. Dadurch verabsaumen die Autoren die fur gerade diesen Filmkorpus so wichtige Kontextualisierung mit komplexeren kulturellen und gesellschaftlichen Phanomenen. Denn auch in den im Lexikon enthaltenen Textbeitragen zu wichtigen Motiven des Genres (wie "Dracula", "Frankenstein" etc.) bzw. zu genrebestimmenden Personen geben sich die Autoren mit positivistischer Faktensammlerei zufrieden und bleiben weit hinter einer Einbindung des kulturhistorischen Umfelds des Genres zuruck. Ein Beispiel: Der Eintrag zu Hitchcocks Psycho , ein paradigmatischer Film des Genres, besteht nahezu ganzlich aus einer Inhaltsnacherzahlung. Lediglich der letzte Absatz beschaftigt sich kurz mit der Produktionsgeschichte des Films und informiert uber die formidablen Umsatze, welche der so billig (u.a. weil s/w gefilmte) produzierte Film zu machen imstande war. Der fur die Filmgeschichte und jene des Horrorgenres wirklich wesentliche Aspekt von Psycho ist aber jener der ZuschauerInnendisziplinierung: Hitchcocks 1960 fertig gestellter Film war einer der ersten Filme, die nicht in der Form der Non-Stop-Vorstellung ins Kino kamen, sondern den die ZuschauerInnen von Anbeginn sehen mussten. Die Kinos wurden ab Sekunde eins der Projektion geschlossen, zu spat Kommende durften nicht mehr in die Vorstellung (da sie, so Hitchcock in seinen Psycho -PR Filmen, dadurch des ultimativen Schockerlebnisses des Films – die Protagonistin wird bekannterweise nach 30 Filmminuten brutal ermordet – beraubt werden wurden). Die Konsequenzen dieser eigentlich als PR-Gag intendierten Disziplinierungsmasnahme waren nicht unerheblich: Plotzlich gab es vor den Kinokassen Menschenschlangen wartender ZuschauerInnen. Was heute selbstverstandlich ist, namlich die Rezeption eines Kinofilmes von Anfang bis zum Ende, und nicht im Non-Stop-Modus, wurde (u.a.) durch jenen Film initiiert, welcher als der Beginn des "modernen" Horrorfilms gilt, jener Film, der das Grauen "nach Hause bringt",…
Der Text bietet einen Uberblick uber zentrale Paradigmen der feministischen Filmtheorie: Spectato... more Der Text bietet einen Uberblick uber zentrale Paradigmen der feministischen Filmtheorie: Spectatorship, psychoanalytische Erweiterungen, Queer Theory/Queer Cinema, Gender und Genre. Einfuhrend wird geklart, wie wissenschaftliche Theorien von wissenschaftlichen Methoden zu unterscheiden sind. Danach wird die historische Entwicklung der feministischen Filmtheorie entlang von vier paradigmatischen Ansatzen aufgezeigt: dem von Laura Mulvey in den 1970ern entwickelten psychoanalytischen Blickparadigma (spectatorship theory); dessen psychoanalytischen sowie psychoanalysekritischen Weiterentwicklungen durch die Cultural Studies der 1980er Jahre; der Queer Theory der 1990er Jahre; sowie aktuellen Uberlegungen zur medialen Konstruktion von Geschlecht aus Perspektive filmischer Gattungstheorien.
"Seit Bestehen des Kinos, seit 1898 eine Riesenfledermaus in Georges Méliès' Le Manoir d... more "Seit Bestehen des Kinos, seit 1898 eine Riesenfledermaus in Georges Méliès' Le Manoir du Diable flatterte und sich in Mephistopheles verwandelte, hat der Horrorfilm zahlreiche Metamorphosen durchgemacht. Sie alle sagen etwas über die Zeit aus, in der das jeweilige Produkt entstanden ist, und über den (Geistes-)Zustand der Zuschauer, der sich aus christlich verbrämter Mystik, unbefriedigten sexuellen Albträumen, postpubertären Gewissensbissen und einer ungesunden Portion Sadomasochismus zusammensetzt. [...] Können wir am Ende auch hinter eingefleischten Slasher-Fans und anal gehemmten Gore-Apologeten verhaltensgestörte Videokids vermuten, die (Gott sei Dank!) nicht den Mut zur Tat haben (mit seltenen Ausnahmen, zu denen auch das Massaker von Erfurt gehört)? So oder so, das Genre steckt in einer Sackgasse." Dieses ausführliche Zitat aus der Einleitung des "neuen Horrorfilm Lexikons" weist auf die besondere Stärke und zugleich auch Schwäche des Buches hin: Einerseits ist das Lexikon um eine sehr brauchbare Historisierung des Genres bemüht und trägt so zur Erhellung der Filmgenregeschichte bei; andererseits halten die Autoren mit ihrer Verachtung für das eigentliche Zielpublikum des Genres (das wohl auch die hauptsächliche Zielgruppe für ihr Lexikon darstellt) nicht hinterm Berg: und das nicht nur in der vierseitigen Einleitung, sondern in einem Gutteil der über 1800 Filmbesprechungen. Die Entstehungsgeschichte des Lexikons ist bei der Lektüre (bei der Benutzung) zwischen den Zeilen lesbar: 1985 erschien die erste Auflage des Buches, damals von Hahn und Jansen verfasst. In einer Zeit, in der die kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Genre noch zum großen Teil den Afficionados überlassen wurde, und filmwissenschaftliche Anthologien (etwa Barry Keith Grants The Dread of Difference ) oder einführende Genreüberblicke (etwa Paul Wells' The Horror Genre aus der Short Cuts Serie) noch eine Dekade weit entfernt waren, schien das Hahn'sche Lexikon wahrscheinlich gar nicht so unangemessen: Die Filmbesprechungen fokussierten vor allem die Filme aus der Entstehungszeit des Genres und ließen den "menschenverachtenden Schund" (aus der 1985er Einleitung), also vor allem Splatter- und Horrorfilme neueren Datums, außen vor. Es entstand das Bild eines Genres, das sich durch seine Klassiker konstituiert und durch sie auch gewissermaßen seine Grenzen erfährt. Die zeitgenössischen (postmodernen) ästhetischen Diskurse sollten – ginge es nach den Autoren – nichts mit der Kunst von Lon Chaney, Bela Lugosi oder Conrad Veidt zu tun haben. Deshalb wurden Filme nach 1960 entweder gar nicht aufgenommen oder im Lexikoneintrag gelinde gesagt verrissen. In der hier besprochenen Auflage aus 2002 wurde zwar der Umfang des Lexikons erheblich erweitert, das grundlegende Genrekonzept und die Werteperspektive, aus der die Besprechungen verfasst werden, änderten sich jedoch nicht. Was besonders skurril anmutet, ist die vollständige Ignorierung der in den Filmwissenschaften mittlerweile gut etablierten Horrorfilmforschung. Dadurch verabsäumen die Autoren die für gerade diesen Filmkorpus so wichtige Kontextualisierung mit komplexeren kulturellen und gesellschaftlichen Phänomenen. Denn auch in den im Lexikon enthaltenen Textbeiträgen zu wichtigen Motiven des Genres (wie "Dracula", "Frankenstein" etc.) bzw. zu genrebestimmenden Personen geben sich die Autoren mit positivistischer Faktensammlerei zufrieden und bleiben weit hinter einer Einbindung des kulturhistorischen Umfelds des Genres zurück. Ein Beispiel: Der Eintrag zu Hitchcocks Psycho , ein paradigmatischer Film des Genres, besteht nahezu gänzlich aus einer Inhaltsnacherzählung. Lediglich der letzte Absatz beschäftigt sich kurz mit der Produktionsgeschichte des Films und informiert über die formidablen Umsätze, welche der so billig (u.a. weil s/w gefilmte) produzierte Film zu machen imstande war. Der für die Filmgeschichte und jene des Horrorgenres wirklich wesentliche Aspekt von Psycho ist aber jener der ZuschauerInnendisziplinierung: Hitchcocks 1960 fertig gestellter Film war einer der ersten Filme, die nicht in der Form der Non-Stop-Vorstellung ins Kino kamen, sondern den die ZuschauerInnen von Anbeginn sehen mussten. Die Kinos wurden ab Sekunde eins der Projektion geschlossen, zu spät Kommende durften nicht mehr in die Vorstellung (da sie, so Hitchcock in seinen Psycho -PR Filmen, dadurch des ultimativen Schockerlebnisses des Films – die Protagonistin wird bekannterweise nach 30 Filmminuten brutal ermordet – beraubt werden würden). Die Konsequenzen dieser eigentlich als PR-Gag intendierten Disziplinierungsmaßnahme waren nicht unerheblich: Plötzlich gab es vor den Kinokassen Menschenschlangen wartender ZuschauerInnen. Was heute selbstverständlich ist, nämlich die Rezeption eines Kinofilmes von Anfang bis zum Ende, und nicht im Non-Stop-Modus, wurde (u.a.) durch jenen Film initiiert, welcher als der Beginn des "modernen" Horrorfilms gilt, jener Film, der das Grauen "nach Hause bringt",…
... wie Madeleine den Blick von Scottie inszeniert und so die Identifikation des Zusehers problem... more ... wie Madeleine den Blick von Scottie inszeniert und so die Identifikation des Zusehers problema-tisiert.(Modleski 1988, 92 f.) Page 298. 296 Andrea B. Braidt, Gabriele Jutz Im deutschsprachigen Raum reagiert ua die feministische Filmtheoreti-kerin Gertrud Koch auf Mulveys ...
This article serves as a thematic, conceptual and historiographical introduction to the entire vo... more This article serves as a thematic, conceptual and historiographical introduction to the entire volume. A brief presentation of its three central questions (the representation of the supernatural in the medja, the contingent boundary between the sensuous and the extrasensory, and the spatial conditions of the occult in an urban context) is followed by an epistemological examination of four heuristical concepts (occultism and science, spiritism and belief, mysticism and experience, esotericism and knowledge) and a discussion of the volume's four leitmotifs (religion versus science, personae versus networks, this world versus the next, metropole versus province). Rather than insisting on an analysis of the occult and its urban sites in the context of modernity, a more productive approach explores questions of the epistemology of the occult.This article serves as a thematic, conceptual and historiographical introduction to the entire volume. A brief presentation of its three central...
"Seit Bestehen des Kinos, seit 1898 eine Riesenfledermaus in Georges Melies' Le Manoir d... more "Seit Bestehen des Kinos, seit 1898 eine Riesenfledermaus in Georges Melies' Le Manoir du Diable flatterte und sich in Mephistopheles verwandelte, hat der Horrorfilm zahlreiche Metamorphosen durchgemacht. Sie alle sagen etwas uber die Zeit aus, in der das jeweilige Produkt entstanden ist, und uber den (Geistes-)Zustand der Zuschauer, der sich aus christlich verbramter Mystik, unbefriedigten sexuellen Albtraumen, postpubertaren Gewissensbissen und einer ungesunden Portion Sadomasochismus zusammensetzt. [...] Konnen wir am Ende auch hinter eingefleischten Slasher-Fans und anal gehemmten Gore-Apologeten verhaltensgestorte Videokids vermuten, die (Gott sei Dank!) nicht den Mut zur Tat haben (mit seltenen Ausnahmen, zu denen auch das Massaker von Erfurt gehort)? So oder so, das Genre steckt in einer Sackgasse." Dieses ausfuhrliche Zitat aus der Einleitung des "neuen Horrorfilm Lexikons" weist auf die besondere Starke und zugleich auch Schwache des Buches hin: Einerseits ist das Lexikon um eine sehr brauchbare Historisierung des Genres bemuht und tragt so zur Erhellung der Filmgenregeschichte bei; andererseits halten die Autoren mit ihrer Verachtung fur das eigentliche Zielpublikum des Genres (das wohl auch die hauptsachliche Zielgruppe fur ihr Lexikon darstellt) nicht hinterm Berg: und das nicht nur in der vierseitigen Einleitung, sondern in einem Gutteil der uber 1800 Filmbesprechungen. Die Entstehungsgeschichte des Lexikons ist bei der Lekture (bei der Benutzung) zwischen den Zeilen lesbar: 1985 erschien die erste Auflage des Buches, damals von Hahn und Jansen verfasst. In einer Zeit, in der die kulturwissenschaftliche Beschaftigung mit dem Genre noch zum grosen Teil den Afficionados uberlassen wurde, und filmwissenschaftliche Anthologien (etwa Barry Keith Grants The Dread of Difference ) oder einfuhrende Genreuberblicke (etwa Paul Wells' The Horror Genre aus der Short Cuts Serie) noch eine Dekade weit entfernt waren, schien das Hahn'sche Lexikon wahrscheinlich gar nicht so unangemessen: Die Filmbesprechungen fokussierten vor allem die Filme aus der Entstehungszeit des Genres und liesen den "menschenverachtenden Schund" (aus der 1985er Einleitung), also vor allem Splatter- und Horrorfilme neueren Datums, ausen vor. Es entstand das Bild eines Genres, das sich durch seine Klassiker konstituiert und durch sie auch gewissermasen seine Grenzen erfahrt. Die zeitgenossischen (postmodernen) asthetischen Diskurse sollten – ginge es nach den Autoren – nichts mit der Kunst von Lon Chaney, Bela Lugosi oder Conrad Veidt zu tun haben. Deshalb wurden Filme nach 1960 entweder gar nicht aufgenommen oder im Lexikoneintrag gelinde gesagt verrissen. In der hier besprochenen Auflage aus 2002 wurde zwar der Umfang des Lexikons erheblich erweitert, das grundlegende Genrekonzept und die Werteperspektive, aus der die Besprechungen verfasst werden, anderten sich jedoch nicht. Was besonders skurril anmutet, ist die vollstandige Ignorierung der in den Filmwissenschaften mittlerweile gut etablierten Horrorfilmforschung. Dadurch verabsaumen die Autoren die fur gerade diesen Filmkorpus so wichtige Kontextualisierung mit komplexeren kulturellen und gesellschaftlichen Phanomenen. Denn auch in den im Lexikon enthaltenen Textbeitragen zu wichtigen Motiven des Genres (wie "Dracula", "Frankenstein" etc.) bzw. zu genrebestimmenden Personen geben sich die Autoren mit positivistischer Faktensammlerei zufrieden und bleiben weit hinter einer Einbindung des kulturhistorischen Umfelds des Genres zuruck. Ein Beispiel: Der Eintrag zu Hitchcocks Psycho , ein paradigmatischer Film des Genres, besteht nahezu ganzlich aus einer Inhaltsnacherzahlung. Lediglich der letzte Absatz beschaftigt sich kurz mit der Produktionsgeschichte des Films und informiert uber die formidablen Umsatze, welche der so billig (u.a. weil s/w gefilmte) produzierte Film zu machen imstande war. Der fur die Filmgeschichte und jene des Horrorgenres wirklich wesentliche Aspekt von Psycho ist aber jener der ZuschauerInnendisziplinierung: Hitchcocks 1960 fertig gestellter Film war einer der ersten Filme, die nicht in der Form der Non-Stop-Vorstellung ins Kino kamen, sondern den die ZuschauerInnen von Anbeginn sehen mussten. Die Kinos wurden ab Sekunde eins der Projektion geschlossen, zu spat Kommende durften nicht mehr in die Vorstellung (da sie, so Hitchcock in seinen Psycho -PR Filmen, dadurch des ultimativen Schockerlebnisses des Films – die Protagonistin wird bekannterweise nach 30 Filmminuten brutal ermordet – beraubt werden wurden). Die Konsequenzen dieser eigentlich als PR-Gag intendierten Disziplinierungsmasnahme waren nicht unerheblich: Plotzlich gab es vor den Kinokassen Menschenschlangen wartender ZuschauerInnen. Was heute selbstverstandlich ist, namlich die Rezeption eines Kinofilmes von Anfang bis zum Ende, und nicht im Non-Stop-Modus, wurde (u.a.) durch jenen Film initiiert, welcher als der Beginn des "modernen" Horrorfilms gilt, jener Film, der das Grauen "nach Hause bringt",…
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