Materiale
Textkulturen
Konzepte – Materialien – Praktiken
Herausgegeben von
Thomas Meier, Michael R. Ott und Rebecca Sauer
DE GRUYTER
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Materiale Textkulturen
Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 933
Herausgegeben von
Ludger Lieb
Wissenschaftlicher Beirat:
Jan Christian Gertz, Markus Hilgert,
Bernd Schneidmüller, Melanie Trede und
Christian Witschel
Band 1
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ISBN 978-3-11-037128-4
e-ISBN (PDF) 978-3-11-037129-1
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-042527-7
ISSN 2198-6932
Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives
3.0 Lizenz. Weitere Informationen finden Sie unter http://creativecommons.org/licenses/
by-nc-nd/3.0/.
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© Deutsches Literaturarchiv Marbach
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♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier
Printed in Germany
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Inhalt
Vorwort | V
|
Einleitung
Thomas Meier, Michael R. Ott, Rebecca Sauer
Materiale Textkulturen
Konzepte – Materialien – Praktiken: Einleitung und Gebrauchsanweisung | 1
Markus Hilgert, Ludger Lieb
Entstehung und Entwicklung des Heidelberger SFB 933 | 7
|
Konzepte
Thomas Meier unter Mitarbeit von Friedrich-Emanuel Focken und Michael R. Ott
Material | 19
Angeliki Karagianni, Jürgen Paul Schwindt, Christina Tsouparopoulou
Materialität | 33
Christina Tsouparopoulou, Thomas Meier
Artefakt | 47
Richard Fox, Diamantis Panagiotopoulos, Christina Tsouparopoulou
Affordanz | 63
Christian D. Haß, Daniela C. Luft, Peter A. Miglus
Bedeutung | 71
Annette Hornbacher, Tobias Frese, Laura Willer
Präsenz | 87
Daniela C. Luft, Michael R. Ott, Christoffer Theis
Kontext | 101
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VIII
Inhalt
Jens-Arne Dickmann, Wilfried E. Keil, Christian Witschel
Topologie | 113
Friedrich-Emanuel Focken, Friederike Elias, Christian Witschel, Thomas Meier
Material(itäts)profil – Topologie – Praxeographie | 129
Jens-Arne Dickmann, Friederike Elias, Friedrich-Emanuel Focken
Praxeologie | 135
Julia Lougovaya
Netzwerkanalyse | 147
Michael R. Ott, Sarah Kiyanrad
Geschriebenes | 157
Annette Hornbacher, Sabine Neumann, Laura Willer
Schriftzeichen | 169
Tino Licht
Ludwig Traubes Überlieferungsphilologie | 183
Michael R. Ott, Rodney Ast
Textkulturen | 191
Carla Meyer unter Mitarbeit von Thomas Meier
Typographisch/non-typographisch | 199
Jan Christian Gertz, Frank Krabbes, Eva Marie Noller unter Mitarbeit
von Fanny Opdenhoff
Metatext(ualität) | 207
Kay Joe Petzold, Joachim Friedrich Quack, Jakub Šimek
Edition | 219
||
Jürgen Paul Schwindt
(Radikal)Philologie | 235
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Inhalt
IX
|
Materialien
Thomas E. Balke, Wilfried E. Keil, Fanny Opdenhoff, Fabian Stroth
Stein | 247
Fanny Opdenhoff, Wilfried E. Keil
Putz | 269
Thomas E. Balke, Diamantis Panagiotopoulos, Antonia Sarri,
Christina Tsouparopoulou
Ton | 277
Sarah Kiyanrad, Julia Lougovaya, Antonia Sarri, Kai Trampedach
Metall | 293
Rodney Ast, Andrea Jördens, Joachim Friedrich Quack, Antonia Sarri
Papyrus | 307
Andrea Jördens, Sarah Kiyanrad, Joachim Friedrich Quack
Leder | 323
Julia Becker, Tino Licht, Bernd Schneidmüller
Pergament | 337
Carla Meyer, Bernd Schneidmüller
Zwischen Pergament und Papier | 349
Carla Meyer, Rebecca Sauer
Papier | 355
Andrea Jördens, Michael R. Ott, Rodney Ast unter Mitarbeit
von Christina Tsouparopoulou
Wachs | 371
Lajos Berkes, Enno Giele, Michael R. Ott unter Mitarbeit von Joachim Friedrich Quack
Holz | 383
Sarah Kiyanrad, Michael R. Ott, Antonia Sarri unter Mitarbeit von Enno Giele
Naturmaterialien | 397
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X
Inhalt
Melanie Trede
Papier oder Seide? | 411
Susanne Enderwitz, Enno Giele, Michael R. Ott, Rebecca Sauer
Textilien | 421
Klaus Oschema, Michael R. Ott
Menschenhaut | 439
||
Andrea Jördens, Thomas Balke, Irene Berti, Natalie Maag
Beurkundungen | 455
|
Praktiken
Susanne Enderwitz, Fanny Opdenhoff, Christian Schneider
Auftragen, Malen und Zeichnen | 471
Katharina Bolle, Stephan Westphalen, Christian Witschel
Mosaizieren | 485
Irene Berti, Wilfried E. Keil, Peter A. Miglus
Meißeln | 503
Irene Berti, Wilfried E. Keil, Peter A. Miglus
Ritzen | 519
Thomas Meier, Irene Berti, Michael R. Ott
Gießen | 533
Enno Giele, Klaus Oschema, Diamantis Panagiotopoulos
Siegeln, Stempeln und Prägen | 551
Susanne Enderwitz, Robert Folger, Rebecca Sauer
Einweben und Aufnähen | 567
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Inhalt
Jan Christian Gertz, Sandra Schultz, Jakub Šimek unter Mitarbeit von Kirsten
Wallenwein
Abschreiben und Kopieren | 585
Rodney Ast, Élodie Attia, Andrea Jördens, Christian Schneider
Layouten und Gestalten | 597
Christoffer Theis
Mobile und immobile Schriftträger | 611
Sabine Neumann, Eva Marie Noller
Perzeption | 619
Tobias Frese, Wilfried E. Keil
Schriftakte/Bildakte | 633
Irene Berti, Christian D. Haß, Kristina Krüger, Michael R. Ott
Lesen und Entziffern | 639
Danijel Cubelic, Julia Lougovaya, Joachim Friedrich Quack
Rezitieren, Vorlesen und Singen | 651
Christian D. Haß, Daniela C. Luft
Transzendieren | 665
Enno Giele, Jörg Peltzer unter Mitarbeit von Melanie Trede
Rollen, Blättern und (Ent)Falten | 677
Rodney Ast, Julia Becker, Melanie Trede, Lisa Wilhelmi
Sammeln, Ordnen und Archivieren | 695
Christoffer Theis, Lisa Wilhelmi unter Mitarbeit von Lothar Ledderose
Tradieren | 709
Katharina Bolle, Christoffer Theis, Lisa Wilhelmi
Wiederverwenden | 723
Christoph Mauntel, Rebecca Sauer, Christoffer Theis, Kai Trampedach
Beschädigen und Zerstören | 735
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XI
Rodney Ast (Papyrologie), Andrea Jördens (Papyrologie),
Joachim Friedrich Quack (Ägyptologie), Antonia Sarri (Papyrologie)
Papyrus
1 Material und Formate
Papyrus ist ein Schriftträger, der ursprünglich in Ägypten zu Hause ist, aber auch in
benachbarten Regionen aufgegriffen wurde.¹ Die Pflanze selbst, ein Sumpfgras, das
botanisch als Cyperus papyrus L. bezeichnet wird, war in der Antike am Nil weitverbreitet und ist in vielen ägyptischen Grabdekorationen als wesentlichster botanischer
Bestandteil von Sümpfen dargestellt. Heutzutage ist sie aus der natürlichen Flora
Ägyptens allerdings praktisch völlig verschwunden, auch wenn in einigen Gebieten
ein moderner Anbau vorgenommen wird, mit dem man Rohmaterial für den Touristenmarkt herstellt. Ein weiteres Vorkommen im Bereich der Alten Welt findet sich bis
heute in Sizilien, daneben ist die Pflanze auch für Palästina nachgewiesen.
Papyrus hat den großen Vorteil, sehr leicht und damit gut transportabel zu sein.
Zudem kann man durch das Zusammenkleben von Blättern (bei einer Rolle) bzw.
Zusammenfügen von Lagen (Codex) sehr umfangreiche Textträger produzieren.
Beides sind Vorteile gegenüber z. B. Tontafeln. Ein Nachteil ist jedoch die Empfindlichkeit gegenüber Umwelteinflüssen: Das organische Material zersetzt sich bei ungeeigneter Lagerung und kann von Tieren zerfressen werden.
Den ausführlichsten, wenn auch nicht in allen Details klaren Bericht über die
Herstellung und die verschiedenen Qualitäten hat Plinius, Naturalis Historia XIII,
74–82 übermittelt (s. Fallbeispiel 2). Ägyptische Quellen sagen nichts Zusammenhängendes über die Herstellung; lediglich im Kontext einer Berufscharakteristik findet
sich beiläufig die Bemerkung, der Rücken des Soldaten sei bei der Ausbildung wie
Papyrus geschlagen worden. Das Schreibmaterial wird aus aufgeschnittenen Stengeln der Papyruspflanze gewonnen, die in zwei Schichten einmal gerade, einmal quer
dazu gelegt und durch Schlagen miteinander verbunden werden. Je nach Sorgfalt der
Produktion können dabei feinere oder gröbere Ergebnisse herauskommen. Generell
sind in den älteren Epochen die Papyri meist von sehr guter Qualität, sehr fein und
durchscheinend, und auf beiden Seiten ohne merklichen Unterschied benutzbar. In
der griechisch-römischen Zeit nimmt die Feinheit ab, der Schreibstoff wird im Allgemeinen dicker und weniger durchscheinend, und insbesondere die Rückseite ist oft
Dieser Beitrag ist im SFB 933 „Materiale Textkulturen“ entstanden, der durch die DFG finanziert wird.
||
1 Für übergreifende Informationen zu Papyrus s. Bierbrier 1986; Černý 1952; Leach u. Tait 2000; Parkinson u. Quirke 1995; Quack 2005.
© 2015, Ast, Jördens, Quack, Sarri.
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Rodney Ast, Andrea Jördens, Joachim Friedrich Quack, Antonia Sarri
wenig sorgfältig gearbeitet. Die zunehmende Dicke hängt auch mit der Verwendung
des Schreibrohrs zusammen, das mehr Druck entwickelt als die früher gebräuchliche
Binse.
Angesichts der Massen an Papyrus, die für die pharaonische Bürokratie ständig
gebraucht wurden, spricht alles dafür, dass es eine professionelle Manufaktur, mutmaßlich sogar eine offizielle Kontrolle über die Herstellung gegeben hat, doch ist
über diesen Bereich der Papyrusherstellung aus ägyptischen Quellen praktisch nichts
bekannt. In griechisch-römischer Zeit finden sich hingegen wiederholte Hinweise auf
ein staatliches Monopol.
Produziert wurde das Ausgangsmaterial in Form von Rollen, für die mehrere
separat produzierte Blätter zusammengeklebt wurden (→Rollen, Blättern und
(Ent) Falten). Ein solches Blatt, das als Grundeinheit der Rollenproduktion benutzt
wurde, konnte von unterschiedlicher Länge sein. Es gibt bereits aus früher Zeit exzeptionelle Fälle, so hat ein Verwaltungsdokument der fünften Dynastie (ca. 2400 v. Chr.)
etwa 66 cm breite Blätter, ein literarischer Text der 12. Dynastie (ca. 1800 v. Chr.) etwa
50 cm breite. Normal sind allerdings Breiten von ca. 40 cm im Mittleren Reich, ca.
20 cm im Neuen Reich.
Die größte übliche Blatthöhe lag bei etwa 47–48 cm, wobei die Details im Verlauf
der Zeit auch schwanken konnten. So große Höhen wurden vorrangig für Verwaltungstexte verwendet; für literarische und religiöse Handschriften wurden ursprüngliche Rollenformate oft halbiert oder sogar geviertelt. In griechisch-römischer Zeit
waren Höhen um 30 cm oder wenig höher die Standardnorm. Daneben gab es freilich
immer auch niedrigere Rollen, wie es etwa die nur 12 cm hohe „Taschenausgabe“ mit
den Mimiamben des Herondas belegen mag (Abb. 1).
Als Basisgröße für eine Rolle wird ein Umfang von 20 Blatt angenommen. Man
konnte sich aber je nach Bedarf zusätzliche Blätter ankleben oder nicht benötigte
abschneiden und anderweitig verwenden. Dadurch entstehen sehr unterschiedlich
lange Rollen. Die allerlängste erhaltene, der Papyrus Harris I, ist gut 40 m lang. Für
die praktische Nutzung ist dies eher unhandlich, hier bildeten Formate bis allenfalls
5–6 m die Regel. Diese Formate waren auch für den Umfang der antiken „Bücher“
maßgeblich. Die größte Variationsbreite bestand bei Prosawerken, wo 2 m bis 16 m
lange Rollen vorkamen; bei den griechischen Dramen waren sie 3,5 bis 8 m, bei den
Gesängen Homers 4,4 bis 9 m lang.
2 Chronologie und Geographie der Bezeugung
Bereits aus der frühdynastischen Zeit ist um ca. 2900 v. Chr. eine echte Papyrusrolle erhalten – im Übrigen wurde sie aufgrund ihres prekären Erhaltungszustands
bislang niemals geöffnet, so dass unsicher bleibt, ob etwas darauf steht. Die ältesten
sicher datierten beschrifteten Papyri, die erst vor wenigen Jahren entdeckt wurden,
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Papyrus
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Abb. 1: Anfang der nur 12 cm hohen „Taschenausgabe“ mit den Mimiamben des Herondas; 1./2. Jahrhundert n. Chr. (© The Trustees of the British Museum, P. Lond. Inv. 135 = P. Lit. Lond. 96).
stammen aus der Zeit des Cheops (4. Dynastie, ca. 2600 v. Chr.). Papyrus bleibt über
alle Epochen des antiken Ägypten hin das dominierende Material für Archivierung
(→Sammeln, Ordnen und Archivieren) und Konsultierung und wird auch von den
Ptolemäern und während der römischen Herrschaft über Ägypten in gleicher Intensität weitergenutzt.
Die Nutzung in benachbarten Kulturen ist insbesondere aufgrund weitaus
ungünstigerer Erhaltungsbedingungen deutlich schlechter zu fassen. Für die
Levante stellen zwei Papyrusfragmente wohl des früheren 7. Jahrhunderts v. Chr. aus
dem Wadi Murabba’āt die ältesten erhaltenen Originalpapyri dar; aus späterer Zeit
stammen z. B. die Papyrusdokumente aus dem Wadi Daliyeh (4. Jahrhundert v. Chr.)²
sowie einige Papyri aus der Zeit um 100 n. Chr., die ihre Eigentümer bei ihrer Flucht
während des zweiten jüdischen Aufstands in den frühen 130er Jahren mit in die
Höhlen am Toten Meer nahmen.³ Spätantike Texte wurden außerdem in Kirchenräumen in Nessana in der Negevwüste und im transjordanischen Petra gefunden, wo
man sie möglicherweise aus Sicherheitsgründen deponiert hatte, zudem begegnen
2 Dušek 2007.
3 Yardeni 2000.
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Rodney Ast, Andrea Jördens, Joachim Friedrich Quack, Antonia Sarri
neuerdings zunehmend auch Funde im Zweistromland.⁴ In Europa blieben Papyri
hingegen in der Regel nicht anders als auch im Nildelta selbst nur in karbonisiertem Zustand erhalten, wenn sie also durch Feuer unter Luftabschluss gerieten, ohne
jedoch vollständig zu verbrennen. Dies war etwa im nordgriechischen Derveni der
Fall, wo ein orphischer Text aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. als Grabbeigabe zutage
trat.⁵ Besonders umfangreich sind die berühmten Funde in der sogenannten Villa dei
Papiri in Herculaneum, die bei dem Vesuvausbruch des Jahres 79 n. Chr. untergingen
und bei ihrer Auffindung Ende des 18. Jahrhunderts n. Chr. einen Sturm der Begeisterung auslösten. Den Fresken im benachbarten Pompeji zufolge stellte Papyrus auch
in Europa ein gängiges Schreibmaterial dar, das hier freilich stärker als im Niltal der
Konkurrenz von →Holz- und →Wachstafeln (für Alltagstexte) sowie →Pergament (für
Bücher) ausgesetzt war.
Im Mittelalter geht die Nutzung von Papyrus zurück und wird schließlich aufgegeben. Immerhin blieben noch einige Dutzend Papyri aus dem späteren 6. Jahrhundert n. Chr. in kirchlichen Archiven des damals unter byzantinischer Herrschaft
stehenden Ravenna erhalten (→Beurkundungen, Fallbeispiel 5). In der päpstlichen
Kanzlei blieb Papyrus für bedeutendere Anlässe sogar noch bis weit ins Mittelalter
hinein in Gebrauch, wie z. B. eine große Urkunde des Papstes Leo IV. aus dem Jahr
850 n. Chr. belegt (P. Vat. Lat. 1, 5. 9. 850). Auch in Ägypten selbst geht der Gebrauch
zurück; dort tritt zunehmend →Papier an seine Stelle. Der späteste erhaltene Papyrus
ist ein arabischer Text aus dem Jahr 1087 n. Chr.
3 Schreibstoffe und -geräte
Als Schreibstoff, also Tinte bzw. Tusche, werden zwei verschiedene Farben gebraucht
(→Auftragen, Malen und Zeichnen). Die eine ist ein reines Schwarz, das üblicherweise aus Lampenruß gewonnen wurde, der mit Wasser und Gummi arabicum angerührt wurde – also praktisch reiner Kohlenstoff mit wenig Bindemittel. Auf einer gut
ansaugenden Oberfläche wie der pflanzlichen Papyrusfaser hält er gut und ist sehr
reaktionsträge, so dass er sich bis heute nicht zersetzt hat. Diese schwarze Tusche ist
generell üblich und bildet die Basis jedes Textes. Erst in der Römerzeit treten völlig
neue Tinten auf Metallbasis auf. Sie dürften primär für ganz andere Schreibmaterialien, insbesondere Pergament entwickelt worden sein. Für Papyrus sind sie eigentlich
wenig geeignet, da die Metallsalze reagieren und dadurch den Untergrund im Verlauf
der Zeit schädigen oder ganz zerstören.
4 Cotton u. a. 1995.
5 Kouremenos u. a. 2006. Noch einmal ein Jahrhundert älter als dieser bis dahin älteste bekannte
griechische Papyrus ist jetzt der Neufund aus der sogenannten „Tomb of the Musician“ in Attika (hierzu →Wachs, Fallbeispiel 2).
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Papyrus
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Der andere Farbton ist ein dunkleres Orange oder Rot, das üblicherweise aus
gebranntem Ocker gewonnen wird. In römerzeitlichen Papyri gibt es teilweise
erstaunliche Varianten, die von kirschrot bis pink gehen; möglicherweise sind hier
auch andere Mineralien zum Einsatz gekommen. Rot dient in ägyptischen Papyri üblicherweise zur Hervorhebung, so etwa für Titel von Werken oder Abschnittsanfänge;
Mengenangaben in medizinischen Papyri; Nachschriften mit Handlungsanweisungen in religiösen Spruchkorpora; in administrativen Texten auch zur Unterscheidung
von Weizen und Gerste. So ist z. B. in einem Handbuch über Hieroglyphenzeichen
und ihre Bedeutungen das erste Wort des Titels rot geschrieben, daneben die Einführung jeder neuen Erklärung (Abb. 2). Daneben ist rot auch eine Farbe, der man in der
ägyptischen Kultur mit einer gewissen Skepsis begegnete. Deshalb werden Feindbezeichnungen gelegentlich dezidiert damit geschrieben; oder aber innerhalb von rot
geschriebenen Überschriften die Namen von Gottheiten doch schwarz gelassen. Die
ägyptische Sitte solcher Hervorhebung durch rote Farbe hat bis heute ihre Spuren
hinterlassen und ist auch in der Sprache noch lebendig, wenn man von Rubren oder
Rubriken spricht. Die ägyptische Eigenbezeichnung für rote Tinte wurde von den
Ägyptologen lange Zeit missverstanden und entweder als „grüne“ oder als „frische
Tinte“ aufgefaßt.
Schreibgerät war ursprünglich eine Binse, deren Ende gekaut wurde, so dass der
Effekt dem z. B. eines chinesischen Schreibpinsels etwas ähnelt. Druck- und Haarstrich werden dabei deutlich unterschieden. Zunächst für griechische Texte erscheint
das Schreibrohr, das ab der späteren Ptolemäerzeit auch für ägyptische Texte genutzt
wird. Es erzeugt mehr Druck auf dem Untergrund und produziert einheitlichere
Strichführungen.
4 Beschriftungsweisen und (Nach)nutzung
Beschriftet wurde grundsätzlich die Innenseite der Rolle mit den parallel zu den
Blatträndern laufenden Fasern, und zwar in Kolumnen, deren Breite ebenfalls nach
Literaturgattungen variierte. Fortführungen auf der Rückseite, sogenannte opisthographa, stellten stets eine Ausnahme dar, so dass es wohl eher ein Phänomen des
Sparzwangs war, wenn sich in der Kaiserzeit Beschriftungen der Rückseite häuften.
Bekannt hierfür ist vor allem die sogenannte Tebtynis Temple Library, wo sich eine
Fülle demotischer erzählender Literatur auf der Rückseite kaum benutzter, oftmals ein
halbes Jahrhundert älterer Verwaltungsakten findet. Für griechische literarische Texte
galt dies freilich ebenso. So hing die berühmte Wiener Rolle mit Xenophons Hellenika
fast 80 Jahre eingerahmt an der Wand, bevor man realisierte, dass die Vorderseite ein
Immobilienverzeichnis seltener Provenienz trug (P. Vindob. G 24568+257+29781, nach
195/96 n. Chr. [Rekto, P. Pher.] bzw. 3. Jahrhundert n. Chr. [Verso]). Da Rollen mit ihren
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Rodney Ast, Andrea Jördens, Joachim Friedrich Quack, Antonia Sarri
Abb. 2: Handbuch über Hieroglyphenzeichen und ihre Bedeutungen, mit Rubren; etwa 2. Jahrhundert n. Chr., aus Tebtynis (© Københavns Universitet, The Papyrus Carlsberg Collection,
P. Carlsberg 7).
Lesern, aber auch Altpapyrushändlern zu wandern pflegen, sind die näheren Beziehungen zwischen beidem so gut wie nie mehr zu rekonstruieren.
Daneben kursierten Papyri immer auch als Einzelblätter, die für besondere
Bedürfnisse von der Rolle geschnitten wurden, so nicht zuletzt bei den Papyrusbrie-
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fen (Fallbeispiel 1). Wurden sie in der Kaiserzeit wie auch die Rollen als Ganze parallel
zu den Fasern beschrieben, lebte in der Spätantike die ältere Praxis einer Beschriftung
gegen die Fasern wieder auf, wozu man das Blatt um 90° drehte. Im Gegensatz zu früheren Zeiten griff dies jetzt allerdings auch auf längere Texte und besonders Urkunden über. Zwar liegen die Details dieser Entwicklung großenteils noch im Dunkeln,
doch erscheinen zu Beginn des Mittelalters die sogenannten rotuli, also quer zu den
Fasern beschriebene Hochformate, gegenüber den in der gesamten Antike gebräuchlichen Querformaten weitgehend durchgesetzt (→Beurkundungen: Fallbeispiel 5).
Nur in besonderen Zusammenhängen blieb die altehrwürdige Form der sogenannten volumina noch erhalten, so bei Klassikern wie Homer immerhin bis in das 5. Jahrhundert n. Chr., bei der hebräischen Thora sogar bis zum heutigen Tag (→Rollen,
Blättern und (Ent)Falten). Eine ernsthafte Konkurrenz der Rollenformate stellte seit
der Zeitenwende allerdings der Codex dar. Als Weiterentwicklung der ursprünglich
hölzernen Polyptycha (→Holz) war diese Form wohl im lateinischen Westen entstanden; dies legen jedenfalls literarische Bezeugungen (z. B. Martial, Epigr. I 2) wie
auch die überraschend hohe Anzahl an Pergamenten unter den frühen Codices in
Ägypten nahe, ist dies doch kaum anders zu erklären, als dass es der hierfür typische Beschreibstoff war. Anders als bei den Rollen lief der Text in diesem Fall auf der
Rückseite fort, was zusammen mit der Identität der Hände die Codexform selbst bei
Kleinstfragmenten außer Zweifel stellt. Eines der frühesten Beispiele hierfür liegt in
dem bislang ältesten Zeugen für den Evangelientext vor, wie die Christen überhaupt
schon bald diese Buchform für ihre religiösen Schriften adaptierten (Abb. 3). Wie weit
dies in bewusstem Gegensatz zur Thora und den klassischen Autoren geschah, ist
kaum mehr zu klären.
Abb. 3: Vorder- und Rückseite des ältesten neutestamentlichen Codexfragments mit Joh. 18, 31–33.
37–38; 125–175 n. Chr.; Maßstab 1:1 (P. Ryl. III 457 = ⁵²; aus Roberts 1935, Frontispiz).
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Rodney Ast, Andrea Jördens, Joachim Friedrich Quack, Antonia Sarri
Abb. 4 a: Noch als Rolle konzipiertes Korrespondenzbuch eines lokalen Beamten (P. Panop. Beatty 1
und 2, 298 n. Chr.).
Die heute übliche Buchform, die aus mehreren Lagen mit jeweils der gleichen
Anzahl von Doppelblättern besteht, hat sich hingegen erst im Laufe der Zeit herausgebildet; so ist sie für ägyptische Texte bislang noch nicht sicher nachgewiesen. Die
häufigste Form, den aus vier aufeinandergelegten Doppelblättern zusammengesetzten sogenannten quaternio, wird man wohl auf die einfache Teilung einer Tierhaut –
einmal quer, einmal längs – zurückführen dürfen. Daneben gab es stets auch aus
weniger (binio: 2, ternio: 3) oder mehr (quinio: 5, senio: 6, septenio: 7, usw.) Doppelblättern gefertigte Lagen, die teilweise sogar auch bei unterschiedlicher Höhe in einen
Band gebunden werden konnten. Ein Charakteristikum der Papyruscodices scheint
die einlagige Form, bei der man die Doppelblätter in der Art eines dicken Heftes in
grundsätzlich unbeschränkter Zahl aufeinanderlegte. Das eindrucksvollste Beispiel
hierfür bietet ein Codex, den sich ein Privatmann aus dem oberägyptischen Panopolis
im 4. Jahrhundert n. Chr. für die Sammlung seiner Steuerquittungen fertigte, indem
er ausgeschiedene Rollen aus der Verwaltung ankaufte, sie in gleich lange Stücke
schnitt, durch Beseitigung der schadhaften Ränder auf nurmehr 25 cm Höhe kürzte
und endlich mit der beschriebenen Seite aufeinanderklebte (Abb. 4).
Keine neuerliche Beschriftung mehr war hingegen bei der Zweitverwendung als
Mumienkartonage vorgesehen, welche die Herstellung von Särgen preisgünstiger als
die Nutzung von →Holz machte (zumal in Ägypten selbst keine guten Holzqualitäten
zur Verfügung stehen). Hier wurden aussortierte Papyri wie Pappmaché zu Mumien-
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Abb. 4b: Nachträglich daraus (Abb. 4a) gefertigter einlagiger Codex des Alopex alias Pasnos
(P. Panop. 19 = SB XII 10996, 339–346 n. Chr.) (© The Trustees of the Chester Beatty Library, Dublin,
P. Panop. Beatty 1 und 2; P. Panop. 19).
särgen verarbeitet, zurechtgeschnitten, geformt, mit Stuck bestrichen und anschließend bemalt. In dieser Form sind die meisten Papyri aus der Ptolemäerzeit auf uns
gelangt, darunter eine beträchtliche Anzahl sonst nicht erhaltener Klassikertexte.
5 Aufbewahrung
Längere Texte wurden üblicherweise als Rollen gelagert. Sofern ihr Inhalt etwa für
administrative Fragen wichtig war, konnte der Behälter gesiegelt werden (→Siegeln,
Stempeln und Prägen). Das normale →Schriftzeichen für die Papyrusrolle stellt einen
Behälter dar, der mit Schnüren außen umwickelt ist. In der Mitte ist dann ein gesiegelter Lehmklumpen befestigt; teilweise schauen die hervorstehenden Schnurenden
noch heraus.
Briefe und andere Kurztexte (z. B. Amulette) wurden meist nicht gerollt, sondern
gefaltet aufbewahrt und dann meist verschnürt. Da die Faltungen im Papyrus zur
Produktion von Schwachstellen führen, lassen sie sich heute oft sehr gut erkennen,
wenn das Material an diesen Stellen schwächer oder ganz durchgebrochen ist. Es ist
unter diesem Gesichtspunkt zu fragen, ob auch manche Rollen einmal in der Mitte
gefaltet aufbewahrt wurden; jedenfalls gibt es bemerkenswert viele Fälle, dass Papyri
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Rodney Ast, Andrea Jördens, Joachim Friedrich Quack, Antonia Sarri
etwa in der Mitte der Rollenhöhe durchgebrochen sind und dann teilweise die beiden
Teile sogar in verschiedenen Sammlungen gelangt sind (→Rollen, Blättern und
(Ent)Falten).
6 Medientransfer
Bei der Aufzeichnung von Texten auf Wänden wurde in einzelnen Fällen versucht,
das Erscheinungsbild eines Papyrus nachzuahmen. Ein besonders bemerkenswerter
Fall ist das ägyptische Unterweltsbuch „Amduat“ (Abb. 5). In den ältesten erhaltenen Niederschriften (ab ca. 1500 v. Chr.) wird mit der Wahl eines hellen, etwas gelblichen Untergrundes, kursiver Schriftzeichen und skizzenhaft „strichmännchenhafter“
Zeichnungen, teilweise sogar in Form eines Streifens von ca. 30 cm Höhe sehr genau
der äußere Aspekt eines alten vergilbten Papyrus nachgeahmt. Aus der Levante ist
als vergleichbarer Fall die Bileam-Inschrift aus Tell Deir ‘Alla (8. Jahrhundert v. Chr.)
zu nennen, welche die Gestaltung einer Buchrolle mit Kolumnen, Rahmung und dem
Einsatz roter Tinte für Überschriften aufweist.
Abb. 5: Ausschnitt aus dem ägyptischen Unterweltsbuch Amduat. Mit Hintergrundfarbe und kursiven
Hieroglyphen wird ein alter Papyrus nachgeahmt (© Institute of Egyptology, Waseda University,
Tokyo).
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Papyrus
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Fallbeispiel 1: Papyrusbriefe
Im Gegensatz zu literarischen Briefen, die über mittelalterliche Anthologien auf uns
gekommen sind, dienten die weitaus meisten antiken Briefe Bedürfnissen der Alltagskommunikation. Entsprechend wurden sie auf vergängliches Material geschrieben,
dessen Wahl von der Verfügbarkeit vor Ort, gesellschaftlichen Gewohnheiten und
persönlichen Vorlieben des Schreibers abhängig war. Unter bestimmten Bedingungen konnten auch solche Briefe über die Jahrhunderte hinweg bis in unsere Zeit überdauern. Dies gilt insbesondere für die griechischen Briefe aus Ägypten, die sich in
weit überwiegender Zahl auf Papyri finden.
Abb. 6: Brief aus dem Jahr 127 v. Chr. in dem für die hellenistische Zeit typischen Querformat, in dem
Dionysia ihrem Ehemann Theon von den Schwierigkeiten berichtet, die ihr während seiner Abwesenheit beim Militärdienst entstanden (© Universität Heidelberg, Institut für Papyrologie, P. Heid. inv. G
603 = VBP IV 48).
In frühhellenistischer Zeit waren hierfür vor allem zwei Formate gebräuchlich.
Standardformat war das Querformat, das vor allem im Umfeld des Ptolemäerhofes
begegnet. Für die Beschriftung schnitt man ein rechteckiges, ungefähr 15 × 30 cm
großes Blatt von der Rolle ab, drehte es um 90° und beschrieb es der Breite nach auf
dem Rekto, also quer zu den Fasern (transversa charta; Abb. 6). Seltener war dagegen
ein schmales, parallel zu den Fasern beschriebenes Hochformat von etwa 30 × 7 cm,
das sich an der lokalen ägyptischen Praxis orientierte und vor allem bei privaten
Geschäftsbriefen zum Einsatz kam. Hier ist auch häufiger noch die ägyptische Binse
statt des feineren griechischen Kalamos anzutreffen.
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Abb. 7: Der in die frühe Kaiserzeit oder vielleicht eher in das 2. Jahrhundert n. Chr. zu datierende
P. Heid. III 234 mit seinem mehrere Zeilen langen Schlussgruß sowie nachträglich hinzugesetzten Grüßen einer Isidora bietet ein typisches Beispiel für das in dieser Epoche übliche Format;
Maßstab 1 : 1 (© Universität Heidelberg, Institut für Papyrologie, P. Heid. inv. G 4126).
In beiden Fällen war der Text jedoch gleichermaßen als einfaches Rechteck
gestaltet, das mit Ausnahme des rechten Randes, wo die Zeilen bis zum Ende reichten,
an allen Seiten Freiränder besaß. Der Anfangsgruß, bei dem man die sozial höherstehende Person üblicherweise zuerst nannte, ging bruchlos in den Haupttext über,
während der Schlussgruß, gegebenenfalls mit Datumsangabe, leicht davon abgesetzt war. Nachträge wurden gern zwischen Haupttext und Schlussgruß gezwängt,
falls der Platz nicht reichte, auch einmal darunter fortgesetzt. Nicht immer waren
Schreiber und Absender identisch; gerade offizielle Briefe wurden häufig diktiert und
im Anschluss durch eine Siegelung autorisiert.
Seit dem ausgehenden 2. Jahrhundert v. Chr. ging man mehr und mehr zur
Verwendung des Hochformats für alle Arten von Briefen über, die man jetzt parallel zu den Fasern beschrieb. Sukzessive nahm dafür die Blatthöhe ab, so dass das
Verhältnis der Breite zur Höhe bei den kaiserzeitlichen Briefen, die die Hauptmasse
unserer Überlieferung stellen, in der Regel nurmehr 1:3 oder 1:2 betrug, bis hin zum
Quadrat (Abb. 7). Zugleich wurden Aussehen wie Stil eleganter. Dies gilt namentlich
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für die hohe Anzahl von Privatbriefen, die jetzt immer höflichere Anreden verwenden, in einer zugewandten oder besser „philophronetischen“ Sprache die Sorge um
den Adressaten zum Ausdruck bringen und gern mit einer Reihe von Grüßen für die
ganze Familie schließen. Der Haupttext erscheint deutlicher von dem stärker stilisierten Anfangsgruß abgesetzt, ebenso der gegenüber früher ausführlichere und
oft noch mit guten Wünschen angereicherte Schlussgruß, der sich jetzt in der Mitte
oder in der rechten unteren Ecke befindet. Bei diktierten Briefen im offiziellen oder
geschäftlichen Bereich wird gern noch ein persönlicher Gruß des Absenders hinzugesetzt, desgleichen ein Datum. Für Nachträge nutzte man die Ränder, d. h. man schrieb
sie entweder unten oder, falls dort der Platz dazu fehlte, senkrecht auf den linken
Rand. Zugleich wurde die Adresse auf dem Verso immer sorgfältiger ausgearbeitet,
insbesondere der Name des Adressaten in großen eleganten Buchstaben geschrieben.
Diese Tendenz sollte sich in der Spätantike noch verstärken, wobei nach dem 4. Jahrhundert n. Chr. das jahrhundertelang aufgegebene Querformat transversa charta eine
kaum mehr erwartete Renaissance erlebte.
Fallbeispiel 2: Plinius
Jedermann, der mit Papyri arbeitet, bemerkt sofort, dass es völlig verschiedene Arten
von Papyri gibt, deren Herstellung in der Hand von Fachleuten lag. Die Unterschiede
in den Qualitäten waren auch schon in der Antike bekannt, wie besonders die Ausführungen des berühmten römischen Staatsmannes und Gelehrten Gaius Plinius Secundus lehren, der am 24. August 79 n. Chr. bei dem Vesuvausbruch ums Leben kam.
Im 13. Buch seiner umfassenden Naturalis Historia hat Plinius der Papyruspflanze
und dem daraus gefertigten, im Lateinischen als charta bezeichneten Beschreibstoff
eine Reihe von Kapiteln gewidmet (N.H. XIII 71–83). Darin beschreibt er zunächst
das Aussehen der Pflanze, die armdicke, bis zu 4,5 m hohe dreieckige Stengel besaß,
sowie ihre Herkunft. Danach boten die Marschen des Deltas und die flachen Gewässer entlang des Nils die besten Bedingungen, doch konnte Papyrus auch in Syrien
und längs des Euphrat in Babylon wachsen. Die Blütendolde bringe keinen Samen
hervor und sei daher, so Plinius, für nichts zu gebrauchen, außer als Bekrönung von
Götterbildern.
Im Gegensatz dazu war die Pflanze selbst vielfach einsetzbar, so für Seile, Kleidung, Decken, vor allem aber für Schreibzwecke. Die Qualität des Beschreibstoffes
hing nach Plinius entscheidend davon ab, welchen Teil davon man jeweils verwandte:
Man stellt daraus das Papier her, indem man die Pflanze mit einer Nadel in sehr dünne, aber
möglichst breite Häute trennt. Die beste Beschaffenheit weist die mittlere Lage auf, dann die
anderen in der Reihenfolge der Abtrennung. Hieratisches Papier hieß ehemals das nur für religiöse Bücher bestimmte, das dann aus Schmeichelei den Namen des Augustus erhielt, wie das
zweitbeste nach seiner Gemahlin Livia benannt wurde; so stieg das hieratische zum dritten
Rang herunter. Die nächste Sorte hatte nach dem Ort ihrer Herstellung die „amphitheatritische“
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geheißen; nach Rom eingeführt, wurde sie in der kunstreichen Werkstätte des Fannius durch
sorgfältige Bearbeitung dünner gemacht, so dass aus dem gewöhnlichen das führende Material
entstand, dem er auch seinen Namen gab; das nicht umgearbeitete behielt seinen Namen, das
„ampitheatritische“,⁶
woraufhin in absteigender Reihe die weiteren Qualitätsstufen folgen.
Von hier geht Plinius zu einer detaillierten Beschreibung der Herstellung des
Blattes über. Jedes Blatt wurde auf einem mit Nilwasser getränkten Brett ausgelegt,
da man den darin befindlichen Stoffen besondere Klebekraft zuschrieb.⁷ Die Streifen wurden zunächst der Länge nach auf das Brett gelegt, unregelmäßige Ränder
beschnitten und dann quer dazu eine zweite Streifenschicht darübergelegt. Die auf
diese Weise hergestellten Blätter wurden gepresst und an der Sonne getrocknet, bevor
man sie zusammenfügte. Dabei begann man mit den besten und schritt allmählich
zu den schlechteren fort. Keine Rolle sollte nach Plinius mehr als 20 solcher Blätter
umfassen.
Der feinste Papyrus war zum Schreiben nicht immer der geeignetste, was Plinius
zu den Maßnahmen des Claudius bringt:
Kaiser Claudius gab den ersten Rang einem anderen Papier: denn die allzu große Feinheit des
Augustuspapiers konnte dem Schreibrohr nicht widerstehen; zudem schlug es durch, so dass
man befürchten musste, dass von der Rückseite her etwas getilgt werden könne, und auch
sonst war es sehr durchsichtig und hatte daher ein unschönes Aussehen. Man machte daher die
„Kette“ aus der zweiten Haut, den „Einschlag“ aus der ersten.
Aufgrund dieser Verbesserung sollte die claudische Qualität schließlich den höchsten
Rang einnehmen und an die Stelle derjenigen des Augustus treten:
Daher zog man das Papier des Claudius allen übrigen vor, und nur für Briefe blieb das Papier des
Augustus in Geltung; das Papier der Livia, dessen Material nichts von der ersten, sondern alles
von der zweiten Qualität hatte, behielt seinen Rang.
Dass Papyrus grundsätzlich dauerhaft war, war auch schon Plinius bekannt; so
schließt er seine Ausführungen mit der Beschreibung einiger antiquarischer Stücke,
die ihm vor Augen standen:
Durch diese Bearbeitung erhalten wohl die Schriftdenkmäler lange Dauer. Fast zweihundert
Jahre alte Schriften von der Hand des Tiberius und des Gaius Gracchus habe ich bei Pomponius
Secundus, dem gefeierten Dichter und Bürger, gesehen; die Handschriften Ciceros, des göttlichen Augustus und Vergils aber sehen wir heute noch häufig.
6 Übersetzt von König 1977.
7 Offenbar mit Recht, vgl. nur Hüttermann u. a. 1995.
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Quellen
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VBP IV = Bilabel (1924): Friedrich Bilabel, Veröffentlichungen aus den badischen PapyrusSammlungen, Bd. 4, Heidelberg.
Literaturverzeichnis
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Černý (1952): Jaroslav Černý, Paper and Books in Ancient Egypt, London.
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Leiden/Boston.
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Schindel, „Making of Papyrus – an Ancient Biotechnology, or: Pliny Was Right Indeed“, in:
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Tsantsanoglou, The Derveni Papyrus (Studi e testi per il Corpus dei Papiri Filosofici 13), Firenze.
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