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Abb. 14: Folio einer Koran-Handschrift im Kufi-Duktus mit Versen aus Q 22. Tinte und Gold auf Pergament. 22,5 × 29,7 cm. 9. bis 10. Jahrhundert. Freer Gallery of Art, Washington, D. C. Ana Davitashvili Einführung – Definition der historisch-kritischen Koranforschung Die historisch-kritische Koranforschung ist ein wichtiger Teil der modernen Koranforschung (Qur֓ānic studies), die zurzeit in Westeuropa, den USA und Kanada floriert. Sie arbeitet mit der historisch-kritischen Methode und verdankt dieser ihre Bezeichnung. Im Zentrum der modernen historisch-kritischen Koranforscher bzw. der Koranforscher im Allgemeinen befindet sich der Koran. Moderne Koranforscher haben anspruchsvolle Wege entwickelt, um den Korantext zu analysieren. Man konzentriert sich auf den Inhalt, die Struktur, Rhetorik und den Stil des Koran. Man betont auch das spätantike2 Milieu des Koran. Die überwiegende Mehrheit der Koranforscher ist sich darüber einig, dass die historisch-kritische Koranforschung zur Koranforschung gehört. Hingegen gibt es eine Diskussion darüber, ob die moderne Koranforschung umfassender zu definieren sei, wenn der Koran doch im Zentrum des Interesses steht. Eine Diskussion darüber ist im Jahr 2016 bei einem Treffen der International Qur ֓anic Studies Association (IQSA) entbrannt: Die bekannte amerikanische Koranforscherin Kecia Ali schlug beispielsweise vor, als Teil der Koranforschung jedwede Beschäftigung mit dem Koran zu definieren: die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte und die 1 Zu weiteren Beiträgen über den aktuellen Stand der Koranforschung vgl. Rippin 2020, S. 39-50, Stewart 2017, Sinai 2018b. 2 »Spätantike« ist ein Begriff, der die damals bekannte Welt bis 750 n. Chr. umfasst. Vgl. Neuwirth 2017b, S. 165-185 sowie allgemein Neuwirth 2010. ❞ The Turn Nr. 5 – Homo politicus Dezember 2022 http://dx.doi.org/10.53100/778013040714 Aktueller Stand der historischkritischen Koranforschung1 126 Ana Davitashvili Redaktion des Korantextes, seine Existenz als materielles Objekt, sein Gebrauch in den Gemeinden, in der Theologie, Kunst, im islamischen Recht und in der islamischen Ethik sowie in der muslimischen Geschichte.3 Für eine breite Definition sprach sich ebenfalls Herbert Berg, ein Experte der frühislamischen Exegese, aus, der die Koranforschung als interdisziplinär – bestehend aus Geschichte, Textkritik, Literaturanalyse, Philologie etc. – betrachtet.4 Außerdem sei zu berücksichtigen, dass ein Koranforscher in einem muslimischen Land mit einer Methode arbeite, die ein anderer Koranforscher in einem westlichen Land nicht anwende. Beide würden der Koranforschung angehören, jedoch mit dem Korantext methodisch unterschiedlich umgehen.5 Nicolai Sinai, einer der führenden historisch-kritischen Koranforscher, argumentierte gegen Kecia Alis breite Definition der Koranforschung damit, dass sich historisch die Koranforschung der historisch-kritischen Methode bediente, um den Koran zu untersuchen, und nicht die Dinge einschloss, die ein Mensch »gesungen, gelesen, geschrieben und gemalt«6 hat bzw. einfach in irgendeinem Zusammenhang mit dem Koran stehen. Seiner Auffassung nach gehört zur Koranforschung die Untersuchung des Milieus des Koran sowie die Analyse der Texte, die von muslimischen Gelehrten verfasst wurden, d. h. die Rezeptionsgeschichte des Koran. Zur Rezeptionsgeschichte des Koran würden sodann die Korankommentare (tafsı̄r) und die Lesarten des Koran (qirā ֓āt) zählen. Obwohl man sie nicht unkritisch übernehmen dürfe, erlaubten sie eine historische, grammatische und rhetorische Analyse, die ein moderner historisch-kritischer Koranforscher nicht vernachlässigen dürfe.7 Somit tritt Nicolai Sinai für eine »nicht normative, beschreibende, nicht-theologische Disziplin«8 in der Koranforschung ein. Obwohl es weder bei diesem Treffen noch anderswo bei der klaren Eingrenzung des Begriffs »Koranforschung« zum allgemeinen internationalen Konsens gekommen ist, verstehen viele Koranforscher bis heute darunter vor allem die »historisch-kritische Koranforschung«. 3 4 5 6 7 8 Vgl. Bauer 2016, S. Vgl. Bauer 2016, S. Vgl. Bauer 2016, S. Bauer 2016, S. 33. Vgl. Bauer 2016, S. Bauer 2016, S. 33. 32. 32. 32-33. 39. Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 127 Die historisch-kritische Koranforschung wird in erster Linie in westlichen Ländern betrieben. Sowohl die westliche Koranforschung als auch die historisch-kritische Koranforschung insgesamt haben aber einen Wandel erfahren, denn sie werden gleichermaßen von Muslimen und Nichtmuslimen bestimmt und nicht nur von Nichtmuslimen, wie dies vor Jahrzehnten der Fall war. Teils aus Rücksicht auf die Gefühle der Muslime, teils aufgrund der Tatsache, dass die Autorschaft des Koran sehr schwierig zu begründen ist, spricht die Mehrheit der Koranforscher von »der Koran sagt«, »der Diskurs des Koran sagt«, »der Text des Koran sagt« oder »im Koran steht«.9 Diese Ausdrücke ersetzen den frühen Ausdruck, der den Verkünder des Koran, Muh.ammad, als seinen Autor vorstellte. Inzwischen spricht auch die Mehrheit der Koranforscher davon, dass die Bibel und die nachbiblische, vorkoranische Literatur (im Folgenden auch als biblische Traditionen bezeichnet) nicht mehr als Ursprung des Koran betrachtet werden können, sondern als Teil der Intertextualität10 oder Subtext11 des Koran. Damit wird dem Koran zwar die Nähe zu biblischen Traditionen zuerkannt, aber auch betont, dass der Koran ein authentischer heiliger Text ist und seine eigene theologische Botschaft entwickelt.12 Die Untersuchung des Entstehungsortes und -zeitpunktes des Koran anhand biblischer Traditionen gehört unbestritten zum Konsens der westlichen historisch-kritischen Koranforscher.13 Die Ansichten gehen aber auseinander, wenn es um die Frage geht, welche Bedeutung der Prophetenbiographie und den tafsı̄r-Werken für die Erforschung des Koran beigemessen werden kann, die teilweise ebenfalls historische Ereignisse während der Offenbarung des Koran schildern und den Koran interpretieren.14 Die Beantwortung dieser Frage wird zum Teil dadurch erschwert, dass eine der Prämissen der historisch-kritischen Koranforschung ist, Anachro9 Diese Formulierungen werden in führenden Zeitschriften nahegelegt, die sich mit der Koranforschung befassen. Vgl. Pregill 2019, S. 7. 10 ›Intertextualität‹ bezeichnet einen engeren oder weiteren Bezug von Texten aufeinander. Zum Begriff und dessen Verwendung vgl. beispielsweise Lang 2015, S. 16-17. 11 Gabriel Said Reynolds, einer der führenden Koranforscher, benutzt den Begriff »Subtext« im Buch The Qur ֓ān and its Biblical Subtext und versteht darunter einen oder mehrere mit dem Koran zusammenhängende Texte oder Texte, die vor der Offenbarung des Koran entstanden sind und deren Kenntnis zu einem besseren Verständnis koranischer Begriffe oder Passagen führt. Vgl. hierzu Reynolds 2010, S. 23 und 36. 12 Vgl. hierzu Pregill 2007, S. 1-17. 13 Vgl. hierzu auch Neuwirth 2016, S. 178-206, Reynolds 2017, S. 303-319 sowie Reynolds 2019, S. 45-69. 14 Vgl. Bauer 2016, S. 34. 128 Ana Davitashvili nismus im Sinne einer Übertragung späterer Vorstellungen und Lebensweisen auf die Entstehungszeit des Koran zu vermeiden. Man geht davon aus, dass ein Araber im 9. Jahrhundert den Koran anders gelesen und verstanden und seine Vorstellungswelt darauf übertragen hat als ein Araber Anfang des 7. Jahrhunderts. Die historisch-kritische Koranforschung bemüht sich vor allem um die Rekonstruktion des historischen Sinnes eines Textes. So wird durch die Anwendung der historisch-kritischen Methode untersucht, was der Koran in seiner Gesamtheit sowie einzelne Suren den ersten Zuhörern des Koran bedeuteten. Am Beispiel des Koran lässt sich die historisch-kritische Methode15 wie folgt erklären: Die Koranforscher bewegen sich in der Zeit der Entstehung des Textes im 7. Jahrhundert und versuchen zu verstehen, wie die ersten Zuhörer den Koran wahrgenommen haben sowie welches Wissen der Koran bei ihnen voraussetzt. Nicht nur die Quellen in unmittelbarer zeitlicher Nähe werden dafür herangezogen, sondern in erster Linie der Koran selbst. Die Bedeutung einzelner Begriffe zur Zeit der Offenbarung des Textes und die damit verbundenen Vorstellungen werden anhand der Erwähnungen im Text selbst rekonstruiert. Anders erklärt, der moderne historisch-kritische Koranforscher ist mit einem Exegeten vergleichbar, der den Text interpretiert, indem er sich bemüht, wie der erste Zuhörer des Koran zu denken und denselben Wissenshorizont zu haben. Diese Vorgehensweise ist dadurch gerechtfertigt, dass der Koran im 7. Jahrhundert auf Arabisch aus bestimmten Gründen geoffenbart wurde und nicht früher oder später in einem anderen Zusammenhang. Die historisch-kritische Methode wird heute, wie bereits oben erwähnt, sowohl von Muslimen als auch von Nichtmuslimen angewandt. Für viele muslimische Koranforscher stellt es keinen Widerspruch dar, die ursprüngliche Botschaft des Koran, die an den ersten Hörerkreis im 7. Jahrhundert gerichtet war, zu rekonstruieren und gleichsam an das Wort Gottes zu glauben, das auch heute gültig ist. Die historisch-kritische Methode bietet sogar für manche Koranforscher, die aus konfessionellen Interessen heraus forschen, die Möglichkeit, Koranstellen durch den historischen Kontext des 7. Jahrhunderts zu erläutern und damit als übliche Praxis für damalige Gesellschaften – obwohl für heutige nicht mehr zeitgemäß – zu interpretieren. So behauptet ein amerikanischer muslimischer Islamwissenschaftler, Jonathan Brown, dass die Sklaverei 15 Über die historisch-kritische Methode in der Koranforschung vgl. ausführlicher Zorn/El Omari/Khorchide 2018, S. 231-234. Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 129 im Koran (mā malakat aimān- in Q 4:25, Q 33:50, Q 70:30 etc.) zwar nicht verboten werde, weil dies in der damaligen spätantiken Welt allgemein üblich war, doch rate der Koran dazu, die Sklaven und Gefangene, die zu Sklaven gemacht wurden, als eine gute Tat zu befreien (Q 2:177, Q 5:89, Q 9:60, Q 90:12-13). Die Praxis der Sklaverei wird also in den historischen Kontext eingebettet und der koranische Umgang damit verständlich gemacht.16 Mit dieser Vorgehensweise versucht Jonathan Brown, das Problem der mit dem modernen Gerechtigkeitssinn nicht mehr zu vereinbarenden Vorstellung und die Frage der Gerechtigkeit im »Wort Gottes« zu lösen. Auch die amerikanische muslimische Islamwissenschaftlerin Amina Wadud interpretiert die sogenannten »Paradiesjungfrauen« (h.ūr ֒ı̄n, von ihr übersetzt als »weiße, großäugige Frauen«) als Reaktion Gottes, den damaligen patriarchalischen Mekkanern das zu bieten, was sie wünschten. Da ihrer Ansicht nach die weißen, großäugigen Frauen ein zeitbedingtes Schönheitsideal darstellten, hätte Gott in medinensischer Zeit azwāǧ mut.ahhara bzw. »reine Gattinnen« als abstrakten Begriff eingeführt.17 Da sie als afroamerikanische muslimische Frau die Bedeutung einer weißen Paradiesjungfrau mit der Gerechtigkeit Gottes nicht vereinbaren kann, schlägt sie vor, den Koran nach seiner Entwicklungsstufe zu lesen und damit zu argumentieren, dass die Paradiesjungfrauen durch »reine Gattinnen« ersetzt wurden. Diese Untersuchungen kombinieren die historisch-kritische Methode mit eigenen theologischen Zielen und gehen selektiv mit dem Koran sowie mit dem geschichtlichen Milieu um. Zur Kritik Amina Waduds könnte man beispielsweise anführen, dass die weiße Farbe in der medinensischen Periode in Q 3:106-107 weiterhin positiv belegt ist und der Koran die damalige – und sogar teilweise heute noch existierende – Vorstellungswelt aufgreift, in der ›weiß‹ mit Schönheit und Reinheit assoziiert wird. Weiße Frauen als »begrenztes Schönheitsideal« zu sehen, wäre also nicht haltbar. Es gibt aber andere muslimische Koranforscher, wie etwa Mohsen Goudarzi Taghanaki,18 ein amerikanischer Koranforscher an der Universität Harvard, und Zishan Ghaffar,19 ein deutsch-pakistanischer Koranforscher an der Universität Paderborn, die mit der historisch-kritischen Methode arbeiten und deren 16 17 18 19 Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Brown 2019, S. 91-92. Wadud 1999, S. 53-57. Goudarzi Taghanaki 2018. Ghaffar 2020. 130 Ana Davitashvili Werke eindeutige theologische Ziele – beispielsweise die Rechtfertigung der Gerechtigkeit Gottes – nicht erkennen lassen. Die historisch-kritische Koranforschung ist zwischen der Bibelkunde bzw. Bibelwissenschaft (wegen biblischer Traditionen), Semitistik (wegen linguistischer Erklärungen und Sprachen wie Arabisch, Hebräisch, Syrisch und Äthiopisch) und Islamwissenschaft (wegen der Prophetenbiographie und frühislamischer Exegese) angesiedelt und bedient sich der Erkenntnisse dieser Fächer. Zusätzlich greift sie auf die Erkenntnisse der Archäologie, Inschriftenkunde, Numismatik und Geschichte zu. Im Gegensatz zur Bibelwissenschaft wird die Erforschung des Koran dadurch erschwert, dass der Koran ein Text ohne Kontext ist. Den historischkritischen Koranforschern liegen keine literarischen arabischen Texte aus der Zeit vor der Entstehung des Islam vor, die ihnen dabei helfen würden, den historischen Kontext der Offenbarung des Koran zu rekonstruieren. Daher sind die historisch-kritischen Koranforscher gezwungen, auf all die Quellen zurückzugreifen, die in irgendeiner Hinsicht zu einem besseren Verständnis des Koran und seines Entstehungsmilieus beitragen. Diese Quellen sind nicht nur für die historisch-kritischen Koranforscher relevant, sondern auch für alle modernen Koranforscher. Da jedoch die vorkoranisch: nachkoranisch: Prophetenbiographie Vorislamische arabische Dichtung Biblische Traditionen Der arabische Koran Koranexegese Koranhandschriften Epigraphik und Archäologie Historische Quellen im 7. Jh. – Mitte 8. Jahrhundert (z. B. syrische und griechische Quellen). Epigraphik und Numismatik im 7. Jahrhundert. Abb. 15: Der arabische Koran und relevante Quellen für seine Erforschung, vor- und nachkoranisch. Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 131 modernen Koranforscher unterschiedliche Quellen als wichtig für die Erforschung des Koran erachten, haben sich vereinfacht dargestellt drei große Gruppen – Traditionalisten, Neo-Traditionalisten und Revisionisten20 – herausgebildet. Zwischen diesen drei Hauptgruppen befinden sich außerdem mehrere Gruppen, von denen insbesondere die Koranforscher zwischen Neo-Traditionalisten und Revisionisten aktiv sind und die moderne historisch-kritische Koranforschung mitprägen. Im Folgenden werden diese Gruppen vorgestellt und ihre Methoden erläutert, wobei für die historisch-kritische Forschung nur die Neo-Traditionalisten, eine Gruppe zwischen Neo-Traditionalisten und Revisionisten sowie die Revisionisten relevant sind. Weil die moderne Koranforschung als sehr dynamisch und vielfältig beschrieben werden kann und eine umfassende Darstellung den Rahmen eines Aufsatzes sprengen würde, wird nur auf die bedeutendsten Vertreter einzelner Gruppen sowie die wichtigsten Werke knapp eingegangen. Auf der internationalen Ebene weist auch die Herausgabe der Encyclopaedia of the Qur ֓ān auf die Vielzahl der entstandenen Aufsätze und Bücher innerhalb der historisch-kritischen Koranforschung hin. Sie wurde 2001-2006 zum ersten Mal veröffentlicht und gehört neben der Encyclopaedia of Islam zu den wichtigsten Nachschlagewerken auf diesem Gebiet. Aufgrund zahlreicher neuer Erkenntnisse wird sie jedoch seit 2020 überarbeitet und online aktualisiert. Artikel werden hinzugefügt, um den neuesten Stand der historisch-kritischen Koranforschung widerzuspiegeln. Die international agierenden Zeitschriften wie etwa The Journal of Qur ֓anic Studies, The Journal of the International Qur ֓anic Studies Association und Review of Qur ֓anic Research widmen sich ausschließlich der Koranforschung und insbesondere der historisch-kritischen Koranforschung. Die Herausgabe dieser Zeitschriften unterstreicht ebenfalls, dass der Erforschung des Koran heutzutage eine große Bedeutung beigemessen wird. 20 Diese Definition der Gruppen stammt von Behnam Sadeghi. Sie wird von Holger Zellentin in der YouTube-Videoreihe »Theologians in Conversation« der Universität Nottingham in einem Gespräch zwischen ihm und Tom O’Loughlin, Professor für Historische Theologie, zum Thema »Qur’anic Studies Today« erwähnt. Vgl. Zellentin/O’Loughlin 2013. 132 Ana Davitashvili Gruppen innerhalb und außerhalb der historisch-kritischen Koranforschung Die Traditionalisten Traditionalisten stellen die Gruppe dar, die vor allem die muslimische Tradition für ein besseres Verständnis des Koran benutzt. Zur muslimischen Tradition zählen die Prophetenbiographie (as-sı̄ra an-nabawı̄ya) sowie Korankommentare und Hadithsammlungen. Damit werden ausschließlich die nachkoranischen Quellen herangezogen. Die vorislamische arabische Dichtung wird nur untersucht, wenn sie in der Koranexegese vorkommt und darin zur Erläuterung eines Wortes verwendet wird. Die wichtigsten Erkenntnisse der Handschriftenforschung werden ebenfalls zur Untermauerung der frühen Datierung des Koran nutzbar gemacht. Traditionalisten lassen biblische Traditionen außer Acht. Die Erkenntnisse der Epigraphik bzw. Inschriftenkunde sowie Archäologie und nicht-arabische historische Quellen bleiben unberücksichtigt. Traditionalisten gehen an den Koran mit theologischen Zielen heran. Da sie durch die Verwendung nachkoranischer Quellen der Gefahr des Anachronismus unterliegen, das Problem der Authentizität der muslimischen Traditionen nicht anerkennen und vorkoranische biblische Traditionen nicht untersuchen, stehen sie außerhalb der historisch-kritischen Koranforschung. Traditionalisten, zu denen ausschließlich Akademiker muslimischen Glaubens zählen, fungieren häufig als Dozenten an westlichen Universitäten. Zu den bekannten Traditionalisten gehören Muhammad Abdel Haleem, Professor für Islamwissenschaften an der SOAS Universität London, und Seyyed Hossein Nasr, Professor für Islamwissenschaften an der George Washington Universität in Washington, D. C. Muhammad Abdel Haleem verfasste 2017 das Buch Exploring the Qur ֓an. Context and Impact, in dem er Offenbarungsanlässe (asbāb an-nuzūl) und Abrogation (an-nāsih wa-l-mansūh) zur Erklärung mancher Verse, beispielsweise über ˘ ˘ den ǧihād, benutzt.21 Seyyed Hossein Nasr gab 2015 das Buch The Study Quran. A New Translation and Commentary heraus, an dem mehrere muslimische Islamwissenschaftler arbeiteten, die den Koran anhand der sunnitischen und schiitischen frühen und klassischen Korankommentare erläuterten.22 21 Vgl. Abdel Haleem 2017, S. 7-28. 22 Vgl. hierzu auch die Rezension dieses Buches in Fudge 2018, S. 575-588. Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 133 Im Buch, das über 2000 Seiten hat, werden die Offenbarungsanlässe der Suren vorangestellt. Danach werden die Kommentare der muslimischen Exegeten selektiv angeführt. Es wird einerseits allem Anschein nach darauf geachtet, dass die Erklärungen zum heutigen Wissenshorizont passen, andererseits wird der historische Kontext der Entstehung damaliger Interpretationen nicht immer beachtet. Beispielsweise wird bei der Erläuterung von Q 76:2 innā halaqnā l-insāna min nut.fatin amšāǧin ˘ nabtalı̄hi fa-ǧa ֒alnāhu samı̄ ֒an bas.ı̄rā (»Siehe, wir erschufen den Menschen aus einem Tropfen, einem Gemisch, um ihn zu prüfen, und schufen ihn hörend, sehend«23 ) knapp erklärt, dass nut.fat amšāǧ als »the mixing of the male and female fluids«24 zu verstehen ist. Die Erläuterungen der Koranexegeten, dass es sich bei amšāǧ um ein Gemisch männlicher und weiblicher Spermien25 handelt, werden einfach nicht mehr erwähnt. Hätte man die Erklärung für »das Gemisch der männlichen und weiblichen Flüssigkeiten« in ihren historischen Kontext eingebettet, hätte man sagen müssen, dass die Vorstellung, dass Frauen auch Sperma besitzen, in der damaligen Zeit in der Welt sehr verbreitet war. The Study Quran überlässt es jedoch jedem selbst zu interpretieren, was mit der Mischung der männlichen und weiblichen Flüssigkeiten gemeint sein könnte. Bezeichnenderweise begründen die Traditionalisten weder ihre Ablehnung biblischer Traditionen noch die Nicht-Einbeziehung der arabischen Inschriften und archäologischen Funde auf der Arabischen Halbinsel. Sie verteidigen auch nicht die Heranziehung der Offenbarungsanlässe (asbāb an-nuzūl), die in der historisch-kritischen Koranforschung äußerst umstritten sind, weil deren historische Glaubwürdigkeit angezweifelt wird.26 Außerdem betten die asbāb an-nuzūl häufig die Offenbarung einzelner Verse in den historischen Kontext ein und stellen somit die Offenbarung der Suren als Einheit in Frage. 23 Bobzin 2015, S. 537. Alle arabischen Stellen stammen vom ֒Utmānischen Text des Koran, in ¯ der Lesart von H . afs. ֒an ֒Ās.im und der Kairiner Ausgabe 1924. Die koranischen Versschlüsse werden durchgehend pausal transkribiert, da sonst der Reim verlorengehen kann. 24 Nasr 2015, S. 1452, Fn. 2. 25 So wird amšāǧ in den Kommentaren zu Q 76:2 teilweise erläutet. Im Tafsı̄r at.-T . abarı̄ steht min mā ֓i r-raǧuli wa-mā ֓i l-mar ֓ati (»vom Sperma des Mannes und dem Sperma der Frau«). Vgl. at.-T . abarı̄ 2001, Bd. 23, S. 532-536. Mā ֓ bedeutet hier nicht einfach »Wasser« oder »Flüssigkeit«, sondern »Sperma«, so wie im Persischen āb. Vgl. hierzu ausführlich Bummel 1999, Brunschön 2009, S. 173-190 sowie Nabielek 1990. 26 Zu einer Hypothese über die Genese der Offenbarungsanlässe vgl. Sinai 2009, S. 239-256. 134 Ana Davitashvili Die Neo-Traditionalisten Ein großer Teil der modernen historisch-kritischen Koranforscher sind als Neo-Traditionalisten einzustufen. Auch viele deutsche Koranforscher gehören zu den Neo-Traditionalisten. Die Neo-Traditionalisten werden so bezeichnet, weil sie die muslimische Tradition in ihren Grundzügen aufgreifen und darauf – trotz ihres nachkoranischen Charakters – nicht vollkommen verzichten. Man geht davon aus, dass die Prophetenbiographie keine vollständige Fälschung sein kann und zumindest in ihren groben Zügen stimmt. Es ist für Neo-Traditionalisten charakteristisch, dass sie das »chronologisch-topographische Grundgerüst«27 der Prophetenbiographie akzeptieren. Sie übernehmen damit die Grunddaten der Biographie des Propheten Muh.ammad, so wie sie in der sı̄ra beschrieben wird, sowie die mekkanisch-medinensische Einteilung des Koran. Außerdem wird die Bedeutung der vorislamischen arabischen Dichtung und der biblischen Traditionen von allen Neo-Traditionalisten betont. Die grundlegenden Erkenntnisse der Handschriftenforschung erhalten ebenfalls die Aufmerksamkeit aller Neo-Traditionalisten, doch bei weitem nicht jeder Neo-Traditionalist ist imstande, selbst an Handschriften zu arbeiten. Hingegen gehört zum wissenschaftlichen Alltag des NeoTraditionalisten, den Koran – unter Berücksichtigung der mekkanischmedinensischen Einteilung, biblischer Traditionen und häufig vorislamischer arabischer Dichtung – selbst zu analysieren. Die Erkenntnisse, die durch die Analyse der historischen Quellen im 7. Jahrhundert, der Epigraphik und der Archäologie zutage treten, werden nicht mehr von allen Neo-Traditionalisten für die eigene Forschung berücksichtigt. Vor allem bei der Verwendung der Koranexegese weichen die Neo-Traditionalisten voneinander ab: Während Angelika Neuwirth, eine der bedeutendsten Koranforscherinnen, die Erläuterungen der Korankommentare nicht in ihre Untersuchungen einbezieht, ist Nicolai Sinai dafür, sie als Inspiration zu benutzen. So erarbeitet zurzeit Nicolai Sinai im Rahmen des Projektes Qur ֓anic Commentary: An Integrative Paradigm ein Wörterbuch wichtiger koranischer Begriffe. Dadurch soll eine diachrone (mekkanischmedinensische) Studie der Semantik der Wörter entstehen. Im geplanten Wörterbuch werden die Wörter und Vorstellungen im ganzen Koran analysiert und zur Erhellung ihrer Bedeutung wird auf die biblischen Traditionen, aber auch auf die klassischen Korankommentare zurückgegriffen. 27 Sinai 2009, S. 31. Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 135 Die Lehrerin Sinais, Angelika Neuwirth, hat entscheidend zur Entstehung eines historisch-kritischen Korankommentars beigetragen. Sie verfasste bereits Kommentare zu frühmekkanischen, frühmittelmekkanischen und spätmittelmekkanischen Suren,28 die eine diachrone Lektüre des Koran vorschlagen und den Koran als Kommunikation zwischen dem Propheten Muh.ammad und der ersten Gemeinde verstehen. Das Verfassen der Korankommentare läuft gleichzeitig zur Erfassung der Datenbank Corpus Coranicum, die allen öffentlich zugänglich ist und sich mit dem historisch-kritischen Korankommentar sowie Handschriften beschäftigt. Aziz al-Azmeh befasst sich ebenfalls mit einer »historischen Interpretation« in seinem Buch The Emergence of the Islam in Late Antiquity. Allāh and his People. Er konzentriert sich aber auf die Geschichte der spätantiken Araber und den arabischen Kontext des Koran. Das Buch ist 2014 erschienen und versucht anhand von Inschriften und archäologischen Funden auf der Arabischen Halbinsel sowie traditionellen literarischen Quellen die Entstehung des Islam als Religion zu rekonstruieren. Dabei analysiert er den spätantiken Kontext, insbesondere den Übergang des römischen Polytheismus zum Monotheismus und die Rolle des römischen Kaisers, um ihn sodann mit der Entstehung des Islam zu vergleichen. Zwischen Neo-Traditionalisten und Revisionisten Als Gruppe zwischen Neo-Traditionalisten und Revisionisten wird in diesem Aufsatz eine Gruppe zusammengefasst, die sich um Gabriel Said Reynolds, einen der wichtigsten amerikanischen Koranforscher an der Universität Notre Dame (USA), versammelt hat. Sie sind keine harten Revisionisten und in ihren Werken wird nie offen der arabische Charakter oder die frühe Datierung des Korantextes angezweifelt. Man verzichtet aber vollständig auf die vorislamische arabische Dichtung, die Prophetenbiographie und die Koranexegese als wichtige Quellen für ein besseres Verständnis des Koran. Reynolds selbst benutzt die frühislamische Koranexegese in seinen Büchern und Aufsätzen, um zu zeigen, dass frühislamische Exegeten Begriffe nicht verstanden haben, hingegen biblische Traditionen entscheidend dabei helfen, schwerverständliche Stellen zu erhellen.29 In den Büchern und Aufsätzen dieser Gruppe werden vor allem biblische Traditionen analysiert und als Subtext des Koran angesehen. 28 Vgl. hierzu Neuwirth 2011, Neuwirth 2017a sowie Neuwirth 2021. 29 Solchen Analysen widmet Reynolds ein ganzes Buch: The Qur ֓ān and Its Biblical Subtext. Vgl. Reynolds 2010. 136 Ana Davitashvili Grundsätzlich werden Inschriftenkunde und Archäologie sowie Handschriften und historische Quellen aus dem 7. Jahrhundert als legitime Quellen anerkannt, um den Koran besser zu verstehen. Doch darauf wird nur gelegentlich zurückgegriffen, um eigene Theorien mit den Erkenntnissen aus diesen Quellen zu untermauern. Reynolds weist beispielsweise darauf hin, dass sich in den Inschriften zeige, dass der Monotheismus in Arabien zur Zeit der Entstehung des Islam weit verbreitet gewesen sein musste, was für ihn noch einmal bestätigt, wie wichtig biblische Traditionen sind.30 Alles in allem betrachtet Gabriel Said Reynolds den Koran als frühen Text. Seine Ansicht begründet er mit neuen Datierungen der Koranhandschriften, aber auch mit Schwierigkeiten der frühislamischen Exegeten, das koranische Vokabular zu verstehen. Da seiner Auffassung nach die frühislamischen Exegeten manchmal ratlos gewesen sind und Schwierigkeiten hatten, Wörter und Passagen des Koran zu erklären, findet Reynolds die zeitliche Distanz zwischen den Korankommentaren und Hadithsammlungen und dem Koran selbst plausibel.31 Die typischen Werke, die von dieser Gruppe hervorgebracht wurden, sind The Qur ֓ān and the Bible. Text and Commentary (Reynolds 2018) und der zweisprachige englisch-französische Korankommentar zu 50 Koranstellen The Qur ֓an Seminar Commentary. A Collaborative Study of 50 Qur ֓anic Passages, der 2012-2013 an der Universität Notre Dame entstanden ist. Darin werden die koranischen Vorstellungen und Begriffe vor allem vor dem Hintergrund biblischer Traditionen erklärt.32 Die Revisionisten Als letzte Gruppe der historisch-kritischen Koranforschung werden die Revisionisten33 vorgestellt. Die Revisionisten stellen heutzutage eine Randerscheinung der Koranforschung dar. Außerdem gibt es, wie Herbert Berg betont, verschiedene Arten des Revisionismus.34 Charakteristisch für die Revisionisten ist, dass sie meistens biblische Traditionen für Vgl. Reynolds 2021b. Vgl. Reynolds 2021a. Vgl. Azaiez/Reynolds/Tesei/Zafer 2016. Zu den bekanntesten Revisionisten gehören John Wansbrough, Patricia Crone and Michael Cook. Indem sie die Prophetenbiographie als »Heilsgeschichte« ansehen, treten sie dafür ein, den Koran anhand des Koran selbst und der vorislamischen biblischen Traditionen zu analysieren. Zur Verteidigung der Sicht der Neo-Traditionalisten vgl. Sinai 2009, S. 23-74. 34 Vgl. Bauer 2016, S. 40. 30 31 32 33 Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 137 die Erforschung des Koran heranziehen. Außerdem sprechen sie – im Gegensatz zu den Neo-Traditionalisten und der Gruppe zwischen NeoTraditionalisten und Revisionisten – von »Ursprung«, »Einfluss« und »Autoren« des Koran. Während von Christoph Luxenberg in seinem bekannten Buch Die syro-aramäische Lesart des Koran. Ein Beitrag zur Entschlüsselung der Koransprache (2000) in Zweifel gezogen wurde, dass der Koran in arabischer Sprache verfasst wurde,35 wird heute noch darüber diskutiert, ob der Koran einen Autor oder mehrere Autoren hat. Zu den weiteren Diskussionsthemen gehört für sie auch, ob der Koran als Ganzes wirklich auf der Arabischen Halbinsel entstanden ist oder nur einzelne Koranstellen, während andere später, nach dem Tod Muh.ammads, hinzugefügt wurden. Eine strikte Ablehnung der nachkoranischen Literatur ist ebenfalls bezeichnend für die Revisionisten. Die Bedeutung der Epigraphik und Archäologie sowie der historischen Quellen und Koranhandschriften wird zwar von den Revisionisten grundsätzlich anerkannt, doch ihre Auswahl ist häufig selektiv. Die Revisionisten sind zurzeit durch die Inārah-Gruppe in Deutschland (Claude Gilliot, Guillaume Dye usw.) vertreten. Claude Gilliot, der bedeutende französische Islamwissenschaftler, ist einer der wenigen Revisionisten, die sich in erster Linie intensiv mit der frühislamischen Koranexegese befasst haben und ihr skeptisch gegenüberstehen. Gilliot macht sich jedoch die frühislamische Überlieferung zunutze, indem er auf sie zur Bestätigung seiner Hypothesen zurückgreift. Gilliot sieht den Koran als Werk mehrerer Autoren,36 indem er ebenfalls von christlichen »Informanten« des Propheten Muh.ammad spricht und den Einfluss der syrischen christlichen Tradition betont. Sowohl der Koran selbst als auch die muslimische Tradition lieferten dafür Beweise: Der Koran beinhalte syrische Lehnwörter, beispielsweise Qur ֓ān, sūra oder āya selbst.37 Die muslimische Tradition erwähne Christen und Juden, mit denen sich der Prophet häufig unterhalten haben soll.38 In einem anderen Artikel ruft Gilliot am Ende seiner Zusammenfassung dazu auf, die »Angaben des Koran und der islamischen Tradition im Rahmen der Hermeneutik einer ›Heilsgeschichte‹ zu interpretieren, wie man es seit langer Zeit für die Bibel tut.«39 35 Gegen die Theorie Luxenbergs argumentiert Stefan Wild mit seinem Artikel in Wild 2010, S. 625-648. 36 Vgl. Gilliot 2008, S. 88. 37 Vgl. Gilliot 2008, S. 94. 38 Vgl. Gilliot 2008, S. 89-94. 39 Vgl. Gilliot 2011, S. 53-95. 138 Ana Davitashvili Ein historisch-kritischer Korankommentar aus dem Kreis der Revisionisten ist erst kürzlich entstanden. Le Coran des historiens ist aus dem französischsprachigen Raum zu nennen. Die drei Bände des Buches wurden 2019 von Mohammad Ali Amir-Moezzi und Guillaume Dye herausgegeben und sind revisionistisch angehaucht. Während sich der erste Band Le Coran des historiens: Etudes sur le contexte et la génèse du Coran (Der Koran der Historiker: Studien zum Kontext und zur Genese des Koran) mit dem historischen und geographischen Kontext des Koran befasst und die Handschriften des Koran, archäologische Funde und vorislamische Inschriften sowie Kontakte der Araber mit Iranern, mit sowohl miaphysitischen40 und dyophysitischen äthiopischen und syrischen Christen als auch Juden untersucht,41 kommentieren und analysieren die zwei anderen Bände die Koransuren. So wird darin die Nähe der NeoTraditionalisten zur muslimischen Tradition kritisiert. Im ersten Band widmet sich ein Kapitel der Chronologie Nöldekes, zeigt die »Grenzen« der Nöldekeschen Chronologie auf und weist sie folglich zurück.42 In Deutschland gehört die Inārah-Gruppe zu den Gegnern der Verwendung der Prophetenbiographie und der Koranexegese für die historischkritische Erforschung des Koran. Sie wirft den Neo-Traditionalisten vor, nicht historisch-kritisch zu forschen.43 Die Inārah-Gruppe bezeichnet sich als Institut zur Erforschung der frühen Islamgeschichte und des Koran. Die führenden Forscher der Inārah-Gruppe sind Karl-Heinz Ohlig und Markus Groß. Die Gruppe vertritt die Ansicht, dass die koranische Bewegung nicht auf der Arabischen Halbinsel entstanden ist. Sie sei dem Christentum entsprungen. An der Entstehung des Koran hätten viele mitgewirkt. Die Schreiber des Koran seien »Angehörige einer aus dem vornizenischen aramäischen Christentum erwachsenen arabischen Bewegung.«44 Die »Endredaktion« des Koran sei von Muslimen erfolgt, die die »ursprüngliche syro-aramäisch-arabische Koransprache«45 nicht mehr gekannt hätten. 40 Die Begriffe »Miaphysiten« oder »Monophysiten« und »Dyophysiten« werden zur Bezeichnung der Christen verwendet, die unterschiedliche Ansichten über die Natur Jesu Christi vertreten. Vgl. hierzu ausführlich Ritter 2002, Bd. 5, S. 1454-1455. 41 Vgl. Amir-Moezzi/Dye 2019, Bd. 1, S. 51-496. 42 Vgl. Guillaume Dye in Amir-Moezzi/Dye 2019, Bd. 1, S. 743-755. 43 Vgl. hierzu Ohlig 2020, S. 176-177: »Dass alle diese muslimischen Traditionen erst im 9. und 10. Jahrhundert formuliert wurden, spielt keine Rolle. [...] Ohne jede historisch-kritische Reflexion werden hier die alten Mythen wiedergegeben [...].« 44 Ohlig 2014, S. 178. 45 Ohlig 2014, S. 177. Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 139 Karl-Friedrich Pohlmann ist ein weiterer nennenswerter Revisionist, der ursprünglich aus der Bibelwissenschaft kommt und dessen Blick durch die Prämissen der Bibelwissenschaft geprägt ist. Er stellt in seinem letzten Buch Militanz und Antimilitanz im Koran. Historisch-kritische Untersuchungen zur Korangenese und zu den Ursprüngen des militanten Islam (2018) die These auf, dass der Koran Passagen beinhalte, die nach dem Tod des Propheten geschrieben worden seien. Zu diesen Inhalten gehört für ihn der Aufruf zum ǧihād. Für Pohlmann besteht der Koran aus zwei Teilen: In einem Teil, der zu Lebzeiten des Propheten Muh.ammad entstand, werden die Gläubigen zum friedlichen Leben aufgefordert und die Eschatologie spielt eine entscheidende Rolle. Ihm zufolge ist »die unübersehbare Kollision von Militanz mit Antimilitanz nicht darauf zurückzuführen, dass Mohammed vom Verkünder und Warner vor Gottes Endgericht und Mahner zu entsprechender Glaubenshaltung von sich aus zum Kriegsherrn mutierte und im Auftrag Gottes seine Anweisungen formulierte.«46 Mit dem Niedergang der byzantinischen Herrschaft und den arabischen Eroberungen sei der ursprüngliche Koran mit den Versen ergänzt worden, die den Krieg gegen die Ungläubigen rechtfertigen. So geht Pohlmann davon aus, dass der Koran ein Werk mehrerer Autoren ist, das in nachprophetischer Zeit niedergeschrieben wurde.47 Konsens in der modernen historisch-kritischen Koranforschung Wenn es um die Auswahl der Quellen geht, die die moderne historischkritische Koranforschung in die Untersuchung miteinbeziehen sollte, sind sich alle Koranforscher einig, dass die vorkoranischen biblischen Traditionen berücksichtigt werden müssen. Des Weiteren besteht Konsens darüber, die Handschriften und die nachkoranischen, unmittelbar folgenden literarischen, numismatischen und epigraphischen Belege zu analysieren, um den historischen Kontext des Koran und die Textgeschichte besser verstehen und ihn zuverlässig datieren zu können. Die Bedeutung der Epigraphik und Archäologie auf der Arabischen Halbinsel wird zwar ebenfalls anerkannt, aber nicht alle Koranforscher stützen sich auf die Erkenntnisse der Epigraphisten und Archäologen und benutzen sie bei 46 Pohlmann 2018. S, 207-208. 47 Zu Argumenten gegen post-muh.ammadanische Einschübe in den Koran vgl. Sinai 2017, S. 52-54 sowie Saleh 2019. 140 Ana Davitashvili der Interpretation des Koran. Bei allen anderen Quellen gehen die Meinungen auseinander. Vorkoranische biblische Traditionen Die historisch-kritischen Koranforscher sind davon überzeugt, dass biblische Traditionen in einer engen Beziehung zum Koran stehen und eine unerlässliche Quelle für die Erforschung des Koran darstellen. Unter biblischen Traditionen (»biblical traditions«) versteht man eine umfangreiche jüdische und christliche vorkoranische Literatur, die mit der Bibel (dem Alten und Neuen Testament) beginnt und die Kommentare der Bibel sowie Apokryphen mit einschließt. So gehören zu den biblischen Traditionen Mishna, Talmud, Midrash, Targum, apokryphe Gospel und patristische Schriften, wie etwa die Schriften der syrischen Kirchenväter.48 Diese Quellen sind auf Hebräisch, Aramäisch, Syrisch (ein Dialekt des Aramäischen), Äthiopisch, Griechisch und in verschiedenen anderen Sprachen verfasst. Sie sind aus zwei Gründen wichtig für die Koranforschung: 1. Der Koran betrachtet sich wiederholt als Bestätigung früherer Schriften, Thora und Evangelien in Q 3:50, Q 5:46-48 und Q 46:12. Der Koran zeigt eindeutige Verbindungen zu jüdischen und christlichen Traditionen, indem er Abraham, Moses, Jesus, Maria etc. erwähnt. Es stellt sich also die Frage, welche Inhalte im Koran bestätigt und welche abgelehnt werden, wofür eine vergleichende Analyse biblischer Traditionen mit dem Koran notwendig ist. 2. Mekka und Medina waren umgeben vom christlichen Oströmischen Reich (Byzanz) mit unmittelbarer geographischer Nähe zu syrischen miaphysitischen Christen, ebenfalls miaphysitischen Äthiopiern und dem Sassanidenreich, in dem dyophysitische syrische Christen und Juden gelebt haben. Man muss also von regen Kontakten zwischen ihnen und Mekkanern und Medinensern ausgehen. Dafür, dass die ersten Hörer biblische Traditionen kannten, spricht auch die Tatsache, dass der Koran in frühester Offenbarungszeit häufig sehr knapp über biblische Propheten spricht und ein gewisses Wissen über ihr Leben voraussetzt. In einem frühmekkanischen Vers wird beispielsweise 48 Für eine gute Übersicht vgl. Reynolds 2021b. Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 141 beim Berg Sinai geschworen (Q 95:2: wa-t.ūri Sı̄nı̄n), was nahelegt, dass die Zuhörer des Koran vom Berg gehört haben mussten und dessen Bedeutung kannten. Im frühmekkanischen Vers Q 87:18-19 steht, dass das Geoffenbarte bereits in den früheren Schriften Abrahams und Moses erwähnt wird, was wiederum zeigt, dass die Zuhörer wussten, wer Abraham und Moses waren. Noch deutlicher kommt dies in Q 53:36-37 zum Vorschein, wo zu demjenigen, der sich abwendet und geizt, gesagt wird: »Oder bekam er keine Kunde von dem, was in den Blättern Moses steht und Abrahams, der sein Versprechen einhielt?«49 (am lam yunabba ֓ bi-mā fı̄ .suh.ufi Mūsā wa-Ibrāhı̄ma lladı̄ waffā). Dabei wird ¯ nirgendwo in der frühmekkanischen Periode erklärt, welches Versprechen Abraham einhielt. Die Gegner des Propheten werden hingegen darauf hingewiesen, dass ihnen bereits berichtet wurde, was in den Schriften Moses und Abrahams steht. Solche knappen Hinweise im Koran veranlassen die historisch-kritischen Koranforscher dazu, zu vermuten, dass die ersten Zuhörer des Koran mit biblischen Geschichten vertraut waren und höchstwahrscheinlich biblische Traditionen bei ihnen bereits vor der Offenbarung des Koran im Umlauf waren.50 Eine der neuesten Veröffentlichungen, die sich mit dem Vergleich des Koran und biblischer Traditionen befasst, ist Michael Pregills Buch The Golden Calf between Bible and Qur ֓an. Es wurde 2020 veröffentlicht und wird als eines der Werke genannt, das die Darstellung des goldenen Kalbs mit biblischen Darstellungen vergleicht, ohne dabei vom »Aufnehmen«, »Übernehmen« und »Beeinflussen« zu sprechen. Heutzutage erkennt man an, dass der Koran seine eigene theologische Botschaft entwickelt, die keineswegs immer identisch mit den biblischen Darstellungen ist. Vorislamische Epigraphik und Archäologie Epigraphik bzw. Inschriftenkunde und Archäologie gewinnen ebenfalls zunehmend an Bedeutung, da sie dabei helfen, das vorkoranische Arabien zu rekonstruieren und somit den Koran besser in seinen historischen Kontext einzuordnen. Zu den jährlichen Konferenzen der IQSA (International Qur ֓anic Studies Association) gehören untrennbar Epigraphisten, die über ihre Entdeckungen berichten. Ahmad al-Jallad, Michael Macdonald, Christian Robin, Laïla Nehmé und andere sind die führenden Spezialisten auf diesem Gebiet. In Deutschland wird das vorislamische Arabien vor 49 Bobzin 2015, S. 472. 50 Vgl. hierzu auch Sinai 2018a sowie Reynolds 2020, S. 36-42. 142 Ana Davitashvili allem in Jena untersucht. Das Team aus Jena hat auch zur Entstehung des sabäischen Wörterbuchs beigetragen, das online verfügbar ist und mit neuen Daten ständig aktualisiert wird. Auf die zunehmende Bedeutung der Epigraphik bzw. Inschriftenkunde und Archäologie in den letzten Jahrzehnten weist die Herausgabe der Zeitschrift Arabian Archaeology and Epigraphy (Wiley Online Library) hin, die sich speziell der Erforschung dieser Gebiete widmet und zurzeit von Bruno Overlaet und Peter Stein veröffentlicht wird. Es gibt außerdem noch die Arabian Epigraphic Notes, die von Ahmad al-Jallad in Leiden seit 2015 herausgegeben werden und allen Interessenten frei zugänglich sind. Mehrere Datenbanken mit digitalisierten und ausgewerteten Inschriften stehen öffentlich zur Verfügung. Digital Archive for the Study of pre-Islamic Arabian Inscriptions (DASI) ist eine dieser Datenbanken, die sich zum Ziel gesetzt haben, alle bekannten Inschriften zu sammeln und dem breiten Publikum zugänglich zu machen. In den Jahrhunderten vor der Entstehung des Islam waren mehrere Sprachen auf der Arabischen Halbinsel wie etwa Sabäisch, Qatabānisch, H . ad.ramitisch, Naǧrānitisch, H . imyaritisch etc. verbreitet. Aramäisch spielte in Arabien ebenfalls eine große Rolle. Indem man diese Inschriften und archäologischen Funde zunehmend auswertet, bekommt man ein besseres Verständnis über die Lebensverhältnisse der Araber vor der Entstehung des Islam. Obwohl in der Epigraphik und der Archäologie zahlreiche Aufsätze veröffentlicht werden, liegt nur ein Buch auf Italienisch vor, nämlich Giovanni Garbinis Introduzione all’epigrafia semitica (übersetzt: »Einführung in die semitische Epigraphik«) aus dem Jahr 2006, das als Einführung in die Epigraphik dienen könnte. Artikel und Bücher über den aktuellen Stand für das breite Publikum stehen noch aus. Koranhandschriften Die Untersuchung der Koranhandschriften ist notwendig für die Datierung des Korantextes, die Dokumentation der Geschichte des Korantextes, die frühe Überlieferung sowie die Frage der Chronologie der Überlieferung des Korantextes.51 Die Koranhandschriften werden in Deutschland sowohl im Rahmen des Projektes Corpus Coranicum unter der Leitung 51 Für einen guten Überblick vgl. Déroche 2020, S. 167-181. Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 143 von Michael Marx untersucht als auch in Hamburg von Alba Fedeli. International beschäftigt sich damit auch François Déroche, einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Handschriftenforschung. Da die Koranhandschriften die Textgeschichte des Koran zeigen, gehören sie zweifellos zu den wichtigen Quellen für die historisch-kritische Koranforschung. Christliche Werke und islamische numismatische und epigraphische Quellen aus dem 7. Jahrhundert Die Bedeutung der nachkoranischen nicht-arabischen Quellen sowie islamischer Epigraphik und Numismatik aus dem 7. Jahrhundert wird insofern von allen Koranforschern geteilt, als sie Zeugnisse der Entstehung des Islam sind und die muslimische Überlieferung bestätigen oder widerlegen können. Zu solchen Quellen, die in zeitlicher Nähe entstanden sind, gehören syrische und griechische Werke aus dem 7. oder der Mitte des 8. Jahrhunderts sowie Münzen und Inschriften aus dem Umayyadenreich. Es gibt zwar nur wenige Texte und Materialien, die den Propheten Muh.ammad und seine prophetische Botschaft erwähnen, doch auch sie belegen, dass es den arabischen Propheten namens Muh.ammad gegeben hat. Im ersten Kapitel seines Buches Muhammad and the Empires of Faith. The Making of the Prophet of Islam (2020) analysiert Sean W. Anthony die frühesten Belege. Anthony als Neo-Traditionalist kommt zum Schluss, dass die meisten Details mit den Glaubensvorstellungen des Koran und den Beschreibungen in der muslimischen Tradition übereinstimmen und somit nahelegen, dass sie historisch authentisch sind.52 Streitpunkte der modernen historisch-kritischen Koranforschung Zu den wichtigen Streitpunkten innerhalb der historisch-kritischen Koranforschung zählen die Chronologie des Koran, die Einheit der Sure und die Authentizität der vorislamischen arabischen Dichtung und der muslimischen Überlieferung. Während die Neo-Traditionalisten für die große Bedeutung der Chronologie des Koran und die Einheit der Sure sowie die Authentizität der vorislamischen arabischen Dichtung und der muslimischen Überlieferung plädieren, streiten die Gruppe zwischen den NeoTraditionalisten und Revisionisten und die Revisionisten sie vehement ab. 52 Vgl. Anthony 2020, S. 237. 144 Ana Davitashvili Die Chronologie des Koran In der modernen historisch-kritischen Koranforschung herrscht Uneinigkeit darüber, ob man den Koran chronologisch lesen soll, d. h., ob eine diachrone Lektüre des Koran nach den Offenbarungszeiten der Suren sinnvoll ist. Angelika Neuwirth und ihre Schüler sind seit Jahren Verfechter einer Koranchronologie, die sich auf die Chronologie des Koran von Gustav Weil, Theodor Nöldeke und Friedrich Schwally stützt. Diese deutschen Koranforscher finden diese Chronologie für die Rekonstruktion der Korangenese unerlässlich. Zunehmend scheinen auch mehr englischsprachige Koranforscher die diachrone Lektüre des Koran gerechtfertigt zu finden,53 zu einem breiten wissenschaftlichen Konsens ist es jedoch nicht gekommen. Gabriel Reynolds sowie einige französische und deutsche Koranforscher, beispielsweise Emmanuelle Stefanidis und Tarek Elkot, gehören zu denjenigen, die die mekkanisch-medinensische Einteilung des Koran und eine diachrone Lektüre ablehnen bzw. als nicht genügend wissenschaftlich fundiert empfinden. Da selbst der Koran in der jetzigen Form nicht in der Reihenfolge der Offenbarungszeit geordnet – angefangen mit mekkanischen und endend mit medinensischen Suren – ist, möchte sich Reynolds nicht darum bemühen, den Korantext diachron zu lesen.54 Er bemängelt außerdem an Nöldekes relativer Chronologie, dass dieser koranische Begriffe, Themen und stilistische Eigentümlichkeiten nicht kritisch genug mit verschiedenen Angaben der Prophetenbiographie verbinde.55 Die Übernahme der Grunddaten der Prophetenbiographie und die unklaren Kriterien der Chronologie des Koran kritisiert auch Stefanidis.56 Mit der Chronologie des Koran beschäftigt sie sich sogar in ihrer Dissertation Du texte à l’histoire: La question de la chronologie coranique, die sie 2019 an der Sorbonne einreichte. Elkot befindet folgende Begründungen Weils, Nöldekes und Schwallys in ihrer Wortwahl ebenfalls als nicht mehr haltbar: Die frühmekkanischen Suren seien »leidenschaftlich bewegt«, während die späteren mekkanischen Suren diesen Enthusiasmus verlo53 Karen Bauer, die britisch-amerikanische Islamwissenschaftlerin, trug in ihrem Vortrag auf der internationalen Konferenz der IQSA 2021 (organisiert von Alba Fedeli) vor, dass sie die Chronologie Nöldekes, basierend auf der durchschnittlichen Verslänge, sehr hilfreich gefunden habe. Die Chronologie funktioniere gut, wie sie bei ihrer Anwendung festgestellt habe. 54 Vgl. Reynolds 2020, S. 9 sowie Reynolds 2011, S. 502. 55 Vgl. Reynolds 2010, S. 10-11. 56 Stefanidis schreibt: »The reasons for the actual order of Meccan suras within each period, however, remain obscure.« (Stefanidis 2008, S. 7). Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 145 ren hätten und den medinensischen Suren stilistisch näher stünden.57 Zwischen diesen beiden Gruppen befänden sich die mittelmekkanischen Suren. Mittelmekkanische Suren seien »weitschweifig, verworren und sogar langweilig«.58 Sie stellten den Übergang dar von dem »großartigen Enthusiasmus« der frühmekkanischen Suren »zur größeren Ruhe der späteren mehr prosaischen Suren«.59 Nöldeke und Schwally betonen aber zugleich, dass mittelmekkanische Suren »keinen bestimmten gesellschaftlichen Charakter«60 hätten, einige eher Ähnlichkeiten mit den frühmekkanischen Suren und einige andere mit den spätmekkanischen Suren aufwiesen. Wenn die mittelmekkanischen Suren jedoch keinen bestimmten gemeinsamen Charakter haben, stellt sich die Frage, wie Nöldeke dann die stilistischen Merkmale der Suren unterscheiden und in Perioden einteilen kann. Warum werden sie in diesem Fall in den mittelund spätmekkanischen Perioden zusammengefasst? Außerdem datiert er die zweite mekkanische Periode auf die Jahre 5 und 6 der Berufung Muh.ammads. Über die Gründe für diese Datierung und die Einteilung in drei mekkanische Perioden bleibt der Koranwissenschaftler jedoch eine Antwort schuldig.61 Bezeichnenderweise fasst Nicolai Sinai die mittel- und spätmekkanischen Suren bei der Erstellung der zunächst rein typologisch verschiedenen Surengruppen zur Rekonstruierung der diachronen Entwicklung in der zweiten Klasse zusammen.62 Der Grund dafür »liegt darin, dass sich mittel- und spätmekkanische Texte formal häufig nur in der Länge ihrer Verse unterscheiden und ansonsten einen ähnlichen Aufbau, ähnliche Einleitungen und ein vergleichbares Profil an biblischen Stoffen aufweisen.«63 Zusätzlich seien die Unterschiede in der Verslänge so gering, dass dadurch kein qualifiziertes Urteil über die Reihenfolge möglich sei. Daher schlägt Sinai vor, für die Binnenchronologie der Texte insbesondere den Inhalt zu berücksichtigen. Wenn ein Narrativ ein anderes Narrativ voraussetze, sei dieses andere zeitlich vorher einzustufen.64 57 58 59 60 61 62 63 64 Vgl. Elkot 2014, S. 123 (Die Arbeit ist online veröffentlicht). Vgl. Elkot 2014, S. 151. Vgl. Elkot 2014, S. 149 sowie Stefanidis 2008, S. 4-5. Sinai 2009, S. 70. Vgl. Elkot 2014, S. 149. Vgl. Sinai 2009, S. 66. Sinai 2009, S. 70. Vgl. Sinai 2009, S. 71. 146 Ana Davitashvili Als eine weitere Kritik an der relativen Chronologie Nöldekes wird angeführt, dass die Chronologie mancher Suren, wie etwa Q 109, 112, 113 und 114, nicht ausreichend begründet worden sei, da ihre Offenbarungszeit schwer zu bestimmen sei.65 All diese Kritik könnte man somit mit den Worten Sinais abschließen: »Insofern ist die Nöldeke-Chronologie in der Tat kein gesichertes Forschungsergebnis, sondern eine Hypothese, die im Einzelnen jeweils kritisch zu überprüfen ist.«66 Angelika Neuwirth hat die relative Chronologie Nöldekes »im Wesentlichen«67 übernommen: Während die Begründung Nöldekes und Neuwirths für die frühmekkanischen Suren als poetische Texte weiterhin gültig ist und die frühmekkanischen Suren in der Tat moralische Kritik und Interesse an Eschatologie in Verbindung mit Schöpfungstheologie68 zeigen, ist unklar, welche stilistischen und inhaltlichen Charakteristika die mittelund spätmekkanischen Suren haben müssten, um als solche identifiziert zu werden. Neuwirth hat bisher nur das Buch über frühmittelmekkanische Suren veröffentlicht.69 Darin unterteilt sie mittelmekkanische Suren in zwei Perioden: Wenn auch »ein klarer Einschnitt zwischen frühen und späteren mittelmekkanischen Suren schwer zu ziehen«70 sei, sei es unter anderem auch aus technischen Gründen empfehlenswert, mittelmekkanische Suren in früh- und spätmittelmekkanische Suren auszudifferenzieren und zu Nöldekes Perioden eine weitere hinzuzufügen.71 Des Weiteren betont sie, dass die mittelmekkanischen Suren in zwei Bänden behandelt werden, obwohl »die Teilung – ähnlich wie im Falle der Trennung zwischen Früh- und Mittelmekka nicht zwingend sein mag«.72 Indem sie auf die Kritik von Reynolds und Stefanidis eingeht, stellt Neuwirth bezeichnenderweise zugleich klar, dass Nöldekes Arbeit »für die Bearbeitung vor allem der späteren Suren noch immer eine unentbehrliche Vgl. Stefanidis 2008, S. 10. Sinai 2009, S. 71. Neuwirth 2011, S. 16, 39. Vgl. Neuwirth 2011, S. 16. Das Buch über spätmittelmekkanische Suren erscheint im Oktober dieses Jahres. Leider konnte ich die Erkenntisse des neuen Bandes nicht in den Aufsatz einarbeiten. [Anm. d. Redaktion: Die Autorin hat ihren Beitrag zur vorliegenden Ausgabe von The Turn bereits im Jahr 2021 verfasst. Daher ist die Aussage im Text nicht mehr auf dem aktuellsten Stand. Vgl. demnach Neuwirths Veröffentlichung zu den spätmittelmekkanischen Suren in Neuwirth 2021.] 70 Neuwirth 2017a, S. 15. 71 Vgl. Neuwirth 2017a, S. 15-16. 72 Vgl. Neuwirth 2017a, S. 16. 65 66 67 68 69 Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 147 heuristische Basis«73 bleibe und im Corpus-Coranicum-Projekt »einer neuen kritischen Revision unterzogen«74 werde. Eine neue Begründung für Nöldekes relative Chronologie wurde vor kurzem von Nicolai Sinai vorgeschlagen. So übernimmt Sinai zwar die mekkanische und medinensische Einteilung der Koransuren, seine relative Chronologie beruht aber vor allem auf der durchschnittlichen Verslänge.75 Bereits Nöldeke hat beobachtet, dass die anfangs poetische, rhythmische Sprache allmählich prosaischer wird. Sinai bringt diese Beobachtung in Verbindung mit der graduell steigenden durchschnittlichen Verslänge der Suren: Die durchschnittliche Verslänge der frühmekkanischen Suren ist noch sehr niedrig. Sie erhöht sich aber deutlich in spätmekkanischen und medinensischen Suren.76 Insbesondere für die mekkanischen Suren gälte sodann, dass die Suren, die etwa gleiche durchschnittliche Verslänge haben, etwa zur gleichen Zeit offenbart worden sein müssen. Diese Aussage wird aber dadurch eingeschränkt, dass die Suren spätere Einschübe haben können, die ihre durchschnittliche Verslänge erhöhen. Da die Einschübe jedoch meistens leicht zu erkennen sind, muss jede Sure einzeln analysiert und auf Einschübe geprüft werden.77 Für die medinensische Periode gilt die zunehmende durchschnittliche Verslänge hingegen nicht. Die medinensischen Suren sind in der Koranforschung bisher wenig untersucht und ihre Genese bleibt unklar. So weist Sinai darauf hin, dass seine relative Chronologie bis zu einem Grad willkürlich sei. Er teilt die Suren in eine früh- und eine spätmekkanische sowie eine medinensische Periode ein. Für den Übergang von der frühmekkanischen zur spätmekkanischen wählt er eine Lücke in der Verslänge zwischen Q 15 (mit 43.12 durchschnittlicher Verslänge) und Q 50 (mit 50.82 durchschnittlicher Verslänge). Alle Suren, die eine geringere Verslänge als Q 15 aufweisen, seien der frühmekkanischen Periode zuzurechnen. Damit erweitert er die frühmekkanische Periode mit Q 15, 26, 37, 44 und 54, die Nöldeke zufolge zur mittelmekkanischen Periode gehören.78 Somit zieht Nicolai Sinai zwar klare Grenzen zwischen den frühmekkanischen und spätmekkanischen Suren, der Übergang von den spätmekkanischen Suren zu den medinensischen 73 Neuwirth 2017a, S. 31. 74 Neuwirth 2017a, S. 31. 75 Vgl. Sinai 2017, S. 123. Die Vorreiterin der Zählung der durchschnittlichen Verslänge war Nora K. Schmid. Vgl. Schmid 2010, S. 441-460. Auch Behnam Sadeghi hat sich damit beschäftigt. Vgl. Sadeghi 2011, S. 210-299. 76 Vgl. Sinai 2017, S. 112, 118. 77 Vgl. Sinai 2017, S. 114-117. 78 Vgl. Sinai 2017, S. 161. 148 Ana Davitashvili bleibt jedoch ungeklärt. Man bleibt also gezwungen, neben der Tabelle in seinem Buch, die für die Suren ihre durchschnittliche Verslänge angibt, auf die Chronologie Nöldekes zuzugreifen. In der relativen Chronologie der Nöldekeschen Schule79 ist es weiterhin wichtig, die stilistische, terminologische und thematische Heterogenität des Koran zu berücksichtigen und sie für die relative Chronologie zu benutzen. So schreibt Sinai, übereinstimmend mit Nöldeke und Neuwirth, in Bezug auf die Heterogenität des Koran: Knappe, in enigmatische Bilder gekleidete eschatologische Drohsprüche stehen neben hymnischen Preisungen, Gemeindegebete und Beschwörungsformeln neben ausgedehnten Polemiken und kasuistischen Erbschafts- und Heiratsvorschriften. Das Profil des angesprochenen Publikums variiert dabei ganz erheblich und umfasst »Ungläubige«, »Gläubige«, »Israeliten« und »Heuchler«; auch die Länge der jeweils durch Reim abgeteilten Verse weist beachtliche Unterschiede auf. Inhaltlich lassen sich schnell divergierende Schwerpunktsetzungen, ja sogar offensichtlich gegenteilige Aussagen (etwa im Hinblick auf den Weingenuss) ausmachen.80 Mit der Heterogenität des Korpus argumentiert er auch gegen Reynolds. Indem Sinai eine Erklärung für ein solches Phänomen verlangt, rechtfertigt er seine Vorgehensweise der diachronen Lektüre des Koran mit einer »Entwicklungshypothese, die das koranische Material zu einer evolutionären Textserie anzuordnen versucht«.81 Man kann also feststellen, dass die Chronologie des Koran ein Thema ist, das einer weiteren Begründung bedarf, um von allen Koranforschern anerkannt zu werden. Weitere Arbeiten Neuwirths, Sinais und anderer Neo-Traditionalisten werden sie auf eine solidere Grundlage stellen müssen, als sie zurzeit besteht. Einheit der Sure Während die Neo-Traditionalisten die Suren als Einheit betrachten, spricht die Gruppe zwischen Neo-Traditionalisten und Revisionisten von der Zusammenstellung verschiedener Verse. Interessanterweise verfährt die Gruppe zwischen Neo-Traditionalisten und Revisionisten in dieser Frage den Traditionalisten ähnlich. Die Traditionalisten gehen ebenfalls von der Zusammenstellung der Verse in einer Sure aus, da sie manche Verse anhand der Offenbarungsanlässe lesen, bei denen die einzel79 Von der »Schule« spricht Reynolds in Reynolds 2021a. 80 Sinai 2009, S. 60-61. 81 Vgl. Sinai 2009, S. 61 sowie Sinai 2020, S. 349. Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 149 nen Verse zu unterschiedlichen Gegebenheiten geoffenbart wurden. Zur Veranschaulichung des Problems der Einheit der Sure und verschiedener Vorgehensweisen werden im Folgenden ein paar Beispiele angeführt. In Q 7:26 steht: yā-banı̄ Ādama qad anzalnā ֒alaikum libāsan yuwārı̄ sau ֓ātikum warı̄šan wa-libāsu t-taqwā dālika hairun dālika min āyāti llāhi la ֒allahum ¯ ¯ ˘ yaddakkarūn ¯¯ Ihr Kinder Adams! Wir haben Kleidung auf euch herabgesandt, die eure Blößen decke, und Federn. Doch das Kleid der Gottesfurcht, das ist besser. Das gehört zu Gottes Zeichen. Vielleicht lassen sie sich ermahnen.82 Der Vers folgt dem Narrativ von Adam und seiner Frau, ihren Verfehlungen, ihrer Nacktheit und der durch die Übertretung von Gottes Gebot verursachten Verbannung aus dem Paradies (Q 7:19-25). Er spricht von den Kindern Adams, also der Menschheit, die von Gott Kleidung bekommt, um ihre Nacktheit zu bedecken. Als Offenbarungsanlass dieses Verses wird im Tafsı̄r at.-T . abarı̄ im Kommentar zu Q 7:26 jedoch die Lebenswirklichkeit der Quraišiten, also der Araber, angegeben. Diesem Offenbarungsanlass zufolge sind die Quraišiten nackt um ihre Häuser gelaufen und hätten keine Kleidung angezogen.83 Daher scheint Gott ihnen die Kleidung geschickt zu haben. Wie kann jedoch dieser Offenbarungsanlass richtig sein, wenn er von der Kleidung der Kinder Adams spricht, der Offenbarungsanlass aber eine Praxis unter den Quraišiten als Grund angibt? Wenn man die siebte Sure und insbesondere die vorangehenden und nachfolgenden Verse von Q 7:26 liest, stellen sie sich als zusammenhängend dar. Wenn man jedoch diesen einen Vers als für diesen speziellen Anlass geoffenbart ansieht, wird er aus dem Kontext herausgerissen und es sieht danach aus, als hätte man den ursprünglich unabhängigen Vers an dieser Stelle hinzugefügt. So werden durch die Offenbarungsanlässe häufig zusammenhängende Inhalte auseinandergerissen und in vollkommen unterschiedliche Kontexte eingebettet. Dieser Vorgehensweise widersprechen insbesondere die Neo-Traditionalisten, die von einer Sure als Einheit ausgehen. Da zurzeit eher Analysen der mekkanischen Suren vorliegen, spricht beispielsweise Angelika Neuwirth in ihrem historisch-kritischen Kommentar zu den frühmekkanischen Suren von einem »tripartitischen (dreiteiligen)« Aufbau der Suren, die 82 Bobzin 2015, S. 131. 83 Vgl. Reynolds 2010, S. 66-67. 150 Ana Davitashvili eine Einheit darstellten.84 In frühmekkanischen Suren gebe es zwar Einschübe, also Verse aus späterer Offenbarungszeit, sie seien jedoch durch die Analyse der Sprache, des Stils und der neuen Aussage meistens leicht zu erkennen. Als ein frühmekkanisches Beispiel eignet sich Q 53 sehr gut. Darin kommen meistens sehr kurze Verse vor, beispielsweise die Verse 1-2: wa-n-naǧmi idā hawā mā d.alla .sāh.ibukum wa-mā ġawā ¯ Beim Stern, wenn er fällt! Euer Gefährte irrt nicht, noch ist er betört,85 Im Gegensatz zu diesen kurzen Versen gibt es die Verse 26-32, die sich bereits äußerlich von den kürzeren Versen durch ihre Länge abheben, wie etwa Q 53:26: wa-kam min malakin fı̄ s-samāwāti lā tuġnı̄ šafā ֒atuhum šai ֓an illā min ba ֒di an ya ֓dana llāhu li-man yašā ֓u wa-yard.ā ¯ Wie mancher Engel ist in den Himmeln, dessen Fürsprache nichts nützt, es sei denn, Gott gestattete es ihm und wollte es und wäre es zufrieden.86 Neben der Länge der Verse werden auch andere Kriterien wie der Inhalt und die Wortwahl der Verse analysiert und der Vers wegen all dieser Kriterien als Zusatz bzw. Einschub identifiziert. Nicht nur Q 53:26 ist dann ein Einschub, sondern auch die Verse 26-32. Daraus schlussfolgert man, dass eine frühmekkanische Sure mit den Versen 26-32 ergänzt wurde.87 Die Gruppe zwischen Neo-Traditionalisten und Revisionisten geht hingegen davon aus, dass die Suren keine Einheiten sind und allmählich zusammengestellt wurden. Ihr zufolge könnten dem Propheten manche Passagen der Suren zu unterschiedlichen Anlässen geoffenbart worden sein. Sie könnten sodann erst im Laufe der Zeit zusammengefügt worden sein.88 Diese Vorgehensweise ähnelt somit zwar den Ansichten der Traditionalisten, die mit Offenbarungsanlässen arbeiten, die Gruppe zwischen Neo-Traditionalisten und Revisionisten verzichtet jedoch vollständig auf die Offenbarungsanlässe als nachkoranische Literatur. 84 85 86 87 88 Vgl. hierzu z. B. Neuwirth 2011, S. 669-672. Neuwirth 2011, S. 645. Neuwirth 2011, S. 646. Zur Analyse der Sure 53 vgl. Neuwirth 2011, S. 642-685. Vgl. Reynolds 2020, S. 23. Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 151 Vorislamische Dichtung Die vorislamische arabische Dichtung ist als mögliche Quelle für ein besseres Verständnis des Koran seit längerem umstritten, denn sie wurde erst in abbasidischer – also in deutlich nachkoranischer – Zeit schriftlich niedergelegt. Außerdem weisen manche Verse große Übereinstimmungen mit dem koranischen Vokabular auf, so dass eine Unterscheidung zwischen authentischen vorislamischen und später hinzugefügten Versen häufig in Frage gestellt wurde. Auch Gabriel Said Reynolds argumentiert in seinem Buch The Qur ֓ān and the Bible (2018), dass die sogenannte vorislamische Dichtung eigentlich aus nachkoranischer Zeit erhalten geblieben sei und, obwohl die Dichter verschiedenen arabischen Stämmen angehörten, in ihren Gedichten keine Spuren der Dialekte zu finden seien. Daher wolle er sich mit dieser Dichtung nicht beschäftigen.89 Dagegen argumentieren andere Koranforscher, dass trotz der Möglichkeit, einige Verse fälschlicherweise der altarabischen Dichtung zuzuschreiben, die vorislamische Dichtung in ihrer Gesamtheit als authentisch zu betrachten sei. Viele Stellen wiesen durch ihre Wortwahl und ihren Kontext deutliche Unterschiede zu den relevanten Koranstellen auf, so dass es sich hier um originale Formulierungen handeln dürfte.90 Eine Methodologie zur Analyse der vorislamischen arabischen Dichtung benutzte kürzlich Nicolai Sinai, der sich 2019 in Rain-Giver, Bone-Breaker, Score-Settler: Allāh in Pre-Quranic Poetry mit der Darstellung Gottes in der vorislamischen Dichtung befasste und sie mit derjenigen im Koran verglich. Er schlug vor, wenig bekannte vorislamische Dichter zu untersuchen, weil dadurch die Gefahr geringer sei, ihnen nachkoranische Verse zuzuschreiben und die Verse aus der Untersuchung auszuschließen, die Ähnlichkeiten mit der koranischen Wortwahl aufweisen.91 Ob diese methodologischen Ansätze dazu führen, sich international mehr mit der vorislamischen arabischen Dichtung zu beschäftigen, bleibt abzuwarten. Muslimische Überlieferung In den letzten Jahren wurde die Kritik der Revisionisten an den nachkoranischen muslimischen Quellen von Gabriel Reynolds wieder aufgegriffen. 89 Vgl. Reynolds 2018, S. 4-6. Zur Kritik des Gebrauchs der vorislamischen Dichtung vgl. auch Muth 2007, S. 147-156. 90 Für weitere Beiträge über die vorislamische Dichtung vgl. Bauer 2010, S. 699-732 sowie Sperl 2020, S. 401-418. 91 Vgl. Sinai 2019, S. 19-26. 152 Ana Davitashvili Die Prophetenbiographie, die Korankommentare und die Hadithsammlungen gehören für ihn und die Gruppe zwischen Neo-Traditionalisten und Revisionisten zur exegetischen Sekundärliteratur. Sie sollten daher für die Erforschung des Koran nicht berücksichtigt werden. Er kritisiert an der muslimischen Tradition, dass ein vollständig heidnisches Mekka durch den Koran nicht unterstützt werde, der eindeutig zeige, dass das Milieu des Koran mit christlichen und jüdischen Traditionen vertraut war. Außerdem findet Reynolds, dass man durch eine alleinige Betrachtung des Koran das Leben des Propheten Muh.ammad nicht nachvollziehen könne. Die Prophetenbiographie versuche diese Lücke zu schließen, ihre Glaubwürdigkeit sei jedoch zweifelhaft.92 Auch die Neo-Traditionalisten können sich nicht einigen, inwieweit der muslimischen Tradition bei der Erforschung des Koran eine Rolle zukommt. Es wird jedoch von allen Neo-Tradionalisten akzeptiert, dass die Prophetenbiographie in ihren Grundzügen historische Ereignisse schildert:93 Der Prophet Muh.ammad lebte in Mekka, zog nach Medina, erlangte dort die Macht, führte Schlachten gegen seine Gegner und kehrte siegreich nach Mekka zurück. Die Neo-Traditionalisten sehen zwar die Zurückführung vieler Überlieferungen auf den Propheten nicht als authentisch an, sie gehen jedoch davon aus, dass nicht alle gefälscht sind. Andreas Görke und Gregor Schoeler verfassten eine Studie über einige Überlieferungen in der Prophetenbiographie, die von ihnen als authentisch betrachtet werden.94 Zur Analyse muslimischer Traditionen versucht man weiterhin neue Methoden zu entwickeln. Zu neueren Studien gehören die Aufsätze von Behnam Sadeghi, Najam Haider und Andreas Görke.95 Doch aufgrund der komplizierten und aufwendigen Analysen entstehen vergleichsweise wenig Studien, die als Gegenstand ihrer Untersuchung muslimische Traditionen haben. Es bleibt also abzuwarten, ob es zu dieser Frage weitere Analysen geben wird und jene Studien, insbesondere zur Prophetenbiographie, die 92 Vgl. Reynolds 2010, S. 2, 4-5, 9, 12-13, 33-36, Reynolds 2018, S. 4 sowie Reynolds 2020, S. 31-32. 93 Vgl. Sinai 2009, S. 31. 94 Vgl. Görke/Schoeler 2008. 95 Vgl. Görke 2021, S. 275-338, Görke 2003, S. 179-208, Pavlovitch 2012, S. 86-159, Pavlovitch/Powers 2015, S. 133-172, Sadeghi 2008, S. 203-242, Haider 2013, S. 306-346. Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 153 Skeptiker dazu bewegen werden, die sı̄ra zumindest in ihren Grundzügen zu akzeptieren. Zukunftsperspektiven der historisch-kritischen Koranforschung Es ist zu vermuten, dass die historisch-kritische Koranforschung sich weiterhin schnell entwickeln wird. Doch um zum Konsens innerhalb der historisch-kritischen Koranforschung zu gelangen, wird man sich mit manchen Themen intensiver befassen müssen. Eines der wichtigsten Themen, das die moderne Koranforschung weiterhin beschäftigen wird, wird die Schaffung der wissenschaftlichen Grundlage für die Chronologie des Koran sein. Bisher galt das Augenmerk meistens der Untersuchung mekkanischer Suren, die als erste geoffenbart wurden und somit als Grundlage für das Verständnis des Korantextes dienen. Jetzt beschäftigt man sich bereits mit einzelnen medinensischen Suren. Nach der Ausarbeitung mekkanischer Suren wird man sich aber noch viel intensiver mit medinensischen Suren befassen müssen.96 Es wird interessant sein, die Frage der Einheit der Sure in medinensischer Zeit zu beantworten, da die Suren sehr lang sind. In den kommenden Jahren wird man sehen, ob es zwischen den NeoTraditionalisten und der Gruppe um Gabriel S. Reynolds zum Konsens kommt. Eine kleine Annäherung ist insofern zu beobachten, dass einer der Doktoranden von Reynolds, Andrew J. O’Connor, die Arbeit The Prophetic Vocation in the Qur ֓an: Kerygmatic and Theonomic Visions of Prophetology 2019 einreichte, in der er die mekkanische und medinensische Einteilung übernommen hat.97 Dies wurde von Reynolds akzeptiert, obwohl er im Allgemeinen gegen die Chronologie des Koran eintritt. Wenn es um die Zukunft der historisch-kritischen Koranforschung geht, vermutet Nicolai Sinai, dass die syrische (altsyrische, syro-aramäische) Sprache in der Koranforschung eine zunehmend wichtige Rolle spielen wird. Die nächste Generation der Koranforscher werde nicht nur Arabisch sehr gut beherrschen, sondern auch Syrisch.98 Eine wachsende 96 Marianna Klar hat sich bereits mit Q 2 beschäftigt und nachgewiesen, dass diese medinensische Sure als eine Einheit zu betrachten ist. Vgl. ausführlich Klar 2017a, S. 1-40, Klar 2017b, S. 64-107, Klar 2015, S. 24-46. 97 Vgl. O’Connor 2019 (online verfügbar). 98 Vgl. Bauer 2016, S. 35. 154 Ana Davitashvili wissenschaftliche Literatur über die Verbindungen zwischen syrischen Traditionen und dem Koran wird ebenfalls unser Verständnis des Koran entscheidend prägen. Die Wichtigkeit des Beherrschens der arabischen Sprache und die Kenntnis der arabischen Literatur – der Dichtung und der Prosawerke – wird auch vom amerikanischen Koranforscher Shawkat Toorawa betont. Ihm zufolge ist die Erforschung des Koran ohne Kenntnisse der arabischen Literatur nicht vorstellbar. Der Koran ist für ihn ein heiliger literarischer Text, der sich in Syntax, Rhetorik, Grammatik und Rhythmus manifestiert.99 Eine intensivere Auseinandersetzung mit arabischer – und insbesondere vorislamischer – Dichtung sei daher in den kommenden Jahren nicht nur wünschenswert, sondern auch unerlässlich. Des Weiteren werden nicht nur die Erforschung des Koran anhand arabischer literarischer Quellen, sondern auch die neuen Erkenntnisse in der Epigraphik und Archäologie unser Wissen über das religiöse und kulturelle Milieu des Koran noch stärker beeinflussen. ❞ Insgesamt kann man also festhalten, dass die historisch-kritische Koranforschung auch in der Zukunft eine spannende und dynamische Disziplin bleiben wird. 99 Vgl. Bauer 2016, S. 33-34. Aktueller Stand der historisch-kritischen Koranforschung 155 Literatur Abdel Haleem, Muhammad (2017): Exploring the Qur’an. Context and Impact. London/New York. Amir-Moezzi, Mohammad Ali/Dye, Guillaume (Hrsg., 2019): Le Coran des historiens. 3 Bde. Paris. Anthony, Sean W. (2020): Muhammad and the Empires of Faith. The Making of the Prophet of Islam. Oakland. Azaiez, Mehdi/Reynolds, Gabriel S./Tesei, Tommaso/Zafer, Hamza M. (2016): The Qur’an Seminar Commentary. Le Qur’an Seminar. 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