-1
-3
Sr f•t.-u I.e.
'>
lJoL ..... , ... /
r... c.,.,..
Naturwissenschaften und Technik im alten China
Hans Ulrich Vogel
Fur eine tiefgriindigere Beschaftigung mit der Naturwis
senschafts- und Technikgeschichte Chinas ist es notwen
dig, zuerst einige Bemerkungen zur Geschichtsschrei
bung voranzustellen.Der Grund dafur liegt darin, daE es
sich bei der Geschichte der Naturwissenschaften und
Technik Chinas um einen Bereich handelt, der stark von
ideologischen Stromungen und unkritischen Interpreta
tionen geprii.gt ist. Im Hinblick auf die westlichen Auffas
sungen muE beriicksichtigt werden, daB in den letzten
Jahrhunderten China schon immer entweder Gegen
stand iiberhohter Idealvorstellungen war oder als Bei
spiel fur negative geschichtliche Entwicklungen herhal
ten muEte. Dies gilt auch - oder gerade insbesondere fur Interpretationen der geschichtlichen Entwicklung
der chinesischen Naturwissenschaften und Technik.
GESCHICHTSSCHREIBUNG
Bis weit in die zweite Hii.lfte unseres Jahrhunderts hinein
war es gangige Meinung, daB die chinesische Kultur nur
wenig Errungenschaften auf dem Gebiet der Naturwis
senschaften aufzuweisen hii.tte. Wii.hrend man »den Chine
sen« zwar durchaus empirische Geschicklichkeit und
Erfindungsgabe innerhalb des technischen Bereichs zu
gestand, wurde die Entwicklung insbesondere der exak
ten, theoretischen modernen Naturwissenschaften als
eine rein westliche Errungenschaft angesehen. Diese
Auffassung hatte ihre Wurzeln in den Berichten der
Jesuitenmissionare des 16. und 17. Jhs. Damals versuch
ten die Jesuiten, ihre Kenntnisse mehr oder weniger
moderner westlicher Mathematik, Geometrie, Astrono
mie und Kartographie sowie technischer Vorrichtungen
fur ihre missionarischen Zwecke einzusetzen. Wii.hrend
sich dieses Urteil vorerst nur primar auf den Bereich der
Naturwissenschaften beschrii.nkte und die politischen,
sozialen, wirtschaftlichen, philosophischen und kulturel
len Entwicklungen und Zustande weitgehend aussparte,
brachen Herder (1744-1803) und Hegel (177 0-1831) im
spa.ten 18. und friihen 19. Jh. mit der Chinabewunde
rung der vorangegangenen Epoche und versuchten syste
matisch zu begriinden, warum die Chinesen nicht eigen14
stiindig in der Lage gewesen seien, weder wissenschaft
liches noch naturwissenschaftliches Denken zu ent
wickeln. So schreibt Hegel in seinen »Vorlesungen iiber
die Philosophie der Geschichte« iiber die »chinesischen
W issenschaften « :
»Wenn so einerseits die [staatlicherseits geforderten und
fur die staatlichen akademischen Priifungen erforder
lichen] Wissenschaften auf's hochste geehrt und gepflegt
scheinen, so fehlt ihnen auf der anderen Seite gerade
jener freie Boden der Innerlichkeit und das eigentliche
wissenschaftliche Interesse, das sie zu einer theoreti
schen Beschaftigung macht. Ein freies individuelles
Reich des Geistes hat hier nicht Platz, und das, was hier
wissenschaftlich heiBen kann, ist empirischer Natur und
steht wesentlich im Dienste des Ntitzlichen fur den Staat
und fur seine und der Individuen Bediirfnisse. Schon die
Art der Schriftsprache ist ein groEes HinderniB fur die
Ausbildung der Wissenschaften; oder vielmehr umge
kehrt, weil das wahre wissenschaftliche Interesse nicht
vorhanden ist, so haben die Chinesen kein besseres In
strument fu r die Darstellung und Mittheilung des Gedan
kens ... «
Im Bereich der Naturwissenschaften hii.tten die Chinesen
zwar vieles gekannt, was die Europa.er noch nicht ent
deckt hii.tten, aber sie hii.tten nicht verstanden, davon
Anwendung zu machen. Als Beispiele nennt Hegel den
Magneten und die Buchdruckerkunst, wobei sie bei letz
terer dabei geblieben seien, die Buchstaben in holzerne
Tafeln zu gravieren und dann abzudrucken. Von beweg
lichen Lettern hiitten sie nichts gewuBt. »Auch das Pul
ver wollten sie friiher wie die Europa.er erfunden
haben,« so Hegel, »aber die Jesuiten muEten ihnen die
ersten Kanonen gieEen. « In der Mathematik, Physik und
Astronomie seien die Chinesen weit zuriick. Wii.hrend in
der Mathematik ihnen die hohere Seite dieser W issen
schaft unbekannt sei, seien die Berechnungen chinesi
scher Astronomen von Mond- und Sonnenfinsternissen
oft falsch gewesen. Schon seit mehreren hundert Jah
ren wiirde in China der Kalender von den Europiiern
gemacht:
»... Die Fernrohre, welche die Chinesen von den Euro
piiern zum Geschenk erhielten, sind zwar zum Schmucke
aufgestellt, aber sie wissen weiter keinen Gebrauch
davon zu machen. Auch die Meclicin wird on den Chine
sen getrieben, aber a1s etwas blofl. Empirisches, woran
sich der groEte Aberglaube kniipft ...«
Das Grundproblem des Unvermogens zu hoherer wis
senscbaftlicher Erkenntnis wird bei Hegel im Charakter
und fehlenden elbstwertgefuhl des chinesischen Volk.es
und in der despotiscben Herrschaft lokalisiert. Er hebt
die au.Berliche und voUkommen naturliche Gescrucklich
keit der Chinesen auf einigen Gebieten hervor, die von
den Europaern, »eben weil sie Geist baben,(< noch nicht
erreicht worden sei. Dazu gehorten die Lackarbeiten,
clie B arbeituog der Metalle, insbesondere die Kunst des
diinnwandigen Gie.Bens und die Bearbeitung der Porzel
lane. Es sei den Chinesen aber nicht schrecklich, >>das
saure Brod der Knechtschaft z'u essem.Der Selbstmord
als Werk der Rache und die Aussetzung von Kindern
zeuge von der geringen Achtung, die man sicb selbst und
den Menschen entgegenbringe. Und wenn kein Unter
schied der Gebmt vorhanden sei und jeder za bochster
Wi.irde gelangen konne, so sei eben diese Gleichheit nicht
die durchgekiimpfte Bedeutung des inneren Menschen,
sondern das uiedrige, noch nicht zu Unterschieden ge
Iangte Selbstgefiihl. Daraus folgerte Hegel sohlieBlich,
da{l, es das notwendige Schicksal der asiatischen Reiche
ei, den Europaern unterworfen zu sein, und daE auch
China sicb einmal diesem Schicksal fiigen musse.
Aus den Au!l,enmgen Herders und Hege1s Iassen sich
drei zentrale Folgerungeo uber China ableiten, namlich,
daE die chinesische Zivilisation in Unbeweglichk.eil ver
harre, da!l, der Charakter ihrer Herrschaftsstruktur
despotisch sei und da.B die Chinesen zu wissenschaft
lichem Den.ken unfahig seien. Diese drei Grundaonah
men sollten in verande1·ter Form immer wieder Aus
gangspunkt ffir die Interpreta-Uon der chinesischen Ge
schichte werden, so auch bei Karl Marx, Max Weber und
Karl August Wittfogel. So war in der herrschafts- und
religionssoziologischen Untersuchung Webers das Welt
bild der chinesischen Elite, der Mandarine, von traditio
nalistischen, partikularistischen und magischen Zugen
gekennzeichnet, die den Forderungen eines modernen
wissenschaftlichen Weltbildes nach rationalen uod uni
versalistischen Strukturen nicht genugen konn.ten.
Es ist das Verdienst des groBen britischen Natur- und
Geisteswissenschaftlers Joseph Needham, die Naturwisenschafts- und Techn:ikgeschichte Chinas als eigenstiin·
dige wissenschaftliche und akademiscbe Fachrichtl.lng
begriindet zu haben. Die zahlreichen Arbeiten Needhams
w1d seiner Mitarbeiter, darunter insbesondere das Werk
»Science and Civilisation in China«, baben nicht nur im
Westen, sondern auch in China selbst zu einem exponen-
tiellen Wachstum der diesb ezuglichen Forschungstatig
keit gefuhrt. Seit eedhams Forschungen steht fest, daE
das vormoderne China eine Reihe von beachtlichen
naturwissenschaftlichen Kenntnissen und technischen
Errungenschaften aufzuweisen hat. Die Geringscha.t
zung, die vormals cbinesischer aturwissenschaft un
Teclmik entgegengebracht wurde, ist inzwischen Re
spekt, ja sogar Bewundertmg gewichen.
Needhamgeht davon aus, daE bis zur naturwissenschaft•
lichen Revolution in der Spatrenaissance der Westen
durch chinesische und ostasiatische Entdeckungen. und
Erfindungen in Naturwissenschaft und Techno1ogie
(technology) nicht nur im technischen Bereich, son ern
auch in den gesellschaftlichen Strukturen naohhaltig be
einflu.Bt worden sei. Im Unterschied zur modernen
aturwissenschaft seien zwar die miuelalterllchen Natur
wissenschaften verschiedener Zivilisationen eng an die
etb:nische Umgebung ihres Entstehungsortes gebunden
gewe en, so daB ein interkuJtureller Austausch sehr
schwierig gewesen sei, ganz im Gegensatz zu technologi
schen Elemeoten, die sich kreuz und quer in der Alten
Welt verbreitet hiitten. Jrotzdem babe ein bedeuteoder
naturwissenschaftlicher Austausch zwischen verschie
denen Zivilisationen existiert, so daE Natarwissen schaft
und Technologie der A lten Welt als ein Ganzes gedacht
werden muBten. Die okumenische und u:niversalistische
Vorstellung, dje eedham vorscbwebt, ist die von Flus
sen und dem Meer, wobei das Meer die moderne atur
wissenschaft darstellt, in das die Flusse der Naturwissen
schaften der einzelnen Zivilisationen ein munden.
eedham macht einen deutlichen nterschied zwiscben
alter und mittelalterlicher Naturwissenschaft auf der
einen und moderner aturwissenschaft auf der anderen
Seite. Moderne Naturwissenschaft im ZeitaJter Galileis
habe skh durch die Anwendung mathematischer Hypo
thesen auf die Natur, durch vollstandige Einsicht in die
Verwendung experimenteller Methoden, die Unterschei
dung zwischen primaren und sekundaren Quali1ii.ten,
die Geometrisierung des Rawnes und die Akzeptierung
eines rnechanischen Modells der Realitiit ausgezeichnet.
aturwissenschaftliche Hypothesen des primitiven oder
mittelalterlichen 'fyps unterschieden sich davon deut
lich. Ibre intrinsische und essentielle Vagheit lasse weder
Beweis noch Widerlegung zu, und sie neigten dazu, sich
in kunstvollen Systemen gnostischer Korre]ation zu
kombinieren. Insofern Zahlen dabei eine Rolle spielten,
seien sie durch Forrnen einer » umerologie,, oder eines
a priori konst· ruierten Zahlenmystizismus manipuliert
worden. Zahlen batten nicht als Mittel quantitativer ver
gleichender Messungen a posteriori gedient.
Ausgehend von seiner 6kumenisch.en und univ rsalisti15
schen Sichtweise der naturwissenschafts- und technik
geschichtlichen Entwicklung schlieGt sich fur Needham
die Frage an, warum die moderne Naturwissenschaft,
die Mathematisierung von Hypothesen uber die Natur,
mit all ihren Implikationen fur die fortgeschrittene Tech
nologie ihren steilen Aufstieg nur im Westen zur Zeit
Galileis genommen habe. Ebenso wichtig ist fur ihn die
Frage, warum in dem Zeitraum zwischen dem 2. Jh.
v. Chr. bis zum 16. Jh. n. Chr. die ostasiatische Kultur in
der Anwendung menschlichen Wissens auf die Natur zu
nutzlichen Zwecken erfolgreicher als der europaische
Westen gewesen sei. Welches seien die Faktoren gewe
sen, die in China die Entwicklung einer modernen Natur
wissenschaft behindert hatten? Needhams Ziel ist es, die
Verdienste und Beitrage, welche die chinesische Zivilisa
tion zur Entstehung der modernen Naturwissenschaft
und Technologie und zur sozialen und wirtschaftlichen
Entwicklung Europas geleistet hat, ins rechte Licht zu
rucken, um somit den jeweiligen Verdiensten und Bei
tragen der einzelnen groGen Zivilisationen gerecht zu
werden.
Needhams Annahme, Fragestellungen und Methoden
sind in den letzten Jahren Gegenstand kritischer Erorte
rung geworden. Auf Ablehnung stieG beispielsweise
Needhams These, daG die chinesischen Naturwissen
schaften vor allem durch die Daoisten gefordert warden
seien, wahrend die Konfuzianer eher einen negativen
EinfluG ausgeubt hatten. Weiterhin wurde ihm vorgehal
ten, daG er das komplexe Problem der Bedingungen
fur die Entwicklung moderner Naturwissenschaften in
Europa unzulassigerweise vereinfacht habe. Kritik ent
zundete sich auch an Forschungsresultaten in einzelnen
naturwissenschafts- und technikgeschichtlichen Berei
chen. So haben experimentelle Rekonstruktionen ge
zeigt, daG Needhams Behauptung, daG in China im
11. Jh. kristalline synthetische Sexualhormone aus dem
Urin pubertierender Knaben hergestellt warden seien,
nicht haltbar ist.
Zusammenfassend Iii.Gt sich sagen, daG Needham auf
grund seiner spekulativen Auswertung der Quellen in
manchen Fallen chinesische Erfindungen und Ent
deckungen zu fruh ansetzt, daG er nicht klar genug zwi
schen Entdeckung und Erfindung (Invention) einerseits
und praktischer Nutzanwendung (Innovation) anderer
seits unterscheidet und daG er gewisse, seine universali
stischen Auffassungen stutzende Entwicklungen chinesi
scher Naturwissenschaften und Technik hervorhebt,
wahrend er die fur seine Interpretation weniger gunsti
gen Aspekte vernachlassigt. Ein weites Problem besteht
darin, daG er in manchen Fallen Transmissionen von
Ideen und Techniken als mehr oder weniger festste16
hende Tatsachen annimmt, selbst wenn konkrete Be
weise dafur fehlen. Wiihrend der Westen unzweifelhaft
von technischen Errungenschaften Chinas in hohem
MaGe profitierte, durfte Needham Chinas Beitrag zur
naturwissenschaftlichen Revolution in Europa zu hoch
eingeschatzt haben.
In China selbst wird Needhams Arbeiten ein hoher Stel
lenwert eingeraumt. Ein Grund dafur ist, daG Needhams
Hinweise auf die naturwissenschaftlichen und techni
schen Errungenschaften des vormodernen Chinas die
Selbstachtung vieler Chinesen angesichts der imperiali
stischen Bedrohung und Dominanz von der Mitte des
19. bis zur Mitte des 20. Jhs. und der fortdauernden
Uberlegenheit westlicher Naturwissenschaft und Tech
nik wieder gestarkt haben. Die naturwissenschaftlichen
und technischen Leistungen der Vorfahren werden heute
ideologisch genutzt, indem sie der Bevolkerung als nach
ahmenswerte Beispiele fur den ProzeE der Modernisie
rung des Landes empfohlen werden.
In der westlichen Sinologie fuhrten die Probleme, die
sich mit Needhams Annahmen, Fragestellungen und
Methoden ergaben, zu neuen Ansatzen, die sich an der
modernen europaischen Naturwissenschafts- und Tech
nikhistorie orientierten. Es war vor allem Nathan Sivin
von der University of Pennsylvania, der im Bereich der
Naturwissenschaftsgeschichte diese neuen Ansatze for
mulierte. Sivin tritt fur eine historische, zivilisationsspe
zifische Betrachtungsweise ein. Als Naturwissenschaft
gelten ihm all diejenigen gedanklichen Anstrengungen,
mittels deren in cl.er Vergangenheit versucht wurde, in
integraler Weise Phanomene der Natur abstrakt und
systematisch zu erfassen. Es sei zudem davon auszu
gehen, daG Erkenntnisziele und -mittel vormoderner
Naturwissenschaften sich von Zivilisation zu Zivilisation
unterschieden und in einem Verhaltnis wechselseitiger
Beeinflussungen durch politische, philosophische, reli
giose, wirtschaftliche und soziale Zustande und Ent
wicklungen gestanden hatten. Gerade diese Wechsel
wirkungen muGten von der Forschung starker beruck
sichtigt werden.
Sivin schlagt eine Einteilung vormoderner chinesischer
Naturwissenschaften vor, die sich begrifflich in den
chinesischen Quellen nachweisen lii.Gt, wobei er eine
- allerdings in den Quellen nicht vorhandene - Zwei
teilung in quantitative und qualitative Naturwissenschaf
ten vornimmt:
Quantitative Naturwissenschaften:
Mathematik - suan, spater shul(ue
mathematische Harmonielehre - Iii oder liilii
mathematische Astronomie - Ii oder lifa
Qualitative Na turwissens chaften:
Astrologie - tianwen
Medizin - yi
Pharmakologie - bencao
praktische Alchemie - waidan, fulian
Geomantik - fengshui, dili, kanyu
physikalische Studien - wuli, wulei, l(ianglei, gewu usw.
Eine Anwendung moderner Einteilungen auf die alten
chinesischen Naturwissenschaften ist insofern irrefuh
rend, als sie die Existenz bestimmter moderner natur
wissenschaftlicher Disziplinen, wie Biologie, Zoologie
oder Geologie, im chinesischen geistigen Universum
nahelegt. Zwar finden sich in unterschiedlichen chine
sischen Quellen Informationen, die sich derartigen
modernen Disziplinen retrospektiv zuordnen !assen,
doch bleibt es bei der Tatsache, daG diese Disziplinen
nicht als begrifflich gesonderte und eigenstandige Kate
gorien aufgefaGt wurden.
Sivin betont zudem, daG im vormodernen China kein
dem lateinischen scientia entsprechender ubergeordne
ter Begriff existiert habe, so daG dart van Naturwissen
schaften, d. h. im Plural, gesprochen .werden miisse.
Zudem sei in China ,Wissen< eine geistige Aktivitat gewe
sen, in welcher die rationalen Operationen des Intellekts
nicht scharf von dem getrennt gewesen seien, was wir
als Intuition, Imagination, Illumination, Ekstase, astheti
sche Wahrnehmung, ethische Verpflichtung oder sinnes
mii.Gige Wahrnehmung bezeichnen wurden. Die Natur
wissenschaften im vormodernen China hatten sich dem
nach voneinander weitaus unabhangiger als in Europa
entwickelt. Sie seien im Vergleich zu Europa auch weni
ger stark durch zeitgenossische Philosophien umschrie
ben noch durch zeitgenossische theologische Konzepte
dominiert warden. Die typische Auffassung, die fur die
Niitzlichkeit dieser Naturwissenschaften gegolten habe,
sei gewesen, daG naturwissenschaftliche Erklarungen
beschrankte Auskunft uber gewisse Aspekte von Bezie
hungsmustern fur finite und praktische Zwecke geben
konnten, daG jedoch diese Beziehungsmuster zu subtil
und zu vielfaltig seien, als daG sie vollstandig empirischer
Untersuchung oder mathematischer Analyse zuganglich
seien.
Man beginge allerdings einen Fehler, das Fehlen einer
»integrierten Wissenschaft« in China als Ausdruck oder
Erklarung naturwissenschaftlicher Inferioritat zu ver
stehen. Die naturwissenschaftliche Tradition im vor
modernen China sei hinreichend entwickelt gewesen,
um mit derjenigen des vormodernen Westens verglichen
werden zu konnen. Sivin wendet sich auch gegen die oft
geauGerte Behauptung, daG sich in den chinesischen
Naturwissenschaften nur empirische, aber keine theore-
tischen Uberlegungen finden lieEen. Moglicherweise sei
aber die Vorstellung einer scientia eine notwendige Be
dingung fur eine im modernen Sinne erfolgreiche theore
tische Naturwissenschaft gewesen.
Auf andere Probleme der Kategorisierung stoGen wir im
Bereich der chinesischen Technikgeschichte. Auch hier
sollen uns die in den Quellen anzutreffenden Begriffe
und die Existenz von speziellen technischen Handbuchern
als Grundlage fur Einteilungen der vormodernen chine
sischen Technikbereiche dienen. Die Existenz zahlrei
cher handwerklicher Techniken wird durch den Aus
druck baigong, die »hundert Handwerker«, belegt, wie
wir ihn etwa in den »[Ausspruchen des] Meisters Mo«,
Mozi, aus dem 4. Jh. v. Chr. finden. Die Vielzahl der
Handwerkszweige und Techniken fuhrte zu gr6Geren
Verschiebungen bei den Kategorisierungen als in den
Naturwissenschaften. Bereits das Kapitel »Aufzeichnun
gen uber Handwerker« Kaogongji, welches aus der
Periode der Streitenden Reiche (475-221 v. Chr.) stam
men durfte und in dem Werk »Riten der Zhou«, Zhouli,
enthalten ist, verzeichnet zehn Handwerksabteilungen
mit einer Anzahl van Unterabteilungen. Einen umfassen
deren, sich nicht nur auf die Belange der Zentralregie
rung beschrankenden Einblick in die Produktionstechni
ken gewahrt uns Song Yingxings beruhmtes Werk »Schop
fungen von Natur und Mensch«, Tiangong kaiwu, von
1637, welches achtzehn Produktionsbereiche mit zahl
reichen Untergruppen auffuhrt. Unter Berucksichti
gung von weiteren Quellen !assen sich in technikge
schichtlicher Perspektive die spiitkaiserlichen chinesi
schen Produktionsbereiche in folgende Hauptgruppen
unterteilen:
1. Landwirtschaft, inklusive Anbau und Verarbeitung
van Getreide, Gemuse, Obst, Zucker und Tee sowie
Fischzucht, Tierzucht und Zuchtung von Blumen
2. Spinnen und Weben von Seide, Baumwolle und Wolle
3. Farberei
4. Gerberei
5. Lebensmittelkunde
6. Salzerzeugung
7. Erzbergbau und Verhuttung
8. Metallverarbeitung (GieGen und Schmieden)
9. Abbau und Verarbeitung von Jaden, Perlen und
Edelsteinen
10. Abbau und Verarbeitung von »Erden« und »Gesteinen« wie Kalk, Kohle, Schwefel usw.
11. Keramik und Porzellan
12. Papierherstellung
13. Lackarbeiten
14. Zinnoberrot- und Tuscheherstellung
15. Druckwesen
17
16. Wagenbau
17. Boots- und Schiffsbau
18. Techniken der Richtungsorientierung und Navigationswesen
19. Waffenproduktion
20. Kartographie
21. Brucken- und StraGenbau
22. Stadtebau
23. Architektur
24. Wasserbau
Die Stellung der einzelnen Produktionsbereiche in der
offiziellen Wertehierarchie hing weitgehend vom gesell
schaftlichen und fiskalischen Nutzen ab, der einem be
stimmten Gewerbe zugesprochen wurde. Diese Rang
ordnung wiederum wirkte sich auf Quantitat und Quali
tat der schriftlichen -Oberlieferung aus. Landwirtschaft,
Spinnen und Weben bespielsweise wurden als Grund
lagen der Wirtschaft und Gesellschaft angesehen und ge
nossen daher hohe Aufmerksamkeit. Als ebenso wichtig
wurden die Waffenproduktion, der Wasserbau sowie
das Salzwesen erachtet, letzteres aus fiskalischen Grun
den. Eher Geringschatzung wurde dem Bergbau ent
gegengebracht, so daG hier der Graben zwischen denen,
die korperlich arbeiteten, und denjenigen, die daruber
schrieben, besonders groG war. Insgesamt wurde zwar
die Existenz der meisten Produktionsbereiche und tech
nischen Fertigkeiten wie auch der meisten Naturwissen
schaften als notwendig angesehen, doch kamen sie
aufgrund ihres im Vergleich zu ethischen und morali
schen Werten geringen Ansehens nur unter bestimmten
sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umstanden als
Betatigungsfeld der herrschenden Eliten in Frage. Dies
war wohl auch der Grund dafur, daG Song Yingxing 1637
in seinem Vorwort zu den »Schopfungen von Natur und
Mensch«, Tiangong kaiwu, schrieb, daG ein ehrgeiziger
Gelehrter sein Werk nicht weiter beachten wurde, denn
es beschaftige sich in keiner Art und Weise damit, wie
man die literarisch-akademischen Prufungen bestehen
und zum Beamten aufsteigen konne.
NATURWISSENSCHAFTEN
In den folgenden zwei Kapiteln konnen nur einige der
Leistungen und Charakteristiken chinesischer Naturwis
senschaften und Technik erwahnt werden. Dabei liegt
der Schwerpunkt auf denjenigen Bereichen, die nicht
Gegenstand eines gesonderten Beitrages in diesem Band
sind.
18
Mathematik
Zu Beginn des 1. Jhs. n. Chr. wurde eine umfassende Ab
handlung zur Mathematik unter dem Titel »Neun Kapitel
der mathematischen Kunste«, Jiuzhang suanshu, kompi
liert. Dieses Werk pragte in vielerlei Hinsicht den zu
kunftigen Entwicklungsgang der chinesischen Mathe
matik. Die typische Vorgehensweise war, daG ein Pro
blem ausgesprochen und eine in Zahlen ausgedruckte
Antwort gegeben wurde. Zurn AbschluG erfolgte eine
schrittweise Darstellung der notwendigen Rechenpro
zesse, ohne daG der Versuch des Begrundens oder Be
weisens unternommen wird. Mathematik wurde weit
gehend als Mittel zur Losung praktischer Probleme wie
Steuerberechnung, Landvermessung und Berechnungen
des Volumens von Deichen und Befestigungsanlagen be
griffen, und es bestand kein Interesse an deduktiven
Argumenten des Euklidschen 'fyps. Geometrie und Tri
gonometrie wurden kaum betrieben. Mathematik wurde
nicht als wichtiger Bestandteil der vorherrschenden Elite
kultur begriffen, zudem bestanden -Oberlappungen zur
Numerologie und Zukunftsdeutung. Manche Historiker
sind daher geneigt, bei der chinesischen Mathematik
eher von einer Technik als einer Naturwissenschaft oder
Formalwissenschaft zu sprechen.
Die chinesischen mathematischen Leistungen waren vor
wiegend arithmetisch-algebraischer Art. Sie umfassen
beispielsweise die Losung elementarer algebraischer
Probleme, die Verwendung eines durch Positionen ge
kennzeichneten Dezimalsystems (bereits seit etwa dem
13. Jh. v. Chr.) und von Dezimalbruchen, das Ziehen
hoherer Wurzeln, Berechnungen von Flachen und Volu
men, Berechnungen der Seiten- und Hypotenusenlangen
von gleichwinkligen Dreiecken, Losungen von hoheren
numerischen Gleichungen mit positiven und negativen
Koeffizienten, Berechnung der Kreiszahl re und die Auf
stellung eines tabellarischen Systems zur Aufschlusse
lung der Binominalkoeffizienten. Einige dieser Metho
den und Operationen waren in China Jahrhunderte
fruher als in anderen Regionen der Welt bekannt. Als
Rechenmittel wurden vorerst Rechenstabe, die auf
einem gitterartigen Rechteck systematisch ausgelegt
und verandert wurden, benutzt. Erst seit dem 14. Jh.
wurde mit dem Abakus, wie wir ihn in der heutigen
Form kennen, gerechnet.
Mathematische Harmonielehre
Die »Geschichte der [Westlichen] Han-Dynastie«, Hanshu,
aus der Mitte des 1. Jhs. n. Chr. halt fest, daG mathe-
Abb. 6 Proto-Schublehre aus der Zeit des Wang Mang (reg. 9-23 n. Chr.; nach: Qiu Guangming, Zhongguo lidai duliangheng kao,
Peking 1992).
matische Harmonien sich auf funf Bereiche erstrecken,
namlich Zahlen, Tonhohe, LangenmaGe, VolumenmaGe
und Gewichte. All diese funf Kategorien sollen ihren Ur
sprung in der huangzhong-Stimmpfeife haben, die durch
den legendaren Gelben Kaiser hergestellt und standardi
siert warden sein soll. Zahlen waren von grundlegender
Bedeutung, da sie die numerischen Einheiten fur die an
deren vier Kategorien bereitstellten. Noten, Tonhohen,
MaGe und Gewichte basierten auf numerologischen
Systemen wie demjenigen der Funf Phasen, wuxing. Sie
reprasentierten den Zyklus des rhythmischen Fort
schreitens von yin und yang wahrend des Jahres und die
einzelnen Phasen der landwirtschaftlichen Produktion.
Noten, Tonhohen, MaGe und Gewichte wurden mit poli
tischen, ethischen und moralischen Werten korreliert.
Das Phanomen der musikalischen Resonanz wurde als
besonders offensichtliches Beispiel fur die universale
Theorie interpretiert, daG Dinge derselben Kategorie
gegenseitig aufeinander reagieren. Und die normativen
Aspekte der Metrologie eigneten sich in idealer Art und
Weise dafur, die Unverruckbarkeit und Unfehlbarkeit
von zentralen politischen, ethischen und moralischen
Werten zu verkorpern.
MaGe und Gewichte bildeten ein integriertes System. Mit
mittelgroGen Kornern von schwarzer Hirse wurden
Lange und Volumen der huangzhong-Stimmpfeife gemes
sen, woraus die grundlegenden Langen- und Volumen
maGeinheiten abgeleitet wurden. Danach wog man die
Getreidefullung der Stimmpfeife, wodurch man die grund
legende Gewichtseinheit erhielt.
Von groGer Bedeutung fur die Erforschung der Ge-
schichte der chinesischen Metrologie sind die zahlrei
chen metrologischen Sachuberreste. Ein spektakulares
Beispiel ist die Proto-Schublehre aus der Zeit des Wang
Mang (reg. 9-23 n. Chr.), mit der wohl hauptsachlich
auGere Durchmesser gemessen wurden. Im Unterschied
zu modernen Schublehren weist das Instrument aus der
Zeit Wang Mangs keinen Nonius auf.
Einen Hohepunkt in der Entwicklung der mathemati
schen Harmonien stellten die musikalischen Unter
suchungen des Ming-Prinzen Zhu Zaiyu im 16. Jh. dar.
Needham ist der Auffassung, daG seine Entdeckungen
die Grundlage der Idee der temperierten Stimmung, wie
sie kurze Zeit danach in Europa auftauchte, bildeten.
Mathematische Astronomie
Mathematische Astronomie war im alten China von gro
Ger Bedeutung, da der Kaiser als personlich verantwort
lich fur die Harmonie im gesamten Kosmos angesehen
wurde. Die Berechnung von prazisen astronomischen
Systemen und Reformen des Kalenderwesens trugen zur
Erhohung des kaiserlichen und dynastischen Prestiges
bei und oblagen einer speziellen Abteilung innerhalb der
hauptstadtischen kaiserlichen Burokratie. -Ober hundert
Kalenderreformen wurden im Verlauf der chinesischen
Geschichte durchgefuhrt. Im Gegensatz zur hellenisti
schen Welt, wo geometrische Vorstellungen uber die
Struktur des Kosmos fur die mathematische Voraus
berechnung von astronomischen Phanomenen ver
wendet wurden, grundete die chinesische Kalender19
berechnung auf einer ausgepragten Tradition algebraisch
arithmetischer Astronomie. Bei den alten chinesischen
Kalendersystemen handelte es sich um kombinierte Son
nen-Mond-Kalender, deren chronologische Einheiten das
tropische Jahr, der synodische Monat und der Sonnentag
waren. Mathematische Astronomie umfaGte auch die Be
rechnung der Sonnenbahn am Himmel und der Bewe
gungen des Mandes und der fiinf sichtbaren Planeten.
Zur Berechnung der Sonnenbahn und damit des tropi
schen Jahres benutzte man spiitestens seit dem 7. vor
christlichen Jahrhundert Gnomone, mittels deren Schat
ten der Zeitpunkt der Wintersonnenwende markiert
werden konnte. Verbesserungen in der Beobachtungs
technik und bei den Beobachtungsinstrumenten fiihrten
langfristig zu einer Erhi:ihung der Priizision in der Be
rechnung des tropischen Jahres. So baute Xing Yunlu
(157 3-1620) einen 20 m hohen Gnomon und berech
nete mit dessen Hilfe das tropische Jahr auf 365,242190
Tage, einen Wert, der von modernen Berechnungen nur
0,000027 Tage abweicht. Weitere Hi:ihepunkte in der Ge
schichte der alten chinesischen Astronomie waren die
Entdeckung der Priizession durch Yu Xi um 330 n. Chr.
und die Fluktuationen in der Geschwindigkeit der
scheinbar sich um die Ertle bewegenden Sonne durch
Zhang Zixin im spa.ten 6. Jh. Zusiitzliche Beobachtungen
und Berechnungen konzentrierten sich seit dem 2. und
1. Jh. v. Chr. auf die Unterschiede zwischen dem synodi
schen, siderischen und anomalistischen Monat. Und auf
grund der astrologischen Bedeutung waren Berechnun
gen von Zyklen von Mand- und Sonnenfinsternissen be
reits in vorchristlicher Zeit von groGer Wichtigkeit. Als
technische Errungenschaften chinesischer Astronomie
sind vor allem Ringsphiiren und die Verwendung eines
aquatorialen Koordinatensystems zur Beobachtung und
Aufzeichnung himmlischer Phiinomene zu nennen.
Spiitestens seit Ende des 2. vorchristlichen Jahrhunderts
bildete der Grad der Priizision, mi, jingmi, ein wichtiges
Kriterium fiir die Etablierung eines astronomischen Be
rechnungssystems. Und seit dem 3. Jh. kristallisierte sich
die Idee, daG die historische Entwicklung astronomi
scher ijerechnungssysteme durch zunehmende Priizi
sion gekennzeichnet sei, immer klarer heraus. Die Erhi:i
hung der Priizision astronomischer Berechnungsmetho
den war zudem ein wichtiges Argument seitens Xu
Guangqis (1562-1633), welches die Akzeptanz west
licher astronomischer Methoden und Instrumente in
China zu Beginn des 17. Jhs. fi:irderte. Westliche kosmo
logische Vorstellungen wurden damals allerdings nicht
mit ubernommen.
Nach Auffassung der meisten Astronomen und Gelehr
ten des vormodernen China lief!. sich Priizision jedoch
20
nicht bis zur Genauigkeit steigern, denn sie waren der
Meinung, daG das AusmaG des Kosmos zu groG und die
Textur der Natur zu fein und zu dicht vernetzt seien, wei,
miao, weimiao,jingzhiusw., als daG Phiinomene vollstiin
dig voraussagbar seien. Die vorherrschende Meinung
war, daG Abweichungen kein Charakteristikum der Be
rechnungskonstanten, sondern ein Charakteristikum
des Universums seien, daB sich bei der Voraussage astro
nomischer Phiinomene im Verlaufe der Zeit somit
zwangslaufig Fehler einschlichen und daG keine astrono
mische Technik fiir immer korrekt sein ki:inne. Ange
sichts dieser Schwierigkeiten tendierten chinesische
Astronomen dazu, jede Berechnungstechnik, die einiger
maGen verlii.Elich war, zu akzeptieren. Die Mi:iglichkeit,
astronomische Ereignisse auf einem verhiiltnismii.Gig ein
fachen Weg vorauszusagen, wurde jedoch weitgehend
mit dem Verlust der Mi:iglichkeit ihrer Erkliirung er
kauft.
Eine Besonderheit chinesischer astronomischer Instru
mente bildeten wassergetriebene astronomische Uhren.
Bereits im 2. Jh. baute der bedeutende Astronom Zhang
Heng (7 8-139) einen von Wasserkraft getriebenen und
von einer Wasseruhr regulierten Himmelsglobus. Der
buddhistische Mi:inch Yixing, der auch fiir seine fiir die
Berechnung des neuen Kalendersystems beni:itigte Ver
messung des Erdmeridians im Jahre 7 24 beruhmt ist,
und Liang Linzan konstruierten im 8. Jh. ein iihnliches
Instrument, das zudem mit einer Zeitansagevorrichtung
versehen war. Den Hi:ihepunkt dieser Entwicklung bil
dete die von Han Gonglian entworfene und 1092 fertig
gestellte astronomische Uhr. Leiter dieses Projektes war
Su Song (1020-1101), damals Minister fiir Personalange
legenheiten. Su Songs Uhr bestand aus einem eindrucks
vollen, zehn Meter hohen Torm (Abb. 7, 8). Auf der ober
sten Plattform befand sich eine mechanisch angetrie
bene Armillarsphiire, mit der sich die Positionen der
Himmelski:irper beobachten lieBen. Im Innern des Turms
drehte sich synchron dazu ein Himmelsglobus, so daG
beide Instrumente miteinander verglichen werden konn
ten. Die Vorderfront des Turms wies funf Stockwerke
auf, auf denen Figuren Glacken oder Gongs schlu
gen und Tafeln zeigten, auf denen die Stunden und an
dere spezielle Tages- und Nachtzeiten angezeigt wurden.
Armillarsphiire, Himmelsglobus und Zeitanzeige wur
den von einem einzigen riesigen Uhrwerk angetrieben.
Es bestand aus einem groGen, senkrecht stehenden Was
serrad, an dessen Blattenden Schalen befestigt waren. In
diese lief Wasser, und wenn eine Schale gefiillt war,
drehte sich das Rad ein kleines Stuck weiter. Ein oben an
gebrachter Sperrmechanismus verhinderte das Ruck
schlagen des Rades. Der WasserfluG war so bemessen,
.c.
•� .
d,_ � I
L�
= =�
=
-�
?
��f�
Abb. 7, 8 Darstellung der grofien astronomischen Wasseruhr, gebaut in Kaifeng 1090 van Su Song. Su Song, Xin yixiang fayao »Neuer Entwurf fiir eine Armillarsphare und einen Himmelsglobus«, 1094.
daB jede Viertelstunde eine Schale gefiillt und das Rad
zur niichsten Schale vorwiirts bewegt wurde.
David Landes (1983) bestreitet allerdings Needhams Be
hauptung, daG es sich bei den groGen wassergetriebenen
astronomischen Uhren des alten China um ein fehlendes
Glied in der Entwicklung von Wasseruhren hin zu den
mechanischen Uhren des Westens handelt. Landes halt
die groGen astronomischen Uhren Chinas fiir den End
punkt einer groGartigen Entwickung von Wasseruhren.
Das dart zur Anwendung kommende Prinzip der Hem
mung unterscheide sich von demjenigen der mechani
schen Uhren im Westen. Westliche mechanische Uhren
unterschieden sich zudem von den groGen chinesischen
astronomischen Uhren durch ihre Miniaturisierung und
ihre Tragbarkeit. In China sei die Entwicklung der gro
Gen astronomischen Wasseruhren, die vor allem dem
Kaiserhof zu dienen hatten, nach dem 11. Jh. abgebro
chen. Ziel sei es gewesen, mit diesen astronomischen
Uhren die Bewegungsablaufe eines kunstlichen Himmels
mit dem wirklichen Himmel in -Obereinstimmung zu
bringen. Im Westen habe die Zeit hingegen eine i:iffent
liche Funktion gehabt. Ziel sei es gewesen, mit den
mechanischen Uhren die Zeit mit den Himmelsabliiu
fen in -Obereinstimmung zu bringen. Das Auftauchen
mechanischer Uhren im europiiischen Mittelalter habe
den Beginn eines neuen bedeutsamen technologischen
Potentials markiert. Ihre Entwicklung sei unabhangig
von den groGen chinesischen astronomischen Uhren
21
erfolgt, die andere Prinzipien der Zeitmessung verwen
det hiitten.
Der Abbruch der technischen Entwicklung gro:l!,er astro
nomischer Uhren in China ist ein Beispiel dafur, da:I!, in
einigen Bereichen der Schritt von der Invention zur
Innovation nicht vollzogen wurde oder da:I!, technische
Errungenschaften im Verlauf der Zeit verlorengingen.
Weitere Beispiele fur den Abbruch technischer Entwick
lungen sind die aus der Zeit von Wang Mang (reg. 9-23
n. Chr.) stammende Proto-Schublehre sowie das im Jahre
132 n. Chr. von Zhang Heng (78-139) erfundene Seis
moskop.
Astrologie
Astronomie und Astrologie waren im alten China nicht
strikt voneinander getrennt. Die Beobachtung von am
Himmel erscheinenden Omina war von gro:l!,er politischer
Bedeutung, und es war die Aufgabe der kaiserlichen
Astrologen, ungewohnliche Erscheinungen aufzuzeich
nen und zu interpretieren. Die Vorgiinge am Himmel
verbanden sich durch ein umfangreiches korrelatives
System mit den Ereignissen auf der Erde, wobei unge
wohnliche astronomische Erscheinungen als Widerspie
gelung oder Ankundigung politischer Fehlentwicklun
gen interpretiert wurden. Astrologische Omina konnten
von Ministern und Beamten dazu genutzt werden, Kritik
am Kaiser oder an politischen Gegnern innerhalb des
Beamtenapparates zu uben.
Die Grenzlinie zwischen au:l!,ergewohnlichen und ge
wohnlichen astronomischen Ereignissen war allerdings
flie:l!,end, denn sobald man in der Lage war, Mondfinster
nisse voraussagen zu konnen, verminderte sich ihre
astrologische Bedeutung. Selbst auf dem Hohepunkt der
chinesischen mathematischen Astronomie gelang es den
Astronomen nicht, Sonnenfinsternisse zuverliissig vor
aussagen zu konnen. Das Problem wurde teilweise
durch » Ubervoraussage « gelost. Nur nicht vorausgesagte
Sonnenfinsternisse wurden als ominos angesehen, wiih
rend vorausgesagte, jedoch nicht eingetroffene Finster
nisse Anla:I!, zur Begluckwunschung des Kaisers boten,
da durch seinen moralischen Einfluf!, offensichtlich ein
ungluckverhei:l!,endes Omen abgewendet worden war.
Vorubergehende und unvorhersehbare Phiinomene wie
Kometen, Novae, Meteorregen oder Polarlichter wurden
immer als Omen interpretiert. Der Wert alter chinesi
scher astrologischer Aufzeichnungen liegt darin, da:I!, sie
uns ausfuhrlich und langfristig uber die Vorgiinge am
Himmel berichten. Aus dem Zeitraum vom spa.ten 14. bis
22
fruhen 13. Jh. v. Chr. stammt die fruheste Aufzeich
nung O.ber eine Sternexplosion, und bereits im Jahre
613 v. Chr. wird der Halleysche Komet erwiihnt. Bis zum
20. Jh. sollte seine Wiederkehr einunddrei:1!,igmal ver
zeichnet werden. Das erste mit Koordinatenangaben
versehene Verzeichnis von Sternen, Shi Shens »Klassiker
der Sterne«, Xingjing, ist aus dem 4. Jh. v. Chr. bekannt,
wiihrend Sternkarten im 1. Jh. v. Chr. auftauchten.
Medizin und Pharmakologie
Wie auch andere chinesische Naturwissenschaften wei
sen Medizin und Pharmakologie ihre charismatischen
Grundungstexte auf. Fur die Medizin war dies der
»Innere Kanan des Gelben Kaisers«, Huangdi neijing, fur
die Pharmakologie die »Materia Medica des Gottlichen
Landwirtes«, Shennong bencao. In der chinesischen
Medizin lassen sich so gut wie keine Parallelen zur west
lichen Medizin feststellen. Zudem unterschied sich die Be
deutung der in der chinesischen Medizin verwendeten
Ausdrucke von den Bedeutungen, die diese Ausdrucke
innerhalb der Philosophie und anderer naturwissen
schaftlicher Bereiche hatten. Chinesische Medizin und
Pharmakologie zeichneten sich nicht nur durch empi
risches Wissen aus, sondern es handelte sich auch um
Systeme von hoher theoretischer Komplexitiit. Die Theo
retisierung, die auf systematischen Korrespondenzen
mittels yin-yang- und FO.nf-Phasen-Konzepten und Vor
stellungen von feinsten Materieeinflussen beruht, lii:l!,t
sich fur die chinesische Medizin bereits im 2. Jh. v. Chr.
nachweisen. In der Pharmazie hingegen fanden syste
matische Korrespondenzen erst seit dem 12. und 13. Jh.
Anwendung, so da:I!, eigentlich erst ab diesem Zeitpunkt
von Pharmakologie gesprochen werden kann. Sowohl in
der Medizin als auch in der Pharmakologie sind neben
empirischen Komponenten Einflusse von magischem und
diimonologischem Gedankengut feststellbar. Unschuld
(1985) hat darauf aufmerksam gemacht, da:I!, es irrefuh
rend ist, sich die chinesische Medizin als ein einheitliches
Gebiiude vorzustellen. Verschiedene subparadigmatische
Ideengebiiude innerhalb eines Hauptparadigmas lassen
sich identifizieren. Im diagnostischen Bereich ist insbe
sondere die Methode des Pulsfuhlens zu erwiihnen. Zwei
Abb. 9 Altes Observatorium Peking, verkleinerte Nachbildung
des » Vereinfachten Instruments« jianyi, .ii.quatorialtorquetum,
entworfen van Guo Shoujing 1270.
und da der Schwerpunkt auf der Reproduktion von Pro
zessen lag, ist das praktisch-alchemistische Umerneh
men eher der Physik als der Chemie zuzuordnen. Ohne
Berucksichtigung geistiger, religii:iser und sozialer Fakto
ren liii1t sich die Geschichte der praktischen Alchemie
nur unvollstiindig erfassen.
I
Abb. 10 Altes Observatarium Peking, Himmelsglabus mit
Meridian- und Harizantkreis van Ferdinand Verbiest 1673. Auf
der Kugel sind zusatzlich Himmelsaquatar, Ekliptik und die
Milchstrafie verzeichnet.
Abb. 11 Altes Observatarium Peking, Aquatarialarmillarsphare
van Ignatius Kogler, 1744 aufgestellt. Im Hintergrund der Qua
drant van Ferdinand Verbiest.
der bekanntesten therapeutischen Methoden sind Aku
punktur und Moxibustion.
auf, dai1 der durch die Einnahme von Elixieren ver
ursachte Tod als Voraussetzung fur den -Obergang zur
Unsterblichkeit angesehen wurde. Die zunehmende
Beunruhigung uber Elixiervergiftungen, welche sowohl
bei Kaisern als auch in der Welt der Beamten und Gelehr
ten beobachtet wurden, durfte ein Grund dafur gewesen
sein, dai1 seit dem 10. Jh. die weitgehend ungefiihrliche
physiologische Alchemie an Bedeutung gewann.
Auch wenn sich in den Schriften chinesischer prak
tischer Alchemisten eine Vielzahl von chemischen Tech
niken findet, wiire es irrefuhrend, die Geschichte der
chinesischen Alchemie allein aus der Perspektive der Ge
schichte der Chemie zu betrachten. Chinesische Alche
misten trachteten nicht nach chemischem Wissen, son
dern nach chemischen Modellen kosmischer Prozesse,
wobei durch die alchemistischen Operationen die riesi
gen kosmischen Zeitdimensionen derart ineinanderge
schoben werden sollten, dai1 sie nachvollzogen und be
obachtet werden konnten. Der praktische Alchemist be
griff sich also als Beschleuniger kosmischer Prozesse,
Praktische Alchemie
Chinesische Alchemie teilte sich in »iiui1ere« oder prak
tische Alchemie, waidan, und »innere« oder physiologi
sche Alchemie, neidan. Die praktische Alchemie beschiif
tigte sich hauptsiichlich mit der Zubereitung von alche
mistischen Elixieren, die von den Adepten eingenommen
wurden. Die physiologische Alchemie verwendete hinge
gen Atmungs-, Bewegungs- und Sexualtechniken sowie
diiitetische und heliotherapeutische Methoden, wobei
der Korper selbst als alchemistischer Ofen aufgefai1t
wurde, innerhalb dessen die alchemistischen Prozesse
stattfanden. Ziel der alchemistischen Praktiken war die
Erlangung korperlicher Unsterblichkeit. Elixiere bestan
den jedoch in der Regel aus hochgiftigen Substanzen wie
Quecksilber und Arsen. Es gibt deutliche Hinweise dar24
Geomantik
Chinesische Geomantik - fengshui, » Wind und Wasser«
- ist eine Disziplin, die Regeln fur die Errichtung von
Stiidten, Tempeln, Hiiusern und Griibern nach topogra
phischen, geographischen und energetischen Gesichts
punkten der Landschaft formuliert. Von zentraler Be
deutung ist das Konzept der »vitalen Energie« shengqi,
welche alle Kreaturen hervorbringt und unterstutzt.
»Vitale Energie« akkumuliert sich in gluckverheii1enden
Orten und beeinflui1t die Menschen, die dort wohnen.
Das Fliei1en »vitaler Energie« im Untergrund wird dabei
analog zu demjenigen von Blut im menschlichen Karper
gesehen. Das Schicksal der Menschen wird durch die
geomantischen Bedingungan beeinflui1t. Zudem ki:innen
sie durch Eingriffe in die Landschaft einen schiidlichen
Einflui1 auf das Fliei1en von »vitaler Energie« ausuben,
ein Vorwurf, der oft dem Bergbau gemacht wurde. Seit
dem 12. Jh. benutzten chinesische Geomantiker Kom
passe, um die Fliei1muster der »vitalen Energie« in der
Ertle festzustellen.
Physikalische Studien
Physikalische Studien - wuli, »Musterprinzipien der
Dinge« - dienten dem Versuch, durch die Verwendung
von grundlegenden philosophischen Konzepten der
naturlichen Welt einen kohiirenten Sinn zu verleihen.
Yin-yang-Denken fai1te den Kosmos als zusammengesetzt
aus sich ergiinzenden gegensiitzlichen Zustiinden und
Prozessen wie dunkel/hell, kalt/heii1, weiblich/miinnlich,
Verfall/Wachstum, Ertle/Himmel und Mand/Sonne auf.
Ahnlich wie das yin-yang-Denken betonte auch das Funf
Phasen-Denken wuxing eher Prozesse und Funktionen
als Substanzen. Die Funf Phasen waren ,Holz<, ,Feuer<,
,Ertle,, ,Metall< und ,Wasser<. Durch die Verwendung von
unterschiedlichen Zyklen wurde ein reichhaltiges Reper
toire fur die Analyse einer Viel�ahl von Prozessen und
diesbezuglicher kategorialer Korrespondenzen zur Ver
fugung gestellt. Zwei weitere wichtige Vorstellungen
waren die von »Materie-Energie« qi und »Muster« li. Qi
stellte man sich als eine Art subtiler »Ather« vor, der alle
Dinge durchdringt oder sogar zusammensetzt und kon
figuriert. Unter li, das vor allem bei den Neo-Konfu
zianern eine zentrale Rolle spielte, verstand man das
Muster des Organisationsprinzips, welches die essen
tielle Struktur des Kosmos konstituierte. Die universale
Ordnung als Ganzes war ein Ausdruck von li, aber auch
jedes einzelne Ding hatte sein eigenes li. Schliei11ich
ist auf die Bedeutung der »Zahl« shu aufmerksam zu
machen, die als eine Kombination von Mathematik,
Numerologie und Kunst der Zukunftsdeutung eines der
wichtigsten, Kohiirenz verleihenden Strukturierungs
elemente der traditionellen chinesischen Kultur dar
stellte.
TECHNIK
Es ist unbestritten, dai1 China bis zum 14. Jh. auf vielen
Gebieten der Technik ein hohes Niveau erreicht hatte
und dai1 viele der chinesischen technischen Errungen
schaften sich in den Westen verbreiteten. Bedeutende
chinesische technische Errungenschaften sind:
1. Schiei1pulver
2. Kompai1
3. Papier
4. Buchdruck
5. Porzellan
6. Lack und Lacktechnik
7. Stranggeschirr und Kummet
8. Schubkarren
9. axiales Heckruder
10. wasserdichte Scholten
11. Brucken mit Segmentbi:igen
12. Hiingebrucken
13. Bewiisserungs- und Transportkaniile
14. Kammerschleusen
15. Kartographie
16. Bronze- und Eisengui1
17. zweifach wirkende Kolbenblasebiilge
18. Tiefbohrungen
19. Gewinnung und Nutzung von Erdgas
20. Handkurbeln und Riemenantriebe
21. Wasserriider und Wasserhebemaschinen
22. effiziente Pfluge mit Streichbrettern
23. Kornfegen
24. Siimaschinen
25. Seidengewinnung
26. das einfache Spinnrad
27. Haspelstuhle in der Seidengewinnung
28. Trittwebstuhle
25
In einigen Fallen finden sich klare Hinweise fur eine Dif
fusion oder Transmission chinesischer Techniken in den
Westen. Dies gilt insbesondere fur SchieEpulver, Papier,
Porzellan, Stranggeschirr und die Seidengewinnung. In
anderen Fallen, wie dem EisenguE und den effizienten
Pfliigen, wird eine Diffusion oder Transmission ver
mutet. SchlieBlich gibt es auch Techniken, die unabhii.n
gig voneinander in Ost und West erfunden wurden und
bei denen es erst nach der jeweiligen zivilisationsspezi
fischen Erfindung und Nutzanwendung zu einer -Ober
tragung kam. Ein Beispiel dafur sind Tiefbohrungen, die
in Europa mittels festem Bohrgestii.nge, in China aber mit
Bambuskabeln durchgefuhrt wurden. Erst zu Beginn des
19. Jhs. kam es zur -Obernahme des »chinesischen Seil
bohrens« in Europa. Voraussetzung fur die bewuEte
-Obernahme chinesischer Techniken seit Ende des 17. Jhs.
war die im Westen zunehmende Spezialisierung, Profes
sionalisierung und Verwissenschaftlichung der Technik.
Ein Nebenprodukt dieser Entwicklung war, daB Nach
forschungen iiber die technischen Errungenschaften an
derer Kulturen angestellt wurden. So wollte Leibniz im
Jahre 1689 vom jesuitischen Missionar Claudio Filippo
Grimaldi unter anderem wissen, ob die horizontalen
Windmiihlen der Chinesen sich bei jedem Wind drehten,
sie iiber besondere Maschinen verfugten, wie sie aus Reis
Branntwein herstellten und welcher Art ihre Chemie
und die Methoden der Scheidung von Metallen seien.
Da in den Einzelbeitragen dieses Bandes auf eine Vielzahl
chinesischer technischer Erfindungen und Entwicklun
gen nii.her eingegangen wird, werden wir uns im folgen
den auf einige wenige Beispiele beschrii.nken.
Bronzegujs
Die Technik des Kaltschmiedens und GieEens von Kupfer
Iii.Et sich bereits fur die Xia-Periode (ca. 21.-16. Jh.
v. Chr.) nachweisen. Gegen Ende der Xia-Periode und zu
Beginn der Shang-Zeit (16.-11. Jh. v. Chr.) wurde in
China Kupfer verhiittet und gegossen. -Oberdies sollen in
der Xia-Dynastie auch schon Bronzen gegossen warden
sein, wobei die GuBformen aus Stein gefertigt waren. Die
Ti:ipfereitechnik bildete dann eine wichtige Grundlage
fur die weitere Entwicklung des Bronzegusses. In Kera
miki:ifen wurden hohe Temperaturen erzielt, und aus
Lehm oder Ton wurden die GuEformen gefertigt. Nach
dem 14. Jh. v. Chr. erreichte die BronzeguEtechnik ein
hohes Niveau. Aus einteiligen und zweiteiligen Formen
entwickelten sich mehrteilige komplizierte GuEformen
mit reichem Dekor, die die Herstellung von Stucken von
iiber 50 kg Gewicht ermi:iglichten. Durch stufenweises
26
GieEen konnten komplizierte Fabrikate hergestellt wer
den. Eine weitere Errungenschaft stellte der StapelguE
dar, bei dem GieBbli:icke aufeinandergeschichtet wur
den. Das GieBen erfolgte dann durch einen gemeinsa
men GieBtunnel, so daE bis zu hundert GuEstucke in
einem einzigen GieBvorgang hergestellt werden konn
ten. Waren die Bronzen der Shang- (16.-11. Jh. v. Chr.)
und Westlichen Zhou-Dynastie (11. Jh. v. Chr. - 770 v. Chr.)
noch meistens zeremonielle Gefii.Ee und Musikinstru
mente, erlaubte es der StapelguB, Miinzen, Gegenstii.nde
fur das tii.gliche Leben, Waffen oder Produktionsmittel in
groBer Menge herzustellen. Seit der Zeit der Streitenden
Reiche (475-221 v. Chr.) sind auch dauerhafte Metall
guBformen nachgewiesen. Sie wurden insbesondere fur
das GieEen von eisernen Pflugscharen, Platten und pfeil
spitzen sowie von Bronzemiinzen benutzt. Eine weitere
GuBtechnik, das SchmelzkerngieEen oder die »Verlorene
Wachs-Methode«, diirfte mi:iglicherweise bereits in der
Han-Zeit (206 v. Chr. - 220 n. Chr.) verwendet warden
sein. Der erste diesbeziigliche schriftliche Hinweis
stammt aus dem friihen 8. Jh. Die hochentwickelten
BronzeguEverfahren schufen zweifellos die technischen
Voraussetzungen fur die in China friih und massenhaft
einsetzende Herstellung von GuBeisen und Stahl. Sowohl
fur die Bronze- als auch die Eisenherstellung wurden
effiziente Blasebii.lge beni:itigt. Von Wasserkraft angetrie
bene Blasebii.lge werden bereits in der Ostlichen Han-Zeit
(25-220 n. Chr.) erwii.hnt. Der zweifach wirkende Kol
benblasebalg, dessen Kolben sowohl beim Hineindriicken
als auch beim Herausziehen einen kontinuierlichen Luft
strom erzeugt, diirfte spii.testens im 12. oder 13. Jh. ent
wickelt warden sein. Weitere Hi:ihepunkte der chine
sischen Metalltechnik sind die Herstellung von metal
lischem Zink seit der Ming-Dynastie (1638-1644) (Abb.
12, 13), welches die Produktion von groEen Mengen an
Messing erlaubte, sowie der Gebrauch von Kupfer-.
Nickel-Legierungen, welche spii.testens in der Song-Zeit
(960-1279) kiinstlich hergestellt werden konnten.
Landwirtschaftliche Techniken
Traditionelle chinesische Gelehrte und Beamte waren
sich einig, daB innerhalb des Wirtschaftslebens der
Landwirtschaft die hi:ichste Bedeutung zukam. Wii.hrend
Landwirtschaft mit dem »Stamm«, ben, gleichgesetzt
wurde, bildeten Gewerbe und Handel die »Zweige«, mo,
wirtschaftlicher Betii.tigung. Aufgrund der iiberragen
den wirtschaftlichen und fiskalischen Bedeutung der
Landwirtschaft erstaunt es daher wenig, daE bereits in
den ersten vier vorchristlichen Jahrhunderten spezielle
,.
-�';. .. .
����--- ��-:
����-::,c;, .-�c.�-.
�_:,.n -�'c)�-::,� iJ
--__
-
--
- =---==---
Abb. 12 Schmelzafen mit Blasebalg. Hinzufiigen van Blei, um
Silber auszufallen. Im Vardergrund die eiserne Gufipfanne; Tian
gong kaiwu, 1637.
Abb. 13 Erzeugung van metallischem Zink in Retarten; Tian
gong kaiwu, 1637.
Abhandlungen und Traktate zur Landwirtschaft verfaEt
wurden, von denen allerdings vif?le verlorengingen. Das
fruheste umfassende Werk zur· Landwirtschaft ist Jia
Sixies »Wichtige Fertigkeiten fur die Wohlfahrt des Vol
kes«, Qiminyaoshu, das in den Jahren 533-534 geschrie
ben wurde. Es besteht aus zehn Kapiteln mit 92 Unter
abteilungen. Der Verfasser betonte beispielsweise die
Wichtigkeit der richtigen Auswahl von Jahreszeiten,
Boden und Fruchtfolge und ging auf die Beziehungen
zwischen verschiedenen Arten des Pflugens und Hackens
und der Bewahrung der Bodenfeuchtigkeit ein. Beson-
dere Behandlung erfahren auch die regional unterschied
lichen Getreidearten mit ihren Vorziigen und Eigen
heiten. Weitere Darstellungen der landwirtschaftlichen
Techniken erschienen in spii.teren Jahrhunderten, so die
»Landwirtschaftliche Abhandlung«, Nongshu, van Wang
Zhen (1261-1368) aus dem Jahre 1313 und Xu Guangqis
(1562-1633) »Vollstii.ndige Abhandlung iiber die land
wirtschaftliche Verwaltung«, Nongzheng quanshu, van
1639. Xu Guangqis Werk bestand aus 60 Bii.nden und war
in 12 Kategorien eingeteilt.
Reihenkultur und intensive Hackpflege waren in China
27
Abb. 14 Grabziegel: Frau beim Eggen. Jiayuguan, Provinz Gansu, 3. Jh. n. Chr. (nach: Jiayuguan, Peking 1985).
spii.testens seit dem 6. vorchristlichen Jahrhundert be
kannt. Besonders im trockenen und windigen Klima
Nordchinas, wo hauptsii.chlich Weizen und Hirse ange
baut werden, ist sorgfii.ltiges Hacken fur den Erhalt
der Bodenfeuchtigkeit von groEer Bedeutung. Seit dem
2. Jh. n. Chr. werden auch von Pferden gezogene Hacken
erwii.hnt. Je nach Gestaltung der Pferdehacken konnten
die Reihenkulturen unterschiedlich gehackt und aufge
hii.ufelt werden.
Unter den zahlreichen landwirtschaftlichen Gerii.ten
verdienen Eisenpfluge, Sii.maschinen, Wasserhebemaschi
nen und Kornfegen besondere Erwii.hnung. Die ersten
eisernen Pflugscharen der Welt sind aus dem 6. Jh.
v. Chr. aus China bekannt. Es handelte sich entweder um
eisenbeschlagene Holzscharen oder um massive Eisen
scharen. Eine grundlegende Verbesserung der Pflug
scharen la.Et sich wii.hrend der Han-Dynastie (206 v. Chr.
bis 220 n. Chr.) beobachten, als Scharen aus schmied
barem GuEeisen hergestellt wurden. Die Pflugscharen
der Han-Zeit wiesen unterschiedliche Formen und Gri:i
Een aus. Sie waren entweder eisenbeschlagen, doppel
fliiglig, zungenformig oder trapezformig. Zudem waren
Pflugscharen schon mit geschwungenen Streichbrettern
28
versehen. Pfluge mit Streichbrettern vermindern die
Reibung, brechen und werfen den Boden auf, vergraben
Unkraut als Diingemittel und tragen zur Vernichtung
von Schii.dlingen bei. Pfliige der Han-Zeit wiesen auch
bereits schon eine Vorrichtung auf, mit der sich die Tiefe
des Pflugens einstellen lieE. Sie verfugten iiber ein bis
zwei Deichseln und wurden gewi:ihnlich von zwei Och
sen gezogen. Ein aus elf Teilen bestehender Pflug wird
in Lu Guimengs »Klassischem Werk iiber den Pflug«,
Leisi jing, von 880 beschrieben. Er war komplexer und
ausgereifter als seine Vorgii.nger der Han-Zeit. Die Ent
wicklung von Pfliigen hielt auch nach dem 9. Jh. an, denn
je nach Bodenbeschaffenheit kamen unterschiedliche
Pflugtypen zur Anwendung (Abb. 14, 15). In Europa
waren Streichbretter bis ins Spii.tmittelalter unbekannt.
Es handelte sich zudem meist um einfache flache Holz
bretter, die winklig am Pflug befestigt waren.
In den Reihenkulturen konnten Sii.maschinen eingesetzt
werden, mit denen man ein bis drei Reihen gleichzeitig
besii.en konnte. Solche Sii.maschinen sind in China spii.te
stens aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert bekannt.
Mittels dieser Sii.maschinen konnte nicht nur eine gri:i
Eere Flii.che eingesii.t werden, sondern es wurde im Ver-
Abb. 15 Grabziegel: Bauer beim PjWgen. Jiayuguan, Provinz Gansu, 3. Jh. n. Chr. (nach: Jiayuguan, Peking 1985).
gleich zum Breitsii.en auch eine groEe Menge an Saatgut
eingespart.
Wasserhebemaschinen spielten ffu die Be- und Entwii.s
serung der Felder eine bedeutende Rolle. Vorzugsweise
wurden fur diese Zwecke Kettenpumpen mit quadrati
schen Fi:irderklappen eingesetzt. Diese Art von Pumpe
diirfte in der Ostlichen Han-Zeit (25-220 n. Chr.) erfun
den warden sein. Sie bestand aus einer geneigten qua
dratischen Rinne, durch die an einer Kette eng ange
paEte quadratische Klappen gezogen wurden. Neben der
Verwendung von Menschenkraft wurde auch Tier-,
Wind- und Wasserkraft zum Betrieb dieser Pumpen ein
gesetzt (Abb. 19, 20).
Kornfegen zur Trennung des Korns von der Spreu mit
tels eines mechanisch erzeugten Luftstroms kannte man
in China bereits schon seit dem 2. vorchristlichen Jahr
hundert. Madelle aus Keramik mit beweglichen Teilen
fand man in Grabstii.tten der Han-Zeit (206 v. Chr. - 220
n. Chr.). Bei der chinesischen Kornfege wird das Getreide
in einen Trichter gefullt und durch einen gleichmii.Eigen
Luftstrom gefuhrt. Der Luftstrom wird durch einen
kurbel- oder· pedalgetriebenen Ventilator erzeugt. Die
Spreu wird durch eine Offnung hinausgeblasen, wii.h-
rend das Getreide nach unten fii.llt. Obwohl die Maschine
in Nordchina erfunden wurde1 geriet sie dort immer
mehr in Vergessenheit. Die nordchinesischen Bauern
kehrten zu den traditionellen Reinigungsverfahren mit
der Wurfschaufel oder dem Worfelsieb zuriick. In Sud
china jedoch wurde sie intensiv wii.hrend der Reisernte
eingesetzt. In Europa sind Kornfegen seit dem friihen
17. Jh. belegt. Ahnlich konstruierte » Windfaucher« kamen
aber auch schon im Bergbau des 16. Jhs. zur Anwen
dung. Spii.testens fur das friihe oder mittlere 18. Jh. la.gt
sich nachweisen, daE Nachrichten oder die Einfuhr
chinesischer Gerii.te die Konstruktion von Kornfegen
in Europa nachhaltig beeinfluEten.
Seidenraupenzucht und Teekultur waren charakteri
stische und bedeutende Bestandteile der chinesischen
Landwirtschaft. Zu erwii.hnen sind auch Kenntnisse
iiber Zuchtmethoden und Vererbung in der Tierhaltung
und der Kultivierung von Getreide, Obst, Gemiise und
Blumen. Unterschiedliche Methoden des Aufpfropfens
werden bereits ausfuhrlich in Jia Sixies » Wichtige Fertig
keiten fur die Wohlfahrt des Volkes«, Qimin yaoshu, be
schrieben.
29
Abb. 18 Terrassenfelder fiir Getreideanbau am Gelben Flufi, Provinz Gansu.
Abb. 16 Reisernte. Ausschlagen der Reisgarben auf dem Dresch
platz iiber einem Holzbrett; Tiangong kaiwu, 1637.
Abb. 17 Reisernte. Ausschlagen der Reisgarben in den Holzbot
tich, der im Reisfeld steht. Tiangong kaiwu, 1637.
Wagenbau und Zuggeschirr
chinesische Errungenschaften im Bereich des Wagen
baus und des Zuggeschirrs sind das Ortscheit (Wagen
schwengel) und die Konstruktion von Radern, deren
Speichen eine Neigung gegen den Radsturz aufwiesen
und die somit widerstandsfahiger gegen seitliche St6Ge
waren.
Wagen der Shang-Zeit (ca. 16.-11. Jh. v. Chr.) waren
zweiradrig und verfiigten iiber eine Deichsel und Quer
stange. V ierradrige Wagen werden aus der Zeit der Drei
Reiche (220-280) erwahnt. Eine Besonderheit stellten
»siidwarts weisende Wagen« und »Odometer« dar, die
Bereits in der Zeit der Streitenden Reiche (475-221
v. Chr.) kam das Stranggeschirr fur Pferde in Gebrauch.
Anstelle eines Hals- und Leibgurtes, welche die Atmung
des Pferdes behinderten, trat ein Gurt, der quer iiber die
Brust des Zugtieres verlief. Von China aus diirfte sich
das Stranggeschirr iiber Zentralasien nach Europa ver
breitet haben. Eine Weiterentwicklung des Jochs war
das Kummet, das moglicherweise kaum spater als das
Stranggeschirr in China erfunden wurde. Weitere friihe
30
seit der Zeit der Drei Reiche erwahnt werden. Der »siid
warts weisende Wagen« war mit einem Zahnrader
system ausgeriistet, das auf der Grundidee des Differen
tialgetriebes beruhte. Dieses System bewirkte, daG eine
auf dem Wagen montierte Holzfigur immer nach Siiden
zeigte. Der »Odometer« hingegen, der dazu diente, Weg
strecken auszumessen, war mit einem dem Reduktions
getriebe ahnlichen Zahnraderwerk ausgestattet. Relativ
genaue Beschreibungen der beiden Wagentypen finden
sich erst im 11. und 12. Jh.
Kartographie
Landkarten werden bereits in antiken Werken erwahnt.
Die altesten Exemplare von Landkarten wurden im Grab
Nr. 3 von Mawangdui bei Changsha, Provinz Hunan, aus
gegraben. Es handelt sich um drei auf Seide gemalte Kar
ten aus der Fruhzeit der Westlichen Han-Dynastie (206
v. Chr. - 24 n. Chr.), die das Marquisat von Dai, die heu
tige siidliche Changsha-Region, zeigen. Die erste Land
karte ist eine topographische Karte, die zweite zeigt die
31
terhin ein Charakteristikum der meisten nachfolgenden
chinesischen Landkarten.
Kompajs
Abb. 19 Von Wasserkraft angetriebene Kettenpumpe mit qua
dratischen F6rderklappen; Tiangong kaiwu, 1637.
Abb. 20 Wassere/evator mit Doppelkurbel zur Feldbewasserung;
Tiangong kaiwu, 1637.
Stationierung von Truppen, und die dritte verzeichnet
die Lage der Stadte und Ortschaften. Auf der topographi
schen Karte lassen sich Berge, Fh1sse, Ansiedlungen und
Wege ausmachen, und auch die Konturen- und Hohen
linien sind teilweise vorhanden. Weiterhin ist eine Stan
dardisierung von Symbolen festzustellen, etwa bei Qua
draten fur Stii.dte und Kreisen fur Dorfer. Der zentrale
Teil der topographischen Karte diirfte etwa einen MaG
stab von 1: 180 000 aufweisen. Indirekte Messungen oder
die Methode der Doppeldifferenzen diirften angewendet
warden sein.
Als Pionier der chinesischen Kartographie gilt Pei Xiu
(223-271). Die wichtigsten Regeln fur Pei Xiu bei der
Erstellung von Landkarten waren, daG sie einen ein
heitlichen MaGstab aufweisen und iiber ein Koordina
tensystem verfugen sollten. Zudem miiGten markante
Punkte, die sich nicht auf gleicher Rohe befii.nden, mit
tels Methoden der Rohen- und W inkelmessung und der
Messung von Geraden und Kurven bestimmt werden.
Die Verwendung von Koordinatennetzen, die der Einhal
tung richtiger Proportionen, der korrekten Orientierung
und der Angabe der Distanzen dienten, blieb auch wei-
Die Entwicklung des Kompasses durchlief mehrere Stu
fen. Am Anfang stand der »siidwii.rts weisende Loffel«,
sinan, der wii.hrend des Zeitraums zwischen den Streiten
den Reichen (220-280) und der Tang-Dynastie (618- 907)
hii.ufig erwii.hnt wird. Es diirfte sich um einen Magnet
eisenstein in Form eines Loffels gehandelt haben, der
sich auf einer geomantischen »Erdtafel« drehte und nach
Siiden zeigte. Der Verlust des Magnetismus bei der Bear
beitung des Loffels und die betrii.chtliche Reibung zwi
schen Loffel und »Erdtafel« diirften den Nutzen dieses
richtungweisenden Instrumentes eingeschrii.nkt haben.
Die nii.chste Stufe der Entwicklung stellte die Fertigung
von »siidwii.rts weisenden Fischen«, zhinanyu, und »siid
wii.rts weisenden Nadeln«, zhinanzhen, dar, die beide in
Werken des 11. Jhs. genannt werden. Der »siidwii.rts
weisende Fisch« bestand aus einem diinnen Eisenplii.tt
chen, das die Form eines Fisches aufwies und im glii
henden Zustand im Erdmagnetfeld (Thermoremanenz
verfahren) magnetisiert wurde. LieG man ihn in einer
Schlissel mit Wasser schwimmen, zeigte er siidwii.rts. Die
»siidwii.rts weisende Nadel« hingegen wurde mit einem
Magnetstein gerieben und dadurch kiinstlich magneti
siert. Die Verwendung von Nadeln und das Verfahren
der kiinstlichen Magnetisierung diirften bereits schon
sehr viel friiher bekannt gewesen sein und stellten einen
entscheidenden Fortschritt in der Entwicklung des Korn
passes dar.
Shen Gua (1031-1095) berichtet in seinen »Notizen aus
Mengxi«, Mengxi bitan, von 1086 iiber vier unterschied
liche Arten der Installierung von magnetisierten Nadeln.
Er stieG sie in ein Stiickchen Kork und lieG sie auf Wasser
schwimmen, balancierte sie auf einem Fingernagel oder
auf einem Schiisselrand oder klebte sie mit Wachs an
einem Seidenfaden an. Shen Gua beschrieb auch deutlich
das Phii.nomen der magnetischen Ablenkung, nii.mlich
daG die Nadel nicht genau nach Siiden zeigt, sondern ein
wenig nach Osten geneigt ist. Zwei weitere Methoden
der Aufhii.ngung von richtungweisenden Magneten wer
den in einem Werk des 13. Jhs. erwii.hnt. Bei der ersten
Methode Iii.Gt man einen holzernen Fisch mit eingeleg
tem Magneten auf Wasser schwimmen. Bei der zweiten
Methode wird eine Schildkrote aus Holz, in die ebenfalls
ein Magnet eingelegt ist, auf einem senkrechten Bambus
stift balanciert.
Scheiben mit Richtungsanzeigen werden erstmals im
12. Jh. erwii.hnt, sind aber moglicherweise weit ii.lteren
Datums. Scheiben mit Richtungsanzeigen, zyklischen
Zeichen und Abfolgen der Fiinf Phasen wurden zusam
men mit schwimmenden NaGkompassen wohl zuerst
von Geomanten benutzt. Der ii.lteste Hinweis auf die Ver
wendung des Kompasses auf See stammt aus dem Jahre
1119. Die friihen Berichte lassen jedoch vermuten, daG
Kompasse vorerst nur bei schlechtem Wetter oder bei
Bewolkung, d. h., wenn die Sicht auf die Himmelskorper
verdeckt war, konsultiert wurden. Bereits im 13. und
14. Jh. erscheinen aber dann Schiffahrtskarten, auf
denen die von den Schiffen vorzunehmenden KompaG
peilungen eingetragen sind.
Im 12. und 13. Jh. diirften wohl alle Madelle des chinesi
schen Kompasses fiber den Seeweg in die arabische Welt
und nach Europa eingefiihrt warden sein. In der Ent
wicklung des mit Scheibe ausgeriisteten Trockenkom
passes war danach der Westen China voraus. Der erste
Trockenplatten-MagnetkompaG wird in China erst um
die Mitte des 16. Jhs. erwii.hnt. Der bliihende chinesische
Seehandel des 12. und 13. Jhs., die Expeditionen des
Eunuchen Zheng He zu Beginn des 15. Jhs. wie auch die
Entdeckung Amerikas durch Columbus und die Seefahr
ten Magellans um die Welt wii.ren ohne KompaG undenk
bar gewesen.
Wasserbau
Schriftliche und archii.ologische Dokumente iiber Was
serbauprojekte reichen bis ins 6. Jh. v. Chr. zuriick. Be
reits aus diesem Zeitraum finden wir Zeugnisse von Ge
wii.ssernetzen, die sowohl der Bewii.sserung als auch der
Schiffahrt dienten, FluGumleitungen und der landwirt
schaftlichen Bewii.sserung dienenden Wasserreservoirs.
Von den zahlreichen Wasserbauprojekten Chinas im Ver
laufe der Geschichte konnen hier nur einige heraus
ragende Beispiele genannt werden.
Das beriihmteste historische Bewii.sserungsbauwerk
(Abb. 21) befindet sich im Distrikt Guan, nordlich von
Chengdu, der Hauptstadt Sichuans, und wird »Damm am
FluG der Hauptstadt«, Dujiangyan, genannt. Dieses Pro
jekt wurde um 250 v. Chr. von Li Bing, den Gouverneur
von Sichuan, begonnen und von seinem Sohn Li Erlang
etwa zwanzig Jahre spii.ter fertiggestellt. Das Wasserbau
werk ist so konstruiert, daG durch einen strommittigen
Damm der Minjiang in einen inneren Kanai und den
Hauptarm des Flusses getrennt wird. Ein Sturzbett zwi
schen Kanai und Hauptarm dient der Regulierung der in
den Kanai einstromenden Wassermenge. Der innere Kanai
teilt sich dann in weitere Bewii.sserungskanii.le auf. Stein
figuren, die der Wassermessung dienten, wurden am
Kanaleingang aufgestellt, wii.hrend steinerne Flu:l?,pferd
figuren die richtige T iefe des Flu:l?,bettes fur das regel
mii.:l?,ige Ausheben des Kanals markierten. Nach Voll
endung des Bauwerks konnte das Wasser des Minjiang
fur die gleichmii.:l?,ige Bewii.sserung der Chengdu-Ebene
genutzt werden, wo eine der landwirtschaftlich produk
tivsten Regionen Chinas entstand. Noch heute ist dieses
Bauwerk voll funktionstuchtig.
Weitere fruhe, technikgeschichtlich bedeutende Bewii.s
serungsprojekte waren der Zheng-Guo- und der Long
shou-Kanal. Der 150 km lange Zheng-Duo-Kanai wurde
246 v. Chr. im heutigen Distrikt Jiangyang in der Pro
vinz Shaanxi erbaut. Der Bau dieses Kanals ermoglichte
die sogenannte »dungende Bewii.sserung«, d. h. die
Bewii.sserung mit schlammhaltigem Wasser, womit uber
2500 Hektar salzhaltiger Boden in fruchtbares Ackerland
umgewandelt werden konnten. Vorrichtung und Lage
des Wassereinlasses und die Fuhrung des Kanals lassen
auf grundliche hydrologische Kenntnisse schlie:l?,en. Das
Projekt selbst ging auf eine List des Herrschers van Han
zuruck, der den Ingenieur Zheng Guo nach Qin ent
sandte. Der Bau sollte die Krii.fte des Staates Qin binden,
kehrte sich aber dann in das genaue Gegenteil.
Der Longshou-Kanal wurde auf Befehl des Kaisers Wu
(reg. 140-87 v. Chr.) sudostlich des heutigen Distrikts
Pucheng in der Provinz Shanxi gegraben. Die Besonder
heit dieses Bewii.sserungskanals war, da:l?, er auf einer
Lange van dreieinhalb Kilometern in »Brunnenschacht
Bauweise« durch den Shangyan-Berg hindurch gefuhrt
wurde. Ein offener Verlauf des Kanals entlang der Lo:l?,
hii.nge ware durch Erdrutsche bedroht gewesen.
Die beruhmtesten Bauten zur Wasserabwehr sind die
Damme des Gelben Flusses und die Meeresdeiche in der
Gegend um Hangzhou und Jiaxing. Erste Meeresdeiche
werden bereits aus der Zeit var etwa 2000 Jahren er
wii.hnt, und fur ihren Ausbau wurden seit der Tang
Dynastie (618-907) gro:l?,e Anstrengungen unternom
men. Hohe Anforderungen an die Wasserbaukunst stellte
der Gelbe Flu:l?,, der aufgrund seines hohen Gehaltes an
Schlamm und Silt immer wieder fur katastrophale -Ober
schwemmungen, Deichbruche und Verlagerungen des
Flu:l?,bettes verantwortlich war. Kleinere Deiche am
Unterlauf gab es bereits seit der Fruhlings- und Herbst
periode (770-476 v. Chr.). Sie wurden in den folgenden
Jahrhunderten allmii.hlich durch gro:l?,e zusammenhii.n
gende Deichbauten ersetzt. Var der Ming- (1368-1644)
und Qing-Dynastie (1644-1911) dienten die Deiche aus
schlie:l?,Jich der Verhinderung van -Oberschwemmungen.
Erst wii.hrend diesen beiden Dynastien begann man, Dei34
che fur die Einengung des Flu:l?,bettes und somit fur den
Abflu:l?, der Schlamm- und Siltmengen zu bauen. Gedan
ken uber die Gesetzmii.:l?,igkeiten des Schlamm- und Silt
transportes wurden van Pan Jixun aus der Ming-Dyna
stie formuliert, wii.hrend Chen Huang aus der Qing-Zeit
fur die Konstruktion van Wasserauslii.ssen plii.dierte, die
fur ein konstantes Wasserniveau und eine gleichblei
bende Stromungsgeschwindigkeit sorgen sollten.
Wasserbauprojekte dienten jedoch nicht nur der Wasser
zufuhr und -abwehr, sondern auch als Transportwege.
Zwei beruhmte Beispiele sind der Lingqu-Kanal und der
Gro:l?,e Kanai. Der Lingqu-Kanal befindet sich in Xing'an,
Provinz Guangxi, und verbindet den Xiangjiang-Flu:l?,,
einen Nebenflu:l?, des Yangzijiang, mit dem Lijiang-Flu:l?,,
einem Nebenflu:l?, des Zhujiang (Perlflu:l?,). Durch einen
Steindamm, genannt »Pflugschar«, wird der Xiangjiang
in zwei Teile geteilt. Der sudliche Tei! ist der Lingqu
Kanat der als Hohenlinienkanal in Windungen talwii.rts
gefuhrt wird. -Oberlaufrinnen am Beginn des Kanals
regeln seinen Wasserstand. Der Bau dieses fur den Was
sertransport bedeutenden Kanals geht auf das spate
3. Jh. v. Chr. zuruck. Der Lingqu-Kanal wurde in der
Folgezeit wiederholt restauriert und ausgebaut und ist
noch heute funktionstuchtig.
Ein gewaltiges Bauwerk stellt der Gro:l?,e Kanai dar, der
Nord-China mit dem Suden des Landes verbindet. Erste
Bestandteile des Kanals wurden bereits var 2400 Jahren
angelegt. Als Kaiser Yang der Sui-Dynastie (518-618)
die Verschiffung des Tributgetreides beschleunigen
wollte, lie:!?, man innerhalb van 6 Jahren einen Kanai van
2400 km Lange bauen. Aufgrund der Verlegung der
Hauptstadt nach Beijing wurde wii.hrend der Yuan-Dyna
stie (1271-1368) der Kanai auf seinen heutigen Verlauf
van Hangzhou nach Beijing begradigt. Die Hauptpro
bleme des Gro:l?,en Kanals stellten die Speisung mit Was
ser und die Aufrechterhaltung des Wasserstandes dar.
Diese Probleme wurden erst wii.hrend der Regierungs
zeit des Yongle-Kaisers (reg. 1403-1424) gelost, als auf
Anraten eines Untertanen namens Bai Y ing an der hoch
sten Stelle des Kanalbettes die gesamte Wassermenge des
Wenhe-Flu:l?, eingeleitet wurde. Dabei flo:l?, jeweils eine
Hii.lfte nach Suden und Norden ab. Ruckhaltebecken und
Schleusen dienten der Regulierung des Wasserstan
des.
Im Zusammenhang mit den Transportkanii.len ist der
Bau van Kammerschleusen zu erwii.hnen. Die Kammer
schleuse wurde 984 in Huainan van Qiao Weiyue, einem
fur den Tributgetreidetransport verantwortlichen Beam
ten, erfunden. Bis dahin wurden Hohenunterschiede
zwischen Kana.Jen mittels leicht geneigter Rampen uber
wunden, was jedoch hii.ufig zum Auseinanderbrechen
Abb. 21 Wasserbauwerk Dujiangyan am Flufi Minjiang, Provinz Sichuan. Der technikkundige Gouverneur der Provinz Sichuan,
Li Bing, begann um 250 v. Chr. das Kana/system zur Regulierung der Wasserstande zu bauen. Damit konnten Bewasserungsanlagen
gespeist und bei Hochwasser gleichzeitig Wassermassen umgelenkt werden.
der Schiffe und zum Diebstahl der Ladungen fuhrte.
Nach dem 11. Jh. verringerte sich erstaunlicherweise die
Bedeutung der Kammerschleusen und kamen vermehrt
wieder einfache Klappenwehre zum Einsatz. Eine Kam
merschleuse wird in Europa erstmals 1373 erwii.hnt.
Briickenbau
Im Netzwerk der -Oberlandstra:l?,en bildeten Brucken
wichtige Bindeglieder. Der chinesische Bruckenbau war
van gro:l?,er Vielfalt gekennzeichnet. Neben den drei
Hauptstilen Balken-, Boden- und Hii.ngebrucken gab
es Sprengwerk-, Steinbalken- und Dreh- oder Klapp
brucken sowie viele Arten van Fachwerkbrucken. Die
fruhesten Brucken Chinas waren schwimmende
Brucken. Sie waren in vielen Fallen die direkten Vorlii.ufer van Fachwerk- oder Steinbogenbrucken. Fruheste
nichtschwimmende Brucken waren solche mit horizon
talem Holzsprengwerk, gefolgt van den Steinbrucken,
35
Keramik im Neolithikum
Mayke Wagner
Abb. 22 Marco-Polo-Briicke, Provinz Hebei. Die Konstruktion mit elf Bogen ist als griifite Segmentbriicke (Gesamtlange: 265 m) in
China 1189 erbaut warden.
die bereits aus einer Zeit vor mehr als 2000 Jahren
erwahnt werden. Steinbogenbrucken durften bereits
um 250 v. Chr. gebaut worden sein.
Eine geniale technische Neuerung stellte die Segment
bogenbrucke dar. Die alteste Brucke dieses Typs steht im
Distrikt Zhaoxian in Hebei. Die Anji- oder Zhaozhou
Brucke uberspannt den Xiao-Flui1. Ihre Spannweite be
tragt uber 37 m. Sie wurde um 610 durch Li Chun erbaut
und hat Jahrhunderte uberdauert. Eine Neuerung stell
ten auch die Bogenzwickel dar. Es handelt sich dabei um
vier kleine Rundbogen, die in die Bruckenstruktur inte
griert waren. Diese strukturelle Segmentbogentechnik
war nicht nur gunstig fur die Statik, sondern sie ver
minderte auch das Gewicht der Brucke. Zudem erlaubte
sie einen groi1eren Wasserdurchflui1 bei Hochwasser.
Die langste Segmentbogenbrucke Chinas ist die Lugou
oder Marco-Polo-Brucke (Abb. 22) sudwestlich von Beijing,
die den Baoding-Flui1 mit 11 Bogen und mit einer Gesamt
lange von 265 Metern uberquert. Sie weist eine Anzahl
technischer Besonderheiten auf, wie zum Beispiel die zu
gespitzten Schnabel auf der Stromungsseite, die die Wucht
von Hochwasser und treibenden Eisschollen abdampfen
sollten. Die Brucke wurde gegen Ende des 12. Jhs. errich
tet und wird auch noch heute fur den modernen Stra
i1enverkehr genutzt. Segmentbogenbrucken tauchen in
36
Europa erst gegen Ende des 13. Jhs. auf. Auch Hange
brucken, wie sie vor allem im bergigen Nordwesten und
Sudwesten Chinas verwendet wurden, waren eine chine
sische Erfindung. Solche Brucken waren entweder an
Eisenketten oder an Bambuskabeln aufgehangt. Sie durf
ten spatestens im 8. Jh. in China erfunden worden sein.
Kaum eine andere Quelle gibt uns in derart konzentrier
ter und anschaulicher Art und Weise Auskunft uber den
zeitgenossischen technischen Stand und die innovato
rischen Auswirkungen chinesischer technischer Erfin
dungen wie Zhang Zeduans in der Yuanhe-Regierungs
periode (1119-1126) gemalte Querrolle »Stromaufwarts
wahrend des Qingming-Festes«, Qingming shanghe tu. So
konnen wir auf diesem Gema.Ide unter anderem unter
schiedliche Schiffstypen mit aufholbarem balanciertem
Axialruder oder mit langen Ruderriemen, Schubkarren,
Wagenchassis und -rader, Joche und Kummete, eine Bal
kenbrucke und - als zentrales Motiv - die sogenannte
»Regenbogenbrucke« erkennen. Bei der »Regenbogen
brucke« handelte es sich um eine genial konstruierte frei
stehende Holzbogenbrucke aus langs und quer geschich
teten Balken. Wie kein anderer Gegenstand des Gema.I
des spiegelt diese Brucke den hohen Stand der Technik,
der wahrend der Song-Zeit (960-1279) erreicht warden
ist, wider.
Plastische Erden waren dem Menschen immer zur Hand,
und er ist schon fruh damit umgegangen, hat seinen
Karper bestrichen, Felswande oder Boden geglattet, um
seine Hande oder Fui1e darin abzudrucken, und die
leichte Formbarkeit zum Modellieren van Abbildern sei
nes eigenen Korpers oder anderer Elemente seiner Um
welt genutzt. Dach erst var evolutionsgeschichtlich kur
zer Zeit machte er die Erfahrung, dai1 der Kontakt mit
Feuer Ton hart mid formbestandig und damit unendlich
vielseitig verwendbar macht. Durch das Brennen van
Ton schuf der Mensch zum ersten Mal einen syntheti
schen Stoff - kunstlichen Stein (Rice 19871 3).
Die altesten bekannten Figurinen aus gebranntem Ton
stammen aus Dolni Vestonice (Tschechische Republik)
und sind etwa 30 000 Jahre alt. In Japan begann man
10 000 v. Chr. Keramik herzustellen, in Anatolien um
8500 v. Chr. und in China erst um 6000 v. Chr., also kei
neswegs sensationell fruh. Es sind aber die besonderen
Formfindungen der ostchinesischen Topfer, die Mal
motive der nordwestlichen Tradition und die Baukera
mik und lebensgroi1en Skulpturen des Nordosten, die
- zum Teil erst in den letzten Jahren entdeckt - eine Be
trachtung lohnen. Dabei ist ein Streifzug durch die 8000
bis 4000 Jahre alte Keramik gleichzeitig eine Erkundung
der Lebensqualitat dieser Periode, denn einerseits ist
Keramik der quantitativ und qualitativ am besten erhal
tene Rest der materiellen Kultur, und andererseits haben
die Menschen wohl in keinem anderen Material so deut
liche Abdrucke ihrer Personlichkeit hinterlassen.
Wenden wir uns zunachst dem bekanntesten Keramik
produkt, den Gefai1en1 und den Herstellungstechniken
zu.
I. KERAMIK IN GEFASSFORM
Die Rohstoffe
Ton ist nicht der einzige, aber der wichtigste Rohstoff,
der zur Fertigung einer Keramikschale benotigt wird. Er
ist keine reine, immer gleiche Substanz, sondern ein
Konglomerat verschiedener Mineralien, deren Mischungs-
verhaltnis die Qualitat des Endproduktes und damit auch
seine Eignung fur verschiedene Zwecke bestimmt. Als
Verwitterungsprodukt silikathaltiger Gesteine, wie des
Granit, sind Tone sehr weit verbreitet. Man findet sie
in der Nahe des Muttergesteins, meist jedoch fluvial
umgelagert weiter davon entfernt. Das Mineral, welches
verwittert, ist Feldspat oder auch Aluminiumsilikat und
besteht im wesentlichen aus Siliziumoxid (Si02) und Alu
miniumoxid (Al20 3) sowie aus den Elementen Potassium
(K), Sodium (Na) und Kalzium (Ca). Die Umwandlung van
Festgestein in Tonfraktionen beginnt mit der physischen
Verwitterung durch die erosiven Krafte van Wind und
Wasser unter Einflui1 van Temperaturwechseln (Frost
verwitterung durch alternierendes Gefrieren und Auf
tauen des kapillaren Wassers im Gestein) und der Losung
des zerkleinerten Materials in Verbindung mit Wasser.
Durch das Wasser wird das Material nicht nur transpor
tiert und gleichzeitig zerkleinert, sondern auch gut sor
tiert. In stehenden oder langsam fliei1enden Gewassern
- wie es sie in den Altwasserarmen des Gelben Flusses
im Deltabereich zahlreich gegeben hat - wird das jetzt
relativ homogene und in seiner Textur sehr feine Mate
rial abgelagert. Gleichzeitig liefert das Wasser auch die
Wasserstoffionen, die fur die zweite Phase, die chemi
sche Verwitterung gebraucht werden, so dai1 neue
Stoffe wie Tonminerale entstehen (Semmel 1977, 13). Das
Ausgangsgestein wird auf diese Weise auf eine Korn
groi1e van nur 0,002 mm (Ton) zerkleinert. Diese geringe
Partikelgroi1e bedingt die wertvollste Eigenschaft des
Tons: seine Plastizitat, d. i. seine Fahigkeit, nach Zugabe
einer bestimmten Menge Wassers durch Druck formbar
zu werden und die Form auch zu bewahren, wenn der
Druck nachlai1t. Diese Eigenschaft verliert der Ton,
wenn das Wasser durch das Trocknen und Brennen
wieder abgegeben wird. Die Form jedoch bleibt erhalten.
Jedes Partikel kann an seiner Oberflache Wasser bin
den. Dieser Wasserfilm zwischen den Partikeln erlaubt
ihnen zu gleiten, sich gegeneinander zu verschieben,
und genau das geschieht beim Kneten der feuchten Ton
masse. Allgemein gilt: je kleiner die Partikel im Ton oder
je groi1er die Qualitat der kleinsten Partikel im Gemisch,
desto plastischer ist der Ton.
37