I
Auf der Suche nach der Ökonomie
Digitaler Sonderdruck des Autors mit Genehmigung des Verlages
II
Digitaler Sonderdruck des Autors mit Genehmigung des Verlages
III
Auf der Suche
nach der Ökonomie
Historische Annäherungen
herausgegeben von
Christof Dejung, Monika Dommann
und Daniel Speich Chassé
Mohr Siebeck
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IV
Christof Dejung ist Marie Curie Senior Research Fellow an der University of Cambridge
und Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Konstanz.
Monika Dommann ist Professorin für die Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich.
Daniel Speich Chassé ist SNF-Förderungsprofessor für Neueste Geschichte an der Universität Luzern und Privatdozent an der Universität Zürich.
Dieses Buch wurde gefördert mit Mitteln des im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder eingerichteten Exzellenzclusters der Universität Konstanz „Kulturelle
Grundlagen von Integration“.
ISBN 978-3-16-153379-2
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.
de abrufbar.
© 2014 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de
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unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Das Buch wurde von Computer Staiger in Rottenburg/Neckar gesetzt und von Hubert & Co.
in Göttingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden.
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V
Inhalt
Einleitung
Christof Dejung, Monika Dommann
und Daniel Speich Chassé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Beute
Michael Jucker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Einbettung
Christof Dejung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
Geld
Jan-Otmar Hesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
Innovation
Lea Haller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
Konsum
Thomas Welskopp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
Krise
Jakob Tanner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Markttabu
Monika Dommann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Nation
Daniel Speich Chassé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Religion
Jan Behnstedt und Marcus Sandl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Spiel
Alexander Engel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
Steuern
Gisela Hürlimann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
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VI
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Krise
Jakob Tanner
Krise ist eine rhetorische Figur der Kritik – und umgekehrt. Wer von Krise
spricht, kritisiert Zustände. Und wer Zustände kritisieren möchte, sagt „Krise“.
Das Marx’sche Hauptwerk Das Kapital von 1867, in dem die Akkumulationsund Krisentheorie des Kapitalismus entfaltet wird, heißt im Untertitel schlüssig
Kritik der politischen Ökonomie.1 Man kann also davon ausgehen, dass „Krise“
ein Themenfeld ist, in dem erfolgreich nach sich wandelnden Bedeutungen von
wirtschaftlichen Sachverhalten und nach Formen der Selbstverständigung von
Gesellschaften gesucht werden kann.
Dabei ist zunächst eine spezifisch moderne Lage angesprochen. Denn die semantische Verbindung von Kritik und Krise stellte sich erst im 18. Jahrhundert
ein. Jedenfalls zeichnete Reinhart Koselleck die Genealogie der beiden Begriffe
als „Pathogenese der bürgerlichen Welt“ nach und etablierte damit eine Trias von
Krankheit, Krise und Kritik.2 Er konstatierte eine Gleichzeitigkeit der „Entstehung der modernen Geschichtsphilosophie und des Beginns der Krise, die seit
1789 – zunächst in Europa – das politische Geschehen bestimmt“.3 Das „Eigengefälle“, mit dem die Aufklärung ihre kritische Wucht entfaltete, kam durch das
Wegbrechen der transzendentalen Gewissheiten zustande, mit denen sich das
absolutistische Gottesgnadentum legitimierte. In dem Maße, in dem die Welt
immanent wurde, mussten Menschen die normativen und institutionellen Bestandsvoraussetzungen der Gesellschaft, in der sie leben (wollten) durch Reflexion, Diskussion, allgemein Kommunikation selber generieren. Der Blick auf
die „Krise“ macht dabei deutlich, dass „Kritik“ zuvorderst an materiellen Gründen von Machtverhältnissen zu üben war, d. h. mithin an der Wirtschaft. Wenn
im Folgenden über den Begriff der Krise nach Ökonomien gesucht werden soll,
sind folgende Schritte angezeigt: Zunächst ist kurz über die spezifische Modernität des Themas nachzudenken. Dann gilt es, die geradezu überbordende Semantik der Begrifflichkeit von „Krise“ zu domestizieren und für die historische
Forschung zu operationalisieren. Ferner scheint es hilfreich, leitende Theorievorschläge einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, welche die Rede über „Krisen“ und auch die historische Forschung hierzu geprägt haben.
1
2
3
Marx, Das Kapital.
Koselleck, Kritik und Krise, S. 2.
Ebd., S. 2. Vgl. auch Neumaier, „Kritik der Krise“.
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Jakob Tanner
Die Moderne als Krise
Obwohl „Krise“ (und auch „Krisis“ oder „Crisis“) von ihrer statistisch erfassten
relativen Auftretenshäufigkeit in Texten her um 1800 im deutschen Sprachraum
weit hinter dem Wort „Kritik“ zurücklag, traf Koselleck aus der Sicht der historischen Semantik den entscheidenden Punkt.4 In der Konstellation der Aufklärung startete die „Krise“ ihre Karriere als „Narrativ der Moderne“.5 In extremis
wird Krise mit Moderne gleichgesetzt: „die Moderne als Krise“.6 Sie greift in alle
Bereiche der Gesellschaft hinein und wird insbesondere mit der wissenschaftlichen Dynamik der modernen Welt in Verbindung gebracht. Edmund Husserl
sprach Mitte der 1930er Jahre von der „Krise der europäischen Wissenschaften“, auf die er mit einer transzendentalphänomenologischen Neubegründung
der Philosophie antwortete.7 Für Husserl ging die Idee der Wissenschaft mit der
Reduktion auf bloße Tatsachenwissenschaft ihrer Lebensbedeutsamkeit verlustig. Weil sich „in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die ganze Weltanschauung
des modernen Menschen von den positiven Wissenschaften bestimmen und von
der ihr verdankten ‚prosperity‘ blenden ließ, gleitete dieser Mensch in eine „Krisis“ ab. In dieser äußert sich „das Versagen der anfänglich gelingenden neuen
Wissenschaft“.8
Dabei spielte die quantitative Erfassung von materiellen Grundbedingungen
des kollektiven Lebens eine entscheidende Rolle. Man kann bezüglich der historisch umstrittenen Frage, ob Krisen überzeitliche Phänomene sind oder ob sie
ein Signum der Moderne darstellen, die Ebene der Wissensformen in Anschlag
bringen. Modern ist sicher das quantitativ-rationale Wissen, das die gesellschaftliche Selbstverständigung heute in unsicheren Lagen auszeichnet, aber dies im
Sinne einer Gesellschaftskritik nicht immer getan hat. Für Koselleck bestand die
historische Rolle des aufstrebenden Bürgertums darin, der Intelligenz und einer bürgerlichen Öffentlichkeit zu einem nachhaltigen Durchbruch zu verhelfen,
d. h. jenen „hohen Gerichtshof der Vernunft“ zu etablieren, „zu dessen natürlichen Besitzern sich die aufsteigende Elite selbstbewusst zählte“. Kritik werde in
4 Google Ngram Viewer. Bei „Krise“ wurde zu Kontrollzwecken auch immer nach dem Plural bzw. dem Akkusativ „Krisen“ gesucht. Erst zwischen dem Ersten Weltkrieg und den beginnenden 1930er-Jahren wurde häufiger von „Krise“ geschrieben, während der Gebrauch von
„Krisis“ zurückging; das Wort „Kritik“ trat nach wie vor viel häufiger auf, doch die Relationen
des Begriffspaars glichen sich an. Im Zweiten Weltkrieg wiesen beide Worte etwa gleichzeitig
eine nach oben weisende Kurve auf, die für „Kritik“ weit steiler ausfiel als für „Krise“; Mitte der
1970er-Jahre war für „Kritik“ der obere Scheitelpunkt überschritten, während dies für „Krise“
erst Mitte der 1980er-Jahre der Fall war.
5 Fenske / Hülk / Schuhen (Hg.), Krise als Erzählung; Koselleck, „Fortschritt“.
6 Hardt / Negri, Empire.
7 Husserl, Krisis.
8 Ebd., S. 3 f. und 9.
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Krise
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diesem „Prozess sozialer Gärung“ notwendig utopisch, und es sei diese emphatische „neue Zukunft“, welche die „alte Welt“ in eine Krise stürze.9
Im 20. Jahrhundert führte der enge Zusammenhang von Kritik und Krise zu
einer Totalkonfrontation zwischen dem realfunktionierenden Kapitalismus und
dem realexistierenden Sozialismus. Dabei erhielten Krisendiskurse eine spezifische Schlagseite. Im Ostblock, wie er sich seit den ausgehenden 1940er-Jahren formierte, war es unmöglich, von krisenhaften Entwicklungen zu sprechen.
Denn in Systemen, deren staatliche Meinungslenkung darauf abzielte, die eigene
Überlegenheit zu demonstrieren, konnte es per definitionem keine Krise geben.
Von Legitimationsproblemen war aber auch der Westen heimgesucht und so erstaunt es nicht, dass hier während der Zeit des Wirtschaftswunders vorzugsweise
von „Rezessionen“ die Rede war, um krisenhafte Einbrüche im Wachstumsprozess zu benennen. Eine vergleichsweise freie Presse und eine kritische Öffentlichkeit ermöglichten in den kapitalistischen Industrieländern allerdings eine breite
Diskussion und eine Skandalisierung von Krisen, was auf Erklärungsmodelle
und politische Entscheidungsprozesse zurückwirkte.10 Der letztliche Triumph
des Westens in der globalen Blockkonfrontation wird häufig (und mit guten
Gründen) der Fähigkeit demokratischer Gesellschaften zugeschrieben, ihre Krisenlagen produktiv machen zu können. Krisendiskurse fungierten hier als Verstärkungsfaktoren von Vorgängen, die sich gerade aufgrund dieser Übersteuerung skandalisieren ließen. War die Krise allerdings zum massenmedialen Skandal aufgebaut, setzte die Neutralisierung der politischen Kritik durch Reformen,
Regulierungen und Restabilisierung ein.
Die (post-)stalinistischen Planwirtschaften hingegen kannten keine solche
Entlastung. Weil die öffentliche Verhandlung von wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Krisenzuständen nicht zugelassen werden konnte, gab es auch keine
Korrekturen auslösende Kritik. Der Skandal zerbröselte gleichsam in erniedrigende Alltagserfahrungen. Die bürokratischen Feedback-Mechanismen, die eine
Zeitlang durchaus funktionierten, verloren allerdings ihre Effizienz. Die plötzliche Implosion dieser Gesellschaften zwischen 1989 und 1991 brachte eine seit
längerem anhaltende Systemkrise erst post festum zum Vorschein. Mit der Überhöhung dieses Endes einer weltumspannenden Systemkonkurrenz (wie sie die
Protagonisten konzipiert hatten) zum „Ende der Geschichte“ sollte auch ausgedrückt werden, dass es fortan keine fundamentalen Krisen mehr geben würde
und dass sich Kritik mit Verbesserungsvorschlägen für den kapitalistischen
Markt und die politische Demokratie zu bescheiden habe.11
9
Koselleck, Kritik und Krise, S. 6 f.
Auf die enge Verbindung von Krise und Skandal weist hin: Fulcher, Kapitalismus, S. 175;
mit den politischen Reaktionen auf Wirtschaftskrisen befassen sich: Panizza / Philip (Hg.), Moments of Truth.
11 Fukuyama, „End of History“.
10
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Jakob Tanner
Inzwischen ist die Geschichte zurückgekehrt. Die kolossale Expansion der
Finanzmärkte und der Durchbruch der Finanzialisierung haben der traditionellen Verbindung von Krisenanalyse und Kapitalismuskritik neuen Schwung
verliehen.12 Die Diagnose einer „Systemkrise“ hat einen Teil ihrer (nach 1989
totgesagten) Plausibilität zurückgewonnen.13 Auch die apokalyptische Dramatisierung der Krise schoss ins Kraut.14 Die diskursive Gegenstrategie besteht seither darin, der Krise ihren Kick zu nehmen und sie zum ganz normalen Ereignis zu erklären. So befindet sich heute eine Apologie der Krise im Aufschwung,
die diese als unverzichtbare Lernphase nobilitiert. Wenn es keine Krisen gäbe,
müsste man sie erfinden.
Krise als semantischer Blockbuster
Das Wort „Krise“ stammt aus dem Griechischen.15 Die krisis bezeichnete hier die
entscheidende Wendung, den Moment der Entscheidung. Ins Deutsche hat die
Crisis im 16. Jahrhundert als medizinischer Terminus Eingang gefunden. Krankheiten wurden in der hippokratisch-galenischen Humoralpathologie als Störung
definiert. Wenn Zusammensetzung und Zusammenspiel der Krasen (Säfte) aus
dem Gleichgewicht gerieten, herrschte eine Dyskrasie.16 Diese wurde als Entität
vorgestellt, die den Körper durchläuft. Aufgabe des Arztes war es, die ständig
sich wandelnden Symptome als transitorische Ausdrucksformen einer permanent permutierenden Krankheit zu entziffern. Der Medicus, der seine Kunst beherrschte, musste die Crisis erkennen, denn genau in diesem Moment konnte er
erfolgreich und lebensrettend intervenieren.17
Im Verlaufe des 17. Jahrhunderts stellte sich eine Assoziation zwischen Krise
und dem Spiel des Zufalls ein. Das Glücksspiel wurde um die Mitte dieses Jahrhunderts im Briefwechsel zwischen Blaise Pascal und Pierre de Fermat erstmals
in probabilistische Kategorien gefasst.18 Damit wurden auch Risiken mathematisch modellierbar und berechenbar. Zum selben Zeitpunkt bürgerte sich der Begriff des Vertrauens ein.19 Die Crisis löste sich im Formationsprozess der moder12
Krippner, „Financialization“; Epstein, Financialization and the World Economy.
Vor allem marxistisch inspirierte Krisenanalysen legen eine solche Sicht nahe. Vgl. Bayram, Globalisierung, Macht, Krise. Aus einer wissensökonomischen Perspektive argumentieren: Amato / Fantacci, End of Finance.
14 Vgl. dazu Link, „Normalisierung der Krise“.
15 Zur historischen Begriffsgeschichte vgl. Koselleck, „Krise“.
16 Kuriyama, „,The Flow of Life‘“; Eleftheriadis, Struktur der hippokratischen Theorie.
17 Die Reformation wertete die Prädestination auf, gegen die weltliches Streben nicht ankam. Für die Menschen blieb das Geschehen deshalb opak. Es konnte in der Krise immer so
oder anders herauskommen. Febvre, L’incroyance.
18 Vgl. Porter, Trust in Numbers; Daston, Probability in the Enlightenment.
19 Seligman, Problem of Trust.
13
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Krise
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nen Welt aus dem medizinischen Kontext und fand Eingang in theologische und
juristische Wissensdispositive.20 Krise wurde zur Metapher für eine Situation,
in der entscheidendes passiert – oder passieren kann. Die enorme Beweglichkeit
dieser Metapher setzte Bedeutungen in Zirkulation. Entfernte Phänomene gerieten in ein wechselseitiges Erhellungsverhältnis und es stellten sich Ähnlichkeiten
ein. Dieses meta-phorein (übertragen, übersetzen, transportieren) hat den Krisenbegriff im Anbruch der Moderne aus der Medizin hinausbefördert und auf
seine Reise durch die Gesellschaft und Wirtschaft geschickt.21
Die Historizität des Begriffs zeigt sich darin, dass „Krise“ im 17. Jahrhundert
noch nicht als gesellschaftliche Selbstbeschreibungskategorie zur Verfügung
stand. Es lassen sich im historischen Rückblick auf diese Zeit zwar so viele „Krisen“ und verschiedenartige „Krisengefühle“ erkennen, dass sich die Rede von
einer „allgemeinen Krise“ eingeschliffen hat.22 Das Drama dieses von Spannungen und Ungleichzeitigkeiten geprägten Jahrhunderts bestand indessen gerade
darin, dass die dramatis personae weder über ein Konzept der Krise noch über
einen Begriff der Gesellschaft haben verfügen können, die es ihnen erlaubt hätten, sich über einen krisenhaften Zustand in einer orientierungsleitenden, ordnungsstiftenden und handlungsrelevanten Weise klar zu werden.23
Dies änderte sich mit der Aufklärung. Seitdem wirkte der Krisenbegriff als
Ferment gesellschaftlicher Veränderung und erfreute sich – wie am Zusammenhang von Kritik und Krise gezeigt – zunehmender Beliebtheit. Krise bürgerte sich
– in Anlehnung an das französische „crise“ – zur Bezeichnung einer „schwierigen Situation“ im Alltagssprachgebrauch ein. Seither ist von „Krise“ dann die
Rede, wenn sich Probleme verdichten, wenn Entwicklungen abbrechen, wenn
Erwartungen durchkreuzt werden. Große gesellschaftliche und wirtschaftliche
Krisen lassen sich im Zeitverlauf lokalisieren und stellen Marker der Zeitrechnung dar. Das Paradebeispiel ist die Französische Revolution, die das „Ancien
Régime“ vom modernen Frankreich abtrennt. Krisen können ein Vorher von einem Nachher abtrennen.
Heute taucht das Wort Krise in unterschiedlichsten Zusammenhängen auf,
von einer Existenzkrise bis hin zur Systemkrise. Typologien unterscheiden Mi20 Von einem etymologischen Holzweg weg führt die Metapherntheorie von Hans Georg
Coenen, der Motivation und Intention ins Spiel bringt. Die Metapher wird von Coenen nicht
als Bedeutungsträger verstanden, der über Denotation eine Kernbedeutung freisetzt, sondern
die Erklärung verläuft gerade umgekehrt: Eine Metapher arbeitet mit den historisch singulären
Konnotationen, mit den sie aufgeladen worden ist. Sie fungiert als eine Art Bedeutungsspeicher
und schafft einen „Bildfeldbereich“. Coenen, Analogie und Metapher.
21 Metaphern wurden in der Interaktionstheorie von Max Black (1954) als Dyade aus Tenor
und Vehikel definiert. Das Vehikel – die Krisis – transportiert den Sinn des Tenors. Vgl. dazu
Black, „Metapher“. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde die Metapherntheorie stark differenziert. Vgl. Lakoff / Johnson, Metaphors.
22 Parker / Smith, General Crisis; Jakubowski-Tiessen, Krisen des 17. Jahrhunderts.
23 Sandl, „Kalkuliertes Risiko“.
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Jakob Tanner
kro-, Meso- und Makrokrisen, System-, Struktur- und Konjunkturkrisen, Überproduktions-, Überinvestitions-, Überakkumulations- und Unterkonsumptionskrisen. Darüber hinaus gibt es unzählige Wortverbinden, von Lebenskrisen
über Beziehungskrisen bis hin zur „Krise der Geschichtswissenschaft“. Ein Blick
auf die historische Statistik des Wortgebrauchs zeugt von der Konjunktur der
„Krise“.24 Wird diese zu analytischen Kontrollzwecken auf das Antonym „Fortschritt“ bezogen, so zeigt sich, dass beide Begriffe sich im ausgehenden 18. Jahrhundert etablierten und zunächst eine parallel laufende Konjunktur aufwiesen
(dies immer bezogen auf die relative Häufigkeit ihres Auftretens in Texten); ab
Mitte der 1820er-Jahre hob der Fortschrittsbegriff allerdings ab, während der
Krisenbegriff erst nach 1900 zulegte. 1931 wurde er erstmals häufiger verwendet als Fortschritt, was sich 1941 wieder änderte. Ab 1976 legte der Krisenbegriff
dann noch deutlicher zu. Werden die Begriffe „Krise“, „Wirtschaftskrise“ und
„Finanzmarktkrise“ in Relation gesetzt, so fällt auf, dass vor allem nach dem Ersten Weltkrieg gehäuft von „Wirtschaftskrise“ die Rede war. Eine Gegenüberstellung mit dem traditionelleren und eingespielteren Begriff „Börsenkrise“ macht
deutlich, dass dieser ab 1880 – also vor der Konjunktur des Wortes „Wirtschaftskrise“ – stärker in Gebrauch kam und einen Spitzenwert in der Großen Depression der 1930er-Jahre erreichte, um sich dann auf hohem Niveau zu halten. Von
„Finanzmarktkrise“ hingegen wird erst seit den 1990er-Jahren in nennenswertem Ausmaß gesprochen.25
Diese statistischen Daten lassen sich durchaus mit historischer Semantik und
Diskursanalyse in Verbindung bringen. Die Analyse sprachlicher Bedeutungen
und diskursiver Regelmäßigkeiten führt allerdings zu Einsichten, die sich mittels einer N-gram-Statistik nicht erzielen lassen. Die These, dass sich die Häufigkeit des Wortgebrauchs auch als Folge einer veränderten Resonanz und Akzeptanz von bedeutsamen und sinnhaften Konzepten ändert, ist jedoch plausibel.
Die „Krise“ wird als rhetorische Figur zum organisierenden Zentrum von Einbildungen und Erzählungen. Neben einer Metaphorologie ist auch eine Narratologie der Krise gefragt, die aufzeigt, wie mit dem Krisenbegriff wirtschaftliche
Verläufe und gesellschaftliche Phänomene narrativ modelliert und in emotionale
Dispositionen integriert werden.26 Krisen können Spannung und Unterhaltung
bieten – sollen wir deswegen „Krisen lieben“, wie Heft 170 des neu lancierten
Kursbuches suggeriert?27 Oder ist „die Krise“ gerade in ihrer perhorreszierten
Form ein Generator von intellektueller Kritik und sozialer Mobilisierung? In vielen Fällen zeigt sich tatsächlich, dass „Krise“ zu einem von vielen Menschen geteilten narrativen Modell für politische Aktivierung werden kann. Mit dem Be24
Alle Daten aus Google Books Ngram Viewer.
David / Mathieu / Schaufelbuehl u. a. (Hg.), Krisen.
26 Meyer / Patzel-Mattern / Schenk (Hg.), Krisengeschichte(n); Fenske / Hülk / Schuhen
(Hg.), Krise als Erzählung.
27 Nassehi (Hg.), Kursbuch 170.
25
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Krise
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griff stellen sich hier interpersonal jene Gefühlslagen ein, die sich wiederum auf
handlungsrelevante Erwartungshaltungen auswirken.28 Je verpflichtender diese
Wahrnehmung auf die Aktion einwirkt und je kürzer der vor dem Point of no return noch verbleibende Zeitraum imaginiert wird, desto radikalisierender kann
sich eine Krise auf jene, denen sie widerfährt, auswirken. In andern Fällen lässt
sich ein Umschlagen in Schockstarre und Lähmung beobachten.
Aus dem Krisenbegriff ließ sich (und lässt sich) so unter Zuhilfenahme einer großen Vielzahl von Gegenbegriffen (als da, neben dem Fortschritt, sind:
Prosperität, Aufschwung, Wachstum, Wohlergehen, Gesundheit, gutes Leben
etc.) ein leistungsfähiges Erzählmuster über Wirtschaft generieren, das in unterschiedlichsten Wissensfeldern und Fachwissenschaften Erklärungen liefern
und das Nachdenken über Alternativen anregen kann. Kriseneffekte können als
kreative Lernprozesse interpretiert werden. Aber auch hier ist immer das Gegenteil in Betracht zu ziehen. Indem Massenmedien alle Krisentypen (ob Struktur-,
System- oder Konjunkturkrisen) in dramaturgische Krisen umcodieren, funktionieren sie als narrative Gleichmacher und emotionale Weichmacher: Ob Weltuntergang, Finanzkrise, Existenzkrise in einer Soap Opera oder wissenschaftlicher Paradigmenwechsel – all dies lässt sich unter einem unterhaltenden und
zugleich spannungslösenden Erzählmuster subsummieren. Krisenerzählungen
erweisen sich als „eine Art kollektives Antidepressivum“29. Sowohl die Dramatisierung wie auch die Vergewöhnlichung von Krisen folgen im massenmedialen
Zeitalter einer Logik der Normalisierung.
Vom Krankheitsmuster zum Konjunkturmodell
Die „Krise“ ist ein narratives Muster, das historisch vielfache Formen angenommen hat.30 Bedeutungsverschiebungen und wertende Ausstrahlungen des Begriffs hängen dabei aufs Engste mit dem Plot zusammen, in welchen die Explikation der Krise jeweils integriert ist.31 Als große Bewegung kann man dabei
die Heraushebung des Krisenbegriffs aus dem medizinischen Diskurs benennen.
Im 18. Jahrhundert wurden für die Beschreibung der großen Finanzblasen
oder Bubbles fast ausschließlich medizinische Termini verwendet. Um die Vorgänge, die sich 1635/37 in Holland abspielten, fassen zu können, sprachen Zeitgenossen von einer „Tulpenmanie“. Dem Ereignis von 1717/20, das als „South
Sea Bubble“ bekannt wurde (und sich parallel zum „Mississippi-Schwindel“ in
Frankreich abspielte)32, widmete Sir John Midriff 1721 eine Satire unter dem ein28
29
30
31
32
Polletta, „Storytelling“.
Leschke, „Medientheorie und Krise“, S. 31.
Ebd., S. 10.
White, Klio dichtet.
Neal, Speculations of John Law and Lord Londonderry.
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Jakob Tanner
schlägigen Titel Observations on the Spleen and Vapours.33 Midriffs Argumentation ging vom Patienten aus und brachte dessen Leiden in einen systematischen
Zusammenhang mit einer gestörten, aus dem Gleichgewicht geratenen Vorstellungskraft, wie sie sich in der obsessiven Beschäftigung mit Aktienkursen und
einem verrückten oder gestörten Kaufverhalten ausdrückte, was wiederum die
Finanzmärkte in einen Boom und eine Blase hineintrieb – mit den bekannten
Folgen eines plötzlichen und katastrophalen Crashs. Für Midriff war der Arzt der
Inspektor der Natur und als solcher konnte er mit ärztlichem Blick medizinische
Leiden, insbesondere üble Launen und Depressionen diagnostizieren. Spleen and
Vapours sind Kategorien der Humoralpathologie, der hippokratisch-galenischen
Viersäftelehre. Solche medizinische Metaphern behielten ihre Wirkungskraft,
als sie im 19. Jahrhundert durch andere Erzählmuster konkurrenziert wurden.
Auf psychische Verrückungen sensibilisiert war der schottische Autor Charles
Mackay, der 1841 seine Annalen des Wahns (so der deutsche Titel) herausbrachte.
Er nannte sie Memoirs of extraordinary popular delusions und beschrieb Geld als
„Ursache von Massenwahnphänomenen“. 1852 fügte er der erweiterten Neuauflage den Titelzusatz and the madness of crowds bei.34
Im Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels aus dem
Jahre 1848 war noch durchwegs von „Handelskrisen“ die Rede, „welche in ihrer periodischen Wiederkehr immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen“. Diese Krisen wurden nach dem Modell einer gefährlichen Ansteckungskrankheit geschildert: Es liege eine „Epidemie der
Überproduktion“ vor, die auch eine „gesellschaftliche Epidemie“ sei, „welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre“.35 Kurze Zeit danach,
in den 1850er- und 1860er-Jahren, beschrieb der Konjunkturforscher Clément
Juglar einen neu aufgetretenen 7– bis 11-jährigen „Industriezyklus“.36 Als Arzt
hatte er ein Sensorium für die „Fieberausschläge“ der kommerziellen Aktivitäten. Krankheitsvergleiche und insbesondere auch die Schwindel-Metapher hielten sich in Krisenerklärungen im 20. Jahrhundert.37 Und auch heute hält sich
ein Begriffstransfer aus der Medizin in die Wirtschaft. So bezeichnete etwa der
deutsche Psychoanalytiker und Sozialphilosoph Horst-Eberhard Richter 2009
den „modernen Kapitalismus“ als „krank“.38
Wir sind hier mit einer metaphorischen Übertragung des Krisenbegriffs aus
dem medizinischen in den ökonomischen Diskurs konfrontiert, der viele Gleich33
Midriff, Observations.
Mackay, Zeichen und Wunder, S. 359. Mackay ließ sich u. a. durch Schilderungen in Jonathan Swifts „Gullivers Reisen“ (1726) inspirieren.
35 Marx / Engels, „Manifest“, S. 467 f.
36 Juglar, „Crises commerciales“; ders., Crises commerciales et leur retour.
37 So schrieb u. a. der russische Sozialrevolutionär (und spätere deutsche Sozialdemokrat)
Alexander Parvus (Israil Lasarewitsch Helphand) 1901 über einen krisengenerierenden „Gründer- und Bankschwindel“. Vgl. Parvus, Handelskrisis.
38 Ott, Interview mit Psychoanalytiker Richter.
34
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Krise
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zeitigkeiten und Inkonsistenzen generierte, und deshalb ein äußerst lohnenswertes Feld für die historische Forschung darstellt. Konkret geht es um die diskursive Aneignung der Krisenbegrifflichkeit im Objektivitätsgestus der modernen
wissenschaftlichen Kritik.
Historisch befasste sich in diesem Sinne zunächst vor allem die politische
Linke mit „Krisentheorien“, über die z. B. Karl Kautsky zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Neuen Zeit eine Artikelserie veröffentlichte, die mit der Feststellung begann, „kein Mensch mit gesunden fünf Sinnen“ könne daran zweifeln,
„dass wir uns inmitten einer allgemeinen Weltkrise befinden“.39 Diese Weltkrisendiagnose wurde mit allgemeinen Bezügen zum Gesetz des tendenziellen Falls
der Profitrate grundiert, war aber primär politisch motiviert. Für Kautsky stehen
„Theorie und Taktik […] in innigster Wechselwirkung miteinander“; seine Krisentheorie korrespondiert mit seiner Auffassung der Sozialdemokratie als einer
„Partei des proletarischen Klassenkampfes“ (in Absetzung zur revisionistischen
Konzeption einer „modernisierten Volkspartei“) und mit der wiederum dazu
passenden Vorstellung, dass „die kapitalistische Produktionsweise einer Periode
ständiger Depression entgegen[geht]“.40
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden diese ideologischen Krisentheorien in
empirisch basierte Konjunkturtheorien transformiert, die sich indessen nicht
von politischen Instrumentalisierungen zu lösen vermochten. Die Konjunkturtheorie baute auf den Datensätzen neu gegründeter Forschungseinrichtungen
und weiterer statistischer Institutionen auf; 1920 entstand in den USA das National Bureau of Economic Research (NBER); 1925 gründete Ernst Wagemann in
Berlin das Institut für Konjunkturforschung. Gemeinsames Ziel war es, die Erklärung konjunktureller Schwankungen auf Erkenntnisse der Makroökonomie
zu beziehen. In Deutschland wurde diese Entwicklung neben Wagemann durch
Arthur Spiethoff vorangetrieben,41 in den USA gehören Arthur F. Burns und
Wesley C. Mitchell zu den Pionieren. Seit 1920 publizierten sie mit dem Harvard-Indikator ein datenbasiertes Messinstrument für die gesamtwirtschaftliche
Aktivität. 1926 veröffentlichte auch der russische Statistiker Nicolai Kondratieff
sein Hauptwerk über die „langen Wellen der Konjunktur“ zwischen 1750 und
1925, mit dem er das Modell der nach ihm benannten „Kondratieff-Zyklen“ begründete.
Mit der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre stürzten zwar simple Modelle
wie der Harvard-Indikator ab; mathematische Statistik und Ökonometrie erhielten aber gleichzeitig einen mächtigen Auftrieb. Die erste große „theoretische
Untersuchung der Konjunkturbewegungen“ wurde 1937 vom Harvard-Ökonom
Gottfried Habeler unter dem Titel „Prosperität und Depression“ vorgelegt. Aus39
40
41
Kautsky, „Krisentheorien“, S. 33.
Ebd., S. 67 f.
Speich, Bruttosozialprodukt; Tooze, Statistics; vgl. auch ders., „Vermessung der Welt“.
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Jakob Tanner
löser war ein Beschluss des Völkerbundes vom September 1930, „die analytische Arbeit zu koordinieren, die bis anhin dem Problem der periodischen Wiederkehr wirtschaftlicher Depressionen gewidmet worden war“.42 Habeler unterschied fünf Typen von Konjunkturtheorien, nämlich rein monetäre Theorien,
Überinvestitionstheorien, Unterkonsumtionstheorien, Psychologische Theorien
und Erntetheorien.43 Daran schloss sich in späteren Ausgaben ein langes Kapitel über „einige neuere Diskussionen“, das sich mit John Maynard Keynes Allgemeiner Theorie (die im selben Jahr erschienen war) auseinandersetzte. Ab 1933
erschien die Zeitschrift Econometrica, die sich u. a. der Business-Cycle Theory
widmete. Diskutiert wurden Modelle für alle möglichen zyklischen Schwankungen der Wirtschaft, von kurzfristigen Lagerhaltungszyklen über den so genannten „Schweinezyklus“ und den Industriezyklus bis hin zu – speziell im Fokus
von Kuznets – langfristigen konjunkturellen Wechsellagen. Simon Kuznets entdeckte in den 1920er-Jahren einen 15- bis 20-jährigen Konjunkturzyklus und
modellierte diese Schwankungen später als Long Swings.44 Anders als Kondratieff, der auf Preisindizes zurückgriff, erstellte Kuznets Zeitreihen zu langfristigen Schwankungen der Investitionstätigkeit. Damit kam er der Sache, die er erklären wollte – nämlich Rhythmus und Verlauf der Kapitalbildung –, näher. Er
trieb die Zeitreihenanalyse voran, setzte sich mit der so genannten Indexproblematik (index number problem) und mit Glättungsverfahren auseinander und
machte Versuche zur mathematisch-algebraischen Formalisierung konjunkturtheoretischer Modelle.
Die in der Zwischenkriegszeit entwickelten Konjunkturtheorien versuchten,
statistische mit theoretischen Modellen zu vermitteln. In statistischer Hinsicht
waren sie einfach gestaltet. „Krise“ stellt auf der phänomenologischen Ebene
hier einfach den Namen für eine bestimmte, gegenüber dem Aufschwung relativ kurze, Phase in einem vierphasigen Sägezahnmuster-Verlaufsmodell dar, das
mit Trough beginnt, über Expansion zum Peak verläuft, um in die Contraction
überzugehen, womit ein neuer Trough erreicht wird. Das NBER standardisierte
dieses Zyklenmodell mit Blick auf seine forschungspraktische Operationalisierung. Theoretisch stellten diese Modelle allerdings Experimentallaboratorien für
Kausalverknüpfungen dar. Das Studium von Krisenphasen erhielt einen heuristischen Wert für ein umfassendes Verständnis diskontinuierlicher wirtschaftlicher Wachstumsprozesse. Insgesamt geriet die konjunkturtheoretische Diskussion in den 1930er-Jahren stark in den Sog einer zunehmenden Nachfrage nach
wirtschaftspolitischen Programmen, wie sie Keynes vorschlug.
Diese Darstellung von Konjunkturverläufen durch mathematische Formeln
hat zwei Effekte. Zum einen kehren Krisen mit ebenso großer Regelmäßigkeit
42
43
44
A. Loveday. „Vorwort zur ersten Auflage“, in: Habeler, Prosperität, S. 5.
Habeler, Prosperität, S. 17–164.
Kuznets, Secular Movements.
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Krise
163
wieder, wie sie dann auch wieder verschwinden. Als Wahrnehmungsschema
prägen sich Schwingungskurven und Wellenformen ein. Diese entstehen durch
die Überlagerung der beiden basalen Zeitmodelle: des Pfeils und des Kreises.45
Wenn sich eine Rotationsbewegung auf einer Zeitachse vorwärtsbewegt, entsteht
das Bild eines Zyklus. Die Kreisbewegung stellt das reversible Moment dar und
macht die Wiederkehr des Immer-Gleichen denkbar. Der Pfeil steht für Irreversibilität, also für genuin historische Vorgänge, die informationstheoretisch als
Symmetriebrechung analysiert werden können. Diese Verbindung von Irreversiblem und Repetitivem stellt sich unabhängig davon ein, ob die Schwingungskurven durch Sinuskurven, Polynome oder die Lotka-Volterra-Formel generiert
werden (die mathematisch ganz unterschiedlich konstruiert sind).
Zum andern werden Krisen zu so genannten stylized facts. Die Konjunkturbewegungen repräsentieren visuell ein formales Modell. Die algebraischen Gleichungssysteme lösen sich von den empirisch gewonnen, vielfach unvollständigen und „schmutzigen“ Daten, bleiben aber doch in ihrem Bann, denn „saubere“
Kurvenverläufe (wie bei Polynomen) oder Neigungswinkel für Geraden (wie bei
linearen Regressionen) beziehen ihre Plausibilität aus dem Maß, in dem es ihnen
gelingt, die (Quadrat-)Abweichung zu diesen Einzeldaten zu minimieren und
eine (wie auch immer) adäquate Linienführung zustande zu bringen. Das Kurvendiagramm gibt die stylized facts, d. h. formalisierte Tatsachen wieder. So unterschied etwa Kondratieff in den im nächsten Kapitel diskutierten Preisreihen
eine stilisierte „ausgeglichene Reihe“ von einer erratisch verlaufenden „empirischen Reihe“. Erstere gibt gleichsam die innere Wahrheit des Kurvenverlaufs wieder und ermöglicht es, seinen Gesetzmäßigkeiten auf die Schliche zu kommen.
Wessen Krise?
Zeitliche und sozialräumliche Differenzierungen
Um als Historiker produktiv mit dem Begriff der Krise arbeiten zu können, sind
mehrere Präzisierungen angezeigt. Krise ist zwar ein generalisierter Begriff, aber
Krisen wirkten historisch differenziell. Depression und Prosperität sind keine
homogenen Phänomene. Auch in Krisenphasen fallen Feste. Und auch eine
Hochkonjunktur treibt Menschen in Existenzängste. Jede und jeder kann jederzeit eine Krise haben. Illiquidität und Insolvenz trafen natürliche und juristische Personen (Unternehmen) zu unterschiedlichen Zeiten. Es gibt zwar so etwas
wie gesellschaftliche Aggregatzustände, doch diese sind nicht für alle Menschen,
Gruppen, Unternehmen, Wirtschaftssektoren und Regionen gleichermaßen einschlägig. Konjunkturelle Wechsellagen konkretisieren sich in lokalen Kontexten. Weltweite Wirtschafts- und Finanzmarktkrisen äußern sich als persönliche
45
Gould, Tiefenzeit; Vogl, Kalkül.
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164
Jakob Tanner
Krisen. Ein (wirtschafts-)historisch brauchbares Konzept muss erstens Beschreibungsebenen und Beobachtungsstandpunkte von Krisen unterscheiden und zeigen können, wie sich subjektives Krisenerleben und systemische Krisendynamik
wechselseitig erhellen können. Die Sozialpsychologie der Krisen weist auf die
kollektiven Effekte hin, die sich aus Nachahmungs- und Ansteckungsprozessen ergeben, die zu kumulativem Vertrauensverlust und hypertrophen Zukunftsängsten führen. Die Geschichte bleibt indessen zwingend multiperspektivisch,
denn ein Zoomen in eine Krise mittels Close ups lässt sich nicht direkt auf die
Long shots der Krisenentwicklung beziehen. Produktiv ist deshalb ein narratives
Spiel mit Größenordnungen, die so genannten jeux d’échelles des individuellen
Umgangs mit Krisen und der sozialen Krisenerfahrung.46 Zweitens gilt es, die
sozialen und räumlichen Ungleichzeitigkeiten und die geographischen Disparitäten von Krisen zu beachten.
Die Kategorie der Erwartung, die seit John Maynard Keynes für die Analyse gesamtwirtschaftlicher Wachstumsschwankungen zentral geworden ist, öffnet einen Zugang für das Verstehen individueller Reaktionen. Märkte sind auf
Vertrauen, auf Mechanismen der Erwartungsstabilisierung angewiesen. Keynes
spricht von einem State of confidence, der Selffulfilling prophecies in Gang setzen
kann. Die gleichgerichteten Erwartungen von Marktteilnehmern produzieren
das erwünschte Resultat. Diese prästabilierte Harmonie von Erwartungshaltung
und Systementwicklung wird durch Krisen zerstört. Die Einsicht in den endogenen Prozess massenhaft einbrechender Erwartungen kann Individuen nicht davon abhalten, in der Krise etwas zu sehen, was von außen über sie hereinbricht.
Krisen sind Überraschungen. Das zeigt sich am drastischsten auf den hoch reagiblen, hypervolatilen Finanzmärkten. Die große Mehrheit der Marktteilnehmer rechnet nicht mit ihnen, sonst würde sich das Preisniveau für Wertpapiere
nicht auf jenes Niveau entwickeln, von dem aus es in der Folge abstürzt. Prognosemodelle, auf die bisher Verlass war, produzieren plötzlich keine brauchbare Information mehr. Das Vertrauen in bewährte Regeln erodiert. Es gibt im
Kipp-Moment nichts mehr, woran Einzelne sich halten könnten. Börsenkrisen
stellen mithin aus der Sicht der beteiligten Akteure Deutungskrisen dar.47 „Der
Markt“ macht etwas mit ihren Vermögenswerten, das sie sich nicht vorstellen
wollen und mit dem sie nicht gerechnet haben.
Doch auch in diesen Phasen, in denen massenhaft Geld „verdampft“, gibt es
neben vielen Verlierern auch einige Gewinner. Aus der Sicht querdenkender Einzelner stellt die Krise den Moment dar, auf den sie gewartet oder gewettet haben, um ihre große Chance wahrzunehmen. Sie werden gewissermaßen unter
Bedingungen eines allgemeinen Kriseneinbruchs zu den Schmieden ihres eigenen Glücks. Solche Vorgänge spielten sich auch in Phasen ab, die insgesamt nicht
46
47
Revel (Hg.), Jeux d’échelles.
Schmidt-Beck, „Börsenkrise“.
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Krise
165
als speziell krisenhaft betrachtet werden. So kam es im Herbst 1992 zu einer
Krise des Britischen Pfundes, ausgelöst durch eine potente Spekulation, welche
diese Währung als überbewertet betrachtete und auf eine Abwertung setzte, die
mit dem Austritt des Pfundes aus dem Europäischen Währungssystem auch tatsächlich stattfand und George Soros einen Milliardengewinn verschaffte. Solche
spekulativen Attacken können auch mit Verlusten enden, was dann der Fall ist,
wenn z. B. jene, die mit dem Kauf von Futures auf eine negative Preisentwicklung
auf Aktienmärkten gesetzt haben, am Stichtag sehen müssen, dass sie sich getäuscht haben. In all diesen Fällen gilt, dass sich in der Krisenerfahrung die Lage
von Individuen, Unternehmen, Branchen, Nationalökonomien und der globalen
Wirtschaft widersprüchlich verschränken.
Besonders interessant ist eine Analyse von Krisenprozessen innerhalb von Unternehmen. Dass jede Firma auch scheitern kann und dass die breite Heerstraße
der Industrialisierung von unzähligen Investitionswracks gesäumt ist, stellt eine
Binsenwahrheit dar. Wirtschaftsgeschichte sollte deshalb auch immer als Geschichte von Bankrotten, Konkursen und Pleiten geschrieben werden.48 Der
Blick auf jene Unternehmen, für welche die Krise mit dem Exitus endete, stellt
ein wirksames Korrektiv gegen die „Erfolgsillusion“ dar, die aus einer einseitigen Darstellung von Evolutionsprozessen resultiert. Die Scheidung von erfolgreichen Überlebenden und scheiternden Verschwindenden verstellt jedoch den
Blick auf einen der interessantesten Vorgänge.49 Albert O. Hirschman sieht in
Unternehmen Entscheidungsmaschinen, die epistemologisch konstitutiv prekarisiert sind, weil ihnen das Wissen der Zukunft systematisch fehlt. Unternehmen
taumeln immerzu und müssen sich laufend neu erfinden.50 Die Power of failure51
stellt dabei den entscheidenden Treibsatz zum Erfolg dar. Kein Unternehmen
wäre begonnen worden, wenn der Investor alle Tücken der künftigen Entwicklung glasklar vor Augen gehabt hätte. Der Unternehmer verdrängt mit der Hoffnung des Gelingens jene existenzbedrohenden Ereignisse, die ihn später mit hoher Wahrscheinlichkeit heimsuchen. Ein erfolgreicher Unternehmer mag diese
Probleme erahnen, er muss jedoch Alpträume, Schreckgespenste, Horrorvisionen und – verallgemeinernd – deprimierende Krisenlagen überdauern können,
durch innovatives Handeln, heitere Gelassenheit und zähe Geduld. Er hat sich in
„schöpferischer Zerstörung“52 zu üben und Risiken in Kauf zu nehmen. Um sich
auf das Wagnis überhaupt einzulassen, ist eine systematische Sichtbeschränkung
unverzichtbar. Zu viel Wissen paralysiert. Eine vereinfachende, gleichbleibende
Bedingungen (ceteris paribus, rebus sic stantibus) unterstellende Sicht bringt ein
Projekt weiter. Unternehmer gleichen somit den tollkühnen Männern mit ih48
49
50
51
52
Köhler / Rossfeld (Hg.), Pleitiers und Bankrotteure.
Bergmann / Hahn / Langhof u. a. (Hg.), Scheitern.
Hirschman, „Hiding hand“.
Vgl. dazu: Gladwell, „Gift of Doubt“.
Vgl. dazu Schumpeter, Kapitalismus, Kapitel 7, S. 134–142.
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Jakob Tanner
ren fliegenden Kisten. Sie glauben fest daran, dass sie oben bleiben können, und
diese Überzeugung sensibilisiert sie häufig für ein geschicktes Verhalten in turbulenten Möglichkeitsräumen und für ein wendiges Ausräumen von Hindernissen. Hirschman spricht – in Anlehnung an Adam Smith legendäre unsichtbare
Hand des Marktes – von der „verheimlichenden Hand“ in der Welt der Unternehmen. Die „sichtbare Hand der Manager“ greift nur dann, wenn Mechanismen der Komplexitätsreduktion und der Wissensbeschränkung funktionieren.53
„The Principle of the Hiding Hand“54 transformiert – analog zur Idee, die Smith
für Marktprozesse formuliert hatte – die Fehlplanungen und Falscheinschätzungen rentabilitätsorientierter Investoren und effizienzgetrimmter Manager in
kreative Anpassungs- und Adaptationsprozesse, die Produktionsmethoden und
das Produktangebot diversifizieren, flexibilisieren, um so das Unternehmen gegen jene Krisen zu wappnen, aus denen diese Erneuerungen hervorgegangen
sind. Die Sache wird so tautologisch: die Krise als Palliativmittel gegen die Krise.
Aus einzelwirtschaftlicher (d. h. unternehmerischer) Sicht lassen sich damit jene
paradoxen Krisenüberwindungsstrategien entwickeln, die lerntheoretisch argumentierte Krisentheoretiker für die Moderne insgesamt am Werke sehen.
Was die geographische und soziale Reichweite von Krisendiagnosen betrifft,
so bleiben diese immer räumlich beschränkt und standortabhängig. Auf diesen
Sachverhalt wies u. a. Kondratieff hin, der sich über die „langen Wellen“ hinaus
mit der säkularen Veränderung der relativen Preise von landwirtschaftlichen
und industriellen Waren befasste. Werden die beiden Gütergruppen zwischen
unterschiedlichen Produktionssphären hin- und hergetauscht, so resultiert aus
diesen Preisdisparitäten eine Verschiebung der terms of trade. Kondratieff zeichnet die gegenläufige Entwicklung der Preise für „Industrielle Waren“ und für
„Landwirtschaftliche Waren“ für den sehr langen Zeitraum zwischen dem ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die beginnenden 1920er-Jahre auf. Für ein Jahrhundert, bis ca. 1880, bekamen landwirtschaftliche Produzenten aufgrund der
relativen Preissteigerung für das, was sie zu verkaufen hatten, immer mehr industrielle Waren. Anschließend war es umgekehrt, sodass die Industrie ihre
Wachstumsbedingungen verbessern konnte, während der Agarsektor unter Kostendruck geriet. Des Einen Prosperität ist des Andern Depression.
Dieses Sektorenmodell lässt sich auch auf die Fläche umlegen. Die Krisen in
einem Teil der Welt können durchaus mit Wachstum in einem anderen Teil korrelieren. Auch in der großen Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre, welche den
internationalen Handel und die globalen Finanzmärkte über Jahre hinweg drastisch schrumpfen ließ, gab es Länder, die Industrialisierungsvorteile realisieren
konnten.55 Die Theorie der Importsubstitution stellt eine kausale Verknüpfung
53
54
55
Chandler, Visible Hand.
Hirschman, „Hiding hand“.
James, End of Globalization.
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Krise
167
zwischen den gegenläufigen Entwicklungen her. Aktuelle Studien wiederum
weisen darauf hin, dass riesige Wirtschaftsregionen wie China auf die globale
Finanzmarktkrise mit Gelassenheit reagierten (und damit einen Meltdown des
internationalen Kreditsystems verhindern halfen). Die chinesische Exportindustrie und die Importnachfrage waren auch während der akuten Krisenphase weiter gewachsen und setzten damit auf Weltmarktniveau Impulse für eine wirtschaftliche Erholung in krisenhaften Volkswirtschaften frei. Auch innerhalb der
entwickelten Industrieländer lässt sich kein einheitliches Bild zeichnen. 1996 publizierte Hermann Simon die Studie „Hidden Champions“, in der die 500 erfolgreichsten, jedoch unbekannten Firmen auf dem Globus analysiert werden. Der
Autor gelangt zum Schluss, es gebe viele vitale, insbesondere mittelständische
Unternehmen, die außerhalb ihrer Branche unbekannt und weitgehend „krisenresistent“ seien.56 Dieser Sachverhalt unterläuft die Generaldiagnose „Krise“.
Das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate
(Karl Marx)
Nach diesem historischen Überblick werden in drei Schritten Krisenmodelle seziert. Ohne einem wissenschaftshistorischen Internalismus zu verfallen, sollen
die theoretische Konstruktion und die argumentative Logik dieser Ansätze herausgearbeitet werden. Als erste wird die Krisentheorie von Karl Marx vorgestellt, die selber krisenhafte Abstiegs- und kometenhafte Aufstiegsphasen durchmachte. Für Marx unterminiert die kapitalistische Produktionsweise auf längere
Sicht ihre eigenen Bestandsvoraussetzungen. Denn sie komprimiert die Profitrate nach und nach so weit, dass dem Akkumulationsmechanismus gleichsam
der Treibstoff ausgeht. Marx analysiert zwar auch, wie Krisen über „Kapitalvernichtung“ als Bedingung für die Selbsterhaltung des Kapitals funktionieren.
Doch für Marx ist der Kapitalismus nicht das letzte Wort der Geschichte. Er will
vielmehr dessen Ausweglosigkeit aufzeigen. Die äußerst dynamischen Produktionskräfte, welche die kapitalistische Industrialisierung vorantreiben, müssen
– dies die These – zwingend mit den Produktionsverhältnissen in einen Widerspruch geraten. Die Produktionsweise zerbricht – wie jedes historische Ausbeutungssystem zuvor – an einem inhärenten Antagonismus. Das Kapital (1867) ist
von einem starken Willen zu einer logisch stringenten Argumentation durchdrungen, der sich in den posthum erschienenen Bänden zwei und drei des Kapitals (1885, 1894) und in den drei Bänden zu den Theorien über den Mehrwert
(1905 bis 1910) fortsetzt. Er findet sich auch in weiteren Schriften, welche, wie
die Grundrisse von 1857 und die Resultate von 1863/65, Vorstudien zu Das Kapital darstellten.
56
Simon, Hidden Champions. Die Studie wird seither fortgeführt.
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Jakob Tanner
Marx geht von einer Arbeitswerttheorie aus, die schon bei Adam Smith in
Frontstellung gegen die Physiokraten entwickelt worden war und die von David
Ricardo weiter entfaltet wurde. Diese Theorie definiert (durchschnittlich produktive) Arbeit als alleinige und exklusive Quelle wirtschaftlicher Wertschöpfung. Produktionsmittel, Maschinen und Werkzeuge sind dagegen geronnene,
vergegenständlichte, „tote“ Arbeit; sie enthalten Wert, weil es das Produkt vergangener Arbeit ist und es setzt Wert frei, weil es durch lebendige Arbeit in Gang
gesetzt und im Produktionsprozess vernetzt wird. Marx schreibt: „Die in den
Produktionsmitteln bereits enthaltene Arbeit ist dieselbe wie die neu zugesetzte.
Sie unterscheiden sich nur dadurch, dass die eine vergegenständlicht ist in Gebrauchswerten und die andre im Prozess dieser Vergegenständlichung begriffen, die eine vergangen, die andre gegenwärtig, die eine tot, die andre lebendig,
die eine vergegenständlicht im Perfektum, die andre sich vergegenständlichend
im Präsens ist. Im Umfang, worin die vergegenständlichte Arbeit lebendige ersetzt, wird sie selbst ein Prozess, verwertet sie sich, wird sie ein Fluens, das eine
Fluxion schafft.“57
Kapital ist somit der permanent „sich selbst verwertende Wert“.58 Die Ware
Arbeitskraft schafft in der Verausgabung ihrer Arbeit in diesem „Selbstverwertungsprozess“ nicht nur Wert, sondern „Mehrwert“. Da die Arbeitskraft weniger
kostet, als Arbeit an Wert erzeugen kann, wird ein Teil davon vom Kapitalisten
angeeignet. Die Marx’sche Theorie geht also nicht von einem Marktgleichgewicht (in dem alle bekommen, was ihnen zusteht), sondern von einem Surplus
aus, den die eine Seite (die Arbeit) generiert und den die andere Seite (das Kapital) sich aneignet. Das kapitalistische System basiert deshalb auf systematischer
Ausbeutung. Kapitalisten versuchen, ihren Anteil am produzierten Wert, d. h.
den Mehrwert, zu maximieren. Die Strategie der absoluten Mehrwertsteigerung,
die auf eine Ausdehnung des Arbeitstages hinausläuft, bietet dazu eine Möglichkeit. Das Erfolgsprinzip des Kapitalismus besteht allerdings in der relativen
Mehrwertproduktion: Aufgrund der Investition in Kapital und der so erzielten
Produktivitätssteigerungen können die Güter und Dienstleistungen, die ein Arbeiter- oder Angestelltenhaushalt für ihren Lebensunterhalt benötigen (und die
den Wert der Ware Arbeitskraft ausmachen), in immer kürzerer Zeit hergestellt
werden, sodass ein immer größerer Teil des produzierten Werts vom Kapital als
Mehrwert angeeignet werden kann. Dies auch dann, wenn der Arbeitstag verkürzt wird.
Trotz oder gerade wegen dieser Möglichkeit muss der Kapitalismus schließlich
zu seinem Ende kommen. Dies nicht nur aufgrund einer sich formierenden Arbeiterbewegung, welche mit dem Schlachtruf „Expropriiert die Expropriateure“
57
Marx, „Kritik der Politischen Ökonomie“, S. 21 f. Dieses Werk, das als Vorstudie zum
„Kapital“ in den Jahren 1863 bis 65 entstanden ist, wird zitiert, weil es den Sachverhalt konzise
zusammenfasst.
58 Ebd.
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169
zum Sturm auf das bürgerliche Eigentum ansetzt (wie sich dies Marx erhoffte).
Das Kapital wird vielmehr zum eigenen Totengräber aufgrund der inneren Mechanik der Wertschöpfung. In dieser Hinsicht argumentiert Marx streng formalistisch. Der Kapitalist presst aus der lebendigen Arbeit einen Mehrwert (= m)
heraus. Diesen setzt er ins Verhältnis zum gesamten eingesetzten Kapital, wozu
neben Maschinen und Material (konstantes Kapital = c) auch die eingesetzten
Arbeitskräfte (variables Kapital = v) gehören. Er ist an der Profitrate (= p) interessiert. Diese errechnet sich als Quotient von Mehrwert und (variablem und konstantem) Kapital. Also gilt:
p=
m
c+v
Das Problem für die kapitalistische Produktionsweise, das Marx in Band 3 des
Kapital analysiert, besteht nun darin, dass das Verhältnis zwischen konstantem
und variablem Kapital (c/v) zunimmt. Marx spricht von der steigenden „organischen Zusammensetzung“ des Kapitals, welche die Zunahme der Mehrwertrate überrundet. Dieser Zusammenhang wird einsichtig, wenn die obige Formel
durch den Ausdruck 1/v erweitert wird. Dann ergibt sich:
p=
m
v
1 + vc
Die Profitrate kann so als Funktion der Mehrwertrate und der organischen Zusammensetzung des Kapitals ausgedrückt werden. Weil letztere stärker zunimmt
als die Mehrwertrate (für Marx gibt es keinen „kapitalsparenden technischen
Fortschritt“), fällt die Profitrate, je stärker die Produktionsweise sich entfaltet.
Diesen Sachverhalt nennt Marx in Band 3 von Das Kapital das „Gesetz vom
tendenziellen Fall der Profitrate“. Er konstruierte mit dieser Gesetzmäßigkeit,
der auch schon Ricardo zugestimmt hätte, keine kontinuierliche Niedergangsgeschichte, sondern sieht kontingente Entwicklungsverläufe voraus. Insbesondere rechnet er mit „Gegentendenzen“, die dem Fall der Profitrate entgegenwirken und die Investitionsneigung regenerieren können. Doch trotz kurz- oder
mittelfristiger Erleichterungen ist in dieser kapitalistischen Profitwirtschaft irgendeinmal die Luft draußen, und dann ist Schluss. Die versteckte Wahrheit
des im 19. Jahrhundert triumphierenden Kapitalismus ist eine unabwendbare
finale Systemkrise. Der Zusammenbruch der Produktionsweise geht dann in einen politischen Umbruch über. Daraus speiste sich eine Revolutionserwartung,
die Marx als wacher Beobachter der Weltpolitik Zeit seines Lebens hegte und
die fortan auch in der Arbeiterbewegung kultiviert wurde. Wann die Zeit für
die revolutionäre Krise „reif“ sein würde, darüber wurde in der Linken gestritten. Gleichsam als reziprokes Korrelat zu den „Gegentendenzen“ (die einen langen Atem des „Genossen Trend“ voraussetzten) sahen entscheidungsentschlos-
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sene Revolutionäre „Abkürzungsstrategien“ vor (insbesondere Lenin mit seiner
voluntaristischen These von Russland als dem schwächsten Glied“ in der imperialistischen Kette).
Bei Marx bekommt die finale Krisenperspektive einen Einschlag ins Metaphysische, der bei späteren Marxisten wie Karl Mattick noch stärker hervortrat. Verschiedene Annahmen, die Marx mit seiner Arbeitswerttheorie traf, lassen sich
im Kontext des 19. Jahrhunderts verstehen.59 Die Auffassung, dass sich die Dynamik des Kapitalismus aufgrund endogener Tendenzen zwingend erschöpfen
müsse, wurde allerdings auch im 20. Jahrhundert von herausragenden Theoretikern weiter vertreten. So gab Joseph Schumpeter in seinem einflussreichen Werk
„Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ von 1942 auf die selbst gestellte
Frage „Kann der Kapitalismus weiterleben?“ die fatalistische Antwort „Nein,
meines Erachtens nicht“.60 Schumpeter vermochte sich mit der politischen Kapitalismuskritik der Linken nicht anzufreunden, er sprach jedoch als Nicht-Marxist vom „Schwinden der Investitionschancen“ und stellte fest, Marx habe nicht
nur mit seiner Auffassung, dass dem Kapitalismus eine „Tendenz zur Selbststörung“ innewohne, recht behalten, sondern auch mit seiner Vision der „Entstehung einer sozialistischen Zivilisation“.61 Eine analoge Zustimmung zur These
eines zwingenden Niedergangs des Kapitalismus erhielt Marx auch etwa von
Karl Polanyi und Piero Sraffa.62
Umkämpftes Gleichgewicht
(John Maynard Keynes und Friedrich A. Hayek)
Die Vorstellung eines konjunkturellen Auf und Ab war in der Zwischenkriegszeit durchgängig etabliert. Neben den (erwähnten) Theoretikern einer zu erwartenden Systemkrise des Kapitalismus gab es nun Ökonomen, die entweder dem
kapitalistischen Markt eine glänzende Zukunft voraussagten oder die schlicht
erklärten, auf die Länge seien wir alle tot, weswegen es sinnvoll sei, sich auf die
wirksame Bekämpfung aktueller Krisen zu konzentrieren. Dazu gehörte der keynesianische Ansatz, der die regulative Idee einer antizyklischen Wirtschaftspolitik durch die staatliche Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage vertritt.
Der Keynesianismus sieht in den Staatsfinanzen (und in der Staatsverschuldung)
den entscheidenden Hebel, um die zyklische Entwicklung der Wirtschaft abzudämpfen oder gar zum Verschwinden zu bringen.
59 Eine ausgezeichnete und abwägende Analyse leistete Mitte der 1970er-Jahre Piero Sinn.
Vgl. Sinn, „Marxsche Gesetz“.
60 Schumpeter, Kapitalismus, S. 105.
61 Ebd., S. 261 f.
62 Polanyi, Great Transformation; Sraffa, Warenproduktion.
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Aus Sicht der Neoklassiker oder der Neoliberalen (wie sie sich schon seit Ende
der 1930er-Jahre nennen sollten) ist diese interventionistische Einstellung des
Teufels und die Ursache aller Probleme. Insbesondere Ludwig von Mieses und
Friedrich A. Hayek sahen die Gefahr immer vom Staat ausgehen. Hayek disqualifizierte die Erhöhung der Staatsquote als „Weg in die Knechtschaft“.63 Es
ist der Markt, der es richtet. Die Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität
in beide Richtungen halten ein dynamisches Gleichgewicht aufrecht. Statische
Gleichgewichts- und starre Planungsmodelle scheitern aus dieser Sicht an einer
Informationsentropie. Das Frequenz-Amplituden-Modell transportiert hingegen die Idee einer selbstreferentiellen Stabilisierung eines arbeitsteilig spezialisierten, komplex ausdifferenzierten Wirtschaftssystems. Ausschläge nach unten
sind gerade keine Anzeichen für eine „kritische Situation“, sondern sie demonstrieren, dass die basalen Selbsterhaltungsmechanismen und Feedback-Loops
des Markt-Preis-Mechanismus funktionieren. Pendelbewegungen sind effektive
Anzeichen für anhaltende Überlebensfähigkeit. Mit jeder Leistungsexkursion
nach oben und jeder Leistungskontraktion nach unten werden Gegen- oder Ausgleichskräfte aktiviert, die auf den Normalpfad, den Wachstumspfad, zurückführen.64
Neoliberale Hayekianer und staatsinterventionistische Keynesianer verfügen
über antagonistische Konzepte. Neoliberale verstehen die Abweichungen vom
Gleichgewichtspfad als dynamisierende Suchbewegung, die den „Wettbewerb als
Entdeckungsverfahren“ weitertreiben und à la longue eine optimale Ressourcenallokation gewährleisten.65 Ein wenig Unordnung muss sein, damit sich die
„spontane Ordnung“ des Marktes bei Verstand halten kann.66 Wenn man diesen Markt nur machen lässt, gibt es nur noch Schwankungen, die das Wirtschaftssystem auf Kurs halten. Krisen verursachen ausschließlich Regierungen
mit ihren Planungsutopien und destabilisierenden Interventionen. Genau vom
entgegengesetzten Pol her denken die Anhänger einer keynesianisch inspirierten
Functional finance und eines Deficit spending. Aus ihrer Sicht kann ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht unter Beschäftigungsaspekten schwer suboptimal sein und Krisen resultieren aus fatalistischer Marktgläubigkeit und dem
mangelnden Mut, mit geeigneten Staatseingriffen für eine ausgeglichene Konjunkturentwicklung und einen stetigen Wachstumskurs zu sorgen.
In zwei wichtigen Punkten gibt es jedoch Übereinstimmung. Erstens sehen
beide Richtungen in den unteren Wendepunkten des Konjunkturzyklus keine
„Krisen“ im medizinischen Wortsinne. Es gibt weder in einer Marktideologie
63
Hayek, Road to Serfdom.
Tanner, „Komplexität, Kybernetik und Kalter Krieg“.
65 Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. Hayek verstand sich selber nicht als Neoliberalen, kann aber durchaus unter einem solchen Konzept subsumiert werden.
66 Colombatto, Markets, Morals and Policy-Making; Hayek, Evolution und spontane Ordnung.
64
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Jakob Tanner
noch in einem Interventionsglauben Platz für ein Umschlagen des Abschwungs
in Stillstand, Katastrophe und Tod. Wilde Ereignisse und wüste Chaosszenarien
sind nicht vorgesehen. Es können gar keine Tsunamis stattfinden, der Absturz
ins Desaster, das Ausscheren ins Nirgendwo, der revolutionäre Zusammen- und
Umbruch der Gesellschaft ist undenkbar. Zweitens reichern wirtschaftsliberale
und interventionsfreudige Autoren ihre Erklärungsmodelle gleichermaßen mit
Versatzstücken aus einer medizinischen Semantik an. Für Liberale sind Krisen
generell vom Staat bzw. der Politik gemacht; sie fordern „gesunde Verhältnisse“.
In der Schweiz existierte z. B. seit 1934 eine „Vereinigung für gesunde Währung“.
Bei gröberen Schwankungen, die aus dem Markt-Preis-Mechanismus resultieren, handelt es sich hingegen um „Reinigungsprozesse“. Einer Katharsis gleich
bringen sie den Wirtschaftsorganismus automatisch wieder ins Lot. Diese Sicht
ist optimistisch, weil davon ausgegangen wird, dass der Markt sein prosperierendes Sein durch alle Verwerfungen und Friktionen hindurch zuverlässig zu
replizieren vermag, vergleichbar einem Organismus, der immer wieder zu seiner
Gesundheit zurückfindet.67 Die andere Seite übt sich ebenso in einem Gesundheitsdiskurs. Der kritische Ökonom Marc Chesney etwa positionierte unlängst
Finanzwissenschaftler in der Rolle von Medizinprofessoren. So, wie die Gesellschaft von Ärzten zu Recht erwartet, dass sie bei einer Pandemie eine aktive
Rolle spielen und ihr professionelles Können zu deren Bekämpfung einsetzen,
so sollten ökonomische Experten regulierend in globale Finanzmärkte intervenieren und im Krisenfall lebensrettende Massnahmen vorschlagen.68 Über eine
solche (konnotative) Metaphorik kann allerdings ein radikaler Krisenbegriff, der
den Absturz des Systems als Möglichkeit einschließt, wieder ins Spiel kommen.
Regelvertrauen und Lernprozesse (Hansjörg Siegenthaler)
Hansjörg Siegenthaler, der u. a. bei Simon Kuznets forschte, trieb seit den frühen
1970er-Jahren die Rekonstruktion der Nationalen Buchhaltung (bzw. der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung) der Schweiz voran. An die US-amerikanische Wirtschaftsgeschichte anknüpfend (und unter anderem den Long Swing für
die Schweiz nachweisend) bewegte er sich allerdings auf eine den gesamtgesellschaftlichen Wandel einschließende Theorie langfristiger konjunktureller Wechsellagen zu. 1993 erschien das – auf langen Vorarbeiten basierende – Buch Regelvertrauen, Prosperität und Krisen.69 Für Siegenthaler sind Krisen durch ihre
Zukunftsoffenheit definiert. Es handelt sich um Momente „besonders geringer Bestimmtheit der Ereignisse und Entscheidungen durch das, was in histo67
Dabei werden Maschinen- und Organismusmetaphern verbunden. Vgl. Canguilhem,
„Machine et organisme“.
68 Gull, „Der gute Ökonom“, S. 46.
69 Siegenthaler, „Regelvertrauen, Prosperität und Krisen“.
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Krise
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rischer Tradition angelegt ist“.70 Eine Krise herrscht mit anderen Worten dann,
wenn das Vertrauen in bisher geltende Regeln so weit schwindet, dass die individuellen Akteure nicht mehr in der Lage sind, aus den verfügbaren Informationen
handlungsleitende Erwartungen zu formulieren. Die Krise stellt eine Zukunftsschrumpfung dar, bestimmend wird eine dezisionistische Gegenwart.
Siegenthaler arbeitet hier mit den zwei Grundbegriffen Struktur und Kapital.
Phasen struktureller Stabilität mit hoher Kapitalbildung lösen sich mit Phasen
einer kumulativen strukturellen Destabilisierung ab, in welchen die Kapitalbildung gestört ist bzw. Kapital vernichtet wird. Siegenthaler geht von der Kulturfähigkeit und Kommunikationsabhängigkeit von Menschen aus. In diesen Interaktionen bilden sich Erwartungen und Abhängigkeiten. Aus dem allgemeinen
Rauschen kommunikativer Vergesellschaftung holen sich Menschen aufgrund
ihrer Wahrnehmungsmuster und Deutungsschemata jene Informationen heraus, die sie zu Erwartungen verdichten. Aus Erwartungen entsteht ein Wissen,
wie die Zukunft bestellt sein könnte. Diese Antizipation richtet Gegenwartshandeln aus und macht Risiken kalkulierbar. Ein Investor, der davon ausgeht, dass
die Wirtschaft wachsen wird, dass er seine Investitionen buchhalterisch im Griff
hat und dass sie sich gewinnträchtig amortisieren lassen, wird nicht zögern, Ressourcen langfristig zu binden, d. h. sich selber auf seine Zukunftserwartungen zu
verpflichten. Dies kann ebenso in industriellen Großanlagen, in Dienstleistungskonzernen oder in individuellem Humankapital geschehen. Die Rechnung wird
dann aufgehen, wenn andere das auch tun, d. h. wenn Akteure sich gegenseitig
ihre Version der Welt und ihrer Entwicklungsrichtung bestätigen.
In Phasen struktureller Stabilität erhöht Regelvertrauen in Prosperitätsphasen das Investitionsniveau und dynamisiert das Wirtschaftswachstum. Dies ist
mit nicht intendierten Nebeneffekten verbunden, welche die soziale Stabilität
unterminieren. Soziale Mobilität und beschleunigter soziokultureller Wandel
verkomplizieren die Gegenwart. Während die Wachstumsmotoren noch laufen,
geht der gesellschaftliche Aggregatzustand, zunächst unmerklich, in den Krisenmodus über. Es ist nicht ein ökonomischer Einbruch, der als Kausalfaktor
gesellschaftlicher Krisenphänomene auftritt, sondern es ist die Häufung verunsichernder Interaktionen, die sich auf die wirtschaftliche Dynamik auswirkt.
Im Moment, in dem die stabilitätsgenerierende Kommunikationsschlaufe der
selffulfilling prophecy auf die Proliferation von Befürchtungen umgestellt wird,
bricht das Regelvertrauen weg. Sobald der besagte Investor nicht mehr wissen zu
können glaubt, was auf ihn zukommt, fehlt im auch die Zukunft, in der er seine
verfügbaren Mittel gut aufgehoben wissen könnte. Wenn andere es ihm gleichtun, wird sich genau jene Krise einstellen, von der alle geglaubt haben, dass sie
bevorstehe. Diese Krise wird nicht einfach „herbeigeredet“, sondern das Krisengerede ist Ausdruck der eingetretenen strukturellen Destabilisierung und des
70
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Verlusts an Regelvertrauen. Wenn Lernen nach Regeln nicht mehr möglich ist,
müssen neue Regeln gelernt werden. Dies setzt eine andere Art von Vertrauen als
das in Regeln voraus. Es werden in diesen Phasen hermetische Zirkel und Debattierclubs wichtig, in denen kognitive Suchbewegungen und emotionale Selbstversicherung möglich sind. Auf diese Weise können neue mentale Modelle stabilisiert und das Vertrauen in eine regelgeleitete Zukunft regeniert werden. Die
Krise ist dann überwunden, wenn sich neue Vorstellungen einer beherrsch- und
berechenbaren Zukunft verallgemeinern und wenn, als Folge davon, das Regelvertrauen sich wieder einstellt.
Es ist ein enormer Vorteil dieser These, dass sie es ermöglicht, gesellschaftlichen Wandel und wirtschaftliche Entwicklung auf produktive Weise zusammenzudenken und in ihrer Prosperitäts- und Krisendynamik zu entschlüsseln.
Krise wird hier weder auf die Wirtschaft reduziert noch auf eine Systemkrise hin
dramatisiert. Der Begriff bewegt sich in einem assoziativen Mittelfeld verknüpfter Sphären und lässt sich auf eine gehaltvolle Theorie des Lernens beziehen.
Siegenthaler spricht von einem „Syndrom vernetzter Erscheinungen“71 und dezentriert damit den Krisenbegriff, um ihn für eine „Suche nach der Ökonomie“
fruchtbar zu machen. Damit werden auch die Erwartungen an die Wirtschaftspolitik anspruchsvoller und umfassen insbesondere Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und der sozialen Fairness. Es geht in Krisenlagen nicht mehr (wie bei
Marx) um Klassenkampf, nicht (wie bei Hayek) um „Marktfreiheit“, nicht (wie
bei Keynes) um das gesamtwirtschaftliche Nachfrageaggregat, sondern um eine
neue Verbindung all dieser Aspekte unter Einbeziehung von genuin demokratischen (d. h. auf einer Gleichheitsunterstellung basierenden) Werthaltungen, die
in allen diesen Ansätzen vernachlässigt worden sind.
Hoffen auf das Ende aller Krisen?
Der Durchgang durch einige Krisentheorien (oder Konjunkturtheorien) führt
zu ganz unterschiedlichen argumentativen Prämissen und Schlussfolgerungen.
Dies verweist auch darauf, dass der Begriff der Krise immerzu in politische Definitionskämpfe und Deutungskonflikte involviert war (und ist). Die Krisendiagnose erweist sich als wirksamer politischer Hebel für unterschiedliche Pressure
groups, Bewegungen und Parteien, die damit ihre partikularen Interessen durchsetzen oder aber ihre alternativen Gesellschaftsentwürfe plausibilisieren wollen.
So argumentierten Carmen M. Reinhart und Kenneth S. Rogoff in ihrer 2009
publizierten, einflussreichen Studie This Time Is Different, dass jene Experten,
die bei jeder neuen Krise verkündeten, wie unvorhersehbar diese doch sei, falsch
71
Siegenthaler, „Entscheidungshorizonte“, S. 420.
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Krise
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liegen würden.72 Das „finanzielle Verbrennen“ sei ein universeller Rite de passage, durch den alle aufsteigenden und etablierten Marktnationen immer wieder hindurchgehen würden, während die Auguren in Politik und Wirtschaft
über die Jahrhunderte kaum etwas dazugelernt hätten. Eine solche, mit einer
Prise Sarkasmus gewürzte Sicht, findet sich auch in den Analysen von Historikern, welche sich mit der kapitalistischen Industrialisierung befassen. So schreibt
James Fulcher in einem Überblickswerk Kapitalismus, „Skandale“ seien „ein wiederkehrendes Merkmal“ des Kapitalismus und dessen „mit Krisen übersäte[r]“
Geschichte. Perioden eines stabilen Wirtschaftswachstums seien die Ausnahme,
nicht die Regel.73 Fulcher macht allerdings darauf aufmerksam, wie sehr Erwartungshaltungen den kognitiven Zuschnitt und die emotionale Ladung des Krisenbegriffs verändern: „Wenn eine lebensfähige Alternative zum Kapitalismus
existierte, könnten die gegenwärtigen Krisensymptome bedenklicher sein. Vermutlich war die große Krise der 1930er-Jahre aus genau diesem Grund schwerwiegender. Zu jener Zeit industrialisierte sich die Sowjetunion auf der Grundlage
eines nichtkapitalistischen, staatssozialistischen Wirtschaftssystems. Sozialistische Bewegungen erstarkten innerhalb der kapitalistischen Industriegesellschaft und versuchten, den Wechsel zu einem solchen System herbeizuführen.“74
Das politisch Imaginäre erweist sich in dieser Analyse durchaus als historisch
kontingenter Wirkfaktor, dem mit einer abstrahierenden Sicht auf basale Krisenmechanismen nicht beizukommen ist. Die Weltwirtschaftskrise der 1930erJahre wurde aus globaler Sicht durchaus anders wahrgenommen als die Finanzmarktkrise der Jahre nach 2008 – this time is indeed different!
Aber was ist neu und was hat Bestand? Seit den Jahrzehnten um 1800 wurde
der Krisenbegriff in alle großen Theorien der Marktwirtschaft und des Kapitalismus eingebaut. Adam Smiths Metapher der „unsichtbaren Hand“ verhalf
einer Wirtschaftswissenschaft auf die Sprünge, welche das komplexe Geflecht
ökonomischer Interaktionen nicht mehr auf ein totalisierendes Machtzentrum,
auf eine allwissende und alles lenkende Souveränität hin dachte.75 Die Einsicht
72
Reinhart / Rogoff, This Time Is Different.
Fulcher, Kapitalismus, S. 175 f.
74 Fulcher, Kapitalismus, S. 177.
75 Vgl. dazu Michel Foucaults Definition der „liberalen Gouvernementalität“: „La rationalité
économique se trouve non seulement entourée par, mais fondée sur l’inconnaissabilité de la
totalité du processus. L’homo oeconomicus, c’est le seul ilot de rationalité possible à l’intérieur d’un
processus économique dont le caractère incontrôlable ne conteste pas, mais fonde, au contraire, la
rationalité du comportement atomistique de l’homo oeconomicus. Ainsi le monde économique est
par nature opaque. Il est par nature intotalisable. Il est originairement et définitivement constitué
de points de vue dont la multiplicité est d’autant plus irréductible que cette multiplicité même
assure spontanément et en fin de compte leur convergence. L’économie est une discipline athée;
l’économie est une discipline sans Dieu; l’économie est une discipline sans totalité; l’économie
est une discipline qui commence à manifester non seulement l’inutilité, mais l’impossibilité d’un
point de vue souverain, d’un point de vue du souverain sur la totalité de l’État qu’il a à gouverner.“
Foucault, biopolitique, S. 285 f.
73
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in diesen Wandel schloss allerdings die Frage nicht aus, ob Krisen nicht doch ein
transhistorisches Phänomen der Wirtschaft sind, das sich von der Antike über
das Mittelalter und die frühe Neuzeit bis in die Phase der Industrialisierung
und in die Gegenwart hinein verfolgen lässt. Wird „Krise“ als geschichtswissenschaftlicher Terminus technicus definiert, der zur Beschreibung und Erklärung
von wirtschaftlichen Rückschlägen und krisenhaften Zusammenbrüchen verwendet werden kann, dann lässt sich die Frage durchaus bejahen. Im Sinne eines
„kontrollierten Anachronismus“ wird ein Begriff, den es vor der Aufklärung zur
Beschreibung wirtschaftlicher Vorgänge gar nicht gab, ex post auf Produktionseinbrüche und Mangelperioden zurückprojiziert.76
In diesen Auseinandersetzungen spielen kognitive Faktoren eine wichtige
Rolle. Die „Interessen der Mächtigen“ vermögen die Resonanz, die eine Krisentheorie findet, nicht zu erklären. Diese bleibt bei aller politischen Instrumentalisierung ein intellektuelles Unterfangen, das eine konsistente Begrifflichkeit und
eine kohärente Argumentation bedingt. Aufgrund dieser Eigenschaften kann
eine Theorie auch hermetisch werden und ihre Resonanzfähigkeit in einer späteren Gegenwart verlieren. Es gibt allerdings Denkansätze, die eine starke Theoriekonstruktion mit einer geradezu spielerischen Anwendungsflexibilität verbinden
und die deshalb über lange Zeiträume hinweg im Rennen bleiben. Sie tauchen
immer wieder auf, wenn es darum geht, die jeweils aktuelle Krise zu verstehen
und sie in einem historischen Kontext zu situieren. Die besprochenen Autoren
gehören dazu.
Bis heute wirken im Krisenbegriff medizinische Denkkategorien weiter; es geht
nach wie vor um Gegenüberstellungen von Normalität und Abweichungen und
um Argumente, die mit den Adjektiven „gesund“ versus „pathologisch“ operieren. Die metaphorische Zirkulation des Krisenbegriffs in der Gesellschaft muss
historisch – und auch heute – in einem vielgestaltigen sozialen Kraftfeld analysiert
werden, in dem viele Pole auszumachen sind. Dass der Krisenbegriff seit Mitte des
19. Jahrhunderts im Sprechen über die Wirtschaft und auch in den Wirtschaftswissenschaften eine beeindruckende Karriere zurückgelegt hat und diese heute
fortsetzt, weist nicht nur auf die suggestive Präsenz medizinischer Metaphern hin,
sondern verweist auch auf den Relevanzgewinn „der Wirtschaft“ im Alltagsleben
und in der Vorstellungswelt von Menschen rund um den Globus. So, wie umgekehrt die „Krise des Gesundheitssystems“ eine Ökonomisierung der Lösungsansätze fördert. Dass dieser Weg prekär bleiben wird, daran halten jene fest, die sich
an die fundamentale Krisenhaftigkeit der modernen kapitalistischen Wirtschaft
erinnern und die daran festhalten, dass auch eine alternative Wirtschafts- und Gesellschaftsform wohl alles andere als krisenfrei operieren würde.
76 Behringer, Krise und Aufbruch; Bezbakh, Crises et changements de société; Hsu,
Financial Crises; Chavagneux, Kleine Geschichte der Finanzkrisen; Becker, Exzesse; Plumpe,
Wirtschaftskrisen; Swietly, Große Finanzkrisen.
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Das leichte Reden von der Unvermeidlichkeit und Notwendigkeit von Krisen
hat politische Auswirkungen. Wenn von einer kapitalistischen Wirtschaft nichts
weiter zu erwarten ist als die nächste Krise, dann wird Kapitalismuskritik plausibel. So verhalf das Motto „Nach der Krise ist vor der Krise“ in den vergangenen Jahren Karikaturisten auf die Sprünge. Sie ließen z. B. Demonstranten mit
dem Protest-Transparent „Wir bezahlen nicht für Eure Krise!“ auftreten. Darauf
die Bankmanager, die gerade im Mercedes vorbeifahren: „Macht nichts, wir bereiten sowieso die nächste vor!“ Die „Krise“ wird in einem solchen visuell-textuellen Narrativ erneut zu einer Waffe im Klassenkampf. Das Kapital, während
der Wirtschaftswunderjahrzehnte als Bezeichnung für das Aggregat von Investitionen entpersonalisiert, mutiert zur kämpferischen Klassen-Agency; als solche
setzt es Krisen zur Expropriation der arbeitenden Klassen ein und treibt, um
bessere „Standortbedingungen“ durchzusetzen, das internationale Finanzsystem mit Vertrauenskrisen an den Rand des Abgrundes, wo es dann nach der Logik „Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste“ von Staaten und
Zentralbanken gerettet werden muss. Diese These eines über Krisenkaskaden erzwungenen Konsolidierungsstaates, in dem demokratische Entscheidungen nur
noch so weit akzeptiert werden, als sie die Profitabilität der Wirtschaft stärken,
richtet sich auch gegen die positive, aus dieser Sicht blauäugige Deutung von Krisen als Lernphasen.77
Es bleibt aber sinnvoll, Krisen auf die Idee einer Selbstregulation zu beziehen.
Krisen sind aus dieser Perspektive nicht Störungen, sondern – wie Slavoj Žižek in
Auf verlorenem Posten formuliert hat – „strukturelle Notwendigkeiten“, die den
Kapitalismus „in gewisser Weise unzerstörbar“ machen: „Wenn (bereits) Marx
ihn mit einem Vampir vergleicht, sollten wir nicht vergessen, dass Vampire lebende Tote sind. Auch wenn man sie umbringt, stehen sie immer wieder auf.“78
Die laufenden Diskussionen über die „Zombifizierung“79 des digitalen Kapitalismus öffnen damit einen Raum für Reflexionen, in dem auch das Konzept der
Krise immer wieder aufersteht und auf Ereigniskomplexe angewandt wird, die
mit guten Gründen als Krise bezeichnet werden.
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77
78
79
So argumentiert Streeck, Gekaufte Zeit.
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Vgl. Lauro / Embry, „A Zombie Manifesto“.
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