Technische Unterstützung für Menschen mit
Demenz – Ein Überblick
Tanja Schultz1, Felix Putze1, Ralf Mikut2, Nora Weinberger3,
Katrin Boch4, Eric Schmitt4, Michael Decker3,
Dagmar Lind-Matthäus5, Brigitte R. Metz5
1Karlsruher
Institut für Technologie,
Institut für Anthropomatik, Cognitive Systems Lab
E-Mail: {tanja.schultz, felix.putze}@kit.edu
2Karlsruher
Institut für Technologie,
Institut für Angewandte Informatik
E-Mail: ralf.mikut@kit.edu
3Karlsruher
Institut für Technologie,
Institut für Technikfolgenabschätzung
E-Mail: {nora.weinberger, michael.decker}@kit.edu
4Universität
Heidelberg, Institut für Gerontologie
E-Mail: eric.schmitt@gero.uni-heidelberg.de
5Geriatrisches
Zentrum, Diakonissenkrankenhaus Karlsruhe
E-Mail: Geriatrie-Zentrum@diak-ka.de
1
Technische Unterstützung für Menschen mit Demenz – Ein Überblick
1 Einfü hrung
Schon heute gibt es ungefähr 1,2 Millionen Menschen in Deutschland, die an einer Demenz leiden - und in den nächsten 20 Jahren
rechnet man mit einer Verdopplung dieser Zahlen. Die steigende
Anzahl von Demenzen geht mit einem enormen Anstieg des Pflegebedarfs einher. Dem gegenüber wird die Zahl der Angehörigen, die
die Betroffenen zuhause pflegen könnten, aufgrund der demographischen Entwicklung dramatisch sinken. Darüber hinaus herrscht
bereits heute großer Personalmangel in Pflegeinstitutionen, insbesondere in der Altenpflege. Neben den volkswirtschaftlichen Konsequenzen führt diese Situation auch dazu, dass den Patienten eine
geeignete Therapie sowie eine adäquate individuelle Betreuung
nicht in gewünschtem Maße angeboten werden kann.
Nach derzeitigem Kenntnisstand werden bislang nur in geringem
Maße intelligente technische Assistenzsysteme für die Betreuung
und Therapie von Menschen mit Demenz eingesetzt. Aus unserer
Sicht liegt im Einsatz von Technologien – insbesondere von intelligenten Informationstechnologien – ein riesiges Potential zur patientenzentrierten und bedarfsgerechten Unterstützung. Intelligente
Systeme, die sich auf die Bedürfnisse des Patienten anpassen könnten, gepaart mit der allzeitigen Verfügbarkeit eines technischen
Systems könnten eine gezielte und effektive Therapiegestaltung
ermöglichen, die nicht vom Kenntnisstand, Zeitbudget und der
Anzahl des verfügbaren Pflegepersonals abhängt.
Doch wie sollten solche technischen Systeme aussehen? Welche
Unterstützungen werden von Menschen mit Demenz benötigt? Was
wünschen sich die Angehörigen, Pflegenden, und Ärzte? Und was
können Informationstechnologien und Assistenzsystem heute oder
in naher Zukunft überhaupt leisten? Wo liegen die Probleme, Herausforderungen und Risiken, wenn intelligente technische Systeme
Menschen unterstützen? Die Fragen in dem Bereich „Technische
Unterstützung für Menschen mit Demenz” sind vielschichtig und
2
Einführung
komplex und Antworten können nach unserer Einschätzung nur im
intensiven interdisziplinären Austausch erarbeitet werden.
Zu diesem Zweck wurde am Karlsruher Institut für Technologie im
Oktober 2013 das erste Symposium zum Thema „Technische Unterstützung für Menschen mit Demenz” veranstaltet. Das Ziel dieser
Veranstaltung war es, Experten aus sehr unterschiedlichen Fachrichtungen, wie den ingenieurwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Disziplinen (Elektrotechnik, Maschinenbau, Informatik
und Mathematik), der Psychologie und Gerontologie, der Medizin
insbesondere der Geriatrie und Gerontopsychiatrie, sowie der Ethik
und Technikfolgenabschätzung zusammen zu führen, den aktuellen
Stand in den jeweiligen Gebieten zu erörtern und gemeinsam in
intensiven offenen Diskussionen die wichtigsten wissenschaftlichen
und praktischen Fragestellungen herauszuarbeiten.
Mehr als 30 Personen aus Theorie, Praxis, Wissenschaft und Industrie waren der Einladung gefolgt und haben in der zweitägigen
Veranstaltung mit 15 Vorträgen aus den Disziplinen Gerontologie,
Geriatrie, Informatik, Technikfolgen, Diakonie-Wissenschaften,
Medizin und Mathematik sowie diversen technischen Demonstrationen im Bereich Mobilitätsassistenten, Smart Control Room, Living
Labs, Videobasierte Personenerkennung, sowie Erkennung von
Bewegung und mentaler Auslastung durch körpernahe Sensorik das
Thema ”Technische Unterstützung für Menschen mit Demenz” aus
ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.
Im Rahmen der Veranstaltung wurde ein Fragebogen ausgeteilt und
von den meisten Teilnehmern ausgefüllt, um den aktuellen Stand,
sowie die Herausforderungen, Bedürfnisse und Erwartungen an
technische Aktivierungssysteme im Spannungsfeld ”Demenz und
Technik” zu eruieren.
Um die Ergebnisse dieses Fragebogens sowie die Langfassung der
Vorträge des Symposiums einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich
zu machen, werden sie in dem vorliegenden Tagungsband zusammengefasst publiziert.
3
Technische Unterstützung für Menschen mit Demenz – Ein Überblick
Der vorliegende Beitrag dient als interdisziplinärer Aufriss des
Spannungsfeldes „Demenz und Technik” (Abschnitt 1), einer Zusammenstellung des Stands der Technik (Abschnitt 2) sowie einer
Analyse der Anforderungen an technische Assistenzsysteme anhand
der Auswertung des Fragebogens (Abschnitt 3). Der Artikel schließt
mit einem Ausblick auf zukünftig zu erwartende Ergebnisse und
technische Systeme.
2 Technische Systeme fü r Demenz – Stand der
Technik
Die technische Unterstützung Pflegebedürftiger gewinnt nach Aussagen von Experten zunehmend an Bedeutung. Dies ist auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen: Der demografische Wandel
und die damit einhergehend steigende Anzahl der Pflegebedürftigen, der Fachkräftemangel in der Pflege, eine Zunahme von Einpersonen- und kinderlosen Haushalten sowie eine erhöhte Mobilität
und wachsende Entfernungen zwischen Wohnorten von Eltern und
erwachsenen Kindern verdeutlichen den erhöhten Unterstützungsbedarf bei gleichzeitig abnehmendem Pflegepotenzial. Die technischen Assistenzsysteme zur Unterstützung älterer Menschen und
auch seit einiger Zeit von Menschen mit Demenz befinden sich in
einem Prozess stetiger Weiterentwicklung. Ziele im Rahmen der
Weiterentwicklung sind u.a. eine verbesserte Alltagstauglichkeit
und Benutzerfreundlichkeit, optimierte Kompatibilität und Nachrüstbarkeit. Benutzerfreundliche, altersgerechte technische Gebrauchsgüter, Kommunikations-, Unterhaltungs- und Informations-
4
Technische Systeme für Demenz – Stand der Technik
technologien sowie technische Hilfsmittel werden insofern zunehmend auch wirtschaftlich bedeutsamer 1.
In diesem Kontext sind verschiedene Typen von Dienstleistungen
und technische Komponenten als eigenständige Lösungen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien vorhanden, verfügbar und zum
Teil auch schon am Markt erhältlich; das Angebot nimmt stetig zu
(siehe u.a. [1, 2, 3]). Jedoch unterscheiden sich je nach Anwendungsfeld die Marktgröße und der Durchdringungsgrad.
Am weitesten verbreitet sind Basistechnologien aus der Elektronik
und Mikrosystemtechnik, Softwaretechnik und Daten- bzw. Wissensverarbeitung sowie Kommunikationstechnologien, seien es nun
Einzelkomponenten und -geräte, Vernetzungslösungen oder Middleware-Lösungen. Die meisten Produkte und Dienstleistungen dagegen befinden sich noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase.
Daneben zeigt eine Sichtung der Studien und Förderprogramm in
Deutschland und Europa, dass erwartungsgemäß eine größere
Anzahl an Projekten die technische Assistenz und die Aktivierung
von älteren Menschen aber auch von Menschen mit Demenz als
Forschungsgegenstand haben, wie beispielsweise “Mobil bis ins
hohe Alter - Nahtlose Mobilitätsketten zur Beseitigung, Umgehung
und Überwindung von Barrieren”, „Mensch-Technik-Kooperation:
Assistenzsysteme zur Unterstützung körperlicher Funktionen” und
„ICT-based Solutions for Advancement of Older Persons’ Mobility”,
um nur einige zu nennen. Ein Teil dieser Komponenten von Technik
können theoretisch durch Modelle der kognitiven und motorischen
Aktivierung genauso wie durch Kompetenzmodelle des Alterns
gefasst werden.
1
Es bleibt aber hier anzumerken, dass technische Geräte und Systeme durch
ungünstiges Design, komplizierte Handhabung, mögliche Fehlbedienung und Störanfälligkeit die Autonomie und soziale Teilhabe alter Menschen, die in ihrer Bewegungs- oder Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt sind, auch beträchtlich erschweren können. Diese Aspekte seien in diesem Beitrag aber ausgeklammert
5
Technische Unterstützung für Menschen mit Demenz – Ein Überblick
So lassen sich die aktuell erforschten und in der Weiterentwicklung
befindlichen Technologien in sechs Kategorien unterteilen:
K1) Virtuelle Begleiter und Navigationsassistenz Es werden
verschiedenste Formen von virtuellen Begleitern in Form von Apps
oder eigener Hardware entwickelt. Diese bieten Unterstützung bei
der Navigation (siehe z.B. [4]), bei der Tagestrukturierung (z.B.
durch Erinnerungsfunktionen). Viele virtuelle Begleiter ermöglichen
auch Formen der Kommunikation (siehe z.B. [5] für den Anwendungsfall der Kommunikation mit Pflegekräften), vom Senden
einfacher Textnachrichten bis hin zu Videotelefonie.
K2) Therapie- und Zuwendungsroboter Diese Systeme werden
verwendet, um die Benutzer emotional zu stimulieren und soziale
Verhaltensweisen zu fördern. Die Roboter reagieren auf Kontaktaufnahme durch den Benutzer und können auch selbstständig
verbale oder non-verbale Interaktion einleiten. Der Studienschwerpunkt bei den Zuwendungs- und Therapierobotern liegt meist auf
der Reaktion der Benutzer. Besonders große Verbreitung auf diesem Gebiet hat die Roboter-Robbe Paro [6] erreicht.
K3) Unterstützungsroboter Ziel ist die Unterstützung des Menschen im häuslichen Umfeld durch Abnehmen oder Erleichtern von
Alltäglichem [7]. Teilweise haben die Roboter spezielle Schwerpunkte wie Transport schwerer Gegenstände, Unterstützung bei der
Mobilität (siehe z.B. Guhl et al. in diesem Band) oder Kommunikation. Eine andere Gruppe von Unterstützungssystemen bilden
Prompting-Systeme, die durch sprachliche oder graphische Hinweise Unterstützung bei der Planung und Strukturierung alltäglicher
Tätigkeiten leisten. [8]
K4) Mobilisierung durch Bewegungstrainer (Serious Games)
Hierbei handelt es sich um Systeme zur physischen Aktivierung und
zum Training wichtiger motorischer Funktionen, z.B. mit dem Ziel
der Sturzprävention. Häufig findet diese Art der Aktivierung in
Form von Bewegungsspielen statt. Im Gegensatz zu physischen
Unterstützungsrobotern besteht das Ziel hier in der Ertüchtigung,
6
Technische Systeme für Demenz – Stand der Technik
nicht in der dauerhaften Unterstützung der Benutzer. [9, 10] bieten
Beispiele solcher Bewegungstrainer.
K5) Systeme zur kognitiven Aktivierung Die Systeme sind Softwaretools zur kognitiven Aktivierung durch spezielle Gedächtnistrainingsübungen oder auch Bilder und Texte aus der eigenen
Vergangenheit der Betroffenen um die Biographiearbeit zu erleichtern. Diese sind besonders für Demenzkranke im fortgeschrittenen
Stadium von großer Bedeutung, um den Bezug zu ihrer Umwelt und
ihrem Leben nicht zu verlieren. [11] beschäftigt sich mit der Entwicklung von digitalen Erinnerungs-Werkzeugen. Dabei liegt der
Schwerpunkt nicht nur auf der Gedächtnisförderung, sondern zur
Selbstaktualisierung und zur Hervorrufung positiver emotionaler
Ereignisse.
K6) Aktivitätsmonitoring Das stationäre Aktivitätsmonitoring ist
eine der Schwerpunkte des Ambient Assisted Living [12,13]. Durch
die Verwendung in Wohnung und Alltagsgegenstände integrierter
Sensoren wird die Aktivität der Benutzer überwacht, um etwa
ungewöhnliche Verhaltensmuster zu erkennen. Auch Stürze und
sonstige Inaktivität können teilweise direkt erkannt und vordefinierte Handlungsoptionen ausgelöst werden. Durch mobiles Aktivitätsmonitoring, bestehend aus einer kontinuierlichen, alltagstauglichen Bewegungsmessung können Gehstörungen und Aktivitätsbeeinträchtigungen frühzeitig erkannt werden.
Eine gute Übersicht und alternative Gliederung verschiedener
Assistenzsysteme gemäß der jeweils unterstützten kognitiven
Funktionen bietet [14]. In dieser Arbeit wird auch deutlich, dass sich
der überwiegende Anteil dokumentierter Forschungssysteme und
Prototypen auf wenige Anwendungsgebiete konzentriert (z.B.
Tagesplanung und Erinnerungsfunktionen) und das auch die Validierung der einzelnen Systeme regelmäßig nicht ausreichend
durchgeführt wird. Im Folgenden soll daher beleuchtet werden, auf
welchen Gebieten die Teilnehmer des Symposiums die Anforderungen an künftige technische Assistenzsysteme sehen.
7
Technische Unterstützung für Menschen mit Demenz – Ein Überblick
3 Analyse der Anforderungen an technische
Assistenzsysteme
Eine große Herausforderung für zukünftige Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf dem Gebiet Demenz und Technik besteht
darin, die Anforderungen und Potenziale unterschiedlicher technischer Systeme insbesondere für die Aktivierung von Menschen mit
Demenz systematisch zu untersuchen. Dazu wurde ein Fragebogen
mit insgesamt 11 Fragen erarbeitet und alle Teilnehmer des Symposiums „Technische Unterstützung für Menschen mit Demenz” am
30.9.-1.10.2013 wurden gebeten, diese Fragen anonym zu beantworten. Die Fragen und Antworten auf der Basis von 21 Rückmeldungen sind im Folgenden dargestellt. Die 11 Fragen gliedern sich in
8 Fragen mit jeweils mehreren Teilfragen sowie den zugehörigen
Antworten auf einer 5-stufigen Likert-Skala, die Antworten zwischen 0 (”trifft nicht zu”) und 4 (”trifft voll zu”) sowie die Antwortmöglichkeit ”weiß nicht” zulassen (Fragen 1, 2, 4-8 und 10), eine
Frage zu prognostizierten Zeiten für die erfolgreiche Einführung
technischer Systeme (Frage 9) sowie zwei offene Fragen (Fragen 3
und 11).
Dabei zeigt sich bei der Beantwortung der Frage 1 (”Was verbindet
Sie selbst mit dem Thema Demenz und Technik?”) die interdisziplinäre Zusammensetzung des Teilnehmerkreises der Veranstaltung
(Bild 1). Jeweils zwischen 4-7 Personen sind beruflich mit den
Feldern Betreuung, Beratung, medizinischer bzw. psychologischer
Forschung und Technikentwicklung beschäftigt (Antworten mit
Skalenwerten 3-4 auf die Teilfragen 1.1, 1.2, 1.4 und 1.5). Aufgrund
der Teilnehmerzahl wurden darauf verzichtet, die Antworten auf die
folgenden Fragen nach Teilnehmergruppen (z.B. eher in den Gebieten Betreuung/Beratung bzw. Technik tätig) aufzusplitten, weil
sonst die statistische Aussagekraft zu gering wäre.
Zur Frage 2 (”Welche technischen Systeme werden bei Ihnen bereits
heute in Ihrem Umfeld zur Aktivierung an Demenz erkrankter
8
Analyse der Anforderungen an technische Assistenzsysteme
Personen eingesetzt?”) wurde den Teilnehmern eine Reihe von
konkreten Anwendungsfällen der Technologie Kategorien K1-K6
(siehe Abschnitt 2) zur Bewertung vorgelegt: „Computerspiele zum
Gedächtnistraining“ als Ausprägung der Kategorie „Systeme zur
kognitiven Aktivierung“ (K5), „Mobile Geräte zur Kommunikation“,
„Mobile Entscheidungsunterstützer“ und „Mobile Geräte zur Orientierung“ als Ausprägungen der Kategorie „Virtuelle Begleiter und
Navigationsassistenz“ (K1) mit verschiedener Komplexität, „Computerspiele zum Bewegungstraining“ als Ausprägung der Kategorie
„Mobilisierung durch Bewegungstrainer“ (K4), „Kuschelroboter“ als
Ausprägung der Kategorie „Therapie- und Zuwendungsroboter“
(K2), und „Humanoide Technische Companions“ als Ausprägung der
Kategorie „Unterstützungsroboter“ (K3). Ausprägungen der Kategorie „Mobiles Aktivitätsmonitoring“ (K6) wurden nicht abgefragt, da
der Fokus der Befragung auf Systemen zur Aktivierung, nicht zur
Assistenz lag.
Die Antworten auf diese Frage verdeutlichen den großen Handlungsbedarf beim Einsatz technischer Systeme (Bild 2). Einzig und
allein Computerspiele zum Gedächtnistraining werden bislang in
nennenswertem Umfang (5x Antwort mit Skalenwerten 3-4) eingesetzt.
Bild 1: Antworten auf Frage 1: „Was verbindet Sie selbst mit dem Thema
Demenz und Technik?” Skalenwerte 0 („trifft nicht zu”) bis 4 (”trifft voll zu”)
bzw. „weiß nicht” (w.n.).
9
Technische Unterstützung für Menschen mit Demenz – Ein Überblick
Für alle anderen Systeme finden sich nur einzelne Anwendungen.
Auf die Möglichkeit, weitere Systeme bei Bedarf zu ergänzen, folgten
keine zusätzlichen Nennungen.
In den Antworten zur offen gestellten Frage 3 („Welche Erfahrungen
haben Sie selbst mit solchen Systemen gesammelt?”) wurde hauptsächlich auf die bislang fehlende technische Unterstützung und die
mangelnde Bedienfreundlichkeit bei mobilen Kommunikationsgeräten und Geräten zur Orientierung hingewiesen. Außerdem wurden
hier Akzeptanzprobleme hervorgehoben.
Bild 2: Antworten auf Frage 2: ”Welche technischen Systeme werden bei
Ihnen bereits heute in Ihrem Umfeld zur Aktivierung an Demenz erkrankter
Personen eingesetzt? Weitere Systeme bitte bei Bedarf ergänzen.” Skalenwerte 0 („trifft nicht zu”) bis 4 („trifft voll zu”) bzw. „weiß nicht” (w.n.).
Ein heterogenes Bild zeigen die Antworten auf Frage 4 „Welche
Methoden zur Aktivierung haben mit oder ohne technische Unterstützung ein großes Potenzial, die kognitive Leistungsfähigkeit an
Demenz erkrankter Personen zu verbessern? Weitere Methoden
10
Analyse der Anforderungen an technische Assistenzsysteme
bitte bei Bedarf ergänzen.” in Bild 3. Hier wird insbesondere das
Potenzial von sozialen Kontakten in Betreuungsgruppen, von individuellem Gedächtnistraining, zur Unterstützung der Kommunikation sowie von Bewegungs- und Krafttraining betont. Die Antworten
deuten darauf hin, dass hier zukünftig weitere Untersuchungen zur
Validierung der Methoden wünschenswert sind.
Wird anstatt nach der Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit nach der Verbesserung der Lebenszufriedenheit der dementen
Menschen gefragt, fällt insbesondere die schlechtere Bewertung von
individuellem Gedächtnistraining auf (Bild 4). Auch hier schneiden
soziale Kontakte in Betreuungsgruppen besonders positiv ab. Generell ist das Bild hierbei positiver als bei Frage 4, die Teilnehmer
sehen also mehr Potenzial zur Verbesserung der Lebenszufriedenheiten als zur Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Bei
der Frage nach den Ursachen für den eingeschränkten Erfolg der
Aktivierung dementer Personen wird insbesondere Zeitmangel des
Betreuungspersonals als dominante Ursache gesehen. Bei allen
anderen Erklärungsmöglichkeiten sind die Einschätzungen sehr
heterogen (Bild 5).
Ebenso verteilt sind die Einschätzungen (Bild 6) zu möglichen
Ursachen, die die Verwendung technischer Systeme bisher einschränken bzw. verhindern. Hier fällt insbesondere die häufige
Nennung eines zu hohen Preises solcher Systeme auf, der aufgrund
der beschränkten finanziellen Mittel im Pflegebereich die Möglichkeiten übersteigt. Auch fehlendes Fachwissen der Betreuer und
Desinteresse von Patienten, Pflegepersonal und Angehörigen können mit vielen Antworten mit Skalenwerten von 2-4 nicht vernachlässigt werden.
11
Technische Unterstützung für Menschen mit Demenz – Ein Überblick
Bild 3: Antworten auf Frage 4: ”Welche Methoden zur Aktivierung haben
mit oder ohne technische Unterstützung ein großes Potenzial, die kognitive
Leistungsfähigkeit an Demenz erkrankter Personen zu verbessern? Weitere
Methoden bitte bei Bedarf ergänzen.” Skalenwerte 0 („trifft nicht zu”) bis 4
(„trifft voll zu”) bzw. „weiß nicht” (w.n.).
Bild 4: Antworten auf Frage 5: ”Welche Methoden zur Aktivierung haben
mit oder ohne technische Unterstützung ein großes Potenzial, die Lebenszufriedenheit an Demenz erkrankter Personen zu verbessern?” Skalenwerte
0 („trifft nicht zu”) bis 4 („trifft voll zu”) bzw. „weiß nicht” (w.n.).
12
Analyse der Anforderungen an technische Assistenzsysteme
Bild 5: Antworten auf Frage 6: ”Welche Ursachen schränken heute den
Erfolg der Aktivierung an Demenz erkrankter Personen ein?” Skalenwerte 0
(„trifft nicht zu”) bis 4 („trifft voll zu”) bzw. „weiß nicht” (w.n.).
Bild 6: Antworten auf Frage 7: „Was sind die wesentlichen Gründe, die die
Verwendung technische Systeme bisher einschränken bzw. verhindern?”
Skalenwerte 0 („trifft nicht zu”) bis 4 („trifft voll zu”) bzw. „weiß nicht”
(w.n.).
Den großen Optimismus der Teilnehmer für das Potenzial technischer Systeme zur Aktivierung zeigen die Antworten auf Frage 8
(Bild 7). Hier wird nahezu allen Systemen beträchtliches Potenzial
zugeschrieben, was nur bei Kuschelrobotern u.ä. (mit nur vier
Nennungen mit Skalenwerten von 3-4) deutlich abfällt. Die unter13
Technische Unterstützung für Menschen mit Demenz – Ein Überblick
schiedlichen erwarteten Zeithorizonte bis zur Einführung sind in
Bild 8 aufgelistet. Hier werden bereits in einigen Jahren erste Fortschritte erwartet, nur bei Humanoiden Technischen Companions
und Mobile Entscheidungsunterstützern rechnen die Teilnehmer
mit Einführungszeiten über 10 Jahren. Allerdings lässt die Frage
naturgemäß große Interpretationsspielräume, weil mit einer
schrittweisen Einführung und Verbesserung der Systeme zu rechnen ist.
Bild 7: Antworten auf Frage 8: „Welche technischen Systeme haben in
einigen Jahren ein großes Potenzial, zur Aktivierung an Demenz erkrankter
Personen eingesetzt werden?” Skalenwerte 0 („trifft nicht zu”) bis 4 („trifft
voll zu”) bzw. „weiß nicht” (w.n.).
Bei der Beantwortung der Frage „Welche Themen sind bei der
Erforschung von technischen Systemen für an Demenz erkrankte
Personen besonders wichtig?” (Bild 9) wird einhellig die Anpassung
der Systeme an die Betroffenen und die Orientierung an ihren
Bedürfnissen gefordert. Auch die anderen Aspekte wie die Analyse
der Lernmechanismen, die Quantifizierung von Therapiefortschrit14
Analyse der Anforderungen an technische Assistenzsysteme
ten und die Durchführung klinischer Studien zum Nachweis der
Wirksamkeit spielen eine bedeutende Rolle. Abschließend werden
die Antworten auf die offene Frage 11 ausgewertet: „Welche technische Unterstützung halten Sie für sinnvoll? Welche Themen sind
dazu bei der Erforschung von technischen Systemen für an Demenz
erkrankte Personen besonders wichtig?” Hier wurde mehrfach die
Fähigkeit zur Adaption der Systeme an die dementen Menschen und
die Umgebung gefordert. Speziell wurden die Intentionsdiagnostik
(„Was will der Patient gerade machen?”), die Anpassung an emotionale Zustände und das Lernen individueller mentaler Patientenmodelle genannt. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten Aspekte des
Datenschutzes, der Privatheit, der Ethik und der Sicherheit der
Systeme.
Bild 8: Antworten auf Frage 9: „Was glauben Sie, in wie viel Jahren solche
Systeme routinemäßig zur Aktivierung an Demenz erkrankter Personen
eingesetzt werden?”
15
Technische Unterstützung für Menschen mit Demenz – Ein Überblick
Bild 9: Antworten auf Frage 10: „Welche Themen sind bei der Erforschung
von technischen Systemen für an Demenz erkrankte Personen besonders
wichtig?” Skalenwerte 0 („trifft nicht zu”) bis 4 („trifft voll zu”) bzw. „weiß
nicht” (w.n.).
4 Ausblick
Die Expertenbefragung, die im vorherigen Abschnitt präsentiert
wurde zeigt, dass Anwender, Entwickler und Forscher ein großes
Potential in der technischen Unterstützung von Menschen mit
Demenz sehen. Die Experten sind sich aber auch darin einig, dass
zur Erreichung der gesteckten Ziele noch viel Forschungsarbeit
notwendig ist. Die nachfolgenden Kapitel beleuchten die mit dieser
Forschung in Verbindung stehenden Fragestellungen aus verschiedenen Perspektiven.
16
Literatur
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18