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Musik als Aussprechen des Unaussprechlichen?

Kann man heute überhaupt über die Musik so radikal metaphysisch denken wie das Arthur Schopenhauer an der vorigen Jahrhundertwende schon konnte, als er den kühnen Gedanken schrieb, daß "die Musik … auch wenn die Welt gar nicht wäre, doch bestehen könnte"? 2 Denn dieser feurige, in die Weisheit verliebte Mann hat in seiner Philosophie nicht nur den Glauben an die völlige Unabhängigkeit der Musik von der erscheinenden Welt bezeugt, insofern sie Zeit und Raum transzendiert, sondern auch die weitreichende Einsicht, daß die Musik die Ideen selbst übergeht, insofern sie die Wahrheit unmittelbar abbildet. Für ihn gilt auch, daß die Musik "in einer höchst allgemeinen Sprache das innere Wesen, das Ansich der Welt … ausspricht," 3 das er unter dem Begriff des allesbeherrschenden Willens denkt. Deswegen ist für ihn als einen entfernten Schüler Platons, trotz seiner eigenartigen Auffassung Platonischen Ideen als unmittelbare Objektivationen des mysteriösen absoluten Willens, nach denen sich immer wieder die sichtbare Welt verwirklicht, "die Wirkung der Musik so sehr viel mächtiger und eindringlicher, als die anderen Künste: denn diese reden nur vom Schatten, sie aber vom Wesen." 4 Obwohl dem heutigen Musikwissenschaftler inmitten des Haufens mehr oder weniger einfallsreicher Essays und detailierter Analysen solche Gedanken wahrscheinlich schon auf den ersten Blick fremd und ungewöhnlich klingen, gilt es, sich angesichts ihrer radikalen ontologischen Hingabe doch zu fragen: Wie ist es mit der Musik und ihrem Verhältnis zur Welt? Woher empfängt Musik als solche überhaupt ihr Dasein? Wie kann Musik " das innere Wesen der Welt aussprechen " ? Kann Musik überhaupt was aussprechen? Befinden wir uns nicht auch selbst bei solchen Fragen an der Grenze des Unaussprechlichen? Und was schließlich gibt dem geheimnisvollen Aussprechen der Musik seinen Sinn, wovon der ungewöhnliche Philosoph aus Danzig spricht? Nur der blinde, in sich verflechtende Wille selbst? Allesbeherrschendes Wollen als letzter Grund der Welt? Versteckt sich dahinten aber völlig unerwartet etwas ganz anderes, schicksalhafteres und unbegreifbar andersartiges? Etwas, was wir uns erhoffen, obwohl es unaussprechlich und unvertonbar ist? Etwas, in was wir hoffen können und an was wir glauben gerade deswegen, weil es für jedes Denken unerreichbar und unverfügbar ist? Etwas, was tausenderlei von Stimmen in ein einziges Echo in der kontemplativen Stille des Mystikers entführten Herzens verschmelzen kann? Damit wir uns auch selbst in solche und ähnliche Fragen nach dem Vorbild Schopenhauers vertiefen können und geistesfrei der Musik als geheimnisvollem Aussprechen des Unaussprechlichen aufhorchen bzw.

Boris Šinigoj Musik als Aussprechen des Unaussprechlichen? Beitrag am XIV. internationale Kongress für Ästhetik. "Ästhetik als Philosophie" (Konferenz: "Musik als Sprache"), Ljubljana, Slowenien, 1.-5. September 1998. I Das unaussprechlich Innige der Musik … Arthur Schopenhauer Kann man heute überhaupt über die Musik so radikal metaphysisch denken wie das Arthur Schopenhauer an der vorigen Jahrhundertwende schon konnte, als er den kühnen Gedanken schrieb, daß "die Musik … auch wenn die Welt gar nicht wäre, doch bestehen könnte"? A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, III, 52, in: Gesamtausgabe in zwei Bänden, Stuttgart 1990, Bd. I, S. 370. Denn dieser feurige, in die Weisheit verliebte Mann hat in seiner Philosophie nicht nur den Glauben an die völlige Unabhängigkeit der Musik von der erscheinenden Welt bezeugt, insofern sie Zeit und Raum transzendiert, sondern auch die weitreichende Einsicht, daß die Musik die Ideen selbst übergeht, insofern sie die Wahrheit unmittelbar abbildet. Für ihn gilt auch, daß die Musik "in einer höchst allgemeinen Sprache das innere Wesen, das Ansich der Welt … ausspricht," AaO S. 379. das er unter dem Begriff des allesbeherrschenden Willens denkt. Deswegen ist für ihn als einen entfernten Schüler Platons, trotz seiner eigenartigen Auffassung Platonischen Ideen als unmittelbare Objektivationen des mysteriösen absoluten Willens, nach denen sich immer wieder die sichtbare Welt verwirklicht, "die Wirkung der Musik so sehr viel mächtiger und eindringlicher, als die anderen Künste: denn diese reden nur vom Schatten, sie aber vom Wesen." AaO S. 370. Obwohl dem heutigen Musikwissenschaftler inmitten des Haufens mehr oder weniger einfallsreicher Essays und detailierter Analysen solche Gedanken wahrscheinlich schon auf den ersten Blick fremd und ungewöhnlich klingen, gilt es, sich angesichts ihrer radikalen ontologischen Hingabe doch zu fragen: Wie ist es mit der Musik und ihrem Verhältnis zur Welt? Woher empfängt Musik als solche überhaupt ihr Dasein? Wie kann Musik “das innere Wesen der Welt aussprechen”? Kann Musik überhaupt was aussprechen? Befinden wir uns nicht auch selbst bei solchen Fragen an der Grenze des Unaussprechlichen? Und was schließlich gibt dem geheimnisvollen Aussprechen der Musik seinen Sinn, wovon der ungewöhnliche Philosoph aus Danzig spricht? Nur der blinde, in sich verflechtende Wille selbst? Allesbeherrschendes Wollen als letzter Grund der Welt? Versteckt sich dahinten aber völlig unerwartet etwas ganz anderes, schicksalhafteres und unbegreifbar andersartiges? Etwas, was wir uns erhoffen, obwohl es unaussprechlich und unvertonbar ist? Etwas, in was wir hoffen können und an was wir glauben gerade deswegen, weil es für jedes Denken unerreichbar und unverfügbar ist? Etwas, was tausenderlei von Stimmen in ein einziges Echo in der kontemplativen Stille des Mystikers entführten Herzens verschmelzen kann? Damit wir uns auch selbst in solche und ähnliche Fragen nach dem Vorbild Schopenhauers vertiefen können und geistesfrei der Musik als geheimnisvollem Aussprechen des Unaussprechlichen aufhorchen bzw. damit wir uns ihrer transzendentalen, mystisch realen Dimension wirklich frei öffnen können, gilt es, unsere metaphysische Erinnerung noch vertiefen und uns der verpflichtenden Musikbetrachtung eines anderen, zwischen den zahlreichenden Erben Platons vielleicht höchst glaubwürdigen Denkers, anschließen. Ich denke an Plotin, der nicht nur ein großer griechischer Mystiker und Philosoph war, sondern auch ein höchst interessanter Musikbetrachter. Denn er ist nicht nur dem musikalisch inspirierten Sokrates treu geblieben, der inmitten der Vorbereitung auf seinen Tod heiter behauptete, daß gerade "Philosophie die vortrefflichste Musik ist". Vgl. Platon, Fajdon 61a: "... philosophías mèn oúses megístes mousikês." Ich zitiere Platon nach deutscher Übersetzung von Friedrich Schleiermacher, in: Platon, Werke, Bd. II. 3, Berlin 1987, S. 20. Mit der wunderbaren Prägnanz hat er Platons Schauen der tiefsten metaphysischen Impulse der Musik erhalten, wie sich zunächst bei der Betrachtung des philosophischen und erotischen Menscharten in der musikalisch gestimmter Seele des Musikers als ihre überaus glaubwürdige Gestalt abbilden. Also habe ich Plotins Betrachtung nicht nur deswegen gewählt, weil die heutige, populäre, akademische Philosophie der Musik denkt zu wissen, was das Wesentliche des Platonismus ist, obwohl sie dabei auf den völlig abgenutzten neuscholastischen Schemen Vgl. Peter Kivy, The Fine Art of Repetition, Essays in the Philosophy of Music, Cambridge 1993, bes. "The three essays on musical Platonism", S. 35-94 und Lydia Goehr, The Imaginary Museum of Musical Works, An Essay in the Philosophy of Music, Oxford 1992, S. 13-68. Bei allen detailierten Analysen der Verhältnisse zwischen "composition, performance and reception of classical music", die man in den oben genannten Werken lesen kann, muß man sich hinsichtlich der Frage über den Sinn des Ursprünglichen "Platonism in music" mit der Bemerkung von Lydia Goehr zufrieden geben, aO S. 14, Anm. 2: "Present use of Platonist (and later, Aristotelian and nominalist) terminology is standard and modern. Its use does not imply that Plato ever spoke about music in these terms." Obwohl L. Goehr in der Fortführung eine größere Berücksichtigung der Überlieferung befürwortet (wobei sie mehrere Male den Platon und Aristoteles selbst anführt; aaO S. 125 ff.), überwiegt auch bei ihr das musikalische, praktisch-analytische Interesse vor dem geistig-historischen und metaphysischen. Es scheint, daß gegenwärtige "Philosophy of Music" die Ontologie der Musik immer im voraus auf die Frage des Daseins und des Verstehens der musikalischen Werke zurückführt. Darin erinnert sie an den mittelalterlichen Standpunkt des extremen Nominalismus, nur daß sie im Gegenteil mit der Abstraktheit der scholastischen Dispute bei der Anführung der zahlreichen literarisch-musikalischen Beispiele Zuflucht sucht. Spricht denn darin nicht der alte scholastische Ausgangspunkt universalia sunt flatus vocis? Das bedeutet nämlich, daß Universalien als (aristotelische) asynthetische Wesenheiten <ousíai>, die jeder wirklichen oder unwirklichen Erkenntnis (Metaph. ) vorangehen, oder (platonische) transzendentale Ideen, die die Welt des wirklichen Seins bilden, nicht nur zweifelhafte Erdichtung sind, welche es gilt, auf das kategoriale Ebene des Begriffs <conceptus> zurückzuführen, sondern ein völlig flüchtiger "Atem der Stimme", der aber nur dann zu wehen beginnt, wenn man ihre Namen <nomina> ausspricht. Auch wenn man voraussetzt, daß es in der Ontologie der Musik wirklich nur darum geht, daß Musik letztendlich als flatus vocis existiert, das ist nur in den Vorführungen der einzelnen musikalischen Werke und ihrer (literarischen) Rezeption, ist es Wert, sich doch zu fragen: "Um wessen Atem geht es dann und um wessen Stimme?" Vielleicht die tiefste Antwort auf diese Frage wiedergibt die Vision der berühmten, mittelalterlichen Mystikerin Hildegard von Bingen (1098-1179): Höret: War einst ein König, der saß auf seinem Thron. Um ihn herum standen mächtige und wundersam schöne mit Elfenbein verzierte Säulen, die trugen mit großer Würde die Banner des Königs. Da gefiel es dem König, eine kleine Feder aufzuheben vom Boden, und er befahl ihr, zu fliegen. Und die Feder flog, nicht von sich aus, sondern weil sie die Luft davontrug. Dergestalt existiere ich ... durch Förderung Gottes. Vgl. S. Hildegardis Epistolae, in: J. P. Migne, Patrologia latina 197, 352 c-d: "Nunc audi: Rex in solio suo sedit, et magnas columnas et valde elegantes in magnis ornamentis eoram se statuit, quae sunt ornamenta eboris erecta sunt, et quae omnia indumenta regis in magnis honoribus gestabant. Tunc Regi placuit, et parvam pennam de terra levavit, et illi praecepit ut volaret, sicut idem rex voluit. Penna autem seipsa non volat, sed aer eam portat. Sic ego ... in adjutorio Dei consisto." basiert, welche unter dem Niveau der zeitgenössischen, historisch-philosophischen Studien liegen. Vgl. Konrad Gaiser, Platons Ungeschriebene Lehre. Studien zur systematischen und geschichtlichen Begründung der Wissenschaften in der Platonischen Schule (mit einem Anhang: Testimonia Platonica. Quellentexte zur Schule und mündlichen Lehre Platons), Stuttgart 1963; Hans Joachim Krämer, Der Ursprung der Geistmetaphysik. Untersuchungen zur Geschichte des Platonismus zwischen Platon und Plotin, Amsterdam 1964; Jürgen Wippern (hrsg.), Das Problem der ungeschriebenen Lehre Platons, Beiträge zum Verständnis der platonischen Prinzipienphilosophie, Wege der Forschung, Bd. CLXXXVI, Darmstadt 1972; W. K. C. Guthrie, A History of Greek Philosophy, bes. Bd. V: "The later Plato and the Academy", Cambridge 1978; A. Louth, The Origins of the Christian Mystical Tradition, From Plato to Denys, Oxford 1981 u. a. Ich habe Plotin auch nicht nur deswegen gewählt, weil in seiner Betrachtung wieder über das Geheimnis der Musik im Laufe der Jahrhunderte die ursprüngliche platonische Weisheit spricht, in welcher wir noch heute die wahre geistige Herausforderung jeglicher Musikbetrachtung erkennen können. Zweifellos hat Metaphysik der Musik nach der geistig-historischen Erfahrung der pythagoreischen, religiös-verhüllten Einsicht in das unfaßbare Eins, aus dem die allumfassende Harmonie als Seinsordnung des Universums aufkommt, ihr feinstes Resultat im Kontext der teologisch vertieften Kosmologie von Platons Timaios eingebracht. Damit wurde ein für allemal der Weg der modernsten Betrachtun der Musik geebnet, wenn sie das gestehen will oder nicht. Heute kann uns noch näher die Aussagehaltung von Plotin stehen, insofern er uns die grundlegende Einsicht der pythagoreisch-platonischen musikalischen Überlieferung in einer unmittelbareren, tief empfundenen Sprache vermittelt. Nicht nur deswegen, weil er uns aus der Zeit des Helenismus spricht, der wegen seiner verschiedenen heterogenen Philosophien und Geistigkeiten unserer Zeit so sehr verwandt ist, sondern um so mehr, weil uns seine Schriften manche versteckte Stelle des Platons unaufgeschriebenen Lehre offenbart und wiederbelebt, die jahrhundertelang nur in der mündlichen Form innerhalb der Akademie erhalten wurde. Denn nur eine hermeneutische Anerkennung der entscheidenden Rolle dieser Lehre für das Verstehen irgendwelcher Betrachtung der platonischen Provenienz in der Musik oder außerhalb der Musik, kann uns für das Schauen der verbindlichen Bewegung des originellen Platonismus befähigen, worauf schon Athener credo aus Politeia andeutet: "Die Idee des Guten ist die größte Lehre" (505 a2). Alles andere im Platonismus - wenn es nicht um eine beliebige,essayistische oder neuscholastische "standardisierte" Verwendung dieses Ausdrucks geht - kann nur eine fernere Ahnung, der erste Vorgeschmack, die erst hier ihren letzten Logos immer wieder findet. Und das gilt nicht nur für Plotin und für die ganze, auf ihn bezogene christliche Mystik, sondern auch für den Renaissancedenker Marsilio Ficino, für den barocken Geiger Giuseppe Tartini und für die postmodernen Schüler der philosophischen Schule in Tübingen. Gerade neoplatonistische Vermittlung der tiefsten Einsichten des originellen Platonismus ist nämlich das, was über christliche mystisch-teologische Vertiefung von Dionysos Areopagit und seine lateinische Rezeption bei Johannes Scotus Erigena noch ferner und tiefer in das westliche Mittelalter und in die Renaissance hineingreift, als Boethius Bewahren der phytagoreisch-platonischen Überlieferung im Kontext des mittelalterlichen Quadrivium, das viele Musiker anspricht, daß sie sich in seine Metaphysik vertiefen. Vgl. W. Tatarkiewicz, History of Aesthetics, Hague-Paris-Warszawa 1970-1974, Bd. I: "Ancient Aesthetics", S. 318 ff.; Bd. II: "Medieval Aesthetics", S. 27 ff., 98-87, 93 ff. u. Bd. III: "Modern Aesthetic, S. 99 ff.; Hans Urs von Balthasar, Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik, Bd. III/I: Im Raum der Metaphysik, Einsiedeln 1965, Kap. II, A, 2: Einstieg ins Mittelalter: a.Gottweltliche Harmonie: Boethius,S. 293 ff. und c. Welt als Auslegung Gottes: Johannes Erigena, S. 309-319, bes. 317 f.; G. Kocijančič, "Lépo kot glasnik: krščanska estetika danes?" (Das Schöne als Verkündiger: eine christliche Ästhetik heute?), in: ders., Posredovanja (Vermittlungen), Celje 1996, S. 301-323, bes. 312; E. Garen, "Immagini e simboli in Marsilio Ficino", in: ders., Izbrani spisi (Ausgewählte Schriften), Ljubljana 1993, S. 122-137, bes. 135 ff.; B. Šinigoj, "Tartini e la metafisica della musica", in: M. Kokole (hrsg.), Giuseppe Tartini e il suo tempo, Ljubljana 1997, S. 19-30 u. ders., "Traces of Pythagorean Tradition in Puliti's Collection Armonici Accenti (1621)", in: I. Klemenčič (hrsg.), Baroque Music in Slovenia and European Music. Proceedings from the international symposium held in Ljubljana on October 13th and 14th 1994, Ljubljana 1997, S. 95-126. Ich habe Plotins Betrachtung vor allem deswegen gewählt, weil sie an dem Beispiel des Musikers ungewöhnlich tief die Frage der ursprünglichen Botschaft der Musik berührt, vor allem an den Stellen, wo sie uns alle - erkennen wir uns in der Gestalt des Musikers, Erotikers oder Philosophen - zum Schauen des wirklich Seienden bewegt. Denn gerade dieses Schauen kann in uns aufs neue das fernere Vorgefühl der erlösenden Schönheit erwecken, welche nicht von dieser Welt ist, und uns ins Geheimnis des Unaussprechlichen in der Musik einführt. Damit wir uns ohne Vorurteile oder hinter dem "gesunden Skeptizismus" Vgl. P. Kivy, aaO, Kap. II: "Platonism in music: A kind of defence", S. 35: "That I am neither confident, nor altogether happy in defending [sic!] this Platonism is because, like any well-brought-up student of philosophy, at least in the Anglo-American tradition, I have a healthy skepticism with regard to Platonic metaphysics ..." versteckte verallgemeinerte Urteile, in die Platonische Metaphysik vertiefen könnten, wenden wir uns jetzt jenseits der zerkleinerten zeitgenössischen Betrachtungen über die Musik als Inbegriff der Kunstwerke aus der Perspektive zwar einfallsreicher, analytischer oder phänomenologischer Fragen, und hören wir einem längeren aber überaus ermutigenden Abschnitt aus dem Text Plotins zu. Denn nur nach der achtungsvollen Mitbeteiligung an der Plotins mystischen Musikerfahrung, welche nach der Tiefe ihrer Einsicht nicht nur Schopenhauer, sondern auch allen modernen, gelehrten Forschern den Weg vorbereitet, dürfen wir hoffen, daß wir trotz unseres Gestotters und geistiger Unerfahrenheit in der Lage sind, würdig über das geheimnisvolle Übergehen der Musik aus dem Übersinnlichen in das Sinnliche zu sprechen. Und gerade das führt uns in den Bereich des Unaussprechlichen. Erst aus der innigsten Erfahrung der ursprünglichen Transzendenz der Musik entsteht ihr tiefstes Verstehen, keimt ihre würdigste Betrachtung auf, schärft sich ihr vorzüglichster Gehör, bis musikalisch inspirierte Seele transparent genug wird, daß in ihr jenes zu sprechen beginnt, was in der Musik immer verborgen anwesend ist: Das unaussprechlich Innige der Musik. A. Schopenhauer, aaO S. 379. II télos tês poreías ... Platon Schauen wir doch, ob Plotins Enneade "Über Dialektik" noch heute genug verpflichtend über die ursprüngliche Botschaft der Musik sprechen kann, daß wir uns in der Liebe ermutigen und auf den abgründigen Weg des Aufstiegs treten, der von der Betrachtung der Schönheit der harmonischen Stimmen steil nach oben zum unaussprechlichen Schauen der Schönheit selbst führt, und welchen wir als "Musiker, Erotiker oder Philosophen" Vgl. Plotin, Enneaden I, 3, 1. vielleicht noch immer unbewußt in sich tragen. In der Hoffnung, daß wir mit der achtungsvollen Liebe zur Musik und Weisheit wenigstens die erste Bedingung für den Zutritt zu diesem Aufstieg erfüllen, vertrauen wir jetzt unseren unerfahrenen Schritt dem, mit der mystischer Erfahrung aufgeklärten Führer, denn dieser Weg ist für uns nicht befestigt, und unser Schritt darauf nicht sicher. Welches Element des Führens wird uns diesmal am meisten ansprechen? Musik, Liebe, Verliebtheit in die Weisheit oder dialektische Kunst des Unterscheidens? Treten wir hinzu und hören wir. Vielleicht spricht uns endlich die unlöschbare Schönheit selbst an, insofern wir uns noch in die, der Vernunft zugängliche Musik vertiefen können, die über das Wesentliche in der überseienden Stille jenseits ihrer wahrnehmbaren Rhythmen und Stimmen spricht. Plotin 'Über Dialektik' oder über den Weg des Musikers, Erotikers und Philosophen zur Schönheit selbst (Enneade I, 3) Der Text besteht aus der Übersetzung der ersten vier Kapitel von Plotins Enneade I, 3 von Richard Harder, in: Plotins Schriften, Hamburg 1956, Bd. Ia, S. 350-355, außer einigen Schlüsselstellen, die ich dem Original gemäß übersetzt habe. Die ausgewählte Plotins Schrift trägt in der Edition von Porphyrios den Titel Über Dialektik <Perì dialektikés>, es wäre aber auch möglich, sie als Über Anleitung zum Aufstieg <Perì anagogés> zu betiteln. Den Titel von Porphyrios habe ich deswegen ein bißchen erweitert, um damit besser auf den breiteren Kontext der voliegenden Diskussion anzuknüpfen und um gleichzeitig auf den Schwerpunkt des ausgewählten Abschnitts aufmerksam zu machen, der eine abgerunete Einheit im Zusammenhang des Ganzen darstellt. "Anleitung zum Aufstieg" <anagogé> bedeutet bei Neoplatonisten eigentlich "Hervorheben" nämlich "der Seele zum Gott". Vgl. Iamblichos, De Myst. Aegypt. III, 7.10; nach: Liddel-Scott-Jones-McKenzie, Greek-English Lexicon, Oxford R1985, s.v. anagogé S. 102. Vgl. auch Plotins Schriften, Hamburg 1956, Bd. Ib, S. 572 ff. Bei der Übersetzung habe ich die kritische Ausgabe von Paul Henry und Hans-Rudolf Schwyzer Plotini Opera I-III, Editio minor, Oxford R1978 und die englische Übersetzung mit dem Kommentar von A. H. Armstrong in Plotinus, Porphyry on Plotinus / Ennead I, Cambridge Mass.-London R1995 berücksichtigt. 1. Welche Kunst <téchne>, welches Verfahren <méthodos>, oder welches Bemühen <epitédeusis> führt uns hinaus wohin es zu wandern gilt? Der Ort wohin es zu gelangen gilt möge uns als ausgemacht und vielfach nachgewiesen feststehen, nämlich zum Guten und zum ersten Urgrund <arché>, wie deutliche Erörterungen in denen dies nachgewiesen wurde, selbst schon eine Art von Führung dorthin <anagogé> waren. Aber welch ein Mensch muß der sein, der dort hinaufgeführt werden soll? Vielleicht einer, der alles, oder wie (Platon) sagt ‘das meiste gesehen hat’, der ‘bei der ersten Geburt’ ‘in den Keim eines künftigen Philosophen <philósophos> oder Musikers <mousikós> oder Erotikers <erotikós>’ Vgl. Platon, Phaidros 248d 1-4. "Alles oder das meiste" bezieht sich auf die Ideen, welche die Seele auf ihrer himmlischen Reise vor der Geburt schaute. Die ersten drei Kapitel der vorliegenden Schrift von Plotin fassen prägnant den Beginn des mystischen Aufstiegs aus Platons Phaidros und Das Gastmahl zusammen. Aber Plotin führt dabei zwei wichtigere Änderungen ein: 1) Bei Platon (Phaidros 248d 3) sind philósophos, mousikós und erotikós drei verschiedene Beschreibungen einer und derselben Person, bei Plotin geht es aber um drei verschiedene Menschenarten. 2) Plotin verwendet den Ausdruck mousikós vor allem im Sinne des Musikers bzw. Musikfreundes, wie wir ihn noch heute verstehen. Aber Platon bewahrt ihn vor allem im breiteren Sinne der erzogenen Persönlichkeit, die sehr gut in der Kunst der Musen beschlagen ist, obwohl es stimmt, daß sich die beiden Bedeutungen nicht ausschließen. Im Gegenteil, auch bei Plotin bedingen sie sich gegenseitig, trotz der verschidenen Betonnung. Vgl. Kom. von A. H. Armstrong, aaO S. 150. eingesenkt wurde? So soll man also den Philosophen von Anlage und den Musiker und den Erotiker hinauführen. Und welche ist die Weise der Hinaufführung? Ist sie für all diese gleich oder für jeden eine besondere? Ein doppelter Weg ist es, den sie alle zurücklegen müssen, seien sie beim Aufstieg, oder oben angelangt. Der erste geht aus von dem Niederen, der zweite ist für die welche bereits im Bereich, der der Vernunft zugänglich ist <en tô noetô>, angelangt und dort sozusagen Fußes Spur gesetzt haben jedoch noch wandern müssen, bis sie zum äußersten Ende dieses Bereiches kommen, was dann ‘das Ziel dieser Wanderung’ <télos tês poreías> Platon, Politeja 532e 3. Im breiteren Kontext des siebten Buchs von Platons Politeia "das Ziel dieser Wanderung" <télos tès poreías> bedeutet das Schauen der letzten Wahrheit bzw. des Guten.. ist, wenn man auf den Gipfel des Bereiches, welcher der Vernunft zugänglich ist, gelangt ist. Doch bleibe dieser zunächst, zuvor sei versucht von der Emporführung zu sprechen. Zuerst sind die genannten Menschenarten <ándres> zu scheiden, wobei wir mit dem Musiker beginnen und der Beschreibung seiner Natur. Er ist anzusehen als leicht bewegt und entflammt durch die Schönheit <tò kalón>; doch gerät er schwer bewegt durch die Schönheit selbst, wohl aber durch irgendeine Umrisse <éktypa> (der Schönheit), für die ist er empfänglich, so wie ein Ängstlicher gegen Geräusche, ist er für Töne und das Schöne in ihnen empfänglich, er verabscheut im Gesang und in den Rhytmen alles Unharmonische und Uneinheitliche <tò mè hén> und sucht nach dem Rhytmischen und Wohlfigurierten. Von diesen wahrnehmbaren Tönen also und Rhytmen und Figuren ausgehend muß man ihn folgendermaßen führen: man muß den Stoff von ihnen scheiden und ihn zu den (Wesenheiten), von denen die Analogien und Proportionen abhängen und zur Schönheit führen, welche über ihnen ruht, man muß ihn lehren, daß wovon er entflammt war, war die Harmonie, welche mit der Vernunft zugänglich ist <noetè harmonía> und die Schönheit in ihr, und überhaupt die Schönheit <hólos tò kalón>, nicht nur etwas Schönes; man muß philosophische Einsichten <lógoi> in ihm anregen, und von da aus ihm zum Glauben <pístis> an den bringen, was er in sich trägt ohne es zu wissen. Was das aber für Einsichten sind, davon später. 2. Der Erotiker in welchen übrigens der Musiker sich auch wandeln kann, dann kann er auf dieser Stufe verharren oder durch sie hindurchgehen, besitzt eine besondere Art von der Erinnerung an die Schönheit. Aber weil er von der Schönheit getrennt ist, entflammt ihn nur die Einwirkung der sichtbaren Schönheiten. Ihn muß man lehren, sich nicht nur an einem Körper entflammen zu lassen, man muß ihn durch Empfänglichkeit für den Sinn <tô lógo> zu allen Körpern hinleiten, indem man ihm das in ihnen allen Selbige zeigt, muß ihn darauf hinweisen, daß dies ein von den Körpern Verschiedenes ist und anderswoher stammt, und daß es in anderen als körperlichen Dingen in höherem Grade vorhanden ist; man weist ihm etwa schöne ‘Lebensweisen’ <epitedeúmata> und ‘Gesetze’ auf, denn damit ist seine Gewöhnung an das wahrhaft Liebeswürdige bei den unkörperlichen Dingen angelangt, und zeigt, daß die Schönheit auch in den Künsten und ‘Wissenschaften’ und Tugenden ist; Vgl. den Aufstieg der Seele zur Schönheit selbst, in:Platon, Symposion 210a ff. diese (Schönheiten) muß man dann auf eine Einheit zurückführen <hén poietéon> und ihn lehren, wie sie entstehen; von der Tugenden muß er dann aufsteigen zur Vernunft, zum wirklich Seienden <tò ón>, und dort dann den oberen Weg wandeln. 3. Wer aber von Anlage ein Philosoph ist, der ist schon bereit und wie ‘geflügelt’ <epteroménos>, Der Seele, die sich über der begierenden Welt hebt und zum Wahren steigt, wachsen nach platonischem Sinnbild die Flügel, Vgl. Platon, Phaidros 246c 1. er braucht nicht wie jene andern die Abtrennung, er ist in Bewegung auf das Obere hin, und bedarf nur einer Weisung wenn er sich nicht zu helfen weiß. So muß man ihm weisen und ihn befreien, wie er es denn schon selbst seiner Natur nach wünscht und eigentlich längst befreit ist. Man gebe ihm also die Mathematik <tà mathémata>, ihn zu gewöhnen das Unkörperliche zu begreifen <katanóesis> und an es zu glauben, er wird sie leicht aufnehmen da er wissensdurstig <philomathés> ist; und seine natürliche Tugendanlage führe man zur Vollendung der Tugenden <teleíosin aretôn>, nach der Mathematik gebe man ihm die Einsichten der Dialektik <lógous dialektikés> und mache ihn überhaupt zu einem Dialektiker. 4. Aber was ist die Dialektik, welche man übrigens auch jenen ersten Menscharten zu übermitteln hat? Sie ist die Fähigkeit von jedem Ding begrifflich auszusagen, was es jeweils ist, worin es sich von andern unterscheidet und was es mit ihnen gemeinsam hat. Dazu gehört ferner, wo jedes Ding seinen Ort hat, ob es ist, was es ist, was zum Seienden <tà ónta> zurechnen ist, was hingegen zum Nichtseienden <tà mé ónta>, vom Sein Verschiedenen; sie erörtet auch das Gute <perì agathoû dialégetai> und das Nichtgute, und was unter das Gute <tò agathòn> fällt was unter das Gegenteil, und was ewig ist und was nicht, alles natürlich aufgrund von Wissenschaft <epistéme>, nicht bloßer Meinung <dóksa>. Indem sie dann aber aufhört mit dem Umherirren im Sinnlichen, siedelt sie sich im Bereich der Vernunft an und übt dort ihre Forschung, den Trug läßt sie fahren und läßt die Seelen weiden ‘auf der Wahrheit Flur’ <aletheías pedíon> Es geht um den Hinweis auf das mystisch reale Gebiet der Ideen aus Platons Phaidros 248b 6, wo die Seele erst jetzt ihr wirkliches Essen findet. wie es (Platon) nennt, sie wendet seine Einteilungskunst an auf die Scheidung der Ideen, wendet sie an auf das wahre Wesen, wendet sie an auf die ersten Seinsarten und flicht das aus ihnen Kommende vernunftig aneinander, bis sie das ganze Bereich der Vernunft durchlaufen hat, dann löst sie es wieder auf bis sie zum Urgrund zurückgelangt, dann aber hält sie sich ruhig <hesychían> (sie ist also insoweit dort oben im Zustand der Ruhe <en hesychía eînai>), nun ist sie frei von der Geschäftigkeit, sammelt sich zur Einheit und schaut; die sogennante logische Forschung, die es mit Prämissen und Syllogismen zu tun hat, überläßt sie, wie man es etwa mit der Kunst des Schreibens tut, einer anderen Disziplin, sie hält manches davon für eine notwendige Vorstufe ihrer Wissenschaft, aber sie unterwirft es ihrem Urteil wie alles andere, einiges befindet sie für nützlich, anderes für überflüssig und nur für den Gegenstand einer speziell darauf gerichteten Forschungsweise. III "Was wäre aber hier die Bedeutung der Laute?" - Was ist sie in der Musik? Das ist eine kleine Bemerkung L. Wittgensteins über die unartikulierte Sprache, in: ders., Philosophische Untersuchungen (= PU) I, 529, in: Werkausgabe, zv. I, Frankfurt am Main 1997, S. 440. Vgl. den Abschnitt auf den sich die Frage bezieht, aaO I, 528: "Man könnte sich Menschen denken, die etwas einer Sprache nicht ganz Unähnliches besäßen: Lautgebärden, ohne Wortschatz oder Gramatik. ('Mit Zungen reden.')." Ludwig Wittgenstein Ist es nach der, für unsere Zeit so ungewöhnlichen Anrede, überhaupt noch möglich, über einige andere, modernere Forschungsweisen des ontologischen Status der Musik zu sprechen und sich nach der Analogie der Sprache zu der Frage ihres Unaussprechlichen unter dem phänomenologisch-analytischen Aspekt zu wenden? Haben wir nicht mit der Plotins dialektischen Kunst des Unterscheidens alle diesartigen Fragen hinter sich gelassen, einschließlich Schreibfertigkeit? Und waren wir nicht, jeder nach seinem Mass, an der Betrachtung der verschiedenen Stufen der Schönheit beteiligt, bis wir "an das Ende des Weges" angelangt sind und in der mystischen Stille verstummt haben? Es scheint, daß wir nach dieser metaphysischen Digression doch verpflichtet sind, dorthin zurückzukehren, woher wir kommen und nach dem Vorbild des Mystikers auch den anderen, in der ihnen verständlichen Sprache, unsere Erfahrung offenbaren. Denn auch diejenigen, die heute in der Freiheit der Wahl angesichts Pathos der Plotins Betrachtung gleichgültig bleiben, sind berufen, daß sie auf ihre Weise in sich die Empfänglichkeit für den letzten Sinn der Musik erwecken und ihre transzendente Sprache zu lieben beginnen, sie sollen an der tonalen Ebene oder in der, nur dem Schauen zugänglichen Stille jenseits der Musik angesprochen werden. Die Platonische Tendenz zu der Rückkehr von dem mystischen Aufstieg in die Höhle und ihr Reich der Schatten, hat unter den zeitgenössischen Philosophen vielleicht am glaubwürdigsten Ludwig Wittgestein bezeugt. Dieser ungewöhnlicher Wiener von der Jahrhundertwende war nicht nur ein feinsinniger Musikfreund, sondern auch ein konsequenter Betrachter der logisch strukturierten Sprache, der nicht zögerte, beim Schauen seiner Grenzen zu schreiben: "Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische." L. Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus (= Tractatus), 6.522, in: Werkausgabe, Bd. I, Frankfurt am Main 1997, S. 85. Denn nach langen Jahren, die er der mystischen Schweigepflicht unterliegend verbrachte, mit der er herzhaft die Treue der kühnen Bezeugung seiner Jugendzeit erhalten hat, kehrt er nicht nur in den Bereich des Aussprechens des Unaussprechlichen, sondern auch in den Bereich der alltägigen, sogar unartikulierten Sprache. Und gerade da, in seinen späten Philosophischen Untersuchungen der "Sprachspiele", hat er in der Form eines kleinen Fragments die elementare Nähe der lebendigen Sprache und Musik angedeutet, als er sogar in den undeutlichen Lautgebärden der unartikulierten Sprache die Grundfrage der Bedeutung der Laute ahnte, so in der Sprache als auch in der Musik. Wir können aber mit Wittgestein diese Anerkennung der elementaren Nähe der Sprache und Musik noch an dem Beispiel des Verstehens ihrer artikulierten Laute vertiefen. Das ist nämlich die Frage, zu der der österreichische "Philosoph des Unaussprechlichen" Vgl. Gajo Petrović, "Logički atomizam i filozofija neizrecivog u Tractatusu Ludwiga Wittgensteina" (Logischer Atomismus und Philosophie des Unaussprechlichen im Tractatus Ludwig Wittgensteins) , in: ders., Suvremena filozofija (Gegenwärtige Philosophie), Zagreb 1979, S. 213-251, bes. 240 ff. immerwieder zurrückkehrt, Noch besonders in seiner späten Philosophie. Vgl. PU I, 527: "Das Verstehen eines Satzes der Sprache ist dem Verstehen eines Themas in der Musik viel verwandter, als man etwa glaubt." denn wir können doch schon an den ersten Sprossen der Gedankenleiter seiner Logisch-philosophischen Abhandlung auf das Betonen der verwandten strukturell-lautlichen Konfiguration in der Musik und in der Sprache stoßen: "Der Satz ist kein Wörtergemisch. - (Wie das musikalische Thema kein Gemisch von Tönen.) Der Satz ist artikuliert." Tractatus 3.141. Wenn wir wissen, daß für den Autor des berühmten Tractatus der Satz gleichzeitig ein Bild der Wirklichkeit ist, Ebd., 4.01: “Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit.” können wir ahnen, daß Musik und Sprache nicht nur nach Analogie verbunden sein können, auch nicht nur auf der metaphorischen Ebene, welche Deryck Cooke in seinen emsigen Studien der Frage, was die Musik überhaupt ausdrücken kann, einfach "language of music" Vgl. D. Cooke, The Language of Music, Oxford 1959; bes. Kap. I., III. u. V. genannt hat. Denn Wittgenstein zufolge sind in jener abbildenden internen Beziehung zueinander, die zwischen Sprache und Welt besteht, nicht nur der musikalische Gedanke und die Notenschrift, sondern sind mit ihnen in derselben gegenseitigen Beziehung auch "die Grammphonplatte und die Schallwellen": Sie sind alle in gewissem Sinne Eins. Vgl. Tractatus 4.014: "Die Grammophonplatte, der musikalische Gedanke, die Notenschrift, die Schallwellen, stehen alle in jener abbildenden internen Beziehung zu einander, die zwischen Sprache un Welt besteht. Ihnen allen ist der logische Bau gemeinsam. (… Sie sind alle in gewissem Sinne Eins.)" Zeigt sich denn darin nicht schon auf der ersten musikalischen Ebene etwas mehr als nur ein "gemeinsamer logischer Bau", etwas, was man nicht mit der Frage über die Artikulation der Musik und Sprache und mit der Symmetrie ihrer Formen erschöpfen kann? Musik können wir auf ihrer höheren strukturellen Ebene nach der Analogie mit den, Wittgenstein verwandten sprachlichen Ergebnissen von Ferdinand de Saussure Vgl. Roy Harris, Language, Saussure and Wittgenstein, London and New York 1988. nämlich als Sprache <langue> verstehen, das heißt, als eine eigenartige Syntax und semantische Struktur, die vor jeder Verwendung im Sprechen <parole> der musikalischen Werke an sich selbst existiert. Obwohl der Linguist doch scharfsinnig eingesehen hat, daß "die Sprache <langue> die ist, die der menschlichen Rede <langage> die Einheit ausmacht" F. de Saussure, Cours de linguistique générale, Lausanne-Paris 1916, S. 27: " ... c'est la langue qui fait l' unité du langage." Vgl. ders., Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, übers. v. Herman Lommel, Berlin 1967, S. 13. (d.h. der Gesamtheit der sprachlichen bzw. nach unserer Analogie musikalischen Erscheinungen und Sprachbetätigungen) muß ich mir als Philosoph im Lichte von Platons Dialog Timaios Vgl. Platon, Timaios 28c-29a, 47 c-d, 90 b-d u. 92c. die ursprüngliche metaphysische Frage stellen: Woher Musik als solche ihr Dasein empfängt? Und wie ist es möglich, daß die Musik nicht nur in ihren erscheinenden Formen, sondern auch in ihrer, der Vernunft zugänglichen Harmonie doch eine ist? Denn "welcher Musiker, der der Vernunft zugänglichen Harmonie schaut, wäre nicht ergriffen, wenn er eine sinnlich tönende Harmonie hört?" Plotin, Enneaden II, 9, 16 Z. 39-41. Vgl. H. U. v. Balthasar, Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik, zv. III/I: Im Raum der Metaphysik, Einsiedeln 1965, Kap. I, C, 5: Plotin: c. Das Überschöne und das Schöne, S. 271 ff., bes. 278. Ist die Musik also "klangliche Metaphysik"? Vgl. Glasba, zveneča metafizika (Musik, klangliche Metaphysik). Ein Gespräch mit dem Komponisten Lojze Lebič (Matjaž Barbo, Matija Ogrin in Brane Senegačnik haben den Komponisten interviewt), in: Tretji dan XXIV/1 (206), Januar 1995, S. 18-21, bes. 19: "Wir wissen alles darüber, woraus die Musik besteht, über Tone, Proporzen, Techniken, Formen. Aber, daß wir dieses Bekannte und Erforschte dann auf einer anderen wunderbar mysteriösen Ebene erleben, das ist "klangliche Metaphysik." Können wir aber mit Wittgenstein in der Musik eins von den "Sprachspielen" Nach Wittgensteins Vorbild mit dem "Sprachspiel" meine ich hier Musik, insofern sie alle ihre verschiedenen Ebenen umfaßt. Vgl. PU I, 7, S. 241: "Ich werde auch das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verworben ist, das 'Sprachspiel' nennen."erkennen? Vielleicht jenes fainste, das auf die würdigste Weise das Unaussprechliche, von dem man sonst "nicht sprechen kann, sondern muß man darüber schweigen", Vgl. Tractatus 7: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen." aussprechen möchte. Ist Musik also in ihrer letzten Tendenz wirklich das Aussprechen des Unaussprechlichen oder wird sie selbst immer wieder von dem Unaussprechlicen, der sich in ihr offenbart, ausgesprochen? Die Frage bleibt offen. Obwohl sie jeder selbst beantworten muß, erlauben Sie mir, daß ich beim Abschied den vielsagenden Ausruf zitiere, welchen Mozarts Musik bei Hans Küng herausgerufen hat: Chiffren also, Spuren der Transzendenz! Man muß sie nicht, man kann sie wahrnehmen, hier gibt es keinen Zwang: Öffne ich mich, so kann ich gerade in diesem wortlos sprechenden Geschehen der Musik von einem unaussprechlich-unsagbaren Geheimnis angerührt werden, kann in diesem überwältigenden, befreienden, beglückenden Erleben der Musik die Anwesenheit einer tiefsten Tiefe oder höchsten Höhe selbst erspüren, erfühlen und erfahren. Reine Gegenwart, stille Freude, Glückseligkeit. Die religiöse Sprache braucht, um solche Erfahrung und Offenbarwendung der Transzendenz zu umschreiben, noch immer das Wort Gott, dessen Wesen (Nikolaus von Kues zufolge) gerade jene - auch für Mozarts Musik charakteristische - Coincidentia oppositorum ausmacht: die Versöhnung aller Gegensätzlichkeiten. H. Küng, Mozart - Spuren der Transcendenz, München 1991, S. 42. Zusammenfassung Musik als Aussprechen des Unaussprechlichen? Dieser Beitrag möchte durch Betrachtung der grundzüglichen Gedanken aus Plotins Enneade (I,3) ’Über Dialektik’ über die Möglichkeit vom heutigen Aufstieg des "Musikers, Erotikers oder Philosophen" zur Schönheit selbst sprechen und damit die Selbstverständlichkeit von einigen gegenwärtigen, analitisch oder phänomenologisch gefärbten Betrachtungen der Musik, insofern sie nur ihre tonale Ebene in Acht nehmen, indirekt unter Frage stellen. Musik könnte man nämlich nach Analogie mit lingvistischen Ergebnissen von Ferdinand de Saussure als Sprache [langue] verstehen, das heißt als eigenartige Syntax oder semantische Struktur, die schon vor jedesmaliger Anwendung im Sprechen [parole] der Musikalischen Werke an sich selbst existiert. Aber im Lichte von Platons Dialog Timaios muß ich mich als Philosoph fragen, woher Musik als solche ihr Dasein empfängt und nicht nur, was ihre metaphorische Sprache, die von Deryck Cooke einfach als "Sprache der Musik" [language of music] gennant wird, überhaupt ausdrücken kann. Musik könnte man wieder mit Wittgensteins Ausdruck nennen und in ihr erkennt man eins von "Sprachspielen". Vielleicht jenes fainste, das auf die würdigste Weise das Unaussprechliche, von dem man sonst "nicht sprechen kann, sondern muß man darüber schweigen", aussprechen möchte. Ist Musik also in ihrer letzten Tendenz wirklich das Aussprechen des Unaussprechlichen oder wird sie selbst immer wieder von dem Unaussprechlicen, der sich in ihr offenbart, ausgesprochen? PAGE 10