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Johannes Grave Selbst-Darstellung Das Präparat als Bild Johannes Grave Selbst-Darstellung I. Der so genannte iconic turn hat längst auch die Wissenschaftsgeschichte oder science studies erfasst. 1 Nicht allein innerhalb der wissenschaftshistorischen Forschung wird dem Status von Zeichnungen, Fotografien und anderen Visualisierungen in den Naturwissenschaften zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt; vielmehr wirken erste Studien auf diesem Gebiet auch auf die allgemeine Debatte zur Bedeutung von Bildern zurück. Epistemische Bilder rücken damit zu einem privilegierten Gegenstand der bildwissenschaftlichen Diskussionen auf und stellen die paradigmatische Stellung des Kunstbildes in Frage. Das Terrain der Bildpraxis in den Naturwissenschaften ist jedoch weder historisch noch systematisch auch nur annähernd sondiert. 2 Neben vergleichsweise ‹klassischen› Themen, wie der Fotografie, gibt es systematisch höchst interessante Grenzbereiche, die bislang kaum zum Gegenstand bildwissenschaftlicher Überlegungen geworden sind. Exemplarisch soll im Folgenden ein solcher Grenzbereich in den Blick genommen werden. Ich folge dabei einer Anregung HansJörg Rheinbergers, der jüngst vorgeschlagen hat, Präparate als «‹Bilder› ihrer selbst» zu verstehen. Der Gedanke leuchtet auf den ersten Blick ein: Wie Bilder adressieren Präparate einen Blick, sie zeigen sich ostentativ und versprechen Aufschluss über einen Sachverhalt, also Erkenntnis. Präparate fungieren zwar nicht als Abbilder und können nicht im eigentlichen Sinne als Repräsentation von etwas anderem gelten. Dennoch kommt ihnen der Status von Darstellungen zu, die ein besonders hohes Potential an visueller Evidenz aufweisen. 3 Doch hinter der Charakterisierung von Präparaten als «Bildern ihrer selbst» verbirgt sich eine grundlegende Herausforderung für jede Theorie des Bildes: Lassen sich Bilder denken, bei denen das Dargestellte und die Darstellungsmittel materiell identisch sind? Kann es überhaupt Gegenstände geben, die zugleich «Bilder ihrer selbst» sind? Gerade die materielle Entsprechung von Darstellung und Dargestelltem scheint jegliche Form der Differenz zu suspendieren, ohne die eine Bildlogik nicht sinnvoll zu denken ist. Unabhängig davon, wie man die das Bild auszeichnende Differenz konzeptualisiert – etwa im Sinne semiotischer Bildtheorien als Differenz zwischen Zeichen und Bezeichnetem 4 oder im Anschluss an phänomenologische Bildkonzepte als Differenz zwischen dem Bild als physischem Ding, dem Bildobjekt und dem Bildsujet 5 –, impliziert jede Verwendung des Bildbegriffs einen Bezug des Bildes auf etwas, das seinen Ort außerhalb des Bildes hat. Nichts anderes ist gemeint, wenn wir sagen, dass wir im Bild etwas, und zwar etwas anderes als nur das Bild selbst, sehen. Dieser Bezug muss keineswegs zwingend als Abbildrelation im Sinne des klassischen Begriffs der Repräsentation verstanden werden. 6 Doch auch jenseits der Urbild-Abbild-Relation ist 25 das Bild ein Bild von etwas – ohne dass dieses ‹Etwas› notwendig vorgängig gegeben und eindeutig identifizierbar sein muss. Liegt eine solche Differenz in keiner Weise vor, so scheint die Charakterisierung als Bild irreführend. Was sich in diesem Fall zeigt, wäre schließlich als die ‹Sache selbst› hinreichend beschrieben, und es scheint keinen Grund zu geben, um mit der Wahrnehmung dieser Sache ein Bildbewusstsein zu verbinden. Der Grundsatz, dass Bilder mit dem jeweils Dargestellten nicht identisch sein können, scheint für die Bildtheorie noch aus einem weiteren Grunde unausweichlich zu sein. Zumindest drängt sich der Verdacht auf, dass andernfalls bloß die Option bliebe, das Bild allein aufgrund seiner Verwendung als Bild zu bestimmen. Um eine solche rein funktionale Definition des Bildes zu vermeiden, hat Lambert Wiesing gefordert, nicht jeden als Bild verwendbaren Gegenstand als Bild zu bezeichnen. Die Musterschraube, die ein Kunde dem Händler vorzeige, um weitere Schrauben desselben Typs zu kaufen, möge zwar kurzzeitig als eine Art Bild fungieren, dennoch käme ihr keine Bildlichkeit im eigentlichen Sinne zu. Für Wiesing steht daher ein zentrales Merkmal des Bildes nicht zur Disposition: «Bilder zeigen etwas, was sie selbst nicht sind». 7 Für das Präparat, dessen Charakterisierung als Bild uns zunächst einleuchtend erschien, ist jedoch in dieser Bildtheorie kein Platz. Es ließe sich allenfalls als ein Gegenstand bezeichnen, der dauerhaft als Bild verwendet wird, ohne doch selbst Bild sein zu können. 1 Jean-Baptiste Siméon Chardin, Le bocal d’olives, 1760, Öl auf Leinwand, 71 x 98 cm, Musée du Louvre, Paris. 26 kritische berichte 4.2009 II. Die Probleme, mit denen sich der Versuch konfrontiert sieht, das Präparat als Bild aufzufassen, betreffen freilich nicht nur diesen einen, vermeintlich abseitigen Sonderfall. Vielmehr kennt die Kunstgeschichte verschiedene Konstellationen, in Johannes Grave Selbst-Darstellung denen Gegenstände als Bild bezeichnet worden sind, obwohl das Bild und der dargestellte Gegenstand nicht materiell voneinander geschieden sind. Haben wir es in diesen Fällen – wie vielleicht beim Präparat – nur mit einem unscharfen Begriffsgebrauch zu tun, oder deutet sich in ihnen eine grundsätzliche Herausforderung allgemeiner Bildtheorien an? Als abseitige Aperçus mögen zunächst jene Gedankenexperimente an den Grenzen des Bildbegriffs anmuten, die Denis Diderot und Heinrich von Kleist – vermutlich unabhängig voneinander – skizziert haben. Beide imaginierten Bilder, bei denen das Dargestellte und die Darstellungsmittel materiell identisch sind. 8 Sah sich Diderot 1763 durch ein Stillleben Jean-Baptiste Siméon Chardins (Abb. 1) dazu veranlasst, dem Künstler zu unterstellen, er male mit der «substance même des objets» 9, so ließ sich Kleist 1810 durch Friedrichs Mönch am Meer (Abb. 2) dazu anregen, sich eine Landschaft vorzustellen, die allein «mit ihrer eignen Kreide und mit ihrem eigenen Wasser» 10 gemalt wäre. Die von Diderot und Kleist imaginierten selbstreferentiellen Grenzfälle von Bildern erweisen sich als deutlich weniger abwegig, wenn man auf die Gartenkunst des 18. Jahrhunderts blickt. Der englische Landschaftsgarten greift nicht nur auf einen verbreiteten Bildbegriff, das Tableau, zurück, sondern führt diesen zugleich an seine Grenzen. Seit seinen Anfängen ist der englische Landschaftsgarten von einer Bildästhetik geprägt, die bereits in der zeitgenössischen Gartenliteratur – in Traktaten, Briefen, Dichtungen etc. – unverkennbar Ausdruck findet und auf folgenreiche Weise reflektiert wird. Geradezu ubiquitär verbreitet sich im 18. Jahrhundert der Vergleich zwischen Gartenkunst und Tafelbild: «All gardening is landscape-painting.» 11, brachte Alexander Pope bereits 1734 die Orientierung an bildhaften Wirkungen auf den Punkt. Jacques Delille nannte den gesam- 2 Caspar David Friedrich, Der Mönch am Meer, um 1808-1810, Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Alte Nationalgalerie, Berlin. 27 28 4.2009 kritische berichte ten Garten folgerichtig «un vaste tableau» 12, dessen sich der Gartenkünstler wie einer Leinwand bedienen solle. Kunsthistorische Studien zur Geschichte des englischen Landschaftsgartens haben inzwischen differenziert herausgearbeitet, wie weit der Vergleich von Garten und Gemälde tatsächlich trägt. 13 Den Kern der Bildästhetik des Landschaftsgartens bildet nicht der – kaum je realisierte – Gedanke, Kompositionen aus der Landschaftsmalerei im Garten getreu nachzubilden. Vielmehr zeigt sich in den zitierten Äußerungen das Streben nach einer bildhaften Erscheinung und Wirkung von Gartenpartien. Der Transfer der etablierten Bildästhetik in die Gartenkunst und der Rückgriff auf Gestaltungsprinzipien der Malerei (Einsatz von Repoussoirs, gezielte Blickführung und Fokussierung, harmonische Hell-Dunkel-Verteilung, perspektivische Effekte etc.) zeitigten weitreichende Folgen für den zugrunde liegenden Bildbegriff. Implizierte das klassische Tafelbild eine selbstverständliche Differenz von materiellem Bild und dargestelltem Gegenstand, so wurde eben diese Differenz angesichts der bildhaften Anblikke im Landschaftsgarten fraglich. Die Gartenliteratur des 18. Jahrhunderts lässt keinen Zweifel daran, dass dieses Problem bereits von den Zeitgenossen erkannt wurde. Während Gartengedichte regelrecht mit der Frage nach der Materialität des Bildes spielen, 14 versuchen theoretische Texte zu klären, warum das Bild im Garten – anders als das Tafelbild – nicht mehr an einen materiellen Bildträger, an bestimmte Farbsubstanzen und geläufige Darstellungsmittel gebunden ist. Dass Pflanzen, Bäume, Steine, Gewässer etc. nun zugleich als Dargestelltes und Darstellungsmittel in das Bild eingehen, hat etwa Christian Cay Lorenz Hirschfeld als einen besonderen Vorzug des Gartens verstanden: «Alles geht hier in eine würkliche Darstellung über.» 15 Und dennoch erweist sich genau dieser Vorzug zugleich als fundamentale Herausforderung an jenen Bildbegriff, den die Gartentheorie zu einem ihrer Leitkonzepte gemacht hatte. So sieht sich Carl Heinrich Heydenreich in seinem System der Ästhetik gleich mehrfach gezwungen, angesichts des Gartens von der ihm vertrauten Semiotik der Kunst Abstand zu nehmen. Die «schöne Gartenkunst» sei den bildenden Künsten eng verwandt, «nur mit dem Unterschiede, dass hier die Schönheiten der landschaftlichen Natur durch sich selbst nachgeahmt werden». 16 Die semiotische Kategorisierung der bildenden Künste, die das spätere 18. Jahrhundert so nachdrücklich geprägt hat, 17 gerät hier unweigerlich an Grenzen: «Streng genommen dürfte man schwerlich sagen, der Gartenkünstler besitze ein Zeichen, um darzustellen [...].» 18 Jene Differenz von Dargestelltem und Darstellungsmittel, die dem Tableau wie selbstverständlich eigen zu sein schien, lässt sich für den Landschaftsgarten nicht in gewohnter Weise namhaft machen. Der Transfer eines geläufigen Bildbegriffs, hier des Tafelbilds, in einen neuen Kontext, sprengt zugleich dessen Grenzen. Die Reihe der Beispiele von Bildern der Kunstgeschichte, die keine klare materielle Differenz zwischen Darstellungsmitteln und Dargestelltem aufweisen, ließe sich mühelos vermehren. Ein scheinbar marginales, auf den zweiten Blick jedoch ungemein aufschlussreiches Beispiel bietet das so genannte faux terrain in Panoramen, mithin jene Zone vor dem eigentlichen Panoramabild, die zum Teil mit echten Felsen, Pflanzen, Gegenständen des alltäglichen Lebens und anderen Requisiten staffiert wurde, um die Distanz zwischen Panoramabild und Betrachter zu überbrücken, ohne die Illusion des Panoramas zu gefährden. 19 Auch hier wurden Objekte in eine bildliche Darstellung integriert, damit sie sich selbst zeigen. Johannes Grave Selbst-Darstellung Bei aller notwendigen, systematischen wie historischen Differenzierung, die in diesem Rahmen nicht geleistet werden kann: Die von Diderot und Kleist geschilderten bzw. imaginierten Gemälde, die Bildästhetik des Landschaftsgartens und das faux terrain des Panoramas kommen dem Präparat in einem wesentlichen Grundzug – und nur dieser soll hier interessieren – auffällig nahe: In all diesen Fällen geht, was im Bild anschaulich werden soll, selbst als Darstellungsmittel materiell in die Darstellung ein. Damit aber wird das Bild zu einem Schauplatz, auf dem nicht ein Sujet mit anderen Mitteln repräsentiert wird, sondern sich etwas selbst zu präsentieren scheint. Trotz aller Veränderungen, die das jeweilige Material im Kontext der Darstellung erfährt, ist es, um Diderots Überlegungen zu Chardins Stillleben aufzugreifen, die «substance même des objets», mit der etwas im Bild zur Erscheinung kommen soll. Diese «substance» wird in das Bild eingebracht – allerdings, um ‹darzustellen›, was sie ohnehin ist. III. Der Umweg über einige kunsthistorische Beispiele kann darauf aufmerksam machen, dass sich nicht allein angesichts von Präparaten die Frage stellt, ob sich Bilder denken lassen, die mit dem Dargestellten materiell identisch sind. Der Blick in die Kunstgeschichte kann zeigen, dass auch Bildern, denen eine klare Differenz zwischen Darstellungsmitteln und Dargestelltem zu fehlen scheint, unverkennbar Techniken und Strategien der Darstellung zugrunde liegen. Nach diesen Formen der Darstellung gilt es auch für das Präparat zu fragen. Wie kann das Objekt im Präparat zur Darstellung kommen? Warum scheint das präparierte Objekt nicht nur in seiner bloßen Präsenz zu verharren, sondern sich selbst zu zeigen? Damit sich das Objekt selbst präsentieren und zur Erscheinung bringen kann, bedarf es bestimmter ästhetischer Ereignisse, Eingriffe oder Strategien, die das Objekt nicht nur aus den ihm eigenen Kontexten und Relationen herauslösen, sondern auch in neue Konstellationen einbetten. Das Sich-Zeigen des Objekts im Präparat ist nicht zu denken, ohne dass das Objekt markiert wird, eine Rahmung erhält oder aber vor einem neuen Hintergrund erscheint. Sind die Dinge, die uns umgeben, in der Regel in «Bewandtniszusammenhänge» eingebettet, so dass es einer bestimmten Aufmerksamkeit bedarf, damit das einzelne Ding aus seinem Kontext heraustritt und für uns auffällig wird, 20 so erscheint das Präparat auch in großen Sammlungen immer als begrenzte singuläre Einheit, die sich erst in einem zweiten Schritt in neue Zusammenhänge einordnen lässt. Zum Präparat wird das Objekt etwa, indem es durch Glasträger gerahmt (Mikroskopierpräparat), auf einen Bogen Papier montiert und so vor einem neuen Hintergrund situiert wird (Herbarium) oder eine verschlossene, gläserne Einfassung erhält (Nasspräparat). Erst so kommt ihm eine exponierte Sichtbarkeit zu, kann es sich vom Rahmen oder vom Hintergrund abheben, um sich selbst zu zeigen. An einem Mikroskopierpräparat (Abb. 3) lässt sich exemplarisch nachvollziehen, dass diese exponierte Sichtbarkeit des Präparats immer fragil bleiben muss. 21 Denn selbst unscheinbarste Markierungen und Rahmungen, die den Gegenstand erst aus der Fülle der uns umgebenden Dinge herauslösen, so dass er als Präparat erscheinen kann, können zugleich die Aufmerksamkeit von der ‹Sache selbst› ablenken. Im Fall des vergleichsweise aufwendig dekorierten Mikroskopierpräparats tritt dieses Ablenkungspotenzial deutlich zu Tage. Der ornamental verzierte Rahmen des Glasträgers scheint zunächst weitgehend bedeu29 4 Buchnera rosea Kunth (Isotyp), 1799 in Venezuela präpariert von Aimé Bonpland und Alexander von Humboldt, Herbarium des Muséum national d’Histoire naturelle, Paris. tungslos. Er bietet Platz für eine Beschriftung, verschwindet aber spätestens aus dem Blickfeld, wenn das Präparat unter ein Mikroskop gelegt wird. Damit ist indes nicht ausgeschlossen, dass der Rahmen – vor oder nach der vorgesehenen Nutzung des Objektträgers unter dem Mikroskop – für einen Augenblick Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. In einem solchen Moment tritt neben den intendierten Blick durch die Linse des Mikroskops ein zweiter Modus des Sehens: Der Blick fokussiert das gerahmte Präparat und wird einem Blick auf ein Bild oder Fenster vergleichbar. Der Rahmen, der zuvor nur die begrenzte Einheit des Präparats akzentuierte, bildet nun zusammen mit dem präparierten Objekt eine eigene, neue visuelle Einheit. Der Gegenstand unserer Wahrnehmung ist unter diesen Umständen nicht mehr ein hauchdünner Streifen einer Baumwurzel, sondern der gesamte Glasträger samt präpariertem Objekt und ornamentaler Rahmung. 22 Verschiebt sich der Fokus der Wahrnehmung derart, dass das gesamte Ensemble von Objektträger, ornamentalem Etikett und eigentlichem Präparat als eine Einheit in den Blick kommt, so verschmelzen das Objekt und der Objektträger kurzzeitig. Spätestens in diesem Moment wird fraglich, was eigentlich die ‹Sache selbst› ist. 23 Ist mit dem Präparat nur der hauchdünne Streifen der Baumwurzel gemeint oder die Einheit aus präpariertem Gegenstand und Objektträger? Zeigt sich am Beispiel des Mikroskopierpräparats die Bedeutung des Rahmens für das Präparat, so lässt sich an Pflanzenpräparaten in Herbarien (Abb. 4) beobachten, dass jedes Präparat Anordnungsnotwendigkeiten unterliegt, die den Prä30 4.2009 Mikroskopierpräparat, 19. Jahrhundert, Whipple Museum of the History of Science, Cambridge. kritische berichte 3 Johannes Grave Selbst-Darstellung parator – bei allem Bemühen um das Ausschalten subjektiver Vorlieben und Idiosynkrasien – zu ästhetischen Entscheidungen zwingen. Mit dem Papierbogen, der den Fond für die getrocknete Pflanze bietet, ist ein begrenztes visuelles Feld vorgegeben, zu dem sich das Pflanzenpräparat verhalten muss. Es geht unvermeidlich eine Konstellation mit einem Hintergrund ein, richtet sich an den Begrenzungen des Bogens aus und verdeckt etwa die Sicht auf Rückseiten von Blüten und Blättern. Dieser Zwang zur Gestaltung der Pflanze auf dem Bogen ergibt sich nicht allein aus praktischen Notwendigkeiten, mithin aus der Funktion des Bogens, die Pflanze zu fixieren und zu stabilisieren. Vielmehr ermöglicht erst der Hintergrund des Papierbogens, dass sich die Pflanze im eigentlichen Sinne zeigt. Dem Zeigen ist prinzipiell, so Gottfried Boehm, eine eigene «Hintergründigkeit» inhärent, es setzt einen Grund voraus, von dem sich die zeigende Geste abheben kann. 24 Der Papierbogen des Herbarblattes richtet diese unverzichtbare «Hintergründigkeit» des Zeigens auf eine sehr einfache, elementare Weise ein. Er löst das Präparat aus seinem ursprünglichen Kontext und verhindert ein Zurücksinken der Pflanze in andere Zusammenhänge (etwa in die Natur, in Abfall etc.). Mit den beiden Beispielen, dem Mikroskopierpräparat und der Herbarpflanze, deutet sich an, dass keineswegs voraussetzungslos klar ist, was es heißt, wenn sich die ‹Sache selbst› im Präparat zeigt. Was im Präparat als die ‹Sache selbst› vorausgesetzt zu sein scheint, wird als abgegrenzte Einheit wesentlich mittels einiger parerga (etwa mit Hilfe des Rahmens) sowie durch spezifische Kontexte (etwa durch die Situierung vor einem Hintergrund) konstituiert und ist sogleich Gestaltungszwängen unterworfen. Aus eigener Kraft könnte der präparierte Gegenstand nicht auf sich selbst zeigen. Erst wenn die deiktische Funktion des Präparats etabliert ist, kann verlässlich gesagt werden, was die ‹Sache selbst› ist. Das Ding ist uns nicht problemlos gegeben, um sich in einem zweiten Schritt als Präparat zu zeigen, vielmehr ist es auf eine Deixis angewiesen, um zum Vorschein zu kommen. Die ‹Sache selbst› kann daher grundsätzlich nie unverändert in ihre Darstellung eingehen. Tatsächlich muss sich das Objekt zunächst selbst gewissermaßen fremd werden, damit es zum Präparat werden kann. Es muss aus seinem ursprünglichen ‹Bewandtniszusammenhang› gelöst, aus dem Kontinuum der uns alltäglich umgebenden Dinge separiert werden und gezielt Aufmerksamkeit auf sich lenken. Neben technischen Interventionen, die der Stabilisierung, Fixierung und besseren Sichtbarkeit des Objekts dienen, sind daher auch ästhetische Eingriffe für das Präparat unverzichtbar: Markierungen, Rahmungen, Einfassungen, Anordnungen, Gestaltungen oder die Etablierung von Figur-Grund-Relationen, wie sie sich am Beispiel des Mikroskopierpräparats und der Pflanze im Herbarium beobachten ließen. 25 Erst durch ästhetische Eingriffe wird das Objekt als begrenzte, isolierte Einheit für einen Blick konstituiert; erst so kann es die ‹Sache selbst› werden, die sich im Präparat zeigen soll. Mit diesen ästhetischen Strategien geht die ‹Sache selbst› in eine Darstellung ein, wird zu deren Gegenstand und materiellem Substrat zugleich und erfüllt eine Funktion, die ihr eigentlich nicht eigen ist. Diese Transformation des Objekts zum Präparat legt nicht einen zuvor verborgenen Kern frei, so als würde uns die ‹Sache selbst› unverstellt zugänglich gemacht, vielmehr impliziert das Präparat eine komplexe Relation der ‹Sache› zu ihrer Darstellung. Denn diese ‹Sache› ist uns überhaupt erst dadurch gegeben, dass sie zum Vorschein kommt und sich 31 32 kritische berichte IV. Zu einer wirklichen Herausforderung für allgemeine Bildtheorien kann das Präparat nur werden, wenn die ihm eigene Form der Darstellung einer detaillierten Analyse unterzogen wird. Eine vorschnelle systematische Einordnung, die dem Präparat den Bildstatus abspricht, weil es bloß zeigt, was es selbst ist, würde dessen produktiv verstörendes Potenzial verspielen. Die Auseinandersetzung mit dem Präparat kann daher exemplarisch zeigen, welche unverzichtbare Rolle kunsthistorischen Analysen auch in der Diskussion um Grundfragen des Bildes zukommt. Während bildtheoretische Konzepte dazu tendieren, dem Verständnis bildlicher Repräsentation kategorische Differenzen, etwa die Differenz von Dargestelltem und Darstellungsmittel, zugrunde zu legen, kann der Rückgriff auf kunsthistorische Analysen einzelner konkreter Bilder darauf aufmerksam machen, wie variabel und vielleicht gar instabil derartige grundlegende Differenzen sind. So zeigt sich etwa im Fall des Präparats, dass erst der scheinbar inadäquate Blick auf dessen ästhetische Rahmungen und Arrangements begreiflich macht, warum das Objekt im Präparat nicht nur gegeben ist, sondern zur Darstellung kommt. Die von der Bildtheorie vorausgesetzte Differenz zwischen Dargestelltem und Darstellungsmitteln ist dabei nicht aufgehoben, muss aber doch grundlegend anders konzeptualisiert werden. Wenn die Kunstgeschichte gegen allgemeine Bildtheorien Einsprüche geltend macht, so muss sie sich daher nicht allein darauf beschränken, historische Differenzierungen einzufordern, wo Bildtheorien epochenübergreifend argumentieren. Vielmehr kann die Kunstgeschichte offensiv die Komplexität ihrer Gegenstände und ihres eigenen methodischen Zugriffs gegen voreilige systematische Reduktionen ins Feld führen. Die enge Koppelung an den Kunstbegriff, die bisweilen wie ein problematisches Erbe des Faches erscheint, könnte sich dabei als überraschend produktiv erweisen. Da sich die Bildproduktion der Kunst durch eine wohl einzigartige Dynamik der Setzung und Revision von Begriffen des Bildes auszeichnet, ist die Kunstgeschichte wie kein zweites Fach dazu aufgerufen, gegen den systematischen ‹Purismus› allgemeiner Bildtheorien auf der Komplexität des Bildes zu beharren. 4.2009 selbst zeigt. Damit aber ist sie immer schon in einen Darstellungszusammenhang eingebettet, ist nicht mehr bloßes Material, sondern zugleich Gegenstand einer Darstellung. Im Präparat wird daher die Differenz zwischen Darstellung und Dargestelltem keineswegs aufgehoben, vielmehr verlagert sich diese Differenz in die ‹Sache selbst›. Wenngleich diese Differenz zwischen Darstellungsmittel und Dargestelltem nicht an materiellen Unterschieden ausgemacht werden kann, wird sie mitnichten obsolet. Entgegen der Anfangsvermutung, dass Präparate die für Bilder unverzichtbare Differenz zu einer externen Referenz kollabieren lassen, können sie daher durchaus in sinnvoller Weise als «Bilder ihrer selbst» bezeichnet werden, nur setzt eine solche Redeweise voraus, dass sich die das Bild charakterisierende Differenz nicht zwingend als materieller Unterschied ausweisen lassen muss. In diesem Sinne ist das Präparat ein herausfordernder Testfall der Bildtheorie. Es wirft die Frage auf, ob die Differenz des Bildes zu dem in der bildlichen Darstellung Gemeinten materiell realisiert sein muss oder auch rein relational gedacht werden kann. Anmerkungen Die folgenden Ausführungen greifen Überlegungen auf, die ich in einem anderen Kontext skizziert habe; vgl. Johannes Grave, «Nur die Sache selbst? Das Präparat als Grenzfall des Bildes», in: Zeigen. Die Rhetorik des Sichtbaren, hg. v. Gottfried Boehm/Sebastian Egenhofer/Christian Spies, München (im Erscheinen). Partielle Überschneidungen mit diesem Text sind unvermeidlich. Wesentliche Anregungen verdankt der Essay dem Wandering Seminar History of Scientific Objects, das das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin zusammen mit europäischen Partnerinstitutionen im Mai und Juni 2006 organisierte. 2 Einen ersten Überblick vermittelt Olaf Breidbach, Bilder des Wissens. Zur Kulturgeschichte der wissenschaftlichen Wahrnehmung, München 2005; vgl. auch Das technische Bild. Kompendium zu einer Stilgeschichte wissenschaftlicher Bilder, hg. v. Horst Bredekamp/Vera Dünkel/Birgit Schneider, Berlin 2008; sowie HansJörg Rheinberger, «Sichtbar Machen. Visualisierung in den Naturwissenschaften», in: Bildtheorien. Anthropologische und kulturelle Grundlagen des Visualistic Turn, hg. v. Klaus Sachs-Hombach, Frankfurt am Main 2009, S. 127–145. 3 Hans-Jörg Rheinberger, «Präparate – ‹Bilder› ihrer selbst. Eine bildtheoretische Skizze», in: Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik 2003, Bd. 1, Heft 2, S. 9–19, hier S. 10; vgl. auch ders., «Objekt und Repräsentation», in: Mit dem Auge denken. Strategien der Sichtbarmachung in wissenschaftlichen und virtuellen Welten, hg. v. Bettina Heintz u. Jörg Huber, Zürich 2001, S. 55–61; sowie ders., «Die Evidenz des Präparats», in: Spektakuläre Experimente. Praktiken der Evidenzproduktion im 17. Jahrhundert, hg. v. Helmar Schramm/Ludger Schwarte/ Jan Lazardzig, Berlin 2006 (Theatrum Scientiarum, Bd. 3), S. 1–17. Eine Geschichte des Präparats, die technische, funktionale und ästhetische Fragen gleichermaßen berücksichtigt, fehlt noch immer; zu diesem Desiderat vgl. Thomas Schnalke, «Der expandierte Mensch. Zur Konstitution von Körperbildern in anatomischen Sammlungen des 18. Jahrhunderts», in: Medizin, Geschichte und Geschlecht. Körperhistorische Rekonstruktionen von Identitäten und Differenzen, hg. v. Thomas Schnalke/Frank Stahnisch/Florian Steger, Wiesbaden 2005 (Geschichte und Philosophie der Medizin, Bd. 1), S. 63–82. 4 Für eine Konzeptualisierung der ikonischen Differenz im Anschluss an semiotische Bildtheorien vgl. z. B. Martin Seel, Ästhetik des Erscheinens, Frankfurt am Main 2003, S. 255– 293. 5 Vgl. etwa Edmund Husserl, Phantasie und Bildbewusstsein, hg. v. Eduard Marbach, Hamburg 2006, bes. S. 22. Johannes Grave Selbst-Darstellung 1 Vgl. Louis Marin, «Die klassische Darstellung», in: Was heißt «Darstellen»?, hg. v. Christiaan L. Hart Nibbrig, Frankfurt am Main 1994, S. 375–397. 7 Lambert Wiesing, Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes, Frankfurt am Main 2005, S. 59. 8 Ausführlicher dazu Johannes Grave, «‹C’est la substance même des objets›. Kritische Überbietungen des Topos von den Trauben des Zeuxis bei Diderot und Kleist», in: Dialog und Differenzen 1789-1870. Deutsch-französische Kunstbeziehungen, hg. v. Isabelle Jansen u. Friederike Kitschen, Berlin (im Erscheinen). 9 Denis Diderot, «Salon de 1763», in: Ders., Œuvres complètes, hg. v. Jean Varloot, Bd. 13: Critique I. Arts et lettres (1739-1766), Paris 1980, S. 333–415, hier S. 380. 10 Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke. Brandenburger Ausgabe, hg. v. Roland Reuß u. Peter Staengle, Abt. II, Bd. 7: Berliner Abendblätter I, Basel 1997, S. 61–62. 11 Popes Bemerkung ist durch Joseph Spence überliefert worden: Joseph Spence, Observations, Anecdotes and Characters of Books and Men, Collected from Conversation, hg. v. James M. Osborne, 2 Bde., Oxford 1966, Bd. 1, S. 252, Nr. 606. 12 Jacques Delille, Les jardins ou l’art d’embellir les paysages. Poème, Paris 1782, S. 13. 13 Vgl. Adrian von Buttlar, Der englische Landsitz, 1715-1760. Symbol eines liberalen Weltentwurfs, Mittenwald 1982, bes. S. 63–83; Ders., «Gedanken zur Bildproblematik und zum Realitätscharakter des Landschaftsgartens», in: Die Gartenkunst, 1990, Bd. 2, Heft 1, S. 7–19; Günter Herzog, Hubert Robert und das Bild im Garten, Worms 1989; Ulrich Müller, «Die Bildhaftigkeit der Natur», in: Natur der Ästhetik – Ästhetik der Natur, hg. v. Olaf Breidbach, Wien/New York 1997, S. 83–100. 14 Vgl. etwa Delille 1782 (wie Anm. 12). 15 Christian Cay Lorenz Hirschfeld, «Über die Verwandtschaft der Gartenkunst und der Malerei», in: Gothaisches Magazin der Künste und Wissenschaften 1776, Bd. 1, S. 41–58, hier S. 57. 16 Carl Heinrich Heydenreich, System der Ästhetik, Leipzig 1790, S. 175–176. 17 Vgl. etwa David E. Wellbery, Lessing’s Laocoon. Semiotics and Aesthetics in the Age of Reason, Cambridge 1984. 18 Heydenreich 1790 (wie Anm. 16), S. 294 (Hervorh. im Original). 19 Den Hinweis auf das faux terrain verdanke ich Peter Geimer; vgl. etwa Stephan Oettermann, Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums, Frankfurt am Main 1980, hier S. 41–42 u. S. 124–127; Oliver Grau, Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. Visuelle Strategien, 2. Aufl. Berlin 2002, S. 55 u. S. 96. 20 Vgl. die einschlägige Differenzierung zwischen zuhandenem Zeug und Vorhandenem bei 6 33 34 kritische berichte 4.2009 Martin Heidegger, Sein und Zeit, 19. Aufl., Tübingen 2006, hier S. 66–88 (§ 15–18). 21 Vgl. Johannes Grave, «On the Aesthetics of Scientific Objects. Three Case Studies», in: Wandering Seminar on Scientific Objects, hg. v. Sophia Vackimes u. Konstanze Weltersbach, Berlin 2007 (Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Preprint 339), S. 35–47. 22 Vermutlich handelt es sich bei dem hier als Beispiel herangezogenen Mikroskopierpräparat um ein kommerzielles Produkt für Amateure. Einfachere Formen von Rahmungen finden sich aber bei nahezu allen erhaltenen Mikroskopierpräparaten aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert; vgl. die zahlreichen Abbildungen bei Brian Bracegirdle, A History of Microtechnique. The Evolution of the Microtome and the Development of Tissue Preparation, London 1978. 23 Die hier skizzierte Analyse der parergonalen Dynamik des Rahmens ließe sich insbesondere unter Rückgriff auf Überlegungen Jacques Derridas vertiefen; vgl. Jacques Derrida, La vérité en peinture, Paris 1978, S. 19–168, hier S. 44–94. 24 Gottfried Boehm, «Die Hintergründigkeit des Zeigens. Deiktische Wurzeln des Bildes», in: Ders., Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin 2007, S. 19–33, hier S. 23–24. 25 Die Unterscheidung zwischen technischer Präparation und ästhetischer Präsentation sollte jedoch nicht als Differenzierung verschiedener Arbeitsgänge missverstanden werden. Genau genommen, gehen mit jedem scheinbar rein ‹technischen› Eingriff des Präparators ästhetische Entscheidungen einher.