Sichel
DER KAMPF
MIT DER SICHEL
TuTorial
von Julia Gräf und Ingo Petri
jedoch ein geringes Aus-der-Linie-Treten
nicht ausschließt. In der Regel erfolgt die
Schrittarbeit auf derselben Seite wie der
Angrif. Dabei können Gleitschritte und
Passierschritte verwendet werden.
Die Wafe wird zumeist in der rechten
Hand gehalten. Die linke Hand wird zu
ihrem Schutz auf die linke Hüfte gelegt;
nur wenn sie direkt für das Sichern des
gegnerischen Arms gebraucht wird, wird
sie mit nach vorne genommen.
Abgebildet sind unserer Meinung nach
nicht immer Ausgangspositionen der
Technikabfolgen, sondern Momentaufnahmen während der Durchführung der
beschriebenen Techniken. In einigen Fällen scheint auch in der Beschreibung ein
erster Angrif zu fehlen, er wird eventuell
für einen Fechter als logisch vorausgesetzt.
Das würde auch die Vielfalt der von Mair
beschriebenen und dargestellten Positionen erklären, die sich dann auf vier Ausgangspositionen reduzieren lassen. In den
ersten beiden Ausgangspositionen wird
die Sichel über der rechten bzw. linken
Schulter gehalten, es wird jeweils ein Hieb
(Oberhau) schräg nach unten ausgeführt.
Die bevorzugten Ziele sind hierbei der
rechte Unterarm, da er die Bedrohung
durch die Wafe trägt und bei einem An-
grif besonders weit exponiert wird, sowie
Kopf und/oder Hals, da Trefer hier direkt
tödlich sein können oder den Gegner zumindest sehr stark irritieren. In der dritten
Ausgangsposition beindet sich die Sichel
über dem Kopf, und es erfolgt ein Hieb
senkrecht nach unten, das Ziel hierbei ist
der Kopf; dieser Angrif kann auch als eine
Art Stich mit der Sichelspitze erfolgen. In
der vierten Ausgangsposition wird die
Sichel links neben dem Körper gehalten
und es erfolgt ein Hieb (Unterhau) schräg
nach oben; Ziel ist hier insbesondere der
rechte Arm. Zusätzlich kommen vereinzelt auch Einhaken in die Kniekehlen, im
Schritt oder waagerecht um die Mitte des
Körpers vor.
Da die Sichel ein geringes Eigengewicht
hat, ist ein Hieb efektiver, wenn er aus
einer der vier oben beschriebenen Ausgangspositionen erfolgt oder wenn er ausgeholt wird und damit Bewegungsenergie
hat. Eine Ausgangsstellung mit der Sichel
vor dem eigenen Körper, wie sie beschrieben und abgebildet wird, hätte zwar den
Vorteil, dass der Weg der Wafe zum
Gegner verkürzt und damit der Angrif
schneller würde, ein Nachteil ist jedoch,
dass nur wenig Kraft in derart ausgeführ-
ten Hieben liegt. Stiche, die zum Beispiel
mit einem Dolch oder Messer aus dieser
Position sinnvoll sind, sind mit der Sichel
kaum möglich. Denkbar wäre es, die Haltung der Wafe vor dem Körper als eine
Position zu interpretieren, aus der heraus
mit einem ausholenden Bogen gearbeitet
wird. Ihr Sinn wäre es dann, schnell auf
alle möglichen Angrife reagieren und von
da aus auch alle Angrife durchführen zu
können. Wir tendieren eher zu der Meinung, dass es sich um eine Durchgangsposition handelt, die nur in einem kurzen
Moment während eines Angrifes durchlaufen wird, während der die Situation
noch einmal geprüft und der Angrif möglicherweise modiiziert werden kann.
Ein Kontakt zwischen Sichel und Körper ist unbedingt zu vermeiden – eine
Kontertechnik, die erst dann stattindet,
wenn ein Gegner schon verletzt ist, ist
für uns keine sinnvolle Option. Daraus
folgt in unserer Interpretation, dass die
beschriebenen Gegenreaktionen nicht auf
den bereits erfolgten Angrif, sondern auf
den Ansatz eines Angrifes gedacht sind.
Unsere heorien bedürfen teilweise noch
Überprüfungen mit anderen von Mair beschriebenen Wafen und dürfen natürlich
gerne kontrovers diskutiert werden.
TuTorial
Sichel
Zwei Beispieltechniken
Transkription 1
f. 235r
Ein oberer schnit In der Sichel von baiden seitten
Item schickh dich also In Disem stůckh - wann Ir
zůsamengond - stand mit deinem rechten fůoß vor
vnnd halt dein sichel Inn deiner rechten hand neben
deinem haůpt aůf deiner lincken seiten - dein lincke
hannd ofen gögen dem Man - Inndem volg mit deinem
lincken schenckel hinnach vnnd schneid Im nach seinem
haůpt seiner rechten seiten - Schneidt er dir also nach
deinem haůpt - vnd dů mit deinem linckhen fůoß gögen
Im steest - vnd helst dein Sichel Inn deiner rechten hand
neben deinem haůpt - aůf deiner lincken Achsel - dein
lincke ob deiner rechten so nimb Im das ab mit deiner
Sichel aůf dein rechte seiten - Inndem erwisch Im mit
deiner lincke hand sein rechte - vnnd schneid Im nach
seinem haůpt seiner rechten seitten Schneidt er dir
also oben zů - so greif Im behend nach seiner rechten
hand - Nimb Im damit seinen schnit hinweckh - Indes
zůckh dein rechte hand behend an dich - vnnd schneid
Im nach seinem lincken fůrgesetzten schenkel - schneidt
er dir also vnnden zů - so fall Im mit deiner lincken
hannd In seinen rechten Elnpogen Innwendig - zůckh
damit dein rechte hand an dich Vnd ha˚w Im mit
deinem Ort nach seinem haůpt - trit damit von Im
zůrůckh
Kampf mit der Sichel, Illustrationen aus Mscr.Dresd.C.93, Paulus Hector Mair, 1550
Die Handschrift
Paulus Hector Mair ist der einzige Herausgeber von Fechtbüchern, der den
Kampf mit der Sichel beschreibt. Warum
er neben den bekannten Wafen wie Langes Schwert, Dussack, Hellebarde, Rapier,
Dolch, Spieß oder kurze und lange Stange
auch die sogenannten Bauernwafen Sense, Dreschlegel, Bauernstange und Sichel
mit auführt, konnte bislang nicht geklärt
werden. Ob er tatsächlich gesehen hat,
dass sich Bauern mit diesen Wafen verteidigt haben? Wahrscheinlich sind diese
Techniken doch eher als Schautechniken
anzusprechen, um zu zeigen, dass die
Prinzipien und Techniken, die er zusammengetragen hat, auch auf exotische Waffen anzuwenden sind.
Paulus Hector Mair (1517 - 1579) war
ab 1537 Ratsdiener der Stadt Augsburg
und sammelte nebenher alte Fechtbücher,
Wafen und Rüstungen. Er ist der Auf-
30
traggeber und zeichnet auch verantwortlich für die Auswahl der in seinen Fechtbüchern gezeigten Stücke. Sie wurden um
die Mitte des 16. Jh. (nach 1542) verfasst.
Siehe hierzu auch „Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des
Mittelalters“, bearbeitet von Rainer Leng,
S. 97 f..
Von seinen Fechtbüchern sind drei Versionen jeweils in zwei Bänden erhalten.
Das deutsche Manuskript „Fecht-, Ringund Turnierbuch - Mscr.Dresd.C.93/94“
wird in der Sächsischen Landesbibliothek
– Staats- und Universitätsbibliothek Dresden aufbewahrt, die lateinische Handschrift (BSB Cod.icon. 393 (1/2)) in der
Bayerischen Staatsbibliothek in München.
Eine lateinisch-deutsche Ausgabe (Codex
Vindobensis 10825/26) beindet sich in
der Österreichischen Nationalbibliothek
Wien. Bei unserer Interpretation stützten
wir uns in erster Linie auf das Dresdener
Manuskript. Der deutsche Text des Wie-
ner Exemplares unterscheidet sich davon
nur in Schreibweisen und Interpunktion.
Im Dresdener Manuskript widmet Mair
der Sichel ein eigenes Kapitel am Ende des
ersten Bandes auf Folio 233r bis 242v. Jedem Sichelstück ist jeweils eine Seite mit
einer farbigen Abbildung und einem erklärenden Text gewidmet. Der Text umfasst eine Evolution aus Eingangstechnik
mit darauf folgenden Gegentechniken für
beide Seiten.
Unsere Interpretation
Paulus Hector Mair bevorzugt einen tiefen mit dem Oberkörper vorgelehnten
Stand. Die dargestellten Schritte sind sehr
lang, ähnlich einem Ausfall im klassischen
Fechten. Eine genaue Beschreibung der
Fußarbeit gibt er nicht. Aus dem Fehlen von sogenannten „Triangelschritten“
schließen wir, dass seine Techniken relativ zentral gedacht werden sollten, was
Edition I/2012
I/2012
Edition
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Sichel
Sichel
Interpretation der Technikabfolge 1
Transkription 2
f. 235v
Abb. 1.1: (entspricht der Abbildung bei
Mair): Julia und Ingo stehen einander in
der Ausgangsposition gegenüber.
TuTorial
Abb. 1.1
Abb. 1.2: Julia ist schneller und führt
einen Hieb zur rechten Seite von Ingos
Kopf aus. Dabei macht sie mit dem linken Bein einen Passierschritt und hindert
Ingo mit ihrem Sichelarm an der Ausführung seines eigenen Hiebes, mit der
linken Hand sichert sie zusätzlich gegen
den zu erwartenden Hieb. Julia beendet
den Kampf mit diesem Trefer.
Zurück in die Ausgangsposition.
Abb. 1.3-1.5: Ingo sieht Julias Hieb
kommen und führt, bevor ihr Angrif
trift, einen Hieb auf ihren Sichelarm
Abb. 1.3
Abb. 1.4
Item wann Ir zusamen gond So schickh dich also In
dises stůckh stannd mit deinem rechten fůoß vor - vnnd
halt dein Sichel Inn deiner rechten hand gögen dem
man - dein lincke vnnder deinem rechten arm Inndem
trit mit deinem linckhen schenckel hinein vnnd schneid
Im von vnnden nach seinem rechten Arm - stastů dann
aůch mit deinem rechten fůoß gögen Im - vnnd helst
dein Sichel In deiner rechten hannd In dem obern
schnit - Dein lincke vnnder deinem rechten arm - so
nimb Im das ab mit deiner Sichel aůf dein linckhe
seitten Inndem greif Im mit deinner linckhen hand Inn
sein rechte vnnd schneid Im nach seinem hals seinner
linckhen seitten - Schneidt er dir also oben zů so fall
Im mit deiner linckhen hand In sein rechte Nimb Im
damit seinen t schnit hinweckh aůf dein lincke seiten
- Inndem schneid Im mit deiner Sichel nach seinem
linckhen Arm vnnd trit damit zůrůckh - Ist er also
zůrůckh treten - so raiß Im zwifach nach vnd schneid
Im nach seinem haůpt
Abb. 1.2
aus. Dann schiebt er ihren Sichelarm mit
seiner linken Hand nach rechts von sich
und schlägt zur rechten Seite ihres Kopfes. Ingo beendet den Kampf mit diesem
Trefer.
Zurück in die Ausgangsposition.
TuTorial
Ain vnnderer vnnd ain Oberer schnit
Abb. 1.5
Interpretation der Technikabfolge 2
Abb. 2.1 (von Mair nicht beschrieben
und abgebildet): Julia und Ingo stehen
sich in der rekonstruierten Ausgangsposition gegenüber.
32
Abb. 1.6
Abb. 1.7
Abb. 1.6-1.7: Julia will Ingo zum Kopf
schlagen, worauf Ingo mit einem Hieb
zu Julias Arm reagieren will. Julia sieht
das und hindert Ingo mit ihrer linken
Hand an der Ausführung seines Hiebes.
Danach schlägt sie ihm von außen zu
seinem linken Bein. Dies ist vermutlich
kein tödlicher Trefer von Julia, ermög-
licht ihr aber weitere Angrife durch die
Behinderung und Irritation ihres Gegners.
Zurück zu Abb. 1.6.
Abb. 1.8-1.11: Ingo hindert Julia mit
seiner linken Hand an ihrem Hieb zu
seinem Bein. Daraufhin zieht er seine
Abb. 1.9
Abb. 1.10
Abb. 2.1
Abb. 1.8
Sichelhand aus Julias Grif und schlägt
sofort mit der Spitze seiner Sichel von
oben auf ihren Kopf. Dann zieht er sich
zurück. Ingo beendet den Kampf mit
diesem Trefer.
Abb. 2.2: Ingo ist schneller und führt
einen Hieb zur linken Seite von Julias
Kopf aus. Dabei macht er mit dem rechten Bein einen Passierschritt und sichert
mit seiner linken Hand gegen den zu erwartenden Hieb Julias. Ingo beendet den
Kampf mit diesem Trefer.
zurück in die Ausgangsposition
Abb. 2.3
Abb. 1.11
Edition I/2012
I/2012
Abb. 2.3-2.4: Julia sieht Ingos Hieb
kommen und führt einen Hieb von
unten zu Ingos Sichelarm aus. Dabei
macht sie mit dem linken Bein einen
Passierschritt. In Abb. 2.3 wird die von
Mair abgebildete Position durchlaufen.
Dies ist vermutlich kein tödlicher Treffer von Julia, verhindert aber weitere
Abb. 2.4
Edition
Abb. 2.2
Angrife ihres Gegners und ermöglicht
ihr so weitere Trefer.
Zurück zu Abb. 2.3.
Abb. 2.5-2.7: Ingo sieht Julias Hieb zu
seinem Arm kommen. Daraufhin ändert er das Ziel seines Hiebes: Anstatt zu
Julias Kopf zu schlagen, schlägt er zu Ju-
Abb. 2.5
33
Sichel
Sichel
Die Sichel
stumpfer
Teil
Abb. 2.6
Abb. 2.7
Abb. 2.8
lias Sichelarm. Dann greift er mit seiner
linken Hand nach ihrem Sichelarm und
führt einen Hieb zur linken Seite ihres
Halses aus. Ingo beendet den Kampf mit
diesem Trefer.
Zurück in die Ausgangsposition.
Abb. 2.8-2.10: Julia hindert Ingo mit
ihrer linken Hand an der Durchführung
seines Hiebes. Dann führt sie einen Hieb
zu seinem linken Arm aus und zieht sich
zurück. Dies ist vermutlich kein tödlicher Trefer von Julia, verhindert aber
weitere Angrife ihres Gegners und ermöglicht ihr so weitere Trefer. Hierbei
handelt es sich um eine alternative Technik zu Abb. 2.3-2.4
Zurück in die Ausgangsposition.
Zähnung
Grifabsatz
Abb. 3.1
Abb. 2.9
Abb. 2.10
Die im Dresdener Manuskript abgebildeten Sicheln sind
etwa kreisbogenförmig, die Spitze weist dabei leicht nach
hinten. Durch einen Vergleich mit den dargestellten Unterschenkel- und Koplängen kann eine Gesamtlänge von ca.
38 cm, ein Durchmesser des Schneidenteiles von ca. 26 cm
und eine Schneidenbreite von ca. 3 cm angenommen werden. Die Klingenstärke von originalen Sicheln beträgt ca. 4
mm. Rekonstruktionen (Abb. 3.1), die nach diesen Maßen
nachgeschmiedet wurden, haben Gewichte von 336g bis
436g. Paulus Hector Mair bildet in allen drei Manuskripten
gezähnte Sicheln ab. Diese Form wird in ethnographischen
Quellen als Getreideerntegerät beschrieben. In den lateinischen Ausgaben von Mairs Werk lautet die Bezeichnung
dementsprechend auch falcis frumentaria (Getreidesichel).
Die Größe der Zähne ist in Mairs Abbildungen deutlich
überdimensioniert wiedergegeben. Erhaltene Originale haben ca. 15 Zähne pro 2 cm. Diese werden von einer Seite aus
mit einer Dreikantfeile eingefeilt, ihre Spitzen weisen dabei
meistens zum Grif (Abb. 3.2). Wegen der Zähnung können
diese Sicheln nicht wie glatte Exemplare oder Sensen gedengelt und mit dem Wetzstein geschlifen werden, die Zähne
werden stattdessen nachgefeilt. Durch die Zähne wird die
Sichel zu einer sehr unangenehmen Wafe, bei der man unserer Meinung nach den Kontakt zwischen Schneide und
eigenem Körper unter allen Umständen vermeiden möchte.
Der vordere Teil der Sichel ist ohne Zähnung dargestellt, er
ist vermutlich stumpf (Abb. 3.2); bei Originalen ist er
oft etwas dicker im Querschnitt als die eigentliche
Schneide. An den Grifenden der Sicheln ist ein
Absatz dargestellt, der verhindert, dass sie
beim Arbeiten aus der Hand rutscht.
Durch ihre stark gebogene Form mit der
Schneide auf der inneren Seite ist die Sichel
eine Wafe, die sich von anderen in ihren
Eigenschaften deutlich unterscheidet. Die
Form macht ein Einhaken und Reißen
sehr efektiv, da die Sichel nicht abgleiten
kann. Dies wird durch die Zähnung und
den Absatz am Grifende noch wirkungsvoller und führt sicher zu sehr hässlichen Verletzungen. Die geringe Gesamtlänge macht sie
in der Handhabung am ehesten mit einem Dolch
Abb. 2.11
Abb. 2.11-2.13: Ingo will zu Julias Kopf
schlagen, was Julia durch die in Abb. 2.82.10 gezeigte Technik verhindern will.
Ingo sieht das, er reißt beide Arme nach
oben und zieht seinen rechtes Bein nach
hinten. Dadurch lässt er Julias Hieb ins
Leere gehen. Dann führt er einen Hieb
zu Julias Kopf aus und tritt dabei mit
dem rechten Bein wieder vor. Ingo beendet den Kampf mit diesem Trefer.
Abb. 2.12
Abb. 2.13
Quellen:
Transkriptionen ausgewählter Kapitel aus Mairs Werk unter: http://www.hammaborg.de/de/traskriptionen/phm_dresden/index.php
Sowohl Julia Gräf (*1980) als auch Ingo Petri (*1981) begannen
ihre Kampfkunstlaufbahn im Jahre 2001 mit dem Reenactmentfechten und später auch mit Huscarl. Seit 2008 sind sie bei Hammaborg
als historische Fechter aktiv. Ingos Schwerpunkte liegen auf dem
Kampf mit Schwert und Buckler sowie dem Säbel. 2011 wurde er
bei Hammaborg zum Trainer ernannt. Schwert und Buckler ist auch
Julias erster Schwerpunkt. Seit 2011 beschäftigt sie sich zudem bei
Gladiatores in Karlsruhe mit dem Langen Schwert. Der Austausch
mit anderen Fechtern und das Ausprobieren anderer Wafen ist beiden sehr wichtig für ihre Ausbildung, weswegen sie an zahlreichen
internationalen HEMA-Veranstaltungen auch als Cotrainer teilgenommen haben.
Bei einem Kurs der Gruppe Dreynschlag über den Kampf mit
der Sichel wurde das Interesse an dieser ungewöhnlichen Wafe ge-
34
weckt. Im Folgenden transkribierten Julia und Ingo gemeinsam die
deutschen Texte von Paulus Hector Mair zum Sichelfechten und
machten sich an eine eigene Interpretation. Dazu wurden von ihnen
auch Sichelsimulatoren und scharfe Sicheln nach Mairs Abbildungen
angefertigt und getestet. Die Interpretation wurde 2010 zum ersten
Mal in einem Kurs beim Adventsfechten des Fechtsaales Krefeld vorgestellt.
Vielen Dank an Martin Enzi und Olli Walter von Dreynschlag,
die durch einen Workshop zum hema Sichel erst unser Interesse
an dieser außergewöhnlichen Wafe geweckt haben. Ihnen sowie
Reinier Van Noort von der School voor Historische Schermkunsten,
Youval Kuipers von De Orde der Noorderwind und den Fechtern
von Hammaborg danken wir außerdem für den Austausch von Interpretationen und Ideen zu diesem hema.
Edition I/2012
I/2012
Edition
Abb. 3.2
oder Messer vergleichbar. Die nahe Kampfdistanz, die hierdurch entsteht, lässt den Einsatz der linken Hand zum
Abwehren gegnerischer Angrife und zum Greifen sinnvoll
werden. So ist auch an mehreren Stellen des Manuskriptes
ein Übergang ins Ringen beschrieben. Die Schnelligkeit, in
der agiert und reagiert wird, entspricht ebenfalls am ehesten
einem Dolch- oder Messerkampf.
TuTorial
TuTorial
Schneide
Klassische Paraden mit der eigenen Wafe gegen die Wafe
des Gegners sind durch die Form wenig sinnvoll, da die Sicheln sich ineinander verhaken können und damit ihr weiterer Einsatz erschwert wird. Eine solche Parade wird von Mair
nur zweimal erwähnt.
Bei einem Hieb trift man idealerweise direkt am Grif
und zieht die Sichel schräg zu sich hin, dabei wird die Hiebbewegung durch die gerundete Form der Sichel automatisch
zum Schnitt. Ein Hieb mit der Sichel kann auch zu einer Art
Stich werden, wenn er statt mit der Schneide mit der Spitze
trift. Durchtrennen kann die Sichel nur, was sie umfassen
kann. Ein menschlicher Torso kann mit Sicheln der rekonstruierten Größe nicht umfasst, wohl aber mit der Spitze penetriert werden, auch wenn diese stumpf ist.
Dass die Sichel trotz geringer Größe und Gewicht nicht
in ihrer zerstörerischen Wirkung unterschätzt werden sollte,
zeigen Schnitttests, bei denen Tatamis problemlos mit einem
Hieb durchtrennt werden konnten. Es sollte also möglich
sein, einen Arm mit einem einzigen Hieb abzutrennen.
Mit den oben beschriebenen Sicheln können keine
Rekonstruktionen der Kampftechniken durchgeführt
werden, da dies zwangsläuig zu Verletzungen führen würde. Wir verwenden stattdessen Simulatoren (Abb. 3.3), die
sich in Form, Größe und Gewicht an den Originalen und
Abbildungen orientieren. Sie sind aus Baustahlrundstangen
von 10 mm Durchmesser gebogen. Die Spitze ist stumpf, sie
wird zusätzlich mit einer Bluntpfeilspitze aus Gummi gesichert. Das Gesamtgewicht beträgt ca. 390g.
Abb. 3.3
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