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54 Bulletin-Info / Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien / Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 28 (2017) 54 Bulletin – Info 54 ISSN 0947-6822 Herausgeber_in: Geschäftsstelle des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin Georgenstr. 47, 10117 Berlin Tel.: 030-2093-46200/-46201 Redaktion: Dr. Gabriele Jähnert Kerstin Rosenbusch Erscheinungsweise: halbjährlich (April und Oktober) Redaktionsschluss: März 2017 Druck: Universitätsdruckerei der HU Umschlaggestaltung: Sabine Klopfleisch Download unter: http://www.gender.hu-berlin.de/publikationen/gender-bulletins Neues aus dem Zentrum und der HU G. Jähnert: Aktuelles aus dem ZtG ...................................................................... 1 I. Pache: Neues aus den Studiengängen – WS 2016/17 ..................................... 3 Lann Hornscheidt – Kündigung der Professur für Gender Studies und Sprachanalyse ....................................................................................................... 4 K. Aleksander: Neues vom Repositorium Gender Open ..................................... 5 B. Wolf: Kulturen der Sexualität erforschen – das Profil der Forschungsstelle Kulturgeschichte der Sexualität ............................................................................ 7 E.-L. Rother: Ziemlich international – ein Auslandssemester an der CEU Budapest .............................................................................................................. 11 Initiativen in Forschung und Lehre bundesweit / international Graduiertenschule Genderforschung (GGf) an der Universität KoblenzLandau ................................................................................................................ 14 Gender Studies & Queer Studies: Ein neuer Masterstudiengang in Köln .........15 K. Ganz/M. Wrzesinski: Open Access in der Geschlechterforschung – Open Gender Journal .................................................................................................... 19 Neue Professor_innen / wiss. Mitarbeiter_innen stellen sich vor Silvy Chakkalakal (Institut für Europäische Ethnologie) ................................... 21 Was machen eigentlich unsere Absolvent_innen? Folke Brodersen .................................................................................................. 23 Tagungen – Ankündigungen / Berichte J. Asmus: Internationales Festival/Symposium Moving Memory, 20.-22.10.2016 ..................................................................................................... 25 G.M. Chesi/F. Spiegel: Man, Machine, Animal and Monster- the Post Human in the Ancient Greek Literature?, 27.-28.10.2016 ..................................................... 29 K. Aleksander: Tradition und Moderne – analog und digital: 51. Fachtagung des i.d.a.-Dachverbandes, 28.-30.10.2017 ...................................................................31 M.M. Auma: Gender und Diversity in die Lehre! Strategien, Praxen, Widerstände, 24.-26.11.2016 ..................................................................................................... 34 M.-M. Pela/K. Neukirch: Schreiben im geteilten Deutschland – Emanzipation und Erbe, 10.1.2017 ..................................................................................................... 37 P. Hanitzsch/M. Kuhn: Exzellenz, Brillianz, Genie. Historie und Aktualität erfolgreicher Wissensfiguren, 13.-14.1.2017 ........................................................... 40 A. Böhmelt/M. Figge: Hartgesotten Hegemoniekritisch. Symposium zu Ehren von Gabriele Dietze und Dorothea Dornhof, 19.-21.1.2017 ...................................... 45 Y. des Andrés/S. Adler: 25 Jahre Überparteiliche Fraueninitiative Berlin – Stadt der Frauen e.V., 22.2.2017 ..........................................................................................51 J. Bringmann/F. Baum/M. Dietz: Prekarisierung Unbound?, 2.-3.3.2017 ........... 54 Forschungsliteratur / Rezensionen S. Zilles: A. Kraß – „Ein Herz und eine Seele“ ................................................... 56 M. Kriszio: H. Ehlers u.a. (Hg.) – „Migration – Geschlecht – Lebenswege“ .... 59 Ch. Schörk: A. Naß u.a. (Hg.) – „Geschlechtliche Vielfalt (er)leben“ ............... 67 Forschungsförderung / Forschungspolitik Programm „Geschlecht – Macht – Wissen“, Niedersachsen ........................... 71 Neues aus dem Zentrum und der HU |1 Gabriele Jähnert Aktuelles aus dem ZtG Die Humboldt-Universität steht vor der Aufgabe, bis Ende des Sommersemesters 2017 einen Strukturplan für den Zeitraum von 2018 bis 2030 aufzustellen und in dem Zusammenhang auch ein erhebliches strukturelles Defizit abzubauen. Dem ZtG und den Gender Studies ist es im Ergebnis dieses Prozesses ein wichtiges Anliegen, die Infrastruktur des ZtG und die Professuren mit einer Genderdenomination zu erhalten und wenn möglich auszubauen. Wir sind dabei im Gespräch mit verschiedenen Fakultäten und Instituten, insbesondere auch um die Verankerungsmöglichkeiten von Professuren mit einer Genderdenomination für den Zeitraum auszuloten, wo die jetzigen Stelleninhaberinnen altersbedingt ausscheiden. Wir werden hierbei durch die Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät unterstützt, und wir hoffen natürlich, dass wir die Ressourcen in dem Bereich der Geschlechterforschung konsolidieren und bislang nicht dauerhafte gesicherte Bereiche verankern können. Neben dieser bereits im Wintersemester 2016/17 begonnenen Arbeit waren die Konferenz „Hartgesotten Hegemoniekritisch“ vom 19.-21. Januar 2017 sowie die Tagung „Prekarisierung Unbound“ vom 2.-3. März 2017 zentrale Schwerpunkte der Arbeit des ZtG. Mit der Tagung „Hartgesotten Hegemoniekritisch“ wurde anlässlich ihrer 65. Geburtstage das engagierte jahrelange Wirken von Gabriele Dietze und Dorothea Dornhof in den Gender Studies der HU intensiv und mit großer Resonanz gewürdigt (s. S. 45). Die Tagung „Prekarisierung Unbound“ knüpft an die Forschungen des DFG Projektes „Ungleiche Anerkennung? ‚Arbeit’ und ‚Liebe’ im Lebenszusammenhang prekär Beschäftigter“ von Christine Wimbauer und Mona Motakef vom Institut für Sozialwissenschaften an und wird gemeinsam mit dem ZtG veranstaltet. Prekarisierung, Prekarität und Prekariat werden als Schlüsselbegriffe zeit- und gesellschaftskritischer Debatten verstanden. Es wurde u.a. danach gefragt, was für wen prekär geworden ist – Erwerbsarbeit oder auch Sorge- und Geschlechterverhältnisse – und welche sozialen Folgen aus Prekarisierung erwachsen und welcher gesellschaftspolitische Handlungsbedarf entsteht. (s. S. 54). Im kommenden Sommersemester findet das wissenschaftliche Kolloquium des ZtG in Kooperation mit den Kolleg_innen der Princeton University am 15. und 16. Juni unter dem Arbeitstitel “Gender, Sexuality, Queer and Trans Studies Write Back”: Agency, Performativity, Futurity after Gender, Race, Class, Nation, Ability, and Religion” statt. Dank der Initiative und Vorarbeiten von Ulrike Auga während ihres Forschungsaufenthaltes in Princeton ist es uns gelungen, Mittel 2| Neues aus dem Zentrum und der HU im Rahmen der Profilpartnerschaften der HU einzuwerben und damit diese Veranstaltung zu ermöglichen sowie darauf aufbauend hoffentlich weiterführende Kooperationen zu entwickeln. Publikationen Gerade erschienen ist das Bulletin-Texte-Heft Nr.43 zum Thema „Grenzziehungen von ‚öffentlich‘ und ‚privat‘ im neuen Blick auf die Geschlechterverhältnisse“. Dokumentiert werden hier u.a. die Ergebnisse des gleichnamigen ZtGKolloquiums vom Wintersemester 2014/15, das von Sarah Elsuni, Sophia Ermert, Marion Detjen und Gabi Jähnert vorbereitet worden war. Das ZtG ist außerdem maßgeblich an dem Aufbau der neuen Online-Zeitschrift der Gender Studies, dem Open Gender Journal, beteiligt (s. S. 19). Gegenwärtig arbeiten in der Redaktion Gabriele Jähnert sowie Kerstin Palm von Seiten der HU mit. Die Aktivitäten des ZtG im Bereich von Open Access finden auch ihren Ausdruck in der Arbeit an einem Repositorium für die Gender Studies, einem gemeinsamen Projekt der Geschlechterforschungseinrichtungen von FU, HU und TU, in dem von Seiten des ZtG Karin Aleksander, Andreas Heinrich und Eva-Lotte Rother mitarbeiten (s. S. 5). Personalien Wir freuen uns, an der HU als neue Kollegin die aus dem Nachwuchswissenschaftlerinnenprogramm der HU finanzierte Juniorprofessorin Silvy Chakkalakal begrüßen zu können, und sind glücklich über die Verstärkung der Gender Studies im Bereich der Europäischen Ethnologie (s. S. 21). Wir gratulieren Nadja-Christina Schneider zu ihrem Ruf auf die W2-Professur (befristet) für Gender und Media Studies for the South Asian Region und freuen uns über die institutionelle Verankerung dieses wichtigen regionalwissenschaftlichen Schwerpunktes sowie über intensive Kooperationen mit dem ZtG. Zu unserer großen Freude wird Maisha Auma im Sommersemester 2017 und im Wintersemester 2017/18 erneut als Gastprofessorin, finanziert über das Berliner Chancengleichheitsprogramm, am Institut für Erziehungswissenschaft und in den Gender Studies tätig sein und das Lehrangebot durch Diversitäts- und rassismuskritische Ansätze bereichern. Wir freuen uns, dass mit Amrei Sander eine neue wissenschaftliche Mitarbeiterin den feministischen und Genderschwerpunkt in der Theologie weiterführen wird, nachdem es leider nicht gelungen ist, die Juniorprofessur Religion und Geschlecht zu verstetigen. Neues aus dem Zentrum und der HU |3 Wir hoffen für das kommende Semester, dass das Berufungsverfahren für die Juniorprofessur Kulturwissenschaftliche Filmforschung mit Schwerpunkt Gender zum Wintersemester 2017/18 abgeschlossen sein wird und wir für diesen Bereich ebenfalls eine engagierte neue Kolleg_in willkommen heißen können. Ilona Pache Neues aus den Studiengängen – WS 2016/17 Studierende Zum Wintersemester 2016/17 haben 116 Studierende das Studium der Gender Studies neu aufgenommen. Im Bachelor waren es 86 und im Master 30 ErstSemesterinnen. Glücklicherweise waren die Gender Studies bei der Beantragung zusätzlicher Mittel für zwei Tutorien erfolgreich, so dass auch in diesem Wintersemester insgesamt wieder drei Tutorien für BA-Studierende und ein Tutorium für MA-Studierende angeboten werden konnten. Die Tutor_innen konnten im Wintersemester auf zwei weitere Broschüren zurückgreifen. Zur Ergänzung der seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzten Handreichung „Wissenschaftliches Arbeiten in den Gender Studies. Ein Leitfaden für Student_innen“ wurde rechtzeitig zum Studienbeginn eine weitere Broschüre fertig gestellt: „Ein Workbook zum wissenschaftlichen Arbeiten in den Gender Studies. Techniken, Tipps und Übungen von Student_innen für Student_innen“. Das Workbook basiert auf dem langjährigen und hoch motivierten Engagement mehrerer Generationen von Tutor_innen. Den Autor_innen, die die Zusammenstellung der Materialien initiiert und die intensive Phase der Fertigstellung des Workbooks durchgehalten haben, sei an dieser Stelle noch einmal herzlich gedankt. Das Workbook orientiert sich an einem peer-to-peer-Ansatz und fokussiert – ergänzend zum o.g. Leitfaden – das konkrete Einüben von Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens. Im Wintersemester bewährte sich das Workbook auch bei der Einarbeitung der neuen Tutor_innen und der abgestimmten Vorbereitung bei den BA-Tutorien. Die zweite neue, Ende des Sommersemesters 2016 erschienene Broschüre „Diskriminierungskritische Lehre. Denkanstöße aus den Gender Studies“ wurde ebenfalls zum ersten Mal mit Studienbeginn und schon bei den Orientierungstagen eingesetzt. Diese Handreichung trifft auf großes Interesse bei Studierenden, die den universitären Ort der Gender Studies mit Blick auf diskriminierungskritische Wünsche und Herausforderungen reflektieren und eine eigene Orientierung aufbauen wollen. 4| Neues aus dem Zentrum und der HU AG Lehre Die AG Lehre hat verschiedene Projekte geplant, die im Sommersemester 2017 umgesetzt werden sollen. Im Zusammenhang mit der LSK der KSBF und gemäß der HU Evaluationssatzung soll ein Konzept für die Evaluation vor allem der regelmäßig durchgeführten bzw. Pflichtlehrveranstaltungen entwickelt werden. Bei dem zu entwickelnden Verfahren wird vor allem wichtig sein, die Ergebnisse für die unmittelbare Verbesserung der Lehrveranstaltungen bzw. für die mittelund längerfristige Optimierung der Studiengänge zu nutzen. Außerdem angestrebt wird ein Workshop für Lehrende, bei dem die Reflexion diskriminierungskritischer Lehre sowie das Empowerment der Lehrenden im Mittelpunkt stehen. Dieses Angebot soll Impulse der o.g. Denkanstöße zu diskriminierungskritischer Lehre aufgreifen und darauf reagieren, dass es kaum Fortbildungen für Lehrende in diesem Themenkontext gibt. Preise Die Lehre im Sommersemester 2017 werden zwei durch Drittmittel geförderte Lehrveranstaltungen bereichern. Bewilligt wurden das von der MA-Studentin Maria Ebert angebotene Q-Tutorium „Aufstand der Prekären. Widerständige Theorie und Praxis“ sowie das von den Rechtswissenschaftler_innen Tanja Marielle Herklotz und Siddarth de Souza beantragte Q-Team, in dessen Rahmen das Seminar „Legal pluralism and gender in India„ durchgeführt wird. Lann Hornscheidt: Kündigung der Professur für Gender Studies und Sprachanalyse Lann Hornscheidt hat die Professur für Gender Studies und Sprachanalyse gekündigt und ist seit dem 1. Dezember 2016 nicht mehr an der HumboldtUniversität tätig. Lann hat die Arbeit des ZtG und die Entwicklung der Gender Studies über viele Jahre wesentlich geprägt. Bereits als Teil des Mittelbaus hat Lann – im Rahmen des Mittelbauforums – Mitte der neunziger Jahre intensiv an der Konzeption des Magisterstudiengangs Geschlechterstudien/Gender Studies mitgearbeitet. Mit großem Engagement hat Lann in den Gender Studies gelehrt, an der Vorbereitung wissenschaftlicher Kolloquien und von Publikationen mitgewirkt. Mit der Repräsentation des ZtG im Promovierenden-Netzwerk Intergender hat Lann die internationale Kooperation, insbesondere mit nordeuropäischen Ländern, vorangetrieben sowie den wissenschaftlichen Nachwuchs der Gender Studies intensiv unterstützt. Neues aus dem Zentrum und der HU |5 Die sprachpolitischen Interventionen von Lann Hornscheidt wurden in der medialen Öffentlichkeit breit aufgenommen und kontrovers diskutiert. Sie waren und sind Teil des Genderbashings und diffamierender persönlicher Angriffe, denen es weiterhin auf allen Ebenen zu begegnen gilt. Die Leitung des ZtG wünscht Lann Hornscheidt für den weiteren Lebensweg alles erdenklich Gute. Karin Aleksander Neues vom Repositorium GenderOpen In den letzten Heften des Bulletin-Info hatten wir regelmäßig über das Projekt „GenderOpen – ein Repositorium für die Geschlechterforschung“ berichtet: von den vorbereitenden Arbeiten (seit 2013), über den eingereichten DFG-Antrag (2015), dass dieser Antrag bestätigt wurde (Februar 2016) und die Arbeit startete (1.10.2016). An den drei Geschlechterforschungszentren der Berliner Universitäten, die das Projekt initiierten (Freie Universität – FU, Humboldt-Universität zu Berlin – HU und Technische Universität – TU) wurden nach erfolgreicher Ausschreibung jeweils eine wissenschaftliche und eine studentische Stelle besetzt. Sie arbeiten gemeinsam am Projekt und sind mit ihren spezifischen Schwerpunkten jeweils an einer der drei Universitäten angesiedelt, an der auch ihre Projektverantwortlichen arbeiten (FU = Dr. Anita Runge, HU = Dr. Karin Aleksander, TU = Prof. Dr. Sabine Hark). An der FU verantwortet Marianne Seidig (mit Sarah Staeck) den Bereich Projektkoordination und Kommunikation. Einer der ersten Schritte war der Aufbau einer internen Kommunikationsplattform, die alle Beteiligten eifrig nutzen. Eine Hauptaufgabe ist die Kommunikation nach außen. Ein Faltblatt mit grundlegenden Informationen ist im Druck, ein Vortrag und Poster für den kommenden Bibliothekstag in Frankfurt/Main (Mai/Juni 2017) in Vorbereitung und ein Info-Workshop für den 31.März 2017 in Berlin geplant. Um alle Aktivitäten sowohl transparent als auch archiviert und damit für die Nachnutzung darzustellen, ging am 8. März 2017 ein Weblog des Projektes online (www.blog-genderopen.de). Auf diesem Weblog wendet sich der Button „Informationen für Autor_innen“ direkt an alle Interessierten, die Publikationen im Repositorium veröffentlichen möchten. Für diese Inhalte ist Aline Oloff (TU, mit Mareike Trawnik) verantwortlich. Um die Publikationen für GenderOpen zu bekommen, werden zurzeit zwei Strategien verfolgt: 6| Neues aus dem Zentrum und der HU • • Alle aktuellen und zukünftigen Autor_innen der Geschlechterforschung werden über verschiedene Informationskanäle aufgerufen, ihre Artikel, Dissertationen, Habilitationen und andere Publikationen selbst einzureichen, d.h. auf der entstehenden Plattform selbst hochzuladen. Der zweite Weg ist die bewusste Einwerbung und damit Bereitstellung von digitalisierten Publikationen. Besonders hier entsteht sehr viel Arbeit wegen des bestehenden Urheberrechtsgesetzes und der sich hier vollziehenden Veränderungen. Alle Autor_innen müssen sich bewusst für eine Lizenz entscheiden. Das Projektteam strebt die möglichst umfängliche Nutzung der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 an. Welchen Aufwand die urheberrechtlichen Rahmenbedingungen erfordern, stellt sich zum Beispiel für die „beiträge zur feministischen theorie und praxis“, einer für Lehre und Forschung sehr wertvollen Zeitschrift, so dar: Die Zeitschrift wurde von 1976 bis 2008 herausgegeben. In den 69 Heften wurden Artikel von fast 700 Autor_innen publiziert. Für alle digitalisierten Artikel brauchen wir eine Einverständniserklärung der Autor_innen für die Veröffentlichung. Neben dieser wertvollen Zeitschrift für die Geschichte der Frauen- und Geschlechterforschung gab und gibt es zudem noch weitere, wie z.B. die „Zeitschrift für Frauenforschung“ oder die „Freiburger Frauenstudien“ mit ihren wechselnden Titeln oder die „metis“, die „feministischen studien“, „femina politica“ etc. All die notwendigen Informationen zu Open Access, zum Urheber- und Zweitveröffentlichungsrecht sowie zu den verschiedenen Lizenzen sind im Blog nachzulesen und werden auch im kommenden Workshop näher erklärt. Überhaupt ist die persönliche Ansprache von ehemaligen und heutigen Akteur_innen sehr wichtig. Deshalb sollen zahlreiche Pionierinnen der Frauenund Geschlechterforschung als „Botschafterinnen“ gewonnen werden, die motivierend mithelfen, einen virtuellen Ort zu schaffen, wo Publikationen der Gender Studies frei zugänglich sind und für die weitere Forschung genutzt werden können. Auf diese Weise arbeiten alle am community building für unser inter- und transdisziplinäres Feld. Das Repositorium wird mit der Software DSpace eingerichtet, die für die Projektlaufzeit vom Computer- und Medienservice am Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität zur Verfügung gestellt wird. Die dafür erforderlichen Erfassungsmasken für die verschiedenen Publikationsarten und bibliographischen Metadaten verantwortet Andreas Heinrich (HU, mit Eva-Lotte Rother). Inzwischen liegen diese Grundlagen diskutiert vor. Eine besondere Herausforderung ist die Verschlagwortung der Dokumente. Dafür soll eine kontrollierte Schlagwortliste ebenso angeboten werden wie die Möglichkeit, beim Hochladen Neues aus dem Zentrum und der HU |7 von Texten auch selbst gewählte Schlagworte einzugeben. Die kontrollierte Schlagwortliste entsteht als eine gemeinsame Wortgutsammlung aus den verwendeten Schlagwortlisten der beteiligten Institutionen mit ihren Projekten. Außerdem ist dazu später ein Workshop geplant und bereits die Zusammenarbeit mit dem Berliner Netzwerk der Lesben- und Frauenarchive und bibliotheken sowie dessen Dachverband i.d.a. beschlossen worden. Auch für den Bereich Verschlagwortung sollen Expert_innen der Frauen- und Geschlechterforschung bei speziellen Themen einbezogen werden, wozu ein Expert_innenbeirat gebildet werden soll. Inzwischen wurde dem OpenGender-Team die erste Monografie für das Repositorium angeboten und mehrere Akteur_innen erklärten sich bereit, ihre Texte innerhalb der urheberrechtlichen Rahmenbedingungen zur Zweitveröffentlichung im Repositorium bereitzustellen. Wer selbst in der Frauen- und Geschlechterforschung publiziert hat und sich damit am Repositorium GenderOpen beteiligen möchte, sollte den Kontakt zu den Teammitgliedern aufnehmen. Sie helfen bei allen Fragen, freuen sich über konstruktive Kritik und Angebote zur Kooperation. Kontakt: info@genderopen.de Weblog: https://blog-genderopen.de Benedikt Wolf Kulturen der Sexualität erforschen – das Profil der Forschungsstelle Kulturgeschichte der Sexualität Die am Institut für deutsche Literatur angesiedelte Forschungsstelle Kulturgeschichte der Sexualität führt im Unterschied zu anderen Institutionen und Zentren, die sich im deutschsprachigen Raum der Geschlechterforschung (Gender Studies) und der kritischen Heteronormativitätsforschung (Queer Studies) widmen, die Sexualität im Namen. In ihrem Anliegen, die Kulturgeschichte der Sexualität zu erforschen, kooperiert sie eng mit einer Vielzahl von Institutionen, vor allem mit dem Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien, der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, dem Spinnboden Lesbenarchiv, dem Schwulen Museum*, der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft und dem Haeberle-Hirschfeld-Archiv am Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum der Universitätsbibliothek. Das Profil der Forschungsstelle ist von einem kulturwissenschaftlichen und einem historischen Interesse geprägt. Sexualität steht nicht als transhistorisch invariable und kontextunabhängige Gegebenheit im Fokus 8| Neues aus dem Zentrum und der HU der Forschung, sondern in ihrer historischen Entwicklung, in ihrer geschichtlichen Gewordenheit und in ihren konkreten kulturellen Formulierungen. Ein bedeutender Schwerpunkt ist der Kulturraum Berlin und hier vor allem die Bedeutung der emanzipationspolitisch positionierten Sexualwissenschaft Magnus Hirschfelds (1868-1935) und seines Instituts für Sexualwissenschaft (1919-1933). In der ersten Phase des Bestehens der Forschungsstelle (2012-2015) stand die historische Erforschung der Berliner Sexualwissenschaft und der Berliner sexuellen Kulturen im Zentrum der Projekte, die von Andreas Pretzel als wissenschaftlichem Mitarbeiter koordiniert wurden. In Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle erschloss, edierte und kommentierte Ralf Dose von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft bedeutende Dokumente zur Geschichte des Instituts für Sexualwissenschaft und zur Biographie Hirschfelds. Insbesondere die kommentierte Edition der Stiftungsakte des Instituts für Sexualwissenschaft, die vorsah, dass das Institut und ihr Stiftungsvermögen im Falle der Auflösung an die Berliner Universität gehen sollte (die Nazis verhinderten dies 1933 durch die Zerschlagung des Instituts), leistet einen Beitrag zur Geschichtsschreibung unserer Universität. 1 Weiterhin fördert die Forschungsstelle eine Monographie über das Institut für Sexualwissenschaft, die von Rainer Herrn erstellt wird. Auch ein von der Forschungsstelle im Rahmen der Hirschfeld-Lectures organisierter Vortrag von Dagmar Herzog 2 sowie ein von Andreas Kraß und Andreas Pretzel herausgegebenes Themenheft der Zeitschrift Sexuologie (Bd. 20, Heft 1-2, 2013) befassen sich in historischer und theoretischer Perspektive mit dem Erbe der Berliner Sexualwissenschaft. In diesem Zusammenhang steht auch ein Digitalisierungsprojekt der Forschungsstelle, das eine wichtige Grundlage für Forschungen im Bereich der Literatur und der Bewegungsgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts schafft. Unter Leitung von Janin Afken wird die erste Homosexuellenzeitschrift der Geschichte, Der Eigene, deren einzelne Hefte über eine große Zahl von Bibliotheken verstreut und z.T. kaum aufzufinden sind, in Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek der Forschung per Open Access vollständig zugänglich gemacht. Das Projekt, das wir voraussichtlich in diesem Frühjahr abschließen werden, ermöglicht auf einer neuen und benutzer_innenfreundlichen Datengrundlage breite Untersuchungen zur Geschichte der Homosexualität und der homosexuellen Literatur. Das literarische Berlin und 1 Magnus Hirschfeld: Testament. Heft II, hg. von Ralf Dose, Berlin 2013; Ralf Dose: Das verschmähte Erbe. Magnus Hirschfelds Vermächtnis an die Berliner Universität, Berlin 2015. 2 Dagmar Herzog: Paradoxien der sexuellen Liberalisierung, Göttingen 2013 (= Hirschfeld-Lectures 1). Neues aus dem Zentrum und der HU |9 seine sexuellen Außenseiter sind zudem Thema einer Monographie von Andreas Kraß zu Hirschfelds literarischen Bezügen („Meine erste Geliebte“: Magnus Hirschfeld und sein Verhältnis zur Schönen Literatur, 2014) und eines von Andreas Kraß und Benedikt Wolf verfassten Buchkapitels, das 2017 im Cambridge Companion to the Literature of Berlin erscheinen wird. 3 Seit 2015 hat die Forschungsstelle mit dem Einwerben einer Reihe von Drittmittelprojekten ihren Fokus deutlich erweitert. Wir kooperieren in dem von der German-Israeli Foundation for Scientific Research and Development (GIF) geförderten Projekt „Jewish Presence in Weimar Gay and Lesbian Culture and the German-Jewish Contribution to the Emergence of Gay Culture in Palestine/Israel, 1933-1960“ mit Historiker_innen der Hebrew University in Jerusalem. Das Projekt erforscht den Beitrag von Jüdinnen und Juden zur homosexuellen Kultur in Berlin vor 1933 und die Rolle deutsch-jüdischer Immigrant_innen in der homosexuellen Kultur in Mandatspalästina und Israel. Das Projekt wird auf der Berliner Seite von Andreas Pretzel, Luisa-Catarine Böck, Janin Afken und Benedikt Wolf durchgeführt. Die queeren 1970er Jahre sind Gegenstand des europäischen Projekts „Cruising the 1970s: Unearthing pre-HIV/AIDS Queer Sexual Cultures“ (gefördert durch Humanities in the European Research Area), das die Forschungsstelle zusammen mit den Universitäten in Edinburgh, Newcastle, Murcia und Warschau durchführt. Die 1970er Jahre, die häufig als ein ‚legendäres Jahrzehnt‘ für LGBTIQ-Emanzipationspolitiken angesehen werden, 4 werden hier in europäischer Perspektive und mit einem kritischen Blick auf die Konstruktionsleistungen, die sie erst als legendäres Jahrzehnt konstituieren, beleuchtet. Das Berliner Teilprojekt geht diesen Fragen in literaturwissenschaftlicher Perspektive nach und fragt nach dem Beitrag von Literatur und Film zur Konstruktion eines einflussreichen Jahrzehnts, aber auch für das Entdecken dieser Konstruktion zuwiderlaufender Erzählungen. Eine internationale Tagung mit dem Titel „A Golden Age for Queer Sexual Cultures? Lesbian and Gay Literature and Film in 1970s Germany“ wird dieses Thema vom 20. bis zum 22. Juli 2017 untersuchen. 3 Andreas Kraß: „Meine erste Geliebte“. Magnus Hirschfeld und sein Verhältnis zur schönen Literatur, Göttingen 2013 (= Hirschfeld-Lectures 2); ders./ Benedikt Wolf: Queer Writing, in: Andrew J. Webber (Hg.): The Cambridge Companion to the Literature of Berlin, Cambridge 2017, S. 185–205. 4 Andreas Pretzel/Volker Weiß: Die westdeutsche Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Annäherungen an ein legendäres Jahrzehnt, in: dies. (Hgg.): Rosa Radikale. Die Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Geschichte der Homosexuellen in Deutschland nach 1945, Bd. 2, Hamburg 2012 (= Edition Waldschlösschen 12), S. 9–26. 10 | Neues aus dem Zentrum und der HU Die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen in diesem Projekt nehmen die Literatur der 1970er Jahre in den Blick. Janin Afken erforscht in ihrer Dissertation die Spezifität lesbischer Literatur in den 1970er und 1980er Jahren im geteilten Deutschland. Benedikt Wolf arbeitet in einem Postdoc-Projekt den Nachlass des Journalisten und Satirikers Felix Rexhausen (1932-1992), der im Schwulen Museum* liegt, auf, und fragt im Blick auf Nachlass und veröffentlichte Werke Rexhausens nach den Leistungen der Satire für eine Kritik der Homosexuellenfeindlichkeit und für eine homosexuelle Emanzipation. Im Sommersemester 2017 bieten Janin Afken und Benedikt Wolf ein Seminar mit dem Titel „Autobiographisches Schreiben von lesbischen und schwulen Autor_innen in den 1970er Jahren“ an, das auch für die Studierenden der Gender Studies geöffnet ist. In einem Modellprojekt zum AIDS-Aktivismus, gefördert von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, wird das Forschungsprofil auf die 1980er und frühen 1990er Jahre erweitert. In Zusammenarbeit mit Corinna Gekeler und Axel Schock vom Arbeitskreis AIDS-Geschichte ins Museum sowie mit der Universitätsbibliothek bereitet Liesa Hellmann ein Modellarchiv vor, das Nach- und Vorlässe von AIDSAktivist_innen der Forschung an der Humboldt-Universität zugänglich machen wird. Einen weiteren kunst- und kulturgeschichtlichen Schwerpunkt bauen wir zurzeit neu auf. Die 2015 verstorbene US-amerikanische Kunstsammlerin Naomi Wilzig hat in ihrem World Erotic Art Museum in Miami Beach eine weltweit einzigartige Sammlung erotischer Kunst zusammengetragen, die für die Erforschung der Kulturgeschichte der Sexualität immense Bedeutung hat. Die Sammlung kommt im Rahmen eines Leihvertrags für fünf Jahre an die Humboldt-Universität und wird in dieser Zeit von unserer Forschungsstelle erschlossen und erforscht. Das im April 2017 startende Projekt wird von Hannes Hacke (derzeit wissenschaftlicher Volontär am Schwulen Museum*) betreut. Eine Reihe von Ausstellungen in bestehenden Museen und Ausstellungsräumen sind bereits in Vorbereitung. Die Arbeit an der Naomi Wilzig-Collection versteht sich auch als ein Projekt, das die Zerstörung der Berliner Sexualwissenschaft und die Vertreibung und Ermordung ihrer Protagonist_innen durch den Nationalsozialismus nicht auf sich beruhen lassen will. In ihrer Sammlungstätigkeit ließ sich Naomi Wilzig unter anderem durch das Bilderlexikon der Erotik (1928-1931) leiten, das das Institut für Sexualforschung Wien herausgab. Diese Publikation dokumentierte fotografisch Teile der kulturhistorischen Sammlung in Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft. Die Auseinandersetzung mit Naomi Wilzigs Sammlung verstehen wir Neues aus dem Zentrum und der HU | 11 auch als einen Beitrag, das „verschmähte Erbe“ 5 der Sexualwissenschaft an der Humboldt-Universität kritisch anzutreten. Berlin gilt heute als eine Hauptstadt der nicht-normativen Sexualitäten. Die kulturellen und politischen Bedingungen für LGBTIQs in Berlin bringen – bei allen aktuellen bedrohlichen Entwicklungen in der Innen- und Außenpolitik – eine diverse kulturelle, wissenschaftliche und aktivistische Landschaft hervor, die auf der Welt ihresgleichen sucht. Dieser besonderen Stellung der LGBTIQ-Kultur in Berlin soll in naher Zukunft durch ein gemeinsames Haus der Berliner Kultur-, Bildungs- und Forschungsinstitutionen mit LGBTIQ-Bezug materieller und institutioneller Ausdruck verliehen werden. An dem Projekt eines ElberskirchenHirschfeld-Hauses („E2H“), das Eingang in den Koalitionsvertrag der neuen Berliner Regierung gefunden hat, ist unsere Forschungsstelle aktiv beteiligt und hofft in diesem Rahmen ihre Forschungen zur langen Geschichte Berlins als Hauptstadt der sexuellen Außenseiter noch viele Jahre fortzusetzen und die Erinnerung an diese Tradition wachzuhalten. Eva-Lotte Rother Ziemlich International − ein Auslandssemester an der CEU in Budapest Die CEU –die Central European University ist noch sehr jung, wenn man sie mit anderen Universitäten vergleicht. Sie liegt in Budapest und war für vier Monate im Rahmen eines Erasmussemesters meine akademische Heimat. Gegründet wurde diese Privatuniversität 1991 vor allem mit dem Ziel, den Wandel in Ungarn als postkommunistischem Land zu begleiten. Mittlerweile hat sich das ein bisschen gewandelt. Der Schwerpunkt liegt inzwischen vor allem auf globalen Zusammenhängen. Mit 1600 Studierenden aus über 100 Ländern ist die Universität zwar relativ klein, gehört aber zu den internationalsten Universitäten weltweit. Es werden vor allem Sozialwissenschaften unterrichtet und im Vergleich zu der Größe der Universität sind die Gender Studies dort ein deutlich größeres Fach als an der HU. Das Semester, oder besser der Term beginnt Anfang September. Ich bin ein bisschen überrascht, als ich merke, dass ich in Gender Studies die einzige Deutsche bin. Meine Kommiliton_innen kommen aus Russland, USA, Spanien, 5 Dose, Das verschmähte Erbe. 12 | Neues aus dem Zentrum und der HU Kroatien, Brasilien, Frankreich, China … Ich kann längst nicht alle Länder aufzählen. Und es ist spannend, dass es, auch wenn weiße Personen immer noch deutlich in der Überzahl sind, keine wirklichen nationalen Mehrheiten gibt. Meine erste Woche ist angefüllt mit Informationsveranstaltungen, ganz allgemeinen, aber auch solchen vom Department. Es gibt unter anderem eine Diskussion über Spannungen zwischen Wissenschaft und Aktivismus, die sich immer wieder ergeben und damit ein bisschen aufgeweicht werden sollen. Außerdem stellen sich alle Professor_innen mit ihren Kursen vor, was die erste „richtige“ Unterrichtswoche entlastet. Die Kurse funktionieren ein bisschen anders, als ich das aus Berlin gewohnt bin. Viele finden zwei Mal wöchentlich statt, eine Einheit sind 100 min statt der gewohnten 90 und eines der ersten Dinge, über die ich stolpere, ist, dass am Ende nicht geklopft oder geklatscht wird. Es wird viel Stoff behandelt. Wir müssen bis zu vier Texte pro Woche für ein Fach lesen, regelmäßige Reflexionspapiere einreichen und natürlich Referate halten. Die Anwesenheit wird kontrolliert. Außerdem sind deutlich weniger Fächer interdisziplinär ausgeschrieben. Zum einen ist es nett, weil ich dadurch meine Kommiliton_innen schneller und besser kennenlerne und zumindest manche Grundlagen von allen geteilt werden, zum anderen merke ich aber auch, wie erfrischend es ist, viel und oft Einblicke und Meinungen von Menschen anderer Fächer zu bekommen. Viele Themen habe ich auf die eine oder andere Art schon in Berlin angeschnitten. Und trotzdem sind es neue Diskussionen. Es dauert ein bisschen, bis ich herausfinde, wieso sich die CEU so anders anfühlt als die HU. Ich glaube, besonders einflussreich ist dabei, dass die meisten Studierenden maximal ein Jahr da sind. Fast alle sind neu in der Stadt, es gibt weniger vorhandene studentische Strukturen, aber es ist auch klar, dass es sich um eine „besondere Zeit“ handelt, die nicht ewig ausgedehnt werden kann. Ich habe auch das Gefühl, dass weniger streng mit Sprache umgegangen wird, weil Englisch zwar Unterrichtssprache, für die meisten aber nicht die Muttersprache ist. Natürlich werden viele Diskussionen um Sprachpolitik und Ausdrucksmöglichkeiten geführt: Wer kann sprechen? Wer hat Redebeiträge? Wie können Dinge ausgedrückt werden? Aber weil klar ist, dass Fehler in einer anderen Sprache immer dazu gehören, habe ich den Eindruck, dass sich alle noch mehr Mühe geben, gemeinsam eine positive Ausdrucksmöglichkeit zu finden. Die CEU bietet viele Aktivitäten an. Ich bin mir nicht sicher, wie viele E-Mails ich pro Tag bekommen habe. Im Schnitt konnte ich bestimmt an mindestens drei verschiedenen Veranstaltungen pro Tag teilnehmen, aber zeitlich realistisch sind eher zwei bis drei pro Woche. Dazu zählen für mich unter anderem Vorträge wie der des Britischen Botschafters zu Brexit, Filmvorführungen, Book Launches, ein Neues aus dem Zentrum und der HU | 13 Podcast Workshop, der Uni-Chor, Wanderungen oder ein Abend mit der Budapest Bike Maffia, die Brote für Obdachlose vorbereitet und dann (auf dem Fahrrad) verteilt. Das macht alles sehr viel Spaß, führt aber auch, zusammen mit der Sprachbarriere im Ungarischen, ein bisschen dazu, dass ich mich in einer Uni-Blase wiederfinde. Je nachdem, mit welchen Erwartungen ein Erasmussemester verknüpft ist, kann das in Ordnung sein oder ein bisschen schade. Die Sorge, die ich vorher hatte, nämlich vor allem mit anderen Erasmus Studierenden zusammen zu sein, bewahrheitet sich zumindest nicht. Mein Status als Erasmus Studierende ist praktisch nicht erkennbar und ich bin einfach genau wie (fast) alle anderen neu in Ungarn und neugierig. Und am Ende des Terms, als wir tatsächlich in der Uni zu wohnen scheinen und fieberhaft daran arbeiten, drei Hausarbeiten vor Weihnachten fertig zu schreiben, stellen wir fest, dass es beinahe ein bisschen egal ist, ob die Universität gerade in Budapest oder irgendwo anders auf der Welt steht, da wir uns sowieso hauptsächlich in der Bibliothek aufhalten. Dass ein Semester viel zu kurz ist, um Budapest ausreichend kennenzulernen. Dass es immer am meisten auf die Menschen ankommt, die einen umgeben. Und ich weiß, dass ich auf jeden Fall wiederkommen will. 14 | I n i t i a t i ve n i n F o r s c h u n g u n d L e h r e b u n d e s we i t / i n t e r n a t i o n a l Graduiertenschule Genderforschung (GGf ) an der Universität Koblenz-Landau Die Graduiertenschule Genderforschung, kurz GGf, ist assoziiert mit dem Interdisziplinären Promotionszentrum (IPZ) und bildet als strukturiertes Promotionsprogramm den organisatorischen Rahmen für Promotionsprojekte im Bereich der Genderforschung an der Universität Koblenz-Landau. Die GGf ist eine interdisziplinäre Graduiertenschule, die mit diesem Profil der Ausdifferenzierung und der Komplexität des Forschungsfeldes Rechnung trägt und den wissenschaftlichen Dialog der Fächer und Disziplinen im Kontext der Genderforschung weiter voranbringen möchte. Dies spiegelt sich sowohl in der Konzeption der Angebote als auch in der fächerübergreifenden Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wider. Entsprechend wird die GGf auch von einer disziplin- und campusübergreifenden Kommission geleitet, die durch Prof. Dr. Claudia Quaiser-Pohl und Prof. Dr. Uta Schaffers als Sprecherinnen vertreten wird. Das primäre Ziel der GGf ist die Förderung von Promotionsprojekten im Bereich der Genderforschung an der Universität Koblenz-Landau. Dazu stehen der neu gegründeten Graduiertenschule derzeit Mittel für drei Promotionsstipendien zur Verfügung. Ein Stipendium ist besetzt, zwei Stipendien sind aktuell ausgeschrieben. Die Förderphase der beiden noch nicht besetzten Stipendien beläuft sich mit einer monatlichen Stipendienrate von 1.250,- € auf 32 Monate. Eine Bewerbung ist noch bis zum 01.04.2017 möglich. Neben der Anbindung durch ein Stipendium besteht die Option einer assoziierten Mitgliedschaft. Während die Stipendien ausschließlich zur Förderung der Promotionsphase vorgesehen sind, können sich sowohl Promovierende als auch Postdocs der Universität Koblenz-Landau um eine Assoziierung bewerben. Grundlegend für einen Antrag ist neben der Auseinandersetzung mit genderbezogenen Fragestellungen in den Forschungsarbeiten das Interesse an einem interdisziplinären Austausch. Die GGf ermöglicht ihren Mitgliedern durch wechselnde Veranstaltungsformate einen regelmäßigen Austausch und Gelegenheit zur Diskussion der Forschungsprojekte. Der interdisziplinäre Dialog zwischen Promovierenden und Postdocs sowie teilnehmenden Professorinnen und Professoren steht dabei stets im Vordergrund. Das entsprechende Studienprogramm gliedert sich in einen Pflicht- und einen Optionalbereich. Der Pflichtbereich beinhaltet die Module „Theoretische und methodische Zugänge in der Genderforschung“ sowie „Wissenschaftlicher Dialog“. Im Optionalbereich wählen die Nachwuchswissenschaftlerinnen flankierende Angebote, die sie bei Fertigstellung der Dissertation I n i t i a t i ve n i n F o r s c h u n g u n d L e h r e b u n d e s we i t / i n t e r n a t i o n a l | 15 und in der Ausbildung ihres wissenschaftlichen Profils unterstützen. Weiterhin sieht die Förderung innerhalb der GGf unterstützende Maßnahmen vor, welche die Entwicklung eines wissenschaftlichen Profils anstreben. Diese Maßnahmen berücksichtigen sowohl das Aneignen relevanter Kompetenzen für die Promotionsphase als auch wesentliche Vorbereitungen für eine wissenschaftliche Laufbahn. Außerdem stehen für die Stipendiatinnen Mittel für Tagungsbesuche und Druckkostenzuschüsse im Falle einer Publikation der Dissertation in einem Verlag bereit. Um die erforderliche Flexibilität für den Forschungsprozess zu gewährleisten, wird die Umsetzung des Konzepts sukzessive gestaltet. Zu den Kernanliegen der GGf zählt neben der Nachwuchsförderung auch die Unterstützung einer fächer- und standortübergreifenden Vernetzung von bestehenden sowie entstehenden thematisch passenden Forschungsprojekten an der Universität Koblenz-Landau. Durch die zentrale Bedeutung der interdisziplinären Ausrichtung der GGf können sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Fachbereichen der Universität Koblenz-Landau, d.h. aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, aus den Bildungswissenschaften und der Psychologie ebenso wie aus den Natur- und den Informationswissenschaften daran beteiligen. Als ein Element der gleichstellungsfördernden Maßnahmen an der Universität Koblenz-Landau erfolgt die Finanzierung der GGf über das Professorinnenprogramm II des Bundes und der Länder. Weitere Informationen unter ggf-koblenz-landau.de „Gender & Queer Studies“: ein neuer Masterstudiengang in Köln 6 Zum Wintersemester 2017/2018 ist es soweit. Ein neuer, einzigartiger Studiengang geht an den Start. Die Möglichkeiten, die die Stadt Köln sowohl mit ihrer großen Hochschuldichte wie mit ihren vielfältigen feministischen und queeren Bewegungen bietet, finden sich in der Konzeption des Masters wieder. Der forschungsorientierte Studiengang wird von allen sechs Fakultäten der Universität zu Köln (UzK) unterstützt und gemeinsam mit der Technischen Hochschule Köln realisiert. Er beinhaltet 6 Vorbehaltlich des Beschlusses nach dem Akkreditierungsverfahren, in dem sich der Studiengang derzeit befindet. 16 | I n i t i a t i ve n i n F o r s c h u n g u n d L e h r e b u n d e s we i t / i n t e r n a t i o n a l zudem eine Kooperation mit der Hochschule für Musik und Tanz Köln. „Queer“ als Kritik an essentialistischen, binären und heteronormativen Vorstellungen und als Denkweise der Ermöglichung von Multiperspektivität wurde als theoretischer Ausgangspunkt besonders hervorgehoben und ausdrücklich in den Namen des Studiengangs aufgenommen. Der Abschluss ist ein Master of Arts, der sowohl von der UzK als auch TH Köln zuerkannt wird. Der 1-FachMasterstudiengang richtet sich an Studierende aus ganz unterschiedlichen Fachdisziplinen und bietet forschungsorientierte Profilierungsmöglichkeiten aus den breiten Feldern der (angewandten) Sozial- und Erziehungswissenschaften, Geistes- und Kulturwissenschaften, Natur- und Technikwissenschaften, Rechtswissenschaften, Medizin, Wirtschaftswissenschaften und den Künsten. Im Fokus des Studiengangs steht die Untersuchung der Hervorbringungen, Konstruktionen, Materialisierungen von „Geschlecht“ und „Geschlechterverhältnissen“ sowie ihre Verflechtungen in sozialen, kulturellen, rechtlichen, ökonomischen und naturwissenschaftlichen Ordnungsmustern und Klassifikationen. Hierarchisierung und Privilegierung/Benachteiligung qua Geschlecht und weiterer Differenzsetzungen, Heteronormativität als vorherrschendes Denkmuster und naturalisierte Praxis werden besonders vor dem Hintergrund kulturellmedialer, didaktischer, sozio-ökonomischer, medizinischer und rechtlicher Fragestellungen gemeinsam mit den kooperierenden Fakultäten und Hochschulen und gemäß ihrer jeweiligen Forschungsschwerpunkte im Rahmen des Studiengangs problematisiert. Die übergeordnete Frage, welche Mechanismen und Praxen Zweigeschlechtlichkeit in diesen Zusammenhängen immer wieder stabilisieren, Dichotomien naturalisieren und Ausschlüsse und Diskriminierungen produzieren, wird aus diesen verschiedenen Blick- und Denkrichtungen analysierbar und trotz ihrer verschiedenen Matrizes aufeinander beziehbar. Gleichzeitig wird eine Wissenschaft etabliert, die neue Denkmöglichkeiten und Handlungsspielräume für queer-feministische Interventionen in Bezug auf medial-kulturelle Darstellungsformen, (Schul-)Bildung, binäre und prekäre Arbeitsteilungen, Altersvorsorge, medizinische Betreuung und rechtliche Gleichstellung aufzeigt. Profil des Studiengangs Der 1-Fach-Master Gender & Queer Studies bietet Studierenden aus unterschiedlichen Fachdisziplinen forschungsorientierte Profilierungsmöglichkeiten aus den breiten Feldern der (angewandten) Sozial- und Erziehungswissenschaften, Geistes- und Kulturwissenschaften, Natur- und Technikwissenschaften, Rechtswissenschaften, Medizin, Wirtschaftswissenschaften und den Künsten. Der zweijährige Studiengang baut zudem auf die Erfahrungen, Fähigkeiten und I n i t i a t i ve n i n F o r s c h u n g u n d L e h r e b u n d e s we i t / i n t e r n a t i o n a l | 17 Interessen seiner Studierenden mit ihren vielfältigen Vorerfahrungen und Orientierungen auf. Studierende erwerben Qualifikationen, die sie auf ihr späteres Berufsleben vorbereiten, beispielsweise grundlegende Kompetenzen und das Aufbauen von Netzwerken für eine anschließende wissenschaftliche Tätigkeit, sowohl an Hochschulen als auch an außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Sie erwerben gendersensible Methodenkompetenzen, die in anwendungsorientierten Arbeitsfeldern, wie z.B. der Intervention und Beratung gefragt sind. Eine spezifische Expertise in den Gender und Queer Studies in Verbindung mit dem zuvor im Bachelor erworbenen fachlichen Profil wird ausgebaut. Ein solches Fachwissen findet beispielsweise in der Politik- und Organisationsberatung, aber auch in Bereichen der Sozialen Arbeit/Pädagogik Anwendung. Der 1-Fach-Masterstudiengang Gender & Queer Studies ist als Vollzeitstudiengang mit einer Regelstudienzeit von vier Semestern geplant. Die Einrichtung eines Teilzeitstudiums soll jedoch perspektivisch ermöglicht werden. 1. Sem. BM I (9 LP) BM II (9 LP) BM III (9 LP) 30 LP 2 Sem. AM (9 LP) AM (9 LP) SM I (9 LP) EM (9 LP) 30 LP 3. Sem. AM (9 LP) AM (9 LP) SM LP) 30 LP 4. Sem. Masterarbeit und Masterkolloquium II (9 30 LP Basismodule (Pflichtmodule BM I-III): Während sich das BM I aus der Einführung in die Gender und Queer Studies sowie einer interdisziplinären Ringvorlesung zusammensetzt, werden in BM II die grundlegenden Konzepte der Gender und Queer Studies in zwei aufeinander abgestimmten Seminarveranstaltungen aus den Bereichen Transformationen und Geschlecht sowie Macht und Geschlecht vertieft. Das BM III Methoden und Vermittlung setzt sich aus einer einführenden Methodenvorlesung und einem Spezifizierungsseminar aus den Bereichen empirische Sozialforschung, Methoden der Intervention und Beratung oder text- und kulturwissenschaftlich orientierte Analyseverfahren zusammen. Schwerpunktmodule (SM I-II): Die Schwerpunktmodule im zweiten (SM I oder „Studienprojekt I“) und dritten Semester (SM II oder „Studienprojekt II“) dienen dazu, den Studierenden 18 | I n i t i a t i ve n i n F o r s c h u n g u n d L e h r e b u n d e s we i t / i n t e r n a t i o n a l innerhalb des vielfältigen Angebots und der unterschiedlichen disziplinären Zugänge eine Fokussierung und Erprobung zu ermöglichen. Die erworbenen Grundlagen aus den BM I-III können durch ein Forschungs- bzw. Praxisprojekt, eine Praxisphase oder eine Exkursion Anwendung finden, wobei Problemstellungen und mögliche Interventionsstrategien der Gender und Queer Studies auch in den nicht-akademischen, öffentlichen Raum überführt werden können. Aufbaumodule (AM I-V): Die Aufbaumodule werden erstmals ab dem Sommersemester 2018 angeboten. Aus insgesamt fünf Aufbaumodulen müssen vier gewählt werden. Sie erweitern die disziplinäre Perspektive systematisch durch die disziplinübergreifenden Themenfelder der Seminare und teilen sich in folgende Bereiche: AM I Vergeschlechtlichtes Wissen und Bildung AM II Körper, Sexualität und Bewegung AM III Repräsentation, Ästhetik, Konstruktion und Medialisierung AM IV Sozialpolitik und Sozialökonomie AM V Globale Transformation, sozio-kulturelle und rechtliche Ungleichheit Mit den Aufbaumodulen wird die sich stetig erhöhende Komplexität und Dialogizität von Wissenschaft, Welt und gesellschaftlichem Wandel reflexiv erfahr- und kritisch nachvollziehbar. Ergänzungsmodul (EM): Das EM, in Form eines Kolloquiums, begleitet eine Studiengangkohorte vom ersten bis zum dritten Semester. Hier wird der Austausch zwischen den Studierenden ermöglicht. Es dient der Rahmung, Synthetisierung und Rückführung der im Studiengang entwickelten und ausdifferenzierten Perspektiven und Problematisierungen. Masterarbeit und Masterkolloquium: Mit dem Verfassen der Masterarbeit sollen die Studierenden die Fähigkeit nachweisen, innerhalb einer vorgegebenen Frist ein ihnen gestelltes Thema aus dem Gegenstandsbereich der Gender & Queer Studies selbstständig mit wissenschaftlichen Methoden und in klarer Darstellung der Erkenntnisse zu bearbeiten. Bewerbung ab 15.6.2017. Weitere Fragen bitte an: master-gender-queer[at]unikoeln.de I n i t i a t i ve n i n F o r s c h u n g u n d L e h r e b u n d e s we i t / i n t e r n a t i o n a l | 19 Kathrin Ganz, Marcel Wrzesinski Open Access in der Geschlechterforschung: Open Gender Journal www.opengenderplattform.de | redaktion@opengenderjournal.de OGJ. Open Gender Journal ist eine neue Open-Access-Zeitschrift für die Geschlechterforschung, in der fortlaufend qualitätsgesicherte Fachbeiträge veröffentlicht werden. OGJ wird herausgegeben von deutschsprachigen Geschlechterforscher_innen (Gesine Ahlzweig, Tanja Carstensen, Kathrin Ganz, Gabi Jähnert, Japhet Johnstone, Anja Michaelsen, Kerstin Palm, Anita Runge, Marcel Wrzesinski), die mit ihren universitären Institutionen in verschiedenen Funktionen und Rollen mitarbeiten. OGJ soll durch einen internationalen Beirat unterstützt werden. Eine Grundidee von OGJ ist es, die Breite und Vielfalt des wissenschaftlichen Feldes der Geschlechterforschung ohne thematische Einschränkungen zu spiegeln: OGJ verzichtet auf redaktionelle Themensetzungen und ermöglicht durch eine fortlaufende Erscheinungsweise einen beschleunigten und offenen Publikationsprozess. Damit erhält die Geschlechterforschung einen Ort, an dem Wissenschaftler_innen ihre Forschungsergebnisse entsprechend der eigenen aktuellen Schwerpunkte schnell publizieren können – ohne Limitierung durch thematische Call for Papers. Zugleich bietet OGJ verschiedenen Gruppen und Organisationszusammenhängen die Möglichkeit, die Beiträge aus wissenschaftlichen Veranstaltungen und Projekten zu dokumentieren. Gegenwärtig werden vom Redaktionsteam unter anderem Fachartikel zur Publikation vorbereitet, die im Rahmen der 6. Jahrestagung der Fachgesellschaft Geschlechterstudien (Berlin 2016) zum Thema „Materialität/en“ diskutiert wurden. Das Open Gender Journal ist Teil der neu gegründeten Open Gender Plattform und damit eingebettet in diverse Bestrebungen, geschlechterwissenschaftliches Fachwissen frei zugänglich und nutzbar zu machen. Durch die Verwendung von „Open Journal Systems“, einem weltweit verbreiteten Publikationssystem, sowie einer freien Lizenz (Creative Commons; CC-BY 4.0) werden Zugänglichkeit und langfristige Archivierung gesichert. Sowohl die Zeitschrift als auch die Plattform werden auf der trinationalen Jahrestagung der deutschsprachigen Geschlechterforschung (D-A-CH) im September 2017 erstmals vorgestellt. Parallel dazu arbeiten Mitglieder der AG Publikationen der Fachgesellschaft Geschlechterstudien daran, die Plattform um weitere Zeitschriften zu ergänzen, alternative Verfahren der Begutachtung zu erproben (z.B. „Open Review“), eine Sektion für 20 | I n i t i a t i ve n i n F o r s c h u n g u n d L e h r e b u n d e s we i t / i n t e r n a t i o n a l Open-Access-Monographien einzurichten und Möglichkeiten des Forschungsdatenmanagements zu sichten. Call for Paper / Reviewers Im Open Gender Journal werden fortlaufend Artikel zur Begutachtung angenommen und entsprechend veröffentlicht. Gemäß dem Selbstverständnis gibt es weder Deadlines noch thematische Ausgaben, gleichwohl soll jeder Beitrag einen erkennbaren geschlechterwissenschaftlichen Bezug haben. Geschlechterforschung wird dabei als Sammelbegriff für die verschiedenen methodischen und theoretischen Ausrichtungen innerhalb des Feldes (Frauenforschung, Geschlechterforschung, Genderforschung, Gender Studies, feministische Forschung) verwendet. Angrenzende Felder wie Queer Studies, Disability Studies, Rassismusforschung und Postcolonial Studies, Diversity Studies, insbesondere auch die Berücksichtigung intersektionaler Perspektiven werden mit eingeschlossen. Daneben werden fortlaufend Fachgutachter_innen gesucht, die gemäß ihrer jeweiligen Schwerpunkte die Redaktion bei der Qualitätssicherung der Beiträge unterstützen. Durch ein elektronisches Begutachtungssystem wird die Arbeit dabei einfacher und transparent gestaltet. Promovierte Wissenschaftler_innen aus den oben genannten Feldern sind herzlich eingeladen, sich auf OGJ als Gutachter_innen zu registrieren. N e u e Pr o f e s s o r _ i n n e n / wi s s . M i t a r b e i t e r _ i n n e n | 21 Silvy Chakkalakal Juniorprofessur am Institut für Europäische Ethnologie der Philosophischen Fakultät I der HU Im April 2017 beginne ich meine Stelle als Juniorprofessorin am Institut für Europäische Ethnologie mit dem Schwerpunkt Gender, Bildung und Zukunft. Ich freue mich sehr, als Mitglied am ZtG die bereits vorhandene Schnittstelle zwischen Gender Studies und Europäischer Ethnologie in Lehre und Forschung zu verstärken und zu erweitern. Mein Hauptstudium und meine Promotion habe ich an der HU absolviert und kenne das ZtG also auch aus meiner Zeit als Studentin und Promovendin. Zudem habe ich mehrere Jahre erst als studentische und dann als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Margherita-von-Brentano-Zentrum (vormals: Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung) an der Freien Universität Berlin gearbeitet. Umso mehr freue ich mich darauf, mich nun in die Lehre, die Betreuung und in die Gremienarbeit des ZtG miteinzubringen. Nach meiner Promotion am Institut für Europäische Ethnologie war ich Assistentin am Baseler Seminar für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie. Gegenstand meines dort begonnenen Habilitationsprojekts sind die kollaborativen und ästhetischen Arbeiten der US-amerikanischen Kulturanthropologin Margaret Mead. Mead selber hat sich während ihrer langen Berufslaufbahn immer wieder mit den Themen Geschlecht, Bildung und Zukunft beschäftigt, die nun auch in meiner Arbeit einen zentralen Stellenwert haben werden. So freue ich mich, auf dem Schnittfeld von Europäischer Ethnologie und Gender Studies folgende inhaltliche Schwerpunkte beizusteuern und zu verstärken: Erstens arbeite ich an einer kulturanthropologischen Bildungsforschung, in der es um die konkreten Bildungs- und Wissenspraktiken von Akteur_innen gehen soll. Das Potential einer europäisch-ethnologischen Bildungsforschung sehe ich darin, zu fragen, wie Menschen in ihrem Alltag Bildung praktizieren, konzeptualisieren und welchen Einfluss Bildung auf unterschiedliche Lebenswelten und bereiche hat. Ein solches weites Verständnis von Bildung ermöglicht es, den Fokus nicht nur auf einzelne Bildungsinstitutionen zu legen, sondern in erster Linie auf unterschiedliche Bildungspraktiken. Zweitens interessiere ich mich mit dem Nexus Gender/Bildung/Zukunft für Bildungspolitiken. Das Thema Bildung fungiert in öffentlichen Diskursen nicht selten als ein Brennglas für unterschiedliche soziale Probleme. Hier lässt sich untersuchen, wie eng Meinungen und Empfehlungen zu Bildung mit anderen 22 | N e u e Pr o f e s s o r _ i n n e n / wi s s . M i t a r b e i t e r _ i n n e n politischen Themen – wie z.B. Gleichstellung, Migration, Arbeit – zusammenhängen. Über Bildungskonzepte werden individuelle Lebenschancen, aber auch zukünftige Gesellschaftsentwürfe verhandelt. Aus einer geschlechtertheoretischen Perspektive will ich Bildung als ein politisches Feld analysieren, das durch spezifische Macht- und Regierungslogiken konstituiert ist. Es geht mir hier auch darum, in den Blick zu nehmen, wie unterschiedliche Bildungsakteur_innen Bildung anbieten, konsumieren oder ablehnen und welche Art von gesellschaftlicher Zukunft sie hierbei entwerfen. Drittens bin ich sehr an der Analyse künstlerischer und populärkultureller (Bildungs-)Formate interessiert, die ich unter den Schwerpunkt „Bildung, Medialität und ästhetisch-sinnliche Praxis“ fasse. Bereits in meiner Dissertation habe ich die Verbindung zwischen Einbildung, Bild und Bildung untersucht und auch in meiner aktuellen Forschung zu Margaret Meads Arbeit stehen künstlerische, poetische und sinnliche Formate im Vordergrund. Diese drei Schwerpunkte finden sich natürlich auch in meiner Lehre wieder, die sich an Studierende der Europäischen Ethnologie und der Gender Studies richtet. Ebenso betreue ich gerne Abschlussarbeiten in diesen inhaltlichen Feldern. Über meine weiteren Interessen und Aktivitäten verweise ich an dieser Stelle noch auf meine Baseler Homepage, da ich die HU-Seite erst noch bestücken muss: https://kulturwissenschaft.unibas.ch/seminar/personen/profil/portrait/person/ chakkalakal/ Ich freue mich sehr darauf, bekannte Gesichter wiederzusehen und neue Kolleg_innen und Studierende kennenzulernen! W a s ma c h e n e i g e n t l i c h u n s e r e A b s o l ve n t _ i n n e n ? | 23 Folke Brodersen Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Jugendinstitut, München Meine erste berufliche Anstellung nach Abschluss des Masterstudiengangs Gender Studies hat sich durch vorherige Tätigkeiten als Praktikant und Hilfskraft ergeben. Zufällig stieß ich Ende 2012 auf eine Ausschreibung des Deutschen Jugendinstituts (DJI) in München (www.dji.de): Durchgeführt werden sollte eine Pilotstudie zur Lebenssituation und Diskriminierungserfahrungen von lesbischen, schwulen und bisexuellen Jugendlichen. Nach einem Praktikum im Rahmen meines BA-Studiums im darauffolgenden Frühjahr, einem Honorarvertrag in diesem Projekt und einer halbjährigen Beschäftigung als wissenschaftliche Hilfskraft in der anschließenden Hauptstudie nach Ende des Bachelor- und vor Beginn des Masterstudiums, bin ich heute wieder am DJI tätig − nun als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Zusammen mit zwei Kolleginnen erarbeite ich in einem DFG-Projekt Methoden der quantitativen Jugendforschung, die Jugendlichen mit Behinderungen in Bezug auf Kommunikationsformen und Fragebogenformate gerecht werden, passende Zugänge wählen und sich an ihrer Lebenswelt orientieren. Meine studienbegleitenden Tätigkeiten und die damalige initiative Anfrage waren so in mehrerer Hinsicht folgenreich für mich. Ich habe zum einen praktisches Forschungsvorgehen innerhalb eines Teams kennenlernen und die Abläufe und Bedingungen eines außeruniversitären Wissenschaftsbetriebs erfahren können, zum anderen konnte ich meine Masterarbeit in Bezug und mit Daten der Studie ‚Coming out – und dann…?!‘ verfassen und hatte schließlich die Chance, mich auf meine gegenwärtige Stelle zu bewerben. Meine derzeitige Anstellung in Teilzeit bietet mir nun die Möglichkeit, in der Laufzeit von zwei Jahren an einem spannenden Projekt teilzuhaben, mich in ein weiteres Themenfeld intensiv einzuarbeiten wie auch genügend Raum für die Vorbereitung eines Promotionsvorhabens und gesellschaftspolitisches Engagement. Das DJI als Forschungsstandort und Arbeitgeber unterscheidet sich an bestimmten Stellen in seinen Schwerpunktsetzungen und seinem Forschungshandeln von dem an Hochschulen und Universitäten. Dies betrifft sowohl die Genese von Forschungsfragen als auch die Dissemination von Forschungsergebnissen. So orientieren sich die meisten Projekte des DJI nicht primär an theoretischen Neuentwicklungen wissenschaftlicher Perspektiven und fokussieren nicht ausschließlich Publikationsformen, die sich an ein wissenschaftliches Publikum richten. Sie beantworten über den wissenschaftsimmanenten Anspruch hinaus aktuelle Bedarfe aus Politik und stellen Handreichungen und Empfehlungen für pädagogische Fachpraxis bereit. Die Forschung am DJI ist so unter anderem durch Expertisen, Evaluierungen oder wissenschaftliche Begleitungen pädagogischer Programme an konkreten politischen Steuerungs- 24 | W a s ma c h e n e i g e n t l i c h u n s e r e A b s o l ve n t _ i n n e n ? und Gesetzgebungsprozessen beteiligt. Diese unterschiedlichen Adressat_innengruppen jeweils passend zu bedienen, ist eine Herausforderung für die jeweiligen Projekte und Arbeitseinheiten wie auch eine Chance, hohe Resonanz in der Praxis zu finden. Auch die institutionelle Einbindung innerhalb des DJI ist spezifisch: So besteht mit der Anstellung an dem außeruniversitären Wissenschaftsbetrieb keine Lehrverpflichtung, was ein intensives Arbeiten am jeweiligen Forschungsprojekt ermöglicht. Zugleich besteht ein intensiver Austausch innerhalb des Instituts – in zahlreichen Sitzungen der Abteilungen, Fachgruppen, Arbeitskreisen und mit thematisch benachbarten Kolleg_innen findet ein zwar zeitintensiver, aber produktiver Austausch statt, durch den sowohl das eigene Projekt weiterentwickelt als auch das Institut gestaltet werden kann und soll. Schließlich erfordert eine entsprechende Einbindung aber auch die Bearbeitung organisatorischer Aufgaben . Anträge auf Dienstreisen und Fortbildungen sowie die Vorbereitung von Sitzungen des Projektbeirats und Workshops gehören neben der wissenschaftlichen Tätigkeit zu den Arbeitsaufgaben. Schließlich finden am DJI im Gegensatz zum universitären Kontext fast ausschließlich Forschungen auf empirischer Basis statt. Methoden und Ergebnisse sind dabei auf eine qualitative wie quantitative Beschreibung und Einordnung gesellschaftlicher und sozialer Phänomene und Problemlagen ausgerichtet, eher als auf eine Überarbeitung theoretischer Perspektiven. Das Deutsche Jugendinstitut – wie sicherlich auch andere außeruniversitäre Wissenschaftseinrichtungen – bietet damit einen Rahmen und Gelegenheiten für eine wissenschaftliche Tätigkeit und stellt zugleich entsprechende Anforderungen an die Mitarbeitenden. Innerhalb der Fachabteilungen ‚Kinder und Kinderbetreuung‘, ‚Jugend und Jugendhilfe‘ und ‚Familien und Familienpolitik‘ sind am DJI dabei auch zahlreiche Themen verortet, an die Absolvent_innen der Gender Studies anschließen können. So bestehen Schwerpunkte in der Verteilung und Transformation von Carearbeit wie auch im Detail in der Organisation und Ausgestaltung von Kinderbetreuung, in der (aktiven) Vaterschaft und in sexualisierter Gewalt. Darüber hinaus betrachtet eine diversitätsorientierte Jugendforschung, die sich mit schwulen, lesbischen, bisexuellen, trans* und inter* Jugendlichen beschäftigt wie auch mit Jugendlichen mit Behinderungen und jungen Geflüchteten, methodische Perspektiven der Jugendforschung, Lebenssituationen der Jugendlichen und Bedarfe der Jugendhilfe. Bei insgesamt 360 Beschäftigen und mehr als 50 neu ausgeschriebenen wissenschaftlichen Stellen pro Jahr kann das DJI ein Ort sein, um nach dem Studium wissenschaftliches Arbeiten fortzusetzen und zu vertiefen und dabei an Perspektiven der Gender Studies anzuschließen. Gerne stehe ich Interessierten bei Fragen als Ansprechpartner zur Verfügung: brodersen@dji.de Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 25 Jana Asmus Internationales Festival/Symposium Moving Memory, Erinnerung in Bewegung 7 20.-22.10.2016 „Für uns ist es wichtig, Kunst und politische Bildung zu verschmelzen und verschiedene Formen der Wissensvermittlung zu kombinieren. Dazu gehören Musik, Tanz, Theater, aber auch Vorträge und Seminare. Das ist insbesondere wichtig, da wir transdisziplinär arbeiten und uns gerne mit Themen auf unterschiedlichen Ebenen befassen.“ (Oxana Chi) Oxana Chi 8 und Layla Zami 9 präsentierten vom 20.-22. Oktober 2016 das Festival-Symposium „Moving Memory, Erinnerung in Bewegung.“ In Kooperation mit dem Frauen*-Referat an der Technischen Universität zu Berlin und dem Projekt Berlin 2050 − Stadt der Zukunft des Kulturbüros des Studentenwerks verbanden sie künstlerische und akademische Beiträge. Dabei gab es an allen drei Tagen einen Genrewechsel von Tanzperformances, Panels, Spoken Words, Film und Live Musik. Erstmals in Berlin begegneten sich unter diesem aktivistischen_akademischen Dach Schwarze, jüdische, muslimische und Roma Menschen, die sich teilweise als trans*, schwul, queer definieren. Kulturelle Inspirationen aus Vietnam, Martinique, UK, Tanzania, Italien, Jamaika, Kamerun, Nigeria, Guadeloupe, Frankreich, Deutschland und den USA teilten sich die Bühne. Sie fragten und diskutierten darüber, wie Erinnerungskulturen transformierbar seien und zukünftig gemacht werden könnten. Zentrale Leitfragen waren: − − − Was hat mein eigener Körper mit kollektivem Wissen zu tun? Wie lagern sich Spuren der Vergangenheit in mir ab? Wie haftet dieser Vergangenheit das Gegenwärtige an? Wie kann ich Grenzen zwischen Wissen und Fühlen überwinden, um mich in den „Raum zwischen gestern und morgen“ (May Ayim) zu bewegen? Der erste Abend, übertitelt mit „Afrofuture is now!“ leitete vortragend und tanzend in das Thema „Moving Memory“ ein. Dabei verdeutlicht der physische 7 http://movingmemoryberlin.tumblr.com/event2016?soc_src=mail&soc_trk=ma 8 http://oxanachi.de/ 9 http://www.laylazami.net/lichi.html 26 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e Körper unbewusst gespeichertes, auch traumatisches Wissen und verändert dieses gleichsam positiv durch den subjektiven Ausdruck der Aktivist_in_ Künstler_in. Den Dialog eröffnete Stefanie-Lahya Aukongo 10 mit ihrer Spoken Word Performance „Pulakena (Hör zu!)“. Die akademische Aktivistin Natasha A. Kelly 11 präsentierte die von ihr herausgegebene Anthologie „Sisters and Souls“. Sie ist der ghanaisch-deutschen Poetin May Ayim gewidmet, die mit ihrer Diplomarbeit „raum zwischen gestern und morgen“ den Grundstein für die Auseinandersetzung und Sichtbarmachung afrodeutscher Geschichte legte. Schwarze Autorinnen verschiedener Generationen erzählen in unterschiedlichen Textformen, wie sie auch heute noch persönlich und politisch von May Ayim inspiriert werden. Auch die nachfolgende Performance von Oxana Chi und Layla Zami „I Step On Air“ ist Ayim gewidmet. Die Choreographin Chantal Loïal 12 präsentierte zum krönenden Abschluss des Abends die Deutschland-Premiere ihrer Soloperformance „On t´appelle Vénus – zur Erinnerung an Sawtche (Black Venus)“. Chantal Loïal erinnert an die in der Kolonialzeit quer durch Europa verschleppte Sarah Baartman, mit der Kolonisatoren die sexistisch-rassistische Praxis des Ausstellens Schwarzer Körper erprobten. Zudem wurde ihr Körper seziert. Die Performance entzieht die gewaltsame Vergangenheit der Vergessenheit und gedenkt der Persönlichkeit und Einzigartigkeit Sarah Baartmans. Umrahmt wurden diese Beiträge um zirkulierendes Wissen in der Vergangenheit und Gegenwart mit Rap-Lyrics von der Poetin Bahati 13. Passenderweise unter anderem mit dem Stück „Wanderschaft“. Am nächsten Tag wurde der begonnene Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart mit Zukünftigen vertieft. Unter der Überschrift „Moving with Memory“ wurde zunächst in dem Podium „The Vocabulary of Memory“ die Wirkmächtigkeit des Begriffs „Genozid“ diskutiert. Über die Anerkennung, Reparationen und ihre politischen Arbeiten befanden sich Kien Nghi Ha, Marianne Ballé Moudoumbou 14 und Filiz Demirova 15 im Gespräch. Die Tanzperformance „Psyche“ von Oxana Chi unterbrach das Geistige und spürte 10 http://stefanie-lahya.de/ 11 http://natashaakelly.com/ 12 http://www.difekako.fr/ 13 https://www.backstagepro.de/bahati 14 http://mu-to.net/ 15 https://derparia.wordpress.com/ Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 27 den Verbindungen von Psyche und Seele nach. Die Femmage „Durch Gärten“ 16 erinnerte an die jüdische und in Auschwitz ermordete Tänzerin Tatjana Barbakoff. Wird sie meist als Lebensgefährtin des Malers Gert Wollheim dargestellt, weist Chi durch Bewegungen auf die Vielzahl unterschiedlich ausgestalteter Beziehungen zu Frauen hin. Neben diesen konkreten Fakten kritisiert sie die von Androzentrismus durchtränkte Geschichtsschreibung. Mit „Killjoy“ erinnert Chi an das queere Künstlerinnenpaar Claude Cahun und Marcel Moore. Die Überschneidungen der eigenen Positionierung als queerer Tänzerin mit dem Erleben der 1920er bis1930er Jahre des Künstlerinnenpaars sind vordergründig. Zufit Simon 17 kreierte mit ihrem Stück „all about nothing“ einen nervenaufreibenden Raum. Die Performance gehört zu ihrer Triologie „un-emotional“ und thematisiert psychophysische Prozesse, die Emotionen erlebbar machen und Ausdruck verleihen. Elektrisiert und gleichzeitig quälend beschauen Zuschauer_innen Simons fast 30 Minuten andauerndes unter Spannung stehendes Zucken auf der Bühne. Gefühle werden als reine Geste dargestellt. Die Aussagen dieser Gesten stehen im Spannungsverhältnis mit der Interpretation des Publikums. Was echt und was „Fake“ ist, entscheidet jede_r für sich. Spoken Words von Jumọke Adeyanju und Jayrôme C. Robinet 18 ließen den gefüllten Saal aufleuchten_zuhören. „In the Heart of the Heart of Another Language“ platzierte Robinet u.a. die doppelte Staatsbürger_inschaft und ihre innewohnende Verknüpfung von Sexismus und Rassismus aus einer weißen Perspektive heraus. Tina Campt 19, Mitherausgeberin von „Der Black Atlantic (2004)“ gab eine Einführung zu ihrem kommenden Buch „Listening to Images“ (2017). Thematisch richtet ihr Werk den Fokus auf die Bildung einer Schwarzen Diaspora, deren alltägliches Leben mit der Praxis der Ablehnung verbunden ist. Während herkömmliche Photographie diese Praxis als still archiviert, kombiniert Campt klangliche und haptische Aspekte innerhalb der Photographie, um die Komplexität und Vielfalt dieser Praxis darzustellen. Damit liefert sie eine innovative Analysemethode, die tradiertes Wissen über die Identitätsprozesse der Schwarzen Diaspora im Zusammenhang mit der Praxis der Ablehnung neu interpretiert. 16 Die gleichnamige, dazugehörige Dokumentation kann in der Gender Bibliothek entliehen werden. 17 http://artblau.de/Simon.html 18 https://jayromeaufdeutsch.wordpress.com/ 19 https://barnard.edu/profiles/tina-campt 28 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e Beeindruckend war vor allem die Personalunion der Kuratorinnen und Moderatorinnen Layla Zami und Oxana Chi. Sie legen besonderen Wert auf feministische Perspektiven und die Anerkennung, dass Gefühle und Körper Wissen schaffen. Tanzkunst steht somit einer festgeklopften linear gedachten Geschichtsschreibung nicht entgegen. Vielmehr interveniert sie in deren heteronormativen Rahmen und deutet auf Auslassungen beispielsweise innerhalb von Autobiographien hin. Während des Vortrages „Memory 2Go: Diasporic Dance Moves in the 21st century“ lud Zami das Publikum zu auflockernden Bewegungen ein und schaffte ein konkretes Erleben von verkörpertem Wissen. Die gemeinsame Tanz-Musik-Wort Performance „I Step On Air“ 20 von Chi und Zami thematisiert unter anderem die Instrumentalisierung Schwarzer und People of Color Künstler_innen, Aktivist_innen und Wissenschaftler_innen, die sowohl in weißen Mainstreammedien als auch in der weißen Akademie nur dann Aufmerksamkeit bekommen, wenn das Thema Rassismus temporär salonfähig ist und sie als Expert_innen dienen sollen. Student_innen präsentierten das Blog mit dazugehörigem Zine „UnGeHörig, Nr. 2“. Dies ging aus dem Seminar „Performing memory“ hervor. Ähnlich wie das Symposium diskutierte Layla Zami mit Student_innen im Sommersemester 2016 am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HumboldtUniversität zu Berlin wie kulturelles Wissen entsteht und Kunst den Nährboden für feministische und diasporische Blickwinkel geben kann, um in das hiesige kulturelle Gedächtnis zu intervenieren. Den Übergang zur Präsentation schaffte Sarah Mouwani. Sie präsentierte Auszüge aus ihrem Text „98 Prozent Wahrheit“, welcher alltägliche Rassismuserfahrungen aus Sicht einer Schwarzen Studentin an der Humboldt Universität schildert. 21 Eine aktive Beteiligung wurde zusätzlich durch das Angebot des Tanzworkshops „Afro-Caribbean Movement“ mit Chantal Loïal und den Didgeridoo Workshop mit Sylvestre Soleil 22 geschaffen. Die Workshops waren von Symposiumsteilnehmer_innen als auch Tänzer_innen gut besucht. Die erprobte Choreographie wurde zum Schluss durch eine spontane Zusammenführung beider Workshops mit Didgeridoo begleitet. 20 Das Tanzstück begleitete EDEWA, eine Wanderausstellung, die in dem von Natasha A. Kelly geleiteten Seminar „May Ayim – Schwarze deutsche Feministin?’ von 2011-2012 am ZtG entstand. http://www.edewa.info/ 21 Siehe: http://wortenundmeer.net/produkt/emily-ngubia-kuria-eingeschrieben-zeichen-setzengegen-rassismus-deutschen-hochschulen/ 22 http://sylvestresoleil.wixsite.com/sylvestresoleil Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 29 Mit dem Symposium_Festival „Moving Memory“ wurden Grenzen zwischen „Wissenschaft“ und „Kunst“ aufgelöst. Drei Tage wurde die Verräumlichung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft intersektional diskutiert und ge_tanzt. Gefühle und Körper beziehen sich auf vergangenes Wissen, können es bewusstmachen und gleichsam im Sinne einer positiven Besetzung verschieben. Layla Zami und Oxana Chi setzten einen Grundstein in der Verknüpfung vielfältiger Perspektiven im Hinblick auf den Umgang mit Erinnerungskultur. Die Besucher_innenzahl spiegelt das Interesse an Vernetzung und die Auseinandersetzung zu kollektivem Körper_Wissen wider. Giulia Maria Chesi, Francesca Spiegel Man, Machine, Animal and Monster: the Post-Human in Ancient Greek Literature? HU Berlin, 27.-28.10.2016 This has been the first conference on the Post-human in the field of ancient Greek literature organized in Germany, and one of the first organized in Europe. All the invited participants came to Berlin. The event was very successful: It was very well attended, including a couple of students who decided to attend the conference in order to get inspiration for their master’s and PhD thesis. There was a lot of lively discussion between the invited speakers and the audience. We had two goals first and foremost. 1. To introduce the Post-human debate in the study of ancient Greek literature and to test its applicability to ancient classical texts, with special attention to the relation between humanity and animality and between humanity, machines and monstrosity in Greek literary sources. We discussed what conclusions could be drawn with regard to ancient Greek literature and its study today. One of the main results was a new awareness of the human-animal relations, new attention to technological devices, and “abnormal” creatures in Greek mythology and how we read it today. We discussed the limits between animal, human, and technological devices in Greek literature and how the blurring of those limits is presented in target texts. 2. To formulate a critique of Post-humanism from the vantage point of classical philology and to test the limits of Post-human theory. One of the core critiques discussed in the sessions was the Post-human idea that “we are all monsters”. We came to the conclusion that it is important to value difference in terms of class and gender. A considerable amount of time has been devoted to 30 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e defining the terminologies used when we speak of “monsters” today, and the rhetoric of monsters in the ancient world; the relation of monsters with divinity in ancient narratives, and how this is different to today's discourses of monstrosity and the manner in which they are used (for example in journalistic narrative). We also concluded that some of Post-humanism's core ideas, like for example the notion of object agency, are already present in ancient discourses on inanimate objects and technological devices and their relation to humans. We are working now on an edited volume that we are going to submit to Bloomsbury Publishing by mid/end of February. There has been a great deal of interest from all speakers who attended the conference as well as other scholars with whom we have been in contact since the event. Our conference and the spin-off project of a publication sparked off international dialogue between scholars from Germany, the USA, UK, Italy, Belgium, France, Russia, China and Norway. The conference caught the attention of the transdisciplinary centre for gender studies; as a result we have begun to set up an official cooperation between the department of Classics and the transdisciplinary centre for gender studies, which did not exist before. We are delighted with this long overdue development. This event was sponsored by the Berliner Antike-Kolleg and the Einstein Foundation. It emerged after the conference that the most innovative and least researched aspect was the topic of machines, robotics and automata in antiquity. We are thinking of creating an international collaborative research network. We have already a list of renowned scholars very much interested in this network. We look forward to further collaborative work in this field. (Giulia Chesi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin am Institut für Klassische Philologie der HU; Francesca Spiegel ist Promovendin am Institut und war zum Zeitpunkt der Konferenz Caroline-von-Humboldt Stipendiatin.) Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 31 Karin Aleksander Tradition und Moderne – analog und digital : Bericht über die 51. Fachtagung des i.d.a.-Dachverbandes Köln, 28.-30.10.2016 Im Mittelpunkt der 51. Fachtagung des Dachverbandes der deutschsprachigen Lesben-/Frauenarchive, -bibliotheken und -dokumentationseinrichtungen 23 stand das Projekt „Digitales Deutsches Frauenarchiv“ (DDF) 24. Basierend auf einer Aussage im Koalitionsvertrag 25 der jetzigen Regierung von 2013 und dem erfolgreichen Antrag des i.d.a.-Dachverbandes startete dieses Projekt, gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), am 01.07.2016. Mit dem Titel der Fachtagung „Digitales Frauenarchiv – Vorstellung, Ziele, Perspektiven“ waren die Themen der Plenen und Arbeitsgruppen abgesteckt, aber auch die der öffentlichen Einführungsveranstaltung. Die Fachtagung fand in diesem Jahr im FrauenMediaTurm 26 (FMT) in Köln statt, in dem 1983 in Frankfurt/M. gegründeten „Universalarchiv zur Frauenfrage in Deutschland“ 27, das 1994 an den „symbolträchtigsten Ort der Kölner Geschichte“ 28 zog und das Treffen zum zweiten Mal ausrichtete. Mit diesem Blick in die Geschichte begann Alice Schwarzer ihre Begrüßungsrede über die gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben von Frauenarchiven und bibliotheken in unserer Zeit. Bei einem Generationenwechsel passiere es leider immer wieder, dass die Geschichte der Vorgängerinnen vergessen werde. Selbst heute muss die Geschichte der ersten 10 bis 20 Jahre der neuen Frauenbewegung(en) und ihrer Akteurinnen vor dem Vergessen bewahrt werden. Dafür sind die im i.d.a.-Dachverband organisierten Einrichtungen und v.a. das DDF-Projekt von entscheidender Bedeutung. Der FrauenMediaTurm besitzt z.B. eine fast vollständige Sammlung der autonomen Frauenbewegung. Das Archiv spielt zudem mit seinen über 8.000 Fotos, die online verfügbar sind, eine entschei23 Der Dachverband wurde 1994 gegründet, basiert aber auf der Netzwerkarbeit der Einrichtungen seit 1983. S.: www-ida-dachverband.de 24 Die Demoseite ist seit kurzem online: https://digitales-deutsches-frauenarchiv.de/ 25 http://bit.ly/2m94M2k, S. 103 26 http://www.frauenmediaturm.de/frauenmediaturm/events/aktuelles/ 27 http://www.frauenmediaturm.de/frauenmediaturm/ 28 Schwarzer, Alice: Ein Turm für Frauen allein. http://www.frauenmediaturm.de/frauenmediaturm/publikationen/ein-turm-fuer-frauen-allein/ 32 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e dende Rolle für das kollektive Gedächtnis und die Bilderpolitik − auch um die Gleichstellungspolitik erfolgreich durchzusetzen. Im Grußwort des BMFSFJ übermittelte Christine Morgenstern einen Dank von Ministerin Manuela Schwesig an den i.d.a.-Dachverband, weil durch dessen Antrag das Projekt des Koalitionsvertrages erst realisiert werden konnte. Für bevorstehende Gedenktage der Frauenbewegung, wie 100 Jahre Frauenwahlrecht 2018 und 70 Jahre Gleichberechtigungsgesetz 2019, wird das Digitale Deutsche Frauenarchiv, kompetent Wissen, Fakten und Materialien bereitstellen. Nach der Begrüßung durch Margit Hauser, Stichwort Wien und Vorstandsfrau im i.d.a.-Dachverband, referierte Barbara Schneider-Kempf, Vorstandsfrau in der Stiftung FrauenMediaTurm und Generaldirektorin der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, über die Notwendigkeit von Spezialbibliotheken und Archiven, wozu alle i.d.a.-Einrichtungen gehören. Sie sammeln v.a. in die Tiefe ihrer Gebiete, oft auch regional und nicht unbedingt alle Standardliteratur – für den FMT betrifft das z.B. die Hälfte des gesamten Buchbestandes von ca. 15.000 Titeln. Auch deshalb ist die Vernetzung der einzelnen Einrichtungen, national wie international, sehr wichtig. Mit dem META-Katalog 29 steht hier eine wichtige Recherchequelle zur Verfügung, die bibliographische Daten sowohl aus Bibliotheken als auch Archiven nachweist. Mit dem DDF werden ab 2018 darüber hinaus digitalisierte Bestände verfügbar. Und damit entsteht ein Ort, der das nationale Kulturerbe als Patrimonium um das weibliche Kulturerbe erweitert und diesen Bestand analog wie digital erhält. Dabei ist die Digitalisierung ein notwendiger Prozess, aber ein langwieriger. Nicht nur ist er arbeitsintensiv (nach dem Digitalisieren fängt die Arbeit mit dem Verzeichnen und Verknüpfen erst an), sondern viele Digitalisate sind wegen der Urheberrechtsgesetze erst später für die Forschung einsehbar. Mit diesem Prozess entstehen aber auch neue serviceorientierte Mehrwertdienste von Archiven und Bibliotheken; sie wirken damit nicht nur forschungsunterstützend, sondern forschungsanregend. Das alles erfordere neue Arbeitsabläufe, aber auch mehr Personal! Danach gehörte die Bühne dem neuen Projekteteam des Digitalen Deutschen Frauenarchivs. Für die meisten i.d.a.-Mitglieder war das die erste Gelegenheit, alle 6 Mitarbeiterinnen des Kompetenzteams 30 kennenzulernen. Zwei von ihnen, Dr. Birgit Kiupel und Jessica Bock, stellten an Beispielen ihrer Themengebiete der Ersten und Zweiten Frauenbewegung inhaltliche und methodische Aspekte 29 Der Online-Katalog von über 30 deutschsprachigen i.d.a.-Einrichtungen aus 5 Ländern ist seit 2016 freigeschaltet: www.meta-katalog.eu 30 http://www.ida-dachverband.de/ueber-ida/ddf/ Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 33 vor. Die Vorträge beeindruckten v.a. wegen der eingesetzten verschiedenartigen Medien wie Fotos, Zeichnungen, Film- und Audiobeiträge. Damit deuteten sie an, was auf der neuen Plattform zur Geschichte der Frauenbewegungen darstellbar ist. Ein Besuch in der im FrauenMediaTurm arbeitenden EMMA-Redaktion sowie die Bibliotheks- und Turmführungen mit Jasmin Schenk, wissenschaftliche Leiterin der Bibliothek des FMT, und Prof. Dr. Barbara Schock-Werner, Vorstandsfrau im FMT und Dombaumeisterin von Köln i.R., bereicherten das Tagesprogramm. Ein Großteil der i.d.a.-Vollversammlung am kommenden Tag stand für all die Fragen zum DDF-Projekt zur Verfügung. Das Projektteam kann nur umsetzen, was die einzelnen Einrichtungen anbieten, die Schätze heben, die dort schlummern oder schon glänzen. Dafür wurde ein Projektefonds eingerichtet, der es einzelnen Archiven und Bibliotheken ermöglicht, Material zu digitalisieren, aufzuarbeiten, zu erschließen oder zu erwerben. Die Projekte der ersten 8 Einrichtungen waren bereits bestätigt worden und lagen zur Einsicht aus. Weitere Antragsrunden sind vorgesehen. Auch die Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit dem neuen Projekt, z.B. in Bezug auf die Rechteklärung (AG Rechtsfragen, Dr. Kathrin Lehnert, Jana Haase, Julia Brenner-Matté) oder wie die Bestände der Frauenbewegung(en) in der DDR, der Wendezeit und danach gehoben, bewahrt und einbezogen werden können (AG Archivierung der ostdeutschen Frauenbewegung, Jessica Bock). Für die letztere AG bildete sich ein Netzwerk, das sich auch zwischenzeitlich treffen möchte. Die AG META (Dr. Karin Aleksander, Stefanie Pöschl) diskutierte notwendige Verbesserungen bei der Datenlieferung für den gemeinsamen Online-Katalog META. Er ist nach wie vor der Nucleus des DDF-Projektes, die bibliographische Nachweisquelle für die Bestände zur Frauenbewegung sowie der Literatur zur Frauen-und Geschlechterforschung. Qualitativ bessere Ergebnisse kann das META-Service-Team im Online-Katalog anbieten, wenn die einzelnen Archive und Bibliotheken ihre Datenlieferungen optimieren. Das bedeutet für alle, stärker als bisher standardisierte Formate zu benutzen, was leichter fällt, wenn sie gemeinsam diskutiert und beschlossen werden. Dieses Strategiepapier zur Standardisierung wird weiterhin online diskutiert. Es ist eine große Hilfe für die Einrichtungen selbst, besonders für die, die neu mit dem mehrheitlich verwendeten Literaturrecherchesystem FAUST 8 arbeiten, aber auch für die Arbeit des META-Service-Teams und für das Abliefern der Daten, was zukünftig von allen Einrichtungen per Algorithmus selbst geleistet werden kann. Die Diskussion zu diesem Thema soll nicht nur online auf der Kommunikations- 34 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e plattform, sondern auch in speziellen META-Workshops für interessierte Einrichtungen übers Jahr fortgesetzt werden. Wie alle anderen AG stellte auch die seit Jahren aktive AG Frauenraum-Debatte Ergebnisse ihrer konstruktiven Diskussion beim Abschlussplenum vor. Sie schlugen vor, darüber abzustimmen, ob in den kommenden zwei Jahren männliche und Trans*Personen aus i.d.a.-Einrichtungen, d.h. aus ihren Vorständen bzw. dort fest angestellt, an der i.d.a.-Fachtagung gleichberechtigt teilnehmen dürfen. Die Abstimmung ergab eine große Mehrheit für die Teilnahme von Männern und Trans*Personen an den Fachtagungen 2017 und 2018, d.h. ihre Teilnahme an den AG und Plenumsveranstaltungen und nicht – wie bisher – nur beim öffentlichen Eröffnungsteil. Danach sollen die Erfahrungen evaluiert und der weitere Weg diskutiert werden. Wenn also 2019 der 70. Jahrestag des Gleichberechtigungsgesetzes („Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“) begangen wird, könnten wir seiner Realisierung auch für die Fachtagungen des i.d.a.-Dachverbandes ein Stückchen näher gekommen sein. Maureen Maisha Auma Gender und Diversity in die Lehre! Strategien, Praxen, Widerstände FU Berlin, 24.-26.11.2016 Vom Donnerstag, dem 24. November, bis zum Samstag, dem 26. November 2016, fand die Konferenz‚ Gender und Diversity in die Lehre! Strategien, Praxen, Widerstände an der FU Berlin statt. Das Thema der Konferenz scheint einen Nerv zu treffen; bereits Anfang November war die Tagung vollkommen ausgebucht, zahlreiche Interessent*innen kamen daher auf eine Warteliste. Zu den Arbeitsformaten der Konferenz gehörten zwei Keynotes, acht Panels, neun AGs, vier Workshops, eine öffentliche Podiumsdiskussion und eine Tagungsbeobachtung/Konferenzkommentar. Alle Beitragenden beschäftigten sich mit dem aktuellen Stand der Thematisierung und Verankerung von ‚Gender und Diversity‘ in der Hochschullehre. Einige Beiträge befassten sich zudem mit dem kontinuierlichen Aufbau damit verbundener gleichstellungspolitischer Infrastrukturen. Einige wenige Beiträge widmeten sich sich darüber hinaus ganz explizit der konkreten Gestaltung diskriminierungskritischer, rassismuskritischer und dekolonisierender Hochschuldidaktik als Voraussetzung für die Etablierung einer gender- und diversitätsbewussten Hochschullehre. Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 35 Die Tagung wurde eröffnet von Dr. Andrea Bör, Kanzlerin der FU, gemeinsam mit Dr. Mechthild Koreuber und Prof. Margreth Lünenborg, die Projektleiterinnen des Projekts ‚TOOLBOX, Gender und Diversity in der Lehre‘. Alle drei Begrüßungsrednerinnen betonten die zunehmende Bedeutung von ‚Gender und Diversity‘ als zukunftsorientiertes Forschungsfeld. Die Konferenz verfolgte aus ihrer Sicht in erster Linie die Absicht, ‚Gender und Diversity‘ ganz explizit als ein gemeinsames Projekt zwischen Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik zu kontextualisieren. „Gute Lehre ist Gender und Diversity bewusst“, stellten sie heraus. Die Aufgabe ‚Gender und Diversity‘ im universitären Curriculum zu verankern, sei eine zentrale Gestaltungsaufgabe von Hochschuldidaktik. Damit ergebe sich die Selbstverpflichtung zu einer kontinuierlichen Qualifizierung aller Mitarbeiter*innen der unterschiedlichen Statusgruppen. Universitäten als lernende Organisationen müssen sich dafür einsetzen, dass diskriminierungsfreies Lernen und Lehren möglich werden. Geschlecht und Vielfalt seien in jeder Lern-/Lehrsituation relevant. Es gelte den grundlegenden Anspruch zu realisieren, ‚Gender und Diversity‘ als Kernkompetenzen zu verankern, die Lehrende dann nachweisen müssen, wenn sie sich um eine Professur bewerben. Die erste Keynote „Beyond Binaries, Bodies and Biology: Gender and Gender Identity in Higher Education“ wurde von Dr. Sara-Jane Finlay von der University of British Columbia in Canada gehalten. Ausgangspunkt des Vortrags bilden die Errungenschaften der Geschlechterstudien im Wissenschaftsfeld. Es gibt einen signifikanten Anstieg in der Teilhabe von Frauen, vor allem in MINT-Fächern. Diese Erfolge beziehen sich auf hohe Immatrikulations- und Absolventenraten und vor allem auf Auszeichnungen, die von Frauen im Wissenschaftsfeld gewonnen werden. Leider spiegelt sich dieser Erfolg nicht in der Zusammensetzung von Lehrenden (fulltime Faculty). Die spezifischen strukturellen, systemischen und strategischen Maßnahmen, die zu diesen Erfolgen geführt haben, gelte es gezielt auf weitere von Ungleichheit betroffene Gruppen (Studierende und Faculty) zu übertragen. Dabei sei es wichtig, Auszeichnungen für die konkrete Verringerung von Ungleichheit und Unterrepräsentation zu installieren − als Anreizsystem (Equity Awards). Es sei an der Zeit, Gender Diverse und Transgender Studierende und Faculty in ihrer Zugehörigkeit zur Institution zu stärken. Ziel sei es Campus-Situationen aufzubauen, die Transinclusive sind. Die zweite Keynote „Universität als Lebensform. Rassismuskritische Hochschulentwicklung“ wurde von Prof. Paul Mecheril von der Universität Oldenburg gehalten. Ausgangspunkt dieses Vortrags bildete eine Reihe von Problematisierungen. Vor dem Hintergrund der ‚Gender- und Diversity-Debatten‘ an Universitäten herrsche ein programmatisch postulierter Öffnungswunsch der Institution Universität. Demgegenüber stehe aber eine problembehaftete 36 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e Geschichte der – teils ungebrochenen – Verstrickung in Dominanz- und Exklusionsproduktion. Historisch wirkte die Universität als zentraler Ort der Produktion gewaltförmigen Wissens. Im Feld von Rassismus sei es besonders eklatant, bis in die Gegenwart hinein (Beispiel Differenzproduktion und Othering der Intelligenzforschung). Es sei daher eine rassismuskritische Auseinandersetzung mit der Universität dringend nötig. Inwieweit trägt Diversity (eine oberflächliche Diversifizierung, inszenierte Diversität) zu einer Stärkung von Elitenförderung (Internationalisierungsstrategie), der Förderung partikulärer Interessen, zum Unsichtbarmachen von Klassenverhältnissen bei? Inwiefern befähigt Diversity zu einer Überschreitung epistemischer Ordnungen? Hier sind Paradoxien zu berücksichtigen und zu überwinden. Die acht Panels umfassten die Themen ‚Hochschulpolitische Strategien und Weiterbildung‘, ‚Diversität in der Lehramtsausbildung‘, ‚Gender in der medizinischen Lehre und in MINT-Fächern‘, ‚Fächerkulturen und Diversität‘, ‚Auseinandersetzung mit Heteronormativität im Lernprozess‘, ‚Dekolonisierung des Wissenschaftsbetriebs und der Hochschullehre‘ u.v.m. In den neun AGs wurden folgende Themen diskutiert: ‚Genderkompetenz als Reflexionskompetenz‘, ‚Reflexion und Empowerment für diskriminierungskritische Lehre‘, ‚Barrierefreiheit in der Hochschullehre‘, ‚Klasse und soziale Herkunft in der Hochschullehre‘, ‚Diversität und ungleichheitssensible Nachwuchsförderung‘ u.v.m. In den vier Workshops wurden die Themen ‚Teaching Gender‘, ‚Schöner Lehren – gegendert und gequeert‘, ‚Technik- und Wissenschaftskritik in Gender Studies‘ sowie ‚Differenz/ierung in der Lehrer*innenbildung‘ behandelt. Ergebnisse: Studieninhalte/das Curriculum müssen an die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Bildungsteilnehmer*innen angepasst werden. Die Reflexion des Faches und seiner didaktischen Kultur gehören leider nicht zum Curriculum, besonders mit Blick auf die MINT-Fächer. Bestimmte Disziplingruppen reproduzieren Differenz und Hierarchien gerade darin, wie das Fach vermittelt wird. Die Teilnahme an Lehrveranstaltungen kann zu einer erheblichen diskriminierungsrelevanten Belastung werden, sowohl für diskriminierungserfahrene Lernende als auch für diskriminierungserfahrene Educators. Unterschiedliche Studienbedingungen müssen Berücksichtigung finden. Hochschullehre gilt es barrierearm zu gestalten. Kritik: Vier Speakers pro Panel waren eine zu große Besetzung. Die Panels sind zum Ende hin hektisch geworden. Die letzten Referierenden hatten kaum Vortragszeit. Das hat Unzufriedenheit verursacht. Im Rahmen der öffentlichen Podiumsdiskussion ‚Intersektionale Diskriminierung an Hochschulen‘ diskutierten Prof. Swantje Köbsell, Prof. Annita Kalpaka und Prof. Lars Schmitt. Moderiert wurde die Runde von Dr. Urmila Goel. Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 37 Ausgangspunkt bildete eine Kritik an der strukturell angelegten Konkurrenz zwischen diskriminierungserfahrenen Bildungsteilnehmer*innen innerhalb von gleichstellungspolitischen Instrumenten der Universität. Dies sei eine direkte Folge der fehlenden Intersektionalität dieser Instrumente. Daraus ergebe sich eine unproduktive Konkurrenzsituation um Ressourcen, der nur begegnet werden kann durch die Auseinandersetzung mit den konkreten intersektionalen Erfahrungen von Barrieren, die beeinflussen wie diskriminierungserfahrene Studierende und Faculty sich durch die Universität bewegen. Die Tagungsbeobachtung und der daraus gewonnene Konferenzkommentar wurden von Prof. Maisha M. Auma und Anne Potjans, beide vom Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin, geleistet. Sie bilden die Grundlage für diesen Konferenzbericht. Die Tagung endete mit einem Schlusswort der beiden Organisatorinnen Melanie Bittner und Pia Garske, Projektmitarbeiterinnen der ‚TOOLBOX Gender und Diversity in der Lehre‘, FU Berlin. Maria-Magdalena Pela, Katrin Neukirch Podiumsdiskussion Schreiben im geteilten Deutschland – Emanzipation und Erbe HU Berlin, 10.1.2017 Anfang des Jahres 2017 richteten wir, die Studentinnen der deutschen Literatur Maria-Magdalena Pela und Katrin Neukirch eine Podiumsdiskussion aus, die im Zusammenhang mit unserem Projekttutorium Kanon – Kunst – Klischee. Weibliches Schreiben im geteilten Deutschland (SoSe 2016 bis WiSe 2016/17) von uns an der HU initiiert wurde. Es war uns wichtig das weibliche Schreiben in den Mittelpunkt zu rücken, denn noch immer besteht auf vielen Ebenen ein Missverhältnis in der Wahrnehmung und Wertschätzung von Literatur von Frauen. Die Subordination der weiblichen Literatur findet sich in offiziellen literarischen Kanons, bei Preisverleihungen sowie bei der Bezahlung der Autorinnen. Die Themen Politik, Recht, Elternschaft, Emanzipation und Geschlechtergerechtigkeit sind nach wie vor aktuell, wie es z.B. die HashtagDebatte Aufschrei, das Nein-heißt-Nein Gesetz oder die politischen Auseinandersetzungen zu Lohngerechtigkeit zeigen. Die Podiumsdiskussion hatte gleich mehreren Ansprüchen zu genügen: Zum einen sollte sie angewandte Literaturwissenschaft sein und auch für NichtWissenschaftlerInnen zugänglich. Außerdem ist sie durch den Live-Mitschnitt nun eine wichtige Quelle für einen Podcast, der das Tutorium abschließen wird. 38 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e Der Titel der Diskussion (Schreiben im geteilten Deutschland – Emanzipation und Erbe) verstand sich damit nicht nur als literaturgeschichtliche Revue, sondern rief gleichzeitig dazu auf, sich die Anschlussoptionen und notwendigkeiten von Emanzipation zu vergegenwärtigen. Unterstützung in finanzieller Form fanden wir bei der Humboldt-Universitäts-Gesellschaft. Als Gäste begrüßten wir: Frau Prof. Dr. Ilse Nagelschmidt, die eine Professur an der Universität Leipzig innehat und ausgewiesene Expertin für unser Thema ist, sowie die Literaturwissenschaftlerinnen der Humboldt Universität Dr. Birgit Dahlke, u.a. Dozentin und Leiterin der Arbeits- und Forschungsstelle Privatbibliothek Christa und Gerhard Wolf an der HU; Prof. Dr. Ulrike Vedder, die Dekanin des Instituts für deutsche Literatur, Dozentin und Herausgeberin. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist Genealogie und Gender. Als jüngste Vertreterin und mit queerer Perspektive Janin Afken, die sich mit Gender Studies und kritischer Heteronormativitätsforschung auseinander setzt. Die Verlegerin Britta Jürgs vom AvivA Verlag bereicherte unsere Runde mit ihrer Perspektive aus dem Literaturbetrieb. Es ist erwähnenswert, dass alle an Männer gerichteten Einladungen aus Wissenschaft und Verlagswesen nicht wahrgenommen wurden. Zunächst wurde die Diskussionsrunde zum Begriff des Weiblichen Schreibens befragt, wobei sich herausstellte, dass dieser, zumindest wissenschaftlich, als ein historischer gesehen wird. Von Seiten des Publikums war dies aber befragenswert. Die Aussage der verstorbenen Autorin Irmtraud Morgner stellt den Begriff gänzlich in Frage: Es gäbe kein Weibliches Schreiben, ansonsten müsste es auch ein Männliches Schreiben geben. Dieser egalitäre Ansatz zeigte beim Publikum wohl Resonanz, ging aber nicht gänzlich auf. Auch die Unterschiede der Forschungsstrukturen zu Zeiten der deutschen Teilung kamen zur Sprache: wie der Arbeitsalltag strukturiert war, wie Mutterschaft machbar war. Ebenso wurden die schwerfälligen Veränderungen in der Rechtsprechung deutsch-deutscher „Hausfrauen“-Ehen, zum Schwangerschaftsabbruch oder zum Vertragsrecht angesprochen. Frau Nagelschmidt wies in der Diskussion immer wieder auf zweierlei hin: auf die Oberflächen, die geschaffen würden z.B. in Gesetzen und institutionellen Strukturen, und die tatsächliche Lebensweise der Menschen. In diesem Zusammenhang wurde auch von Britta Jürgs das jüngst von Anna Kaminsky publizierte Buch Frauen in der DDR genannt, in welchem einer Verklärung der Frauen-Emanzipation in der DDR entgegen gewirkt wird. Frau Dahlke berichtete von den anfänglichen Irritationen, die sich seit der Wende im gemeinsamen Wissenschaftsbetrieb ergaben: Wer lernt von wem was? Dem bewussten Umgang damit, was man selbst für eine Ausbildung hat, wenn man in der DDR (aus)gebildet wurde. Und, wie nach den großen Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 39 Streitereien (Literaturstreit) das gemeinsame Forschen angegangen wurde. Frau Jürgs erzählte, dass sie bei den Poetikvorlesungen von Christa Wolf ihr Studium begonnen hatte. Sie pflichtete auch Frau Vedder insbesondere darin bei, dass die Person an sich ein wichtiger Faktor von Inhalten und Emanzipation sei. Frau Vedder und Frau Nagelschmidt legten den Fokus auch auf die Literatur selbst, sprachen von Autorinnen wie z.B. Unica Zürn und Jana Hensel, die entweder als Literatinnen besondere Aufmerksamkeit erfahren hatten und wieder in Vergessenheit gerieten oder sich mit DDR-Thematiken beschäftigten. Die Stile des Schreibens wurden dann im weitesten Sinne von Frau Nagelschmidt, sofern es die feministische Literatur(kritik) betraf, als ideologisch (westlich) und ästhetisch (östlich) differenziert. Dies ist auf jeden Fall eine Aussage, für die es sich lohnen würde ein eigenes Seminar anzubieten, wie es das bei einigen Beiträgen an diesem Abend der Fall war. Als es um die Möglichkeiten des Schreibens ging, und zwar im Sinne des Schreibenkönnens (zeitlich, räumlich, kulturell) und des Schreibendürfens (Publizieren/Verboten werden/Berufsverbote), nannte Frau Jürgs dem daraufhin erstaunten Publikum die aktuellen Zahlen zum Frauen-/Männer-Anteil bei Preisverleihungen und Veröffentlichungen. Die mageren Zahlen von Preisträgerinnen als auch die Veröffentlichungspraxis, was Personen/Figureninventar von Romanen, Erzählungen angeht, waren ernüchternd. Auch heute erschweren institutionelle Bedingungen es Eltern allgemein zu schreiben. AutorInnen in Dauer-Teilzeit können Stipendien andernorts nicht wahrnehmen und Lesereisen seien mit Kindern zeitlich und sozial nur schwer zu überstehen. Die Verknüpfung mit besonderen Literaturformen wie dem Montage-Roman oder der „kurzen“ Lyrik lägen da nahe, sie seien aber durchaus kein genuines Alleinstellungsmerkmal Weiblichen Schreibens. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die weibliche Literaturgeschichte des geteilten Deutschlands sich in die Gegenwart mit einschreibt. Politisch und privat. Sie ist Teil der Kultur und der Gesellschaft. Daher lohnen sich Auseinandersetzung und Würdigung des literarischen Erbes deutsch-deutscher Emanzipation. 40 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e Paula Hanitzsch, Marta Kuhn Exzellenz, Brillanz, Genie. Historie und Aktualität erfolgreicher Wissensfiguren HU Berlin, 13.-14.1.2017 Warum werden mit ,Genie‘ meist männliche historische Figuren assoziiert? Was verbindet ,Geschlecht‘ und ,Genie‘? Was wäre damit gewonnen, den Geniebegriff auf Frauen zu übertragen – oder anders gefragt: Wie könnte die Genderforschung ihn demontieren? Diesen sowie weiteren Fragen nach Wortursprüngen, Konzeptionen, Symboliken, Rhetoriken und der Diskursgeschichte der Geniefiguration in unterschiedlichen Medienkontexten näherte sich das multidisziplinäre Symposium „Exzellenz, Brillanz, Genie. Historie und Aktualität erfolgreicher Wissensfiguren“, das von Julia B. Köhne am Institut für Kulturwissenschaft organisiert wurde und am 13. und 14. Januar 2017 im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum der HumboldtUniversität zu Berlin stattfand. In diesem Rahmen trafen sich internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Kultur-, Literatur- und Geschichtswissenschaft, Kunstgeschichte, Medizin- und Wissenschaftsgeschichte sowie Gender- und Hochschulforschung. Im Fokus des Symposiums stand eine kritische Auseinandersetzung mit dem Geniebegriff, die unter anderem die Frage adressierte, welche historischen und epistemologischen Verbindungslinien beziehungsweise veränderten Konfigurationen sich vom disziplinenübergreifenden Geniekult um 1900 bis hin zum aktuellen Diskurs über ,Eliteuniversitäten‘, ,Exzellenzinitiativen‘ und ,Spitzenforschung‘ ausmachen lassen. Dabei schien sich eine Auffälligkeit von Beginn an abzuzeichnen: Das Geniekonzept gewinnt seine Plausibilität und Wirkkraft, indem es über Exklusionsmechanismen funktioniert, und fordert als Teil eines wechselseitigen Beziehungsgeflechts von Wissenskonstitution und Machtstrukturen auch politische Fragestellungen heraus. Im Diskurs um 1900 wurden ,Genies‘, wie Julia B. Köhne in ihrer Einführung pointierte, meist als männliche, weiße, europäische/nordamerikanische und nicht-jüdische Persönlichkeiten imaginiert. Um diesen Themenkomplex auszuleuchten, sollen im Folgenden insbesondere all jene Vorträge aufgegriffen werden, in denen die intersektionalen Kategorien ,Race‘, ,Klasse‘ und ,Geschlecht‘ als Produzenten von Wissen über die Geniefigur verhandelt wurden. Zwei Herangehensweisen waren diesbezüglich im Rahmen des Symposiums erkennbar: Erstens fragte eine Reihe von Vorträgen nach der diskursiven Konstruiertheit des epistemischen Objekts ,Genie‘ und den Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 41 spezifischen Mechanismen des Ausschließens; zweitens wurden die subversiven Strategien thematisiert, die weibliche Akteurinnen angesichts einer diskursiv und normativ zementierten ,männlichen Genialität‘ entwickelten. Thomas Macho (IFK/Wien, an der Kunstuniversität Linz), Gerhard Scharbert (HU-Berlin), Cornelius Borck (Universität Lübeck), Ann-Christin Bolay (Verlag Matthes & Seitz Berlin) und Darrin McMahon (Darthmouth College, Hanover) lieferten Beispiele für einen enigmatischen und ausschließlich um männliche Figuren zentrierten Geniekult. Während Macho den Verknüpfungspunkten zwischen einer „Geniereligion“ (E. Zilsel) und der Figur des Doppelgängers nachging, wurde in Scharberts Vortrag eine andere Form von Alterität in sich selbst exploriert: in Gestalt des intellektuellen Drogenkonsumenten, der sich in Diskursen zwischen Literatur, experimenteller Psychiatrie und einer ästhetischen Moderne bewegte. Ebenso wie Scharbert betrachtete Borck ‚Genialität‘ in erster Linie aus einer medizinhistorischen Perspektive: in der Figur des „Idiot Savant“, in welche sich die Residuen eines Geniekults verflüchtigt hätten. Bolay wiederum stellte den Männerkreis um Stefan George vor, der als genialer Lyriker sowie charismatischer Führer von seinen Jüngern verehrt und heroisiert wurde. Auch McMahon folgte dem Pfad eines auratischen quasi-religiösen Geniekonzepts und hob dabei insbesondere auf das materielle Begehren der Personenverehrung ab, das sich im Reliquienkult um verstorbene ,große Männer‘ niederschlug – mit dem Kulminationspunkt eines getrockneten Männerpenis als Devotionalie der Genieverehrung. Dass es sich beim Geniebegriff von Anfang an um kein geschlechtsneutrales Konzept handelte, spiegelt sich bereits in dessen antikem Wortursprung wider. Während sich zwar mehrere Vortragende eines etymologischen Argumentationsansatzes bedienten, nahm Claudia Bruns (HU-Berlin) den Terminus dezidiert in seiner geschlechtsspezifischen Präfiguration in den Blick. Wie sie deutlich machte, lässt sich seine Wortherkunft auf den genius der römischen Antike zurückführen, der ursprünglich als personifizierter Schutzgeist eines Mannes verstanden wurde und das Prinzip genealogischer Abstammung sowie männlicher Zeugungskraft verkörperte. Das weibliche Pendant hierzu sei in der Iuno-Figur zu finden, die als römische Göttin der Geburt und Heirat den Frauen schützend zur Seite stand. Die langlebige Begriffs- und Kulturgeschichte ihres männlichen Analogons habe die Iuno-Vorstellung allerdings nicht geteilt, denn ihre Bedeutungslinie sei sukzessive in Vergessenheit geraten, wohingegen sich der genius-Begriff aus der körperlichen Dimension eines geschlechtlichen Zeugens zugunsten der Vorstellung eines nunmehr geistigen Schöpfungsakts gelöst und überdies im Zuge des Erstarkens von Subjektivierungsformen in der Philosophie- und Geistesgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts eine 42 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e Bedeutungsverschiebung erfahren habe: im Übergang vom Genie-Haben zum – noch immer dem Mann vorbehaltenen – Genie-Sein. Auch Renate Kroll (HU-Berlin) zielte in ihrer Intervention auf die vergeschlechtlichenden Konnotationen von ‚Genialität‘ ab und griff hierzu Walter Benjamins Lesart einer Verbindung von Geschlechterordnung und Geniewesen auf, die sie an seinem Denkbild „Nach der Vollendung“ exemplifizierte. Frauen könnten zwar geniale Männer gebären, blieben aber stets der körperlichgeschlechtlichen Sphäre verhaftet, die Benjamin von der „vollendeten Schöpfung“, in welcher der männliche Genius mit Vollendung seines Werks geistig neugeboren werde, deutlich unterschied. Dem ist hinzuzufügen, dass Benjamin zwar die „Vergeschlechtlichung des Geistigen“ sowie die Superioritätsansprüche des männerdominierten Genie- und Wissenschaftsdiskurses kritisierte, doch auch im Benjaminschen Verständnis waren Frauen zu eigener ‚Genialität‘ letztlich nicht fähig. Die hier anklingende vergeschlechtlichende Metaphorisierung des Genies griff auch Julia B. Köhne in ihrem Vortrag auf. Trotz einer realpolitischen Ausgliederung des ,Weiblichen‘ aus der Anwärtergemeinde auf den Genietitel und dem Streben nach entkörperlichter, rein geistiger Schöpferkraft, sei im Geniediskurs um 1900 eine Reproduktionsrhetorik evident gewesen. Eine auf diese Weise ermöglichte rhetorisch-semantische Inklusion des ,Weiblichen‘ dürfe aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Frau in der Geistes- und Wissenschaftsgeschichte um 1900 noch immer mit dem Gebären von Kindern sowie dem Materiellen und Vergänglichen assoziiert wurde, das männliche Genie hingegen mit der geistigen Zeugung und Geburt ,unsterblicher‘ und ,genialer‘ Werke (vgl. H.-St. Chamberlain, E. Kretschmer, O. Weininger). Das Geniebild der Jahrhundertwende stand auch bei Gabriele Dietze (HU-Berlin) im Fokus, die mit Blick auf den zeitgleich aufblühenden Wahnsinnsdiskurs ein Konfliktfeld skizzierte, das die deutsche Psychiatrie in ihrer Professionalisierungsphase mit einer kleinen Gruppe junger expressionistischer Dichter verband. Während ihre als abnormal empfundenen künstlerischen Leistungen im Kampf um Deutungshoheit seitens des psychiatrischen Diskurses meist pathologisiert und somit abqualifiziert worden seien, hätten die literarisch-künstlerischen Avantgarden im Zeichen eines ,epistemischen Ungehorsams‘ eine bewusst affirmative Beziehung zum Wahnsinn gepflegt. Wie Dietze zeigte, fand dieses häufig aus antisemitischen Gründen ausgeschlossene Kollektiv in den skandalisierten Stilrichtungen der Moderne neue Modi des Gefühlsausdrucks, um seiner Ablehnung der konventionellen wilhelminischen Männlichkeit Raum zu verschaffen und ein alternatives ,affektives‘ Männlichkeitskonzept zu entwickeln. Im expressionistischen Gegendiskurs habe die Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 43 deutsch-jüdische Dichterin Else Lasker-Schüler eine Ausnahme dargestellt. In ihrem ethnic drag-Alter Ego des Prinzen von Theben verbarg sie Dietze zufolge nicht nur ihre Weiblichkeit und Herkunft, sondern nobilitierte sich im selben Zuge als morgenländischer Adliger, wodurch sie männliche Machtansprüche zu parodieren vermochte. Ein wichtiger Aspekt hinsichtlich Klassenfragen, der sowohl von Dietze als auch Borck thematisiert wurde, war die Pathologisierung von ‚Genialität‘ als bürgerliche Entmachtungsstrategie, welche unliebsame Klassen als Störfaktor im Normalitätsdiskurs identifizierte. Barbara Will (Darthmouth College, Hanover) wandte sich drei weiblichen Figuren der künstlerisch-literarischen Moderne zu: Gertrude Stein, Claude Cahun und Lou Andreas-Salomé. Dabei untersuchte sie in erster Linie, wie diese drei Akteurinnen auf die Problematik des männlich markierten Geniekonzepts reagierten – von Strategien der Selbstgenialisierung bis hin zu subversivem Desinteresse. Stein habe Männlichkeit als ,conditio sine qua non‘ des ,Genies‘ verstanden und aus ihrer verkürzten Rezeption von Otto Weiningers Geschlecht und Charakter (1903) die Idee einer geschlechtlichen Inversion entwickelt, um ihr Modernitätsprojekt mittels einer performativen Männlichkeit zu legitimieren. Cahun dagegen habe den Terminus ,Genie‘ in einer sowohl politischen als auch künstlerischen Geste verneint und sich gegen die Beschränkung auf eine einzige, distinkte Geschlechtsidentität gewehrt. In ihren photographischen Selbstporträts seien die Grenzen zwischen Autorin/Künstlerin und Objekt erodiert, wobei ihre Identität zwischen maskulinen, weiblichen, ambiguen und kindlichen Personae changierte. Andreas-Salomé wiederum habe in der weiblichen Postmenopause das Potential zur ‚Genialität‘ des weiblichen Geschlechts gesehen: Erst von reproduktiven Funktionen befreit, könne eine Frau das Stadium ‚genialer‘ Schöpfung erreichen. Schließlich stellte Will die Frage, aus welchem Grund sich diese Frauen überhaupt mit dem exkludierenden Geniestatus auseinandersetzten, wenn ihre exzeptionelle Virtuosität doch jenseits künstlich-normativer Kategorisierungen lag. Eine mögliche Antwort hierauf erblickte Will im Freiheitsversprechen des Qualitätssiegels ,Genialität‘. Offen bleibt hierbei jedoch erstens, ob es konstruktiv ist, diese drei Frauen für einen weiblichen Geniebegriff zu vereinnahmen; und zweitens, ob die Rede von Freiheit überhaupt plausibel ist, wenn die Männlichkeit des ‚Genies‘ naturalisiert und eine ‚weibliche Genialität‘ so vehement negiert, ja sogar pathologisiert wurde. Werden dadurch die Eigenart und das subversive Potential der Werke dieser Frauen nicht vielmehr ausgeblendet? Dass die Photographie in der Zeit um 1900 eine ideale Grundlage für das Auftauchen eines weiblichen Geniependants bot, führte Bettina Gockel (Universität Zürich) aus, die in ihrem Vortrag auf die Zeitschrift Camera Work und an diesem Projekt beteiligte Fotografinnen fokussierte. Gockel hob die 44 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e Relevanz hervor, die diesem Magazin bei der Durchsetzung der Photographie als Kunstform und der Etablierung eines lang anhaltenden Bündnisses zwischen Photographie und ‚Genialität‘ zukam. In der Programmatik des Herausgebers Alfred Stieglitz sei die Figur des photographischen Genies mit dem weiblichen Geschlecht konvergiert, was eine Stilisierung zur ‚genialen‘ Künstlerin ermöglicht habe. In der anschließenden Diskussion zog Gockel darüber hinaus eine Parallele zwischen der Frühphase der Photographie und den Anfängen der Videokunst in den sechziger Jahren. In ihrer Neuartigkeit hätten diese Medienformen einen Spielraum für das Wirken weiblicher Künstlerinnen geschaffen, der im Rahmen bereits etablierter Medien nur schwer vorstellbar gewesen wäre. Joyce Chaplin (Harvard University) betrachtete das Geniekonzept nicht vorrangig im Geschlechterkontext, sondern im Kontext rassenpolitischer Fragestellungen im von Sklaverei und Leibeigenschaft geprägten Amerika des 18. Jahrhunderts. Am Beispiel der Dichterin Phillis Wheatly und des Lyrikers Francis Williams – beide afroamerikanischer Herkunft und zum Teil in Sklaverei lebend – zeigte sie die ambivalenten Implikationen auf, die aus dem paradox anmutenden „genius in bondage“ (Ignatius Sancho) erwuchsen. Obwohl die literarische Leistung schwarzer Autor/innen eine geistige Überlegenheit der weißen Bevölkerung in Frage stellte, hätten selbst Abolitionisten den Geniebegriff – hier in einem dezidiert säkularen Sinne kognitiver und intellektueller Fähigkeiten verstanden – nur zögerlich auf die betroffenen Literaten übertragen. Zudem fanden Befürworter der Sklaverei, so Chaplin, ein entkräftendes Argument im Vergleich zwischen afroamerikanischen Gelehrten und dressierten Tieren, denen menschenähnliche Fähigkeiten lediglich antrainiert worden seien. Wie Chaplin betonte, war das Geniekonzept per se problematisch, da es – ähnlich wie die rassistischen Begründungsmuster der Sklaverei – Ungleichheiten zementierte und Menschen in naturalisierte Hierarchiesysteme einordnete. So wichtig der kritische Einwand gegen eine unhinterfragte Nutzbarmachung der Geniekategorie auch war, wurde die gewagte Parallelisierung mit den Exklusionsmechanismen der Sklaverei jedoch weder im Vortrag noch in der darauffolgenden Diskussion hinreichend verhandelt. Abschließend lässt sich festhalten, dass die hier behandelten Beiträge und anschließenden Diskussionen einen breit gefächerten Wissensraum zum Exzellenz- und Geniekulttopos erzeugten, der zwischen kultur-, literatur- und kunsthistorischen, postkolonialen, statistischen sowie geschlechter- und wissenschaftsgeschichtlichen Perspektiven oszillierte. Dabei wurden die historisierenden Ansätze, die sowohl Verflechtungen als auch konfligierende Spannungen zwischen den Diskursen offenlegten, durch eine fortlaufend kritische Verortung des Geniebegriffs im Macht-Wissen-Konnex komplementiert. Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 45 Auf diese Weise trat nicht nur die Signifikanz der Kategorien Geschlecht und Race für eine historische Analyse des Geniekonzepts zum Vorschein, sondern auch die Frage, inwieweit die gängige Rhetorik von Exzellenzierung, Brillanz und Genialität der mythenreichen Figur des westlichen, strukturell männlichtranszendenzorientierten Genies verpflichtet bleibt. Gleichwohl kristallisierten sich gerade mit Blick auf die aktuelle Begabtenförderung, deren institutionelle Anfänge im frühen 20. Jahrhundert von Monika Wulz (ETH Zürich) am Beispiel der Energetik- und Effizienzlehre Wilhelm Ostwalds nachgezeichnet wurden, gewisse Neukonfigurationen heraus. Obwohl sie heutzutage mit vergleichsweise weniger Exklusionsbegriffen und dem Teamgeistargument operiere, setze sie nach wie vor auf strenge Selektionsverfahren, wie Ulrich Teichler (Universität Kassel, INCHER-Kassel) und Stefan Hornbostel (Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung Berlin) für den heutigen Wissenschaftsbetrieb diagnostizierten, was neue Fragen nach gerechter und demokratischer Ressourcenverteilung aufwerfe. Zum Schluss eine kurze Bemerkung: Auch im konzeptionellen Rahmen des Symposiums spiegelte sich in gewisser Weise der Versuch wider, einen exkludierenden Geniemythos und sein Fortwirken in der aktuellen Forschung zu unterlaufen, indem die Einleitung und Anmoderation der Vorträge nicht wie üblicherweise von etablierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sondern von Bachelor- und Master-Studierenden der HU-Berlin übernommen wurden. Die Auswahlkriterien richteten sich hierbei nicht nach einer hierarchischen Klassifikation studentischer Leistungen, sondern stellten das intrinsische Interesse der partizipierenden Studierendenschaft in den Mittelpunkt. Agnes Böhmelt, Maja Figge „Konfliktreiche Konkordanz“ Hartgesotten hegemoniekritisch. Symposium zur Ehren von Gabriele Dietze und Dorothea Dornhof ICI Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, 19.–21.01.2017 − veranstaltet vom Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG), Konzept und Organisation: Elahe Haschemi Yekani, Gabriele Jähnert, Julia B. Köhne, Dorothea Löbbermann, Beatrice Michaelis, Julia Roth, Simon Strick Die Tagung zu Ehren von Dorothea Dornhof und Gabriele Dietze versammelte Beiträge von Kolleg_innen, Kompliz_innen und Schüler_innen, die „Genealogien, Konkurrenzen, Transformationen und innere Spannungen von Gender als 46 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e hegemoniekritische[r] Kategorie“ in den Blick nahmen. Dietze und Dornhof waren maßgeblich für die Etablierung und Entwicklung der Gender Studies an der Humboldt-Universität, wichtige Stützen des DFG-Graduiertenkollegs „Geschlecht als Wissenskategorie“ und haben mit ihrer intellektuellen „Diskussionslust und Kritikliebe“ (Volker Hess) in den vergangenen Jahrzehnten die Debatten zu Geschlecht, Intersektionalität und Hegemonie(selbst)kritik geprägt. Dem Symposium ging es um nichts weniger als Geschichtsschreibung und Schulbildung – im Anschluss an die Arbeit der beiden Wissenschaftlerinnen, die, auch aufgrund ihrer multiplen Karrieren in Ost und West, von der Akademie nie mit einer Professur bedacht wurden. Drei Tage lang standen die Ehrung und (Erzählen über) gemeinsames Denken und Schreiben mit den beiden im Zentrum: In sieben Panels, einer Keynote, einer Talkrunde mit den Geehrten, Grußworten, Videobotschaften, einem Kurzfilm und einem Sketch wurden die vielen Fäden aufgegriffen und weitergesponnen, die Gabriele Dietze und Dorothea Dornhof in ihrer Forschung geknüpft haben. Damit bildete die Veranstaltung auch Allianzen innerhalb der Gender Studies ab. Wie wichtig diese sind, wurde gleich im ersten Panel Kompliz_innen/Kollaborationen deutlich, das sich diesen Fragen in theoretischer wie politisch-persönlicher Perspektive widmete: Sabine Harks (Berlin) Vortrag Was ist Kritik? Über Dissidenz und Partizipation verhandelte im Anschluss an u.a. Adorno und Butlers ethische Überlegungen zu Prekarität vor der Folie dramatischer werdender Entwicklungen des Neoliberalismus, globaler postkolonialer Ungerechtigkeit und einer allgemeinen „Kommodifizierung der Lebensführung“, die die menschlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten, ein gutes – wenn nicht gar überhaupt ein – Leben zu führen, zunehmend verunmöglichen, „die vielleicht vordringlichste Aufgabe auch kritischer feministischer Theorie“: dem „Denken des Möglichen“ (Butler) einen Ort zu geben. Dafür bedarf es laut Hark sowohl einer kritischen Befragung der Zusammenhänge von Macht-, Wissens- und Daseinsformen als auch eines Bestärkens widerständiger Praxen, die zum „Denken des Kommenden“ (Mbembe) als in der Gegenwart angelegtes Mögliches in der Lage sind. Hark schloss damit, dass das Verstehen der Dominanzkultur nicht von ihrer Veränderung zu trennen und daher augenblicklich „wohl eher der Moment der Straße als die Zeit des Schreibtisches“ sei. Jana Husmann (Hagen/Berlin) plädierte in ihrem anschließenden Beitrag zu den Chancen von Streitkultur dafür, Auseinandersetzungen als produktive Voraussetzung für Kompliz_innenschaft und (strategische) Kollaborationen zu (re-) etablieren. Dass „Genderismus“ als Kampfbegriff auf rechts-konservativer Seite Verwendung finde, zeige immerhin auch, dass „Gender [als hegemoniekritische Analysekategorie] hegemonial“ geworden sei. Um wirkungsvolle Herrschaftsund Machtkritik in analytischer Schärfe praktizieren zu können und nicht zuletzt Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 47 für den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in kritisch-politisches Handeln in der Öffentlichkeit brauche es – auch in den Berliner Gender Studies – (wieder) eine lebendige Debatten- und Streitkultur, die Auseinandersetzungen auch über disziplinäre, epistemologische und/oder politische Grenzen hinweg sucht, anstatt sie zu vermeiden oder stillstellen zu wollen. Mit ihrem sehr persönlichen Text, der in seiner Briefform auch eine alte feministische Kulturpraxis aufgriff, beschloss Claudia Brunner (Klagenfurt) das Panel. Sie erinnerte an ihre intensive Zusammenarbeit mit Dietze und Dornhof im Rahmen des Graduiertenkollegs „Geschlecht als Wissenskategorie“. Feminismus (un)kompliziert bedeutete dabei zweierlei: einmal, dass auf den ersten Blick Einfaches sich im Anspruch feministischen Erkenntnisgewinns verkompliziert, zum anderen eine „Bewegung der Anstiftung“ als Komplizinnenschaft vermittels uneitler (und tatsächlich unkomplizierter) Freundschaft im gemeinsamen Hinarbeiten auf eine bessere, gerechtere Welt. Panel II, Pop/Kultur, das wegen des Ausfalls von Julie Miess nur aus zwei Beiträgen bestand, wurde von Lisa Kuppler (Berlin) eröffnet. In ihrem kenntnisreichen Beitrag Hard-Boiled Woman Revisited – Jessica Jones im Marvel Cinematic Universe stellte sie die verfilmte Version der Comicserie und deren Titelheldin in den Zusammenhang der von Gaby Dietze analysierten Hardboiled Woman und der hier wie da verhandelten Gender-Arrangements, namentlich „Weiblichkeitswahn“, komplexe, teilweise problematische Wahlfamilien und Sexualpolitiken. Marietta Kesting (München) sprach in ihrem Vortrag Goldene Zitronen über Race, Klasse und Gender in Beyoncés „Lemonade“. Ihre „assoziative Interpretation“ des dichten Textgewebes auf dem visual album thematisierte u.a. „Black History und [das Zelebrieren Schwarzer Alltagskultur in der] afrikanische[n] Diaspora“, „weibliche Empörung, Zorn und Gewalt“ und Beyoncé als „Female Star und Material Girl“. Diese bezöge sich affirmativ auf den Rahmen aber auch die Möglichkeiten kapitalistischer Produktionsverhältnisse, und positioniere sich gleichzeitig dezidiert gegen die in der (gar nicht so „post-“) „post-racial“-Ära nach wie vor präsente Ausbeutung von und Gewalt gegen Schwarze Menschen und People of Color („#Black Lives Matter“). Der Tag endete mit einer Keynote von Elahe Haschemi Yekani (Flensburg) und Beatrice Michaelis (Rostock), die darin als Partners in Crime auf die lange Zusammenarbeit mit Gabriele Dietze (zurück-)blickten und in neue Richtungen weiterdachten: Von queerer Intersektionalität zu ethischem Begehren. Der zu dritt verfasste Aufsatz „Checks und Balances“ hatte Intersektionalitätsansätze und Queer Theory als korrektive Methodologien zusammengebracht; die weitere Befragung und Infragestellung von Kategorien und kategorialem Denken wandte sich im Lauf folgender kollaborativer Publikationen schließlich dem Affektiven und Nicht-Menschlichen als Entgrenzung der Queer Theory im Spannungsfeld 48 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e des Neuen Materialismus zu. Ausblickend entwarfen Haschemi Yekani und Michaelis einen Ansatz, der queere Freundschaft, Solidarität und ethisches Begehren in den Mittelpunkt eines Projekts der für geteilte Wirklichkeiten verantwortlichen „Gemeinsamkeit in Differenz“ rückte. Am Freitag zog das Symposium in den Senatssaal der Humboldt-Universität und verlieh damit dem Gesagten auch räumlich-institutionellen Nachdruck. Der Vormittag begann mit einem Panel zu Ästhetiken/Artefakten. Julia B. Köhne (Berlin) beschrieb Das schillernde Geschlecht des Genies. Geniologie um 1900 und dabei namentlich Verschiebungen der Konstitutionselemente des Geniekults in den Geisteswissenschaften, die auch als Reaktion auf die erste Frauenbewegung bzw. die Krise der Männlichkeit um 1900 verstanden werden müssten. Sie zeichnete detailliert die vergeschlechtlichten Metaphern nach, die dem Geniekult als „Aufrichtung des Männlichen“ dienten, was mit der Auslagerung des Weiblichen und Jüdischen einherging und eine männlicharische Genealogie begründete. Božena Chołuj (Frankfurt/Oder) begann ihren Vortrag mit einer Würdigung ihrer Zusammenarbeit mit Dorothea Dornhof. Bei dieser habe sie gelernt, mit Gleichzeitigkeiten und Uneindeutigkeiten umzugehen. Ausgehend davon lotete sie das kritische Potenzial feministischer polnischer Kunst als Erinnerung und Provokation seit den 1990er-Jahren aus. Anhand des Widerstands gegen zwei sehr unterschiedliche Arbeiten, die Installation Passion (2001) von Dorota Nieznalska und die Fotoserie Let Them See Us (2003) von Karolina Breguła, erläuterte Chołuj verschiedene künstlerische Strategien und deren Wirksamkeit als Protestformen. Kathrin Peters (Berlin) diskutierte unter dem Titel Fakten, Fantasien – Über Liebe Reden zwei filmische Arbeiten, Ricerche: three (2013) von Sharon Hayes und deren ‚Vorbild‘ Comizi d’amore (1963) von Pier Paolo Pasolini. In ihrer Darstellung wurde deutlich: 50 Jahre nach Pasolinis Beitrag zum Cinéma vérité, in dem er die italienische Bevölkerung zu ihren Sexual-, Liebes- und Beziehungsauffassungen und praktiken befragt hatte, ist Hayes nicht mehr auf ‚Wahrheit‘ aus, sondern zeigt in der Vielstimmigkeit ihres Films die Unproduktivität von Kategorisierungen und Universalisierungen. Peters liest die Arbeiten medienarchäologisch als Untersuchungen der Sagbarkeit der Liebe, in denen die „possibility of touching across time“ (Carolyn Dinshaw) queerer Zeitlichkeit sichtbar wird. Zu Beginn des Panels Solidaritäten/Bewegungen präsentierte Nana Adusei-Poku (Rotterdam) eine erste Materialsammlung zu einem Projekt, das sich mit einer speziellen Zusammenarbeit und vielfältigen wechselseitigen Appropriationen beschäftigt: The God and the Italian Artist – Kanye West’s and Vanessa Beecroft’s Collaboration. Anhand der Präsentation der dritten Yeezy-Kollektion (2016) formulierte Adusei-Poku die Frage, ob die darin aufgegriffe- Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 49 nen/kommodifizierten Afrotropes, Symbole Schwarzer bzw. afrodiasporischer Befreiung, als leere, ihrer Geschichte und Politik beraubter Symbole oder als offene Möglichkeiten zu verstehen seien. Alanna Lockward (Berlin/Santo Domingo) wurde per Skype zugeschaltet und analysierte in ihrem so persönlichen wie politischen Vortrag Letters als Lifesavers. Redefining Solidarity between Feminisms Differenzen und materielle Unterschiede zwischen Schwarzen und weißen Feministinnen und Feminismen in der deutschen Akademie. Sie betonte dabei auch solidarische Praktiken als „labor of love“ und praktische ‚Lebensrettung‘ – die als solche auch ihre Beziehung zu Gabriele Dietze kennzeichne(te)n. Angesichts der derzeitigen politischen Situation, angesichts des „Endes des Humanismus“ (Mbembe) seien diese Akte umso notwendiger. Das Panel endete mit einer weiteren Ehrung Gaby Dietze[s] in Bewegung: Karin Esders und Carsten Junker (beide Bremen) rekurrierten auf das machtkritische Feld der Mobility Studies, wie es Stephen Greenblatt in seinem Cultural Mobility Manifesto (2009) entworfen hat. Darin wird Bewegung als Schlüssel zum Verständnis von Kulturen gefasst; hier diente sie zur Beschreibung Dietzes als „travelling scholar“ und „feminist flaneur“. Im Panel Dämoninnen/Mörderinnen präsentierte Konstanze Hanitzsch (Göttingen) ihr aktuelles Forschungsprojekt unter dem Arbeitstitel „Pure Vernunft darf niemals siegen“ – Hexerei, Magie und der Neue Materialismus. Ausgehend von gegenwärtigen Hexenphänomenen interessiert sie sich für die Gründe der Wiederkehr des ‚unvernünftigen‘ Denkens im Kontext des New Materialism. Anhand einiger utopischer Figuren, darunter Paul B. Preciados Entwurf einer Transformation der Gattung mithilfe von Hormonen in Testo Junkie (2015) und Annie Sprinkles ökosexuellen Praktiken, die sich auch in deren Zusammenarbeit mit Donna Haraway niederschlagen, fragte Hanitzsch, inwiefern diese ‚neuen‘ Utopien auf Gendertheorien basieren und etwa als Zeichen einer „post-magic-science“ zu verstehen seien. Kathleen Heft (Berlin) präsentierte Ergebnisse ihrer Diskursanalyse zu Kindstötungen in Ostdeutschland. Sie zeigte, dass im Kindsmorddiskurs ostdeutsche Differenz hergestellt wird, während sich zugleich ein westdeutsches ‚Wir‘ formiert, das sich gegen die ehemalige DDR abgrenzen und abheben möchte. Um diese Bewegung zu analysieren, schlug Heft den Begriff der Ossifizierung des Kindsmords vor, da die West-Ost-Differenz (anders als Kulturalisierungen/Ethnisierungen und Rassifizierungen) weder postkolonial noch rassistisch, sondern völkisch bestimmt sei. Den zweiten Tag beschloss eine Talkrunde mit den Geehrten, die von Anson Koch-Rein (Grinnell/Iowa) moderiert wurde und noch einmal die (wissenschafts)politische Dimension des Symposiums herausstellte. Dietze und Dornhof waren Anfang der 1990er-Jahre an die Humboldt-Universität gekommen: Dietze, 50 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e die zuvor Lektorin beim Rotbuch Verlag gewesen war, brachte die Lust am Denken und Aufschreiben dazu, eine akademische Laufbahn einzuschlagen; Dornhof hatte in der DDR an der Akademie der Wissenschaften bereits feministisch gearbeitet und unterhielt auch vor der Wende Kontakte zu westdeutschen Forscher_innen. Beide lernten einander 1991 kennen und waren als Beteiligte des Mittelbauforums der Humboldt-Universität maßgeblich an der Einrichtung und Entwicklung der Gender Studies beteiligt: Dies bedeutete nicht nur Veränderungen des Denkens und das praktische Erlernen von Transdisziplinarität, sondern auch Kollegialität und Zusammenarbeit, die es ermöglich(t)en, „Gedanken in [dabei durchaus auch] konfliktreicher Konkordanz anstatt Konkurrenz [zu] entwickeln“, wie Gabriele Dietze ausführte. Daran anschließend eröffnete Isabell Lorey (Kassel/Berlin) am Samstagvormittag das Panel Interdependenzen/Dekolonialisierung und betonte erneut die Bedeutung des Graduiertenkollegs „Geschlecht als Wissenskategorie“ für die Debatten um Intersektionalität und Interdependenzen. In ihrem Vortrag Zwischen den Zeiten – Vom Bauernstand zum Witwenstand sprach Christina Petterson (Canberra) über die Sozialstruktur der Herrnhuter Brüdergemeinde im 18. Jahrhundert und zeigte anhand ihrer Analyse der Einteilung der Gemeinde in nach Alter, Geschlecht und Familienstand getrennte Chöre, dass in diesem Prozess der kollektiven Subjektivierung Gemeindekonflikte eher als Genderdenn als Klassenkämpfe ausgehandelt wurden. Katharina Walgenbach (Hagen) präsentierte in Weiterführung ihrer Arbeit zu Interdependenzen Überlegungen zu Antikategoriale[n] Intersektionalitätsansätze[n] bzw. zur Vereinnahmung von Intersektionalität und queerer Theorie und Praxis durch und für hegemoniale Politiken. Die Neuordnung von Ökonomie, Staat und Privatsphäre führe zwar zu partieller Integration, deren Maßstab jedoch Kriterien der Verwertbarkeit bildeten. Daher sei hegemonie(selbst)kritisch zu fragen, inwiefern Intersektionalität im deutschsprachigen Raum sowohl akademisch als auch politisch eher Spaltungen als neue Bündnisse und Allianzen befördere. Die Notwendigkeit eines widerständigen Denkens „von den Kämpfen aus“ betonte in diesem Zusammenhang Lorey in der daran anschließenden Diskussion. Manuela Boatcă konnte leider nicht anwesend sei, ihr Beitrag, der über die praktische Umsetzung von Okzidentalismuskritik spekulierte, wurde jedoch von Julia Roth verlesen. Auch die Lesung von Thea Dorn entfiel wegen Krankheit, ebenso der Vortrag von Kirstin Mertlitsch. Das letzte Panel Feminismen/Hegemoniekritik schloss unmittelbar an die zuvor geführte Diskussion zu den Potenzialen der Hegemonie(selbst)kritik an. Andrea Maihofers (Basel) Vortrag Säkularismus und feministische Hegemonie(selbst)kritik stellte angesichts der allgemeinen Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 51 Revitalisierung von Religion und Religiosität die Frage: Wie weiter mit dem Säkularismus? Sie plädierte angesichts christlicher wie islamischer Fundamentalismen für seine Weiterentwicklung im Rückgriff auf Hegemonie(selbst)kritik: Auch die eigenen innergesellschaftlichen Selbstaffirmierungs- und OtheringProzesse gelte es, in den Blick zu nehmen. Als Basis einer nicht über Abwehrmechanismen, sondern als nicht-hierarchische Vielfalt organisierten neuen Subjektivierungsform müsse ein „pluraler Universalismus“ dienen. Dieser Entwurf wurde in der Diskussion im Hinblick auf seine Lokalisierung (Westeuropa) und seine Abgrenzung zu gegenwärtigen Resouveränisierungen befragt. Abschließend skizzierte Käthe von Bose (Paderborn) unter der Überschrift „Sie hatten alle sehr, sehr saubere Gesichter“: Vom Erforschen exklusiver Netzwerke erste Beobachtungen und Fragen zu einem Projekt, das die Herstellung von Exklusivität in elitären Netzwerken untersucht – als Analyse eines „doing exceptionalism“ bezog sich auch dieser Beitrag auf die wegweisende Forschung von Gabriele Dietze. Mit Bezug auf Pierre Bourdieus Analyse der „feinen Unterschiede“ zeigte von Bose u.a. anhand des Projekts Adel auf dem Radel – Radtouren von Gut zu Gut für den adeligen Nachwuchs –, wie die Herstellung einer gesellschaftlichen Spitzenposition auch an der Produktion des Normalen und Gewöhnlichen beteiligt ist. Insgesamt bildete die Tagung als eine Art Klassentreffen der Dietze’schen und Dornhof’schen Schule die anhaltende und überaus produktive Nachhaltigkeit ihres Denkens ab, die sich in der beeindruckenden Vielfältigkeit der Beiträge widerspiegelte. Darüber hinaus bedeuteten die angestoßenen Diskussionen ein gemeinsames Weiterdenken von Hegemonie(selbst)kritik, Interdependenzen und Solidarität. Man darf gespannt sein: auf weitere Entwicklungen dieser Gedanken, nicht zuletzt aber auch auf die zukünftigen intellektuellen und politischen Bewegungen dieser beiden hartgesottenen Hegemoniekritikerinnen selbst! Yvonne de Andrés, Sharon Adler 25 Jahre Überparteiliche Fraueninitiative Berlin − Stadt der Frauen e.V. wurde im Abgeordnetenhaus gefeiert 22.2.2017 1992 hatten Berliner Parlamentarierinnen aus allen Fraktionen des Abgeordnetenhauses und Berliner Senatorinnen die Idee ein überparteiliches frauenpolitisches Bündnis zu schmieden. Der ÜPFI-Neujahrsempfang war ein großes Frauenpolitisches 52 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e Treffen. AVIVA hat die Mitbegründerin und Vorstandsprecherin Carola von Braun nach den wichtigsten Themen für 2017 befragt. Es gab viel zu feiern beim traditionellen Neujahrsempfang der Überparteilichen Fraueninitiative Berlin-Stadt der Frauen e.V. (ÜPFI) – denn gleichzeitig mit dieser Feier wurde das 25. Jubiläumsjahr eingeleitet. Über 200 Teilnehmerinnen kamen: aus Politik, Wissenschaft, Frauenprojekten, Medien, Unternehmen, Vereinen und der Landesregierung. Geballte Frauen- und Genderkompetenz fand sich am 22. Februar 2017 zusammen. Alle Fraktionen waren vertreten – glücklicherweise mit Ausnahme der AfD –, vier Staatssekretärinnen aus Berlin und Brandenburg und die neue Senatssprecherin Claudia Sünder gaben der ÜPFI die Ehre. Die AVIVA-Redaktion hat die Mitbegründerin und Vorstandsprecherin Carola von Braun nach den wichtigsten Themen für 2017 befragt. Ihre Antwort: „Einsatz für das wachsende Problem der von Obdachlosigkeit bedrohten Frauen. Die ÜPFI gründete einen Beirat zu diesem Thema, dem Frauen aus vielen relevanten Trägern der Wohnungslosenhilfe angehören. Es wurden Fachtagungen durchgeführt, an denen auch die fachpolitischen Sprecher/innen der Fraktionen teilnahmen. Ergebnis: es wurden weitere frauenspezifische Einrichtungen für wohnungs- und obdachlose Frauen eingerichtet. Aber noch viel mehr bleibt zu tun, um obdachlosen Frauen zu helfen.“ Besucherinnen der Ausstellung „Stadt der Frauen“ (die vom 17. März – 28. August 2016 im Stadtmuseum Berlin gezeigt wurde) können sich sicher noch daran erinnern, dass die ÜPFI im Foyer im Ephraim-Palais für Spenden zur Verbesserung der Situation wohnungsloser Frauen in Berlin warb. Ebenfalls hat ÜPFI in Kooperation mit der Stiftung Stadtmuseum die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung nach ihren politischen Einstellungen und Wünsche befragt hat. Die Auswertung der 465 Fragebögen zeigt ein spannendes Bild. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit der ÜPFI ist der Einsatz für den Erhalt und den Ausbau der Genderforschung in Berlin und so führt Carola von Braun aus: „Die Genderforschung steht mit Zunahme der populistischen und Rechten Strömungen unter zunehmendem Rechtfertigungsdruck. Gemeinsam mit renommierten Gender-Forscherinnen führte die ÜPFI 2016 eine Fachtagung durch, in der auf die Bedeutung und den Unterstützungsbedarf dieses Forschungsfeldes in Berlin hingewiesen wurde. Eine von den Wissenschaftlerinnen erstellte Resolution wurde von der ÜPFI an die Berliner Fraktionen und Parteien weitergeleitet. Ergebnis: alle Parteien griffen das Thema auf, zum Teil sogar in ihren Wahlprogrammen. Aber auch hier gilt: nichts bleibt selbstverständlich gesichert. Die ÜPFI wird weiter darauf drängen, dass Berlin seinen guten Ruf als Standort für eine anerkannte Genderforschung behält.“ Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 53 Mit stehender Ovation bedankten sich die anwesenden Frauen bei Carola von Braun für ihre engagierte Arbeit als Mitbegründerin und Vorstandsprecherin der ÜPFI. Prof. Dr. Christina Thürmer-Rohr hielt eine bewegende und aufrüttelnde Geburtstagsansprache „Eine ‚Welt in Scherben‘! Gender, Nation und Pluralität“. In ihrem Vortrag wies sie auf die Bedeutung der Genderforschung für die kulturelle Vielfalt und das friedliche Miteinander in unserer Gesellschaft hin. Den Vortrag schloss Christina Thürmer-Rohr mit einem Zitat von Hannah Arendt aus dem Interview mit Günther Gaus, wo es um das „Wagnis der Öffentlichkeit“ geht: „Das Wagnis der Öffentlichkeit scheint mir klar zu sein. Man exponiert sich im Lichte der Öffentlichkeit, und zwar als Person. Wenn ich auch der Meinung bin, dass man nicht auf sich selbst reflektiert in der Öffentlichkeit erscheinen und handeln darf, so weiß ich doch, dass in jedem Handeln die Person in einer Weise zum Ausdruck kommt wie in keiner anderen Tätigkeit. Wobei das Sprechen auch eine Form des Handelns ist. [...] Das ist ein Wagnis. Und nun würde ich sagen, dass dieses Wagnis nur möglich ist im Vertrauen auf die Menschen. Das heißt, in einem – schwer genau zu fassenden, aber grundsätzlichen – Vertrauen auf das Menschliche aller Menschen. Anders könnte man es nicht.“ Carola von Braun gab uns noch einen weiteren Ausblick auf dieses Jahr und erzählte, wie wichtig ihr die Kongress-Reihe „Was ist Leistung?“ ist. „In ihrer Veranstaltungsreihe wird die ÜPFI sich mit den Leistungen befassen, die Migrantinnen in unserer Gesellschaft einbringen und welche Probleme sie beim Zugang zu Bildung und politischer Teilhabe zu bewältigen haben.“ Nicht alle Ideen die umgesetzt werden, kommen aus der eigenen Initiative und so berichtet Frau von Braun: „Bei vielen weiteren Themen kommen engagierte Frauen mit Anregungen auf die ÜPFI zu. Längst nicht alle Anregungen kann die ÜPFI bearbeiten. Aber überall da, wo sie mit einem Verteiler von inzwischen knapp 1700 Adressen von Frauen in interessanten Tätigkeiten helfen kann, unterstützt sie geeignete Anregungen durch Bekanntmachung über ihren Verteiler.“ (Nachdruck aus AVIVA-BERLIN.de im Februar 2017 − Beitrag vom 24.02.2017) 54 | Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e Julia Bringmann, Franziska Baum, Martina Dietz Prekarisierung Unbound? Tagung des ZtG und des DFG Projekts „Ungleiche Anerkennung? ‚Arbeit‘ und ‚Liebe‘ im Lebenszusammenhang prekär Beschäftigter“ (Wi2142/5-1), 2.3.3.2017, HU Berlin Prekarisierung ist ein schillernder Begriff, der heute in Wissenschaft und Medien häufig und vieldeutig verwendet wird. Doch was ist für wen wirklich prekär geworden? Unter dieser Leitfrage diskutierten 200 Wissenschaftler*innen und Studierende am 2. und 3. März 2017 auf der Konferenz „Prekarisierung Unbound? Zum gegenwärtigen Stand der Prekarisierungsforschung aus interdisziplinärer Perspektive“ in der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Organisation der Konferenz lag in den Händen von Dr. Gabriele Jähnert (ZtG der HU Berlin), Prof. Dr. Christine Wimbauer und Dr. Mona Motakef (DFG Projekt, HU Berlin). Sie wurde in Kooperation mit dem Institut für Sozialwissenschaften der HU Berlin und der Sektion Soziale Ungleichheit der DGS gestaltet. Die Konferenz überzeugte, da sie inhaltlich und methodisch Teildisziplinen der Sozialwissenschaften miteinander ins Gespräch brachte, die sonst oftmals wenige Berührungspunkte aufweisen. So diskutierten Wissenschaftler*innen aus den Gender Studies, der Familien- und Paarsoziologie und der Ungleichheitsforschung konstruktiv miteinander. In vielen Panels wurden Ergebnisse unterschiedlicher methodologischer Ansätze zusammengebracht. Während der Austausch innerhalb des Faches Sozialwissenschaften dementsprechend sehr bereichernd war, blieb die ursprünglich angestrebte Interdisziplinarität der Konferenz etwas auf der Strecke: In einem Panel kamen medienwissenschaftliche Ansätze zu Wort. Beiträge aus den Disability Studies, der Geschichte oder der kritischen Migrationsforschung waren jedoch nicht vertreten. Ein schönes Zusammenspiel ergab sich aus den mehrheitlich empirischen Fragestellungen in den Panels und den gesellschaftsanalytisch ausgerichteten Key-Notes: Brigitte Aulenbacher leitete in die breit angelegte Themensetzung ein, indem sie diese als Auseinandersetzungen in einer neuen Stufe der kapitalistischen Vergesellschaftung sozialer Reproduktion bestimmte, in der die Erfüllung von Fürsorge und Selbstsorge durch steigenden Leistungsdruck verstärkt prekarisiert sei. An dieser Zuspitzung entzünde sich vermehrt Alltagskritik und damit Potenzial für Gesellschaftskritik. Klaus Dörre zeigte auf, dass populistisches Alltagsbewusstsein sich in verschiedenen Formen auf prekäre Erfahrungen berufe bzw. dieses von rechts vereinnahmt würde. Soziologische For- Ta g u n g e n – A n k ü n d i g u n g e n / B e r i c h t e | 55 scher*innen sollten im Sinne einer öffentlichen Soziologie verstärkt die Klassenspezifik des Rechtspopulismus aufzeigen. Isabell Lorey schloss die Tagung mit einem Ausblick, wie ‚prekär sein‘ an sich und das damit einhergehende Verständnis von Zeit und Wechselseitigkeit emanzipatorisch gewendet werden könnten und müssten. In den zehn Panels wurden anhand konkreter Forschungsergebnisse Fragen in der Debatte um Prekarisierung, Prekarität und Prekariat verhandelt: Wie wird Prekarität definiert bzw. in welchen Dimensionen gemessen ─ als Abweichung vom Normalarbeitsverhältnis, als unsicherer Lebenszusammenhang oder als Klassenkonstellation? Ist eine Verwendung dieser Konzepte jenseits westlicher Gesellschaften sinnvoll? Welche Umgangsweisen entwickeln Menschen mit ‚Prekärem‘ − beispielsweise Personen im ALG II-Bezug, heterosexuelle Paare, Kinder und Jugendliche oder (migrantisierte) Solo-Selbstständige? Wofür fühlen sich prekär Beschäftigte in ihrem Lebenszusammenhang (nicht) anerkannt? Wie schreibt sich Prekarität in den Körper ein? Welche sozialen Folgen ergeben sich für die individuelle Gesundheit, die subjektive Entfremdung, für die Frage eines verfestigten ‚Prekariats‘ und die Möglichkeitsräume der Solidarität? Insgesamt gewährte die sehr gut besuchte Konferenz aufschlussreiche Einblicke in und ein gleichwertiges Nebeneinander der arbeits-, ungleichheits- und geschlechtersoziologischen Prekaritäts- und Prekarisierungsforschung. 56 | Forschungsliteratur / Rezensionen Sebastian Zilles Kraß, Andreas: Ein Herz und eine Seele. Geschichte der Männerfreundschaft. Frankfurt am Main: Fischer, 2016. − 480 S., ISBN 978-3-10-397206-1, 26,00 € In seiner Untersuchung Liebe als Passion (1982) beobachtet Niklas Luhmann eine Veränderung der Semantiken von Liebe und Freundschaft im Zuge des Umbaus des Gesellschaftssystems von stratifikatorischer in funktionale Systemdifferenzierung: War im Zeitalter der höfischen Liebe noch eine (mitunter ununterscheidbare) Nähe zwischen Freundschafts- und Liebesdiskurs feststellbar, so konkurrieren beide um 1800 zunehmend miteinander „um die Anwartschaft, den Code der Intimität zu bestimmen“. 31 Luhmann führt dieses Spannungsverhältnis auf die affektive Anreicherung der Freundschaft einerseits und eine Angleichung der Ehe an die Freundschaft andererseits zurück. Im Zuge der romantischen Liebe triumphiert schließlich – so die These Luhmanns – die Liebe über die Freundschaft: „Aufs Ganze gesehen hat jedoch die Liebe und nicht die Freundschaft das Rennen gemacht und letztlich den Code für Intimität bestimmt“. 32 Mit seiner literatur- und kulturwissenschaftlichen Studie Ein Herz und eine Seele (2016) schließt der Mediävist Andreas Kraß an die Thesen Luhmanns an und leistet einen entscheidenden Forschungsbeitrag zum literarischen Freundschaftsdiskurs. 33 Der Verfasser übernimmt dabei das Luhmann’sche Modell nicht einfach nur, sondern er kritisiert, modifiziert es und konfrontiert die Systemtheorie mit den geschlechter- und queer-theoretischen Arbeiten Michel Foucaults, Judith Butlers und Eve Kosofsky Sedgwicks. Das Resultat ist eine neue, erfrischende und eben auch andere Geschichte von Freundschaft, denn 31 Niklas Luhmann: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994 (= Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1124). S. 105. 32 Ebd. Vgl. auch S. 147: „Meine Vermutung ist, daß die Aufwertung der Sexualität dann auch die Konkurrenz von ,Liebe‛ und ,Freundschaft‛ als Grundformeln für eine Codierung der Intimität entscheidbar wird. Liebe gewinnt“. 33 Nahezu zeitgleich zu Kraß’ Untersuchung ist ein Sammelband aus dem Bereich der Soziologie erschienen. Vgl. Janosch Schobin, Vincenz Leuschner, Sabine Flick, Erika Alleweldt, Eric A. Heuser, Agnes Brandt (Hg.): Freundschaft heute. Eine Einführung in die Freundschaftssoziologie. Bielefeld: Transcript 2016 (= Kulturen der Gesellschaft, Bd. 22). Schon Niklas Luhmann bezog sich auf eine Studie von Albert Salomon: Der Freundschaftskult des 18. Jahrhunderts in Deutschland – Versuch zur Soziologie einer Lebensform. In: Zeitschrift für Soziologie 8 (1979). S. 279-308. Forschungsliteratur / Rezensionen | 57 der Verfasser widmet sich ausschließlich Männerfreundschaften. Dabei analysiert er in fünf Kapiteln zwanzig Geschichten über Freundschaft von der Antike bis in die Gegenwart, wobei jede Epoche vor dem Hintergrund eines exemplarischen, philosophischen Textes interpretiert wird (vgl. S. 17), der den diskursiven Rahmen bildet. Eröffnet wird das Panorama mit einem theoretischen Grundlagenkapitel, das von dem Grundgedanken geleitet wird, dass Freundschaften nicht nur als Wesens-, sondern auch als Affektgemeinschaften zu verstehen seien (vgl. S. 48). Kraß exemplifiziert zunächst am Beispiel des Gilgamesch-Epos, eine der ältesten Freundschaftsgeschichten (vgl. S. 49), ein – wie sich herausstellen wird – diachrones und in verschiedenen Kulturen präsentes narratives Muster: Männerfreundschaften werden einerseits als eine passionierte Beziehung dargestellt und andererseits als Passionsgeschichten erzählt (vgl. S. 49). Der Tod des einen Freundes ist dabei unausweichlich und stellt – darin liegt die Pointe der Interpretation – den Höhepunkt des Freundschaftsverhältnisses dar (vgl. S. 79). Der Überlebende trauert nicht nur um den Verschiedenen, sondern auch um „die Unmöglichkeit, das gleiche Geschlecht zu lieben. Der tote Freund ist poetischer Ausdruck der Melancholie des Geschlechts“ (S. 77). Vor diesem Hintergrund ergeben sich weitreichende Folgen für die Geschlechterpolitik: „Wenn Freundschaftsgeschichten als Passionsgeschichten erzählt werden, so geht es um die Sicherung der prekären Grenze zwischen Intimität und Sexualität, die das virtuelle Kontinuum des männlich-homosozialen Begehrens strukturiert“ (S. 74. Herv. im Org). In deutlicher Abgrenzung zu Luhmann beginnt Kraß seine Textanalyse in der Antike (Kap. 2), die er als Zeitalter der Freundschaft deklariert (vgl. S. 81). Im Zentrum des Intimitätsdiskurses stehen mann-männliche Beziehungen, die in der Literatur häufig auf der Folie militärischer Freundschaften (Bsp. Homers Ilias) verhandelt werden (vgl. S. 92). Am Beispiel des Johannes-Evangelium (vgl. S. 123ff.) legt Kraß allerdings auch ein pazifistisches Gegenmodell offen. Das dritte Kapitel widmet sich dem Freundschaftsdiskurs im Mittelalter, der eine signifikante Verschiebung von der Politik hin zur Religion erfährt (vgl. S. 147). Kraß vertritt die These, dass „religiöse Fundierung der Freundschaft erheblich zu ihrer Emotionalisierung“ (ebd.) beiträgt. Souverän und schlüssig illustriert er seine These an kanonischen Texten – etwa dem Rolandslied (vgl. S. 168-180) oder dem Nibelungenlied (vgl. S. 180-189). Die Stärke des Kapitels liegt nicht allein in den konzisen Einzelinterpretationen; dem Verfasser gelingt es auch, eine große Linie zu ziehen und Unterschiede in den Gattungen nachzuzeichnen (vgl. S. 167): Zu Beginn steht die Heldenepik, die durch eine „monologische Männlichkeit“ (S. 211) markiert ist und in der die Freundschaft zwischen Rittern den 58 | Forschungsliteratur / Rezensionen dominierenden Code der Intimität darstellt. Im Zuge der Rezeption antiker Epen in den 1160er Jahren setzt ein Paradigmenwechsel ein. „In den höfischen Antikenromanen muss sich der Code der ritterlichen Freundschaft erstmals gegen den Code der höfischen Liebe behaupten“ (S. 212). In den 1170er Jahren begründet schließlich Chrétien de Troyes mit dem Artusroman eine neue Gattung, der Liebe und Freundschaft nicht nach-, sondern nebeneinander stellt und in eine trianguläre Figurenkonstellation einbindet (vgl. S. 213). Im Zuge der Frühen Neuzeit (Kap. 4) übernimmt die Kunst als gesellschaftliches Referenzsystem der Freundschaft und Liebe die Rolle der Religion (vgl. S. 224f.). Gerade die Literatur avanciert zum „Medium einer Begegnung, die körperliche Distanz überwindet und seelische Präsenz steigert“ (S. 225), was Kraß an Montaignes Essays oder an Goethes Werther (1774) veranschaulicht. Diese Form der Intimität hat einen Preis, der darin besteht, dass die passionierten Freundschaftsbeziehungen verdächtig erscheinen und daher einem Sexualitätsverbot unterworfen werden, das formuliert und durchgeführt wird. Der abschließende Teil der Monografie widmet sich der Moderne. Am Beispiel des philosophischen Textes L’amitié von Blanchot weist Kraß einen Wandel im Freundschaftsverständnis auf: „Freundschaft beruht nicht, wie es in der Tradition seit Aristoteles immer wieder beschworen wurde, auf der Identität, sondern vielmehr auf der Alterität der Freunde“ (309). Das sich daran anschließende bzw. darauf aufbauende Textkorpus überrascht: Mit dem Gedicht In Memoriam (1850) des britischen Dichters Tennyson, Highsmiths amerikanischem Kriminalroman Der talentierte Mr. Ripley (1955), der Kurzgeschichte Brokeback Mountain (1997) der Kanadierin Proulx und den deutschsprachigen Romanen Der Freund und der Fremde (Timm, 2005) sowie Tschick (Hernsdorf, 2010) werden Texte gewählt, die mitunter qu(e)er zum literarischen Kanon stehen. Das Anliegen der transnationalen Perspektive besteht darin, ein narratives Muster aufzuweisen: Freundschaftsbeziehungen werden zum einen psychologisiert und sie müssen sich zum anderen gegen den Verdacht der Homosexualität abgrenzen. Der Sprung von Schillers Don Karlos (1787, Kap. IV) in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts erscheint etwas groß, womit die Zusammenstellung einige essentielle Fragen übergeht: Erstens ließe sich am Beispiel der Frühromantik zeigen, dass Liebe und Freundschaft weiterhin noch nicht gegeneinander ausdifferenziert sind. 34 Zweitens bleibt der Freundschaftskult im Biedermeier ebenso unberücksichtigt wie auch die Jugendbewegung um die Jahrhundertwende. Drittens erlebt der Männerbund-Diskurs in Wissenschaft 34 Vgl. Jochen Hörisch: Das Wissen der Literatur. München: Fink 2007. S. 158-168. Forschungsliteratur / Rezensionen | 59 und Literatur um 1900 eine diskursive Explosion. Hier wäre ein Blick auf die Veränderungen interessant gewesen, die sich zwischen dem Zeitraum der Jahrhundertwende und den im Anfangsteil aufgeführten Bünden in der archaischen Zeit bzw. der Antike (Vgl. S. 18f., 81) ergeben. Viertens klammert das Korpus die Erfahrungen zweier Weltkriege aus. Offen bleibt damit die Möglichkeit nach einem anderen narrativen Muster, das das Reden, Begehren und Beklagen des Kameraden behandelt, womit die Frage nach der Unterscheidung zwischen Freundschaft und (militärischer) Kameradschaft unausweichlich erscheint. Die aufgeführten Fragen legen das Desiderat für weitere Forschungsarbeiten offen. Ein Herz und eine Seele ist insgesamt betrachtet eine sehr lesenswerte und breit angelegte literaturhistorische Studie über männliche Freundschaftsbeziehungen. Sie überzeugt vor allem durch ihre Textinterpretationen, die zwar immer wieder dieselbe Grundkonstellation herausstreichen, dabei aber keinesfalls versäumen, auf Verschiebungen oder Brüche aufmerksam zu machen. Als besonders leserfreundlich erweisen sich die zahlreichen Zusammenfassungen an den Kapitelenden sowie die Hervorhebungen der wichtigsten Aspekte im Fließtext. (Sebastian Zilles − Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Gestu_S /Zentrum für Gender Studies/ der Universität Siegen) Marianne Kriszio Ehlers, Hella/Kalisch, Claudia/Linke, Gabriele/Milewski, Nadja/Rudlof, Beate/Trappe, Heike (Hrsg.): Migration – Geschlecht – Lebenswege. Sozial- und geisteswissenschaftliche Beiträge. Berlin: Lit Verlag Dr. W. Hopf, 2015. – 280 S., ISBN 978-3-643-13139-3, 29,90 € Die Arbeitsgruppe Gender-Forschung der Universität Rostock veranstaltete im November 2013 ein Kolloquium, auf dem das Thema „Migration – Geschlecht – Lebenswege“ aus der Perspektive sozialwissenschaftlicher und literaturwissenschaftlicher Disziplinen untersucht wurde. Der hier besprochene Sammelband erschien Ende 2015 und präsentiert die Mehrzahl der Beiträge dieses Kolloquiums. Die drei Themenblöcke beziehen sich auf familiäre Konstellationen, Arbeitswelt und Darstellungen in Literatur und Film. Die Autor_innen kommen aus Deutschland (darunter mehrere mit internationaler Herkunft), Österreich, Großbritannien, USA und Schweden. Sie haben zum Zeitpunkt der Publikation 60 | Forschungsliteratur / Rezensionen z.T. bereits andere Positionen als während der Tagung oder zu der Zeit, als ihre vorgestellte Studie durchgeführt wurde. Im ersten Themenblock „Transformation in Familien“ geht es um Heiratsmigration aus der Türkei bzw. zwischen Festland-China und Taiwan und um Eltern-KindBeziehungen in russland-deutschen Familien. Can Aybek, inzwischen Professor an der Hochschule Bremen, untersucht die Auswirkungen der neuen rechtlichen Regelung, nach der Heiratsmigrant_innen aus Ländern wie der Türkei vor der Erteilung eines Visums zwecks Heirat erst deutsche Sprachkenntnisse nachweisen müssen (sofern sie nicht Akademiker_innen sind). Er hat dazu sowohl die Teilnehmer_innen von Sprachkursen in Ankara wie die deutschen Heiratspartner_innen in einer Längsschnitt-Studie mehrfach interviewt. Ein Ergebnis seiner Studie ist, dass sich die zeitliche Struktur von Eheanbahnung und Eheschließung aufgrund dieser äußeren Rahmenbedingungen gegenüber traditionellen türkischen Sitten verändert (kürzere Zeit zwischen Kennenlernen, Antrag und Zustimmung zur Ehe und ggf. standesamtlicher Eheschließung, ggf. längere Zeit zwischen standesamtlicher und religiöser Eheschließung). Dabei gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern: Kommt die künftige Ehefrau aus der Türkei, so muss die standesamtliche Heirat erfolgen, bevor die Eltern sie zum Sprachkurs in die Großstadt schicken. Kommt dagegen der perspektivische Ehemann aus der Türkei, dann erfolgt die standesamtliche Heirat erst nach erfolgreicher Prüfung, damit die künftige Ehefrau und deren Eltern auch sicher sein können, dass er das Visum erhält. In beiden Fällen halten die Ehekandidat_innen aber bereits in der langen Vorbereitungszeit intensiven Kontakt per elektronische Medien. Lara Momesso, post docoral researcher an der University of Portsmouth, behandelt in ihrem (auf Englisch geschriebenen) Beitrag cross-border families, bei denen Partner_innen aus Festland-China nach Taiwan geheiratet haben, insbesondere Frauen − dies vor dem Hintergrund der Entwicklung der politischen Beziehungen zwischen Taiwan und China und den veränderten Regelungen zur Mobilität in zwischen beiden Territorien. Die Untersuchungsmethode waren Tiefeninterviews und teilnehmende Beobachtungen. Sie konnte feststellen, dass es trotz ähnlicher konfuzianischer Traditionen mit patriarchalischen Familienstrukturen doch deutliche Unterschiede in den Geschlechterrollen in beiden Ländern gibt, auf die die Ehepartner_innen so nicht vorbereitet waren: In Taiwan sind die Vorstellungen in Bezug auf Geschlechterrollen deutlich konservativer als in Festland-China. Dabei ergeben sich unterschiedliche Probleme für die erste Generation meist schon etwas älterer Frauen, z.T. geschieden, oft aus ländlichen Gegenden, die verrentete und relativ arme Forschungsliteratur / Rezensionen | 61 Soldaten-Veteranen aus Taiwan geheiratet hatten, und späteren Generationen jüngerer Frauen, die ihre Männer z.T. über deren berufliche Aktivitäten in Festland-China kennen gelernt haben. Insbesondere die Älteren litten unter den restriktiven Regelungen, die Migrant_innen bis zu sechs Jahren keine Arbeitserlaubnis gewährten und die sie unerwartet zu „Hausfrauen“ machte, während sie aufgrund ihres Alters die Erwartung an die Geburt von Kindern nicht mehr erfüllen konnten. Die Jüngeren haben sich z.T. nach der Geburt von Kindern an die Rollenerwartungen angepasst, obwohl sie vorher selbstverständlich berufstätig waren, andere haben aber darunter sehr litten. Dazu kam die unerwartete Anforderung zur Unterordnung unter die taiwanesischen Schwiegermütter, die in dieser Form in Festland-China nicht mehr besteht. Der Beitrag berichtet auch über Bemühungen, sich in dieser Situation Freiräume zu verschaffen. Die Beziehungen zu den Ehemännern selbst waren dagegen insgesamt deutlich weniger problematisch als die zum sonstigen sozialen Umfeld. Der dritte Beitrag von Janina Zölch, Universität Flensburg, behandelt die Entwicklungsmöglichkeiten junger Spätaussiedler aus Russland und deren Beziehungen zu ihren Familien. Sie stellt das Beispiel eines Mannes vor, der als Jugendlicher mit seinen Eltern aus Kasachstan nach Deutschland kam, die hier eine Entwertung ihrer beruflichen Qualifikationen hinnehmen mussten. Die Hoffnungen der Familie liegen nun insbesondere auf diesem Sohn. Auch er musste hier aber deutlich längere Wege und Umwege bis zur Aufnahme seines Studiums absolvieren, als er in seiner alten Heimat benötigt hätte. Inzwischen studiert er an einer Fachhochschule, ist verheiratet und erwartet ein Kind. Die Beziehung zu seiner Familie, insbesondere zur Mutter, ist sehr eng. Die Autorin interpretiert dies so, dass es weniger eine Frage des Geschlechts sei, welchem Kind die Rolle der engen Beziehung zu den Eltern zukomme, als vielmehr der familiären Konstellation. Einen sonst angenommenen größeren Freiraum männlicher Heranwachsender auch in der Migration gäbe es in dieser Konstellation nicht. Im Block „Migrantinnen in der Arbeitswelt“ geht es um erzwungene Migrationsbewegungen in Zeiten politischer Umbrüche, Gastarbeiterinnen aus Ex-Jugoslawien in Kärnten, migrantische Unternehmerinnen in Hannover und um Internationale Professor_innen in Deutschland. Maike Manske, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek in Kiel, berichtet auf der Grundlage von Briefen und Tagebüchern, Reiseberichten und Erinnerungsschriften über die Flucht adliger Frauen 62 | Forschungsliteratur / Rezensionen aus Frankreich nach der französische Revolution und deren Erfahrungen 35. Diese hätten notgedrungen traditionelle Geschlechterbilder ins Wanken gebracht, da die Frauen mit ihren Kindern auf der Flucht und später in den aufgesuchten Gastländern oft auf sich allein gestellt waren und neue Wege finden mussten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, was nicht immer standesgemäß gelang. Die Palette der Beschäftigungen reichte von Gesellschafterin, Schriftstellerin und Malerin bis zur Blumen- oder Putzmacherin, Wäscheaufseherin, Krankenpflegerin und Wasserträgerin. Das Autorinnen-Team Viktorija Ratkovic´, Manuela Saringer und Rosemarie Schöffmann aus Klagenfurt weist darauf hin, dass entgegen der öffentlichen Wahrnehmung unter den „Gastarbeiter_innen“ der ersten Generation keineswegs nur Männer waren. Sie haben 2012 insgesamt sechs Interviews mit ehemaligen „Gastarbeiterinnen“ im österreichischen Kärnten durchgeführt und stellen in ihrem Beitrag die Erfahrungen von zwei Frauen aus Kroatien und Serbien vor, die beide eigenständig beschlossen hatten nach Österreich zu gehen, um dort Arbeit zu suchen, und diesen Plan durch die Vermittlung von Bekannten realisieren konnten. Für beide Frauen war Arbeit das bestimmende Element in ihrem Leben. Die Arbeitsstellen wurden mehrfach gewechselt, sie lagen im Gastgewerbe, in der Reinigungsbranche, in einer Fischfabrik und einer Fleischerei. Eine der beiden Frauen war nach einer Kündigung aufgrund eines Konflikts mit der Familie ihrer Arbeitgeber eine Zeitlang nach Kroatien zurückgekehrt, dann aber nach wenigen Jahren wieder nach Kärnten gekommen. Die andere blieb immer dort. Beide haben Kinder. Die Vereinbarkeit von Arbeit und Betreuung der Kinder war nicht einfach, eine der beiden musste ihr Kind mehrere Jahre die Woche über in ein Kinderheim geben und konnte es nur am Wochenende sehen. Den Begriff Diskriminierung verwenden die Frauen in den Interviews nicht, aber eine berichtet von unkorrektem Verhalten von Arbeitgebern in Bezug auf Abgaben, und sie war nicht darauf vorbereitet, dass unverheiratete Österreicherinnen nach der Geburt eines Kindes eine längere Karenzzeit nehmen durften (drei Jahre) als ausländische Arbeiterinnen wie sie. Beide deuten das eigene Leben im Rückblick dennoch insgesamt als Erfolgsgeschichte. Ruth May vom Institut für kritische Theorie in Berlin hat Existenzgründungen von Migrantinnen in einem innenstadtnahen Stadtteil von Hannover mit hohem Migrant_innenanteil untersucht, der Nordstadt. In diesem Beitrag wird das Migrationsthema mit stadtplanerischen Gesichtspunkten und dem Bericht über 35 Dieser Beitrag wurde als einziger nicht auf dem Kolloquium in Rostock vorgetragen, sondern nachträglich in den Sammelband eingefügt. Forschungsliteratur / Rezensionen | 63 eine erfolgreiche Stadtteilsanierung verbunden, Existenzgründungen werden dabei u.a. unter der Perspektive der selbstbewussten Aneignung eines Ortes gesehen. Die fünf Fallstudien umfassen eine Boutique, eine Übersetzungsagentur, ein Atelier mit Kunstkursen, ein Lebensmittelgeschäft mit angeschlossener Fleischerei sowie eine Unternehmensberatung für Kleinbetriebe mit Büroservice, Finanzberatung und Buchführung; im letztgenannten Fall wird zugleich mit der Rechtsanwaltskanzlei des Ehemannes kooperiert. Die Frauen kommen aus der Türkei, aus Polen sowie aus Griechenland. Die Geschäftskonzepte sind in allen Fällen über den Stadtteil hinaus ausgerichtet; zugleich gibt es bei mehreren aber auch Verbindungen mit einer Art Solidarleistungen im Stadtteil und der Unterstützung von Kundinnen oder Nachbarn durch Gespräche oder ggf. persönliche Hilfen. Bei allen spielt der Bezug zum Stadtteil eine wichtige Rolle. Für alle diese Kleinunternehmerinnen ist die städtische Lebensweise in diesem Stadtteil in Verbindung mit der Trennung von Wohnung und Arbeitsort wichtig, da sie ihnen eine Möglichkeit gibt sich von Beschränkungen und sozialen Kontrollen im engeren Milieu z.B. der Großfamilie zu distanzieren. Im Beitrag von Marianne Kriszio und Ole Engel geht es um die spezifischen Befunde zu Frauen im Projekt „Internationale Mobilität und Professur“, das 2011 – 2014 an der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt wurde. 36 Die Gruppe aller Professor_innen internationaler Herkunft ist mit ungefähr 12% etwa doppelt so groß ist wie diejenigen, die (nur) eine ausländische Staatsangehörigkeit haben. Allerdings stammt der größte Teil von beiden Gruppen aus Europa oder Nordamerika, und die Kinder der früheren Arbeitsmigrant_innen haben bisher nur in wenigen Ausnahmefällen den Karrieresprung auf eine Professur geschafft. Der Frauenanteil lag bei den Internationalen Professorinnen im Jahr 2012 mit einem guten Drittel (34%) deutlich höher als bei allen Profesorinnen in Deutschland. Dies gilt für Universitäten, noch mehr aber für Fachhochschulen (Anteil 40%). Im Übrigen zeigen sich starke Parallelen zur generellen Situation von Professorinnen in Deutschland. In den höchsten Besoldungsgruppen sind die Frauenanteile deutlich niedriger als bei den übrigen Stellen und der Weg zur Professur führte bei den Frauen häufiger über 36 Das Projekt war von der Autorin dieser Rezension mit initiiert worden und wurde − unter ihrer Beteiligung − geleitet von Andrä Wolter und Aylâ Neusel. Die vollständigen Ergebnisse sind publiziert in: Aylâ Neusel/Andrä Wolter/Ole Engel/Marianne Kriszio/Doreen Weichert: Internationale Mobilität und Professur. Karriereverläufe und Karrierebedingungen von Internationalen Professorinnen und Professoren an Hochschulen in Berlin und Hessen. Abschlussbericht an das Bundesministerium für Bildung und Forschung: https://www.erziehungswissenschaften.huberlin.de/de/mobilitaet/projektergebnisse/abschlussbericht-1/abschlussbericht-internationalemobilitaet-und-professur.pdf [Aufruf 17.2.2017] 64 | Forschungsliteratur / Rezensionen Stipendien. Die Befunde zur persönlichen Lebenssituation zeigen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Dual Career-Problematik für Internationale Professorinnen ebenso wie für ihre deutschen Kolleginnen ein größeres Problem darstellt als für ihre männlichen Kollegen. Bei der Frage nach erfahrenen Vor- und Nachteilen zeigt sich, dass das Zusammenwirken von Geschlecht und Migrationshintergrund von großer Bedeutung ist. Frauen benennen deutlich häufiger sowohl Vorteile als auch Nachteile aufgrund ihrer nationalen oder ethnischen Herkunft und ihres Geschlechts. Bestimmte Formen der Diskriminierung werden von Frauen häufiger genannt, aber auch die Nutzung spezifischer Förderprogramme. Der dritte Themenblock behandelt „Repräsentationen in künstlerischen Medien“, in Literatur und Film. Die schwedische Germanistin Linda Karlsson Hammarfelt aus Göteborg stellt zwei Romane des tunesisch-schwedischen Autors Jonas Hassen Khemiri vor – des wichtigsten „schwedischen Migrationsautors“, der in den schwedischen Medien sehr präsent ist und sich immer wieder zu tagesaktuellen politischgesellschaftlichen Ereignissen äußert und dessen Texte inzwischen dort zur Schullektüre gehören. „Kamel ohne Höcker“ ist eine Art Schelmen- und Entwicklungsroman, „Montecore“ ein Werk in der Form eines E-Mailromans. In beiden Büchern geht es um Konflikte zwischen dem tunesischen Vater, der sich um Assimilation an die schwedische Gesellschaft bemüht, und dem Sohn, der sich stärker mit seiner arabischen Identität auseinandersetzen will. Der Beitrag versteht sich als intersektionale literaturwissenschaftliche Analyse, in der „Literatur als ein Forum des Verhandelns über Männlichkeit, Identität und Familienbeziehungen im Migrationskontext betrachtet wird“. Die US-amerikanische Germanistin Marjanne E. Goozé von der University of Georgia stellt in ihrem englischen Beitrag Barbara Honigmanns Briefroman „Alles, alles Liebe!“ vor, in dem es um das Leben von Kindern jüdischer Remigranten in der DDR geht. Die weiblichen Hauptfiguren Anna und Eva und ihre Bekannten agieren im künstlerischen Milieu, insbesondere beim Theater. Ihre Eltern sind überzeugte Kommunisten und Funktionsträger_innen im politischen System der DDR. Die jüngere Generation steht dagegen eher in Distanz zu diesem System und setzt sich intensiv mit ihrer jüdischen Identität auseinander. Der Roman spielt in der Zeit 1975/76, publiziert wurde er im Jahr 2000. Die Protagonistinnen fühlen sich trotz einiger Privilegien als Kinder verfolgter Eltern als Juden marginalisiert und irgendwie heimatlos, als Grenzgängerinnen. Berufsbedingte Umzüge aus Berlin in die Provinz verstärken noch den Status als Außenseiterinnen. Auch die privaten Beziehungen laufen nicht gut. Honigmann hatte selbst ein ähnliches Schicksal wie ihre Protagonistinnen, Forschungsliteratur / Rezensionen | 65 hat aber die DDR bereits 1984 verlassen und lebt seitdem in Straßburg. Auswanderung aus der DDR ist auch in dem Roman ein Thema, vermittelt z.B. über jüdische Freunde aus der Sowjetunion, die sich dafür entschieden haben. Für Anna und Eva ist dies aber kein Weg. Sie leben mit ihrer „diasporischen und nomadischen Identität“. Dies wird als spezifisch jüdische Lebensstrategie vorgestellt. Jüdisch-Sein in Deutschland werfe für Honigmann, anders als in England oder New York, „always questions from others“ auf. Der Roman ist nicht autobiographisch, in der Interpretation fällt aber der Begriff „Autofiktion“. Goozé bezieht in ihren englisch geschriebenen Text nicht nur weitere Werke von Honigmann mit ein, sondern auch umfangreiche Sekundärliteratur. 37 Anne Newball Duke, Romanistin an der Universität Rostock, analysiert eine Kurzgeschichte von Constanza Liras, einer chilenischen Autorin, die bis 1991 in Deutschland im Exil lebte, unter literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive. Im Gegensatz zu zahlreichen männlichen chilenischen Schriftstellern habe es überhaupt nur drei Frauen gegeben, die im deutschen Exil schriftstellerisch tätig waren (darunter keine einzige in der DDR). Constanza Liras hat in der Exilzeitschrift „Literatura Chilena en el Exilo“ drei Kurzgeschichten veröffentlicht; nach ihrer Rückkehr nach Chile hat sie nicht mehr publiziert. In der Kurzgeschichte „Estante Cama“ (Das Schrankbett)von 1980 geht es um ein junges Paar in Santiago de Chile zur Zeit der Militärdiktatur, das sich aus allen politischen Dingen heraushalten und eine strikte Trennung zwischen dem privaten Innenraum der eigenen Wohnung und allen Ereignissen „draußen„ vornehmen will. Das gelingt aber nicht: Aus einem neu gekauften Schrankbett fällt abends der gefolterte und ermordete Körper einer Frau heraus. Nachdem beide die Leiche entsorgt haben, finden sie am nächsten Abend wieder eine Leiche, diesmal die eines Mannes. Die Ruhe ist für immer dahin. In der Analyse von Duke spielen neben der politischen Dimension der Militärdiktatur raumzeitliche Bestimmungen, Genderkonstruktionen und Handlungsräume sowie Grenzsemantiken eine Rolle. Sie greift dabei auf die kultursemiotische Erzähltheorie Jurij Lotmans und das Konzept der Heterotopien von Foucault zurück. Nadja Milewski und Clemens Langer vom Institut für Soziologie und Demographie an der Universität Rostock untersuchen im letzten Beitrag die TVSpielfilmreihe „Mordkommission Istanbul“. Dabei geht es um Genderdarstel37 Die aus Russland stammende und in Deutschland aufgewachsene Autorin Marianna Salzmann, Leiterin der Studiobühne des Maxim-Gorki-Theaters, hat in ihrem Theaterstück „Muttersprache Mameloschn“ eine ähnliche Thematik behandelt wie Honigmann. Auf sie wird in dem Beitrag von Goozé kein Bezug genommen. 66 | Forschungsliteratur / Rezensionen lungen im Set der handelnden Personen, aber auch um die ethnische Zusammensetzung der an den Filmen Beteiligten. Die Autoren und Regisseure sind Deutsche, nur die Romanvorlage stammt von einer Autorin mit türkischem Migrationshintergrund. Die immer wiederkehrenden Hauptdarsteller_innen haben einen gemischten Migrationshintergrund (darunter einer mit lateinamerikanischer Herkunft), die übrigen Rollen werden z.T. mit Deutschen, zum Teil mit Menschen türkischer Herkunft besetzt − die primären Episodenrollen allerdings fast immer mit deutschen Darsteller_innen ohne (türkischen) Migrationshintergrund. Die Genderdarstellungen werden unter Betrachtung der Themenfelder privater und öffentlicher Raum, Beruf, Haushalt/Paarbeziehungen/Familie sowie Täter/Opfer/Tatmotiv untersucht, das Thema Religion erwies sich bei der Analyse dieser TV-Reihe dagegen nicht als ergiebig. Dafür gibt es immer wieder Bezüge zu Migration und Deutschland. Der Hauptkommissar lebt in einer modernen, emanzipatorische Paarbeziehung, mit einer selbstbewussten berufstätigen Ehefrau. In den Familien der Täter und Oper gibt es andere Strukturen. Die Tatmotive liegen sowohl im familiären bzw. ehelichen Leben wie auch im beruflichen Umfeld oder im Bereich organisierter Kriminalität. Frauen kommen nicht nur als Opfer, sondern auch als Täterinnen vor. Auffällig ist, dass der Kommissar bei der Lösung seiner Fälle oft aktive Unterstützung von außen erhält, z.T. über Nebenhandlungen mit Hilfe seiner Ehefrau. In anderen Fällen stellen deutsche Charaktere die entscheidenden Informationen bereit; manchmal wirke es dann fast so, als hätte der Fall ohne Hilfe aus Deutschland kaum gelöst werden können, dadurch dränge sich „der Eindruck einer konstruierten Superiorität der Deutschen gegenüber Türken auf“. Insgesamt ergibt sich also eine durchaus ambivalente Einschätzung dieser Serie unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrags zur Integration. Insgesamt bietet dieser Sammelband eine Zusammenstellung spannender Einzeldarstellungen zum Thema Migration und Geschlecht mit teilweise expliziter, zumeist eher impliziter intersektionaler Herangehensweise, fokussiert unter den Zugängen der Auswirkungen auf familiäre Konstellationen, Erfahrungen in der Arbeitswelt sowie Darstellungen in Literatur und Film. Auf der zugrundeliegenden Tagung dominierten dabei Beiträge aus dem Bereich Arbeitswelt im weiteren Sinne; in der Publikation fehlen leider drei der dort vorgestellten Untersuchungen 38. Die Mehrzahl der Beiträge bezieht sich dabei 38 Darunter die von Yevgeniya Wirz über ukrainische Arbeitsmigrantinnen in der EU, von Anna Rocheva über kirgisische Migrantinnen in Russland sowie von Tatjana Baraulina über Abwanderungsentscheidungen türkeistämmiger Frauen und Männer aus Deutschland. Auch die Untersuchung von Petra Wlasak über alleinerziehende bzw. alleinstehende Frauen aus Tschetschenien in Graz ist nicht in diesem Band enthalten. Forschungsliteratur / Rezensionen | 67 auf migrierende/migrierte Frauen, zwei auf männliche Jugendliche und nur einer − der Letzte − explizit auf beide Geschlechter. Wie schon die Herausgeberinnen in ihrer Einführung angemerkt haben, sind queere Themen in den hier vorgestellten Studien nicht bearbeitet worden. Christin Schörk Naß, Alexander/Rentzsch, Silvia/Rödenbeck, Johann/Deinbeck, Monika (Hrsg.): Geschlechtliche Vielfalt (er)leben. Trans*- und Intergeschlechtlichkeit in Kindheit, Adoleszenz und jungem Erwachsenenalter. Gießen: Psychosozial-Verlag, 2016. – 149 S., ISBN 978-3-8379-2597-5, 19,90 € Bei der Veröffentlichung „Geschlechtliche Vielfalt (er)leben“ handelt es sich um eine Sammlung von Redebeiträgen des gleichnamigen Weimarer Kongresses von 2015 39, herausgegeben als Handreichung für v.a. Pädagog*innen, Lehrer*innen und Psycholog*innen. Das Buch ist in der Reihe „Angewandte Sexualwissenschaft“ erschienen, die in ihrer Themenauswahl den Fokus auf einen interdisziplinären Austausch zwischen wissenschaftlichen Institutionen und Vertreter*innen aktivistischer Praxisprojekte legt. Das breite Themenspektrum des Kongresses – von sozialwissenschaftlichen Untersuchungen bis hin zu aktuellen politischen Diskursen um geschlechtliche Vielfalt – findet sich auch im Aufbau des Buches wieder. Das Einstiegskapitel stellt eine empirische Studie zum Mitteilungsverhalten von Trans*Kindern bzgl. ihrer geschlechtlichen Identität vor, wobei für den Autor v.a. folgende Aspekte im Fokus standen: Inwiefern nehmen sich die Befragten Freiraum zum Ausleben der eigenen Identität? Welche Signale zum Outen einer Trans*Identität werden wann und an wen ausgesandt? Und wie häufig werden sowohl „normabweichendes“ Verhalten als auch die eigene Geschlechtsidentität bis ins Erwachsenenalter unterdrückt bzw. verborgen? Hieran knüpft inhaltlich ein Beitrag zur Vorurteilsbildung und Verbreitung von Stereotypen an, insbesondere in Bezug auf Homo- und Trans*Phobie. Zwei Befragungen an repräsentativen Stichproben verdeutlichen die bestehenden Vorurteile und das fehlende Wissen über Trans*Lebensweisen. Die Ausbildung 39 Der nächste Kongress findet vom 22. bis 24. September 2017 in Magdeburg statt. 68 | Forschungsliteratur / Rezensionen von Vorurteilen wird hier u. a. durch den Hang zur Bildung sozialer Kategorien oder das Streben nach eigenem positiven Selbstwert erklärt. Besonders bzgl. Trans*Phobie sieht der Autor aber auch gesellschaftliche Geschlechternormen und einen „Need for Closure“, das Bedürfnis nach schnellen und unveränderlichen Entscheidungen, als einflussreich an. Gleichzeitig bietet der Beitrag auch Interventionsmöglichkeiten zum Abbau bestehender Vorurteile gegenüber Trans*Geschlechtlichkeit an und nimmt dabei insbesondere Kinderund Jugendeinrichtungen in die Verantwortung. Besprochen werden bspw. Möglichkeiten, um Kontakt und Sichtbarkeit zu schaffen, Mobbing und Diskriminierung zu ächten oder Geschlechternormen zu hinterfragen. Auch durch Aufklärungsprojekte können Vorurteile gegenüber LGBTIQ* abgebaut werden, sodass sich ein weiteres Kapitel mit der Evaluation entsprechender Workshops in Deutschland befasst. Die durchgeführte Studie wertet mittels qualitativer Inhaltsanalysen den Onlineauftritt von 45 Projekten hinsichtlich deren Inhalten, Zielen und Methoden aus. Demnach sind an der Mehrheit der in Deutschland durchgeführten Aufklärungsprojekte Trans*Personen selbst beteiligt und in dreiviertel der Workshops wird Trans*Geschlechtlichkeit explizit behandelt. Im Fokus der Durchführenden stand mehrheitlich, Einstellungen und Verhalten gegenüber Trans* zu verbessern und die Wirkung von biografischen Inhalten, bspw. zum eigenen Coming-Out oder persönlichen Diskriminierungserfahrungen, zu untersuchen. Eine Evaluation zur Klärung weiterer Aspekte und inwiefern die Workshops tatsächlich Homo- und Trans*Phobie abbauen können, ist bereits in Planung. Weiterhin bietet das Buch konkret für die Soziale Arbeit konzipierte Zugänge und Anregungen zum Thema Trans*. Ein Kapitel stellt in erster Linie die Empfehlungen europäischer Ethikkommissionen bzgl. Geschlechtsbestimmender Behandlungen kritisch in den Fokus. Davon abgeleitet diskutiert der Autor die Verantwortung von Beratungs- und Bildungsarbeit bei der Aufklärung, Unterstützung und Begleitung Trans*- und Inter*Geschlechtlicher sowie ihrer Eltern, aber auch Möglichkeiten, um diesbezüglich mehr gesellschaftliche Offenheit zu schaffen. Ein weiteres Kapitel ordnet diese Aspekte in eine körperbiologische Perspektive ein. Der Autor bietet einen evolutionsgeschichtlichen Abriss der chromosomalen Entwicklung von Geschlecht und Geschlechtsidentität, um damit zu einem medizinethischen Diskurs überzuleiten. Unter Einbezug rechtlicher Normen wie dem Personenstands- oder dem Transsexuellengesetz werden in diesem Zusammenhang Fragen nach der Grenze zwischen geschlechtszuordnenden und -vereindeutigenden Maßnahmen, der Ausgestaltung therapeutischer Forschungsliteratur / Rezensionen | 69 Fachberatungen oder der Rolle von Elternautonomie und Dispositionsbefugnis Minderjähriger aufgeworfen. Ebenso erhalten die Leser*innen durch das Buch Einblick in den Prozess der Erarbeitung einer medizinischen Leitlinie, speziell zur bislang unveröffentlichten S3-Leitlinie „Geschlechtsdysphorie“, die auf Grundlage von Betroffenenerfahrungen Richtlinien zur medizinischen Betreuung Trans*Geschlechtlicher während des operativen Transitionsprozesses gibt. Dem Thema Geschlechtlichkeit wird sich aber auch auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene genähert, bspw. über eine juristische Perspektive. Zwei Autor*innen betrachten kritisch, wie v.a. Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit über das Rechtssystem konstituiert und stabilisiert werden. Gleichzeitig werden Lösungsstrategien dieses strukturellen Dilemmas sowie deren jeweilige Probleme und Vorzüge diskutiert: Eine „Entgeschlechtlichung“ des Rechts würde Kategorisierungen mit Diskriminierungspotenzial abbauen, hätte damit aber keinen Ansatzpunkt mehr, um tatsächlich existierende Benachteiligungen zu verhindern. Dies kann hingegen durch eine Ausdifferenzierung von Geschlecht im Recht geleistet werden, was jedoch ein negativ-stereotypes Verständnis von Binarität reproduzieren und unzumutbare Ausschlüsse verursachen würde. Schließlich widmet sich ein Kapitel dem Thema sexueller Bildung sowie Konzepten zur Prävention sexualisierter Gewalt und greift dabei aktuelle politische Entwicklungen um Rechtsextreme und die „Alternative für Deutschland“ (AfD) auf. Besorgt betrachtet der Autor die Instrumentalisierung von Fragen zur Gleichstellung von Frauen oder zur Anerkennung sexuellgeschlechtlicher Vielfalt, um „besorgte Bürger*innen“ als Wähler*innen zu gewinnen. Gleichzeitig werden hier auch intersektionale Ansätze für die Sexualwissenschaft erörtert und in Beziehung zu den Übergriffen der Kölner Silvesternacht 2015/16 sowie deren rassistischer Medialisierung gesetzt. Daher sollten den Initiativen, Erfahrungsberichten, Aufklärungsprojekten oder Onlinematerialien von People of Color zu sexueller Bildung zukünftig umso mehr Aufmerksamkeit zukommen, um der Verbreitung rechtspopulistischen Gedankenguts mithilfe intersektionaler Pädagogik entgegenzuwirken. Die verständlich geschriebenen und immer wieder aufeinander Bezug nehmenden Kapitel überzeugen v.a. dadurch, dass sie Mitarbeiter*innen aus der Bildungs- und Sozialarbeit, in Schulen oder anderen öffentlichen Einrichtungen durchgängig direkt in die Verantwortung einbeziehen, um Vorurteile und Stereotypen gegenüber Trans* und Inter* abzubauen. Ergänzt wird dies durch umfassende weiterführende Aufklärungs- und Arbeitsmaterialien, wie diverse Literatur, Links zu Onlineprojekten oder konkrete Weiterbildungsangebote. Der 70 | Forschungsliteratur / Rezensionen Bezug zu sowohl aktuellen gesellschaftlichen Debatten als auch historischen Diskursen bleibt dabei stets präsent und auch zentrale Konzepte der Diskriminierungsforschung, wie Intersektionalität oder Wissenschaftskritik, werden angeschnitten. Darüber hinaus räumt die Publikation auch dem unermüdlichen Einsatz trans*- und inter*geschlechtlicher Aktivist*innen für ihre eigenen Rechte Raum ein. Gleichzeitig unterstützen die im Buch vorgestellten Studien stellenweise – auch in Bezug auf Trans* – bestehende Geschlechtsstereotype, z.B. durch Formulierungen wie Trans*Jungen konnten sich einen bestimmten Freiraum erkämpfen, Trans*Mädchen hingegen waren nicht mutig genug oder hätten sich nicht getraut. Weiterhin legen einige Beiträge ihren Fokus auf normative Konzepte gelungener oder gesunder Entwicklung, Begrifflichkeiten, die als problematisch einzuschätzen sind. Im Gesamten werden Trans*- und Inter*Geschlechtlichkeit als psychische „Störungsbilder“ und deren diagnostische Einordnung zu wenig reflektiert und z.B. die zugrundeliegenden Konzepte und Methoden der besprochenen S3-Leitlinie nicht hinterfragt. Denkbar wäre außerdem, Trans*- und Inter*Phobie in Bezug auf ihre Verschränkung mit Rassismen, Bodyismen oder weiteren Heteronormativismen zu thematisieren und auch explizit für eine Einbindung trans*- oder inter*geschlechtlicher Personen in den Prozess der Bildungsarbeit zu plädieren. Auch wenn die Autor*innen selbst nicht in der Sozialpädagogik oder Sozialarbeit tätig sind, erlauben die Beiträge des Buches einen wichtigen und vielgestaltigen Einblick in die Lebenssituation von Trans*- und Inter*Personen, aber auch in die Herausforderungen der Arbeit pädagogischer Handlungsfelder, um die Gesellschaft für mehr geschlechtliche Vielfalt zu öffnen. Insbesondere durch die zahlreichen konkreten Ansatz- und Interventionsmöglichkeiten, die dabei angeboten werden, ist die Publikation auch für Leser*innen abseits der adressierten Tätigkeitsbereiche durchweg lohnend. F o r s c h u n g s f ö r d e r u n g / F o rsc h u n g sp o l i t i k | 71 Aus den Pressemitteilungen des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur Geschlecht – Macht – Wissen Das Programm „Geschlecht – Macht – Wissen“ zielt auf die Förderung von Vorhaben, die kooperativ und in der Regel hochschulübergreifend angelegt sind und die aktuelle Fragestellungen der Genderforschung aufgreifen und weiterverfolgen. Mit dem Programm folgt das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur einer Empfehlung der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen (WKN) im Rahmen der Evaluation der Geschlechterforschung. Die WKN hat den guten Stand der Forschung in Niedersachsen gewürdigt. Die WKN hat unterstrichen, dass die gezielte und ausgewählte Förderung einzelner Bereiche und Standorte weiterhin notwendig ist. Nur durch eine stärkere Verankerung in den Fächern sowie eine intensivere hochschulübergreifende Vernetzung lassen sich Innovationspotentiale erschließen. Dazu wurde eine explizite Landesförderung für inter- und multidisziplinäre Projekte zur Geschlechterforschung angeregt. Gefördert werden Verbundvorhaben von drei bis fünf Professuren mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren und einer Gesamtfördersumme von bis zu 500.000 Euro. Aus den 17 eingereichten Anträgen wurden von der WKN vergleichend begutachtet. Die Auswahlkommission hat fünf Anträge zur Förderung zu folgenden Themen empfohlen: • • • • • „Macht und Ohnmacht der Mutterschaft. Die geschlechterdifferente Regulierung von Elternschaft im Recht, ihre Legitimation und Kritik aus gendertheoretischer Sicht“, (Universitäten Hildesheim und Göttingen), „Gender, Flucht, Aufnahmepolitiken. Prozesse vergeschlechtlichter Inund Exklusionen in Niedersachsen“, (Universitäten Osnabrück, Oldenburg, Göttingen und Lüneburg), „Materialität von Geschlecht und pädagogischer Autorität − Interferenzen von Körper und Dingen in Bildungsinstitutionen“, (Universitäten Lüneburg und Hildesheim sowie TU Braunschweig), „Caring for natures? Geschlechterperspektiven auf (Vor)Sorge im Umgang mit Natur/en“, (Universitäten Hannover und Lüneburg) und „Geschlechtergerechte Sprache in Theorie und Praxis. Studie zur aktuellen Situation aus linguistischer, phoniatrisch-psycholinguistischer und juristischer Perspektive“, (Universität Hannover und MHH). 72 | Forschungsförderung / Forschungspolitik Ziel des Forschungsverbundes „Gender, Flucht, Aufnahmepolitiken. Prozesse vergeschlechtlichter In- und Exklusionen in Niedersachsen“ (Sprecherin: Prof. Dr. Helen Schwenken) ist es, aus einer gendertheoretischen Perspektive Aufnahme- und Integrationspolitiken in Deutschland angesichts der gestiegenen Herausforderung der Unterbringung, Aufnahme und Integration der gewachsenen Zahl an Geflüchteten zu untersuchen. Der Forschungsverbund differenziert und erweitert den Blick auf ein breites Spektrum an Problemlagen und Fragen nach Teilhabe von geflüchteten Frauen. Dabei liegt der Fokus auf vergeschlechtlichten Prozessen differenzieller Inklusion im Kontext von Aufnahmepolitiken und den diese begleitenden Diskursen. Empirisch untersucht werden diese Prozesse in vier zentralen Bereichen: ehrenamtliche und kommunale Flüchtlingsarbeit; Arbeitsmarktintegration, Gewaltprävention und Mediendiskurs. Der Forschungsverbund ist ein Ergebnis der Kooperation innerhalb des seit Mai 2015 bestehenden Netzwerkes ‚Gender und Migration@Niedersachsen‘. Das Projekt Caring for natures? Geschlechterperspektiven auf (Vor)Sorge im Umgang mit Natur/en (Sprecherin: Prof. Dr. rer. soc. Tanja Mölders) ist in den Raum-, Umwelt- und Nachhaltigkeitswissenschaften verortet. ‚Care‘ stellt ein aktuell viel beachtetes Thema der Geschlechterforschung dar. Das Forschungsvorhaben setzt in macht- und herrschaftskritischer Perspektive an den theoretischen und gegenstandsbezogenen ‚blinden Flecken‘ der Care-Debatte an. Es wird der Frage nachgegangen, ob und wie die vornehmlich sozialwissenschaftlichen Zugänge zu ‚Care‘, die auf die Analyse von Mensch-Mensch-Beziehungen ausgerichtet sind, eine Erweiterung auf den Gegenstandbereich ‚Natur/en‘ ermöglichen. Entsprechend ist das Ziel des Vorhabens, die macht- und herrschaftskritische Perspektive der Geschlechterforschung auf Debatten zu ‚Care‘ um ein Konzept der Vorsorge für naturbezogene Handlungsbereiche zu erweitern. Als Ergebnis der Zusammenarbeit wird die Entwicklung von weiterführenden Forschungsperspektiven, z.B. im Blick auf die Anwendung der Forschungsergebnisse in den ‚klassischen‘ Felder von Care-Tätigkeit etwa im Gesundheitsund Pflegebereich, erwartet.