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Fiktionale Rede

2004, Semantik und Ontologie

In: Mark Siebel and Mark Textor (eds.), Semantik und Ontologie, Frankfurt/M.: ontos 2004, 169-184.

Lässt sich die Bezugnahme auf fiktionale Gegenstände aus unserer

Rede eliminieren, oder gibt es solche Gegenstände tatsächlich?

Die dritte Frage betrifft unmittelbar die Ontologie fiktionaler Gegenstände; sie gehört zur Kategorie der "Was gibt es?"-Fragen. Die Frage drängt sich auf, wenn man bedenkt, dass Nichtexistenz geradezu ein Definitionsmerkmal fiktionaler Gegenstände zu sein scheint. Schließlich heißen diese Gegenstände deshalb "fiktional", weil sie nicht in (der) Wirklichkeit existieren, sondern (bloß) in der Fiktion: etwa in Kafkas Erzählungen, in Conan Doyles Detektivgeschichten oder in der griechischen Mythologie. Wer diese Charakterisierung akzeptiert und ihren ersten Teil (dem zufolge fiktionale Gegenstände nicht wirklich existieren) wörtlich nimmt, der vertritt einen Antirealismus in Bezug auf fiktionale Objekte: Er bestreitet die Existenz solcher Entitäten. Wer hingegen aufgrund des zweiten Teils der Charakterisierung (dem zufolge solche Gegenstände in der Fiktion existieren) annimmt, dass es fiktionale Entitäten sehr wohl gibt, der vertritt eine realistische Position.

Vorderhand haben die realistische und die antirealistische Auffassung beide gleichermaßen etwas für sich. Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt einmal das folgende Zitat.

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. [...] "Was ist mit mir geschehen?" dachte er. Es war kein Traum. Sein Zimmer, ein richtiges, nur etwas zu kleines Menschenzimmer, lag ruhig zwischen den vier wohlbekannten Wänden. Offenbar ein klassisches Paradox, das unseren konfligierenden realistischen beziehungsweise antirealistischen Intuitionen geschuldet ist. Um dieses Paradox auflösen zu können, müssen wir die dritte -die ontologische -Frage beantworten, die ich eingangs aufgeworfen habe: Lässt sich die Bezugnahme auf fiktionale Gegenstände aus unserer Rede eliminieren?

Ein Realist wird diese Frage negativ beantworten. Man stößt in der neueren Forschungsliteratur auf mindestens drei Spielarten des Realismus. In all diesen Versionen wird behauptet, dass den fiktionalen Gegenständen eine eigentümliche Seinsart zukommt.

(i) Die so genannten Meinongianer vertreten (im Anschluss an Alexius Meinong) die Auffassung, dass es diese Gegenstände zwar gibt, dass sie aber nicht wirklich existieren was auch immer das genau heißen mag. Ein ontologischer Unterschied zwischen real existierenden und fiktionalen Entitäten ist jedenfalls aus meinongianischer Sicht der: dass fiktionale Gegenstände nicht vollständig bestimmt sind. Sherlock Holmes z.B. ist zwar ein Mensch, aber anders als bei realen Menschen ist es unbestimmt, ob er Blutgruppe A hat oder nicht; und zwar deshalb, weil Arthur Conan Doyle der Autor von Sherlock Holmes sich über die Blutgruppe seines Protagonisten ausgeschwiegen hat (vgl. Parsons 1975, 80).

Nun ist das Prädikat "hat Blutgruppe A" anders als etwa das Prädikat "ist ein Glatzkopf " keineswegs vage, sondern exakt definiert. Der Meinongianer ist demnach gezwungen, selbst für Eigenschaften, die durch nicht-vage Prädikate ausgedrückt werden, den Satz vom ausgeschlossenen Dritten aufzugeben (also das logische Gesetz, dem zufolge jede Eigenschaft einem Gegenstand entweder zukommt oder nicht zukommt). Es wäre gut, wenn wir der philosophischen Probleme, die fiktionale Werke aufwerfen, mit weniger drastischen Maßnahmen Herr werden könnten.

(ii) Die so genannten Fregeaner betrachten fiktionale Gegenstände demgegenüber (inspiriert durch die Semantik Gottlob Freges) als vollständig bestimmte "Individualbegriffe", nämlich als Bedeutungen (Sinne) fiktionaler Eigennamen wie z.B. "Sherlock Holmes" (vgl. Parsons 1987, 52ff.).

Dieser Vorschlag hat u.a. mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass manche Personen in einer Geschichte unter verschiedenen Namen ein Doppelleben führen (man denke an Dr. Jekyll und Mr. Hyde): Um sicherzustellen, dass wir es beiderseits mit derselben fiktionalen Person zu tun haben, müsste der Fregeaner diesen Namen ein und denselben Individualbegriff zuordnen, was aber der fregeschen Theorie komplett widerspricht (vgl. ebd., 58f.).

Schließlich wären noch (iii) die literaturtheoretischen Platonisten zu nennen (deren Hauptvertreter Peter van Inwagen ist): Sie fassen fiktionale Gegenstände als theoretische Entitäten der Literaturkritik auf, d.h. als abstrakte Gegenstände, über die man ausschließlich im theoretischen Vokabular der Literaturwissenschaft etwas Wahres sagen kann (vgl. Inwagen 1977, 302f.).

Auch diese Position erscheint mir nicht sehr attraktiv. Nehmen wir die Aussagen (S1) und (S2): Eine dieser beiden Aussagen ist (buchstäblich) wahr, aber sind die Aussagen in literaturtheoretischem Vokabular formuliert? Ich glaube: nein.

Wenden wir uns nach diesen wenig aussichtsreichen Versuchen, den Realismus auszubuchstabieren, der antirealistischen Sichtweise zu. Ein Antirealist wird die Frage, ob sich unsere Rede über fiktionale Gegenstände eliminieren lässt, mit "Ja" beantworten. Im Hintergrund steht dabei der folgende Gedanke.

Gregor Samsa, Sherlock Holmes, Pegasus und Konsorten verdanken ihre Existenz in der Fiktion und ihre charakteristischen Eigenschaften ein-zig und allein dem Umstand, dass es dergleichen wie Autoren gibt, die fiktionale Werke produzieren und in irgendeiner Form in Umlauf bringen. Diese fiktionalen Werke enthalten Gregor-Samsa-, Sherlock-Holmes-oder Pegasus-Beschreibungen. Alles, was sich scheinbar wahrheitsgemäß über diese Figuren aussagen lässt, müsste sich daher unter Bezugnahme auf ihre Beschreibungen innerhalb fiktionaler Werke ausdrücken lassen. Die gesuchten Paraphrasen handeln nicht mehr von fiktionalen Charakteren, sondern von real existierenden fiktionalen Werken. Diese Paraphrasen sind dann nicht nur scheinbar, sondern wirklich wahr.

Mir leuchtet diese Überlegung ein. Ich will mich daher im Folgenden auf die Seite des Antirealisten schlagen. Zu diesem Zweck möchte ich an eine Strategie anknüpfen, mit deren Hilfe sprachanalytische Philosophen, darunter David Lewis und (hierzulande) Wolfgang Künne, die Funktionsweise verschiedener Aspekte metafiktionaler Rede erläutert haben.

Unter "metafiktionaler Rede" verstehe ich die behauptende Rede über fiktionale Gegenstände. Wer z.B. den ontologischen Sachverhalt konstatiert, dass Sherlock Holmes ein fiktionaler Detektiv ist, der redet metafiktional. Dasselbe gilt für einen Conan-Doyle-Leser, der die vergleichsweise banale Feststellung trifft, dass Holmes in der Baker Street wohnte. Doch auch wer die ganz und gar nicht banale Interpretationshypothese verficht, dass Holmes und Watson ein erotisches Verhältnis hatten, stellt eine metafiktionale Behauptung auf.

Die metafiktionale Rede bildet eine Unterklasse der fiktionalen Rede. Zur Kategorie der fiktionalen Rede gehören außerdem die intrafiktionale und die interfiktionale Rede. Wenn es im Mythos heißt, das Flügelross Pegasus sei dem Rumpf der Medusa entsprungen, dann ist diese Rede intrafiktional: Es wird in der griechischen Mythologie etwas Bestimmtes über Pegasus gesagt. Interfiktional sind Beschreibungen innerhalb eines fiktionalen Werkes, die dessen Figuren zu Charakteren aus anderen Fiktionen in Beziehung setzen wie das z.B. in Die Rückverwandlung des Gregor Samsa geschieht.

Lewis und Künne paraphrasieren metafiktionale Aussagen nun vermittels so genannter narrativer Operatoren. Dabei handelt es sich um Ausdrücke wie den folgenden: "Der griechischen Mythologie zufolge" Der Terminus "narrativer Operator" (vgl. Künne 1983, 313) erscheint mir freilich nicht ganz glücklich gewählt. Immerhin besitzen ja auch historiographische Werke wie Der Peleponesische Krieg von Thukydides oder Sebastian Haffners Preußen ohne Legende narrativen Charakter: Es werden historische Ereignisse erzählerisch dargestellt. Aber die Behauptung, dass solche Werke der Literaturgattung "Fiktion" zuzurechnen sind, stellt gelinde gesagt eine riskante Hypothese dar (vgl. Zipfel 2001, 171-179). Ich ziehe daher die in dieser Beziehung neutralere Bezeichnung "fiktionaler Operator" vor.

Mit Hilfe eines fiktionalen Operators kann man aus einer intra-oder interfiktionalen Beschreibung einen explizit metafiktionalen Aussagesatz generieren; es handelt sich demnach um einen satzbildenden Satzoperator. So wird beispielsweise die Beschreibung "Holmes hatte einen furchtbaren Verdacht" in einen Behauptungssatz des folgenden Typs überführt: "Derund-der Sherlock-Holmes-Geschichte zufolge hatte Holmes einen furchtbaren Verdacht."

Die Analyse metafiktionaler Rede mit Hilfe fiktionaler Operatoren liefert nicht nur eine Antwort auf die im engeren Sinne sprachphilosophische Frage 2 ("Wie funktioniert die Rede über fiktionale Gegenstände?"). Sie bietet überdies auch die Möglichkeit, die antirealistische Antwort auf die ontologische Frage 3 in einer Art und Weise zu begründen, die uns instand setzt, das Paradox (S3) (und seinesgleichen) auf befriedigende Weise aufzulösen. Dazu ist allerdings ein vertieftes Verständnis der Bedeutung fiktionaler Operatoren erforderlich.

Doch ehe wir uns der metafiktionalen Rede zuwenden können, müssen wir die Verwendungsweise sprachlicher Ausdrücke innerhalb fiktionaler Werke klären, d.h. wir müssen Frage 1 beantworten.

Intra-und interfiktionale Rede

Zunächst benötigen wir Klarheit darüber, wer eigentlich als (der) Sprecher intra-und interfiktionaler Rede zu gelten hat. Unstrittig ist, wer fiktionale Werke produziert: natürlich der oder die Autoren des jeweiligen Werkes. Aber können wir dem Autor die Sätze seines Werkes auch in den Mund legen?

Nehmen wir den Autor von Sherlock Holmes. Er scheint die Abenteuer seines Helden nicht selber zu erzählen; das tut vielmehr der Ich-Erzähler Dr. Watson, also ein von Conan Doyle erfundener fiktionaler Charakter. Doch selbst bei fiktionalen Erzählungen in der dritten Person ist es geboten, den Autor nicht als Erzähler der Geschichte zu betrachten. Denn der Erzähler stellt die von ihm beschriebenen Begebenheiten als wahr hin. Der Autor tut das nicht. Er gibt lediglich in der Manier eines Schauspielers, d.h. ohne sein Publikum täuschen zu wollen, vor, der Erzähler einer Geschichte zu sein, die sich tatsächlich zugetragen hat (vgl. Lewis 1983, 266;Searle 1982, 86f.). Der kompetente Leser weiß dies, und der Autor will, dass der Leser es weiß.

Der Autor kann also sehr wohl als Sprecher fiktionaler Rede gelten, aber er gibt ohne den Leser täuschen zu wollen lediglich vor, der Erzähler zu sein, sprich: einen ernsthaften Bericht über reale Geschehnisse zu geben. Er tut bloß so, als ob er etwas behaupte. Unter Umständen gibt der Autor dabei zugleich vor, jemand anders zu sein etwa Watson -; und zwar abermals ohne Täuschungsabsicht.

Eine analoge Unterscheidung kann man auf der Rezipientenseite treffen. Der Rezipient eines fiktionalen Werkes ist niemand anderes als der Leser (respektive Hörer) der vom Autor produzierten fiktionalen Rede. Soweit er sich auf die erzählte Geschichte und damit gewissermaßen auf die Spielregeln des Autors einlässt, nimmt der Leser vorübergehend im Modus des "Als-ob" die Einstellung des Adressaten eines Tatsachenberichts ein. Der Unterscheidung Autor/Erzähler entspricht demnach auf der Rezipientenseite diejenige zwischen Leser und Adressat (vgl. Zipfel 2001, 248). Das dieser Doppelstruktur zugrunde liegende mimetische "Spiel" zwischen Autor und Leser wird in der neueren Forschungsliteratur auch als make-belief bezeichnet (vgl. Walton 1990, 67ff. u.ö.).

Wenn nun der Sprecher intra-beziehungsweise interfiktionaler Rede keine Behauptungen trifft, sondern nur so tut, als ob, und der kompetente Leser dies auch weiß, dann scheint diese Rede eine eigene Sorte sprachlicher Handlungen zu markieren, die man als das Aufstellen von Quasi-Behauptungen bezeichnen könnte (vgl. Künne 1983, 292). Gegen diese nahe liegende Betrachtungsweise hat jedoch John Searle den folgenden Einwand erhoben:

[W]enn [...] die Sätze in einem fiktionalen Text verwendet würden, um ganz andere Sprechakte zu vollziehen, als sie sich aus ihrer wörtlichen Bedeutung ergeben, dann müßten sie eine andere Bedeutung haben. Daher ist jeder, der behaupten will, Fiktion enthalte ganz andere [Sprechakte] als Nicht-Fiktion, zu der Ansicht gezwungen, daß Wörter in fiktionalen Texten nicht ihre normale Bedeutung haben. Diese Auffassung ist zumindest prima facie unmöglich, denn träfe sie zu, könnte niemand einen fiktionalen Text verstehen, ohne neue Bedeutungen für all die Wörter und anderen Elemente zu lernen, die in dem fiktionalen Text enthalten sind [...]. (Searle 1982, 86) Ich finde diesen Einwand nicht überzeugend. Searle argumentiert, dass etwaige Sprechhandlungen der ins Auge gefassten Sorte, also Quasi-Behauptungen, "ganz andere Sprechakte" mit ganz anderen Bedeutungen wären als ernsthafte Behauptungen. Quasi-Behauptungen sind aber meines Erachtens, was ihre Bedeutung anbelangt, parasitär gegenüber den (echten) Behauptungen, die durch sie imitiert werden (contra Rorty 1983, 73f.). Wenn z.B. Conan Doyle quasi-behauptet, Holmes habe in der Baker Street gewohnt, dann gilt: Wäre das, was Doyle auf diese Weise vorgibt, tatsächlich der Fall, dann würde er eine Behauptung des Inhalts aufstellen, dass Holmes in der Baker Street gewohnt hat. Die Bedeutung der Quasi-Behauptung steht also in denkbar enger Beziehung zur Bedeutung der entsprechenden Behauptung. Searles Prämisse "Wenn Quasi-Behauptungen eine eigene Sorte sprachlicher Handlungen bilden würden, so hätten sie ganz andere Bedeutungen als Behauptungen" ist somit verkehrt. Sein Argument widerlegt daher mitnichten die hier vertretene These, dass Quasi-Behauptungen (den Behauptungen freilich verwandte) sprachliche Handlungen sui generis darstellen.

Wie viele andere Handlungen auch, sind Quasi-Behauptungen ihrerseits aus Teil-Handlungen zusammengesetzt. Wenn der Verfasser der Verwandlung quasi-behauptet, Gregor Samsa habe sich in ein Ungeziefer verwandelt, dann enthält diese Sprechhandlung den folgenden Teil-Akt: Der Verfasser gibt vor, und zwar ohne Täuschungsabsicht, dass er auf einen gewissen Gregor Samsa Bezug nimmt, um etwas über ihn zu berichten.

Man könnte diesen mimetischen Akt als Quasi-Bezugnahme bezeichnen (vgl. Künne 1983, 293f.).

Damit ergibt sich folgendes Bild. Wenn in der Verwandlung oder der Rückverwandlung steht, dass Gregor Samsa sich in ein Ungeziefer verwandelt hat, so kann man diese Beschreibung als Quasi-Behauptung des Autors ansehen, die den Leser gewissermaßen dazu auffordert, sich vorübergehend in die Rolle des Adressaten eines Tatsachenberichts zu versetzen. In diese Quasi-Behauptung geht eine Quasi-Bezugnahme auf eine Person namens Gregor Samsa ein, an die der Leser sozusagen im "Offline"-Modus im Modus des "Als-ob" denken soll. Und analog für sonstige intra-beziehungsweise interfiktionale Beschreibungen.

Soviel zur Frage 1 nach der Funktionsweise der Rede innerhalb fiktionaler Werke. Nun zur Frage 2: Wie funktioniert die Rede über fiktionale Gegenstände?

Metafiktionale Rede

Drei Beispiele metafiktionaler Rede haben wir bereits kennen gelernt: die ontologischen Behauptungen (S1) bis (S3). Hier ist ein weiteres Exempel aus dieser Kategorie:

(S4) Gregor Samsa ist ein fiktionaler Handlungsreisender.

Während es sich bei (S1) bis (S3) um Antworten auf die Frage "Was gibt es?" handelt, haben wir es bei (S4) mit einem möglichen Kandidaten zur Beantwortung der Frage "Wie existiert das, was es gibt?" zu tun.

Nicht (S9) zu ermitteln, muss man die Beschreibungen innerhalb des fiktionalen Werkes im Sinne figurativer Rede (z.B. als Metapher) auffassen und herausfinden, welche Aspekte der Wirklichkeit der Autor auf diese Weise zu beleuchten vermag (beziehungsweise welche er zu beleuchten intendiert). Man könnte solche Aussagen wie (S8) und (S9), in denen Fiktion und Realität miteinander verglichen werden, als transfiktionale Metaaussagen titulieren.

Für die Wahrheit oder Falschheit von Behauptungen wie (S10) schließlich ist der konkrete Inhalt fiktionaler Werke weitgehend irrelevant. Man könnte sie aus offensichtlichen Gründen als wirkungsgeschichtliche Metaaussagen bezeichnen.

Zur Analyse metafiktionaler Aussagen

Die folgende Überlegung spricht meines Erachtens dafür, metafiktionale Aussagen mit Hilfe fiktionaler Operatoren zu analysieren.

Wenn wir nicht-metafiktionale Behauptungen aufstellen wollen, sehen wir uns oft gezwungen, dies deutlich zu machen, indem wir den Ausdruck "in Wirklichkeit" (oder ein Synonym) verwenden. (Beispiel: "In Wirklichkeit kann sich niemand in ein Ungeziefer verwandeln.") Dieser Umstand deutet darauf hin, dass metafiktionale Äußerungen oftmals elliptisch sind: dass sie also ihren inhaltlichen Bezug aufs Fiktionale unterschlagen (der geäußerte Satz ist nicht explizit metafiktional), so dass sie leicht mit nichtmetafiktionalen Behauptungen verwechselt werden können (vgl. Künne 1983, 321). Das scheint z.B. für die unifiktionale Metaaussage zu gelten, die man mit dem Satz (S5) machen kann. Dieser Satz fungiert dann je nach Hintergrundwissen des Sprechers als elliptische Variante eines der folgenden drei Sätze:

Kafkas Verwandlung zufolge war Gregor Samsa Reisender.

Einer fiktionalen Erzählung von Kafka zufolge war Gregor Samsa Reisender.

Einer fiktionalen Erzählung zufolge war Gregor Samsa Reisender.

Der Einfachheit halber halte ich mich im Folgenden an Paraphrasen des ersten Typs, wobei ich die Bezeichnung des einschlägigen fiktionalen Werkes durch den (bei Bedarf indizierten) Buchstaben "F" abkürze. (S5) wird also (fürs Erste) folgendermaßen paraphrasiert:

(S5 ) F zufolge war Gregor Samsa Reisender. Lewis (1983, 263) schlägt vor, sämtliche unifiktionalen Metaaussagen nach diesem Muster zu analysieren. Künne geht noch ein paar Schritte wei-ter, indem er dieses Analyseverfahren auch auf multifiktionale und (einige) transfiktionale Metaaussagen anwendet.

Anders als Lewis lässt Künne den fiktionalen Operator selbst allerdings unanalysiert. Er macht lediglich darauf aufmerksam, dass es sich dabei um einen intensionalen Operator handelt. Es ist mit anderen Worten nicht legitim, aus einem Satz wie (S5 ), der durch einen fiktionalen Operator eingeleitet wird, den Schluss zu ziehen, dass es wirklich jemanden gibt, für den einer fiktionalen Erzählung zufolge das-und-das gilt beispielsweise, dass er Reisender war. Dieser Befund ist natürlich Wasser auf die Mühlen des Antirealisten. Lewis (1983, 262) betrachtet fiktionale Operatoren ebenfalls als intensional. In der einfachsten Form, die Lewis' Grundidee reflektiert (auf die ich mich der Übersichtlichkeit halber beschränke), lässt sich (S5) Lewis 1983, 269f.) Um stimmige metafiktionale Behauptungen (der Sorten (S1) bis (S9)) aufstellen zu können, muss man derlei Inkonsistenzen ohnehin beseitigen (beziehungsweise ignorieren). In (S5 ) steckt noch eine Existenzannahme, die wir explizit machen müssen, wenn wir die Bezugnahme auf fiktionale Objekte aus unserer Rede eliminieren wollen:

(S5 ) Es gibt ein fiktionales Werk, nämlich F, für das gilt: Wäre das in F Erzählte wahr, dann wäre Gregor Samsa Reisender gewesen.

Auch (S1) bis (S4) und (S6) bis (S10) lassen sich nach dem Muster von (S5 ) analysieren:

(S1 ) Es gibt ein fiktionales Werk, nämlich F, für das gilt: Wäre das in F Erzählte wahr, dann würde Gregor Samsa existieren. Bei Aussagen wie (S9) und (S10) stößt die Analyse metafiktionaler Behauptungen mittels fiktionaler Operatoren freilich an gewisse natürliche Grenzen. Zum einen gehen anspruchsvolle Interpretationshypothesen wie (S9) thematisch weit über den bloßen Erzählgehalt des betreffenden Werkes hinaus. Sie sind daher wohl nur im Rahmen einer literaturwissenschaftlichen Hermeneutik vollständig analysierbar. Zum anderen sind (wie schon erwähnt) die Wahrheitsbedingungen wirkungsgeschichtlicher Metaaussagen wie (S10) weitgehend unabhängig vom jeweiligen Erzählgehalt. Für Aussagen wie (S9) und (S10) hat denn auch weder Lewis noch Künne eine Paraphrase im Angebot.

Spätestens jetzt macht es sich bezahlt, dass wir analytisch etwas tiefer in die Struktur des fiktionalen Operators eingedrungen sind. Ich habe zwar jeweils nur eine partielle Analyse von (S9) und (S10) anzubieten, die dringend einer literaturhermeneutischen Vervollständigung bedarf. Meine Paraphrasevorschläge verdeutlichen aber immerhin, dass die Rede über fiktionale Charaktere auch in solchen Fällen prinzipiell entbehrlich ist und das ist der philosophisch interessante Punkt, auf den es mir ankommt: Ein Antirealist in Bezug auf fiktionale Charaktere kann (S11) und (S12) jedoch (so lautet meine Hypothese) im Rekurs auf die relevante Beschreibungsdichte paraphrasieren, also die Anzahl der Eigenschaften, für die gilt: Wäre das im einschlägigen fiktionalen Werk Erzählte wahr, dann würden diese Eigenschaften von einer bestimmten (unter solchen kontrafaktischen Umständen existenten) Person exemplifiziert, über die der jeweilige Erzähler berichtet. Meine (tentativen) Paraphrasevorschläge lauten:

(S11