Beiträge zur Basler Geschichte
Leonhard Burckhardt
Lucas Burkart
Jan Loop
Rolf Stucky
(Hgg./eds.)
Johann Ludwig Burckhardt
Sheikh Ibrahim
Entdeckungen im Orient um 1800
Discoveries in the Orient around 1800
Christoph Merian Verlag
Johann Ludwig Burckhardt
Sheikh Ibrahim
Autor
Beiträge zur Basler Geschichte
Leonhard Burckhardt, Lucas Burkart,
Jan Loop, Rolf Stucky ( Hgg. / eds. )
Johann Ludwig Burckhardt
Sheikh Ibrahim
Entdeckungen im Orient um 1800
Discoveries in the Orient around 1800
Christoph Merian Verlag
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Lektorat : Doris Tranter, Basel
Gestaltung und Satz : icona basel
Lithos : LAC AG, Basel
Druck und Bindung : Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell
Papier : Lessebo Design Smooth natural 115 g / m2
ISBN 978-3-85616-890-2
www.merianverlag.ch
Inhalt / Contents
Herausgeber / Editors
11
Vorwort
Antonio Loprieno
13
Johann Ludwig Burckhardt at the Origins of Orientalism
I Burckhardts Werdegang / Burckhardt's Career
Beat von Wartburg
26
Zwischen Revolution und Restauration
Johann Ludwig Burckhardt und Basel
45
Burckhardt in Cambridge
Study and Dialogue
64
Vertrag zwischen der ‹African Association› und
Johann Ludwig Burckhardt
Catherine Ansorge
Rolf A. Stucky und Hartwig Isernhagen
II Burckhardt als Reisender / Burckhardt the Traveller
Jan Loop
82
Maskerade in der Wüste?
Sheikh Ibrahims Reisemethode im Kontext seiner Zeit
Inhalt
Marcel Kurpershoek
101 Burckhardt’s Quest for Bedouin Purity
Arabic Antecedents and European Followers
Stephanie Zehnle
110 River of Storytellers
Burckhardt’s Mental Exploration of the Niger and Sub-Saharan Africa
Nelly Hanna
126 Burckhardt in Cairo
III Burckhardt und die Wissenschaften /
Burckhardt and Scholarship
Rolf A. Stucky
136 Johann Ludwig Burckhardt und die Archäologie seiner Zeit
« The treasures of this country are not beneath the earth ;
they come from God, and are on the surface of the earth »
Tobias Mörike
152 Mit Wörterbuch und Kompass
Johann Ludwig Burckhardt als Kartograf
Giovanni Bonacina
162 Der philosophische Hintergrund
Niebuhr, Seetzen und Burckhardt
Inhalt
Maurus Reinkowski
183 Burckhardt als Orientalist
Michael Ledger-Lomas
200 Burckhardt and the Prophets in Nineteenth-Century Britain
Yasmin Faghihi
215 Burckhardts Sammlung arabischer Handschriften
Ein Schatz der ‹ Cambridge University Library ›
Anhang /Appendix
238 Bildnachweis / Image Credits
Allgemeine Bibliografie / General Bibliography
Burckhardt, John L. / Association for Promoting the Discovery of the Interior
Parts of Africa (ed.) : Arabic Proverbs or the Manners and Customs of the
Modern Egyptians Illustrated from their Proverbial Sayings at Cairo. London 1830.
Burckhardt, John L. / Association for Promoting the Discovery of the Interior
Parts of Africa (ed.) : Travels in Nubia. London 1819.
Burckhardt, John L. / Association for Promoting the Discovery of the Interior
Parts of Africa (ed.) : Travels in Syria and the Holy Land. London 1822.
Burckhardt, John L. / Association for Promoting the Discovery of the Interior
Parts of Africa (ed.) : Travels in Arabia. Comprehending an Account of
those Territories in Hedjaz which Mohammedans Regard as Sacred. London 1829.
Burckhardt, John L./ Association for Promoting the Discovery of the Interior
Parts of Africa (ed.) : Notes on the Bedouins and Wahabys. Collected
During his Travels in the East. London 1830.
Burckhardt, Johann L./ Burckhardt-Sarasin, Carl ; Schwabe-Burckhardt, Hansrudolf (Hgg.): Scheik Ibrahim (Johann Ludwig Burckhardt). Briefe an Eltern und Geschwister. Basel 1956.
9
Vorwort
« Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterland und in seinem Hause » – diese Worte, die der Evangelist Matthäus Christus in den Mund gelegt hat,
treffen auch für den zum Islam konvertierten Johann Ludwig Burckhardt zu : In
der Heimat stehen seine Schriften im Schatten der beiden Namensvettern Jacob
und Carl Jacob und unter den Orientreisenden des 18. und frühen 19. Jahrhunderts überstrahlten bisher die Publikationen Carsten Niebuhrs und Jasper Ulrich
Seetzens sein wissenschaftliches Werk.
Der 200. Todestag Sheikh Ibrahims bot den richtigen Zeitpunkt, seiner in
Basel in angemessenem Rahmen zu gedenken. Dem genius loci seines Auftraggebers entsprechend, der British Association for the Discovery of the Interior
Parts of Africa, entstand der Plan eines internationalen Kolloquiums mit dem
Ziel, den Werdegang und das Werk Burckhardts aus unterschiedlichen Gesichtspunkten neu zu beleuchten ; diese Idee selbst entstand jedoch nicht in Burckhardts Heimatstadt, sondern in London – im Hof der British Library. Den beiden
Initianten, Jan Loop von der Universität Kent und Rolf A. Stucky, schlossen sich
die beiden Basler Historiker Leonhard Burckhardt und Lucas Burkart für die
Organisation, die Durchführung der Tagung und für die Drucklegung der Tagungsakten spontan an. In der Universität Basel teilten am 19. und 20. Oktober
2017 Referentinnen und Referenten aus dem In- und Ausland ihre Ideen und
Ansichten zu Burckhardt und seinen Studien mit einem interessierten Publikum.
In einem von der Burckhardt’schen Familienstiftung in der Alten Aula organisierten Abendvortrag mit anschliessendem Empfang stellte Jan Loop den Jubilar
eindrücklich in den weiten Rahmen gleichzeitiger Orientforscher und analysierte die Gemeinsamkeiten dieser Reisenden ebenso wie das Spezifische im Werk
John Lewis Burckhardts. Der Empfang im historischen Ambiente des Museums
der Kulturen, an dem nicht nur Angehörige der Familie Burckhardt, sondern
11
Vorwort
auch zahlreiche ‹ Fans › von Sheikh Ibrahim teilnahmen, wird allen in lebendigster Erinnerung bleiben – Sheikh Ibrahim resurrexit.
Das Historische Museum Basel hatte seinerseits die Chance ergriffen, des
200. Todestages eines seiner bedeutendsten Bewohner zu gedenken, war doch der
Bauherr des Hauses zum Kirschgarten, das heute zu den Standorten des Museums
zählt, Johann Rudolf Burckhardt, der Vater des späteren Orientreisenden. In
einer Kabinettschau wurden die wenigen Erinnerungsstücke an Johann Ludwig
Burckhardt, darunter auch ein Konvolut bisher unveröffentlichter Briefe an die
Familien im sogenannten Freundschaftstempel des Kirschgartens vorgestellt.
Ohne die grosszügige Unterstützung der UBS Kulturstiftung sowie der Max
Geldner-Stiftung und der Freien Akademischen Gesellschaft in Basel ; ohne den
Goodwill der Vereinigung der Freunde Antiker Kunst wäre die Durchführung
der Tagung nicht möglich gewesen. Der Burckhardt-Stiftung verdanken wir den
festlichen Rahmen der Abendveranstaltung. Allen Institutionen gilt unser ausdrücklicher, tiefer Dank. Danken möchten wir zudem den Mitarbeitenden des
Departements Altertumswissenschaften der Universität Basel, die sich schon
Monate vor der Tagung und noch lange danach intensiv für den Erfolg des
Projekts engagiert haben ; namentlich genannt seien Ricarda Berthold, Lucia
D’Ambrosio, Delia Sieber und insbesondere Ruth Zillhardt. Bei der nicht eben
einfachen Suche nach einem passenden Raum für die Tagung und bei der Reglung finanzieller Fragen im Rahmen von Departement und Fakultät war Frank
Faessler eine grosse Hilfe.
Der Christoph Merian Verlag hatte schon während des Kolloquiums Interesse
an der Publikation der Tagungsakten gezeigt – ein Angebot, das die Herausgeber
mit Dank annahmen. Für die Betreuung des Manuskripts seitens des Verlags
danken wir Claus Donau und Doris Tranter. Bei der Christoph Merian Stiftung und
der Bürgergemeinde der Stadt Basel bedanken wir uns für die finanzielle Unterstützung der Drucklegung. Die Redaktion der englischsprachigen Beiträge lag in
der Hand Jan Loops, jene der deutschsprachigen in der Hand Lucas Burkarts, dem
die beiden anderen Mitherausgeber als Lektoren zur Seite standen ; die Einrichtung der Manuskripte hat Aline Vonwiller übernommen.
Die Herausgeber
12
Autor
I
Burckhardts Werdegang /
Burckhardt's Career
Zwischen Revolution und Restauration
Johann Ludwig Burckhardt und Basel
Beat von Wartburg
Bereits mit fünfzehn Jahren verlässt Johann Ludwig Burckhardt seine Vaterstadt Basel zunächst für Internats- und Studienjahre, dann nach einem kurzen
Aufenthalt in Basel 1805 für immer. Er ist fortan so etwas wie ein korrespondierendes Mitglied seiner Familie und der Basler Gesellschaft. Der nachfolgende
Beitrag versucht, den zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext – sozusagen die
Rahmenhandlung – zu Johann Ludwig Burckhardts kurzem Leben zu beschreiben. Dies auch in der Hoffnung, den Motiven für sein Fortgehen, sein Leben in
der Ferne, für seine Reise- und Entdeckerlust näherzukommen. Es wird dabei
– nolens volens – viel um die prägende Welt des Vaters gehen müssen. Und : Es
wird ein Ritt im Galopp durch eine Zeitenwende.
I. Ancien Régime
Zwischen klassizistischem Stadtpalais und bukolischem Gutshof
Mit fünfzehntausend Einwohnern war die Stadt Basel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die grösste Stadt der Alten Eidgenossenschaft und
dank der Seidenbandfabrikation und den Marchand-Banquiers wohlhabend. So
weltoffen die Stadt in ökonomischer Hinsicht war, so in sich gekehrt zeigte
sie sich in gesellschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht.
In seiner Basler Geschichte beschrieb der Aufklärer und Staatsmann Peter
Ochs das Ancien Régime als ereignisarmen « Zeitraum des Wohlstandes » 1.
Wichtigste politische Themen waren das französisch-schweizerische Bündnis
von 1777, die Fruchtteuerung, die Begrüssung von Königin Marie Antoinette
in Strassburg durch eine Basler Delegation, das Auswanderungsverbot, der
Inkognito-Besuch des Kaisers Joseph in Basel, Ämterbesetzungen und Streitereien über Wahlkompetenzen der Zünfte. So sah es der Basler Binnenblick. Von
einer « Agonie des Ancien Régime » 2 kann keine Rede sein – im Gegenteil : Die
26
Zwischen Revolution und Restauration
kleine Welt schien unverrückbar zu sein, war stabil, friedlich, wohlhabend,
reformresistent.
Und wie wurde Basel von aussen wahrgenommen ? Die norddeutschen Gelehrten Joachim Heinrich Campe, Christian Gottlieb Schmidt und Christian
Cajus Lorenz Hirschfeld hatten Basel zwischen 1783 und 1786 besucht und ihre
Beobachtungen im Stile der damals modischen Reiseliteratur publiziert. Basel
sei für seine « Größe … wenig bevölkert. Die Lebhaftigkeit, die man auf den
Gassen » wahrnehme, rühre « mehr von der großen Anzahl der Reisenden …, als
von der Volksmenge der Stadt her ».3 Das Stadtbild sei, so Campe, mittelalterlich
geprägt, « die Häuser größtentheils von alter geschmackloser Bauart ».4 Hirschfeld schrieb : « Der Geschmack scheint sich hier in den schönen Kabinetten von
Gemälden, Kupferstichen und Zeichnungen, wodurch Basel berühmt ist, zu verschliessen ; in den öffentlichen Gegenständen, die dem Volke so nahe vor dem
Auge liegen, ist er wenigstens nicht sichtbar. » « Inzwischen » hätten allerdings
« einige Männer von Vermögen und Kenntniß den Anfang gemacht, Basel mit
neuen Gebäuden zu verschönern. Diesen Verdienst haben sich besonders die
Herren Sarrasin und Burcard ein Freund und Beförderer der schönen Künste,
erworben … » 5 Die Bautätigkeit werde allerdings stark durch die Prachtgesetze
behindert, wobei gleichzeitig zu beobachten sei, dass die Prachtliebe da am
ausgeprägtesten sei, wo die Aufwandgesetze am strengsten seien.
Früher sei Basel « die Heimat der Wissenschaften und die Wiege grosser Gelehrter gewesen … », schrieb Campe. Doch heute sei die Universität so unbedeutend, weshalb man sich fragen müsse, « warum man sie nicht schon längst »
habe eingehen lassen. Man streite da über Fragen wie : ob man « seine Vernunft
auch in Glaubenssachen gebrauchen dürfe ». Daran sehe man, dass die « Aufklärung über Dinge dieser Art hier noch keine sonderlichen Fortschritte gemacht
haben » könne.6 Basel sei eine « Handelsstadt, die so sehr an dem Herkommen »
hänge, dass « Verbesserungen des Alten nicht so leicht zu erwarten » seien,
schrieb Hirschfeld.7 Der « Genuß wichtiger Privatvortheile » stehe im Vordergrund. Man habe sich hier in der « Behaglichkeit an einem guten Weideplatz, wo
nichts Fremdes grasen darf », eingerichtet. Es gebe zwar « keine hervorstechende
Verachtung der Ausländer … sondern fast nur pflegmatische Nichtachtung des
Auswärtigen … » Eine Folge der mangelnden Zuwanderung sei, dass « bald alle
27
Burckhardts Werdegang
miteinander verwandt und verbunden werden ». « Der ganze Staat oder die Stadt
macht gleichsam Eine einzige große Familie aus, die durch nähere oder entferntere Gelenke zusammenhängt … In einem solchen Zirkel enger und immer in
sich selbst verschlossener Familien gibt es nicht leicht eine wohlthätige Ebbe
und Fluth, wie in offenen und vermischten Gesellschaften, sondern das Gewässer
steht und versiegt in sich selbst. » 8
Zwei Persönlichkeiten, beinahe gleich alt, der eine 1750 geboren, der andere 1752, wollten sich nicht der gemütlich-saturierten Mediokrität in Basel beugen. Vieles verband sie, vieles trennte sie, sie waren nie Freunde, ab 1796 sogar
erbitterte Feinde : Johann Rudolf Burckhardt, Johann Ludwigs Vater, und Peter
Ochs. Der eine wurde zum Revolutionär, der andere zum Reaktionär. Beide aus
sehr wohlhabenden Familien stammend, gebildet, ehrgeizig, vielgereist und
europäisch vernetzt, standen sie zu ihrem Reichtum und den Möglichkeiten,
den er ihnen bot. Liess der eine im Alter von erst fünfundzwanzig Jahren durch
den ebenfalls erst zweiundzwanzigjährigen Johann Ulrich Büchel ein für Basel
völlig neuartiges klassizistisches Stadtpalais an prominenter Lage errichten, den
Kirschgarten, so baute der andere den neobarocken Holsteinerhof als Kulisse für
diplomatische Empfänge aus. Als junge Eheleute kollidierten beide wiederholt
mit den Luxusgesetzen, die sie als Ausdruck von biederem Zunftregiment und
orthodoxem Protestantismus ablehnten, als pseudoegalitäre und verlogene Vorschriften, die ohnehin von allen und leicht umgangen werden könnten.9
Während sich Peter Ochs unter dem Einfluss des Popularphilosophen Isaak
Iselin ganz dem aufklärerischen Gedankengut widmete, eine politische Laufbahn anstrebte, sich mit dem Staat und seiner Geschichte auseinandersetzte,
1782 Ratsschreiber wurde, sich in der Aufmunterungsgesellschaft und in der
Lesegesellschaft engagierte, im ersten Band seiner Basler Geschichte ein aufklärerisches Glaubens- und Wertecredo verfasste und mit reformorientierten
Mitgliedern der bürgerlichen Eliten in der Schweiz und in Frankreich korrespondierte, suchte Johann Rudolf Burckhardt den wirtschaftlichen Erfolg und förderte Kunst im privaten Rahmen. Es gelang ihm, die ererbte Seidenbandfabrikation und die Speditionstätigkeit zur wirtschaftlichen Blüte zu bringen und zu
einem der vermögendsten Basler zu werden ( Abb. 1 ). Bereits mit einundzwanzig
Jahren wurde er zu einem der Direktoren der Basler Kaufmannschaft gewählt.
28
Zwischen Revolution und Restauration
Abb. 1 Anton Graff, Bildnis des sitzenden Vaters Johann Rudolf Burckhardt,
Öl auf Leinwand, um 1786
29
Burckhardts Werdegang
Er orientierte sich mehrheitlich an der deutschen, österreichischen und englischen Kultur sowie am Freimaurertum und war mit der aristokratisch-konservativen, geistigen, politischen und militärischen Elite der Schweiz verbunden. Er
sammelte Gemälde, Bücher, Zeichnungen, Stiche und Gipsabgüsse griechischer
Statuen und er war Auftraggeber verschiedener Maler.
Auf einer der wiederkehrenden Reisen von Johann Rudolf Burckhardt zu den
Lausanner Freunden kam Johann Ludwig am 25. November 1784 zur Welt. Er war
das siebte von acht Kindern von Johann Rudolf Burckhardt, das dritte aus der
zweiten Ehe mit Sara Rohner. Johann Ludwig wuchs behütet im 1780 fertiggestellten « im ächt griechischen Geschmack » gebauten Palais auf, dem Kirschgarten mit seiner « mäiestetischen Kolonnade », den « marmornen Treppen »,
den « schönen Malereien » und all der « fürstlichen Pracht des Hauses », wie es
Christian Gottlieb Schmidt in seinem Reisejournal 1787 beschrieben hatte.10 Der
kleine Johann Ludwig genoss Unterricht bei einem Hauslehrer und erhielt bereits als Siebenjähriger ein Pianoforte aus Mahagoniholz, das der Vater aus
London kommen liess.
II. Revolution
Wider den « Raßenden Partheygeist »
Johann Ludwig Burckhardt war fünf Jahre alt, als das Donnergrollen der
Französischen Revolution Basel erreichte. In seiner Basler Geschichte schrieb
Ratsschreiber Peter Ochs : « Die Pariser Begebenheiten hatten auf der Landschaft
bey den meisten Unterthanen, wie ein schnelles Lauffeuer, starken Eindruck
gemacht … »11 Die Handwerker bangten um das Zunftsystem und -monopol, die
Elite sorgte sich um ihre Privilegien und ihre Partikularinteressen und die Stadt
um ihre Herrschaft auf der Landschaft Basel, wo die Bewohnerinnen und Bewohner rechtlich immer noch Leibeigene seien.12 Angesichts des Drucks auf das
Ancien Régime konnte plötzlich Wirklichkeit werden, wovon Aufklärer und Popularphilosophen geträumt hatten. Ochs war begeistert : « Il ne sera plus seulement permis, mais ordonné de croire à l’égalité des droits de l’homme, aux titres
exclusifs du mérite, à l’imprescriptibilité des loix du bien public … » 13
Johann Rudolf Burckhardt hingegen lehnte die Französische Revolution
rundum ab, nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen. Mit seiner Familie zog
30
Abb. 2 Felix Maria Diog, Peter Ochs als Direktor der Helvetischen Republik,
Ölgemälde, ca. 1799
er sich immer öfter aufs Land zurück. In einem Brief schrieb er : In der Stadt
« kann ichs kaum mehr außhalten und so nahm ich den entschluß mir eine
Hütte – Ja Hütte im gantzen Verstand – anzubauen ».14 Während in Paris die
Jakobiner ihre Schreckensherrschaft ausübten, kaufte Burckhardt 1794 ein
Landgut bei Gelterkinden, den Gutshof Erndthalde, den er im Stil eines Emmentaler Bauernhauses umbauen liess. Gleichzeitig suchte er für seine Kinder einen
Hauslehrer, der – wie er sich Lavater gegenüber äusserte – an Gott und nicht an
Robespierre glaube.15 Später sollte sich Johann Ludwig in seinen Briefen immer
wieder der Zeit seiner unbeschwerten Kindheit und der bukolischen Idylle des
Landlebens auf dem Erndthalde-Gutshof erinnern.16
Peter Ochs wiederum bewegte sich immer mehr auf dem internationalen
Parkett ( Abb. 2 ). Durch seine Vermittlung kam es 1795 in seinem Haus zur Unterzeichnung des Friedens von Basel. Die beiden Friedensschlüsse mit Preussen
31
Burckhardts Werdegang
und Spanien erlaubten Frankreich, den Krieg gegen das Kaiserreich zu intensivieren. Dadurch kam es wieder zu Kampfhandlungen rund um Basel. Ochs – seit
1796 Oberstzunftmeister – vertrat die kompromisslose Neutralität, auch wenn er
persönlich alles andere als neutral war. Auch Johann Rudolf Burckhardt machte
keinen Hehl aus seinen politischen Überzeugungen und daraus, dass er intensive Kontakte zu französischen Emigranten, den Kaiserlichen und dem englischen
Gesandten William Wickham hatte. Er pflegte auch den Austausch mit den Zuzügern der konservativen Kantone. Seine « parteyische Gesinnung », notierte
Daniel Burckhardt-Wildt in sein Tagebuch, sei « genugsam bekant » 17. Als Ende
November 1796 kaiserliche Truppen über Basler Territorium französische Einheiten angriffen und damit eidgenössische Grenzen verletzten, fiel der Verdacht, dies geduldet, ja ermöglicht zu haben, sofort auf Jägerhauptmann
Johann Rudolf Burckhardt. Das französische Direktorium verlangte daraufhin
seine strenge Bestrafung. Am 26. Dezember wurde Johann Rudolf Burckhardt
verhaftet.18 Nachdem Burckhardt das Gefängnis im Januar vorerst verlassen
konnte, forderte Peter Ochs im Kleinen Rat eine harte Bestrafung.19 Der Kleine
Rat aber beschloss lediglich die Absetzung als Hauptmann und die Suspendierung seines Grossratmandats. Tief gekränkt verliess Burckhardt daraufhin die
Stadt und zog sich auf die Erndthalde zurück. Seinen Gegnern warf er « Bubenmäßigen » und « raßenden Partheygeist » vor. 20 Doch die Sache war damit noch
nicht ausgestanden.
Nach dem Friedensschluss von Campoformio im Oktober 1797 vertrauten die
Vertreter der Ancien Régimes auf eine Sicherung des status quo durch den anberaumten Rastatter Kongress, die Revolutionsfreunde wiederum sahen die
letzte Chance kommen, durch Napoleon die Eidgenossenschaft zu reformieren.
Während Peter Ochs in Paris mit dem Direktorium verhandelte, kam es – nicht
zuletzt von ihm orchestriert – zur unblutigen Revolution in Basel. Johann
Rudolf Burckhardt entschied sich daraufhin, seine Firma den beiden Söhnen
Johann und Gedeon abzutreten und Basel endgültig zu verlassen. Wenig später
marschierten französische Truppen in die Schweiz ein. Burckhardt schloss
sich einem Zürcher Kontingent an und kämpfte auf Seiten der Berner gegen
die Franzosen. Nach der Niederlage bei Neuenegg flüchtete er nach München,
wo er andere Altgesinnte traf und mit ihnen ein Emigrantenkomitee gründete.
32
Zwischen Revolution und Restauration
Gemeinsam reisten sie mit österreichischen Papieren weiter nach Wien. Ab März
1799 kämpfte Burckhardt im zweiten Koalitionskrieg in einem durch die Engländer gegründeten Emigrantenheer, wo er den Rang eines Obersten erhielt.21
Im August 1799 stand er mit dem Heer des Erzherzogs Karl vor Zürich. Auch
Sohn Gedeon verliess nach einer Befehlsverweigerung Basel und schloss sich
dem Regiment seines Vaters an.22
Unter dem Druck Frankreichs wurde der Prozess gegen Johann Rudolf Burckhardt Anfang 1798 erneut aufgenommen. Das Basler Criminalgericht schrieb
Burckhardt zur Fahndung aus und sein Vermögen wurde Ende September von
der neuen helvetischen Regierung, dem Direktorium unter dem Präsidium von
Peter Ochs provisorisch mit Sequester belegt. Burckhardts Ehefrau sowie die drei
minderjährigen Kinder, darunter Johann Ludwig, wurden anschliessend unter
Vormundschaft gestellt.
Angesichts der politischen Lage beschloss die Familie, dass Johann Ludwig
nicht in Basel das Gymnasium besuchen soll, sondern ab Frühling 1799 ein Internat im preussischen Neuchâtel. In Abwesenheit des Vaters übernahm Johann
Ludwigs Halbbruder und Pate Johann Burckhardt die Verantwortung für ihn. An
Johann richtete er nun auch seine Briefe, in denen er den strengen Schulalltag
beschrieb und über seine Studienpläne und Lektüren berichtete.
Bereits zwei Jahre später verliess er Neuchâtel wieder, um nicht in Basel,
sondern in Deutschland zu studieren. Im November 1800 traf er erstmals seinen
Vater wieder und reiste mit ihm nach Leipzig, wo ihn dieser dank seines Netzwerkes in die Gesellschaft einführte. Mit dem Vater, dem er « Gehorsam, Dank
und Vergeltung » 23 schulde, war er sich einig, dass er hier zum Geschäfts- und
Staatsmann ausgebildet werden sollte. Sein Bruder, von dem er rechtlich und
finanziell abhängig war, drängte hingegen zum Rechtsstudium. Johann Ludwig
folgte diesem Wunsch, studierte allerdings nicht bloss Rechtswissenschaften,
sondern auch Sprachen, Statistik, Geschichte, Mathematik und er verlor sich
zeitweise in seinem Studentenleben und verschuldete sich dabei. Er sei « auf
einen unrechten Weg » geraten und habe « überhäufte Dépensen verschiedene
Schulden » 24 gemacht, schrieb er seiner Schwägerin und er hoffe, dass ihn sein
Bruder Johann unterstützen würde. Den Vater wollte Johann Ludwig nicht angehen, da er fürchtete, dieser würde ihn zurückrufen. Schliesslich war es dann
33
Burckhardts Werdegang
Abb. 3 Richard Westall, Bleistiftzeichnung von Johann Ludwig Burckhardt, um 1808
34
Zwischen Revolution und Restauration
aber doch der Vater, der 1803 die Schulden beglich. Johann Ludwig war beschämt.25 Gleichzeitig gestand er, dass er noch nicht wisse, wo er seine « Welt »
und seinen « Wirkungskreis » finden werde.26 Immerhin drängte Johann Ludwig
auf einen Wechsel nach Göttingen, um sich dort in Geschichte und Diplomatie
weiterzubilden. Nach anfänglichen Bedenken, dass Frankreich auch Göttingen
besetzen könnte, stimmte der Vater dem Wechsel zu.27 So wechselte Johann
Ludwig im Herbst 1804 nach Göttingen, wo er aber – wohl aus Kostengründen –
nur noch ein Jahr blieb ( Abb. 3 ).
III. Restauration
Freiheit dank England
Dem Einheitsstaat der Helvetischen Republik war keine lange Existenz vergönnt, obwohl die Helvetik bleibende Werte wie die Gewaltentrennung, das
Zweikammersystem, die Kollegialregierung und nationale Institutionen sowie
eine nationale Währung und einheitliche Masse eingeführt hatte. Und schon
1799 war die steile Karriere ihres geistigen Vaters, Peter Ochs, zu Ende. Er verlor
nicht nur sein Amt als helvetischer Direktor, sondern auch seine Reputation und
sein Vermögen.
Als Folge der Auseinandersetzungen zwischen Unitariern, Föderalisten und
Altgesinnten kam es im November 1801 zu einer allgemeinen Amnestie, von der
auch Johann Rudolf Burckhardt profitierte : Die Beschlagnahmung seines Vermögens wurde aufgehoben. Auch Gedeon konnte nach Basel zurückkehren und
mit Bruder Johann die Firma wieder übernehmen. Mit der Konsulta in Paris und
der anschliessenden föderalen Mediationsverfassung von 1803 hatte Napoleon
die Schweiz stabilisiert, aber auch dauerhaft gefügig gemacht. Die neuen Kantone der ehemaligen Untertanengebiete wurden zwar belassen, in vielen Ständen übernahmen aber wieder Altgesinnte die Macht, so auch in Basel. Die
Schweiz war fest ins französische Hegemonial- und Kontinentalsystem eingebunden. Mit der eigenen Kaiserkrönung im Dezember 1804 beendete Bonaparte
die Französische Revolution und Republik endgültig.
Noch brodelte es aber in der Schweiz. Als sich die Zürcher Landschaft im
März 1804 gegen die Wiederherstellung der städtischen Herrschaft wehrte und
es zum Aufstand kam, dem Bockenkrieg, war Johann Ludwig Burckhardts Urteil
35
Burckhardts Werdegang
über seine Heimat nicht gerade schmeichelhaft. Aus Göttingen schrieb er : « Ich
nehme immer lebhaften Antheil an allen Vorfällen der Schweiz und es schmerzt
mich, daß ich in dieser noch nicht thätig seyn kann. Die letzten kriegerischen
Vorfälle aber interessierten mich nur in so weit, als sie einen Beytrag zu Verirrungen des menschlichen Verstandes liefern ; denn mit Narren kann man kein
Mitleid haben. Noch glaube ich, hat mein Vaterland die Geißel des Unglücks
nicht genug gefühlt. Ich sollte beynahe glauben, es würde dann erst glücklich
werden, wenn es jahrelang den eisernen Szepter eines Despoten gefühlt und
durch Gehorchen erst frei zu seyn gelernt hätte. » Allerdings bemerkte er, dass
ihm ein Urteil eigentlich nicht zustehe, da er die Schweiz gar nicht kenne und
« ihren jetzigen Zustand nur aus öffentlichen Blättern und hin und wieder aufgefangenen Bemerkungen von Landsleuten und Reisenden abstrahiere ».28 Der
Briefausschnitt zeigt, dass Johann Ludwig die konservativen Ansichten seines
Vaters in keiner Weise in Frage stellte. Im Gegenteil : Auch in seinen späteren
Briefen aus dem Nahen Osten sollte er immer eine antifranzösische und restaurative Haltung vertreten.
Im Frühling 1805 kehrte Johann Ludwig aus Göttingen nach Basel zurück,
wo er ein Jahr blieb. Leider ist über seine Aktivitäten in dieser Zeit nichts Näheres bekannt. Johann Ludwig bemerkte Ende 1806 in einem Brief lediglich :
« Das letzte Jahr ist durch meine Schuld, durch Johanns Tod, durch unsere
Trennung zu einem trüben Jahr geworden … » 29 Gleichzeitig herrschte 1805 in
Europa Krieg : In der Schlacht von Ulm kapitulierte die österreichische Armee,
bei Trafalgar siegten die Briten und in der Schlacht von Austerlitz kam Napoleon zu seinem grössten Sieg ( Abb. 4 ). Die Familie Burckhardt aber setzte weiterhin auf jene Macht, die bisher als einzige Frankreich widerstehen konnte :
Grossbritannien. Dahin zog es Johann Ludwig Burckhardt. Bereits im Juni
machte er sich auf den Weg über Frankfurt und Hamburg nach London – ausgerüstet mit Empfehlungsschreiben zuhanden von Sir Joseph Banks, Präsident
der Königlichen Akademie der Wissenschaften, und zuhanden des ehemaligen
Botschafters in der Schweiz, William Wickham. Doch die Stellensuche gestaltete sich schwieriger als angenommen, es brauchte Geduld, auch jene des Vaters.
« Es gehört Geld und Zeit dazu, um sein Glück hier zu machen », versuchte
Johann Ludwig seinem Vater, der ihn weiterhin unterstützte, verständlich zu
36
Zwischen Revolution und Restauration
Abb. 4 James Gillray, The Plumb-Pudding in Danger – or State Epicures Taking
un Petit Souper, Handkolorierte Radierung, 1805
machen.30 Und er beschwor ihn, ihm beides zu gewähren : Zeit und Geld denn,
so schrieb er : « … ich muß es wagen, und zwar in einem Lande, das ich liebe
und das mehr als kein anderes für mich gemacht. In meinem Vaterlande bietet
sich leider hiezu kein Weg. » 31 Und nach der Schlacht von Jena, als auch Preussen sich Napoleon unterwerfen musste, schrieb Johann Ludwig : « Europa ist
unwiederbringlich zu Bonaparte’s Füßen ; England allein, wer weiß wie lange
und ob es ihm widerstehen wird … Möchte doch die arme ausgesaugte Schweiz
wenigstens dem Schicksal aller Nachbarn entgehen. » 32 England sei zwar « weit
davon entfernt, idealisch regiert zu werden »,33 aber so wörtlich Johann Ludwig :
« wenn jemand einmal fühlt, was Freiheit ist ( und dieses Gefühl ist in meine
Brust gepflanzt ) so kann man in unserer Zeit nur in diesem Lande frei athmen. » 34 Sein Leben in England war allerdings nicht immer einfach, denn die
37
Burckhardts Werdegang
napoleonische Kontinentalsperre verhinderte oftmals die finanziellen Überweisungen des Vaters, was ihn zu « größter Öconomie » 35 und Fasten zwang.
Im Februar 1808 konnte Johann Ludwig seinen Eltern das Ende der Durststrecke vermelden : « Ich habe einen neuen Plan im Werke, der nicht ganz unausführbar, mit Gefahr, aber auch mit großem Nutzen, nicht sowohl für mich als
für England, und ich darf sagen für die Menschheit, verbunden ist. » 36 Johann
Ludwig Burckhardt hatte eine Anstellung bei der ‹ African Association › erhalten,
welche ihm zwei Jahre Studium im arabischen Raum sowie sechs Jahre für die
Expeditionen zusicherte. Er reiste via Malta nach Aleppo, ohne elterliche Briefe
erhalten zu haben. Erst zweieinhalb Jahre später, im Januar 1811, trafen Briefe
ein, welche im Juni und September des Vorjahres 1810 aufgegeben worden
waren. Von seiner Zeit im arabischen Raum sind nur wenige Briefe an die Familie erhalten.37 Allerdings war die Korrespondenz auch nicht sehr intensiv, da der
Postweg unsicher und unzuverlässig war. Johann Ludwig nahm in dieser Zeit
zwar immer Anteil am Schicksal der Familie und seiner Vaterstadt, aber der
Kontakt wurde dennoch lockerer. Drei bis fünf Briefe pro Jahr erreichten Basel,
aus dem Jahr 1814 ist gar keiner überliefert.
Aus der Ferne musste Johann Ludwig die Schicksalsschläge und den finanziellen Niedergang der Familie, aber auch die allgemein prekären Verhältnisse
in seiner Vaterstadt miterleben. Die Kontinentalsperre und die hohen französischen Zölle setzten der Basler Seidenbandindustrie hart zu. Während sich
andere Basler Firmen durch Umgehung der Kontinentalsperre und Schmuggel
über Wasser halten konnten, wurde es für die Burckhardt’sche Firma, die nach
Johanns Tod von Gedeon Burckhardt allein geführt worden war, eng. Noch zu
Lebzeiten des Kirschgartenerbauers sah sich dessen Sohn Gedeon gezwungen,
einen Käufer für das Stadtpalais zu suchen. Nach dem Tod des Vaters im Juli
1813 und der Erbteilung musste Gedeon die Firma und den Kirschgarten verkaufen.38 Er verliess Basel, um nach Amerika auszuwandern. Dies alles fand
während turbulenten Tagen in Basel statt : Ende 1813 marschierten achtzigtausend alliierte Soldaten durch Basel in Richtung Frankreich, im Januar 1814
trafen sich hier der österreichische Kaiser, der preussische König und der russische Zar. Die Stadt ächzte unter den Lasten und die fremden Truppen
hatten überdies in der Stadt eine Typhusepidemie ausgelöst. Nach dem Sieg der
38
Zwischen Revolution und Restauration
Alliierten führte Basel unverzüglich eine restaurative Verfassung mit Zensuswahlrecht ein.
Im Frühling 1815 versetzte aber Napoleons Rückkehr die Stadt noch einmal
in Angst und Schrecken. Gegen den Widerstand der ehemaligen Helvetiker
schloss sich Basel den Alliierten an. Österreichische Truppen zogen wieder
durch die Stadt und schlossen die elsässische Festung Hüningen ein, die ihrerseits die Stadt Basel beschoss. Ende August war der Spuk vorbei. Basel feierte
den Frieden und Erzherzog Johann. Doch von all dem, was zwischen 1813 und
1815 geschehen war, erfuhr Johann Ludwig erst im Sommer 1815.
Auf den Tod seines Vaters reagierte er mit wortreicher, aber doch verhaltener
Trauer. Der Vater habe ihm eine Erziehung und das Exempel eines rechtschaffenen Wandels und ehrlicher Grundsätze gegeben. Dies sei wichtiger als Kisten
von Gold. Deshalb habe er « nie Ärger gefühlt », dass dessen « Vermögen so sehr
geschmolzen » sei.39 Gleichzeitig liess er seine Mutter wissen, dass er zu ihren
Gunsten auf seinen Erbanteil verzichte. Er stehe jetzt auf eigenen Füssen und
sie hätte das Geld nötiger als er. Deshalb riet er ihr auch, die Erndthalde zu
verkaufen. « Seine kindliche Liebe », gestand er ihr, sei zu ihr « stets inniger
gewesen », als jene, welche er seinem geliebten Vater gezollt habe.40
Mit Freude hatte Johann Ludwig auch zur Kenntnis genommen, « daß die
Schweiz diesmal offen sich gegen den allgemeinen Feind erklärt und ein beträchtliches Truppen-Corps ins Feld » 41 gestellt habe. Gleichzeitig zeigte er
Verständnis gegenüber seinem Bruder, der Basel verlassen wollte, denn : « … vielleicht ist unsere Vaterstadt eine der reichsten Städte von Europa und
wahrscheinlich der ärmsten an glücklichen Individuen. Man versteht durch unverdrossene Bemühungen die Kassen zu füllen, aber nur wenige Personen sind
mir bekannt, die es der Mühe werth halten, zu versuchen auf richtigem Wege
das wahre Glück zu finden. » 42 Zwar habe sich « der Geist in der Schweiz » 43 gebessert, doch gebe es auch da noch « so manche böse Köpfe », die dem « Erzteufel noch treu » seien, so wie Peter Ochs in Basel noch seine Anhänger habe.44
In seinen Briefen an die Familie rückte nun immer mehr seine eigene Berufung in den Vordergrund : Zu schön sei sein Ziel, schrieb er seiner Mutter, um
ihm nicht jedes Opfer zu bringen, dessen er fähig sei.45 « Ich habe nun alles
erlangt, wonach ich seit 9 Jahren … gestrebt habe : Euch Beweise zu geben, daß
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Burckhardts Werdegang
jugendlicher Übermuth die Gefühle von Rechtschaffenheit und Ehre in meiner
Brust nicht gänzlich austilgen konnte. Die Hoffnungen, dieses Ziel zu erreichen
– ich darf es Dir nun wohl gestehen – waren die Hauptgründe, die mich zu
dieser Reise bewogen. » 46 Die « Kirsgarten Familie, die einst so schön » geblüht
habe, sei « fast gänzlich zerstört und gefallen ! » Vielleicht glücke es ihm, den
Namen Burckhardt « einst wieder zu erheben und ihn über seine Feinde, die nun
spotten » würden, triumphieren zu lassen.47 Er müsse « sein Glück in der Welt » 48
suchen und er sprach von seinem Ehrgeiz und seiner Begierde, Ruhm zu erwerben,
sich « in einer ehrenvollen und nützlichen Laufbahn » auszuzeichnen.49
Ein letztes Mal, kurz vor seinem Tod, gedachte Johann Ludwig noch einmal
seiner Heimat. Die Not in der Schweiz, von der ihm seine Mutter berichtet habe,
sei ihm sehr zu Herzen gegangen. Ja der Mangel, der in der Schweiz herrsche, sei
selbst in Ägypten zu spüren, denn die Schweiz kaufe hier grosse Mengen an Getreide ein. Er selbst habe zurzeit mehr Geld als er brauche, deshalb sehe er es als
seine Pflicht an, zu helfen. Und so schickte er seiner Mutter mit seinem letzten
Brief einen Wechsel mit der Bitte, die Summe « unter den Armen und Nothleidenen Schweizern, von welchem Kanton sie nur sein mögen, zu vertheilen ».50
Johann Ludwig Burckhardt hatte in seiner provinziellen Vaterstadt mit ihrer
ebenso provinziellen Universität keine Perspektive gesehen. Er erlebte, wie der
Vater und der Halbbruder emigrierten, er selbst musste aus politischen Gründen
ins preussische Neuchâtel ins Internat, fürs Studium nach Leipzig, Göttingen
und auf Stellensuche nach London. Das bonapartistisch beherrschte Europa war
nicht sein Europa. Das kleinmütige und finanziell darbende Basel der Mediationszeit nicht sein Basel, der Glanz seiner Familie verblichen. Aus politischen
Gründen musste er Basel nicht fern bleiben, denn in Basel herrschte die Restauration und ökonomisch hätte es in Basel sicher auch Möglichkeiten gegeben.51
Johann Ludwig aber wollte beweisen, dass die Investition, die sein Vater in
seine Londoner Ambitionen getätigt hatte, nicht vergebens war. Er wollte ökonomisch auf eigenen Beinen stehen und die Opportunitäten im Wettrennen um
die Erforschung Zentralafrikas und des Nahen Ostens nutzen.52 Er ging seinen
eigenen Weg, kompromisslos, diszipliniert und fokussiert. Und vielleicht hatte
dieser Weg ja tatsächlich nicht nur mit seiner Anglophilie zu tun, sondern
auch mit einer imaginären Gegenwelt : der grossen Faszination fürs Reisen und
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Zwischen Revolution und Restauration
Erforschen, so wie er sie in der Lektüre der Reisebeschreibung von James Cook
in Neuchâtel entdeckt hatte oder in der Welt des Robinson Crusoe, den er
in Aleppo übungshalber ins Arabische übersetzt hatte. Die Gespräche mit Sir
Joseph Banks, der Cook bei seiner Weltumseglung begleitet hatte und ihm den
Auftrag der ‹ African Association › anvertraut hatte, dürften das Übrige dazu
beigetragen haben.
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1995, S. 15–50.
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In : Hirschfeld, Christian Cay Lorenz ; Kutter, Markus ( Hgg. ) : Die Basler
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Ochs, Peter / Steiner, Gustav ( Hg. ) : Korrespondenz des Peter Ochs (1752–
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Burckhardt (1784–1817 ) und seine Reisen durch den Orient. Basel 2017.
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Von der Schweiz, Journal meiner Reise vom 5. Julius bis den 7. August
1787. Bern 1985.
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