SPRECHENDE
S T E I N E
2019/Dezember
33. Jahrgang
Mitteilungsblatt des Archäologischen
Vereines Flavia Solva
Archäologischer Verein Flavia Solva
Stadtgemeinde Leibnitz, A-8430 Leibnitz, Hauptplatz 24, Tel.: 03452-824233
www.tempelmuseum-frauenberg.at; Email: sprechende.steine@chello.at
Der „Archäologische Verein Flavia Solva“ ist nicht nur eine
Vereinigung von Experten und Funktionären; er ist vielmehr aus
dem Bedürfnis weiter Bevölkerungskreise entstanden und kann
seine Ziele nur dann erreichen, wenn ihn die gesamte Bevölkerung bei seiner Arbeit ideell und materiell unterstützt.
Durch Ihre persönliche Mitgliedschaft helfen Sie mit, unsere
Region zum „steirischen Römermuseum“ zu erheben.
Für den Archäologischen Verein Flavia Solva
Der Präsident:
Prof. Mag. Gert Christian
Titelbild und Umschlagrückseite: Westwand der Römersteinwand im Schloss
Seggau bei Leibnitz; orthogonale Ansicht des texturierten Structure‑from‑Motion Modells. Grafik: Paul Bayer, Stephan Karl
BITTE MELDEN SIE ARCHÄOLOGISCHE
FUNDE UND BEOBACHTUNGEN!
SIE HELFEN DAMIT BEI DER ERFORSCHUNG DER VOR‑
UND FRÜHGESCHICHTE UNSERES LANDES!
IHR EIGENTUMSRECHT BLEIBT UNBERÜHRT!
Verlag: Eigentümer und Redaktion: Archäologischer Verein Flavia Solva, A‑8430
Leibnitz, Stadtgemeinde Leibnitz, Hauptplatz 24. Vereinsobmann: Prof. Mag. Gert
Christian, A‑8614 Breitenau. Schriftleitung: Mag. Gabriele Wrolli, A‑8052 Graz.
Druck: druck.at, Druck‑ und Handelsgesellschaft mbH, A‑2544 Leobersdorf.
Layout: Dr. Bernhard Schrettle (ASIST), A‑8461 Retznei, office@asist.at.
Blattlinie: Hebung des archäologischen Bewusstseins und Förderung des archäologischen Kulturgüterschutzes in der Region Flavia Solva. Für den Inhalt der
Beiträge sind deren VerfasserInnen verantwortlich. Der Nachdruck ist nur mit
Bewilligung der VerfasserInnen gestattet. – Erscheint einmal jährlich.
Paul BAYER – Stephan KARL
Die Seggauer Römersteinwand in 3D
Die im Jahre 1831 errichtete Römersteinwand im Schloss Seggau stellt ein
überregional bedeutendes Denkmal dar. Die römerzeitlichen Steindenkmäler sind nicht nur wichtige Zeugnisse der provinzialrömischen Kultur,
sondern geben auch Einblicke in die wechselvolle Geschichte ihrer Wiederverwendung. Diese aus der römischen Kaiserzeit stammenden Steine
waren ursprünglich Grabbauten, Ehrenmonumente und Weihaltäre bzw.
Teile von diesen, zumeist aus dem lokalen ostalpinen Marmor hergestellt,
und stammen von den Gräberstraßen bzw. öffentlichen Plätzen der römischen Stadt Flavia Solva. In der Spätantike, einer Zeit unterschiedlicher
Bedrohungen und Unruhen, wurden diese Bauwerke und Monumente
demoliert und aus ihren Steinblöcken ein massiver Turm auf dem Leibnitzer Burgberg errichtet. Im Mittelalter wurde neben diesem Turm auf
einem etwas tiefer gelegenen Niveau die erzbischöflich‑salzburgische
Burg im 12. Jahrhundert errichtet; der Nordteil dieses Burgberges wurde
mitsamt dem Turm im Jahre 1219 dem neugegründeten Bistum Seckau
überlassen. Diese wiederum integrierten den Turm in ihre Burganlage
bzw. bauten um diesen herum. Im frühen 19. Jahrhundert musste der
Alte Turm aufgrund seiner akuten Einsturzgefahr abgebrochen wurden,
was aufgrund seiner Größe und Massivität in zwei Kampagnen über mehrere Jahre hinweg erfolgte. Im Mauerwerk wie auch im Fundament kamen so die zahlreichen römerzeitlichen Steindenkmäler mit ihren kunstvollen Reliefs und Inschriften wieder zu Tage. Nach endgültigem Abbruch
des Turmes erkannte man 1831 die kulturhistorische Bedeutung dieser
Steine und mauerte sie im Erdgeschoß eines neuen, dem mittelalterlichen Gebäudetraktes vorgelagerten Ganges ein, mit dem die durch den
Verlust des Turmes entstandene Baulücke geschlossen wurde. Diese museale, die Ansichtigkeit dieser Steine berücksichtigende Anordnung ließ
die bis heute erhaltene Römersteinwand entstehen.
Im ursprünglichen Gestaltungskonzept von 1831 war die Römersteinwand streng orthogonal in Form von einer scharfkantigen Fensterung im
Verputz gegliedert, die grundsätzlich nur die Relief‑ bzw. Inschriftfelder
der Steindenkmäler zumeist ohne den profilierten Rahmen sichtbar beließ, während alle Bruchflächen und außerhalb liegenden Teile unter Verputz lagen. Um den Anblick des fragmentarischen Charakters der Steine
zu vermeiden, wurden fehlende Teile der Rahmung und der inneren Felder mit Mörtel ergänzt. Diese einem gestalterisch‑ornamentalen Prinzip
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Abbildung 1: Laserscanning der Römersteinwand im Schloss Seggau. Foto: Paul Bayer,
20.5.2019.
folgende, an eine barocke Bildergalerie erinnernde Römersteinwand war
durch ihre Feingliedrigkeit und dem auf der Steinoberfläche schlecht haftenden Verputz besonders der Witterung ausgesetzt. Bei nachfolgenden
Sanierungen der Fassade wurden so Teile der zum Vorschein kommenden, originalen Rahmung in entsprechend größeren Verputzfenstern ansichtig belassen. 1986 entfernte man sich endgültig vom ursprünglichen
Konzept und verputzte die Wand in sanft gerundeten Übergängen zu den
Bruchkanten der Steine. Dies führte jedoch dazu, dass nun ungewollt das
Fragmentarische der Steine betont wurde. Zusätzlich wurde ein zementgebundener Sanierputz verwendet, um Feuchteschäden hintan zu
halten. Dieser dichte Sanierputz, auf dem noch zusätzlich eine Zementschlämme aufgebracht wurde, löste jedoch nur anscheinend das Problem der Mauerfeuchtigkeit, sondern wirkte wie ein Sperrputz, wodurch
es im Inneren zu einer Schädigung der Bausubstanz des Mauerwerks
kam. Davon betroffen waren auch die Römersteine, denn die Feuchte
diffundierte nun entlang der Oberfläche der Marmorsteine nach außen
und löste dabei randlich die Kristallstruktur des Marmorgesteins auf.
Im Zuge der heuer erfolgten Fassadensanierung der Römersteinwand
vom Mai bis September 2019 wurde die Außenseite sowie die Laibungen
der drei Durchgänge von diesem schädigenden Zementverputz des Jahres
1986 befreit und durch eine Neuverputzung nach denkmalpflegerischen
Richtlinien bei gleichzeitiger Verbesserung des Witterungsschutzes dem
Erscheinungsbild von 1831 angenähert. Diese umfangreiche Sanierungsmaßnahme ermöglichte es, die Wand wie auch die einzelnen Steine im
unverputzten Zustand erstmals seit 1831 zu dokumentieren.
Aufgrund des knappen Zeitfensters von zwei Wochen für die Dokumentation wurden Laserscanning und Structure‑from‑Motion (SfM) als Dokumentationsmethoden ausgewählt. Für die bestmögliche Datenqualität
wurde die unverputzte Römersteinwand zuerst vorsichtig gereinigt. Die
ganze Wand, der dahinter liegende Gang und das südlich angrenzende
Stiegenhaus wurden zuerst mit einem terrestrischen Laserscanner dokumentiert, wofür wir Boris Stummer und Josef Schauer vom Amt der NÖ
Landesregierung, Abt. Hydrologie und Geoinformation danken (Abb. 1).
Danach wurden alle von der Fassadensanierung betroffenen, römerzeitlichen Relief‑ und Inschriftsteine (73 Steine), sowie alle anderen Quader
aus Marmor (25 Steine), wie auch die lateinische Bauinschrift von 1831
und ein eiserner Maueranker am südlich angrenzenden Treppenhaus mittels SfM aufgenommen. Bei SfM wird aus einer Reihe von Fotos von verschiedenen Positionen, typischerweise 30–100 pro Stein, ein texturiertes
3D‑Modell errechnet. Um ein solches Modell zu skalieren und gleichzeitig
zu georeferenzieren, wurden neben den Römersteinen jeweils drei oder
mehr Markierungen aufgeklebt und im Landeskoordinatensystem mit
dem Tachymeter eingemessen (Abb. 2). Beim Putzen und beim Fotografieren wurde besonderes Augenmerk auf die in die Mauer hineinragenden und gewöhnlich nicht sichtbaren Seitenflächen der Steine gelegt, die
teilweise archäologisch relevante Details zeigen. Ergänzend wurden die
zuvor vom Verputz teilweise verdeckten Ränder der Relief‑ und Inschriftensteine vor Ort gezielt auf Reste von Relief und Buchstaben abgesucht
und entsprechend dokumentiert. Allein für die SfM‑Dokumentation der
römerzeitlichen Steindenkmälern wurden 6540 Fotos geschossen. Zum
Abschluss wurde von der gesamten Außenfassade ein SfM‑Modell aus
246 Fotos erstellt, um das Erscheinungsbild der unverputzten Mauer zu
dokumentieren. Nach Beendigung der Fassadensanierung wurde im Oktober 2019 die gesamte Außenfassade wiederum mit Laser und SfM dokumentiert.
Mit diesen Daten ist eine detaillierte Dokumentation des unverputzten
und aktuellen Zustandes der Römersteinwand im Schloss Seggau erreicht.
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Abbildung 2: Aufnahme der einzelnen Römersteine mittels Structure-from-Motion (SfM)
und georeferenzierten Markierungen. Foto: Stephan Karl, 27.5.2019.
Die mit den SfM‑Modellen der gesamten Wand und der drei Durchgänge
fusionierten, entsprechend segmentierten Laserscans ermöglichen orthogonale und maßstabsgetreue Ansichten inkl. vertikaler Schnitte durch
das Gebäude im Sinne einer modernen Bauaufnahme (Abb. 3). Ergebnis
dieser Arbeit sind insgesamt drei Schnitte/Ansichten der Außenwand und
sechs Schnitte/Ansichten der Laibungen der drei Durchgänge. Mit den
3D‑Daten der Wand im Zustand vor und nach dem Auftragen des neuen Kalkverputzes kann eine quantitative Auswertung erzielt werden, z. B.
wie dick die Verputzschicht aufgetragen wurde, aber auch wieviel originale Steinoberfläche nun wieder unter Verputz liegt.
Von den hochaufgelösten und texturierten SfM‑Modellen der einzelnen
Steine wurden georeferenziert-orthogonale und maßstabsgetreue Ansichten erzeugt, die zusammen mit dem umgebenden Mauerwerk den
Zustand ihrer Einmauerung von 1831 zeigen. Zusätzlich wird damit die
seit 1831 der Witterung ausgesetzte Oberfläche der Römersteine in ihrem aktuellen Zustand festgehalten. Ergebnis dieser Arbeit sind 98 3D‑
Modelle der Römersteine an der Außenseite der Wand sowie jener in
den drei Durchgängen, dazu ein 3D‑Modell der lateinischen Bauinschrift
von 1831.
Diese SfM‑Modelle der im Mauerverband sitzenden Steine wurden in
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Abbildung 3: Westwand der Römersteinwand und Schnitt durch die Nordwand des Treppenhauses; Datenquelle: SfM und Laser. Grafik: Paul Bayer, Stephan Karl.
einem weiteren Schritt auf die erfasste Steinoberfläche zugeschnitten,
sozusagen herausgelöst, und erst jetzt präzise dem Objekt entsprechend
ausgerichtet. Wiederum wurden orthogonale und maßstabsgetreue Ansichten generiert, nun jedoch von fünf Seiten. Das Abschlagen des Verputzes und das gezielte Feinputzen ermöglichte es in vielen Fällen, die
originalen Maße der Steine zu eruieren. In allen Fällen wurden die sichtbaren Maximalmaße erhoben, die z. T. erheblich von den publizierten
Maßen abweichen, da die Ränder bisher von Verputz verdeckt waren.
Diese freigestellten 3D‑Modelle sind auch eine hervorragende Ausgangslage für digitale Zusammenstellungen von zusammengehörenden, an
verschiedenen Stellen der Wand eingemauerten Bruchstücken von Römersteinen (Abb. 4).
Kommendes Jahr soll die Sanierung der Wandflächen im Gang hinter der
Römersteinwand fortgesetzt werden. In diesem Gang sind weitere 36 römerzeitliche Relief‑ und Inschriftsteine sowie ein Wappenstein von 1651
und ein Jahresschild von 1491 eingemauert. Vor allem das Abschlagen
des Verputzes an der ursprünglichen Westwand des mittelalterlichen Gebäudetraktes hinter der Römersteinwand verspricht neue Erkenntnisse
zur Baugeschichte und könnte im Mauerwerk noch erhaltene Reste des
spätantiken Turmes zum Vorschein bringen.
Die Seggauer Römersteinwand ist ein einzigartiges historisches Freilichtmuseum, ein Lapidarium, wie auch humanistische Bildungsstätte.
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Diese mit öffentlichen Mitteln finanzierte Generalsanierung der Römersteinwand wie auch die umfassende 3D‑Dokumentation, wofür wir dem
Bundesdenkmalamt danken, hat neben den neu gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnissen auch Potenziale der touristischen Aufwertung
aufgezeigt. Diese Energien gilt es nun zu bündeln. Es ist geradezu eine
Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit, auf Basis des aktuellen Forschungsstandes eine zeitgemäße Präsentation der Römersteinwand für
interessierte Besucher zu gestalten. Derzeit werden keinerlei Informationen vor Ort bereitgestellt und die Wand steht ohne Kontext da. Eine
solche zeitgemäße Vermittlung wäre in drei Ebenen vorstellbar: 1) eine
Informationstafel mit den wichtigsten Angaben zur Römersteinwand und
ihrer Geschichte; 2) ein gedruckter Führer zur Römersteinwand und den
einzelnen römerzeitlichen Steindenkmälern; 3) eine besonders auf Mobilgeräte abgestimmte, App‑ähnliche Website, mit der Informationen zu
den einzelnen Steinen interaktiv und vor Ort unter Einbindung der vorhandenen 3D‑Daten abgerufen werden können. Damit sollen die Steine
ganz im Sinne des Titels dieses Mitteilungsheftes des Archäologischen
Vereines Flavia Solva wieder zum Sprechen gebracht werden.
Literatur
Manfred HAINZMANN – Erich POCHMARSKI, Die römerzeitlichen Inschriften und Reliefs von Schloß Seggau bei Leibnitz, Die römerzeitlichen Steindenkmäler der Steiermark 1 (Graz 1994).
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Abbildung 4: Relief mit Aeneas und Kreusa, digitale Zusammenstellung der zwei separiert
eingemauerten Fragmente, Datenquelle: SfM. Grafik: Paul Bayer, Stephan Karl.
Stephan KARL, Der neue Gang oder die sog. Römersteinwand im Schloss
Seggau bei Leibnitz – Planung und Errichtung. mit einem Beitrag von Peter PROHÁSZKA, in: Gabriele KOINER – Gerda SCHWARZ (Hrsg.), Classica
et Provincialia. Akten des Symposions anlässlich des 100. Geburtstages
von Erna Diez am 8. und 9. April 2013 am Institut für Archäologie der
Universität Graz, Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde 67 (Graz
2015) 47–104.
Stephan KARL – Gabriele WROLLI, Der Alte Turm im Schloss Seggau zu
Leibnitz. Historische Untersuchungen zum ältesten Bauteil der Burgenanlage Leibnitz in der Steiermark, Forschunge zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 55 (Graz 2011).
Autoren
Paul BAYER, BA MA, Peinlichgasse 8, 8010 Graz; paulbayer@gmx.net
Mag. Dr.phil. Stephan KARL, Dr‑Emperger‑Weg 14, 8052 Graz;
stephan.karl@chello.at
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Inhalt
Aus dem Verein:
Vorwort (Gert Christian)
Archäologischer Verein Flavia Solva – Organisationsstruktur
Chronik des 33. Vereinsjahres 2018/2019 (Gert Christian)
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Beiträge:
Paul Bayer und Stephan Karl
Die Seggauer Römersteinwand in 3D
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Titus J. Lantos
Das Kulmkeltendorf – Erstes urgeschichtliches Freilichtmuseum
der Steiermark
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Karl Peitler und Bernhard Schrettle
Boische Goldmünzen aus der archäologischen Grabung
am Tempelvorplatz im Jahr 2019
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Klaus Schindl
Neugier und die Suche nach der menschlichen Vergangenheit –
Enthusiastische Laien als Motor der öffentlichen Archäologie
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Sonstiges:
Museen in der Südsteiermark
Beitrittserklärung
Spendenzahlung sind erbeten
an die Steiermärkische Sparkasse Wagna,
IBAN: AT512081510000006444, BIC: STSPAT2GXXX
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