Martin Kohlrausch
Hof und Hofgesellschaft in der Kaiserzeit
Der Titel dieser Überlegungen
suggeriert eine Kontinuität, die
der historischen Wirklichkeit nur
bedingt entspricht. Der preußische
HofWilhelms I. und der Hof Wilhelms 11., letzterer mit viel mehr
Recht, waren nicht nur in den Augen der Zeitgenossen zwei sehr
unterschiedliche Phänomene. I In
Abgrenzung zum »preußischen
Königshof« Wilhelms I. meint die
Rede vom kaiserlichen Hof, mit
den vielfältigen an ihn gebundenen Assoziationen, in der Regel
die wilhelminische
»Spätblüte
des Absolutismus«. Daher sollen
hier die Jahre von Wilhelms 11.
Regierungsantritt
1888 bis zum
Kriegsausbruch, in denen der Hof
und mithin das Berliner Schloß
eine bemerkenswerte Renaissance
erlebten, im Mittelpunkt stehen. 2
Es erübrigt sich, an dieser Stelle auf den Hof Friedrichs 1II.
einzugehen, da dieser nie die Chance erhielt, ausgestaltet
zu werden. Allerdings spricht vieles dafür, daß sich hier
das Bindeglied zwischen den so gegensätzlichen Höfen des
Großvaters und Enkels finden läßt. Zum Wandel der Hofstruktur unter Wilhelm 11. grundlegend John C.G. Röhl,
Hofund Hofgesellschaft unter Kaiser Wilhelm II., in: Ders.,
Kaiser; Hof und Staat. Wilhelm 11. und die deutsche Politik, 4. Aufl., München 1995, S. 78-115; Isabel V Hull, Der
kaiserliche Hof als Herrschaftsinstrument,
in: Hans WilderotterlKlaus-D. PoW, Der letzte Kaiser. Wilhelm 11. im Exil,
Gütersloh-München
1991, S. 19-30.
Hoffestlichkeit
2
Das Interesse der historischen Forschung am Phänomen
»Hof« im 19. Jahrhundert ist in den letzten Jahren deutlich
reger geworden. Vgl. zuerst und stilbildend Kar! Ferdinand
Werner, Fürst und Hof im 19. Jahrhundert: Abgesang oder
Spätblüte?, in: Ders. (Hrsg.), Hof, Kultur und Politik im 19.
Jahrhundert. Akten des 18. Deutsch-Französischen
Historikerkolloquiums Darmstadt vom 27.-30. September 1982 (=
Pariser Historische Studien 21), Bonn 1985, S. I-53; vgl.
auch den Sammelband Kar! Möckl (Hrsg.), Hof und Hofgesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden
20. Jahrhundert (= Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 18), Boppard am Rhein 1990.
120
Martin
Hofund
Kohlrausch
----------------------------------------------------------
111den letzten Jahren ist von der Forschung
wiederholl betont worden, wie weitreichend
die VerändeSelbstdarstellung
unter Wilrungcn der kaiserlichen
11\:111111. waren.' Wilhelm 11., so John Röhl, versuchte
\llu Ilohenzollernmonarchie
zu charismatisieren«."
I)UI' ubiquitäre »Reisekaiser« war als Monarch all~\I.'gunwärtig; sei es bei den elaborierten
Feiern von
»Kniscrs Geburtstag«,
dynastischen
Jubiläen
oder
durch seine berüchtigten
Reden.' Der neudimensiouicrtc l lof war konstitutiver
Bestandteil
des wilhelmlnixchcn Kaisertums.
Was l'ül' einen Hof fand Wilhelm 1888 vor? Eine hervorsrechende und immer wieder betonte Eigenart des
Präpi cußischcn Hofes war seine stark militärische
fllIlIg, die das Ritualleben
durchdrang
und dem Midie entscheidende
repräsentative
Rolle am Hof
111111'
ci lich. Etwas vereinfachend,
aber in der Tendenz
11111 (;I'1'(;
11d, berichtet
der Zeremonienmeister
Wilill'll1l~ 1., Rudolf Graf von Stillfried-Alcantara, daß
dill l lnhcnzollcrn
trotz ihrer relativ unterentwickelIl'lI Hofhaltung »aber oftmals in die Lage [kamen],
große, glänzende Feste ausrichten zu müssen und es
hat deshalb sowohl der strenge und haushälterische
König Friedrich Wilhelm 1., als auch sein weiser und
sparsamer
Enkel König Friedrich Wilhelm H. doch
eines gewissen opulenten Hofstaates
nicht zu entraten vermocht,
um bei eintretenden
Veranlassungen
den dringend
gebotenen
Aufwand
mit Hilfe eines
größeren Hofstaates
in würdiger Weise entfalten zu
können. So ist es gekommen,
daß in Preußen, mehr
als in manchen anderen Höfen, die Flügeladjutanten
des Königs zugleich seine diensttuenden
Kammerherren sind, und daß das Ceremonial
des preußischen Hofes an mehr als einer Stelle die militärische
Gliederung
durchblicken
läßt. Es ist der preußische
Nationalcharakter,
welcher auch im Hofleben
sich
kommt hier
deutlich abspiegelt«." Sehr anschaulich
zum Ausdruck,
wie stark der preußische
Hof zwischen der »klassischen Variante« des französischen
Vorbilds und einer spezifisch
preußischen
- das
heißt sparsamen - Lösung changierte,
ohne dabei eine endgültige Form auszubilden.'
/lIl'IHI John
München 1965, S. 5-24; Rüdiger vom Bruch,
11 NI'\\'
(,.G. RöhllNicolaus Sombart (Hrsg.), Wilhelrn
lnterpretations, Cambridge 1982, mit vielfältigen
Bürger Wilhelminismus
als Ausdruck kulturellen
Umbruchs
um 1900, in: Adolf M. Birke/Lotbar Kettenacker (Hrsg.),
IIl·IHpkk'ol1;ZUI'wilhelrninischen Regierungsteclmik vgl. die
Hlllllk' IWlrls;o;UI11
sogenannten »Königsrnechanismus«: John
(' (1. IWhl, Oel' ilKölligsmechanismus«
im Kaiserreich,
in:
I IWhl, ,,',,1.1'1'1;l lof und Staat ... (wie Anm. 1), S. 116-140,
IIWil'INllbelV. Ilull, »Personliches Regimente, in: John C.G.
IWhl (lIrSf\'), /)('1' 01'/ Kaiser Wilhelms J/. in der deutschen
, "'\I'hf"hll',
München 1991, S. 3-24.
I HllliI, lloiuiutt tofgesettschaft ... (wie Anm. I), S. 114; zur
6
IIIII'"IIIIIV\'l1Leistung Wilhclrns 11.vgl. Nicolaus Sombart,
I/'III/I'!III 11 Silllr/('lIbock
lind Herr der Mitte, Berlin 1996,
111'1WlllillllllN Rcglcrungszcit als einen einzigen Versuch
11\'MI'lilllllll,
dus 1'l'lIklioniCl'tcBisrnarckreich durch Spektakel
11111/
IllIlHllllllehu Präsenz zu integrieren und auszusöhnen;
Wl'lIll1lll('lIpIlClniNlischIsabel V Hull, Dynastie and NatioI/It/II//I'I /11111I11('1'101
Genuany, in: Carolc Fink/Isabel V Hull
(111~II,), tlrrmou Nottonalisin and the Eurapean Response,
NIIIIIIIIIIII)KS;Werner 13lcssing, Der monarchische KIII/. po7
tut« lu: 1III'It/IIIIIII/ld Arbcitcrbewegnng im Kaiserreich, in:
(lI'rlIIII" 11, Hilll:I', Arhrlterkultur; Meisenheim-Königstein
111/11,WIIII\lllll/l IllInllwig, NtI/lolI.l'hildllll.1( 1I1Ir/ polltlschc
AlI'lIllIlIlill,
111;I)U/'H" (o'(',\'chlch!,I'k,,1i1l1' 111111Wi.I·,I·('II.I·('!t((/I,
MIlIIlIiI\IIIIIIIO,H 2M-.'OI,
/111WlrI'illIll d(\1 1{('ell\IIv"l, PIIINI,1111\111111
(I IrHj.\,), /)/1' 111'
01,'11""1 ",·,t/II'II 11/l/IITII'hl'lI, I 'I.',IIHIt'1I 1111I/II'IIIA 1/1I,khl'
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Hofgesellschaft
121
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und
Bürgertum,
im Zeitalter
S.
Adel und Monarchie.
Wandel der Lebensformen
München 1989,
des bürgerlichen Nationalismus,
119-146; Elisabeth Fehrenbach, Wandlungen des deut-
1871-1918, München-Wien 1969, S.
89ff.; zur kaiserlichen Omnipräsenz Thomas Kohut, Wilhelm
lI. and the Germans. A Study in Leadership, Oxford 1991, S.
235-247.
Rudolf Graf von Stillfried-Alcantara, Ceremonial-Bucn
für den Königlich-Preußischen
Hof Abschnitt I-XII, Berlin
1871; zur Geschichte des preußischen Hofes vor dem 19.
Jahrhundert Eduard Vehse, Geschichte der deutschen Höfe seit der Reformation,
Bd. 1: Geschichte des preußischen
schen Kaisergedankens
Hofs und Adels
und der preußischen
Diplomatie,
Harnburg
851, sowie Georg Schuster, Geschichte des preußischen
Hofes, Berlin 1913.
Vgl. Rudolf Vierhaus. Höfe und höfische Gesellschaft in
Deutschland im 17. IIlIeI 18. Jahrhundert,
in: Klaus Bohnen LU\. (l lrsg.), Deutschland VOll der Reformation bis zur
71'J!,('IIIWII'I,
Knpcnhngcn
1981, S. 36-56; Kort Möckl, Der
j
'Ir'III.I'!'//(' Adt'] IIlIti die ji'11·.I·llich-/lIOIIIIl'l'hi.l'(·111'1I Ilö./i!
1750-
11)18, ill; 1IIII1s-lJlIk'h Wchler (1II's!:I')'ilIlIYlplli,l'ch('I'
Ar/ei.
17.H! IVJII ( (i\'SI'lri('\II\' I1l1d(kscllsdllll1, Snlldcrhlln 13),
(i/llliIIIWII1111111,
S 111111: 1\ Wl'"I~'I, I,'l/I'.II IIIIt!/11/(", (wie
11111'), vIII 11111
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Il·).tII"II11IWMI'hldllll~·h~·"
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11111"'11
1111\ MI\II.I, /I"t!i,'I' '11" /111/1 (wll' 1111111
Schloß Berlin. Grundriß vom 1. Stockwerk des Schlosses mit historischen Wohnräumen
Im Preußen der Zeit vor der Reichsgründung
schloß
sich die Hofgesellschaft
weitgehend
ab und übte nur
eine geringe Wirkung auf bürgerliche
Kreise aus."
Die MonopolsteIlung
des Hofes verfiel im 19. Jahrhundert zusehends.
Insbesondere
nach der Reichs1871 entstanden
Quellen der politischen
gründurig
Macht abseits des Hofes: der Reichstag,
die Parteien, Interessenverbände
ctc. Außerdem
bekam der
preußisch-deutsche Ilof wachsende Konkurrenz
von
luxuriösen
Bällen, Diners und anderen gcscllschaüliehen Yel'lll1slIillungcJ1IIlIS ndliucn, Rcgkl'ungs·
ürgcrlicbcn I<I'cis\:I1," (:koit'l1litll~ :I,l'I'!lI'ikkl'lll'
und
dill
hMisc!ll' MOllopol 111111"'"1\1'1, MIINlk 111\(1'1I1l'II
d('s 1IIlIl
Il'l, \wl\'llI' 111111\'11111 AIIIIl'llIlIlWlkllll1
Wilhclrns
11.
beigetragen
hatten. Der königliche l~inl1l1r.\ 11111\I,,,
Verteilung
der Machtchancen
wurde l)[\chl\(\llil\ ~
schwächt.'?
8
ZUI11preußischen
l lof im
19. .Il1hl'lHlndel1KIIIIIIII'II11I1'I,11/,'
und KIiIlI!;11I/1I'1I 11/1I V, .l1I1t1'/II",d"11 111101
ihr /loj, in: K. WIlIIICI',1111/:K,IIIIII''11It! l'ulltl]; ". lwh' 1111111
preußischen
Klill/fl('
2), S. K9-9K,
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Sir. 1I1'lhlll'VOll111'1111\)1',1111
l üvust» 1/1,1'/1/1/1
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10 I 111111,
I, t\.!i\, I,I. ',lI'! 111h \1111' 11." IIIH
Martin Kohlrausch
Wilhrend im Absolutismus
der Adel die Hauptgefahr
11\,'den Monarchen bildete, sah er sich in der zweiten
vom liberalen Bürger1IIIIIk des 19. Jahrhunderts
II111ILnI d der sozialistischen
Arbeiterklasse
herausgeIhrt!url. Nur wenige Mitglieder der ersten und keine
dor letzten Gruppe befanden sich allerdings am HoIl'. Um bei ele für Hofrituale zugänglich zu machen,
IIlul.\le der Hof entweder erweitert oder die Zeremound beweglicher
gestaltet werden,
nlcn nationaler
dllll1il breitere Schichten sie erlebten. Historisch auf
I!, ledrich Wilhelm IV zurückgreifend
und Anleihen
Iwlll\ 11M in Windsor tätigend, versuchte Wilheltn n.
11einem gewissen Maß durch eine Expansion des
11,IIcs den neuen Anforderungen
zu entsprechen. I1
1'111uugcnscheinlicher Ausdruck für den Bruch in
war die bis ins Ded('1 höf'ischen Selbstdarstellung
II1rI geplante, äußerst wirkungsvoll inszenierte Eröff1I11l1gdes Reichstages durch Wilhelm n. am 25. Juni
I HHX, Die in ihrem demonstrativ
die Einigkeit der
H~'Ir:ltsl'i.irsten betonenden
Zeremoniell
suggestive
crunstnltung im Weißen Saal des Schlosses war ein
hcuierkcnswertes Schauspiel!'; ein aussagekräftiges
Ih'lllpiel rür die Art der Innovationen unter Wilhelm
Traditiona11" nhcr nuch für den mittelalterlichen
I'HIIllIS lind die politische Bedeutung des höfischen
/,,~II~'II\on iclls.
Mnlhilde CirUrin von Keller berichtet von einer spä1\'1\'11 dor nun jährlich stattfindenden
Zeremonien:
im Beisein Sei1I >bll' Reichstagseröffnungsfeiern
IH'I' Mnjcstiil und unter Entfaltung höfischen GlanIl'Il I,l\iglull stets ein eindrucksvolles
Gepräge. Ihre
MIII"NIIIt lIlId die Prinzessinnen mit ihren Hofstaaten
woltllll\1l ihnen meist von der Kapellentribüne
aus
Il\'i, lIuvli WlII't!CIl einzelne Damen und Herren der
( :l!NI'1 ilwllirll guladen. Der Saal war dicht gefüllt von
111'11lü·klislligsubgeordneten
aller Parteien - nur die
SlIlIlrt,kl\lllknrlen
hielten sich fern -, den Mitglie\k'll (b. Hundesrates. den Ministern, der Generalität
""W 1!lIliI(lrenrul'c kündeten das Nahen des kaiserli\ 11\'11Zugus an. Voran die Schloßgarde-Kompanie,
"" lillgtell die l loffcuriere, zwei adlige Herolde, die
Ilrd , Oburhof:' lind obersten Hofchargen,
dann die
III'IIVII, die die Reichsinsignien
trugen ... Nachdem
:-1('111('Mnjestiit die Stufen des Thrones erstiegen hat11'IllId die tnsignicnträger sich um ihn gruppiert hat11'11,l1llillgle die Verlesung der Thronrede. Die ganze
1,I'11'III0l1iu wnr ungemein packend und wirkungsvoll
Ohk~ einen eigenartigen Zauber aus«. 13
111111
Hof und Hofgesellschaft
Hofund Schloß
Die offensichtlichste
Veränderung des Hoflebens betraf dessen Hauptschauplatz.
Die von den Höfen Wilhelms I. und Friedrichs III. genutzten Palais Unter
den Linden wurden aufgegeben.
Statt dessen wählte Wilhelm n. das Königliche Schloß in Berlin und
das Neue Palais in Potsdam zu seinen Residenzen.
Das Berliner Schloß war dazu in vielerlei Hinsicht
prädestiniert.
Es beeindruckte
durch seine ungeheure Baurnasse wie durch seinen Standort in der Mitte
der Reichshauptstadt
und bot zudem vielerlei Mög14 Wilhelms
Vater und
lichkeiten der Ausgestaltung.
Großvater hatten das Schloß nur bei großen Hofzeremonien betreten, aber nie darin gewolmt.
Das Berliner Stadtschloß
- als Gutsbezirk
organisiert und damit dem Einfluß der Stadt weitgehend
entzogen - umfaßte zur Zeit Wilhelms 11. etwa 600
Räume, von denen 20 die neu hergerichtete
Woh-
[[
[2
13
Zu Friedrich Wilhelrn IV: David E. Barclay, Hof und Hofgesellschaft in Preußen in der Zeit Friedrich Wilhelms IV
(1840-1875). Überlegungen und Fragen, in: K. Möckl, Hofgesellschaft ... (wie Anm. 2), S. 321-361; zu Wilhelms Anleihen in England John C.G. Röhl, Der Kaiser und England, in:
Wilfried Rogasch, Victoria & Albert. Vicky and the Kaiser.
Berlin
Ein Kapitel deutsch-englischer
Familiengeschichte,
1997, S. [65-187, bes. S. 165f.; J. Röh1, Hofgesellschaft ...
(wie Anm. 1), S. 114; zur auffälligen Älmlichkeit der Wilhelminischen »Wiederentdeckung« von Hofzeremonien mit
der Situation des französischen Hofes in der Restaurationszeit vgl. die Studie von Philip ManseI, The Court of France.
1789-1830, Cambridge 1988.
Vgl. das Kapitel »Weisser Saal« in: Viktoria Luise, Im Glanz
der Krone. Erinnerungen, München 1970, sowie die zustimmenden Eindrücke der Baronin Spitzemberg: Das Herrlichste von allem war die Reichstagseroffnung mit den deutschen
Fürsten. Spitzemberg schreibt die Initiative dem Großherzog von Baden zu; vgl. RudolfVierhaus (Hrsg.), Am Hof der
Hohenzollern. Aus dem Tagebuch der Baronin Spitzemberg.
1865-1914, München 1961, S. 252f.
Mathilde Gräfin von Keller, Vierzig Jahre im Dienst der
Kaiserin. Ein Kulturbild aus den Jahren 1881-1921, Leipzig
1935,S.282f.
14 Eine eingehende Analyse der Repräsentation des Herrschers
durch seine Bauten fehlt fiir den preußisch-deutschen Hof
unter Wilhelm 11. bisher. Die Fruchtbarkeit eines solchen
Ansatzes beweist fiir das Münchner Beispiel Samual J. Klingensmith, The Utility ofSplendour, Chicago 1993.
nung des Kaiserpaares
bildeten. 15
Der Wolmbereich
Wilhelms und
Auguste Viktorias war vom Rest
des Schlosses abgetrennt, umfaßte das Arbeitszimmer
Friedrichs
des Großen und lag nach Süden
blickend."
auf den Schloßplatz
Regelmäßig
wird dieser Bereich
»gemütliches«
als bürgerliches,
Gegenstück
zum unbewohnten
Teil des Schlosses beschrieben.'?
Gleichwohl
dienten die Räume
repräsentativen
und regierungsteclmischen Zwecken. Im »Sternsaal« (Marines aal) fanden Audienzen und größere Empfange, im
Pfeilersaal intimere Festlichkeiten
statt, und der Vortragssaal
diente
zu Minister- und Staatsratssitzungen."
Weit wichtiger für die öffentliche
Wahrnehmung
des Hofes waren
allerdings die großen, dekorativen
Fest- und Empfangssäle
im zweiten Obergeschoß
des Schlosses,
nach Norden hin auf den Lustgarten blickend. Der bedeutendste
war zweifelsohne
der sogenannte
Weiße Saal, maßgeblich gestaltet
unter Friedrich Wilhelm 1., verändert unter Friedrich Wilhelm IV
Tafel fiir Galadiner im Weißen Saal
15 Zur Lage und Einrichtung der kaiserlichen Wohnung vgl.
die ausführliche zeitgenössische Beschreibung in: Arthur
A. Bremer, Am Hofe Kaiser Wilhelms JJ. Die Höfe Europas,
Berlin 1902, S. 39ff., sowie die Beschreibung des Zustands
der zwanziger Jahre bei Albert A. Geyer, Die historischen
Wohnräume im Berliner Schloß, Berlin 1929, S. 9ff.; Goerd
Peschken/Hans- Wemer KImmer, Das Berliner Schloß. Das
klassische Berlin, Berlin [982, S. lllf. und S. 527ff. Zur
Tradition der wilhelrninischen Wohnung in der Reihe seiner
Vorfahren Helmut Börsch-Supan, Wohnungen preußischer
Könige, in: K. Wemer, Hof, Kultur und Politik ... (wie Anm.
2), S. [17f.; zur Organisation des Schlosses als Gutsbezirk
vgl. Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde
Berlin, [920, in: Christian EngelilWolfgang Haus (Bearb.), Quellen zum modernen Gemeindeverfassungsrecht
Deutschland, Stuttgart 1975, S. 579-605.
12.
in der Kaiserzeit
in
16 Die Wahl des Arbeitszimmers Fricdrichs
wie IllIdl VIIII
dessen Winterwohnung in Potsdam - iSI bczcichncml 11\1
Wilhelms Versuch, den Kult Ulllden »Großcn Ahn« 111 111
Alm 111
strumentalisieren; vgl. RudolfBraun/David (iU!l!:lCI'Ii,
17
18
des Tanzes - Tanz der Mächtigen. Hoffeste IIl1d 1/('1'1',1'('111///1
zeremoniell 1550-1914, München 1993, S. 296.
Vgl. A. Bremer, Höfe Europas ... (wie Anrn. 15), S, ~ I; 1'11111
P. Lindenberg, Am Kaiserhofe zu Berlin, Bortin IIN<I,S ~I ,
C. Jahnel, Das Heim. des deutschen Kaiserpanres 111tll'/11 All
niglichen Schlosse zu Ber/in, in: Der Bär 15(I !l9K), S '>lHI
Vgl. A. Bremer, Höfe Europas ... (wie AI1I11.15), S, ~ I,
Geyer, Wohnräume ... (wie Anm, 15), S. 18;ZUIllAIhelWlll1
mer Wilhelms II. vgl. Klaus-D. Pohl, »Dns
AII(,I'/I/'II/~,I/I'n
zu den Arbeitszimmern der !lO//('II:IIII,'I'/I,
111
Wilderotter/K. Pohl, Der letzte Kaiser ... (willAllIlI, Il, :'
Anmerkungen
H.
123-130.
1211
Martin Kohlrausch
Treppe zum Weißen Saal
Hof und Hofgesellschaft in der Kaiserzeit
und in dieser Form noch bekannt
aus dem berühmten
Gemälde
Anton von Werners, welches die
Reichstagseröffnung
1888 darstellt.
Unter Wilhelm 11. wurden der
Saal, wie auch weite Teile des
Schlosses, umgestaltet und modernen Bedürfnissen angepaßt.'?
Mit gutem Grund kann der Weiße
Saal als der zentrale Ort des wilhelminisehen Hofes, in gewisser
Hinsicht des Reiches, bezeichnet
werden. Er war Schauplatz der
wichtigsten Staatsakte und Zeremonien, der größten Feste und
Feiern. Dazu gehörten die Hofbälle, die Fürsten- und Diplomatenempfänge, die Trauerzeremonien
und Hochzeiten
»allerhöchster
Herrschaften«. Nach dem Weißen
Saal muß der Rittersaal erwähnt
werden. Hier fand nicht nur die
große Hofcour, sondern auch die
Investitur des Schwarzen Adlerordens statt. Im Rittersaal stand zudem der Thron, der von Wilhelm
11. Anfang der neunziger Jahre
umgestaltet worden war."
19
20
Weißer Saal
Wilhelm fügte sich mit seinen Umbaumaßnahmen
also in die Tradition
seiner Vorfahren ein; vgl. P. Lindenberg, Kaiserhofe ... (wie Anm. 17),
S. 94; die Modernität
des Schlosses
im Vergleich zu konkurrierenden
Residenzen wurde von der offiziösen
Literatur betont, vgl. Hojleben unter
Kaiser Wilhelm II., Berlin 1892, S.
19. Die Umbaukosten
waren enorm
und wuchsen nach Informationen
der
Fürstin Ratziwill bis zum Jahr 1892
auf elf Millionen
Mark an: Marie
Fürstin Ratziwill, Briefe vom deutschen Kaiserhof 1889-1915,
Berlin
1936, S. 58.
Vgl. A. Bremer, Höfe Europas
(wie Anm. 15), S. 25ff.
Neben Berlin und Potsdam hielt sich der Hoflängere Zeit auf den Schlössern Wilhelmshöhe bei Kassel und Schloß Homburg auf. Die Schlösser in den
Provinzen dienten dagegen nur vorübergehend als
Absteigequartiere, wie etwa Breslau, Königsberg,
Stettin, Kiel oder Hannover. Im Herbst reiste der
Kaiser auf seine Jagdschlösser, unter denen Rominten (Ostpreußen), Hubertusstock (Schorfheide) und
Letzlingen (Altmark) die meistbesuchten waren.
Hof und Hofgesellschaft
Der preußische Hof stand unter der Leitung des
1819 eingerichteten Ministeriums des Königlichen
Hauses, von 1888 bis 1907 unter der Leitung Wilhelm von Wedels (zuvor Otto Stolbergs, der danach
noch Oberstkämmerer war). Die Hauptfunktion des
»Hausministers«
war die Vermögensverwaltung
des Königlichen Hauses. Im Jahr 1918 umfaßte die
Kronverwaltung nicht weniger als 3 500 Beamte,
Angestellte und Arbeiter," An dienstbaren Kräften
waren am Hofe etwa 500 Personen beschäftigt, allein
in der Hofküche arbeiteten 40 Köche.22
Für das eigentliche höfische Leben war der Oberhofmarschall die ausschlaggebende Figur. Mit August von Eulenburg, der 1890 Nachfolger des Bismarckianers Eduard von Liebenau wurde, war das
Amt nach Meinung der meisten Beobachter ideal
besetzt.P Obwohl dezidiert konservativer Agrarier,
war Eulenburg für Neuerungen offen und trat dafür ein, hervorragenden Vertretern der Wissenschaft
und Wirtschaft die Hoffähigkeit zu verleihen." 1907
wechselte August Eulenburg nach der Entlassung
Wedels in das Hausministerium über. Unter dem
Oberhofmarschall amtierten die Oberhofchargen, der
Schloßhauptmann, der Obergewandkämmerer,
der
Oberjägermeister, der Oberstallmeister, der Oberzeremonienmeister, der Hausmarschall und der Intendant der Schlösser. Alle Amtsträger waren Exzellenzen. Insgesamt unterstanden dem Oberhofmarschall
617 Personen."
Neben den etatmäßigen Hofämtern existierten oberste Hofwürden, deren Inhaber nur bei Feierlichkeiten
in Erscheinung traten. Dies waren der Oberstkämmerer (Otto Fürst von Stolberg, Nachfolger Friedrich
Fürst von Solms-Baruth, 1897), der Oberstmarschall
(Max Egon von Fürstenberg), der Obersttruchseß
(Hugo Fürst von Radolin) und der Oberstschenk
125
(Hermann Fürst von Hatzfeld)." Diese Ämter waren
weder erblich noch lebenslänglich, sondern beruhten
auf freier Ernennung durch den Monarchen. Abgesehen vom Oberstkämmerer allerdings, waren die obersten Hofchargen eher dekorativer Natur." Die Ämter
waren Personen anvertraut, die durch Rang, Familie
und Vermögen hervortraten. Sie versahen gleichsam
symbolisch ihren Dienst durch Anwesenheit bei dell
glänzendsten Festlichkeiten am Hof.
Schließlich war es der ursprüngliche und wichtigste
Zweck des Hoflebens, die »Vasallentreue« gegenüber der Hohenzollerndynastie
nicht nur der alteil
preußischen Nobilität zu begründen und zu vcrstilrken. Die adligen Familien aus denjenigen Provinzen,
die von Preußen annektiert worden waren und d01'
nichtpreußischen Gebiete, die 1871 im Reich aufgingen, mußten überzeugt werden, den kaiserlichen 1101'
in Berlin und nicht die jeweiligen regionalen l löfc in
München oder Karlsruhe - oder gar Wien oder dun
Vatikan - als den Fokus ihrer sozialen Aspirationen
und politischen Loyalität zu betrachten. Phitipp Ell-
21
22
23
24
25
26
27
Vgl. Hans Philippi, Der Hof Kaiser Wilhellll.\" 11., in: K,
Möckl, Hofgesellschaft ... (wie Anm. 2), S. 363.
H. Philippi, Der Hof Kaiser Wilhelms 11: ... (wie AI1I11.21),
S. 366; vgl. im Detail: Handbuch über den konigtlrh Jll"1'1/
ßischen Hof und Staat für das Jahr 1900, Bortin IHIIII, S,
I-52.
Zu den Umständen
des Wechsels im Amt: lsabcl V. 11\111,
The Entourage of Kaiser Wilhelm 11. J 888-1918, ('lImbi/dlll\
1982, S. 24f. Beispiele positiver Wertungen
bei: I1I1f\dllll
Graf Hutten Czapski, 60 Jahre Politik und Gesellschaft, 1 h'l
lin 1936, Bd. I: S. 407, sowie Bd. 2: S. 504; l Iugo F,'()ihl'"
von Reischaeh, Unter drei Kaisern, ßerlin 1925.
Vgl. H. Philippi, Der Hof Kaiser Wilhelms 11.... (wie Aum,
21), S. 365.
Vgl. Kurt K. Heinig, Wilhelm fI. und sein l laus. /)('1' "'1111111/
um den Kronbesitz, Berlin 1921, S. 25ff. Um einen I\illhli(,~
in den zeitweise aufreibenden
Alltag eines Ilon)()lIlllll\l1 111
erlangen, empfehlen
sich die Aufzeichnungen d()~ (11'111\111
Zedlitz- Trützschler, der von 1903 an als HOfl11(UWhtd I dl\llIte: Robert von Zedlitz-Trützschler, ZwotfJahn: 11/11 11"111
sehen Kaiserhof. 11.-13. Aufl., Berlin-Lcipzig
1924,
Vgl. P. Lindenberg, Kaiserhofe ... (wie Anm. 17), S, 71,
Tatsächlich walt.eten die Hofchargen in der wilheludlliN~hl'll
Zeit nur einmal gemeinsam
ihres Amtes, nlimlich I1ll1dill
Hochzeit der Kaisertochter
Viktoria Luixc; vg], FI:(!tll VIIII
obeltitz, Ich habe so gern geietu, 13erlin 19311, S, 10'1,
1 )(1
Murtin Kohlrausch
k11llwI'gSPI'IICI!vom wilhclminischcn
Kaisertum als
1101I der t{eicll~idcc«.2H
ZUllt 1101'gehörten die Ilofstaaten des Herrschers
lind der Mitglieder seiner Famitie." Ihre Ordnung
.'1'1\11,,'
die I10lgcscllschaft - die den Hofstaat umfaßtc, ubcr institutionell von ihm zu unterscheiden istdurch die l lofrangordnung,
die »Verfassungsurkunde
dor l lofgcscllschaftc.e? Die Hofrangordnung erweitl'lle den Ilof in die Gesellschaft hinein. Zwar exiNtk'lIen überkommene Rechte, aber prinzipiell hing
:N VOllder Gnade des Kaisers ab, wer aus welchen
Schichten und Gruppen der Bevölkerung zum Hof
.hörtc, Der Herrscher bildete die Mitte. Wilhelm 11.
.nlschicd über politische, kulturelle, soziale und materiellc Chancen, setzte durch Titel und Orden seine
kzcntc oder veränderte die überlieferte Ordnung.
1\1'WHr l lcrr des Zeremoniells und der Etikette und
hUHIIß Ihcorctisch die Rechte der Jurisdiktion
über
l,'illIlilienmilglieder, den preußischen Adel und Mitlieder des Hofes. Das hohenzollernsche Hausgesetz
Illitro praktisch Verfassungsrang. Traditionellerweise
hesol.\ der preußische Herrscher einen erheblichen
Spielraum, was die Gestaltung des Hofes anbelangte, Kur! Möckl hat auf die potentielle Bedeutung der
l lulgcscllschaft hingewiesen: »Die Wechselwirkung
zwischen Fürst und Hofgesellschaft bildete ein System gegenseitiger Abhängigkeit; aber die Mitte war
der Fürst, und dies bedingte eine Hierarchie, die sich
selber nur in einem sich erweiternden System der
Teilung und Unterordnung verwirklichen und darstellen konute«."
Zeremoniell und Rang des Hofes waren im Zeremonialbuch für den preußischen Hof festgelegt. In
l'rcußcn galt das Rangreglement von 1713 bis zur
Rciehsgründung. Seither trat an seine Stelle das Hofrnngrcglernent von 1871. Fast alle wichtigen Ämter
tim Ilof wurden von Adligen dominiert - vor allem
die in der Nähe des Königs. Leibpagen entstamm1\l11ausschließlich exklusiven Adelsgeschlechtern.P
111den :für das Hofleben existentiell wichtigen Vortrius-, Ehren- und Rangfragen präsidierte der Zeremonienmeister. Der Rangfragen gab es viele an
.incrn Hof, dessen Hofgesellschaft offener war als
1111
anderen Höfen und wo die grundsätzlich militärischc Rangordnung den Gegebenheiten des zivilindustriellen Zeitalters entgegenkommen sollte. Das
Hofrangreglement
von 1878 gliederte die preußische
l tofgesellschaft in 62 Ränge (im Unterschied zu fünf
Hof und Hofgesellschaft
in der Kaiserzeit
in Sachsen und Österreich und drei in Bayern)." Die
Ränge reichten von den obersten Hofehrenämtem
und Generalfeldmarschällen über den Reichskanzler,
die Ritter des Hohen Ordens vom Schwarzen Adler
- des einzigen Ordens, der einen Rang begründete
- (Rang 8), die Kardinäle (Rang 9) - ein Indiz für
den Versuch der Integration auch der katholischen
Führungseliten -, die Häupter der fürstlichen und
gräflichen reichsständischen Familien (Rang 10) bis
zu den Offizieren, hohen Beamten und den Ordensträgem." In allen weiteren Stufen folgten den militärischen Rängen die entsprechenden zivilen. Mit den
Leutnants schließt die Hofrangordnung. D.h" das
gesamte Offizierskorps war hoffähig."
Die Damen folgten dem Rang ihrer Männer, lediglich die Oberhofmeisterin ging allen anderen Damen
voran.
28
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35
Vgl. 1. Röhl, Hof und Hofgesellschaft ... (wie Anm. I), S.
112.
Zum Hof der Kaiserin vgl. Aus der Berliner Gesellschaft
unter Kaiser Wilhelm 11., Berlin 1892, S. 1-30, sowie die
Berichte der Gouvernante Anne Topham, Chronicles of the
Prussian Court, London 1926, bes. S. 34ff.
Karlheinz Blaschke, Hof und Hofgesellschaft im Königreich
Sachsen während des 19. Jahrhunderts, in: K. Möckl, Hofgesellschaft ... (wie Anm. 2), S. 177-206, Zitat S. 191.
K. Möckl,Adel ... (wieAnm. 7), S. 99.
Röhl gibt eine vollständige Auflistung der Ämter und Tätigkeiten des höfischen Personals, vgl. 1. Röhl, Hof und Hofgesellschaft ... (wie Anm. I), S. 105; zu den Leibpagen vgl.
S.81.
V gl. Karl Möckl, Hof und Hofgesellschaft in Bayern in der
Prinzregentenzeit,
in: K. Werner, Hof, Kultur und Politik .
(wie Anm. 2), S. 183-236 und S. 220; Blaschke, Sachsen .
(wie Anm. 30), S. 188ff.; zur preußischen Hofrangliste: R.
Stillfried-Alcantara,
Ceremonial-Bucn ... (wie Anm. 6), Abschnitt XII.
1. Röhl,HofundHofgesellschaft
... (wieAnm. I), S. 87-91;
die Bedeutung der Hofrangliste für die Reichsgesellschaft
wurde jüngst betont von N. Sombart, Wilhelm Il. ... (wie
Anm. 3), S.103ff.
Zivilisten dagegen bedurften des Geheirnratstitels, um Hoffähigkeit zu erlangen. Vgl. K. Werner, Fürst und Hof ... (wie
Anm. 2), S. 45; zur militärischen Prägung des Hofes im allgemeinen, aber auch der Entourage des Kaisers: lohn C.G.
Röhl, Germany without Bismarck. The Crisis of Government
in the Second Reich. 1890-1900, London 1967, S. 182ff.;
vgl. auch die zahlreichen Beispiele in: 1. Hull, Entourage ...
(wie Anm. 23).
Das Pagen-Korps (Leibpagen)
Die Hofrangordnung definierte idealiter die gesellschaftliche Ordnung - nicht dadurch, daß die Hofgesellschaft ständig bei Hofe anwesend war, sondern
dadurch, daß die von der Rangliste Bezeichneten potentie1l Zugang zum Hofe hatten. Aus der Perspektive des Hofes hatten die Parlamente einen untergeordneten Rang, doch auch der Reichstag war auf
den Hof zugeordnet. Für das Herrenhaus des Preußischen Landtags versteht sich dies von selbst. Das
Hofrangreglement war durchlässig und gewährte Beamten und Offizieren den Platz, den sie aufgrund ihrer DienststeIlung einnahmen, unabhängig von ihrer
Herkunft. Zudem beschränkte sich die Rangordnung
auf die offiziellen Aufzüge; sie präjudizierte nicht
die Stellung derjenigen, die als Beamte, Künstler,
Gelehrte oder Industrielle an den Hof geladen wurden.
Die signifikante Erweiterung der Hoffunktionen
spiegelt sich am offensichtlichsten in der institutionellen Ausgestaltung des Hofes wieder. Während die
meisten europäischen Höfe aus drei Teilen bestanden
- der königlichen Familie, den technischen Dienern
und den ehrenamtlichen Verwaltern, die repräsentative Funktionen ausübten " - setzte Preußen zwei,
seiner militärischen Prägung cntsprcchcruk-, 11111
hinzu: die Zivil- und Militärkabinette.
dk IWIIH lli 11
König/Kaiser sowie Zivil- und Mililtirhi'lIokllltll' \11
mittelten, und das aus den General- und ','I(\l'l'IllIljll
tanten bestehende militärische Gefolge, dll~ \'1111\1 I
Zwitter ehren- und rein amtl ichcn WUN~'1l1-<
dl\llIlI 11
te.37 Die Kabinette wurden unter Willu-hu 11 111111
stärker als zuvor als zentrales Lenklillgl'llll~tllllill 111
genutzt. Insbesondere das Militär- IIlld dll~ I HHlj
geschaffene Marinekabinett sicherten ciucu \\'111111
ehenden Einfluß, indem sie dem Kuiscr d il' r-.1l\1'
111It
keit verliehen, die Besetzung von ort'i~iI.JINNh'lIlllll
steuern."
Zum Hof im weiteren Sinne zu rechneu MilIlI 111111
dll 1\111\
die diversen kulturellen Einrichtungeu,
Kaiser unterstanden und von ihm l'inuuzk-H /11111111
36
Jürgen Freiherr von Krucdcner, /)/1' 110/11' 111'11/1//,'1 ,,,, 111.
Srungart 1973, S. Hf',
Vgl. I. Hull, EII/OIII'II!!.(' .. , (wie AIIIII,
2 Il, S .1(. \1
.J. Röhl, l/'i/'lIlIrlliI!fp,e,I'('lI.w'III/!t
.. , twh' Arun I L 4 11
SOlli/isIIIIIS,
37
38
12H
Martin Kohlrausch
filg waren, vor allem die Hoftheater und die königllchen Museen"; Funktionen, die im Finanzbedarf
dOH Ilofes reflektiert werden. Es ist bemerkenswert,
dlll,\ (rotz einer Verdoppelung der Staatsausgaben
während der Regierungszeit Wilhelms II. der AnIl'lI der Aufwendungen für den Hof stabil blieb - ein
Iluwuis dafür, welche Bedeutung die Zeitgenossen
dU1l1Ilof beimaßen.t'' Die preußische Zivilliste, beI~Iündct 1820 als Krondotation mit einem Umfang
VOllknapp 8 Millionen Mark, wuchs während der
Hugiorungszeit Wilhelms Ir. von 12,2 auf 19,2 MilIlolIUI1Mark. Hinzu kam ab 1874 ein »Allerhöchster
I)iHpoHilionsfonds« für die Ausgaben des Deutschen
K/lIHUrs,der, ursprünglich 300 000 Mark umfassend,
lIl'h unter WiJhelm verzehnfachte." Die Hofhaltung
I", wilhclminischen Reich war nach Armee und FlotIl' diu weitaus größte Position im Budget. Sie kostete
",uhr IIIR der Reichskanzler, die Reichskanzlei, das
AIIMwUrtigeAmt, das Kolonialamt und die ReichsjllHlizverwaltung zusammen." Hinzu kamen weitere
.10 Millionen Mark aus Privateinkünften des Kaisers
IIIId diversen Nebenhaushalten
(wie die Kabinette)
lind Sondereinnahmen. Wilhelms H. Privatvermögen
wurde nu f ca. 140 Millionen Mark geschätzt."
ge des Grafen Eulenburg liest. Aber es läßt sich nicht
leugnen, Glanz und Gepränge wirken imponierend.
... Der feierliche Zug setzte sich von der sogenannten
boisierten Galerie aus, neben den Königszimmern,
in Bewegung. Voran schritten zwei Herolde in altdeutscher Tracht, dann folgten die Leibpagen des
Kaisers von Trotha und Freiherr von Rechenberg
und die Hofpagen in ihren roten goldbordierten Rökken, auf Sametkissen die Insignien der neu aufzunehmenden Ritter tragend, der Ordensschatzmeister
Geheimer Hofrat Borck und der Ordenssekretär Graf
Kanitz mit den Statuten, der Oberzeremonienmeister Graf Eulenburg, die kapitelfähigen Mitglieder
des Ordens in großer Uniform mit Band, Kette und
Mantel, die Prinzen und die fürstlichen Ordensritter
und endlich der Kaiser selbst ... Die Fanfaren, von
dem fernstehenden Trompetenchor aufgenommen,
dauern an, bis der Kaiser den Thron bestiegen und
sich der Hofstaat um ihn nach dem vorgeschriebenen
Zeremoniell geordnet hat. Dann erst beginnt der Akt
der Investitur«."
Die Schilderung vermittelt einen bildhaften Eindruck
von der Wirkung eines solchen wohldurchdacht inszenierten Ereignisses, die offenbar zwischen Verund Bewunderung angesichts des ungezwungenen
Rückgriffs auf historische Versatzstücke schwankte.
Hofaktivitäten
Aktivitäten am Hof folgten einem strengen zeitlil'lwn Schema. Nachdem das Weihnachtsfest zurück/ll'zogen in Potsdam begangen worden war, begab
"Il'h der lief zurück nach Berlin. Das neue Jahr beIW"1lmit einem Festgottesdienst, dem eine Defilier'11111'
l'olgle.44 Anschließend marschierte der Kaiser
dOH nild ist berühmt - in Begleitung seiner Söhne
1.111'
1'111'olenausgabevom Schloß zum Zeughaus.
AIII 2, Januar erschienen die in Berlin beglaubigten
I)il)lollll!lCI1 im Schloß, am 3. die Generäle. Zwivhon dem 18. und 20. Januar wurde der preußischen
KIIlligNkrönung gedacht, und die Ritter des Schwar:tl'll Adlurorclens traten zum Kapitel zusammen. Die
~kldklorung des Aktes der Investitur des Ordens fehlt
11keiner zeitgenössischen Beschreibung des HofleIHIIIN: »Dcr volle Pomp des Zeremoniells wurde am
IH, hut der Versammlung der kapitelfähigen Ritter
tlllHSchwurzen Adler entfaltet. Man glaubt sich zuWI,lIII,lIl
in die Zeiten des ersten preußischen Königs
znrückvcrsctzr; wenn man die dazu ergangene Ansa-
39
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H. Philippi, Der HofWilhelms II. ... (wie Amn. 21), S. 385,
zu den Eingriffen Wilhelms I!. in kulturelle Angelegenheiten
vgl. S. 388; Kritik bei F. Zobeltitz, Ich habe so gern gelebt.
(wie Anm. 27), S. 111; vgl. generell: Peter Paret, The Berlin
Secession. Modernism and Its Enemies in Imperial Germany, Cambridge Massachusetts 1980.
Die beste Zusammenstellung
der finanziellen Unterlagen
des Hofes findet sich in J. Röhl, Hof und Hofgesellschaft ...
(wie Anm. I), S. 72-74; vgl. auch K. Heinig, Hohenzollern
... (wie Anm. 25), S. 14ff.
J. Röhl, Hofund Hofgesellschaft ... (wie Anm. I); vgl. auch:
A. Bremer, Höfe Europas ... (wie Amn. 15), S. 95. Im strengen Sinn kann der Allerhöchste Dispositionsfonds
als der
einzige institutionelle Verweis auf das Vorhandensein eines
deutschen - nicht preußischen - Hofes angesehen werden.
J. Röhl, Hofund Hofgesellschaft ... (wie Anrn. I), S. 82.
Vgl. zum Vermögen und Einkommen Wilhelms Ir. Jahrbuch
des Vermögens und Einkommens der Millionäre in Berlin,
Berlin 1913, S. 115-124.
Vgl. Hof/eben ... (wie Amn. 19), S. 82ff.
Eintrag vom 23. Januar 1896 in: Fedor von Zobeltitz, Chronik
der Gesellschaft unter dem letzten Kaiserreich, Berlin 192 J,
S. 138f.; vgl. auch Hof/eben ... (wie Anm. 19), S. 65ff.
Hof und Hofgesellschaft
Am ersten Samstag nach dieser Zeremonie wurde
jedes Jahr das Krönungs- und Ordensfest begangen,
zu dem alle geladen waren - mehrere tausend - die
vom Kaiser eine Auszeichnung verliehen bekommen
hatten."
Das nächste herausragende Ereignis war Kaisers Geburtstag am 27. Januar, meist verbunden mit einer
großen Cour. An den Januar mit seinen zeremoniellen Großereignissen schlossen sich die Hofbälle im
Februar an. In der Regel fanden ein großer mit 2 000
Personen sowie zwei kleinere mit je 800 Personen
statt. Der Kaiser hatte wenig Vorliebe für moderne
Tänze, sondern zog historische vor." AufWilhelms
Ir. Befehl hin mußten 1890 höfische Tänze des Ancien Regime ins Repertoire aufgenommen werden,
die bei besonderen Anlässen und Jubiläen in von
Wilhelm persönlich entworfenen historisierenden
Uniformen zur Aufführung kamen. Der Kaiser selbst
gefiel sich dabei als Tanzlehrer, auch wenn bei der
Durchsetzung der neuen »alten« Vorgaben signifikante Probleme auftauchten."
Unter dem 16. Februar 1897 heißt es im Tagebuch
der Baronin Spitzemberg: »Probe [für ein Kostümfest] im Weißen Saale, nachdem wir etwa eine Stunde auf seine Majestät gewartet, der seinerseits mit
der Schloßgarde friderizianische Griffe eingeübt hatte! Eulenburg warf einen Teil des mühsam Eingeübten frischweg um, worüber Lehrerin, Schülerin und
Mütter nahezu in Verzweiflung gerieten; besonders
die Potsdamer Offiziere befinden sich in einer üblen
Lage und sind nahezu rebellisch, denn wenn auch
der Dienst nachgelassen wird, können sies physisch
kaum leisten und behaupten mit einigem Recht, sie
seien vor allem Offiziere und keine Ballettänzer«."
Nichtsdestotrotz setzte sich die wilhelminische »Invention of Tradition«, ausgehend von den aufwendig
inszenierten Hofereignissen, bis hinein in private
Festlichkeiten durch." Die Raumfolge im Schloß bot
für die vom Kaiser bevorzugten Menuette, Quadrillen, Galopps etc. einen glänzenden Rahmen. Bei den
Hofbällen wurden die heranwachsenden Töchter des
Adels am Hof eingeführt; die meisten Söhne gelangten als Offiziere oder zum Teil schon als Kadetten,
die Pagendienste verrichteten, ohnehin an den Hof.
Um die Einladungen der Parlamentarier bemühte
sich die jeweilige Partei beim Hofmarschallsamt. An
Balltagen waren die Straßen Berlins mit Zehntausenden gesäumt, die die Auffahrt der Gäste beobachten
in der Kaiserzeit
129
wollten." Außer den Bällen im Schloß existierten
die beliebten Subskriptionsbälle im Opernhaus und
vom Hof protegierte Wohltätigkeitsbälle im Hotel
Kaiserhof. 52
Sowohl an Pracht als auch an der Zahl der Teilnehmer nahmen die Hoffestlichkeiten zu: 1892 waren
zur Neujahrscour 3 700 Personen geladen, 1897 defilierten 4 000 Personen drei Stunden lang vor dem
Kaiserpaar." Die Tradition des Gottesgnadentums
wurde durch die Verbindung des Hofjahres mit dem
Kirchenjahr wieder besonders betont, und die Orden
der Johanniter und der St. Georgsitter entwickelten
neues Leben. Obwohl vielfach als anachronistisch
empfunden, deutet doch einiges darauf hin, daß d i
Formen des höfischen Zeremoniells ernst genommen
wurden. 54
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54
Eine bildhafte Beschreibung eines Krönungs- und Ordensfestes findet sich bei: E. Jagemann, 75 Jahre ... (wie Anm. 9),
S.211.
R. Braun/D. Guggerli, Macht des Tanzes
(wie AnI11. 16),
S. 277; zum Tanz am Hofvgl. Hof/eben
(wie Anm. 19),
S.79.
Vgl. das Kapitel »Hofball« in Viktoria Luise, Im Glanz der
Krone ... (wie Anm. 12).
Spitzemberg, Tagebuch ... (wie Anm. 12), S. 352; vgl. ZII
ähnlichen Beschwerden auch: Heinrich von Schönburg- Wul.
denburg, Erinnerungen aus kaiserlicher Zeit, Leipzig 1929,
S.61f.
.
R. Braun/D. Guggerli, Macht des Tanzes ... (wie Anm. 16), S,
304f.; das Konzept der Invention of Tradition - auch für dUI1
wilhelminischen Hof - bei Eric Hobsbawn, Mass-Produclng
Traditions: Europe 1870-1914, in: Eric Hobsbawn/Tcrcnc
Ranger, The Invention ofTradition, Cambridge 1996, S. 261.
309.
H. Philippi, Der Hof Kaiser Wilhe/ms I1. ... (wie AnI11. 21),
S. 377; F. Zobeltitz, Chronik der Gesellschaji, ... (wie Anrn,
45), Bd. 2, S. 57ff .
Die Subskriptionsbälle
boten breiteren Schichten als SOIlNI
üblich die Gelegenheit zum Kontakt mit der Hofgeseltschnll
und insbesondere dem Herrscher. Eine anschauliche Schilderung des eigentümlichen Charmes des »dernokratischon«
Hofereignisses findet sich in der jüngst erschienenon A,'li.
kelsammlung von Alfred Kerr, Wo liegt Berlin? Bricfi: 011,\'
der Reichshauptstadt, hrsg. von Günther Rühle, Borlln 191)7,
S.251f.
H. Philippi, Der Hof Kaiser Wilhelms II .... (wie AnI11. 21),
S.375.
Vgl. zum Beispiel A. Bremer, Höfe Europas ... (will Auru,
15), S. 26f.; allgemein: R. Braun/D. Guggerli, Milch, r/,w
Tanzes ... (wie AnI11. 16), S. 275ff.
I iO
Martin Kohlrausch
»Die Hoffeste waren naturgemäß auf Glanz und Zeremonien eingestellt ... Aber man vergesse nicht die
Kehrseite, daß ein historischer Hauch über das Ganze
gebreitet war. So hatte insbesondere das Ordensfest
einen tiefen Sinn, Von jeder Auszeichnungsgattung
bis zur niedersten war eine Vertretung unter den etwa
Tausend in die Säle verteilten Tischgästen, auch wenige Subalterne am Hufeisentisch des Kaisers. Das
gibt Erinnerungen, die wie Pfeiler im Lebensgebäude des kleinen Mannes stehen. Das Historische trat
nicht nur in äußeren Dingen hervor, so im schwarzen
kenntlich machenden Schleier der Oberhofmeisterin,
oder in friderizianischen Uniformen einer Leibgarde,
vielmehr sehr wesentlich auch in der konservativen
Pflege der Kirchlichkeit eines christlichen Staates.
Viele Feste bestanden in oder begannen doch mit religiöser Feier, in der durch das Gold und Farben fast
ans russische mahnenden Schloßkapelle und ich habe dort viele sehr schöne Reden der Hofgeistlichen,
z.B. v. Dryander, Frommel u.a. gehörtc.f
Zu den bereits genannten Festivitäten gesellten sich
Hochzeiten von Mitgliedern der kaiserlichen Familie mit der Aufführung des berühmten Fackeltanzes,
Geburtstage regierender Häupter, Besuche hoher
ausländischer Gäste und die diversen Jubiläen bedeutender Ereignisse und Personen wie die stark instrumentalisierte Centenarfeier für Kaiser Wilhelm
I,56 Die Feste gliederten das kaiserliche Jahr. Aber es
sollte nicht übersehen werden, daß Wilhelm weniger
als die Hälfte des Jahres unter der eigentlichen Hofgesellschaft verbrachte. An anderen Orten entstandenen »Altemativhöfe«."
Nach Abschluß der BalIsaison reiste der Kaiser ans Mittelmeer, im Flühjahr ins
Elsaß und nach Wiesbaden (Maifestspiele), im Juni
zur Kieler Woche, im Juli auf Nordlandreise, im August nach Kassel (Wilhelmshöhe), im September und
Oktober zur Jagd auf die bereits genannten Schlös-
.ooftBngotbQung,
!Be[timmung ü6erbielRei~en.
bet I.llet[onm, bit bei ~of ßuttitt ~abm ober
bod ec[djelnen. s\)ie[e !Beftimmungen finbeu jidj ge·
lul\~nlldj In befonbem ~ofrangorbnungen
ober ~o'y
l'III1ßtlolementB niebergelegt. s\)ie umfangreid/jte :0.
111Me p rellii I[ dj e (bgl.bai! .J~eremonialbud/ für bm
rUIIIO!ldi\Ilreuliifdjen ~of" :X:, neuefte 'iluilg., !Bet!.
IIIOB), Me nidjt weniger ali! 62 lllangftufen mt~iilt:
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55
56
Hofrangliste
57
So der badische Gesandte in Berlin E. Jagemann, 75 Jahre ...
(wie Anm. 9), S. 21l.
So zum Beispiel die großen nationalen und hohenzollernsehen Gedenktage: 250 Jahre Großer Kurfürst, 200 Jahre
Friedrich der Große, 200 Jahre Preußische Akademie, 100
Jahre »Wilhelm der Große«, 100 Jahre Städteordnung, 100
Jahre Völkerschlacht u.a. Zu den Besuchen ausländischer
Gäste Berliner Gesellschaft ... (wie Anm. 29), S. 193ff.
1. Röhl, Hof und Hofgesellschaft ... (wie Anm. I), S. 105.
Hof und Hofgesellschaft
Der Kaiser mit Gefolge in friderizianischer
Uniform vor der Schloßgarde-Kompanie
ser oder zu befreundeten Fürsten und im November
schließlich nach Liebenberg und Donaueschingen
(ab 1905).58 Der Hof konnte so Präsenz im gesamten
Reichsgebiet zeigen.
131
in der Kaiserzeit
im Rittersaal des Schlosses
lust der Monopolstellung des Hofes in sozialer und
ökonomischer Hinsicht verlagerte sein Schwergewicht auf den Bereich der Repräsentation
wobo!
der Funktionalisierung des Berliner Schlosses ein"
nicht unerhebliche Rolle zufiel.f?
Grenzen der Integrationsleistung des Hofes
58
So wie sich der Hof in sich veränderte, so wandelte sich auch seine Beziehung zur und seine Bedeutung für die Gesamtgesellschaft. Gesellschaftliche
Differenzierung und Egalisierung veränderten die
Bedingungen der Wirksamkeit des Hofes und der
Hofgesellschaft. Während die Hofgesellschaft im
Kernbereich ihre Exklusivität betonte, öffnete sie
sich an den Rändern der Gesamtgesellschaft. »Der
Hof«, so wertet Karl Möckl, »war in der bürgerlichen Welt nicht mehr das einzige Zentrum, wohl
aber der Fluchtpunkt der Gesellschaft«." Der Ver-
59
60
Ebda; N. Sombart, Wilhelm 11. ... (wie AnlTI. 4), S, 12.11.,
zur Kieler Woche vgl. auch die Schilderungen bei R, /,,'d
litz-Trützschler, Zwölf Jahre am deutschen Kai.l'er/II!/'." (WI,·
Arun. 25), S. 77; zu den Nordlandfahrten
vgl. lli"lIil MII'
schall, Reisen und Regieren. Die Nordlandfahrten
AU/II'I
Wilhelms 11. (= Skandinavistische Arbeiten, 13d. 9), 11\.lld,'1
berg 1991; Philipp Eulenburg, Mit dem Kaiser als' SI/IIIII
mann und Freund auf Nordlandreisen , 2 ßdc., 1), \:~d,'11
1931; zum Liebenberg-Kreis Isabell V I lull, Kllis('rll'lI/",lm
11and the »Liebenberg Circle«, in: J. Röhll N. SOIllI1I1,I, All/
ser Wilhelm jJ. New Interpretations ... (wie /\11111. :I).
1. Hull, Herrschaftsinstrument
... (wie AnlTI. I). S, 21: I"
Möckl, Adel ... (wie AnlTI. 7), S. 102.
I. Hull, Herrscliaftsinstnnnent
... (wie Anm, I). S. 21,
132
Martin Kohlrausch
Hof und Hofgesellschaft in der Kaiserzeit
133
Ein weiteres Problem stellte die bis zum Ende des
Kaiserreiches nicht aufgelöste Spannung zwischen
preußischem Königs- und deutschem Kaiserhof dar.
Trotz der zunehmenden Wahrnehmung des wilhelminisehen Hofes als eines deutschen, blieb der Hof
zumindest institutionell ein preußischer, allenfalls
ein Kompromiß, und mußte dies, wollte er nicht die
überkommenen preußischen Riten überwinden, auch
in seiner Außendarstellung noch zu einem gewissen
Grade sein." In dem Dilemma, zwischen preußischer
Tradition und dem neuen Kaisergedanken vermitteln
zu müssen, zeigt sich eine weitere Begrenzung für
die Neugestaltung des Hoflebens unter Wilhelm H.
Außerdem sollte bei aller notwendigen Aufmerksamkeit auf die Integrationsmöglichkeiten
und tatsächlichen Integrationsleistungen
des wilhelminischen
Hofes nicht übersehen werden, daß diese Integration eindimensional verlaufen mußte. Die Regeln für
die Beziehung der am Hof aufeinandertreffenden
Gruppen wurden lediglich vom Monarchen und dem
bereits etablierten Hofadel festgelegt. Es ist bezeichnend, daß die Eröffnung des Reichstages im Schloß
und nicht im Reichstag selbst stattfand.
So kann es nicht verwundern, daß die Neuerungen
am wilhelminischen
Hof letztendlich beschränkt
blieben. Obwohl Wilhelm manchmal Vorschriften
Kaiser und Kaisersöhne
61
62
63
64
65
)6
K. Möckl, Adel ... (wie Anm. 7), S. 107.
1. Hull, Herrschaftsinstrument
... (wie Anm. 1), S. 21; zum
Königsmechanismus
vgl.: J. Röhl, Königsmechanismus
...
(wie Anm. 3), S. 116-122; Norbert Elias, Über den Prozeß
der Zivilisation, Bd. 2: Wandlungen und Gesellschaji. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation, Frankfurt am Main
1995, S. 222-278; Nicolaus Sombart, Der letzte Kaiser war
so wie die Deutschen waren, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.1.1979.
Mitglieder des Ordens aus Preußen: 188725,188943,1912
55.
Vgl. J. Kruedener, Die Rolle des Hofes ... (wie Anm. 36), S.
57-65, der das Prinzip als Suspendierung des Abstammungsranges auffaßt.
Seide Beispiele in J. Röhl, Hof und Hofgesellschafi ... (wie
Anm, I), S.I03; vgl. auch die kritischen Äußerungen bei
pitzcmbcrg,
Tagebuch ... (wie Anl11. 12).
Auch die Person des Kaiscrs mußte eine Doppelrolle spielen, WIIS nur in (lI'cn~OI1 gClllllg, r.\S paßt ins Bild, daß sich in
dUI'
IIl1ch ()11'i~lcll /-1011111/,1011Wohnung dcs Klliscrs kciII~ IlillwciNC II11I' dle Illchl]1ICldlischcll
(ir;hiulc des Ruichcs
Iillld\\II, vIII. 11. III\INI'II,SIIJlIIII, 1/'t1/II/1II1j./1'1/
'" (wio Anm, 15),
S 11/
auf dem Weg zur Paroleausgabe
des Zeremoniells fallen ließ und zum Beispiel Bürgerliche als Gesprächspartner schätzte, hat er diese
Praktiken nie zur Regel gemacht. Der Kaiser erweiterte die Hofgesellschaft nur wenig; er schuf keine
Orden, durch welche er andere Schichten zum Hofe
hätte bringen können; er erhob nur wenige Bürger
in den Adelsstand'" und führte, mit Ausnahme der
Kieler Woche, keine Festlichkeiten ein." Das Krönungs- und Ordensfest und der Subskriptionsball,
wo neue Ordensträger aus allen Schichten am Hofe
erschienen, waren zwar wegen der »neuen Gesichter« auch bei der Hofgesellschaft beliebt, aber beide
wurden schon vor der Regierung Wilhelms 11. cingef'ührt.69 Die »tnvention ofTradition« mit eier Wilhelm
11. versuchte, dem Parvcnuccharaktcr eies deutschen
Kaisertums zu begegnen, bCHWtigt,daß wenig genuin Ncucs etabliert wurde
von der tnszcnicrung der
Rl.:icllNtllgscrill1'llling cinll1lll IlhgCHChcll • sonclor n
dCI' t(lIis\:1 sivh vlchncl» IltiS d1.'1I11\1Hl'llld tI~'1 PI~:\I
am 1. Januar 1913
ßiseh/deutschen Geschichte bediente, Offensicht Iklt
fiel es Wilhelm H. nicht leicht, den Rahmen des 110
fes zu lockern. Zudem vollzog der Kaiser die VOll
seiner Umgebung angeregte Integration politiscl'
bedeutsamer Personen (zum Beispiel Rcichstugsuut
glieder) nur widerstrebend, wenn sie seinen pl.:l's{\nll
ehen Präferenzen widersprach,
67
68
(,(1
Larnar Cecil, The Creation of Nobles 111l'rnssiu /87/ /1118,
in: Amerlcan l Ilstoricat Review 75 (1970), S. 7~7 71)~.
Marie von Bunscn sprach von IIqji'('l'klllirh"rlllIll"II,
vp,1
Marie von Bunsen, %('/I~I{,I1(),\',\'('/1,d/(' Ich (,I'/('/}II', /WIII 11)W,
L()ip~lg 1932, S, 75; "'\II'I~()IIO dUI' Kiolul' W()~hu ,I, Rllhl,lI/Il
und //o!iws('/ls/,hll/I
... (wir: Ann). I), S, li/I.
I, l lull, 11.1'11/1,1'1/" llit/l/ll .., (wie AIIIIl. ~Kl, S, )H, 1111Ill-lllIhl
Iwil 1i,'M 111I1k'N:M, KI~lk-l, 1'11'1,'/1: Jnln»
(wh. AllIlI 11),
S ~I
1:1·1
Murtin
fcs zumindest
1:\
I(ohlrausch
Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, bis wohin die
Wirkung des Hofes überhaupt reichen konnte, bzw.
es ist auf die bereits herausgestellten,
dem Hof immanenten, Grenzen der Expansion hinzuweisen.
Die Breitenwirkung
des wilhelminischen
Hofes ist
schwer zu fassen. Pracht und Ausstrahlung
der Feste und Ereignisse des Hofes wurden über eine Unzahl populärer Darstellungen,
in vielfältigen Presseerzeugnissen und schließlich auch im Film verbreitet." Die aufwendig inszenierten öffentlichen Auftritte des Monarchen waren durchaus populär.F In
Zeiten materieller Besserung war eine entsprechende
Repräsentation
staatlicher Macht offensichtlich gefragt, und die regelmäßig auftauchende Feststellung,
es handele sich beim Berliner Hof um den »feinsten«
und »größten« unter seinesgleichen, verweist auf die
wichtige Verquickung äußerer und innerer Anerkennung der Staatsspitze.P
Die Repräsentation
durch den Hof trug neben den
anderen beschriebenen
Mechanismen zur Wahrnehmung der »Ubiquität des Herrschers« bei. Freilich
wirkte sich die Selbstdarstellung
Wilhelms 11. ambivalent aus. Zwar sorgte die prachtvolle Inszenierung
des Kaisers mit seinem zahlreichen Gefolge für eindrucksvolle Effekte, aber durch die dauernde Anwesenheit des Hofstaates behinderte sie die Begegnung
70
F. Zobeltitz,
71
Zum Beispiel A. Bremer, Hofe Europas ... (wie Anm. 15);
Hojleben ... (wie Anm. 19); Berliner Gesellschaft ... (wie
Anm. 29), sowie P. Lindenberg, Kaiserhofe ... (wie Anm.
17). Unter den Illustrierten vgl. insbesondere Der Bazar,
Monatshefte und die Gartenlaube; Werke wie Henry W
Fischers, The Private Lives 0/ William JJ and his Consort:
A Secret History 0/ the Court 0/ Berlin, London 1904, und
Ich habe so gern gelebt
...
(wie Anm.
27),
S. 118.
72
Der Kaiserund die Prinzen erhalten Neujahrsgrüße
vor dem Schloß
73
Bei Kaisers. Aus dem Familienleben
des Kaiserhauses.
Nach Aufzeichnungen eines alten Hofmannes, Berlin 1908,
verbreiteten den Hofklatsch; zum Film Klaus-D, Pohl, Der
Kaiser im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.
Wilhelm JJ in Fotografie und Film, in: H. WilderotterlK.-D.
Pohl, Der letzte Kaiser ... (wieAnm. 18), S. 9-18.
Vgl. hierzu Hartwig Gebhardt, »Der Kaiser kommt!« - Das
Verhältnis von Volk und Herrschaft in der massenmedialen
Ikonographie um 1900, in: Annette Graczyk, Das Volk: Abbild, Konstruktion, Phantasma, Berlin 1996, S. 63-82.
So regelmäßig in der hofzentrierten Presse und Literatur;
vgl. zum Beispiel Der Bazar vom 15.2.1909.
mit den Untertanen."
Sie rückte den Kaiser in die
Pose des unnahbaren Herrschers, aber sie verringerte
paradoxerweise
auch die Distanz: »Das Mysterium
[des Gottesgnadentums]«,
so ein Beobachter, »ist
zerstört worden durch die illustrierten Blätter und
den Kinematographen«."
Schließlich beförderte die Selbstdarstellung
Kritik
an der aufwendigen Hofhaltung, die im Kontrast zu
drängenden Tagesproblemen
und zum preußischem
Mythos vom König als selbstlosem und bescheidenen Ersten Diener des Staates zu stehen schien."
»Verschwendung«
und »Luxus« wurden als unpreußisch empfunden, und die traditionellen preußischen
Eliten fühlten sich nicht selten zurückgesetzt, sahen
sie sich doch ökonomisch potenteren Konkurrenten
am Hof ausgesetzt. 77
Nicht nur Mitgliedern der traditionellen
Eliten erschien der Hof als Menetekel für die unliebsame
Entwicklung des Reiches. Gustav Freytags kurz nach
der Reichsgründung ausgesprochene
diesbezügliche
Warnung wurde selbst in offiziösen Werken zitiert:
»Eine gewisse spartanische Einfachheit und Strenge
hat Beamtentum, Heer und Volk in Zucht gehalten.
Die neue Kaiserwürde wird das schnell ändern. Die
deutsche Kaiserkrone hat zur Voraussetzung ... eine
unablässige Repräsentation den Fürsten gegenüber...
Und wie im Heere und im Civildienste, so wird auch
im Volke ein höfisches und serviles Wesen sich einschleichen, das unserer alten preußischen Loyalität
nicht eigen war. In Zeiten des Gedeihens werden
die Deutschen wohl solchen Uebelstand ertragen
können, wenn es auch vielen einzelnen die Energie
und Tüchtigkeit vermindert. Aber jede Einseitigkeit
ruft auch ihren Gegensatz hervor und dUI'(;1l \l1\N~'1
Jahrhundert geht eine stark dcmokrat ischc l Jlltl'l
strömung. Wird einmal durch grossc Unfälle IIl1d ein
Missregiment im Volke die Unzufriedenheit vorlucl
tet, dann drohen auch den altheimischen regil..l/'0Ildt"\
Familien grössere Gefahren. Schon jctz: Rind 11l\SUlt'
Fürsten in der Lage, gleich Schauspielern,
11\11'dl'l'
Bühne zwischen Blumensträusscn lind IlIut\,:1\ Ikl
fallsklatschen
begeisterter Zuschauer dahi nzuwnn
dein, während in der Versenkung die vcrnichtondcu
Dämonen lauern«."
74
75
76
77
Diese Kritik bei F.Zobeltitz, ich habe so gt'1'II W/I'ht
(WII
Anm. 27), S. 109; vgl. auch die kritischen Äul,kl IHll\l'l1VIIiI
Bismarck und Treitschke in: Hofleben ... (wie 1\11111.
1'1), l'
30, und die Beispielebei 1. Röhl, Hofund Ilrdi.:('SI'I/"I·hll/1
(wie Anm. I), S. 104. Die Gegenposition. nämliclt \ll\111111
weis auf die Notwendigkeit von Prachtcntfaltuug, hCI Ilnp,II
Freiherr von Freytag-Loringhoven,Menschen 1I11r1/)III~!I' 11'1/'
ich sie in meinem Leben sah, Berlin 1923, S. 67.
Carl Techet, Völker, Vaterländer und Fürsten, Ein Ih'ltm,~ //1
Entwicklung Europas, München 1913, S. 422.
Nicht zuletzt der weniger bemittelte preußischeAde! Illlllll'
sich durch die neue Exklusivität ausgeschlossen. V 1-\ I. 1\,,,,,1
Graf von Schwerin, The Berlin Court under WII/I/'IIII 1/"
London 1915, S. 252.
Vgl. zum Beispiel die Kritik von Hellmut von (;i.lJ'illl'h,11
tiert in J. Röhl, Ho/und Hofgesellschaft ... (WillAruu, I),
S.55.
78
Gustav Freytag, 1870; zitiert u.a. in: Hofleben ... (wie 1\11111
19), S. 20f.; A. Bremer, Hö/e Europas ... (wie I\IHII, I~),
S.54.