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Trialog

TRI ALOG 12 0 / 12 1 Zeitschrift für das Planen und Bauen im globalen Kontext November/Dezember 2015 1-2 / 2015 RaumPlanung Globaler Süden – Global South Fachzeitschrift für räumliche Planung und Forschung Titelfoto: © Daphne Frank 536107801 nf o skreis für Ra tion um p K 5158 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 e.V. 182/6-2015 un g 40 J a h re I a rm lan RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Globaler Süden – Global South 1975 – 2015 Call for Papers Themenschwerpunkt für RaumPlanung 3-2016 Freiraumqualität Urbane Freiräume sind essentiell für die Wohn- und Lebensqualität in der Stadt. Vor allem die vielfältigen Beiträge von Grünräumen werden durch zahlreiche Studien belegt. Trotz eines grundlegenden Konsenses um die Bedeutung von Freiräumen und Stadtgrün fordern übergeordnete Fragen der Stadtentwicklung immer wieder nach passenden, möglicherweise neuen Antworten in der (kommunalen) Praxis. Freiräume sollen heute mehr können denn je, sie sollen Quartiere in schrumpfenden Städten stabilisieren, den Klimawandel abpuffern, Raum für unterschiedliche Aneignungspraktiken bieten, das soziale Miteinander befördern, Stadtnatur beheimaten, Ausdruck unserer Baukultur sein und in den dichter werdenden Städten all dies und noch mehr am besten an einem Ort. Wie sehen praxistaugliche Antworten auf diese vielfältigen Anforderungen aus? Welche Qualitäten wollen wir, welche benötigen wir heute wo und warum und woran messen wir diese Qualitäten? Gibt es auch darüber einen Konsens? Für das Themenheft ‚Freiraumqualität‘ suchen wir Beiträge, die diese grundlegenden Fragen kritisch beleuchten. Von Interesse sind normative Überlegungen zu Freiraumqualitäten, methodische Ansätze zur Untersuchung bestehender Qualitäten und Berichte, wie angestrebte Qualitäten in der Praxis umgesetzt und erhalten werden können. Besonders willkommen sind Beiträge, die folgenden Fragen nachgehen: n Welche Bewertungsansätze von Freiraumqualität gibt es? Was sind unsere Maßstäbe? Haben Richtwerte endgültig ausgedient oder gibt es neue Antworten darauf? Wie finden aktuelle Forderungen, etwa die nach Umweltgerechtigkeit darin Ausdruck? n Gibt es regional und sozialräumlich unterschiedliche Definitionen von Freiraumqualität und Freiraumversorgung? Unter welchen stadträumlichen Voraussetzungen stellt man überhaupt Überlegungen zur Freiraumversorgung an? Wie gehen landschaftlich privilegierte Regionen mit dem Thema um? n Wie lassen sich erwünschte und möglicherweise hart ‚erkämpfte‘ Qualitäten mittel- bis langfristig erhalten? Welche spezifischen Qualitäten lassen sich über klassische Ansätze kommunaler Freiraumversorgung, welche über Koproduktion erreichen? Wer sind die Nutznießer/innen dieser spezifischen Qualitäten? n Was bringen Untersuchungen realisierter Freiraumprojekte jenseits generalisierender Umfragen, etwa im Sinne von ‚post-occupancy‘ Evaluationen zutage und welche Konsequenzen ziehen wir daraus? n Erzeugen Mehrfachnutzung und Multifunktionalität – neben der Flächenersparnis – einen Mehrwert bzw. wie lässt sich ein solcher erreichen und wo zeigen sich Grenzen der Funktionsüberlagerung? n Welche Ansprüche haben wir an das Erscheinungsbild? Wieviel von Fachleuten produzierte Baukultur und wieviel selbstgemachte Stadt wollen wir oder ist die neue Baukultur die der selbstgemachten Stadt? n Welche Rolle spielen Überlegungen zu Freiraumqualitäten und Freizeitmöglichkeiten in den derzeitigen Debatten um die Suche nach geeigneten Flüchtlingsunterkünften? Beiträge aus Forschung und Praxis sind gleichermaßen willkommen! Peer Review Verfahren In der RaumPlanung können als Zusatzangebot auch Beiträge aufgenommen werden, die ein Peer Review-Verfahren nach internationalem Standard (Doppel-Blind-Verfahren) durchlaufen haben. Nähere Informationen finden sich auf der IfR-Website unter http://www.ifr-ev.de/index.php?id=1043. Beiträge, die das Peer Review-Verfahren durchlaufen haben, werden jeweils einzeln als „Wissenschaftlicher Beitrag. Peer Reviewed“ gekennzeichnet. Die eingereichten Beiträge sollten die formalen Anforderungen des Autorenleitfadens einhalten. Dazu gehören insbesondere Zusammenfassung/Abstract (300 bis 400 Zeichen) und fachbezogene Schlüsselwörter/Keynotes (deutsch/englisch). Hinweise auf die Identität der Verfasser sind nicht zulässig. Das Heft RaumPlanung 3-2016 erscheint zum 31. Mai 2016. Bitte reichen Sie Ihre Vorschläge für den Themenschwerpunkt als Abstract bis zum 15. Dezember 2015 ein. Eine Benachrichtigung über die Annahme wird bis zum 5. Januar 2016 erfolgen. Der akzeptierte Beitrag muss bis spätestens 31. Januar 2016 über die IfR-Geschäftsstelle (peer@ifr-ev.de) eingehen. Informationskreis für Raumplanung (IfR) e. V. – Geschäftsstelle – Redaktion RaumPlanung Gutenbergstraße 34 – 44139 Dortmund – peer@ifr-ev.de – www.ifr-ev.de Editorial Editorial Liebe Leserinnen und Leser, liebe IfR-Mitglieder, liebe Mitglieder von TRIALOG Mit diesem Heft zum Themenschwerpunkt „Globaler Süden. Leben in Städten“ halten Sie eine Gemeinschaftsproduktion zweier Fachzeitschriften in den Händen: RaumPlanung Heft 6-2015 ist zugleich TRIALOG Heft 1-2/2015. Themenschwerpunkt und Cover verweisen auf die „Third United Nations Conference on Housing and Sustainable Urban Development“: Nach Habitat I in Vancouver (1976) und Habitat II in Istanbul (1996) folgt im Oktober 2016 der dritte Weltsiedlungsgipfel in Quito (Ecuador). With this thematic review focusing on “Global South. Living in Cities“ you look at the outcome of a cooperation between two scientific journals. Issue 6-2015 of RaumPlanung is at the same time issue 1-2/2015 of TRIALOG. All contributions are in German, but you will find English summaries at the end of most articles. Cover and topic refer to the “Third United Nations Conference on Housing and Sustainable Urban Development“. Following the Habitat I summit in Vancouver (1976) and the Habitat II summit in Istanbul (1996), the third global Habitat conference will take place in Quito (Ecuador) in October 2016. Als wir diesen Themenschwerpunkt vor etwa einem Jahr konzipiert hatten, konnten wir nicht ahnen, dass sich manche der hier geschilderten Probleme so schnell auf andere Weltgegenden ausbreiten würden. Inzwischen leben in Europa unzählige Migranten in Massenunterkünften oder sogar in Zelten ohne ein festes Dach über dem Kopf. Die Lebensverhältnisse von Süd und Nord gleichen sich auf unerwartete Weise an. Auch in Europa benötigen wir eine auf wachsende Städte ausgerichtete nachhaltige Siedlungsentwicklung. Dieser Versuch einer Kooperation zweier Vereine könnte für die RaumPlanung beispielhaft sein. Im Jahr 2011 wurde eine Fusion der beiden Planerverbände IfR und SRL bis zum Jahr 2016 beschlossen. Nun steht dieses Zieljahr vor der Tür und der Weg in eine gemeinsame verbandspolitische Zukunft der Stadt- und Raumplaner sollte zügig und offen angegangen werden. Dabei wird auch Neuland betreten ... so wie mit dieser Gemeinschaftproduktion vom RaumPlanung und TRIALOG. Wir wünschen Ihnen schon jetzt einen erfolgreichen Jahresausklang 2015, auch wenn in den nächsten Wochen noch viel Arbeit ansteht. Dr. Ronald Kunze Vorsitzender des IfR e.V. Klaus Teschner Vorstand TRIALOG TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 3 Globaler Süden Schwerpunkt Rubriken 4 Daphne Frank, Wolfgang Scholz: Facheditorial 6 Daphne Frank, Wolfgang Scholz: Facheditorial Englisch 10 Michael Kolocek: Das Menschenrecht auf Wohnen 16 Kathrin Golda-Pongratz: Neue städtische Identitäten der Selbstbaustadt 24 Gerhard Kienast: Mandelas Versprechen 32 Antje Ilberg: Umsetzung einer integrativen Wohnpolitik 40 Raffael Beier, Mariana A. Vilmondes Alves: Die Dominanz des Quantitativen 54 Birgit Haupter, Peter Heiland, Jakob Doetsch: Die klimaangepasste Stadt in Schwellenländern 60 Dirk Heinrichs, Aline Delatte: Urbanisierung und städtische Mobilität 66 Malve Jacobsen: Schnellbusse auf der Überholspur RaumPlanung 182 / 6-2015 80 Notizen 81 Campus Frankfurt University of Applied Sciences BMBF-Fördermaßnahme Nachhaltiges Landmanagement Perspektiven im Berufsfeld Stadt-, Regional- und Landesplanung 86 Rezensionen Weitere Themen 74 Constance Carr, Evan McDonough, Rainer Telaar: Integration als konzeptioneller Baustein und Widerspruch der nachhaltigen Raumplanung 46 Ariana Fürst, Christoph Woiwode: Anpassung an Überschwemmungen in Chennai 4 3 Editorial TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 87 IfR Intern 89 Kalender 90 Impressum TRI ALOG Global South Special issue 4 Daphne Frank, Wolfgang Scholz: Editorial 6 Daphne Frank, Wolfgang Scholz: Editorial Columns 54 Birgit Haupter, Peter Heiland, Jakob Doetsch: Climate Adaptation in Cities in Emerging Countries 3 Editorial 80 Notes 10 Michael Kolocek: The Human Right to Housing 60 Dirk Heinrichs, Aline Delatte: Urbanisation and Urban Mobility 16 Kathrin Golda-Pongratz: New Urban Identities in the self-help City 66 Malve Jacobsen: Bus Rapid Transportsystem on the 24 Gerhard Kienast: Mandelas Promise 32 Antje Ilberg: Implementation of an Integrative Housing Policy 40 Raffael Beier, Mariana A. Vilmondes Alves: The Dominance of the Quantitative Fast Track 81 Campus Frankfurt University of Applied Sciences BMBF-Fördermaßnahme Nachhaltiges Landmanagement Perspektiven im Berufsfeld Stadt, Regional- und Landesplanung 86 Reviews Further Topics 74 Constance Carr, Evan McDonough, Rainer Telaar: Integration as Conceptual Component and Contradiction of a Sustainable Planning 87 IfR Intern 89 Calendar 90 Impressum 46 Ariana Fürst, Christoph Woiwode: Adaptation to Flooding in Chennai Hinweis: Aus Gründen der Lesegewohnheit und der sprachlichen Vereinfachung wird bei Personen die männliche Substantivform verwendet, wenn keine geschlechtsneutrale Formulierung möglich ist. Gemeint sind immer beide Geschlechter. TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 5 Globaler Süden F ür Stadt- und Raumplaner klingt es wie ein alter Hut, aber erst jetzt scheint es in der deutschen und internationalen Realität angekommen zu sein: Urbanisierung ist eine DER großen internationalen Herausforderungen. Das Phänomen ist nicht neu - es hält seit Jahrzehnten weltweit ungebrochen an, die Urbanisierung erreicht nun jedoch eine nie dagewesene Dynamik. Eine magische Grenze ist Anfang des neuen Jahrtausends gefallen: Erstmals in der Geschichte der Menschheit lebte mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Laut UN-Prognosen werden im Jahr 2050 70 % der Menschheit in Städten leben. Gut 90 % dieses Wachstums findet in afrikanischen und asiatischen Entwicklungs- und Schwellenländern statt, insbesondere in kleinen und mittleren Städten und nicht in den oft rezitierten Megastädten (UN 2014 http://esa.un.org/unpd/wup/ Highlights/WUP2014-Highlights.pdf). Das enorme Bevölkerungswachstum bedeutet für die meisten Städte wirtschaftlichen Aufbruch. Städte sind Motoren für Wachstum, Entwicklung und Innovation. Der Löwenanteil der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung erfolgt in den städtischen Ballungsräumen. Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Urbanisierung und Pro-Kopf-Einkommen, sowie Armutsreduzierung. Das Städtewachstum erfolgt in Entwicklungs- und Schwellenländern jedoch meist unkontrolliert und mit hoher Geschwindigkeit. Dabei entstehen u. a. dicht bebaute informelle Siedlungen. Für 2013 geht die Schätzung von UN Habitat von 863 Millionen Menschen aus, die in Slums leben. (http://unhabitat.org/wp-content/uploads/2014/07/ WHD-2014-Background-Paper.pdf). Slums und informelle Siedlungen bieten jedoch auch Lebens- und Wohnraum für die ärmere Bevölkerung und schaffen Einkommensquellen. In den meisten Fällen ist das Leben in einer informellen Siedlung in der Stadt noch immer besser als auf dem Land, hinsichtlich der Versorgung mit Wasser, Strom, Gesundheit und Telekommunikation. 6 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Urbanisierung bedeutet aber nicht nur physische Veränderung, sondern auch Veränderung von sozialen Gefügen und politischen Kräfteverhältnissen. In den Städten entscheiden sich weltweit auch Fragen der sozialen Entwicklung, der Regierbarkeit, der Sicherheit, der Nachhaltigkeit und der politischen Teilhabe. Der steigende Bedarf führt zu Problemen, genügend adäquaten Wohnraum mit Infrastruktur und den Basisdienstleistungen zu schaffen und zugleich die soziale Ungleichheit und räumliche Segregation zu reduzieren. Hinzu kommen die neuen Herausforderungen des Klimawandels. Städte und Stadtregionen sind für über 70 % der weltweiten CO2-Emmissionen verantwortlich. Sie verbrauchen laut UNEP zwei Drittel der natürlichen Ressourcen (UNEP 2011: http://www.unep.org/ greeneconomy/Portals/88/documents/ger/GER_12_Cities. pdf). Sie müssen sich aber gleichzeitig auch an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen. Wie können diesen Herausforderungen mit begrenzten Kapazitäten und finanziellen Ressourcen begegnet werden? Wie können der rapide wachsenden Bevölkerung adäquater Wohnraum, Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen unter Einhaltung der Menschenrechte und der nachhaltigen Entwicklung bereitgestellt werden? Die globalen Nachhaltigkeitsziele/Sustainable Development Goals (SDGs), die im September 2015 im Rahmen des UN Gipfels verabschiedet wurden, thematisieren bereits einen Teil dieser Fragen. In den Unterzielen und Indikatoren ist die urbane Dimension als eigenständige Zieldefinition prominent verankert: „Städte inklusiv, sicher, resilient und nachhhaltig gestalten“. Die Umsetzung der SDGs auf der lokalen Ebene ist Kern des im Oktober 2016 in Quito (Ecuador) stattfindenden 3. Weltgipfels der UN zum Siedlungswesen und nachhaltiger Stadtentwicklung (Habitat III). Die Konferenz wird eine nachhaltige urbane Entwicklung auf die globale Ebene setzen und eine gemeinsam entwickelte universell gültige neue Städtea- Facheditorial Vor diesem Hintergrund setzt dieses Themenheft an und zeigt beispielhaft Problemlagen und Lösungsansätze in Städten in Lateinamerika, Asien, Afrika sowie Südosteuropa auf. Michael Kolocek beginnt das Heft mit einer kritischen Auseinandersetzung des Menschenrechts auf Wohnen und wie dieses in den letzten Dekaden unterschiedlich diskutiert und bewertet wurde. Für ihn ist klar, dass es „nicht die eine globale Strategie zur Gewährleitung des Menschenrechts auf Wohnen gibt – und auch nicht geben kann“. Kathrin Golda-Pongratz schließt sich mit einer Auseinandersetzung mit städtischer Identität in schnell wachsenden Städten Lateinamerikas auseinander und zeigt über Beispiele auf, wie diese “Quartiersaufwertungsprozesse und eine nachhaltige Konsolidierung“ unterstützen können. Gerhard Kienast untersucht mit Mandelas Versprechen „Land und Wohnungen für alle“ die südafrikanische Wohnungspolitik, die sich ambitionierte Ziele gesetzt hatte und vollzieht die Schwierigkeiten in der Umsetzung. Mobilität führen können“ und folgert, dass sie nur ein Baustein von vielen sein können. Alle Beiträge zeigen Verknüpfungen zu den Nachhaltigkeitszielen und deren Umsetzung auf sowie Ideen, wie eine New Urban Agenda in Zukunft aussehen kann. Die Themen Wohnraumversorgung, Anpassung an den Klimawandel und Mobilität sind auch für Städte des Globalen Nordens von Bedeutung und ermöglichen so einen Austausch von Ideen. © Heiko Bogun, Buenos Aires genda (New Urban Agenda) vorlegen. Es gilt in erster Linie, die weitreichende globale Urbanisierung als Chance zu begreifen. Antje Ilberg untersucht am Beispiel Ruanda dessen neue Wohnpolitik, die ansprechende Ansätze aufweist aber auch Hindernisse in der Förderpolitik beinhaltet. Raffael Beier und Mariana Vilmondes schließen sich mit einem Vergleich der drei Ländern Brasilien, Marokko und Südafrika an, die alle in ihrer Verfassung das Recht auf Wohnen aufnahmen, in der konkreten Umsetzung jedoch scheiterten. Ariana Fürst und Christoph Woiwode zeigen anhand der indischen Stadt Chennai die Schwierigkeiten und Konfliktlinien auf, wenn ein technisch geplanter Hochwasserschutz die Umsiedlung ärmerer Bevölkerungsgruppen bedingt und Anpassungsstrategien der Bewohner selbst nicht berücksichtigt werden. Birgit Haupter, Peter Heiland, Jakob Doetsch beschäftigen sich in den Städten Südosteuropas in Tirana, Podgorica und Belgrad mit der Frage, wie die Folgen des Klimawandels wie z. B. Hitzewellen und Überschwemmungen „in allen städtischen Entscheidungen ausreichend berücksichtigt“ werden. Für sie ist „Klimaanpassung eine Querschnittsaufgabe“. Die folgenden beiden Artikel widmen sich dem wichtigen Thema Transport und Mobilität. Dirk Heinrichs und Aline Delatte zeigen anhand der Städte Sao Paolo und Medellín konkrete Strategien und Lösungsansätze auf, die allerdings nur mit dem „politische Willen und lokalen Engagement der Entscheidungsträger“ umsetzbar sind, aber „fundamentale Einschränkungen der Bewohner informeller Siedlungen hinsichtlich des verfügbaren Mobilitätsbudgets und der Bezahlbarkeit von Verkehrsangeboten nicht beseitigten können.“ Malve Jacobson diskutiert anhand des Bus Rapid Transport System in Dar es Salaam Chancen und Risiken des Projektes. Sie fragt „ob BRT Systeme in wachsenden Städten des Globalen Südens auch für arme Bevölkerungsschichten zu mehr Daphne Frank, 1969, IfR, Trialog, Dr. rer. pol., Architektin und Stadtplanerin, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit - GIZ, Eschborn Wolfgang Scholz, 1964, IfR, Trialog, Dr.-Ing., Lehrstuhlvertretung International Planning Studies, Fakultät Raumplanung, TU Dortmund TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 7 Global South A lthough it may sound old hat for urban and spatial planners, it seems that the fact that urbanisation is one of THE great international challenges is only now being accepted as reality, both in Germany and internationally. The phenomenon is not new – it has been continuing unabated for decades all over the world, but it has now achieved an unprecedented dynamism. A magical threshold was surpassed at the beginning of the new millennium, when for the first time in the history of humankind more than half of the world's inhabitants lived in cities. The UN forecasts that by 2050 70% of humankind will live in cities. A good 90% of this growth is occurring in African and Asian developing and emerging countries, in particular in small and medium-sized urban areas rather than in the often citied megacities (UN 2014 http://esa.un.org/unpd/wup/Highlights/WUP2014-Highlights.pdf). For most cities the enormous growth in population involves an economic upswing. Cities are the engines of growth, development and innovation. The lion's share of added value in the economy is created in the urban agglomerations. There is a positive correlation between urbanisation and income per capita, as well as between urbanisation and poverty reduction. However, in developing and emerging countries urban growth is usually uncontrolled and occurs at high speed. This involves the development of densely built informal settlements. UN Habitat estimates suggest that in 2013 there were 863 million people living in slums (http://unhabitat.org/wpcontent/uploads/2014/07/WHD-2014-Background-Paper.pdf). Yet slums and informal settlements also provide living and dwelling space for poor population groups and create sources of income. In terms of supplies of water, electricity, health services and telecommunications, life in an informal urban settlement is still usually better than life in the countryside. Urbanisation involves not only physical changes but also changes in social structures and the political balance of po- 8 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 wer. Throughout the world, cities are the places where questions of social development, governability, security, sustainability and political participation are decided. The increase in demand leads to problems in providing enough adequate housing with infrastructure and basic services, while also ensuring that social inequalities and spatial segregation are reduced. In addition there are the new challenges caused by climate change. Cities and urban regions are responsible for over 70% of worldwide CO2 emissions. According to the UNEP, they consume two-thirds of natural resources (UNEP 2011: http://www.unep.org/greeneconomy/Portals/88/documents/ger/GER_12_Cities.pdf). At the same time, however, they still have to adapt to the effects of climate change. How can these challenges be tackled with limited capacities and financial resources? How can the rapidly growing population be provided with adequate housing, infrastructure and public services while respecting human rights and complying with the requirements of sustainable development? The global Sustainable Development Goals (SDGs), which were passed in the course of the UN summit of September 2015, discussed some part of these issues. The urban dimension is given prominence in the targets and indicators as an independently defined objective: "Make cities inclusive, safe, resilient and sustainable". The implementation of the SDGs on the local scale is at the heart of the Third United Nations Conference on Housing and Sustainable Urban Development (Habitat III) to be held in October 2016 in Quito (Ecuador). The conference will place sustainable urban development on the global scale and present a jointly developed and universally valid New Urban Agenda. The priority is to understand far-reaching global urbanisation as an opportunity, and to implement this understanding in practice. This special issue has been compiled against this background and discusses, by way of example, problems and solution approaches in cities of Latin America, Asia, Africa Facheditorial © Heiko Bogun, Frankfurt am Main and South-East Europe. Michael Kolocek opens the issue with a critical analysis of the human right to housing and how this has been variously discussed and evaluated in recent decades. It is clear to Kolocek that there neither is nor can be "the one global strategy to guarantee the human right to housing". Kathrin Golda-Pongratz then examines urban identity in fast-growing cities in Latin America and uses case studies to illustrate how this can support "neighbourhood upgrading processes and sustainable consolidation". Gerhard Kienast investigates South African housing policy, which with Mandela's promise of "land and housing for all" set itself ambitious goals that are proving difficult to implement. Antje Ilberg investigates the new housing policy of Ruanda, which is characterised by appealing approaches but is experiencing hindrances in funding policies. Raffael Beier and Mariana Vilmondes follow with a comparison of the three countries Brazil, Morocco and South Africa, all of which included the right to housing in their constitutions but are failing when it comes to the concrete implementation of that right. Ariana Fürst and Christoph Woiwode use the example of the Indian city of Chennai to demonstrate the difficulties and conflicts that arise when a technically planned flooding protection scheme requires the resettlement of poorer population groups and the adaptation strategies of the inhabitants themselves are not considered. Birgit Haupter, Peter Heiland and Jakob Doetsch are concerned with how the consequences of climate change, such as heat waves and flooding, are "sufficiently considered in all urban decisions" in the South-East European cities of Tirana, Podgorica and Belgrade. They see climate adaptation as a "cross-sectoral task". The next two articles are dedicated to the important topics of transport and mobility. Dirk Heinrichs and Aline Delatte use the cities of Sao Paolo and Medellín to present concrete strategies and solution approaches, which can only be implemented with the "political will and local engagement of the decision makers" but which "cannot eradicate the fundamental restrictions experienced by residents of informal settlements in terms of the available mobility budget and the affordability of transport provision". Malve Jakobson discusses the opportunities and risks of the Bus Rapid Transport System in Dar es Salaam. She asked "whether in the growing cities of the Global South BRT systems can lead to increased mobility also for poor sections of the population" and concludes that they can only be one element among many. All the papers demonstrate links to the Sustainable Development Goals and their implementation, and explore ideas about possibilities for a New Urban Agenda of the future. The topics of housing provision, adaptation to climate change and mobility are also of significance for the cities of the Global North and thus allow an exchange of ideas. Daphne Frank, 1969, IfR, Trialog, Dr. rer. pol., Architektin und Stadtplanerin, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit - GIZ, Eschborn Wolfgang Scholz, 1964, IfR, Trialog, Dr.-Ing., Lehrstuhlvertretung International Planning Studies, Fakultät Raumplanung, TU Dortmund TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 9 © Belfast; Michael Kolocek 2011 10 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Wissenschaftlicher Beitrag. Peer reviewed. Michael Kolocek Das Menschenrecht auf Wohnen Interpretationen im globalen Kontext Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) sowie der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (kurz: UN-Sozialpakt) schützen das Recht auf Wohnen. Gleichwohl ist angemessenes Wohnen für viele Menschen weltweit alles andere als selbstverständlich. Der Beitrag betrachtet Wohnen im globalen Kontext und diskutiert die Fragen: Wie haben die Mitgliedsstaaten des UN-Sozialpakts das Recht auf Wohnen interpretiert und wie hat sich die globale Wahrnehmung in den vergangenen Jahrzehnten verändert? Welche Rolle spielt Bodenpolitik bei der Verwirklichung des Menschenrechts auf Wohnen? Michael Kolocek, 1984, Dipl.-Ing. Raumplanung, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Bodenpolitik, Bodenmanagement, kommunales Vermessungswesen, Fakultät Raumplanung, TU Dortmund. Mitarbeiter im Forschungsprojekt FLOOR (www.floorgroup.de) W eltweit leben über eine Milliarde Menschen in unangemessenen Wohnverhältnissen (Kothari 2005; Neuwirth 2006). Die Zahl mag beeindrucken, vielleicht sogar frustrieren. Dabei ist keineswegs eindeutig, was unangemessenes Wohnen im globalen Kontext eigentlich bedeutet. Zahllose globale, nationale und lokale Akteure sowie Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachdisziplinen haben in den letzten Jahrzehnten über das Menschenrecht auf Wohnen kontrovers diskutiert. Konsens besteht zumindest darüber: Wohnen ist ein global anerkanntes und gleichzeitig häufig verletztes Menschenrecht (Artikel 25 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, kurz: AEMR). Die AEMR hat keinen rechtsverbindlichen Charakter, sondern war der Ausgangpunkt für viele internationale und regionale Menschenrechtsverträge. Die beiden umfassendsten Verträge sind der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (kurz: UN-Zivilpakt) sowie der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (kurz: UN-Sozialpakt). Artikel 11 des UN-Sozialpakts behandelt Unterbringung (mittlerweile ist der Begriff „[angemessenes] Wohnen“ gebräuchlicher) als eine Säule des Menschenrechts auf einen angemessenen Lebensstandard: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen“. Für die Gewährleistung eines angemessenen Lebensstandards ist der Zugang zu Boden unerlässlich (B. Davy 2009). Bodenpolitik und Wohnungspolitik sind eng miteinander verwoben, schließlich ist die Verfügbarkeit von Boden unmittelbare Voraussetzung für einen funktionierenden Wohnungsmarkt (Angel 2000: 192). Einige Autoren sehen in der Legalisierung von informellen Wohn- und Eigentumsformen (land titling) insbesondere für Staaten des globalen Südens einen Schlüssel zur Gewährleistung eines angemessenen Lebensstandards (de Soto 2000; Deininger 2003). Andere wiederum kritisieren diese Formalisierungspolitik scharf (Davis 2003; Payne et al. 2009; Neuwirth 2011). Der vorliegende Beitrag untersucht, wie die TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 11 Michael Kolocek Das Menschenrecht auf Wohnen Mitgliedsstaaten des UN-Sozialpakts sowie der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte (kurz: UN-Fachausschuss) das Menschenrecht auf Wohnen in den vergangenen vier Jahrzehnten interpretiert haben. Dabei stellt er die Bedeutsamkeit von Bodeneigentum und Bodennutzungsrechten für das Menschenrecht auf Wohnen heraus. Der UN-Sozialpakt als Ressource für globale Diskursanalysen Der UN-Sozialpakt ist einer der beiden zentralen Menschenrechtsverträge. Beide Verträge wurden nach zähen Verhandlungen (Buschmann 2013) 1966 beschlossen und sind zehn Jahre später 1976 unabhängig voneinander in Kraft getreten. Die im UN-Sozialpakt erklärten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte (kurz: WSK-Rechte) umfassen Arbeiterrechte (Artikel 6 bis 8), das Recht auf soziale Sicherheit und Versicherungsschutz (Artikel 9), Familienrechte (Artikel 10), das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (Artikel 11), das Recht auf Gesundheit (Artikel 12) sowie Bildungsrechte (Artikel 13 und 14) und kulturelle Rechte (Artikel 15). Jahrelang hat der UN-Sozialpakt eine im Vergleich zu den bürgerlichen und politischen Rechten untergeordnete Rolle in Menschenrechtsdiskursen gespielt. WSK-Rechte wurden weniger als einforderbare Rechte des Individuums als vielmehr als völkerrechtliche Verpflichtungen der Vertragsstaaten angesehen (Henkin 1979; Schneider 2004) und waren bis 2013 auf UN Ebene nicht einklagbar. Mittlerweile sind WSK-Rechte allgemein anerkannt und von zunehmender Bedeutung in globalen Sozialpolitikdiskursen (U. Davy 2014; Leisering et al. 2015) sowie für das Leitbild „Global Social Citizenship“ (B. Davy et al. 2013). Derzeit haben 164 Staaten (Stand: 22. Mai 2015) den UN-Sozialpakt ratifiziert. Die Überwachung des UNSozialpakts erfolgt über ein Berichtsverfahren (Artikel 16 ff. UN-Sozialpakt). Jeder Mitgliedsstaat hat sich verpflichtet, alle fünf Jahre dem UN-Fachausschuss über den Fortschritt bei der Verwirklichung dieser dem Vertag zugrunde liegenden Rechte Bericht zu erstatten. Nach einer gemeinsamen Erörterung eines Staatenberichts (State Party Report) erarbeitet der UN-Fachausschuss abschließende Bemerkungen (Concluding Observations) über den Fortschritt und die Missstände bei der Verwirklichung der UN-Sozialpaktrechte (Schneider 2004: 12). Auch Nichtregierungsorganisationen können in sogenannten Schattenberichten (Shaddow Reports) Stellung nehmen. Des Weiteren verfasst der UN-Fachausschuss jährlich allgemeine Empfehlungen (General Comments) zu den Inhalten einzelner WSK-Rechte, bestimmten Zielgruppen oder dem Berichtsverfahren. Im Rahmen des Forschungsprojekts FLOOR (Financial Assistance, Land Policy, and Global Social Rights, www.floorgroup.de) hat Ulrike Davy (Universität Bielefeld) alle Staatenberichte sowie die abschließenden Bemerkungen des UN-Fachausschusses beschafft, digitalisiert und archiviert. Aufgrund der hohen Anzahl der zum Teil seit 1977 berichtenden Staaten ist eine einzigartige Datenbasis (FLOOR A) entstanden, die es erlaubt, die globale Wahrnehmung der WSK-Rechte über einen Zeit- 12 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 horizont von fast 40 Jahren zu analysieren. Diese Datenbasis war die Grundlage für Diskursanalysen der Interpretation des Menschenrechts auf Wohnen (Kolocek 2012; 2013). Der vorliegende Beitrag diskutiert die Interpretation dieses Menschenrechts in den vergangenen Jahrzehnten durch die Mitgliedsstaaten des UN-Sozialpakts sowie den UN-Fachausschuss. Es wird deutlich: Die globale Wahrnehmung hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Wohnen ist ein komplexes Politikfeld und der ökonomische Druck auf die Ressource Boden steigt. 1977–1989: Die große Orientierungslosigkeit Als die Mitgliedsstaaten Ende der 70er Jahre und in den 80er Jahren ihre ersten Berichte einreichten, herrschte noch große Unsicherheit über den Inhalt des Menschenrechts auf Wohnen. Die Staaten berichteten eher allgemein und technokratisch über das Thema und präsentierten Statistiken über die Anzahl der durch staatliche Akteure erbauten Wohnungen. Andere Akteure oder Themen wie Privatisierung, Zwangsvertreibungen oder informelle Wohnsiedlungen waren kaum präsent. Die Staaten berichteten über ihre Bemühungen, Mängel auf Wohnungsmärkten durch Baumaßnahmen zu kompensieren. Nur wenige erwähnten Obdachlosigkeit, eher schon waren unangemessene Wohnverhältnisse in ländlichen Räumen im Fokus. Australien (1980: Abs. 44) zum Beispiel beschrieb, wie der Staat durch konkrete eigene Baumaßnahmen und Fördermittel die Wohnsituation für Aborigines zu verbessern versuchte. Einige Staaten (Portugal 1983: Abs. 151; Polen 1980: Abs. 20) sprachen über Urbanisierung im Kotext von Wohnen, die meisten anderen Staaten schenkten dem Thema urbanes Wohnen noch wenig Beachtung. Bodenpolitische Maßnahmen, wie etwa die Legalisierung von informellen Wohnsiedlungen oder anderweitige Änderungen der Eigentumsarrangements, spielten im Kontext Wohnen keine bedeutende Rolle. Insgesamt wurden formelle Eigentumstitel häufiger im Zusammenhang mit dem Menschenrecht auf Nahrung im Agrarsektor berichtet (Kolumbien 1988: Abs. 64-75). 1990–1999: Viele neue Sichtweisen Erst seit den 90er Jahren wurden die Berichterstattung der Staaten sowie die Empfehlungen des UN-Fachausschusses der Komplexität des Themas Wohnen gerecht. Weltweit diskutierten die Staaten nun zahlreiche Formen von unangemessenem Wohnen, wie etwa illegale oder informelle Wohnsiedlungen, Slums und Obdachlosigkeit, nun häufiger im urbanen als im ruralen Kontext. Hierbei wurde sichtbar, dass etwa Slums oder informelle Wohnsiedlungen keineswegs ausschließlich in Staaten des globalen Südens existierten. So berichtete beispielsweise Spanien (1994: Abs. 101) über Slum-Distrikte und Shantytowns und Portugal (1997: Abs. 44) über Slums. Gleichzeitig wurde Obdachlosigkeit nicht nur in westlichen Staaten als Wohnungsproblem wahrgenommen. Ein wesent- Michael Kolocek Das Menschenrecht auf Wohnen ationen lebten, wurden zunehmend als Bürger mit individuellen Rechten, als citizens, wahrgenommen. Wohnen wurde nun verstärkt unter dem Deckmantel der sozialen Ungleichheit diskutiert. Die Staaten betrachteten die Bekämpfung von sozialer Exklusion von zum Beispiel obdachlosen Menschen als ein neues wichtiges Handlungsfeld. Maßnahmenkataloge für obdachlose Menschen zielten explizit auf eine Integration in die Gesellschaft durch Arbeit oder Bildungsmaßnahmen. Während Obdachlosigkeit folglich im Kontext anderer sozialer Menschenrechte und Bedürfnisse (etwa Gesundheit, Arbeit, Bildung) auf Ebene lokaler Wohnungspolitik diskutiert wurde, waren in den Maßnahmenbeschreibungen zur Verbesserung der Wohnsituation in Slums und informellen Wohnsiedlungen viel häufiger Developer, Banken sowie globale Akteure involviert. Die Integration der Bewohner von Slums und informellen Wohnsiedlungen in die Gesellschaft stand häufig unter dem Deckmantel ökonomischer Interessen. Der Boden wurde hier als ökonomische Ressource betrachtet. Eigentumsformalisierungen und Mikrokredite sollten die Integration in die formellen (Boden-)märkte und © Michael Kolocek , 2010 licher Unterschied zwischen zum Beispiel afrikanischen und europäischen Staatenberichten war jedoch, dass afrikanische Länder viel häufiger obdachlose Kinder und Jugendliche ins Zentrum ihrer Ausführungen nahmen (Sudan 1998: Abs. 61ff; Libyen 1995: Abs.81). Des Weiteren waren nun private Wohnungsunternehmen, Developer, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und/oder Akteure auf lokaler Ebene viel häufiger involviert als noch in den 70er und 80er Jahren. 1991 veröffentlichte der UN-Fachausschuss seine erste allgemeine Empfehlung (General Comment) mit dem Schwerpunkt Wohnen. Der Ausschuss beschrieb Wohnen im Kontext von sieben Aspekten: Rechtssicherheit der Wohnverhältnisse, Verfügbarkeit von Infrastruktur, Finanzierbarkeit, Bewohnbarkeit, Zugänglichkeit, Lage und kulturelle Angemessenheit (CESCR 1991: Abs. 8). Nach Ansicht von UN-Habitat (2009: 4) ist das Menschenrecht auf Wohnen schon dann verletzt, wenn einer der sieben Aspekte nicht erfüllt wird. Sowohl in den Staatenberichten als auch in den abschließenden Bemerkungen und allgemeinen Empfehlungen des UN-Fachausschusses (CESCR 1997) war die Rechtssicherheit der Wohnverhältnisse ein dominantes Thema. Allen voran Lateinamerikanische Staaten wie etwa Argentinien (1997: Abs. 193), Kolumbien (1994: Abs. 548) oder Mexiko (1992: Abs. 201) propagierten formelle Eigentumstitel am Boden (land titling) als geeignete Maßnahme zur Verbesserung der Wohnsituation in informellen/illegalen Wohnsiedlungen und Slums. 2000–2010: Angemessenes Wohnen als Säule globaler Sozialpolitik Um die Jahrtausendwende wandelte sich die Wahrnehmung des Menschenrechts auf Wohnen ein weiteres Mal. Wieder stieg die Anzahl der erwähnten in Wohnungspolitik involvierten Akteure. Neu war allerdings, dass die Staaten zunehmend über Kooperationen verschiedenster Akteure sowohl auf globaler als auch auf lokaler Ebene referierten. Das Politikfeld Wohnen wurde gleichzeitig lokaler und globaler. Immer mehr globale Akteure wie zum Beispiel UN-Habitat oder die Weltbank waren in die Maßnahmen zur Verwirklichung von angemessenem Wohnen involviert, insbesondere in Staaten Lateinamerikas. Ein weiteres Indiz für die globale Orientierung ist die zunehmende Beachtung von Flüchtlingen und Asylsuchenden im Kontext Wohnen. Wurden in der ersten Periode (1977–1989) Flüchtlinge von 3 % der berichtenden Staaten im Kontext Wohnen diskutiert, so waren es im Zeitraum 2000 bis 2010 über 32 %. Auch die Aufmerksamkeit gegenüber den Wohnbedürfnissen indigener Völker oder Sinti und Roma stieg signifikant. Menschen, die in ungemessenen Wohnsitu- Abb. 1 und 2: Wohnen in Hamburg TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 13 © Benjamin Davy 2011 Michael Kolocek Das Menschenrecht auf Wohnen Abb. 3: Township in Südafrika folglich die Integration in die Gesellschaft ermöglichen. Ein erster Blick in die Staatenberichte aus 2011 bis 2015 (eine systematische Auswertung steht noch aus) zeigt, dass sich die Entwicklungen aus der dritten Phase – neue Akteure und Kooperationen auf lokaler und globaler Ebene, Wohnen im Kontext weiterer Rechte und Bedürfnisse, wachsende Aufmerksamkeit für verschiedene Zielgruppen, Boden als ökonomische Ressource – fortgesetzt haben. für andere Menschen selbstverständlich sind und üblicherweise in der eigenen Wohnung/Unterkunft befriedigt werden, wie etwa Schlafen, sich Erleichtern, Körperpflege, Essen und Trinken, Sicherheit, Privatsphäre, Kommunikation. Wenn nun aber aufgrund des ökonomischen Drucks auf den Boden eine Eingliederung aller obdachlosen Menschen in formelle Wohnungsmärkte unmöglich erscheint, dann sollten zumindest die Bedürfnisse anderswo befriedigt werden können. Hierzu ist ein minimaler Zugang zum Boden unerlässlich: „The scope and content of the right to minimal access to land may vary and cannot be expressed in square meters or requirements for land rights formalization. Minimal access to land comprises the individual right to all land uses which are indispensable for a person to achieve an adequate standard of living“ (Benjamin Davy 2011: 170). Es ist schlicht und ergreifend unwahrscheinlich, dass in naher Zukunft alle von unangemessenem Wohnen betroffenen Menschen in formelle Wohnungsmärkte integriert und so ihre Wohnungsprobleme gelöst werden. Daher braucht es eine Politik, die nach Lösungen auch außerhalb formeller Wohnungs- und Bodenmärkte sucht. Solch eine Politik stellt die Bedürfnisse der betroffenen Menschen in den Vordergrund und versucht diese durch Bodennutzungsrechte zu befriedigen. Für eine obdachlose Person könnten zum Beispiel Kleiderkammern, Essensausgabestellen, Einrichtungen zur kostenlosen Körperpflege, der Verkauf von Straßenmagazinen, eine kostenlose medizinische Versorgung und/oder soziale Beratungsstellen erste wichtige Schritte auf dem Weg zur Gewährleistung eines angemessenen Lebensstandards sein. Eine sozial-ökologische Bodenpolitik im Sinne des Menschenrechts auf angemessenes Wohnen stellt den betroffenen Menschen einschließlich seiner Rechte und Bedürfnisse in den Vordergrund. Sie formuliert realistische Minimalziele und ist daher trotz ihrer globalen Verankerung eine Politik der kleinen Schritte. ¢ Fazit: Sozial-ökologische Bodenpolitik Das Staatenberichtsverfahren hat gezeigt, dass die globale Aufmerksamkeit für das Menschenrecht auf Wohnen kontinuierlich gestiegen ist. Wohnen ist zu einer wichtigen Säule globaler Sozialpolitik geworden. Indes, die Zahl derjenigen Menschen, die in unangemessenen Wohnverhältnissen leben, steigt schneller an, so scheint es, als die globale Problemwahrnehmung. Derzeit gibt es keinerlei Anzeichen für eine Umkehr dieses Trends und dies betrifft keineswegs ausschließlich Staaten des globalen Südens, sondern ist ein weltweites Phänomen. Wenn die beteiligten Akteure im Rahmen des Habitat III Prozesses nun weiter über nachhaltige Stadtentwicklung diskutieren, dann sollten sie sich trotz aller ambitionierten Ziele auch eingestehen, dass sie unangemessenes Wohnen nicht vollständig verhindern werden können. Die Urbanisierung sowie der damit einhergehende Druck auf urbane Wohnungsmärkte haben Wohnen noch enger mit der ökonomischen Ressource Boden verknüpft. Eine auf das Menschenrecht auf Wohnen reagierende Bodenpolitik sollte den Boden jedoch nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachten, sondern die vielen anderen Bodennutzungsmöglichkeiten in Erwägung ziehen. Ein Beispiel: Wer obdachlos ist, kann vielen Bedürfnissen nicht nachgehen, die 14 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Literatur > Angel, Shlomo (2000): Housing policy matters: A global analysis. Oxford > Buschmann, Luise (2013): Das Menschenrecht auf soziale Grundsicherung aus Art. 9 und Art. 11 ICESCR. Münster > CESCR – Committee on Economic, Social and Cultural Rights (1991): General Comment No. 4. The right to adequate housing (Art. 11, para. 1, of the Covenant): In: CESCR (1992) Report on the sixth session. E/C.12/1991/4. Annex III, S. 114-120 > CESCR – Committee on Economic, Social and Cultural Rights (1997): General Comment No. 7. The right to adequate housing (Art. 11, para. 1, of the Covenant). Forced evictions. E/C.12/1997/4 > Davis, Mike (2006): Planet of slums. London/New York. > Davy, Benjamin (2009): The poor and the land: Poverty, property, planning. In: Town Planning Review, Volume 80, Number 3, S. 227-265 > Davy, Benjamin (2012): Land Policy. 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E/1980/6/ Add.22 > Kolumbien – Colombia (1988) Second periodic reports submitted by states parties to the Covenant concerning rights covered by articles 10 to 12, in accordance with the second stage of the programme established by the Economic and Social Council in its resolution 1988 (LX) E/1986/4/Add.25 > Kolumbien – Colombia (1994) Third periodic reports submitted by states parties under articles 16 and 17 of the Covenant. E/1994/104/Add.2 > Libyen – Libyan Arab Jamahiriya (1995) Initial reports submitted by states parties under articles 16 and 17 of the Covenant. E/1990/5/Add.26 > Mexiko – Mexico (1992) Second periodic reports submitted by states parties under articles 16 to 17 of the Covenant in accordance with the programme established by Economic and Social Council resolution 1988/4. E/1990/6/Add.4 > Polen – Poland (1980) Reports submitted in accordance with Council resolution 1988 (LX) by states parties to the Covenant concerning rights covered by articles 10 to 12. E/1980/6/Add.12 > Portugal (1983) Reports submitted by states parties to the Covenant concerning rights covered by articles 13 to 15, in accordance with Economic and Social Council resolution 1988 (LX). E/1982/3/Add.27 > Portugal (1997) Third periodic reports submitted by states parties under articles 16 and 17 of the Covenant. E/1994/104/ Add.20 > Spanien – Spain (1994) Third periodic reports submitted by states parties under articles 16 and 17 of the Covenant. E/1994/104/Add.5 > Sudan (1998) Initial reports submitted by states parties under articles 16 and 17 of the Covenant in accordance with the programmes established by Economic and Social Council resolution 1998/4. E/1990/5/Add.41 Schlüsselwörter: Menschenrechte, Wohnen, Bodenpolitik, Globale Sozialpolitik, Urbanisierung Keywords: Human rights, housing, land policy, global social policy, urbanisation Zusammenfassung: In den vergangenen vier Jahrzehnten ist die globale Aufmerksamkeit für das Menschenrecht auf Wohnen kontinuierlich gestiegen. Gleichzeitig stieg allerdings auch die Anzahl derjenigen Menschen, deren Menschenrecht auf Wohnen verletzt wird. Daher ist eine Bodenpolitik notwendig, die die Bedürfnisse der betroffenen Menschen in den Vordergrund stellt und durch Bodennutzungsrechte befriedigt. Abstract: During the past four decades, the global attention to the human right to housing has continuously increased. However, the number of people affected by inadequate housing has increased as well. Hence, a land policy for people affected by inadequate housing should consider the plural meanings of land and respond to the needs of the affected persons through a careful negotiation of land use rights. TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 15 © unete a movistar, Kathrin Golda-Pongratz, 2009 16 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Kathrin Golda-Pongratz Neue städtische Identitäten der Selbstbaustadt Urbane Erinnerung und partizipative Quartiersaufwertung in Lateinamerika Die lateinamerikanische Stadt verkörpert soziale Ungleichheit und Konflikte ebenso wie sich transformierende, hybride städtische Identitäten und Architekturen (1) und einen informellen Städtebau. Die sogenannte Selbstbaustadt, ungeplant durch Landnahmen und kollektive Bauprozesse entstanden, nachträglich durch Landtitelvergaben legalisiert und mit Infrastrukturen ausgestattet, ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts die prädominante Form der Wohnungsproduktion in Lateinamerika. Während sie als urbanes Laboratorium verstanden wird, bleibt die ungeschriebene Geschichte dieses Städtebaus von unten als ihr größtes Potential unterschätzt. Techniken des kollektiven Erinnerns und der Artikulation der gemeinschaftlichen Stadtproduktion können zum wichtigsten Motor für Quartiersaufwertung und nachhaltige Konsolidierung werden, so die Kernthese des Beitrags. Kathrin Golda-Pongratz, 1971, Prof. Dr.-Ing., Studium der Architektur und Stadtplanung in München, Barcelona und Karlsruhe, Vertretungsprofessorin für Internationalen Urbanismus an der Frankfurt University of Applied Sciences in Frankfurt am Main. V om globalen Süden zu lernen ist seit Jahrzehnten eine Prämisse des auf Nachhaltigkeit ausgerichteten akademischen Diskurses sowie der Entwicklungszusammenarbeit (Nitschke/Marwede 2004). Während jedoch in Institutionen, Bildungseinrichtungen und Think Tanks des globalen Nordens mit Interesse und Faszination die Überlebensstrategien der urban poor in den großen metropolitanen Agglomerationen beschrieben, kartiert und in Workshops diskutiert werden, nehmen Verdrängungstendenzen und Polarisierungen in den rapide wachsenden Großstädten weiterhin zu (Portes/Roberts/Grimson, 2005). Wie und aus welcher Perspektive lernen wir vom Süden? Jüngste Debatten, wie die um die Eröffnung des Humboldtforums in Berlin im deutschen Kontext, zeigen, wie sehr zeitgenössische Institutionen mit postkolonialen Positionierungen an kolonialen Hegemonieverhältnissen festhalten und dass dieses Lernen vor allem den eigenen Interessen dient: „die Weltneugier ist ohne Weltknechtung nicht zu denken“ (Rauterberg 2015). Auch in der Entwicklungszusammenarbeit besteht die Gefahr, dass in deren Koppelung an wirtschaftliche Interessen und an Technologietransfer innerhalb eines stetig wachsenden Exportmarktes für Waren und Wissen die Inwertsetzung lokalen Wissens zweitrangig bleibt. Ein halbes Jahrhundert nachdem John F.C. Turner durch seinen Beitrag „Dwelling resources in South America“ (Turner 1963) im britischen Architectural Design das Potenzial der selbstgebauten Städte in Südamerika und im Besonderen der Barriadas von Lima der europäischen Architekten- und Planerschaft vorgestellt hat und nachdem die Weltbank in einseitiger Anlehnung an diese Erkenntnisse Site and Service-Programme für informelle Siedlungen weltweit propagiert hat, ist die ciudad informal aus dem urbanistischen Diskurs, den Biennalen, den Initiativen der Hochschulen, der Entwicklungszusammenarbeit und selbst aus den Feuilletonberichten der Zeitungen nicht mehr wegzudenken. Die Habitat I Konferenz in Vancouver (1976) war TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 17 © Kathrin Golda-Pongratz, 2014 Kathrin Golda-Pongratz Neue städtische Identitäten der Selbstbaustadt Abb. 1: Expansives Stadtwachstum im Süden von Bogotá/ Kolumbien. eine wegbereitende Plattform gewesen, um Initiativen des globalen Südens des Selbstbaus und Städtebaus von unten zu fördern; die dritte Konferenz in Quito (2016) will darauf aufbauen und sich im besonderen der Frage der urban governance zuwenden (UN-Habitat 2013). Im Zuge einer allgemeinen Faszination für die Mega-Städte und im Trend des globalen Stadtmarketings richtet sich der Blick zum einen auf die urbanen Akupunkturen in Medellín, auf die Rolltreppen der Comuna 13, die Gentrifizierung und Touristifizierung der Favela Vidigal in Río de Janeiro, die Teleférico-Linien in La Paz El Alto oder die Bus- und Müllentsorgungssysteme von Curitiba. Zum anderen haben sich sogenannte „Critical Practices“ (Hernández et al 2012) und Do-Tanks (2) etabliert, die vom Improvisations-, Selbstorganisations- und Grassroots-Potenzial an den Rändern der großen lateinamerikanischen Städte inspiriert sind und auch dort tätig werden. Entwurfspraktiken und Interventionsstrategien machen sich dieses Potenzial zu eigen, redefinieren die Rolle des Architekten und Planers und lassen Ideen wie die Schaffung „dem Unvorhersehbaren dienender Strukturen“ Yona Friedmans (Friedman 1999) oder ein Verständnis des Architekten als „Ermöglicher“ oder „Werkzeugmacher“ (Turner/Lambert 1984) wieder aufleben. Globale Projekte wie der Urban Age Award propagieren und fördern Initiativen eines Handmade Urbanism (Rosa/Weiland 2013) in Megastädten des Südens. Sie setzen auf Quartiersinitiativen und Bürgerbeteiligung als neuem urbanen Trend, wollen „die Fähigkeit zur Bildung neuer Allianzen“ und „eingebettete produktive Fähigkeiten“ in den Randgebieten der Megastädte fördern, um Quartiere somit nachhaltig aufzuwerten und „partizipative Ansätze für zukünftige Szenarien“ zu identifizieren (Rosa/Weiland 2013: 19-20). 18 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Kritik an der Romantisierung der Selbstbaustadt (Davis 2006) steht auf der einen Seite; hierbei muss aus gegenwärtiger Sicht differenziert werden zwischen Initiativen der identitätsbildenden Quartiersaufwertung durch komplexe Beteiligungsprozesse und wirksame Kooperationen zwischen Institutionen und der Bevölkerung und andererseits populistischen Vorzeigeprojekten, die über medienwirksame Gesten in konfliktiven Nachbarschaften nicht hinausgehen und der Fragmentation der Städte nicht entgegenwirken. Die Bedeutung und das Potenzial kollektiver Wissensbildung und einer Kultur der Aufwertung von innen in der Selbstbaustadt wird vielfach nicht entsprechend erkannt und gefördert. Untopographisches Wachstum als Fortschreibung der Kolonialisierung Die physische Dimension des Wandels wachsender Agglomerationen Lateinamerikas ist zunächst schnell am Sichtbaren zu fassen: Explosives Wachstum und eine Expansion in die Fläche sind die äußeren Zeichen einer Entwicklung, die sich innerhalb weniger Jahrzehnte vollzogen hat. Hierbei hat sich die spanisch-koloniale Gründungsstruktur in den ungeplanten Randstadtsiedlungen fortgesetzt: das untopographische Raster hat sich, ebenso wie es seit dem 16. Jahrhundert prähispanische Spuren verwischte, als Sinnbild von Identität eingeprägt und als suburbane Struktur reproduziert (Golda-Pongratz 2008: 46). Im Zuge von Zuwanderung und natürlichem Bevölkerungswachstum haben sich die urbanisierten Flächen der großen Metropolen seit Mitte des 20. Jahrhunderts mehr als verzehnfacht, der Metropolisierungsgrad war in den 1990er Jahren mit knapp 45 Prozent der weltweit höchste (Bähr/Mertins 1995: 27). In Bogotá, der Hauptstadt Kolumbi- © Kathrin Golda-Pongratz, 2008 Kathrin Golda-Pongratz Neue städtische Identitäten der Selbstbaustadt Abb. 2: Zuwanderer aus der Andenregion Puno mischen ihre traditionellen Tänze in die Riten der Hauptstadt Lima. ens, hat sich die Flächenausdehnung zwischen 1938 und 1999 von 2.500 Hektar auf 30.400 Hektar verzwölffacht, während die Bevölkerung sich verneunzehnfachte (Red Bogotá). Limas Einwohnerzahl stieg zwischen 1940 und 2000 von 645.000 auf 7,5 Millionen, die urbanisierte Fläche der peruanischen Hauptstadt hat sich von 5.000 auf 78.000 Hektar fast versechzehnfacht (Ludeña 2012). Hierbei sind informelle Landnahmen und der Selbstbau die quantitativ bedeutendsten Formen der Urbanisierung (Escalante 2003: 16). Hybride Kulturformen im Kontext der Globalisierung Was wird aus Vorstellungen von Raum, Zeit und Territorium ländlicher Zuwanderer im großstädtischen Kontext? Eine traditionell starke Beziehung zur Erde ist Ausdruck sozialer Organisationsformen und befindet sich im ständigen Konflikt zwischen Strukturen des sozialen Selbsterhalts und den Regeln des Marktes (Malengreau 1992: 9-10). Im postmigratorischen städtischen Kontext wird dieser Konflikt noch größer, angesichts zunehmender Investoreninteressen selbst an periurbanem Land einerseits und dem Druck zur Verdichtung und Vertikalisierung (und damit abnehmender direkter Beziehung zum Boden) in den Selbstbauvierteln zum anderen. Andererseits werden im Rhythmus des Großstadtlebens bestimmte rurale Kulturformen gestärkt, beispielsweise die Nutzung verwandtschaftlicher Netze zum Aufbau neuer wirtschaftlicher Zusammenhänge, innerhalb derer sich Zuwanderer Wohnraum, Arbeit und Güter beschaffen und nach deren Regeln sich auch Märkte und der informelle Straßenhandel organisieren. In einem sozialen Gefüge aus Selbstorganisation, Partizipation und geteilter Verantwortung halten sich auch die in eine dritte Migrantengeneration vermittelte andine Solidarität und die ursprünglich ländliche Herkunft als identitätsstiftende Merkmale aufrecht (Golda-Pongratz 2004: 45). Neue Formen und Fusionen kultureller Riten und hybrider Kulturformen haben sich entwickelt. In einer Stadt wie Lima verschmilzt das koloniale Erbe mit den andinen Traditionen und den Errungenschaften einer globalisierten Welt. So ist die peruanische Hauptstadt ein Ort wo Zuwanderer aus dem Hochland an den Flanken der wüstenhaften Hügel Konstruktionstechniken ihres Herkunftsortes anwenden, zudem die Methoden der Bewohner von La Paz El Alto in Bolivien genau studiert haben und sich online darüber austauschen. In den Diskotheken wird zu kolumbianischer cumbia getanzt und Bier auf den dancefloor geschüttet, als Gabe an die Mutter Erde. Ende August mischt sich im zentralen Viertel La Victoria die Prozession für die Heilige Rosa von Lima mit der urbanen Version einer Prozession der Hochlandregion Puno und die limenische Heilige wird von Tänzern und diabolischen Masken begleitet. In den Call-Centern der transnationalen Mobilfunkgesellschaften wird, nach Jahrzehnten der Unterdrückung der indigenen Sprachen Quechua und Aymará im Kontext der Hauptstadt, nun diesen Sprachen eine neue Bedeutung zugemessen. Für Migranten der dritten Generation entstehen –im Rahmen globaler Wirtschaftsinteressen– neue Arbeitsplätze, gekoppelt an ein neues Selbstwertgefühl. Zwischenzeitlich sind das Leben, die räumlichen Bezüge, die Organisationsformen und “imaginarios” (Silva 2003) an den Rändern der Städte von der Globalisierung nicht mehr zu trennen. Eine Art Populismus des Konsums, aber auch der TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 19 © Kathrin Golda-Pongratz, 2010 Kathrin Golda-Pongratz Neue städtische Identitäten der Selbstbaustadt Abb. 3: Die Mega Plaza Norte hat als größtes Einkaufszentrum des Landes die städtische Identität des Cono Norte verändert. Im Hintergrund erstreckt sich der Stadtteil Independencia und die Selbstbausiedlung Pampa de Cueva. bessere Zugang zu Information und Bildung über das Internet und Möglichkeiten des Teilnehmens am Weltmarkt prägen die informelle Stadt des 21. Jahrhunderts. Der Distrikt Villa El Salvador im Süden Limas beispielsweise hat sich als zentraler Ort industrieller Fertigung herausgebildet und verkauft die dort hergestellten Produkte wie Möbel, Schuhe und Nahrungsmittel auch über die Grenzen Perus hinaus. Die Fusion des Globalen und Lokalen löst auch das klassische Modell von Zentrum und Peripherie ab. Die Randstadt, ciudad popular oder Selbstbaustadt ist längst mehr als das: sie generiert ein neues plurizentrisches Modell. Die soziale Diversifizierung hat zugenommen und es bildet sich eine neue Mittelschicht heraus, deren erhöhtes Einkommensniveau auf verbesserte Arbeitsmöglichkeiten in Serviceindustrien, aber auch auf den Erhalt von remesas, den monatlichen Zahlungen abgewanderter Familienmitglieder aus dem Ausland basiert (Golda-Pongratz 2012: 420-422). Die ohnehin stetig sich wandelnde und an die Lebensumstände und –bedürfnisse sich anpassende Architektur integriert neue Elemente, kopiert internationale Stile und verdichtet sich vertikal, was zu einer Art natürlicher Quartiersaufwertung führt. Allerdings entstehen in den sich konsolidierenden Wohnquartieren auch neue Formen der Segregation, die dem Modell der gated communities und abgeschotteten Nachbarschaften der Oberschichtsquartiere folgen und die mit informeller Aneignung öffentlichen Raumes auf zunehmende organisierte Gewalt und Unsicherheit reagieren (Plöger 2006). Während sich die formelle und die informelle Stadt strukturell immer mehr verweben (Ludeña 2012: 4), sind die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität nur noch schwer zu ziehen. 20 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Landnahme innerhalb der lateinamerikanischen Megacities (Gilbert 1996) und der größeren Wirtschaftszentren längst nicht mehr nur eine Strategie der Armen: inzwischen parzellieren auch die Developer der Gegenwart als sogenannte „Modernisierer“ wüstenhafte, wasserarme oder schwer zugängliche Territorien. In diesen Neuansiedlungen fallen die selbstgesteuerten Konsolidierungsprozesse, die früher dazugehörten, und der gesamte soziale Aspekt der Gemeinschaftsbildung weg (Rush 2014: 72). Zudem führt, im Falle Perus, eine (noch) ungebremste Flächenexpansionspolitik und staatliche Toleranz dieser periurbanen Bodenspekulation zum drastischen Verlust verbleibender Landschaftsreserven und Freiflächen, außerdem zu Bodenerosion und einer zunehmenden Beeinträchtigung des ökologischen Gleichgewichts (3). Die Bedeutung lokalen Wissens und urbaner Erinnerung Unter dem Druck der Globalisierung, der fortschreitenden Kommerzialisierung, der Ökonomie des Wachstums und der Landspekulation treten in vielen neuen und auch in den konsolidierten peripheren Urbanisierungen die Kenntnis und der Bezug zum Ort, vor allem aber die Fähigkeit zum placemaking in den Hintergrund. Um diese Kräfte und Kenntnisse, die urbane Erinnerung an die Ursprünge, die kollektive Motivation der Anfänge und auch das lokale Wissen und das damit verbundene Identifikationspotenzial wieder zu aktivieren, braucht es Anstoß und Vermittlung. Zwei Beispiele aus Kolumbien und Peru sollen verdeutlichen, wie partizipative Raumgestaltung, basierend auf der Erfahrung des informel- © Kathrin Golda-Pongratz, 2014 Kathrin Golda-Pongratz Neue städtische Identitäten der Selbstbaustadt Abb. 4: Das Selbstbauprojekt Casa de la Lluvia (de Ideas) im Nordosten von Bogotá. len Stadt-Machens, ermöglicht werden kann und wie periphere Orte an metropolitaner Bedeutung gewinnen. Die Casa de la Lluvia (de Ideas) (dokumentiert unter http://arquitecturaexpandida.org/) in San Cristóbal Sur, an regenreichen Hügelausläufern im Nordosten Bogotás, ist ein kleines Selbstbauprojekt, das im Zwischenraum zwischen Legalität und Legitimität operiert und auf der Überzeugung basiert, dass Landrecht allein keine Entwicklung bedeutet und dass Bewohner einen entscheidenden Anspruch auf einen Ort der Kultur und des Gesprächs in einer Nachbarschaft haben. Eigentlich darf in dieser informellen Siedlung aufgrund der kolumbianischen Gesetzeslage und aufgrund eines Dekrets zum ökologischen Schutz der umliegenden Wälder keine weitere Bautätigkeit erfolgen. Das Kollektiv Arquitectura Expandida junger Architekten aus Bogotá hat den Wunsch der Bewohner nach einem Versammlungsort aufgenommen und schließlich den Bau eines kleinen Gemeinschaftshauses aus lokalen, überwiegend nachwachsenden und recyclebaren Baumaterialien unter Anwendung traditioneller Techniken. Die Finanzierung erfolgte durch Sammelaktionen im Viertel, Spenden seitens einer großen Baumaterialfirma und der spanischen Botschaft. Jede Familie bezahlt einen kleinen monatlichen Betrag und die Instandhaltung erfolgt gemeinschaftlich. Das Gebäude wird regelmäßig genutzt, es finden BreakdanceUnterricht, Kunst-Workshops, Kurse zur Familienplanung, Kurse für Geschäftsgründungen, Tauschmärkte und Anwohnerversammlungen statt (4). Das „Haus des (Ideen)Regens“ ist ein Kondensationsort für gelebte Ökologie, für den aktiven Schutz des Territoriums auch im Kontext eines größeren Ganzen, für eine neue Kultur des Respekts für den eigenen Lebensraum vor allem für die jugendliche Bevölkerung. Im Projekt „Memoria urbana en Pampa de Cueva“ (GoldaPongratz 2014: 17 f.), das die Autorin im Kontext eines Workshops an der Universidad Nacional de Ingeniería in Lima angestoßen hat, geht es darum, eine notwendige Bewusstseinsbildung, die Arbeit an den Schichten urbaner Erinnerung und die ungeschriebene Stadtgeschichte „von unten“ mit der Inwertsetzung der überregionalen Bedeutung des Ortes zu verknüpfen. Genau dort ist in den frühen 1960er Jahren ist die emblematische und prominent publizierte (Turner 1963) Selbstbausiedlung Pampa de Cueva entstanden. Diese hat sich aus einem bedeutenden Kampf um das Land und einer eindrucksvollen Geschichte der Konsolidierung entwickelt. Heute ist sie Teil des ökonomisch hoch aktiven Cono Norte, wo die größte Shopping Mall des Landes, Serviceindustrien und Vergnügungszentren neue Raummuster hervorbringen. In gegenwärtigen Stadterneuerungsmaßnahmen zur Verbesserung der Erschliessung werden jedoch die vielfältigen Erfahrungen und Kenntnisse der Bewohner für die Selbstgestaltung öffentlicher Räume nicht miteinbezogen (5). Die Präsenz einer schrittweise abgetragenen und mit Hochspannungsleitungen versehenen, über 3.000 Jahre alten prähispanischen Verehrungsstätte, die dem Ort ihren Namen gab, ist im Bewusstsein der Bevölkerung verankert, wurde jedoch bisher –trotz aktiver Wissensbildung in der anliegenden Schule– nicht als Identifikationsort artikuliert bzw. räumlich in den Stadtteil eingebunden. Ziel ist es, in einem Langzeitprozess die reiche Geschichte der Selbstgestaltung kollektiv zu dokumentieren und mit der archäologischen Bedeutung des Ortes zu verknüpfen. Urbane Erinnerung soll im Stadtraum les- und sichtbar gemacht, und aus dem lokalen Wissen soll ein Instrument der partizipativen Gestaltung fehlender öffentlicher Räume werden, die sich aus den Kräften TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 21 Kathrin Golda-Pongratz Neue städtische Identitäten der Selbstbaustadt der Anfänge der Gründung, einer Art (noch) ungeschriebenen Autobiografie des Viertels und dem historischen Potenzial des Territoriums entwickeln. Ausblick für eine „New Urban Agenda“ Die Bedeutung dieser ungeschriebenen Geschichte der Selbstbaustadt, also der Kenntnisse des Sich-zu-eigen-Machens eines Ortes, des Aufbaus sozialer Netzwerke, des Bauens und der kollektiven Freiraumgestaltung sind fundamental, um neue Entwicklungs- und Konsolidierungsschritte zu definieren. Wie schreibt sich eine Quartiersautobiografie in den städtischen Raum der Gegenwart ein; das sollte eine zentrale Frage einer „New Urban Agenda“ sein. Die Aufwertung der Selbstbauquartiere von innen und aus ihrer eigenen Geschichte heraus ist eine zentrale Aufgabe der Zukunft, um sowohl innere als auch gesamtstädtische Konflikte zu bewältigen. Wie können die imaginarios erweitert und wie kann Respekt für die Gemeinschaft und zugleich Identifikation mit dem Territorium erzeugt werden, sodass öffentlicher Raum eine Erweiterung des Wohnraums, Lebensqualität und auch Sicherheit bieten kann und gemeinschaftlich gepflegt und gestaltet wird? n (2) Im Gegensatz zu einem Think-Tank steht beim Do-Tank die direkte Aktion und Umsetzung erworbener Erkenntnisse und die soziale Innovation im Zentrum. Wie beim chilenischen Do-Tank Elemental handelt es sich häufig um ein an eine Hochschule gebundenes Geschäftsmodell. n (3) Im Juni 2015 kündigte das peruanische Wohnungsbauministerium eine Kertwende und einen Gesetzentwurf zur Einschränkung dieser Landnahmen an, die in den vergangenen fünf Jahren mehr als vier Millionen Quadratmeter staatlichen Bodens betroffen haben. Pressemeldung vom 10.6.2015 unter http://www.vivienda.gob.pe/inicio/noticias.aspx (letzter Zugriff: 13.09.2015) n (4) Email-Interview am 3./4. September 2015 mit Laura Mantilla Carvajal, Architektin und Mitglied des Kollektivs Arquitectura Expandida in Bogotá. n (5) Interview am 20. März 2013 in Pampa de Cueva/ Lima mit Segundo Vázquez Serio, aus Cajamarca stammender Bewohner, Ladeninhaber und Mitglied der Gruppe der ersten Landbesetzer im Dezember 1960. Er hat in andiner Steintechnik einen halböffentlichen Raum vor seinem Laden angelegt, der nun einer “Modernisierungsmaßnahme” weichen soll. © Kathrin Golda-Pongratz, 2013 Das Gespräch über die Definitionen des Städtischen und seine Beziehungsgeflechte, aber auch über die Qualitäten des urbanen und ruralen Lebens und seiner Mischformen sollte fester Bestandteil jedes städtischen Kontexts sein. Die Zukunft jeder Metropole hängt von ihrem Hinterland und von ihrer Beziehung zu ihren Peripherien ab und nur eine holistische Sicht auf die Makroregion Stadt als soziales, kulturelles, ökonomisches und ökologisches Gefüge kann zukunftsweisend sein. ¢ Anmerkungen n (1) Im lateinamerikanischen Kontext wurde der Begriff der “Culturas híbridas” vom mexikanischen Anthropologen Néstor García Canclini geprägt (García Canclini 1995). Diese Formen kultureller Heterogenität werden auch als “konfliktive und in Wettbewerb stehende kulturelle Konfigurationen” interpretiert. (Huffschmid 2012: 121) Abb. 5: In einem Workshop mit Schülern des Colegio El Morro beginnt die Arbeit an der städtischen Erinnerung und der Bedeutung der prähispanischen Prägung für das konsolidierte Selbstbauviertel Pampa de Cueva. 22 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Kathrin Golda-Pongratz Neue städtische Identitäten der Selbstbaustadt Literatur > Bähr, Jürgen/Mertins, Günter (1995): Die lateinamerikanische Gross-Stadt. Darmstadt > Davis, Mike (2006): Planet of Slums. London/ New York > Escalante, Carlos (2003): Towards decentralized housing improvement policies in Peru. In: Trialog N° 78, Social production of habitat in Latin America. Frankfurt am Main, 16-21 > Friedman, Yona (1999): Structures Serving the Unpredictable. Rotterdam > García Canclini, Néstor (1995): Hybrid Cultures, Minnesota > Gilbert, Alan (1996): The Mega-City in Latin America. New York > Golda-Pongratz, Kathrin (2004): The Barriadas of Lima – utopian city of self organisation? 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TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 23 © Gerhard Kienast 24 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Wissenschaftlicher Beitrag. Peer reviewed. Gerhard Kienast Mandelas Versprechen Das Ringen um die südafrikanische Wohnungspolitik Mit dem Versprechen „Land und Wohnungen für alle“ gewann der von Nelson Mandela geführte African National Congress (ANC) 1994 die ersten freien Wahlen. Obwohl der Staat seitdem fast 3,4 Millionen Wohneinheiten für Geringverdiener gefördert hat, konnte er nicht mit der Nachfrage nach städtischem Wohnraum Schritt halten. Wegen der Fixierung auf frei stehende Einfamilienhäuser in einfachster Bauweise wurde meist am Stadtrand gebaut, wo das Bauland billig, Erschließung und Versorgung aber teuer waren. Spätestens seit der Weltfinanzkrise, die zu einem Einbruch der Steuereinnahmen geführt hat, gilt das staatliche Versorgungsversprechen als unhaltbar. Doch wie ließe sich das verfassungsmäßig garantierte „Recht auf Zugang zu angemessener Wohnung“ in einem der ungleichsten Länder der Welt (UN-Habitat 2010:14) gewährleisten? J ahrzehntelang hat die Apartheidpolitik der schwarzen Bevölkerungsmehrheit nicht nur das Wahlrecht sondern auch das Recht auf Freizügigkeit und ein städtisches Leben vorenthalten. In den Stadtkernen und Vororten, die der weißen Bevölkerung vorbehalten waren, wurden sie nur als Dienstboten geduldet. In weit entfernt errichteten townshipserhielten sie zwar passable Häuser von 40-50 m² Größe zur Miete, konnten diese aber bei Missliebigkeit verlieren.Ende der 1980er Jahren ließ sich die Zuwanderung in die Städte dann nicht mehr unterbinden und es kam zu tausenden von Landbesetzungen. Bis 1996 ist die Zahl der informellen Siedler auf 1,5 Mio. Haushalte angewachsen (vgl. Tissington 2011:33). Grundzüge der Wohnungspolitik nach dem Ende der Apartheid Die ersten freien Wahlen im Jahr 1994 gewann der ANC mit dem Versprechen, Grundbedürfnisse zu befriedigen, menschliche Potentiale zu entwickeln, die Wirtschaft aufzubauen, Staat und Gesellschaft zu demokratisieren. Dazu versprach das erste Regierungsprogramm innerhalb von fünf Jahren eine Million Häuser zu errichten und fünf Prozent des Staatshaushalts für den Wohnungsbau zu reservieren (vgl. ANC 1994). Ausgangspunkt für die neue Wohnungspolitik wurde aber nicht, wie zunächst gefordert, die Selbstorganisation auf Stadtteilebene, die eine intensive Beteiligung der Zielgruppen an Entscheidungs- und Bauprozess ermöglicht hätte, sondern ein bereits von der Vorgänger-Regierung vorgezeichneter Kompromiss mit Banken und Bausektor (vgl. Bond 1995). Gerhard Kienast, 1970, Dipl.-Ing. Stadt- und Regionalplanung, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Stadterneuerung und Stadtumbau der Universität Kassel Zum wichtigsten Instrument wurden dabei „projektbezogene Kapitalsubventionen“, die der Staat Bauunternehmen gewährt, die auf öffentlichem Grund standardisierte Wohnungen zugunsten bereits vorher identifizierter, förderberechtigter Haushalte errichten. Diese Politik stimmte zwar mit Grundzügen der WeltbankStrategie überein, die Regierungen dazu riet sich auf die Herstellung geeigneter Rahmenbedingungen für den Wohnungsmarkt zu konzentrieren (The World Bank 1993; Jones/Datta TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 25 Gerhard Kienast Mandelas Versprechen © Gerhard Kienast wohnungen, der sogenannte People‘s Housing Process für Selbstbauinitiativen sowie Fördermittel für Umbau und Sanierung von Männerwohnheimen (hostels). Trotz der Vielfalt der Instrumente machten projektgebundene Subventionen aber lange Zeit den Löwenanteil aus (vgl. Huchzermeyer 2003:594 f.). Die Standardisierung des Wohnungsprodukts und das Bauen auf der grünen Wiese ermöglichte der ANC-geführten Regierung die Erfüllung ihres Wahlversprechens. Im siebten Amtsjahrwurde die millionste Wohnung fertig gestellt (vgl. FFC 2013:14). Trotz vielfältiger Kritik hielt die inzwischen viermal bestätigte Regierungspartei am Versprechen kostenloser Wohnungen für die Armen fest. 2010 überschritt die südafrikanische Wohnungsbauförderung die Abb. 1: Informelle Behausungen am Rande einer staatlich geförderten SchlichtDrei-Millionen-Grenze. Gleichzeitig wurde haussiedlung in Ducats (Buffalo City) auch der Zugang zu Versorgungsleistungen 2000). Einige Aspekte widersprachen dem Rat aus Washingausgeweitet, die als basic services definiert werden. 1994 ton aber deutlich. So wurden die Subventionen z. B. nicht an musste noch über ein Drittel der Haushalte mehr als 200 m private Sparanstrengungen gekoppelt. Statt von Chile und zurücklegen, um an Trinkwasser zu gelangen. 2012waren anderen lateinamerikanischen Schwellenländern zu lernen, es nur noch 5 %. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der die ihre Wohnungsnot mit ähnlichen Mitteln erfolgreich einBevölkerung, der ‚grundlegende Sanitätsstandards‘ erfülldämmten, entwickelte Südafrika eine eigentümliche Wohte und mindestens eine belüftete Latrine besaß, von etwa nungsbaustrategie, die versucht auch die Ärmsten zu errei50 % auf über 80 %. Über 75 % sind inzwischen an das Elekchen (Gilbert 2002). trizitätsnetz angeschlossen (vgl. The Presidency 2012:36 ff.). © Gerhard Kienast Dabei entstanden – und entstehen bis heute – überwiegend frei stehende Einfamilienhäuser einfachster Bauweise, die in das Eigentum der Haushalte übergehen.Zwar wurden auch bald andere Fördermechanismen eingeführt: „individuelle“ Subventionen für den Kauf von Bestandswohnungen, „institutionelle“ Subventionen für Miet- und Genossenschafts- Damit trägt die südafrikanische Regierung ihrer Verfassung Rechnung, die – neben anderen sozioökonomischen Rechten – auch das „Recht auf Zugang zu angemessener Wohnung“ garantiert, zu seiner schrittweisen Umsetzung „innerhalb der vorhandenen Ressourcen“ verpflichtet und willkürliche Räumungen verbietet. Da die Verfassung aber zugleich auch die in der Kolonial- und Apartheidzeit entstandenen Eigentumsverhältnisse schützt und für Enteignungen im öffentlichen Interesse hohe Hürden auftürmt, hat sich die südafrikanische Stadtplanung nach 1994 sehr schwer getan, private Investitionen in die Nähe der townshipszu lenken und geeignete Flächen für den öffentlichen Wohnungsbau zu akquirieren. Dabei werden die Stadtverwaltungen von zwei Seiten unter Druck gesetzt: einerseits von den Bewohnern unterversorgter Siedlungen, andererseits von der nationalen Regierung und den bis auf eine Ausnahme ebenfalls vom ANC regierten Provinzen, die darauf drängen,die Versorgungskennziffern zu verbessern und so viele Wohnungen wie möglich zu bauen. De facto wurde die Wohnungsbauförderungdamit zur nationalen Stadtentwicklungspolitik, was sowohl räumlich als auch für die Gemeindehaushalte verheerende Konsequenzen nach sich zieht. Abb. 2: Staatlich finanzierte Einfamilienhäuser auf engstem Raum in Ndancama Da nur am Stadtrand schnell und günstig Flä(Buffalo City) 26 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Gerhard Kienast Mandelas Versprechen Scheitern des „neuen Spatenstichs“ © Gerhard Kienast chen mobilisiert werden konnten, hat die Wohnungspolitik die Ausdehnung der Städte gefördert. Millionen Geringverdiener erhielten kostenlose Häuser an Orten, wo weder Arbeitsplätze noch Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen vorhanden waren, und müssen hohe Transportkosten aufbringen, um diese zu erreichen. Zugleich führt die Ausdehnung der Versorgungsnetze zu einer ständig wachsenden Belastung der kommunalen Haushalte, die weder durch Zunahme der Steuerkraft noch durch Fiskaltransfers ausgeglichen wird (vgl. Pieterse 2009). Abb. 3: 14 % der südafrikanischen Haushalte leben nach offiziellen Angaben in Shacks Zehn Jahre nach ihrem Amtsantritt reagierte die Regierung auf die umfassende Kritik an ihrer Politik mit der Verkündung eines „neuen Spatenstichs“. Das gleichnamige Programmpapier („Breaking New Ground“; DoH 2004) versprach eine Berücksichtigung des gesamten Wohnungsmarkts („vom Einheitsprodukt zur Nachfrageorientierung“) und eine ganzheitliche Sichtweise („von Wohnungen zu nachhaltigen Siedlungen“).Zugleich wurden neue Förderinstrumente zur Sanierung informeller Siedlungen, zur Errichtung von Geschosswohnungen und für den Wohnungsbau im ländlichen Raum eingeführt. Allerdings folgt das Papier keiner kohärenten Strategie sondern reiht lediglich Businesspläne verschiedener Abteilungen des Wohnungsbauministeriums aneinander (vgl. Charlton/Kihato 2006:259). Viele Förderlinien kamen aufgrund ungeeigneter Programmstrukturen, mangelnden Zugriffs auf Grundstücke und fehlenden Interesses privater Bauträger nur selten zum Zuge. So blieb das frei stehende Einfamilienhaus einfachster Bauart auch weiterhin dominierend (vgl. Tissington 2011:9). Dazu konterkarierte Wohnungsbauministerin Sisulu die im Programm skizzierte behutsame Erneuerung informeller Siedlungen durch die Ankündigung einen „Krieg gegen die Hütten“ („war againstshacks“) führen und informelle Siedlungen in Südafrika bis 2014 „ausrotten“ zu wollen (vgl. Tissington 2011:64 ff.). Der für inkrementelle Verbesserungen vor Ort geschaffene Fördermechanismus wurde zur Unterstützung von Umsiedlungen und Neubauvorhaben auf der grünen Wiese zweckentfremdet (Topham 2013). Die enorme Widersprüchlichkeit der südafrikanischen Wohnungspolitik erklärt sich aus der Spannung zwischen einer progressiven Grundrechtscharta, die willkürliche Räumungen verbietet, und dem menschenverachtenden Diskurs führender Regierungsmitglieder, die neuen Landbesetzungen mit ähnlicher Härte begegnen wie das frühere Regime (Pithouse 2009). Dabei ist die Ausdifferenzierung der Grundrechte vor allem der Prinzipienfestigkeit südafrikanischer Juristen zu verdanken, welche die seit 1998 auch gesetzlich verankerte Unverletzlichkeit der Wohnung von Landbesetzern wiederholt gegen die Beschlüsse niedrigerer Kammern und entgegengesetzte Gesetzesvorhaben verteidigt haben (vgl. Tissington 2011:42 ff.). Wichtigstes Ergebnis dieser Prozesse, die von pro bono agierenden Anwälten informeller Siedler bis zum Verfassungsgericht geführt wurden, war die Verpflichtung des Staates zu einer „sinnvollen Auseinandersetzung“ mit den Besetzern, die darauf zielen muss, Obdachlosigkeit zu verhindern und deshalb immer auch die Möglichkeit einer Verbesserung der bestehenden Siedlung („in situ upgrading“) prüfen muss (vgl. Tissington 2011:55 f.). Trotz des enormen Mitteleinsatzes ist es der Regierung nicht gelungen, die Ausweitung prekärer Wohnverhältnisse zu verhindern. Nach einer von der staatlichen Housing Development Agency (HDA) durchgeführten Auswertung von Volkszählungsdaten lebten 2011 noch 14 % der Haushalte in Hütten oder Behelfsbauten (HDA 2013:13). Diese Zahl liegt wesentlich höher als der Wert von 5,8 % „Slumbewohnern“, der im nationalen Bericht für die Habitat IIIKonferenz kommuniziert wird (DHS 2014a:82), was evtl. auf die Verwendung der Variablen „Wohngebietstyp“ statt der Variablen „Wohnungstyp“ zurückzuführen ist. Während die Zahl der Haushalte, die in frei stehenden shacks leben, seit 2001 zurückgegangen ist, wurde dies durch die Zunahme von Hütten in Hinterhöfen und staatlichen Siedlungenmehr als kompensiert (HDA 2013:15 f.). Dass diese Bauten meist weiter vermietet werden, zeigt, dass viele Stadtbewohner eine flexiblere Form der Wohnungsversorgung brauchen, als sie der Mainstream der südafrikanischen Wohnungspolitik bietet. Feldstudien belegen, dass hier i.d.R. keine „Slumlords“ am Werk sind. Viele Vermieter sind selbst arm und für Ausländer, die keinen Anspruch auf Wohnungsbauförderung haben, ist das Leben im shack oft ohne Alternative (Shapurjee/Charlton 2013). TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 27 Gerhard Kienast Mandelas Versprechen Nicht nur bezogen auf die Armen blieb die südafrikanische Wohnungspolitik hinter den Versprechungen zurück. Zwar können sich Haushalte mit einem Monatseinkommenvon unter R 3.500 (z. Z. ca. 270 €) noch Hoffnung machen, ein voll subventioniertes Haus zu erhalten, so lange sie auf einer Warteliste stehen. Die Zahl der öffentlich geförderten Wohnungsfertigstellungen ist im letzten Jahrzehnt aber von über 250.000 Einheiten jährlich auf unter 150.000 gesunken (vgl. Mukorombindo 2014:2). Nach Einschätzung der Finanzkommission des Parlaments sind auch Haushalte von Wohnungsnot betroffen, deren Einkommen deutlich über R 3.500 liegt und dennoch zu niedrig ist, um auf dem privaten Markt ein Haus zu erwerben. Südafrikanische Banken sind zwar bereit, auch Kreditnehmern mit geringem Eigenkapital Geld zu leihen. Für die Summen, die sich Haushalte mit einem Einkommen von unter R 15.000 (ca. 1.150 €) borgen könnten, gibt es auf dem Markt aber kaum Angebote. Ursachen für diese Marktlücke sei einerseits die Risikoscheu der Developer und Kreditinstitutionen, andererseits die Erwartung der Verbraucher, dass kreditfinanzierte Häuser eine deutlich bessere Qualität aufweisen als das kostenlose Produkt für die untersten Einkommen (vgl. FFC 2011:11). Ein Aufholen des „Rückstands“ von ca. 2,2 Mio. Wohneinheiten würde nach einer Schätzung von 2011 öffentliche Investitionen in Höhe von mindestens 300 Mrd. Rand (damals 30 Mrd. €) erfordern und liegt nach Ansicht der Kommission weit jenseits der finanziellen Möglichkeiten des Staates (FFC 2011:15) – zumal die Weltfinanzkrise auch in Südafrika zu einem Einbruch des Wirtschaftswachstums und zu einer Reduzierung der Steuereinnahmen geführt hat. Daher hat das Präsidialamt das inzwischen als Department of Human Settlements (DHS) firmierende Ministerium, Provinzregierungen und andere Fachressorts im Jahr 2010 auf quantitative Vorgaben für die Aufwertung von informellen Siedlungen, den Bau von Mietwohnungen, Kreditsubventionen sowie die Bereitstellung öffentlichen Baulandsverpflichtet (The Presidency 2010). Gleichzeitig wurden neue Institutionen geschaffen, welche die Gemeinden, die bisher nur über sehr eingeschränkte Kompetenzen in der Wohnungspolitik verfügen, bei der Durchführung der Programme unterstützen sollen. Im Folgenden wird auf Grundlage von Regierungsdokumenten und Studien von Verbänden ein Zwischenfazit dieser Reformansätze gezogen. Informelle Siedlungen: Mit der o. g. Zielvereinbarung hat sich die Regierung verpflichtet, die Situation von 400.000 Haushalten in „gut gelegenen“ informellen Siedlungen bis 2014 durch Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und die Gewährung von Nutzungsrechten zu verbessern (The © (1) The Presidency 2010; (2) DHS 2014b; (3) DHS 2013; eigene Zusammenstellung. Langsame Neuorientierung und Diversifizierung Zielvorgabe 2010-2014(1) Bilanz 2014(2) Zielvorgabe 2014-2019(2) 400.000 447.780 750.000 k. A. 463.504 563.000 Öffentliche Wohnungsunternehmen 20.000 15.225 10.000 Gemeinnützige Wohnungsunternehmen 24.312 4.535 fertig gestellt 12.802 im Bau 27.000 Institutionelle Förderung (diverse Träger) 8.847 2.249 k. A. Privatsektor 26.600 10.368(3) 35.000 162.800 k. A. 129.645 40.000 Fördertatbestände Infrastrukturelle Aufwertung von Haushalten in informellen Siedlungen Voll subventionierter Wohnungsbau für Haushalte mit sehr geringen Einkommen Mietwohnungsbau Kredite privater Banken Wohnungsbaukredite für die untere Mittelschicht (sog. ‚Marktlücke‘) Kredite staatlicher Entwicklungsbanken 600.000 ‚finanzierungsgebundenes individuelles Subventionsprogramm‘ (FLISP) k. A. 7.070(3) 70.000 Vergabe von gut gelegenem Land für Wohnungsbau für Geringverdiener und die untere Mittelschicht (in ha) 6.250 11.308 10.000 Tabelle 1: Quantitative Zielvorgaben und Ergebnisse der südafrikanischen Wohnungsbauförderung 28 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Gerhard Kienast Mandelas Versprechen © Gerhard Kienast Siedler kostenlos mit Häusern versorgt zu werden (vgl. Topham 2013:15). Daher ist die Angabe von 447.780 Haushalten, die bereits bis 2014 von Verbesserungen profitiert habensollen (DHS 2014b:8), mit Vorsicht zu genießen. Immerhin ist es aber gelungen, das Ziel der schrittweisen Konsolidierung informeller Siedlungen in der offiziellen Wohnungspolitik zu verankern. Dafür spricht die Fortschreibung der Zielvereinbarung für die Regierungsperiode 2014-2019, die konkrete Ausstattungsverbesserungen für 750.000 Haushalte vorsieht. Abb. 4: Bewohner von Zwischenumsetzwohnungen (Buffalo City) © Gerhard Kienast Presidency 2010: 14). Ein National Upgrading Support Programme (NUSP) wurde eingerichtet, um 49 Lokalverwaltungen zu unterstützen, die etwa drei Viertel aller informellen Siedlungen beherbergen (The Presidency 2010: 9). Erstes Ziel des Programms war die Erstellung detaillierter Pläne für über 1.700 Gebiete. Da es in Südafrika bisher nur wenige Nichtregierungsorganisationen und Planungsbüros gibt, die sowohl das nötige Ingenieurswissen als auch Kompetenzen in der Gemeinwesenarbeit mitbringen, bemüht sich NUSP um die Bildung interdisziplinärer Teams. Das Haupthindernis für inkrementelle Strategien besteht aber wohl in der, durch die bisherige Förderpolitik entstandene – und von Lokalpolitikern genährten – Erwartung der Abb. 5: Integrierte Entwicklung von Mietwohnungsbau und Einfamilienhäusern in Fleurhof ( Johannesburg) Mietwohnungsbau: Verschiedene Fördermechanismen sollten in der Regierungsperiode 2010-2014 den Bau von insgesamt 80.000 gut gelegenen und erschwinglichen Mietwohnungen („affordable rental housing”) ermöglichen. Dieses Ziel wurde klar verfehlt. So hat das Community Residential Unit Programme bis Anfang 2014 Förderung für 15.225 Einheiten gewährt, die Geringverdienern mit einem Einkommen von unter R 3.500 pro Monat zugutekommen (vgl. Tabelle 1). Verbindliche Zahlen über die Fertigstellungen liegen aber nicht vor. Gemeinnützige Wohnungsbauträger, die durch das Social Housing Programme gefördert werden und an Haushalte mit einem Einkommen von bis zu R 7.500 vermieten dürfen, hatten bis dato lediglich 4.535 Einheiten fertiggestellt. Etwa 12.800 weitere Einheiten waren im Bau. Darüber hinaus haben im genannten Zeitraum auch private Vermieter unterschiedlicher Größenordnung 10.368 Wohneinheiten errichtet. Diese Zahlen addieren sich nur auf etwas mehr als die Hälfte der anvisierten 80.000 Wohnungen. Dies zeigt, wie schwer sich Südafrika nach wie vor mit dem Mietwohnungsbau tut, obwohl sich nationale und internationale Expertenseit Jahren für das Instrument einsetzen (vgl. Tissington 2011; Cross 2013). Immerhin wurden die für den sozialen Wohnungsbau bereit gestellten Mittel stark erhöht und sollen auch weiterhin steigen (NASHO/HDA 2013:20). Kreditsubventionen für mittlere Einkommensgruppen: Schließlich versucht die Regierung auch die o.g. „Marktlücke“ durch ein ‚finanzierungsgebundenes individuelles Subventionsprogramm‘ (FLISP) zu schließen. FLISP unterstützt Haushalte, die über der Einkommensgrenze von R 3.500 liegen und eine Hypothekenfinanzierung vereinbart haben, durch degressive Zuschüsse bei der Rückzahlung ihrer Kredite. 2012 wurde das Programmauf Haushalte mit einem Einkommen bis zu R 15.000 ausgeweitet. Zusammen mit der (inzwischen gescheiterten) Einführung einer staatlich garantierten Hypothekenversicherung sollte FLISP die „Verbesserung der Finanzierung von 600.000 Wohnungsangeboten“auf dem freien Markt sicherstellen (The Presidency 2010:38 f.). Obwohl auch dieses Ziel klar verfehlt wurde, zeigt die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor langsam Wirkung. Bis zum September 2013 wurden 36 FLISP-Projekte mit insgesamt 7.070 Wohnungen genehmigt und vier Absichtserklärungen zwischen der National Housing Finance Corporation und Privatbanken unter- TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 29 © Gerhard Kienast Gerhard Kienast Mandelas Versprechen Alternativen zu einem uneinlösbaren Versprechen? Diese Momentaufnahme zeigt, dass die südafrikanische Wohnungspolitik in den letzten Jahren in Bewegung geraten ist, auch wenn der Bau von monoton gereihten Schlichthäusern noch nicht der Vergangenheit angehört. Zwar hat bereits der von 2009 bis 2013 amtierende Siedlungsminister Tokyo Sexwale (2013) eingeräumt, dass die Subventionierung kostenloser Häuser für die Ärmsten der Armen wenig nachhaltig ist, versprach aber deren Fortsetzung „solange das Land unter dem dreifachen Übel der Arbeitslosigkeit, Armut und Ungleichheit leidet“. Seine Nachfolgerin Lindiwe Sisulu, die das Amt bereits früher bekleidete, hat seitdem einen „Stichtag“ ins Gespräch gebracht, nach dem nur noch Südafrikaner von über 40 Jahren einen Anspruch auf Wohnungsbausubventionen haben sollen. Eine solche Regelung würde große Empörung unter den Hüttenbewohnern Abb. 6: Sites and services – Staatliche Unterstützung für Selbstbau in Nellhervorrufen (vgl. Pithouse 2014). Ohnehin ist mapius (Tshwane) die Wohnungsnot eine der Hauptursachen der zeichnet (DHS 2013). Dadurch entstehen Wohnsiedlungen, städtischen Proteste, die im letzten Jahrzehnt stetig zugedie verschiedene Wohnungstypologien und Preiskategorien nommen haben (DHS 2014a:30 f.). kombinieren und neue Möglichkeiten für soziale Integration schaffen. Ohne geeignete Planung kann die Kooperation mit Es ist daher nicht damit zu rechnen, dass die bei den letzten privaten Bauträgern aber auch neue Formen räumlicher TrenWahlen gerade in den Großstädten in Bedrängnis geratene nung hervorbringen, wenn unterschiedliche EinkommensRegierungspartei den staatlich gewährten Anspruch auf gruppen innerhalb einer Siedlung durch Straßen und Landein individuelles Hausprodukt bald aufkündigt. Schließlich schaftselemente getrennt werden (vgl. Haferburg 2013). handelt es sich dabei um ein mächtiges Instrument soziopolitischer Kontrolle, wie Huchzermeyer (2003:600) beGut gelegenes Land: Alle vorgenannten Trägerformen sind reits vor Jahren herausgearbeitet hat, denn der individuelle auf gut gelegenes öffentliches Land angewiesen. Mit der Anspruch wirkt der Selbstorganisation und Selbsthilfe der Zielvereinbarung von 2010 verpflichtete sich die Regierung Siedler entgegen und begünstigt stattdessen klientelistimindestens 6.250 ha für Wohnungsbau für untere Einkomsche Beziehungen zu lokalen Politikern. men und Mietwohnungen bereit zu stellen (The Presidency 2010:36). Die 2008 geschaffene Housing Development Da die Städte nun mehr Kompetenzen in der WohnungspoliAgency (HDA) wurde beauftragt, auf allen Regierungstik erhalten und die Mobilisierung öffentlicher Liegenschafebenen geeignete Liegenschaften zu identifizieren, ihre ten in Gang gekommen ist, stellen sich für die südafrikaniÜbertragung zu erleichtern und den Bau von Siedlungen sche Stadtplanung viele neue Aufgaben. Damit es endlich vorzubereiten. Nach offiziellen Angaben konnte die HDA zu einer kompakteren Weiterentwicklung der südafrikaihre Zielmarke für die Jahre 2010-2014 mit 11.308 ha sonischen Städte kommt, müssen neue Standorte besser erschlossen und von vorne herein mit einer höheren Dichte gar übertreffen (DHS 2014b:9). Dennoch stellt der Transfer öffentlicher Liegenschaften nach wie vor eine riesige geplant werden. Noch immer fließen die Subventionen vorwiegend in freistehende Einfamilienhäuser. Sie immer enger Herausforderung dar. Eine im Auftrag der HDA und des Städtenetzwerks SACN durchgeführte Untersuchung beaneinander zu rücken ist sicher keine Lösung (vgl. Abb.2). richtet von zähen Verhandlungen zwischen Ministerien Zwar gibt es erste Beispiele der Mischung von Wohnungstyund Kommunalverwaltungen, die sich über zehn Jahre und pologien, Eigentumsformen und Einkommensgruppen (vgl. Abb.5). Ob diese sich unter den Marktakteuren durchsetzen, länger hinziehen können (SACN/HDA 2014:79 f.). Obwohl die Verwaltungen der Großstädte als vergleichsweise leisist aber längst nicht gewiss. tungsfähig gelten, fehlt es nach Ansicht der Gutachter an Verhandlungsgeschick und am Mut Land in letzter KonseÄhnlich wie in Lateinamerika (vgl. Gilbert 2014) wurden Mietwohnungen und andere Besitzformen von der Politik quenz auch zu enteignen. Darüber hinaus bemängeln die Autoren, dass Fragen der Bodenpolitik im Rahmen der intezu lange vernachlässigt und Wohnungseigentum galt als grierten Entwicklungsplanung und bei der Aufstellung von einzig mögliches Ergebnis der Aufwertung informeller Siedlungen (Payne 2008). Damit allmählich Alternativen zu dem Raumentwicklungsplänen keine Rolle zu spielen scheinen. 30 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Gerhard Kienast Mandelas Versprechen langfristig nicht tragfähigen Fördermodell entstehen, ist es Südafrika zu wünschen, dass sich die Diversifizierung der Wohnungspolitik fortsetzt und dass neben verdichtetem Mietwohnungsbau in Innenstädten auch die vom National Upgrading Support Programme propagierten inkrementellen Wohnkonzepte Verbreitung finden. Internationale Vergleichsstudien haben die Behauptung, dass die Bewohner von Selbstbausiedlungen nur durch Eigentumstitel Sicherheit und Entwicklung erlangen können, längst widerlegt (Payne 2008). Viele Länder mussten erfahren, dass kostenlose Wohnungen am Ende nicht den ärmsten Bevölkerungsgruppen zugutekommen (Gilbert 2014). Gleichzeitig zeigen viele Beispiele, dass man durch die Gewährung kollektiver Nutzungsrechte und Basisinfrastruktur eine schrittweise Konsolidierung einleiten kann (Royston 2014). ¢ Literatur > African National Congress (Hg.) (1994): The Reconstruction and Development Programme (RDP). A Policy Framework. o.O > Bond, Patrick (1995): Undermining the RDP: A Reply to Barry Pinsky. In: Southern Africa Report 10 (5), S.23-26; 29 > Charlton, Sarah; Kihato, Caroline (2006): Reaching the poor? An analysis of the influences on the evolution of South Africa’s housing programme. In: Udesh Pillay; Richard Tomlinson; Jacques Du Toit (Hg.): Democracy and delivery: urban policy in South Africa. Cape Town. S. 252-282 > Cross, Catherine (2013): Delivering human settlements as an anti-poverty strategy: Spatial paradigms. In Udesh Pillay; Gerard Hagg; Francis B. Nyamnjoh; Jonathan D. Jansen (Hg.): State of the Nation: South Africa, 2012-2013: addressing inequality and poverty. 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Eine auf Diversifizierung und schrittweise Verbesserung von Selbstbausiedlungen zielende Reform der Förderung wurde eingeleitet, stößt aber auf gewaltige Schwierigkeiten. Abstract: Since 1994, the South African Government has funded nearly 3.4 million housing units for low income households and still could not keep up with demand. The general promise of housing delivery appears irredeemable. Reforms aiming at the diversification of the housing subsidy system and the gradual improvement of DIY settlements are underway, but face tremendous difficulties. TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 31 © Ruanda, Antje Ilberg 32 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Antje Ilberg Umsetzung einer integrativen Wohnpolitik Von der Debatte zur politisch priorisierten Umsetzung am Beispiel Ruandas Ruanda verfolgt eine Reihe von Reformen, die auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen und die Erbringung von Serviceleistungen für die Bevölkerung abzielen. Die jüngste nationale Fünf-JahresEntwicklungsplanung unterstreicht die Entscheidung, den Herausforderungen aus aktuellen Verstädterungsprozessen in einer aktiv lenkenden Rolle zu begegnen. Ein Grundanliegen im Kontext beschleunigten Stadtwachstums ist der Zugang zu Wohnraum. Seit etwa 2005 wurde der Weg zu einer beispielhaften Wohnpolitik geebnet. Eine der Reformkomponenten, die mit der Regularisierung von Grundstückseigentumsrechten den Weg in einen offenen Immobilienmarkt unterstützte und die Bildung eines privaten Bau- und Immobiliensektors anstieß, ist die schon umgesetzte Bodenreform. Antje Ilberg, 1973, Dr.-Ing., Studium der Architektur und Stadtplanung in Dresden und London. Beraterin des Ministeriums für Infrastruktur in den Bereichen Stadtentwicklung, Wohnungsbau und Governance in Kigali/Ruanda I m Vordergrund der 2015 verabschiedeten Wohnpolitik steht Zugang zu Wohnraum für Alle. Priorisiert wird neben der Thematik der Nachhaltigkeit von Zielen der Siedlungsentwickung auch eine Vielschichtigkeit von Zugangsmodellen zu Wohnraum, die alle Bevölkerungsschichten in die Strategie integriert. Strategiebildung seit 2005 Seit etwa 10 Jahren rückt die Gestaltung von Strategien zur Lösung des Wohnraumproblems in Ruanda zunehmend in den Vordergrund. Bahnbrechend war ein Pilotprojekt mit 250 kostengünstigen Wohnhäusern, das zum Umdenken in Grundsatzfragen beitrug. Bis dahin wurden ein Recht auf Leben in der Stadt für Einkommensschwache in Frage gestellt und die Verwendung lokal üblicher Baumaterialien als nicht legitim betrachtet. Das partnerschaftliche Projekt führte 2006 zur Legalisierung von lokalen Baumaterialien, indem der öffentliche Bauträger eine optimierte Lehmbauweise anwandte und die beteiligte Immobilienbank Darlehen für den Erwerb der bautechnisch optimierten aber einfachen Gebäude vergab. Das zwischenzeitliche Baugesetz von 2009 und das 2015 verabschiedete, es ablösende und umfangreichere Gesetzeswerk betrachten seitdem lokale Baumaterialien jeglicher Herstellungsart als legal, sofern sie baustrukturellen und umwelttechnischen Anforderungen gerecht werden. Die Pilotsiedlung blieb die einzige bislang umgesetzte Siedlung, die in den formellen Markt eingebundene Wohnangebote an untere Einkommenschichten macht. Grund dafür mag der kurz darauf aufgekommene Anspruch gewesen sein, sich trotz der im Projekt erreichten Baudichte hin zu mehrgeschossigen Wohngebäuden zu orientieren und effizientere Bautechnologien zu suchen. Tatsächlich sind die eingeschränkte Verfügbarkeit von erschließbaren Bodenflächen und der hohe quantitative Bedarf zwei der größten Herausforderungen im kleinen und dicht besiedelten Ruanda. TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 33 © Antje Ilberg, 2013 Antje Ilberg Umsetzung einer integrativen Wohnpolitik Abb. 1: Batsinda, die erste städtische Low Cost Housing-Siedlung im ruandischen Wohnungsmarkt Als Ergebnis der 2004 verabschiedeten Bodenreform wurden nach einer Testphase zwischen 2008 und 2010 die Landeigentumsverhältnisse aller Grundstückseigner auf einer vereinheitlichten Grundlage registriert und die zuständigen Verwaltungsinstitutionen und -prozesse reformiert. Das Thema Nachhaltige Stadtentwicklung wurde als Priorität in der aktuellen Nationalen Entwicklungsstrategie 2013-2018 (Second Economic Development and Poverty Reduction Strategy, abgekürzt: EDPRS2) verankert, die Ruandas Weg zu ökonomischem Fortschritt und Wohlstand skizziert. Mit der Registrierung aller Landeigentumsansprüche und der Verwaltungsreform ist der Boden- und Immobilienmarkt als legalisierter Teil der nationalen Ökonomie noch jung. Der Rechtsrahmen ist abschließend zu harmonisieren, und die Kapazitäten im Immobilien- und Ingenieurwesen und in der Bauindustrie benötigen beständige Förderung mit dem Ziel, Planungs- und Bauqualität zu erhöhen, Baupreise zu senken und Wohnungsbau effizienter zu machen. Mit der Entwicklungsstrategie EDPRS2 wurde auch speziell die Unterstützung des Zugangs zu Wohnraum zu einem der obersten Teilziele im neuen Urbanisierungssektor. Die eingehende Illustrierung des Wohnraumbedarfs im Kontext der finanziellen Möglichkeiten der Einwohner half, das Bewusstsein durchzusetzen, dass bisherige Landvergabe- und Wohnungsbauprozesse nicht mehr nur einer Minderheit zugutekommen dürfen, und in der Diskussion um sozial verträgliche Stadterneuerungsstrategien hat ein Umdenken stattgefunden. 34 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Neue Städtische Agenda und Sustainable Development Goals Wir stehen vor dem Beginn der Neuen Urbanen Agenda (New Urban Agenda) mit dem ausdrücklichen, international geteilten Ziel der Erzeugung von Nachhaltigkeit und von Synergie zwischen Urbanisierung und sozialökonomischer Entwicklung. 17 Nachfolgeziele der Millenniums-Entwicklungsziele, die sogenannten Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals) werden im September 2015 beschlossen. Armutsbekämpfung sowie Schutz und Management natürlicher Ressourcen als Basis ökonomischen und sozialen Fortschritts bleiben, neben der zusätzlich angestrebten Transformation in nachhaltiges Konsum– und Produktionsverhalten leitbildend (UN, 2015). Ruandas Entwicklungsstrategie EDPRS2 verkörpert bereits die Leitgedanken der Neuen Städtischen Agenda. Ruanda hat sich für eine aktive Unterstützung von Urbanisierungsprozessen entschieden, um planerisch begleitete Urbanisierung mit wirtschaftlichem Wachstum zu vereinen (MININFRA/MINALOC, 2013). Urbanisierung und Lndlicher Siedlungsbau wird als Schlüsselsektor für die erfolgreiche Umsetzung Ruandas Ziels, ein Schwellenland zu werden, hervorgehoben, und die Produktion adäquaten Wohnraums und nachhaltige Stadt- und Siedlungsentwicklung werden auch nach Ende des EDPRS2 relevante Themen bleiben. © Antje Ilberg, 2015 Antje Ilberg Umsetzung einer integrativen Wohnpolitik Abb. 2: Mit der Landreform boomt der Bausektor und höhere Baudichten setzen sich langsam durch. Noch werden die höchsten Einkommensschichten adressiert Herausforderungen und neue Zielstellungen Aktuell bestehen die Herausforderungen für eine nachhaltige Wohnpolitik in der Verfügbarkeit von Ressourcen auf makroökonomischer Ebene und für die Einzelhaushalte, in der notwendigen Förderung der Kapazitäten im jungen Privatsektor sowie in den zu stärkenden institutionellen Kapazitten für eine effektive Sektorkoordinierung. Wegen äußerst geringer Einkommen mit einem durchschnittlichen Haushaltsjahreseinkommen von etwa 350 Euro (Republic of Rwanda, 2011) und unproportional hoher Baukosten von mindestens 25.000 Euro pro Einheit mit einem deutlich höherem Durchschnittswert, sind Wohnangebote aus dem wachsenden formellen Sektor für die meisten Haushalte weiterhin unzugänglich. Die wenigsten Haushalte können sich für ein Eigenheimdarlehen qualifizieren. Entsprechend Erhebungen durch eine sich lokal etablierende gemeinnützige Baugesellschaft haben Darlehensnehmer in Ruanda extreme Schwierigkeiten, Darlehen von mehr als etwa 40.000 Euro zu tilgen. Hohe Darlehenszinsen sind ein weiterer erschwerender Faktor mit allerdings untergeordneterer Rolle; eine Zinssenkung würde in erster Linie die Kaufkraft mittlerer und oberer Einkommenschichten erhöhen. Während die Beschäftigung ungelernter Arbeiter in der Versorgungskette im Bausektor die Ernährungsgrundlage für viele städtische Familien bildet, halten solche Initialkosten die Baukosten hoch. Ineffiziente Gebäudegrundrisse und Bautechnologien sowie die Quantität und Qualität lokal produzierter Baumaterialien sind zu optimierende Aspekte im technologischen Bereich. Ein Schwierigkeit ist, dass die positive Wirkung der landesweiten Grundstücksregistrierungen dadurch eingeschränkt ist, dass die Entwicklungsvorgaben neuer städtischer Bebauungspläne die Nutzung der privat registrierten Grundstücke für den Eigenbedarf erschweren. Die Planungen schlagen sich damit indirekt auf die Eigentumssicherheit durchschnittlicher Grundstücksbesitzer in Stadtbereichen nieder. Die neue Wohnpolitik antwortet auf das erkannte Problem aus dem Reformprozess mit klaren Lösungsvorschlägen. Ruandas Wohnpolitik im internationalen Kontext und Lösungswege Als Ergebnis einer Periode intensiver Konsultationen, wie das Wohnungsproblem in Ruanda zu lösen ist, wurde eine innovative und ganzheitliche Wohnpolitik erarbeitet und im März 2015 vom Kabinett verabschiedet. Deren Umsetzung steht nun im Vordergrund. Das Politikpapier setzt auf TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 35 © CDC/Info-Hub, 201 Antje Ilberg Umsetzung einer integrativen Wohnpolitik Abb. 3: Erschwinglicher Wohnraum ist bisher noch fast ausschließlich im informellen Bausektor zu finden. Informell bebautes Grundstück in Biryogo / Kigali (Nutzer: 7-köpfige Familie und 12 weitere Mieter, Sanitärbedigungen: Eine Latrine und eine Dusche, Grundstücksgröße: 240 m2) intensive Zusammenarbeit mit dem Privatsektor und orientiert sich an drei Grundpfeilern – Öffentlicher Nutzen; Ressourceneffizienz, Nachhaltige Technologien und Professionalität; sowie Regierungsführung und Partnerschaft. Die Umsetzung unter Beachtung aller Komponenten, die zur Reduzierung von Baukosten und zum Wachstum nachhaltiger Wohnviertel beitragen können, verspricht langfristigen Erfolg. Im Mittelpunkt stehen Zugangsmodelle zu Wohnraum unter Berücksichtigung unterschiedlicher sozioökonomischer Bevölkerungsschichten und Lebenssituationen. Um die rasante Urbanisierung in ein positives ökonomisches Wachtum transformieren zu können und vor dem Hintergrund des immensen städtischen Wohnraumbedarfs und eingeschränkter Bodenressourcen, konzentriert sich Ruanda auf effiziente und ressourcenschonende Lösungen. Geschichtlich bedingt ist der Boden in Form vieler kleiner, kaum erschlossener Grundstücke jeweils in Familienpacht, was im städtischen Kontext eine Schwierigkeit für die nachhaltige und ressourcenschonende Entwicklung darstellt, denn gleichzeitig sind die Grundstücke sowohl in innerstädtischen Bereichen als auch in Randlagen einem neuen enormen Marktdruck ausgesetzt. Die notwendige Versorgung mit Infrastruktur und die zum Ziel gesetzte Fokussierung auf Nachbarschaftsqualität machen faire, partizipative Verwaltungskonzepte im Interesse der Öffentlichkeit und der Privateigentümer unumgänglich. Ruandas Wohnpolitik lenkt hin zu Methoden kollektiver Finanzierung und Landkonsolidierung, um auch die Eigentümer kleiner Grundstücke an der nationalen ökonomischen Entwicklung teilnehmen lassen und die Erfolge der landesweiten Grundstücksregistrierung hinsichtlich einer effizienteren Bodennutzung unterstützen zu können. Da die geringe individuelle Kaufkraft und die kleinen Flächenzahlen städtischer Einzelgrundstücke wohl die größten Hindernisse für die Teilnahme privater Haushalte an Wohnbauinvestitionen sind, propagiert das Politikpapier intensiv Szenarien der organisierten Zusammenarbeit in Wohnungskooperativen, vegleichbar mit For- Anzeige Stadtentwicklung Marketing Regionalwirtschaft Einzelhandel Wirtschaftsförderung Citymanagement Immobilien Organisationsberatung www.cimadirekt.de Kultur 36 Herausgeber CIMA Beratung + Management GmbH CIMA Institut für Regionalwirtschaft GmbH Tourismus RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Antje Ilberg Umsetzung einer integrativen Wohnpolitik men von Wohnungsbaugenossenschaften in Schottland, Deutschland oder Österreich. Indem deren Etablierung unterstützt wird, sollen die Kaufkraft von Einzelhaushalten erhöht, Investitionskosten in Bauleistungen und –materialien gesenkt, sowie Enteignungen ausdrücklich vermieden werden. Ein vorgeschlagener Fond könnte Darlehensgaratien für Kooperativen oder auch für individuelle Darlehensnehmer anbieten. Während zum Beispiel für Zimbabwe argumentiert wird (Chirisa et al., 2015), dass fehlende staatliche Kapazitäten zur Bildung von Wohnkooperativen mit einer Klientelwirtschaft führen, wird in Ruanda die Bildung von Kooperativen in staatlicher Initiative mit meist arbeitgeberbasierten Gruppierungen unterstützt. Der Peoples Housing Process, ein Teilprogramm Südafrikas Wohnpolitik (Republic of South Africa, 2009), ist ein regionales Beispiel für ein staatliches Programm, das selbstorganisierte Nachbarschaftsinitiativen zu unterstützen anbietet, indem es sie im Austausch mit der Bevölkerung in einen Planungs- und Budgetierungsprozess einbindet. Die Grundidee kollektiver Szenarien wird auch in einem neuen Geschäftsplan der Ruandischen Entwicklungsbank (BRD) aufgenommen. Die besondere Herausforderung für ruandische Entwicklungskooperativen, die im Wohnungsbau aktiv werden wollen, ist es, stdtische Landkonsolidierungsprozesse als Bestandteil von Stadterneuerung anzugehen. Solche komplexen Prozesse müssen sich erst sukzessive in enger Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und den Lokalverwaltungen etablieren. Das Politikpapier unterstreicht zusätzlich die Rolle eines aktiven Mietwohnungsmarktes. Mehr als die Hälfte der städtischen Haushalte sind Mieter (NISR, 2011). Es ist der informelle Sektor, der bislang den Bedarf an bezahlbaren Mieteinheiten deckt. Spezielle Programme, die Investitionen durch Privatpersonen, Unternehmen oder Formen von Wohnkooperativen in qualitative, erschwingliche Mietwohnungen ermutigen, sind daher zentraler Teil der Strategie. Die Wohnpolitik erkennt an, dass eine Reihe von Haushalten besonders intensive Unterstützung benötigt und keine finanzielle Kapazität hat, selbst kostenoptimierte Wohneinheiten zu beziehen. Daher beinhaltet es Vorschläge für die Schaffung eines Kontingentes an Sozialwohnungen mit Hilfe des Nichtregierungssektors. Innovativ ist dabei ist die Vision, zu subventionierende Sozialwohnungen langfristig mit Hilfe vergünstigter Rückzahlungsmechanismen in den offenen Wohnungsmarkt einfließen lassen zu können, denn Verkäufe solcher Wohneinheiten wären ohnehin nicht zu verhindern. Das bietet sozial schwachen Haushalten die Chance zu sozialökonomischer Verbesserung und entstigmatisiert gleichzeitig sozialen Wohnungsbau. Auf dem EDPRS2 gründend, unterstützt Ruanda aktiv die Land-Stadt-Migration und positioniert sich aktiv in seiner Rolle, die Herausforderungen durch Urbanisierungsprozesse zu meistern. Die Politik unterscheidet nicht zwischen ländlichen und städtischen Bewohnern im Sozialsystem, wie z. B. in China (Stephens, 2010) und bietet Strategien, die städtische Zu- zügler aktiv unterstützen können. Dazu zählen die angestrebten Verdichtungsmaßnahmen, die verstärkte Orientierung auf die positiven sozioökonomischen Effekte von Mischgebieten, sowie die Ermöglichung schrittweiser Aufwertungen individueller Wohnsituationen im Rahmen von Stadterneuerungsprogrammen. Die Notwendigkeit der Erhaltung und Integration des bestehenden informellen Wohnraumbestandes wird deutlich hervorgehoben. In diesem Kontext bedurfte es auch einer Regulierung von informellen Wohngebäuden als Teil des neuen Planungs- und Baugesetzes, denn mit der Grundstücksregularisierung wurden zwar Eigentumsansprüche auf die Grundstücke geklärt aber der Status informell entstandener Wohngebäude auf den regularisierten Grundstücken war weiterhin unklar gewesen. Die im Politikpapier beinhalteten Vorschläge für Steuerregulierungen zielen auf eine Halbierung der Profitsteuern für Investoren im Bereich erschwinglicher Wohnaumschaffung, sowie auf eine Revision der Systematik für Grundsteuern und Mieteinkommenssteuern. Mieteinkommen aus kleinen, erschwinglichen Wohneinheiten sollen auch bei insgesamt hohem Mieteinkommen geringer versteuert werden. Mit der neuen Wohnpolitik setzt Ruanda ähnlich wie auch Osteuropa oder China Konzepte um, die auf Unterstützung des Immobilienmarktes entsprechend den Empfehlungen der Weltbank zielen, die 1993 zur Adressierung von Immobiliennachfrage und –angebot gegeben wurden (World Bank, 1993): Entwicklung von Eigentumsrechten zur Ermöglichung eines freien Marktes und zur Eigentumssicherheit; Entwicklung von Darlehensfinanzierung und anbietender Institutionen einschließlich innovativer Finanzierungsangebote auch für Einkommenschwache, und Rationalisierung von gezielten und transparenten Subventionen unter Vermeidung von Verzerrungen im Immobilienmarkt. Drei weitere Aspekte zielen auf koordinierte Infrastruktur-Serviceleistungen; ein Gleichgewicht von Regularien in Unterstützung von Wohnungsbau; und die Stärkung der lokalen Bauindustrie durch Wettbewerb, verringerte Handelsbarrieren und lokale Baumaterialherstellung und –nutzung. Zustzlich sind institutionelle Funktionalität und die Einbeziehung öffentlicher, privater und Nichtregierungsorganisationen oberste Priorität. Erfolgreiche Wohnungsbauprogramme lassen sich auch in Ländern mit begrenzt liberalisierter Wirtschaft beobachten. Staatliche Bauprogramme dürfen dabei nicht so starr sein, dass damit verbundene Regularien von den Leistungsempfängern umgangen werden und ein Nährboden für Korruption geschaffen wird. Erste Umsetzungmaßnahmen Aufgrund der Komplexität von städtischen Managementprozessen vor dem Hintergrund öffentlicher Verantwortung, Nachhaltigkeit, und Gleichbehandlung verbleiben immer noch Hürden, die Ruanda nach der konkreten Weichenstel- TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 37 Antje Ilberg Umsetzung einer integrativen Wohnpolitik lung bei der Umsetzung seiner Wohnpolitik zu meistern hat. Eine Reihe von Umsetzungsinitiativen werden gegenwärtig in Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor analysiert und geebnet. Erarbeitet werden die Rahmenbedingungen für einen Fond, in dem öffentliche Ressourcen für Infrastruktur und soziale Einrichtungen explizit für die Erschließung neuer Wohngebiete gebündelt werden sollen. Es werden Subventionsmodelle diskutiert, die Nachbarschafts- und Gebäudesanierung, individuelle Sparprogramme, Darlehensgarantien für gering verdienende Haushalte, Unterstützung für Darlehensanzahlungen, Mietsubventionen und andere Sozialprogramme etablieren können. Eine Möglichkeit der Zusammenarbeit mit dem Privatsektor, die sich im Analyseprozess befindet, ist die Aufstellung von Subventionsprogrammen, die Finanzinstituten und Nichtregierungsorganisationen Kapital für Wohnungsbauprogramme zugänglich machen könnte. Hier lohnt sich ein Blick auf die Wohnungsbauförderprogramme aus Südafrika, wo mit Hilfe der 1996 gegründeten Gesellschaft National Housing Finance Corporation (NHFC) Bauträger und soziale Wohnungsbauprogramme finanziell unterstützt werden. In Südafrika bleibt entsprechend Eigenanalyse des NHFC allerdings weiterhin die Hürde bestehen, wie die ärmsten Bevölkerungsschichten, die aufgrund geringer oder irregulärer ökonomischer Aktivitäten aus dem systemischen Rahmen fallen, erfolgreich in staatlich geförderte Subventionsprogramme einzubeziehen sind. Gute Voraussetzungen für zukünftige Subventionsmodelle und den Zugang zu Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten in Ruanda sind die effektive Zusammenarbeit mit den stark dezentralisierten Verwaltungseinheiten und die kulturell verankerten Beteiligungsprozesse. Wegweisend ist auch eine schon verabschiedete Verordnung, die die Bedingungen der Zusammenarbeit zwischen Staat und Privatsektor zur Unterstützung von Bauprojekten von Low-Cost Wohnimmobilien regelt und die Bedingungen klärt, unter denen Subventionen zur Unterstützung wohngebietsinterner Infrastruktur beantragt werden können. Die Fördervoraussetzungen beziehen sich insbesondere auf die gezielte Vergabe von Wohneinheiten in den geförderten Wohngebieten an bedürftige Empfänger, auf die Zugangsbedingungen, sowie auf Prinzipien der Ressourcen-Effizienz. Indem ein transparenter Entscheidungsprozess in der Verwendung öffentlicher Ressourcen und ein Entscheidungskomitee eingeführt werden, wird dem Risiko anderswo beobachteten Machtmissbrauchs bei der Ressourcenallokation, wie zum Beispiel durch Chirisa et al., 2015 beleuchtet, entgegnet. Ausblick Die Wohnpolitik Ruandas reagiert sensibel und ganzheitlich auf die landesspezifische Situation, indem sie innovative Lösungen unter konsequenter Beachtung der herausfordernden Ausgangsbedingungen aufzeigt, um insbesondere die eingeschrnkte Verfügbarkeit von Ressourcen sowohl auf der Haushaltsebene als auch auf der Makroebene über 38 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 deren Bündelung zu überwinden. Es gilt nun die volle Konzentration auf strategische, technische und institutionelle Optimierungen. Die Voraussetzungen dafür, dass die Öffentlichkeit den Nutzen aus der hohen politischen Willenskraft ziehen kann, sind gegeben. Als globale Handlungsempfehlung ergibt sich, die Zusammenarbeit zwischen Staat, Finanzsektor und Zivilgesellschaft bei der Aufstellung von Wohnraumprogrammen zu intensivieren, um Finanzierungsrisiken kollektiv tragen und Bevölkerungsgruppen mit geringen und unregelmäßigen Einkommen integrieren zu können. Transparente Verwaltungs- und Entscheidungsprozesse komplettieren die Programme im Hinblick auf das öffentliche Interesse. Während globale oder regionale Unterstützungsangebote strategisch ausbaubar sind, sind diese gezielt auf Leistungen zu orientieren, die lokal nicht angeboten werden können. Eine länderübergreifende Organisation könnte sich darauf spezialisieren, für ihre Mitgliederländer spezielle Funktionen zu übernehmen, die diese im Entwicklungskontext gewöhnlich nicht tragen können; sie könnte insbesondere Investitionsgarantien unter klar festgelegten Bedingungen vergeben und gegebenenfalls auch Darlehensgarantieprogramme für Eigenheimsuchende anbieten. Bauplanung und Ausführung bliebe Ländersache mit dem Anspruch, lokale Baukultur zu bewahren und zu stärken. Im Fazit kommt es darauf an, zwischen verschiedenen Interventionsebenen strategisch und gut koordiniert zu unterscheiden. ¢ Literatur > Bookstaber, Michael (2015): Business Plan for Development Bank of Rwanda (BRD), Draft, Global Housing Strategies > Chirisa, Innocent; Bandauko, Elmond; Mutsindikwa, NyashaTakawira (2015): Distributive politics at play in Harare, Zimbabwe: case for housing cooperatives, In Bandung Journal of the Global South (2:15) > Gibb, Kenneth; Maclennan, Duncan; Stephans, Mark (2013): Innovative Financing of Affordable Housing, International and UK Perspectives, JRF > Government of Rwanda (2015): National Housing Policy, Kigali > Government of Rwanda (2015): Ministerial Order Determining Urban Planning and Building Regulations, Kigali > Government of Rwanda (2009): Building Control Regulations > Government of Rwanda (2015): Draft Prime Ministers Instructions Determining the Conditions for Obtaining Government Particular Support for Affordable Housing Development and the Procedures of Initiation, Assessment, Approval and Implementation of Affordable Housing Development Projects, Kigali > Ilberg, Antje et al. 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A World Bank Policy Paper Ruanda is undertaking a number of reforms aiming at an improvement of the living conditions of the population and the provision of services. The latest national five-year development plan addresses the challenges of the current urbanization by strengthening the role of the state. A fundamental concern is access to housing. Internetseiten > Citiscope: What is the new urban agenda?,http://citiscope. org/habitatIII/explainer/2015/03/what-new-urban-agenda, letzterZugriff22.05.2015 > United Nations, Sustainable Development: Open Working Group Proposal for Sustainable Development Goals, https:// sustainabledevelopment.un.org/sdgsproposal, letzterZugriff 22.05.2015 > Wikipedia: Housing Cooperative, http://en.wikipedia.org/wiki/ Housing_cooperative, letzterZugriff 25.05.2015 Since 2005, new housing policies started focusing on land reform, the regularization of property rights, a free real estate market and private construction firms. The article concludes with recommendations how to improve the programs and policies. Anzeige jetzt neu! Kassensturz Gemeindefinanzen und Haushaltspolitik vor Ort Bei einem Kassensturz will man wissen, wie viel Geld wirklich im Stadtsäckel ist. Dass bei den meisten Städten, Gemeinden und Kreisen ziemliche Ebbe in der Kasse herrscht, ist allenthalben bekannt. Trotz aller Sparbemühungen wachsen die Schulden. Die Kassenkredite haben einen Höchststand erreicht, während die Investitionen weit ins Hintertreffen geraten sind. Was können in dieser prekären Situation die gewählten LokalpolitikerInnen ausrichten? Oder sind die Kommunen mehr und mehr zur Ohnmacht verdammt? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das vorliegende Buch. Darüber hinaus vermittelt es Grundlagenwissen über die Gemeindefinanzen und den Haushaltsplan. Ein Buch für erfahrene Haushälter wie Neueinsteiger. AKP Alternative Kommunalpolitik Luisenstr. 40, 33602 Bielefeld Tel. 05 21-17 75 17 Fax 05 21-17 75 68 akp@akp-redaktion.de www.akp-redaktion.de TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 39 Foto: ©frog-fotolia.com Bielefeld 2013, 264 Seiten, 15,00 Euro © Raffael Beier 40 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Wissenschaftlicher Beitrag. Peer reviewed. Raffael Beier, Mariana A. Vilmondes Alves Die Dominanz des Quantitativen Das Dilemma des Rechts auf angemessenen Wohnraum in Brasilien, Marokko und Südafrika Zwanzig Jahre sind nun fast verstrichen, seitdem das Recht auf angemessenen Wohnraum im Rahmen der Habitat II Konferenz in Istanbul 1996 breite internationale Anerkennung fand. Während das Recht auf angemessenen Wohnraum vielerorts – so auch in Brasilien, Marokko und Südafrika – in nationale Verfassungen aufgenommen wurde, zeigt sich auf dem Niveau seiner Umsetzung, dass vielfach unzureichende Interpretationen dominieren. Dieser vergleichende Beitrag zeigt, dass das Recht auf angemessenen Wohnraum in nationalen Wohnungsprogrammen weiterhin eher quantitativ umgesetzt wird und qualitative Aspekte der Integration und Partizipation vernachlässigt werden. Raffael Beier, 1989, B.Sc. Geographie, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik, Ruhr-Universität Bochum Mariana A. Vilmondes Alves, 1988, Advogada, M.A., Doktorandin am Institut für Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik Ruhr-Universität Bochum D ie zentrale Positionierung des Rechts auf angemessenen Wohnraum (RAW, right to adequate housing) innerhalb der Habitat-Agenda, wird mitunter als größte Errungenschaft der Istanbul-Konferenz betrachtet. Als ihr größter Nachteil – verdeutlicht während des Vorbereitungsprozesses zu Habitat III – kann das Fehlen einer unabhängigen Evaluation der Umsetzung des RAW angesehen werden. Im Hinblick auf die von UNHabitat als Nachfolgeabkommen der Habitat-Agenda beworbene New Urban Agenda fällt es so schwer, Verbesserungen oder Innovationen zu diskutieren, die über bestehende Inhalte hinausgehen. Denn das RAW verspricht mehr als ein Dach über dem Kopf. Allerdings kommen ratifizierte Prinzipien wie BewohnerPartizipation, räumliche und soziale Integration, etc. in nationalen Wohnungsprogrammen tatsächlich häufig zu kurz. Stattdessen dominiert das Quantitative, Zahlen von fertiggestellten oder geplanten Wohnungen, die den Fortschritt öffentlichkeitswirksam sichtbar machen sollen. Dieser Beitrag greift mit Hilfe dreier nationaler Fallstudien aus unterschiedlichen Kulturkreisen dieses Problem auf und argumentiert für die Einführung von Evaluationsmechanismen im Rahmen einer New Urban Agenda. Dabei wird die Umsetzung des RAW aus Sicht eines Menschenrechtsbasierten Entwicklungsansatzes und unter Berücksichtigung der drei rechtlichen Prinzipien Partizipation, räumliche sowie soziale Integration in nationalen Wohnungsprogrammen in Brasilien, Marokko und Südafrika verglichen. Während Brasilien durch eine weitreichende Verfassung im Bereich Stadtentwicklung auf sich aufmerksam gemacht hat, haben die Wohnungsprogramme in Südafrika und Marokko aufgrund ihres Umfangs internationale Aufmerksamkeit erfahren. Worauf basiert und was beinhaltet das Recht auf angemessenen Wohnraum? Das RAW ist ein Menschenrecht, welches in diversen internationalen Abkommen ratifiziert wurde. Es fußt im Recht auf ei- TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 41 Raffael Beier, Mariana A. Vilmondes Alves Die Dominanz des Quantitativen nen angemessenen Lebensstandard, welcher 1966 erstmals in Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) anerkannt wurde. Der ICESCR stellt ein nach internationalem Recht bindendes Abkommen dar, welches 1976 in Kraft trat und von Marokko 1979, von Brasilien 1992 und von Südafrika im Jahr 2015 unterzeichnet wurde. Erneut aufgegriffen wird das RAW 1996 im Zuge der Istanbul-Erklärung. Im Rahmen dieser Erklärung verschreiben sich 171 Unterzeichnerstaaten – darunter Brasilien, Marokko und Südafrika – der Habitat Agenda und damit der Umsetzung des RAW. Welch prominente Stellung das RAW im Rahmen von Habitat II einnimmt, zeigt sich an seiner Positionierung innerhalb der Habitat Agenda (Chapter III, A). Dort verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten zu einer vollständigen Realisierung des RAW im Sinne der internationalen Abkommen. In Übereinkunft mit allen Menschenrechtsstandards erkennen die Regierungen die eigene Verpflichtung an, allen Menschen zu ermöglichen, Wohnraum zu erlangen (Paragraph 39, Habitat Agenda). Zum einen wird hier nationalen Regierungen eine Schlüsselrolle in der Verantwortung des RAW übertragen. Zum anderen wird deutlich, dass sich seine Umsetzung an den Prinzipien der Menschenrechte orientieren muss. Was dies im Einzelnen bedeutet wird im Weiteren (Habitat Agenda, Paragraph 60) deutlich: Adequate shelter means more than a roof over one‘s head. It also means adequate privacy; adequate space; physical accessibility; adequate security; security of tenure; [...]; and adequate and accessible location with regard to work and basic facilities: all of which should be available at an affordable cost. Adequacy should be determined together with the people concerned, bearing in mind the prospect for gradual development. Das RAW stellt ein umfassendes Menschenrecht dar. Es kann nicht auf eine reine Wohnungsfrage reduziert werden, sondern umfasst unter anderem die Garantie stadtplanerischer und sozialer Integration sowie Bürgerbeteiligung. Im Folgenden wird gefragt, inwieweit diese Aspekte im Rahmen der Umsetzung des RAW in nationalen Wohnungsprogrammen von Brasilien, Marokko und Südafrika berücksichtigt worden sind bzw. berücksichtigt werden. Brasilien – Minha Casa, Minha Vida Auf Ebene der Wohn- und Stadtentwicklungspolitik wird Brasilien international als ein Vorreiter unter den Schwellen- und Entwicklungsländern genannt (Turok 2014: 28). Seit 1988 ist in der brasilianischen Verfassung unter Artikel 182 die Bedeutung der sozialen Funktion städtischen Eigentums festgeschrieben und so das Recht auf Stadt als ein kollektives Recht anerkannt (Fernandes 2007: 211). Das 2001 verabschiedete Stadtstatut (Estatute da Cidade) regelt diesen progressiven Verfassungstext gesetzlich. Darin wird die Gestaltungsmacht von Städten gestärkt, die Einführung demo- 42 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 kratischer Stadtsteuerungsmechanismen festgeschrieben sowie eine umfassende Regulierung und Integration informeller Siedlungen beschlossen (ebd.: 212). Durch die Wahl des ehemaligen Gewerkschaftsführers Lula da Silva zum Präsidenten und der Gründung des Städteministeriums im Jahre 2003 sind die Hoffnungen auf eine weitreichende Umsetzung dieses Reformprozesses weiter gestärkt worden. In dieser Phase rückt auch die Wohnraumpolitik stärker in den Mittelpunkt nationaler Politik und der erhebliche Wohnungsmangel wird als eines der dringendsten nationalen Probleme anerkannt. Zuletzt schätzten nationale Forschungsinstitute, dass landesweit mehr als fünf Millionen Wohnungen fehlen (FJP 2014: 12; Correira Lima Neto et al. 2013: 7). Davon betroffen sind vor allem gering verdienende Haushalte, weswegen sich der soziale Wohnungsbau zum zentralen Politikinstrument entwickelte. Das zeigt sich spätestens im 2007 verabschiedeten Konjunkturprogramm PAC, dessen Ziel es ist, auf Basis öffentlicher Investitionen das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Das PAC beinhaltet explizit auch die Felder Stadtentwicklung und Wohnungsbau. 2009 entsteht folgerichtig im Rahmen des PAC das nationale Wohnungsbauprogramm Minha Casa, Minha Vida (MCMV, Mein Haus, Mein Leben). Es ist das erste großformatige öffentliche Wohnungsprogramm in Brasilien in dessen Rahmen mehr als drei Millionen öffentlich geförderte Wohnungen entstehen sollen. Haushalte mit einem monatlichen Einkommen von unter 5.000 BRL (ca. 1.200 €) können im Rahmen von MCMV Wohnungen erhalten. Die staatliche Bank Caixa leitet das operative Geschäft des Programms und bietet Bewerbern günstige Kreditkonditionen und assistiert zumeist den Städten bei der Auswahl der Personen. Präsidentin Dilma Rousseff betonte im Mai 2015 in einer Rede die weitreichende Bedeutung des Programms, die, dem Recht auf angemessenen Wohnraum folgend, über die reine Bereitstellung von Wohnungen hinaus geht. Rousseff gibt allerdings gleichzeitig zum Ziel ihrer Amtszeit aus, 27 Millionen Haushalte im Rahmen des Programms umzusiedeln (Palacio do Planalto 2015). Hier droht die Gefahr, dass bei einer zu starken Fokussierung quantifizierbarer Ziele und einer rein quantitativen Bewertung, qualitative Aspekte vernachlässigt werden. Kritiker haben wiederholt darauf hingewiesen, dass integrative und partizipative Aspekte im Rahmen von MCMV weiter ausgebaut werden sollten, um den Prinzipien des RAW zu entsprechen. In seinem Prüfungsbericht des Programms MCMV hat der brasilianische Rechnungshof (TCU) unter anderem die Bedeutung des Standorts von Wohnungsprojekten für die Umsetzung des RAW betont (TCU 2013: 42). Der Bericht schlussfolgert, dass zahlreiche Wohnungsprojekte im Rahmen von MCMV erhebliche Missstände im Hinblick auf die städtebauliche Integration aufweisen. Viele neue Siedlungen entstanden und entstehen losgelöst vom städtischen Erschließungsgebiet in der Peripherie – ohne oder mit unzureichendem Anschluss an öffentlichen Nahverkehr und öffentliche Infrastruktur (ebd.: 31, 42; Abb. 1). Zum Teil wurden die MCMV-Programme für zwanghaft vollstreckte Umsiedlungsmaßnahmen im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2014 genutzt (Natterer 2014). Eigene Gespräche mit künftigen Bewohnern der Siedlung Parque do Riacho II nahe Brasília (Abb. 1) bestätigen diese Einschätzung: „Die nächsten Geschäfte hier sind 15 Minuten mit dem Auto entfernt. Hier ist nur eine Buslinie, die uns anfährt. Die Häuser bekommen schon Risse. Ich habe bislang von keinen Informationen zu Partizipationsmöglichkeiten erfahren.“ (1) Die TCU-Studie gibt weiter an, dass Bewohner der neuen MCMV-Siedlungen besonders den Zugang zu Bildungseinrichtungen, zu Nahversorgungseinrichtungen sowie zu lokalen Arbeitsmärkten als problematisch erachten (TCU 2013: 43). © Raffael Beier 2015 Raffael Beier, Mariana A. Vilmondes Alves Die Dominanz des Quantitativen Abb. 1: Die neue Sozialwohnungssiedlung Parque do Riacho II am Rande von Brasília durch das Projekt Morar Bem/Minha Casa, Minha Vida entstanden. Marokko – Villes Sans Bidonvilles In Marokko kommt es zum Ende des 20. Jahrhunderts zu ersten sozialen Reformen, wobei insbesondere die Wohnraumfrage in den Vordergrund rückt. Von 1998 bis 2002, im Rahmen des gouvernement d’alternance (Reformregierung), werden dabei zunächst vergangene Wohnungspolitiken evaluiert, soziale Faktoren verstärkt und vermehrt Bürgerbeteiligung initiiert (Navez-Bouchanine 2008: 361 ff.). Die Reformphase dauerte jedoch nur kurz. Schon 2002 kam wieder eine konservativere Regierung an die Macht, dessen neuer Wohnungsminister Hjira alte Reformprojekte aufgab und klassischen Sozialwohnungsbau sowie die Errichtung von Satellitenstädten propagierte (Philifert 2014: 77 f.). Ein ehemaliger Mitarbeiter des zuständigen Ministeriums schildert diesen Wechsel wie folgt: Man fing an sich auf den sozialen Wohnungsbau als physisches Objekt zu konzentrieren; in einer quantitativen Logik, die den Fokus auf die Produktion von Wohnungen nicht aber auf die Wohnenden legte. […] Hjira sagte: ‚Ich habe ein Mandat für vier Jahre, danach werde ich quantitativ bewertet und man wird fragen: ‚Wie viele Wohnungen habe ich produziert?‘ Deswegen wurde der Fokus auf das Quantitative gelegt. (2) Ein bedeutendes Beispiel für die Umsetzung dieser quantitativen politischen Leitlinie stellt das Umsiedlungsprogramm Villes Sans Bidonvilles (VSB, Städte ohne Slums) dar, welches 2003 in Reaktion auf ein von Slum-Bewohnern ausgeführtes Selbstmordattentat in Casablanca ins Leben gerufen wurde (Bogaert 2011: 712 f). Bewohner von bidonvilles (3) werden in neue Siedlungen und neu gegründete Satellitenstädte (villes nouvelles) umgesiedelt, wo sie teilweise selbst für den Bau des Hauses aufkommen müssen. In Städten wie Casablanca entstehen in großem Maße periphere Wohnanlagen, die großteils bereits nach wenigen Jahren aufgrund mangelnder Instand- haltung und kostengünstiger Schnellbauweise einen schlechten baulichen Zustand und teilweise bereits Risse aufweisen (ebd.: 725). Spätestens mit dem Arabischen Frühling hat zudem die Geschwindigkeit der Umsetzung des VSB-Programms in großen Städten wie Casablanca weiter zugenommen. Viele Politiker sehen eine erhöhte Dringlichkeit die als Unruheherde stigmatisierten SlumSiedlungen aufzulösen und durch sozialen Wohnungsbau am Stadtrand zu ersetzen. Der quantitative Dringlichkeits-Charakter des VSB-Programms wird bei einem Blick auf die einleitend erwähnten weitergehenden Aspekte des RAW sichtbar. Die Integration der neuen Viertel in den urbanen Kontext weist erhebliche Schwierigkeiten auf. Neue Siedlungen entstehen auf öffentlichen Grundstücken, welche allerdings besonders im Umfeld von Großstädten erst weit in der Peripherie vorhanden sind. Das Beispiel des neuen Viertels Lahraouyine bei Casablanca macht dies deutlich: Die umgesiedelten Bewohner eines ehemals zentral gelegenen Bidonvilles (Abb. 2) müssen nun Überlandsammeltaxis benutzen, um ihr altes Viertel zu erreichen, wo auch nach der Umsiedlung ihr (sozioökonomischer) Lebensmittelpunkt liegt. Normale Taxen steuern die Siedlung nicht an und einen Anschluss an den öffentlichen Personennahverkehr gibt es nicht. Defizite existieren auch im Rahmen der sozialen Integration. Unter anderem Toutain & Rachmuhl (2014: 28) haben festgestellt, dass mitunter nur die Hälfte der neuen Grundstücke tatsächlich von umgesiedelten Haushalten bewohnt ist. Größtenteils geht dies darauf zurück, dass umgesiedelte Haushalte es nicht schaffen den Bau eines Hauses zu finanzieren. Eine Studie der Weltbank (2006: 38) zeigt, dass die untersten Einkommensschichten mit sehr geringen und variablen Einkommen nicht vom VSB-Programm profitieren. Partizipation existiert im VSB-Programm zwar offiziell, dient aber zumeist dazu das operative Geschäft zu vereinfachen und die Abläufe der Umsiedlung zu planen. Partizipation auf Entscheidungsebene ist nicht vorgesehen. TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 43 Raffael Beier, Mariana A. Vilmondes Alves Die Dominanz des Quantitativen © Raffael Beier, März 2015 le ersetzen sollte. Demgegenüber stand allerdings spätestens im Hinblick auf die Fußballweltmeisterschaft 2010 das quantitative Ziel der Regierung alle informellen Siedlungen bis spätestens 2014 zu beseitigen (Huchzermeyer 2011: 116 ff). Abb. 2: Die erste Hüttensiedlung Marokkos, Carrière Centrale in Casablanca, wird abgerissen. Ihre Bewohner werden an den Stadtrand umgesiedelt. Südafrika – Breaking New Ground In Südafrika ist es nach der Apartheid 1994 zu erheblichen Umwälzungen in der Stadt- und Wohnungspolitik gekommen – hauptsächlich mit dem Ziel, die Apartheid-bedingte Segregation zu lindern und informeller Stadtentwicklung entgegenzuwirken. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Reformen wurde 1996 das RAW in die nationale Verfassung übernommen. Bereits 2004 wurde zudem ein Weißpapier zur Wohnungsfrage verabschiedet, welches zum Ziel hatte, in möglichst kurzer Zeit möglichst vielen, besonders armen Bevölkerungsschichten mithilfe von Wohnungszuschüssen zu einem Dach über dem Kopf zu verhelfen (Tomlinson 2006: 87 f). In Folge dieser quantitativen Ausrichtung wurde in zehn Jahren die beeindruckende Menge von 1,6 Millionen neuen Niedrigpreishäusern vorwiegend auf der grünen Wiese errichtet. Das Ziel einer Reduzierung der Einwohnerzahl von informellen Siedlungen wurde allerdings aufgrund der nicht-nachfrageorientierten Umsetzung der Wohnbauprojekte und der weiter zunehmenden Land-Stadt-Wanderung verfehlt (ebd.: 90 f). Das Scheitern der quantitativ-ausgerichteten Wohnungsprogramme im Rahmen des Weißpapiers von 1994 führte zu einem Umdenken, welches 2004 im neuen Politikleitfaden Breaking New Ground (BNG) mündete. Demnach soll sich die Umsetzung von Wohnungsprogrammen am BNG-Konzept orientieren, welches sich im Wesentlichen an die Prinzipien des RAW hält (DHS 2004: 22). Ein zentraler Punkt ist die Abkehr von peripheren Neubausiedlungen zugunsten einer nachfrageorientierten, qualitativen Verbesserung bestehender Siedlungen (Tomlinson 2006: 98). 2007 wurde das National Upgrading Support Programme (NUSP) entwickelt, das sich diesen ambitionierten Werten des BNG verschreibt und informelle Siedlungen durch formelle Häuser an gleicher Stel- 44 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Es zeigt sich, dass auch nach Einführung der BNG-Prinzipien neu entstandene Siedlungen für ihre unzureichende städtebauliche Integration sowie ihre einseitigen Beteiligungsverfahren kritisiert werden. Zwar existieren Beteiligungsverfahren, jedoch geht deren Inhalt selten über die Informationsebene heraus. Im Sinne von Penxa (i. E.) handelt es sich eher um top-down-Partizipation zur reinen Erfüllung gesetzlich vorgeschriebener Partizipation. Weiterführende Partizipationsverfahren hingegen entstanden unter den Bewohnern selbst, um Bedürfnisse an die Regierungsseite heranzutragen (bottomup participation). In Bezug auf die städtebauliche Integration erklärte NUSP die in-situ Entwicklung zum eigenen Leitbild. Eine Studie des Projektpartners Cities Alliance (o. J.: 15) stellt aber fest, dass letztendlich die meisten Projekte als klassische Neulandentwicklungen an der Peripherie umgesetzt wurden. Teilweise spielt hier Landknappheit eine entscheidende Rolle (ebd.: 25). Weiter wird die schlechte Erreichbarkeit der neuen Siedlungen kritisiert. Anschluss an den öffentlichen Personennahverkehr existiert in den meisten Siedlungen nicht, weshalb umgesiedelte Haushalte deutlich höhere Transportkosten zu stemmen haben, was sich wiederum negativ auf das gesamte verfügbare Einkommen zu Konsum- und Investitionszwecken auswirkt (ebd.: 42). Die periphere Lage sowie das Auseinanderbrechen von Nachbarschaften hat zu einer geringen Bewohner-Identifikation mit den neuen Siedlungen geführt (ebd.: 30). In einigen Fällen werden Vandalismus, leer stehende Häuser sowie mangelnde Instandhaltung beobachtet. Das Recht auf angemessen Wohnraum und Habitat III Das RAW ist nicht zuletzt dank der Habitat-Agenda in vielen Staaten neu in die Verfassung aufgenommen worden. In den verglichenen Ländern hat dies zu einer Neubesinnung auf die Wohnungsproblematik beigetragen; neue Wohnungsbauprogramme wurden entwickelt, um das RAW umzusetzen. Doch trotz fortschrittlicher Programmatiken und Reformgedanken, die in allen drei Ländern zu finden sind, dominiert oftmals eine zumeist machtpolitisch begründete quantitative Umsetzung des RAW. Politische Entscheidungsträger in allen Beispielländern erzeugen durch die Ankündigung immer größerer Wohnungsneubau-Zahlen und immer kürzeren Zeitvorgaben einen erhöhten Umsetzungsdruck. Politische Wahlziele wie auch Großveranstaltungen verstärken diesen Druck. Nachhaltige, nachfrageorientierte Wohnentwicklungsprojekte inklusive sozialer und städtebaulicher Integration sind so nur schwer umsetzbar. Um diesem Dilemma entgegenzuwirken muss der Fokus verstärkt auf die qualitativen Bestandteile des RAW gelenkt werden. Im Hinblick auf Habitat III und die New Urban Agenda ist es daher entscheidend, geeignete und objektive Evaluati- Raffael Beier, Mariana A. Vilmondes Alves Die Dominanz des Quantitativen onsmethoden für die Umsetzung des RAW zu entwickeln und zu integrieren. Dazu erscheinen Mechanismen nötig, die im Rahmen einer Evaluation nicht nur die Zahl fertiggestellter Wohnungen evaluieren, sondern ebenso qualitative Aspekte berücksichtigen. Zwar sind diese Punkte während der Vorbereitung von Habitat III vermehrt zur Sprache gekommen, es bleibt jedoch fraglich, ob eine New Urban Agenda neue Anforderungen an eine Evaluation enthalten wird. Von Seiten der Forschung sind daher weitere Studien nötig, die der Frage nach einer Dominanz des Quantitativen in Wohnungsbauprogrammen vergleichend nachgehen. Nur so kann auf Dauer eine stärkere Sensibilisierung für die Nachhaltigkeit von Wohnungsbauprogrammen erwirkt werden. ¢ > > > > Anmerkungen > n (1) Originalzitat: „As próximas lojas ficam a quinze minutas daqui de carro. Aqui só tem uma linha de ônibus passando. Algumas casas já tem rachaduras nas paredes. Eu ainda não fiquei sabendo de nenhuma reuniao e por isso nao participei.“ > n (2) Originalzitat: „On va s’intéresser au logement comme logement physique-là – logique quantitative qui met l’accent sur le produit de logement plus que sur l’occupant. […] Hjira, il a dit : ‘Moi, j’ai un mandat de quatre ans. Je vais être évalué à la fin du mandat en matière quantitative : Combien j’ai produit des logements ?’ C’est pour ca qu’il a donné l’accent sur le quantitative.“ > > n (3) Der Begriff bidonville bezeichnet in Marokko informell entstandene Siedlungen, die aus einfachen Baumaterialen in Eigenarbeit errichtet worden sind und fortlaufend angepasst werden. > Literatur > > Bogaert, Koenraad (2011): The Problem of Slums: Shifting Methods of Neoliberal Urban Government in Morocco. In: Development and Change 42(3): S. 709-731 > Cities Alliance (Hg.) (o. J.): National Upgrading Support Programme – Assessment Report. 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Washington, DC Schlüsselwörter: Recht auf angemessenen Wohnraum, Habitat-Agenda, Habitat III, sozialer Wohnungsbau, Brasilien, Marokko, Südafrika Keywords: Right to adequate housing, Habitat Agenda, Habitat III, social housing, Brazil, Morocco, South Africa Zusammenfassung: Zahlreiche Staaten haben sich in der Habitat-Agenda zum umfassenden Recht auf angemessenen Wohnraum bekannt. Die vergleichende Analyse von nationalen Wohnungsprogrammen in Brasilien, Marokko und Südafrika zeigt jedoch, dass nur Teile des Rechts in der Praxis umgesetzt werden. Essentielle qualitative Komponenten wie die städtebauliche Integration der Quartiere fallen drängenden Zeitvorgaben und der Erfüllung quantitativer Ziele zum Opfer. Abstract: As a result of Habitat II, a majority of states committed themselves to the right to adequate housing. In practice, however, only parts of the right are implemented, as this comparative analysis of national housing programmes in Brazil, Morocco, and South Africa shows. Crucial qualitative components such as the spatial integration of new housing projects are lacking due to time pressure and the predominance of quantitative targets. TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 45 © Christoph Woiwode 46 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Ariana Fürst, Christoph Woiwode Anpassung an Überschwemmungen in Chennai Möglichkeiten der Resilienzsteigerung durch kollaborative Präventionsund Anpassungsmaßnahmen bei Überschwemmungen in Chennai, Indien Chennai ist eine der großen Metropolregionen Südasiens und die viertgrößte Stadt Indiens. Im Zusammenspiel mit dem rasanten Wachstum ergeben sich Herausforderungen in der Bereitstellung und Instandhaltung von Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen. Dies führt zu vielfältigen Problemen insbesondere im Wassersektor, wie beispielsweise zu Überschwemmungen, Wasserknappheit und eingeschränkter Trinkwasserqualität. Hinzu kommt die langfristige Bedrohung durch den Klimawandel, z. B. aufgrund des Meeresspiegelanstiegs oder zunehmend stark variierender Regenfälle während der Monsunzeit. I m Kontext einer städtischen Resilienzsteigerung werden in diesem Beitrag unterschiedliche Anpassungsstrategien hinsichtlich Überschwemmungen in Chennai dargestellt und analysiert, wobei ein Fokus auf der Interaktion und Kooperation städtischer Akteure liegt. Zunächst wird die Entwicklung Chennais zur Metropole dargestellt, gefolgt von einer Übersicht verfügbarer Daten und der antizipierten Auswirkungen des Klimawandels in der Region. Darauffolgend werden nach einer kurzen Darstellung der Methodologie und theoretischen Einordnung des Themas, die Anpassungsmaßnahmen und die Rolle der Akteure aufgezeigt um anschließend ein Fazit zu ziehen. Chennai: die aufstrebende Megacity Südindiens Ariana Fürst, 1983, Dipl.-Geogr., Beraterin im GIZ-Projekt „Stärkung des städtischen Landmanagements Serbiens“, AMBERO Consulting GmbH Christoph Woiwode, 1972, Visiting Professor (DAAD Langzeitprofessor), IndoGerman Centre for Sustainability, Indian Institute for Technology Madras, Chennai, Indien Chennai, das frühere Madras und Hauptstadt des indischen Bundesstaates Tamil Nadu, liegt an der Koromandelküste im südöstlichen Indien. Obwohl nach der Unabhängigkeit der industrielle Sektor zunehmend an Bedeutung gewann ist heutzutage der Dienstleistungssektor mit über 70 % der bedeutendste Arbeitgeber. Daneben beherbergt der sogenannte informelle Sektor offiziell eine weitere Million Arbeiter in allen Wirtschaftsbereichen (vgl. CMDA 2008: 14-16). Aufgrund der Dominanz der Automobil-, Chemie- und Textilindustrie ist Chennai heute die bedeutendste Wirtschaftsmetropole Südindiens (vgl. Ravi 2004). Chennais hohe Bevölkerungsdichte (247 Einwohnern/ha) ist ein Beleg für den enormen Urbanisierungsschub in den vergangenen Jahrzehnten, der durch eine 13 prozentige Zunahme der Bevölkerungswachstumsrate gekennzeichnet ist (vgl. CMDA 2008: 6). Binnenmigration aus anderen Teilen Tamil Nadus und Indiens trägt wesentlich dazu bei, im Jahr 2011 waren ca. 22 % der Einwohner Migranten (vgl. Lavanya 2013: 115). TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 47 Ariana Fürst, Christoph Woiwode Anpassung an Überschwemmungen in Chennai © Ganesh 2008 Prognostizierter Klimawandel in Tamil Nadu und Chennai Neben den Überschwemmungen, die unter anderem auf den Klimawandel zurückzuführen sind, ist die Stadt Chennai von unterschiedlichen Wetterphänomenen bedroht (starke Regenfälle und Meeresspiegelanstieg einereits, Trockenzeiten und Hitzewellen andererseits). Chennais Klima ist tropisch feucht–heiß bei Tagestemperaturen zwischen 20°C im Januar bis über 40°C von Mai bis Juni. Niederschläge kommen fast ausschließlich mit dem Nordost–Monsun in den Monaten Oktober und November (vgl. Departmentof Environment 2014: Chapter 4), und verursachen meist schwere Überschwemmungen in weiten Teilen der Stadt (vgl. CMDA 2008: 105). Als Küstenstadt liegt Chennai in der sogenannten „Low Elevation Coastal Zone“ (LECZ), die besonders von einem Meeresspiegelanstieg betroffen wäre. Aufgrund von kaum gegebenen Höhenunterschieden in der Stadt fehlt ein natürliches Gefälle um Regenmengen Richtung Flüsse und Meer zu leiten. Die wichtigsten Wasserläufe der Stadt, die Flüsse Adyar und Cooum und der Buckingham Kanal, besitzen heutzutage aufgrund von Eingriffen und Versiegelungen eine sehr geringe Abflusskapazität (vgl. Gupta/Nair 2010: 367). Abb. 1: Physische und administrative Struktur von Chennai Als Reaktion auf das schnelle Wachstum wurde im Jahr 2011 die Stadtfläche von 174 km² auf 430 km² erweitert. Seitdem hat die Stadt (Chennai Municipal Corporation) 4,68 Mio. Einwohner (vgl. Corporation of Chennai 2012: 16) und zusammen mit den umliegenden Stadtgemeinden, Kleinstädten (Town Panchayats) und 214 Dörfern (Village Panchayats) umfasst die Metropolregion Chennais über 9 Mio. Einwohnern (vgl. Office of the Registrar General and Census Commissioner 2011: 1). Die vielfältigen Auswirkungen des rapiden Stadtwachstums sind u. a. in Veränderungen der Landnutzung in der peri-urbanen Region sichtbar (vgl. Murawski 2015). Bezüglich des hier diskutierten Themas ist zu beobachten, dass inner- und außerhalb der Stadtgrenzen neue Industrie-, Gewerbe- und Wohnsiedlungen auf ehemaligen Feuchtgebieten und trockengelegten saisonalen Seen entstehen und u. a. zu einer zunehmenden Bodenversiegelung führen (vgl. Gupta/Nair 2011: 1641). Erst in jüngerer Zeit ist das Bewusstsein hinsichtlich der Bedeutung und Funktion dieser Wasserkörper nicht nur für die Wasserversorgung, sondern auch für die Prävention von Überschwemmungen gestiegen (vgl. Coelho/Raman 2010: 21). 48 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Ergebnisse einer Studie zu Klimawandelszenarios in Tamil Nadu berechnen einen Temperaturanstieg von 0,5°C bis 2020 und von 1,6°C bis 2,7°C bis 2080 (vgl. Jeganathanet al. 2013: 705). Das betrifft vor allem die Monate von März bis Mai und geografisch die nordöstlichen und westlichen Distrikte Tamil Nadus inklusive Chennai. Dahingegen rechnet der Tamil Nadu State Action Plan on Climate Change (SAPCC) mit einem Anstieg um 1,1°C in 2040 und 3,4°C in 2100 (vgl. Department of Environment 2014). Obwohl die konkreten Zahlen voneinander abweichen, ist der Trend eines positiven Temperaturanstiegs in all diesen Studien nachgewiesen. Auch die Niederschlagsmengen in Tamil Nadu sollen nach diesen Szenarien in diesem Jahrhundert zunehmen. Bis 2020 wird ein Anstieg um 1,6 bis 5 %, und bis 2080 sogar zwischen 6,6 und 16,5 % erwartet (vgl. Jeganathan et al. 2013: 712). Im Interview bestätigte das Chennai Regional Meteorological Centre, dass Überschwemmungen ein grundsätzliches Problem seien, wohin gegen der Klimawandel im Vergleich zu den sozialen und politischen Herausforderungen noch als „Luxusproblem“ angesehen wird (vgl. Interview Regional Meteorological Centre 21.03.2014). Das Thema hat erst in jüngster Zeit mehr Gewicht bekommen, weshalb die Datenlage immer noch sehr dürftig ist. Obwohl Unklarheit herrscht über die genaue Art der Konsequenzen, sind sich die Beteiligten einig, dass eine effizientere Stadtentwicklungsplanung dem negativen Trend des Klimawandels entgegenwirken kann. Die wechselseitigen Beziehungen menschlicher Aktivitäten, vor allem zwischen Urbanisierung und Überschwemmungen, gehen eindeutig aus der folgenden Grafik (Abb. 3) hervor. Im Rahmen eines einjährigen Studienprojekts an der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund wurden umfangreiche Primär- und Sekundärdaten zu Themen des Klimawandels, städtischer Resilienz und Anpassung an Überschwemmungen erhoben. Während einer zweiwöchigen Exkursion nach Chennai wurden mehr als zwanzig Experteninterviews sowie Begehungen mit Beobachtungen und Interviews Abb. 2: Veränderung der jährlichen Niederschlagsmenge (mm). Projektionen für 2040, in 16 Slumsiedlungen und Umsied2070 und 2100 in Bezug auf den Ausgangswert von 1970 bis 2000 lungsgebieten durchgeführt. Konzeptionell stützt sich die Arbeit im tungen, NGOs und community based organisations (CBO) sind Wesentlichen auf Publikationen des IPCC (2013, 2014), welche vor allem Institutionen auf administrativer Ebene, wie zum die Klimawandeldebatte mit Aspekten des KatastrophenrisiBeispiel die Stadtverwaltung (Corporation of Chennai) oder komanagements integrieren. Desweiteren wurde das vom Indas Water Resources Department, beteiligt (siehe Abb. 4). Aus ternational Risk Governance Council entwickelte Risk Goverden Interviews ergibt sich, dass es bei der Umsetzung dieser nance Framework herangezogen (vgl. IRGC 2014a, 2014b). Maßnahmen kaum zu Kooperation und Absprachen zwischen Mit dem Ziel, möglichst viele Stakeholder in Entscheidungsden Akteuren kommt, sodass in vielen Fällen Akteure nicht prozesse einzubinden, verbindet dieser Ansatz nicht nur Kaüber alle durchgeführten Maßnahmen informiert sind. Somit tastrophenrisikomanagement (DRM - Disaster Risk Managefehlt von städtischer Seite ein Überblick über alle umgesetzten ment) und Anpassung an den Klimawandel (CCA–Climate Maßnahmen; dies kömmte jedoch zu einer stärker kohärenten Change Adaptation), sondern sucht nach einem Mittelweg und integrativen Umsetzung der Aktivitäten beitragen. Aufzwischen bottom–up und top–down Lösungsstrategien. Angrund dessen werden derzeit viele Ansätze nicht konsequent passungsmaßnahmen, die im Folgenden aufgezeigt werden, umgesetzt und können keine längerfristige Wirkung erzielen. sind vor diesem Hintergrund zu sehen. Das folgende Schaubild (Abb 4.) stellt einen Überblick der Vielzahl an Akteuren dar, die im Bereich der Prävention von Überschwemmungen in Chennai eine Rolle spielen. Die wePräventions- und Anpassungsmaßnigen existierenden kooperativen Beziehungen zwischen den nahmen bei Überschwemmungen in einzelnen Akteuren sind anhand von Pfeilen gekennzeichnet. Chennai Im Folgenden werden einige ausgesuchte Maßnahmen Trotz diverser Studien wird die Relevanz von Präventions- und dargestellt, die sich in ihrer Wirkungsart und Ausrichtung Anpassungsmaßnahmen von den politischen und administrativen Institutionen in Chennai sehr unterschiedlich eingeschätzt und ist meist davon beeinflusst, ob starke Regenfälle in dem jeweiligen Jahr die mediale Diskussion zu Überschwemmungen verstärkt haben und die Stadtbevölkerung unmittelbar im Alltag betroffen war. Nichtsdestotrotz wurden in den letzten Jahren Maßnahmen eingeführt, die direkt oder indirekt Überflutungen eindämmen sollen. Die Vielzahl dieser Maßnahmen ist hoch und reicht von punktuellen Interventionen bis hin zu politisch regulativen Prozessen. Zugleich werden die Maßnahmen von sehr unterschiedlichen Akteuren und Institutionen durchgeführt und verAbb. 3: Ursachen städtischer Überschwemmungen antwortet. Neben Forschungseinrich- TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 49 © Gupta/Nair 2011: 1639 Methodologie und konzeptionelle Einbettung © Department of Environment 2014: Ch. 4.3 Ariana Fürst, Christoph Woiwode Anpassung an Überschwemmungen in Chennai Ariana Fürst, Christoph Woiwode Anpassung an Überschwemmungen in Chennai © Christoph Woiwode 2015 nagement scheint positive Wirkungen zu erzielen, da es bei den letzten Überflutungen kaum Todesopfer gab; trotzdem haben viele Bewohner, vor allem in vulnerablen Stadtgebieten, ihr Zuhause und Eigentum verloren. Abb. 4: Akteure im Bereich der Überschwemmungsprävention und -anpassung in Chennai Prävention von Überschwemmungen durch Ausbau und Sanierung von Entwässerungssystemen und Wasserläufen Der Bau und die Instandhaltung des Oberflächenentwässerungsnetzes (storm water drainage), wozu Abflussrohre und kleinere Kanäle (sogenannte micro drains) gehören, obliegen der Verantwortung der Stadtverwaltung Chennais (vgl. Corporation of Chennai 2014). Über die sogenannten macro drains, wozu die wichtigsten Wasserwege in Chennai gehören, wie der Adyar River, Cooum River und Buckingham Canal, soll das durch Niederschläge entstandene Oberflächenwasser in Richtung Meer und größere Wasserflächen abgeleitet werden. Die Zuständigkeit für diese liegt beim Water Resources Department Tamil Nadus. In der Re- Maßnahmen im Bereich des Katastophenrisikomanagements bei Überschwemmungen findet von Seiten der Stadtverwaltung in Form von Frühwarnsystemen und regelmäßigen Treffen statt. Insbesondere in der Vormonsoonzeit werden Maßnahmen besprochen und geplant, um die Stadt auf die anstehenden Regenfälle vorzubereiten und negative Auswirkungen zu reduzieren (vgl. Corporation of Chennai 2012b: 3, 15-19). Hierzu gehören Maßnahmen zur Säuberung von Entwässerungskanälen und Abflussrohren, Strategien um die Bevölkerung in den betroffenen Stadtvierteln rechtzeitig zu evakuieren und mit Lebensmitteln, Medikamenten und Notunterkünften zu versorgen. Diese Koordinierungstreffen sind ein relativ erfolgreiches Beispiel für Kooperation unterschiedlichster städtischer Akteure. An den Treffen nehmen Mitarbeiter des Meteorologischen Instituts, der Stadtverwaltung, der Feuerwehr und Polizei (zur Warnung und Evakuierung der Bevölkerung), des Gesundheitsamtes (für die medizinische Versorgung), der Schulen (Umwandlung zu Notunterkünften) und des Grünflächenamtes (zur Beschneidung von Bäumen und Beseitigung von Ästen, die Abflussrohre verstopfen könnten) teil. Diese Abb. 5: Flusslauf in Chennai Form von Katastrophenrisikoma- 50 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 © Christoph Woiwode 2014 unterscheiden. Die Beispiele decken Maßnahmen aus den institutionellen, baulichen, sozialen und ökologischen Bereichen ab, die das Ziel einer Überflutungsprävention bzw. -anpassung haben. Die Aussagen zu den Maßnahmen beruhen auf den Interviews, die mit Vertretern der oben genannten Institutionen durchgeführt wurden. Aufgrund der zukünftigen unregelmäßigen und kaum vorhersagbaren Niederschlagsmengen wird derzeit ein Monitoringsystem mit einer hochauflösenden digitalen Kartierung der kompletten Metropolregion zur Echtzeitmessung von Niederschlägen aufgebaut. Ein Server am Institut für Fernerkundung errechnet aufgrund dieser Daten die Wahrscheinlichkeit, das Ausmaß und den Standort von Überflutungen. Diese Informationen werden dann an die zuständigen Institutionen weitergegeben, so dass entsprechende Maßnahmen zur Katastrophenvorsorge zeitnah eingeleitet werden können. alität ist die Dimension, Kapazität und der Qualitätszustand dieses Netzwerks zu gering um bei heftigen Regenfällen die Niederschlagsmengen abzuführen. Besonders in ärmeren Stadtteilen, die über keine oder nur rudimentär ausgebaute Oberflächenentwässerungssysteme verfügen, kommt es dadurch zu schwerwiegenden Überflutungen. Gemeinsam mit dem Water Resource Department Tamil Nadus plant die Stadtverwaltung Chennais mithilfe von internationaler finanzieller Unterstützung den Ausbau dieses Netzwerkes, vor allem in Form der Verbreitung und Säuberung von Flussläufen und Kanälen (Corporation of Chennai 2014, Gupta und Nair Abb. 6: Umsiedlungsgebiet in Chennai – Perumbakkam 2011: 1643). Die Umsetzung wird durch die verschiedenen Zuständigkeiten und schwierigen Abstimliegt. Die Coastal Regulation Zone wurde dahingehend momungsprozesse zwischen den Institutionen erschwert, da difiziert, um das Risiko eines klimawandelinduzierten Meesich diese jeweils nur für die Infrastruktur in ihrem Zuresspiegelanstiegs mit zu berücksichtigen (vgl.MOEF 2011) ständigkeitsbereich (micro vs. macro drains) verantwortlich sehen. Auch steht im Zusammenhang mit diesen SaDerzeit kommt es zu einer konfliktiven Entwicklung auf nierungsmaßnahmen die verordnete und oft unfreiwillige diesen Flächen. Einerseits leben 5.000 bis 6.000 FamiUmsiedlung von Bewohnern, welche unter der nächsten lien, meistens in informellen Siedlungen, auf Gebieten Maßnahme detaillierter beschrieben wird. Chennais, die Teil der Coastal Regulation Zone sind. Das Hinzu kommt, dass viele existierende EntwässerungskaPublic Works Department hat zusammen mit dem Tamil näle verstopft sind und nur sehr geringe Wassermengen Nadu Slum Clearance Board (TNSCB) schon einen Teil ableiten können. In vielen Fällen steht dies im Zusammendieser Bewohner umgesiedelt. Einerseits begründen diehang mit der unzureichenden Abfallbeseitigung. Aufgrund se Institutionen die Umsiedlungspraxis mit Aspekten des fehlender Alternativen und geringem Umweltbewusstsein Umweltschutzes für die Küstenzonen sowie dem Überfluwird der Abfall von vielen Bewohnern direkt in Kanäle und tungs- und Krankheitsrisiko für die Bewohner, andererseits Flüsse deponiert. Zusätzlich werden Abwässer ohne vorhegibt es Pläne diese freiwerdenden Flächen innerhalb von rige Aufbereitung direkt in Flüsse und Kanäle geleitet. AbStadtentwicklungsprojekten umzuwandeln und aufzuwerwasserleitungen und entsprechende Aufbereitungen obten. Die Bodenpreise in Chennais Innenstadt steigen derliegen der Verantwortung des Chennai Metropolitan Water zeit stark an, in diesem Zusammenhang zeigen Investoren Interesse größere Bau- und Infrastukturprojekte umzusetSupply and Sewerage Board (CMWSSB). Somit kommt noch ein dritter wichtiger Akteur dazu, mit dem Prozesse koorzen, was weitere Umsiedlungen zur Folge hat. diniert werden müssen. Aufgrund dessen empfehlen Wissenschaftler und NGOs, die zentrale Koordinierungsrolle Der Beteiligungsgrad von NGOs, wissenschaftlichen Instiund Hauptverantwortung in einer Institution zu bündeln tutionen oder community based organisations ist sehr ge(vgl. Gupta/Nair 2010: 369). ring. Im Vorfeld einer Umsiedlung finden Informationsveranstaltungen für die Bewohner statt, jedoch hat diese Art von Beteiligungsverfahren einen informativen Charakter Der regulative Rahmen: Die „Coastal und lässt nur einen geringen Grad an Mitsprache (z. B. zu baulichen Alternativen wie die Ausrichtung von Türen und Regulation Zone“und die Umsiedlung Fenstern) zu. Kritisch wird vor allem die Veränderung des von Bewohnern sozialen Umfelds gesehen, auf die die Bewohner kaum EinDieses Gesetz zum Umwelt- und Küstenschutz wurde 1991 fluss haben. Die neuen Wohngebiete befinden sich in vielen Fällen weit außerhalb der Stadt, zum Teil bis zu 30 km vom Umweltministerium Indiens eingeführt und bezieht sich von der Innenstadt entfernt. Dadurch werden existierende auf eine geschützte Zone entlang von Küsten, Wasserflächen Sozialstrukturen wie gewachsene Nachbarschaften aufgeund Flussläufen. Diese Zone umfasst eine Klassifizierung in brochen. Aufgrund der schlechten Anbindung mit öffentFlächen auf denen der Bau von Gebäuden und Infrastruktur lichen Verkehrsmitteln können Bewohner ihrer bisherigen komplett untersagt ist oder strengen Regulationen unter- TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 51 © Christoph Woiwode 2014 Ariana Fürst, Christoph Woiwode Anpassung an Überschwemmungen in Chennai Ariana Fürst, Christoph Woiwode Anpassung an Überschwemmungen in Chennai Arbeit nicht mehr nachgehen oder müssen sehr lange Wege in Kauf nehmen. Auch ist das schulische und gesundheitliche Angebot sehr eingeschränkt und meist von schlechterer Qualität als in innenstadtnahen Lagen. Wie wichtig jedoch ein funktionierendes und lang anhaltendes soziales Netzwerk ist, zeigt die nächste Form von Maßnahmen auf. Selbsthilfeanpassung an Überschwemmungen Wenn auch auf einer niederschwelligen Ebene werden wichtige Maßnahmen zur Prävention und Anpassung an Überschwemmungen von den Bewohnern selbst erbracht. Vor allem in informellen Siedlungen sind die Bewohner auf sich selbst und auf die Gemeinschaft angewiesen, um die negativen Auswirkungen von Überflutungen zu minimieren. Hierfür werden kurz vor oder während der Überschwemmungen Hauseingänge wie auch ganze Gehwege und Straßen mithilfe von Sandsäcken und Bauschutt erhöht. Eine andere Maßnahme besteht aus der Säuberung von offenen Entwässerungskanälen sowie der provisorischen Verlegung von Rohren damit das Wasser besser abfließen kann. Familien ziehen eine zweite höhergelegene Ebene in ihren Unterkünften ein, um dort ihre Wertsachen zu verstauen und vor den Überflutungen zu schützen. Oft werden in der Regenzeit die Dächer der Hütten und Häuser mit festen Planen überzogen. Die Nachbarschaften helfen sich gegenseitig, indem sie sich mit Nahrungsmitteln und Medikamenten versorgen. Für diese Selbsthilfe-Anpassungsmaßnahmen in der Nachbarschaft (im Englischen auch unter community based adaptation bekannt) stellen bestehende Vertrauensbeziehungen und existierende soziale Netzwerke wichtige Voraussetzungen dar. Fazit und kurzer Ausblick Dieser Beitrag liefert eine exemplarische Darstellung der Herausforderungen bei Überschwemmungen einer schnellwachsenden Metropole in der „Low Elevation Coastal Zone“ (LECZ). Es ist deutlich geworden, dass die Auswirkungen von Überschwemmungen in Chennai nicht allein durch den Klimawandel hervorgerufen werden, sondern auch aufgrund anderer Faktoren, insbesondere der rasch voranschreitenden Urbanisierung und der unzureichenden infrastrukturellen Versorgung, z. B. durch Oberflächenentwässerungsnetze, noch erheblich verstärkt werden. Im Hinblick auf die derzeitige Diskussion um die Sustainable Development Goals, zu deren Umsetzung sich die Länder weltweit verpflichten, würde eine effektive und umfassende Anpassungsstrategie an den Klimawandel und dessen Auswirkungen bedeutend zur Erreicherung des Ziels 11 „Städte und menschliche Siedlungen inklusiver, sicherer, resilienter und nachhaltiger zu gestalten“ beitragen. Insbesondere der Indikator 11.5 richtet den Fokus auf die arme und vulnerable Bevölkerung in Städten. Wie aus diesem Beitrag hervorgeht, sind es vor allem die ärmeren Bewohner Chennais, die 52 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 aufgrund ihrer Wohnlage und eingeschränktem Zugang zu Infrastruktur und Dienstleistungen am stärksten von Überschwemmungen betroffen sind. Hier ergibt sich ein ähnliches Bild zu anderen Mittel- und Großstädten südund südostasiatischer Länder (CDIA 2012). Die beschriebenen Maßnahmen lassen sich dabei nach institutionellen (Treffen und Zusammenarbeit beim Katastrophenrisikomanagement), baulichen (Erweiterung und Sanierung von Entwässerungssystemen, Bau von Umsiedlungsgebieten), sozialen (Selbsthilfe–Anpassungsmaßnahmen) und ökologischen (Coastal Regulation Zone) Aspekten unterscheiden. Momentan sind die punktuellen von Bürgern, Nichtregierungsorganisationen und Slumbewohnern umgesetzten Maßnahmen kaum oder gar nicht mit den Absichten und Aktivitäten der Behörden verknüpft. Oftmals stehen Maßnahmen der Regierung und Stadtverwaltung einer armutsorientierten und inklusiven Stadtentwicklungsplanung sogar konträr gegenüber. Wie dargestellt, wird dies z. B. bei den gegenwärtig durchgeführten Sanierungsmaßnahmen von Wasserläufen (Buckinghamkanal) und Wasserkörpern der Stadt deutlich, die wie in der Vergangenheit weiträumige Umsiedlungsmaßnahmen der anliegenden Slumbewohner an den Stadtrand beinhalten. In diesem Zusammenhang sind teifgreifende Unzulänglichkeiten hinsichtlich der Governance–Strukturen in Chennai festzustellen. Der Klimawandel und seine Auswirkungen stellen derzeit keine Priorität auf der Agenda der Planungsbehörden in Chennai dar. Einerseits fehlen Kapazitäten und Fachkenntnisse, um wirkungsvoll auf Überschwemmungen und Klimawandel zu reagieren, andererseits fehlt es an politischem Willen, um die notwenigen Maßnahmen adäquat zu koordinieren. Bisher sind jegliche Versuche gescheitert, da weder Entscheidungen noch Pläne verbindlich für die Akteure sind. Hinzu kommt eine Vielzahl von Akteuren, mit teils unzureichenden, unklaren und fragmentierten Zuständigkeiten, die nicht miteinander kooperieren. Darüber hinaus existieren kaum Strukturen, die die Interessen und Sichtweisen der Bewohner bei der Planung und Durchführung von Anpassungsmaßnahmen integrieren. Ein partizipatives Vorgehen könnte die Potentiale einer engeren Verzahnung von formellen und informellen (Selbsthilfemaßnahmen) Ansätzen stärken. Ein möglicher Vorschlag sieht institutionalisierte und kontinuierlich stattfindende Koordinierungstreffen vor (z. B. im Rahmen eines Runden Tisches). Von administrativer Seite würde die Stadtverwaltung (Corporation of Chennai), das Public Works Department Tamil Nadus und das städtische Wasserwerk daran teilnehmen, um vorausschauend Präventions- und Anpassungsmaßnahmen zu diskutieren, zu planen und je nach Zuständigkeit durchzuführen. Diese Koordinierungstreffen sollten durch die Teilnahme von weiteren Akteuren aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft ergänzt werden, z. B. durch Vertreter von Forschungsinstituten, NGOs und community based organisations, deren Anmerkungen und Vorschläge verpflichtend aufgenommen werden müssen. Für eine fundierte Diskussionsgrundlage Ariana Fürst, Christoph Woiwode Anpassung an Überschwemmungen in Chennai ist eine aktualisierte Datenlage von entscheidender Bedeutung, wozu Daten zur Klimawandelprognose, Überschwemmungsdaten für die Nutzung des Frühwarnsystems, Versiegelungstendenzen und Vulnerabilitätsanalysen der ärmeren Stadtgebiete zählen. Für ein funktionierendes Koordinierungstreffen ist zusätzlich eine klare Aufteilung von Aufgaben, Rollen und Verantwortlichkeiten notwendig. Bis es im Hinblick auf die Akteurskoordinierung und Strategieentwicklung in den Bereichen Flächennutzungsplanung, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Katastrophenrisikomanagement und Bewohnerumsiedlung keinen grundsätzlichen und kohärenten Politikwechsel gibt, werden Präventions- und Anpassungsmaßnahmen bei Überschwemmungen in Chennai eine geringe Wirkung aufweisen. Gerade im Kontext von Urbanisierung und Klimawandel könnten diese jedoch eine wichtige Funktion einnehmen um die Resilienz der Stadt zu steigern. ¢ Anmerkungen Die Interview wurden entsprechend ihrer Relevanz zum Thema ausgewählt (Katastrophenrisikomanagement, Stadtplanung, Klimawandel, Wohnungs- und Armutspolitik) und umfassten Vertreter von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen sowie halbstaatlicher Organisationen wie Planungsbehörden und Infrastrukturbereitsteller. Der Beitrag basiert auf einem einjährigen Studienprojekt der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund in Zusammenarbeit mit dem Indo-German Centre for Sustainability am IIT Madras, welches 2013/14 durchgeführt wurde. Der komplette Projektbericht kann von der IGCS Homepage heruntergeladen werden: http://www.igcs-chennai.org/?p=3958 Literatur > CMDA (Chennai Metropolitan Development Authority) (2008): Second Master Plan For Chennai Metropolitan Area, 2026. Volume I: Visions, Strategies and Action Plans. Chennai: Chennai Metropolitan Development Authority > Coelho, Karen; Raman, Nithya (2010): Salvagating and Scapegoting – Slum Evictions on Chennai’s Waterways. In: Economic and Political Weekly, Vol. 2010, No. 45: 19-28 > Corporation of Chennai (2012a): ISWD System for the Expanded Areas of Chennai Corporation. Chapter 1: Introduction and Project Background, 1-18. Unpublished Draft Paper > Corporation of Chennai (2012b): Internal Report on Pre-Monsoon PreparednessMeeting 2012. 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Klimawandel ist wegen der gesundheitlichen, sozialen, wirtschaftlichen und umweltbezogenen Auswirkungen ein Querschnittsthema und in allen städtischen Handlungsfeldern zu verankern. Birgit Haupter, 1959, Dr.-Ing. Bauingenieurin/ Umwelt- und Raumplanung, Projektleiterin bei Infrastruktur & Umwelt, Professor Böhm und Partner, Darmstadt Peter Heiland, 1964, Dr.-Ing., Consultant Wasser/ Klimawandel/Raumplanung, Partner und Projektleiter bei Infrastruktur & Umwelt, Professor Böhm und Partner, Darmstadt Jakob Doetsch, 1983, Geograph, Projektleiter des Vorhabens „Klimawandelanpassung im westlichen Balkan“, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Tirana E ine konsequente klimagerechte Steuerung der Entwicklungen erfordert entsprechendes Problembewusstsein sowie eine Beteiligungs- und Kooperationskultur innerhalb der Stadtverwaltung und diversen Akteursgruppen. Es bedarf der kontinuierlichen Kooperation der städtischen und übergeordneten Ebenen, Stadt und Stadtquartieren, Bevölkerungsgruppen und Wirtschaft. Und es bedarf einer Strategie zum Umgang mit den Folgen des Klimawandels, die eine politisch akzeptierte Komponente der Stadtentwicklung darstellt. Die Themen Resilienz, Klimawandel und Gefahrenabwehr im Spannungsfeld der „Urban Governance“ sind folgerichtig auch ein Baustein von Habitat III und der UN Konferenz für nachhaltige Stadtentwicklung. Das Projekt der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zur „Klimawandelanpassung im westlichen Balkan“, welches im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) durchgeführt wird, unterstützte in einem von fünf Handlungsfeldern die Hauptstädte Belgrad (Serbien), Tirana (Albanien) und Podgorica (Montenegro) Vulnerabilitätsanalysen und Aktionspläne zur Klimawandelanpassung zu erarbeiten und diese in ihre Management- und Planungsprozesse zu integrieren. In den drei Agglomerationsräumen leben insgesamt 2,3 Mio Menschen und damit 20 % der Bevölkerungen Serbiens, Montenegros und Albaniens. Tirana und Podgorica sind geprägt durch ein gemäßigtes mediterranes Klima mit heißen trockenen Sommern und milden niederschlagsreichen Wintern. Belgrad liegt dagegen in einer gemäßigt kontinentalen Klimazone mit warmen, auch heißen Sommern mit dem jährlichen Hauptniederschlag und milden Wintern. Alle drei Regionen müssen sich den Modellierungen zufolge auf erhöhte Jahresdurchschnittstemperaturen mit häufigeren und extremeren Hitzewellen im Sommer sowie auf teilweise veränderte und extremere Niederschlagsregime vorbereiten. Prozessorientierte Herangehensweise Ziel des Projektes war es, dass alle drei Stadtverwaltungen jeweils interdisziplinär die Verwundbarkeit für ihre Stadt analysieren, Sektor übergreifend Maßnahmen und Aktionspläne entwickeln TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 55 Birgit Haupter, Peter Heiland, Jakob Doetsch Die klimaangepasste Stadt in Schwellenländern © eigene Darstellung Aufgrund des begrenzten Zeitraums von 18 Monaten erfolgte ein Rückgriff auf vorhandene Untersuchungen und Daten sowie kurzfristig erhältliche zusätzliche Studien. So konnten für Belgrad regionalisierte Klimaprojektionsdaten auf der Grundlage der neuesten IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) Szenarios berücksichtigt werden, während für Tirana auf eine großräumigere Projektion im Rahmen der UNFCCC (United Nations Framework Convention on Climate Change) Berichte zurückgegriffen wurde. Aktionspläne zur Anpassung an den Klimawandel Belgrad: Sensibilisierung durch Lernen von vergangenen Extremereignissen Abb. 1: Akteure und Arbeitsgruppen in dem Anpassungsprojekt und entsprechende Maßnahmen in ihre Planungs- und Management-Prozesse einbinden. Außerdem wurden Vertreter und Entscheidungsträger fortgebildet, um die Strategien und Aktionspläne umzusetzen. Eingebettet waren die separaten städtischen Prozesse in einen Erfahrungsaustausch der Städte untereinander (Regionale Arbeitsgruppe), um die Chancen unterschiedlicher Erfahrungen bestmöglich zu nutzen. Eine besondere Herausforderung stellte in Belgrad die Größe der Verwaltungseinheit dar: sie umfasst 320.000 ha mit über 1,7 Mio. Einwohnern in zehn Stadtgemeinden auf 77.000 ha und weiteren sieben ländlichen Gemeinden. Die Steuerungsgruppe fasste dennoch den Beschluss, die gesamte Verwaltungseinheit in die Betrachtung einzubeziehen. Nur so konnten die StadtUmland Beziehung und ihre Einflüsse auf potenzielle Hauptprobleme berücksichtigt werden. Je nach Thema sowie vorhandener Datenlage wurde eine Kombination von überschläglichen und detaillierteren Untersuchungen angewendet. Die vom Verwaltungschef eingesetzte und unterstütze interdisziplinäre Arbeitsgruppe unter der Leitung und Koordination des Umweltdezernats umfasste ca. 30 Personen. Neben den Vertretern der Stadtverwaltungsabteilungen und der städtischen Dienste und Betriebe waren weitere regionale und nationale Institutionen sowie Nichtregierungsinstitutionen Ein zentrales Ziel war die Entwicklung von Arbeitsstrukturen, die die Thematik auch nach Beendigung des Projekts in ihre tägliche Arbeit integrieren. Die in den Aktionsplänen verankerten Maßnahmen wurden deshalb maßgeblich von den jeweiligen Abteilungen und weiteren verantwortlichen Institutionen ausgearbeitet und sollen so die notwendige Unterstützung erfahren. Grundlegend dafür – und eine große Herausforderung – ist die Akzeptanzschaffung für die Handlungsoptionen und Anforderungen an die Planungsprozesse. Zur Verstetigung des Prozesses sind mittlerweile alle Aktionspläne als offizielle städtische Dokumente verabschiedet oder zur Verabschiedung vorgesehen. 56 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 © INFRASTRUKTUR & UMWELT Zunächst wurde für alle drei Städte eine interdisziplinäre „Arbeitsgruppe Klimawandelanpassung“ unter Leitung einer koordinierenden Abteilung, meist der Umweltverwaltung, aufgebaut. Von Januar 2014 bis Juli 2015 nahm die Arbeitsgruppe mit Unterstützung von internationalen und lokalen Experten die Identifizierung und Bewertung der zu berücksichtigenden Handlungsfelder vor und entwickelte einen sektorenübergreifend Aktionsplan in enger Zusammenarbeit mit Interessengruppen sowie den Entscheidungsträgern. Abb. 2: Vorbereitung eines Gründaches als „Showcase“ auf einem öffentlichen Gebäude Birgit Haupter, Peter Heiland, Jakob Doetsch Die klimaangepasste Stadt in Schwellenländern beteiligt. So konnten über die in der Stadtverwaltung hinaus verfügbaren Grundlagen auch Daten von nationalen und regionalen Stellen oder aus Projekten berücksichtigt werden. Das städtische Umweltsekretariat koordinierte die Arbeitsgruppe. Die Arbeitsgruppe startete mit der Zusammenstellung wetterbedingter Folgewirkungen der Vergangenheit in allen Verwaltungsbereichen. Vor allem zahlreiche Hitzewellen (2007 mit statistisch signifikant erhöhter Todesrate und Produktivitätseinbußen) und Überflutungen (z. B. im Mai 2014 mit Toten, zerstörter Infrastruktur, Trinkwasserverunreinigung) wurden registriert, in Karten zusammengestellt und ausgewertet. Es zeigte sich, dass vor Ort gute Datengrundlagen und zusätzliches Wissen vorhanden sind und belastbare Sektor übergreifende Schlussfolgerungen für besonders verletzliche Gebiete und Bevölkerungsgruppen abgeleitet werden konnten. Für den Aktionsplan stellten alle Arbeitsgruppenmitglieder zunächst Ziele und Aktivitäten in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich unter Berücksichtigung laufender Planungen zusammen. Die Arbeitsgruppe stimmte diese ab, strukturierte die Einzelaktivitäten und übernahm die Priorisierung. Hierfür wurden u. a. die erwartete Wirksamkeit der Maßnahmen hinsichtlich der festgestellten wichtigsten Probleme, die erwarteten sozialen Effekte und die räumliche Bedeutsamkeit im Stadtgebiet bewertet. Hochwasservorsorge- und -schutzmaßnahmen und Verbesserung der „grünen Infrastruktur“ erhielten in Belgrad die höchste Priorität. Sektorenübergreifend soll zur Entwicklung, Umsetzung und Finanzierung der Maßnahmen beigetragen werden. Die Entwurfsfassung des Aktionsplans wurde innerhalb der Verwaltung verteilt und über die Homepage der Stadt veröffentlicht und so die Möglichkeit zu Kommentaren gegeben. Dies erhöhte die Transparenz und Akzeptanz. Einige Aspekte, auf die die Arbeitsgruppe besonderes Gewicht legte: n Erhalt und Weiterentwicklung der öffentlichen Grünflächen und Parks vor dem Hintergrund der prognostizierten zunehmenden Hitzebelastung und Trockenheiten; Maßnahmen zur Anpassung der Vegetation und zum Bewässerungsmanagement. n Verbesserung der Information und Frühwarnung der Bevölkerung bei Extremwetterereignissen und zur Vermeidung und Bekämpfung von Waldbränden. Diese bedrohen regelmäßig Randbezirke mit sozial schwachen Bevölkerungsgruppen sowie Flüchtlings- und Romasiedlungen; diese Gefahren werden weiter zunehmen. n Verstärkte Dämmung des meist nicht isolierten Gebäudebestands (Anpassung an zunehmende Temperaturen, Abwärmeverminderung und Energieeinsparung aus Klimaanlagen). n Beschattung öffentlicher Flächen (z.B. Begrünung, Gebäudeausrichtung). n Spezifizierung des Handlungsbedarfs in der Landwirtschaft bezüglich Trockenheit, Starkregen- und Hagelereignissen. Der im Sommer 2015 erstellte Aktionsplan umfasst zahlreiche konkrete Aktivitäten im Zuständigkeitsbereich der Arbeitsgruppenmitglieder. Daneben wird aber auch besonderer Wert auf die verstärkte Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen gelegt, wo diese zuständig sind. Dies betrifft z.B. die Hochwasservorsorge am Shkodra-See, die Verringerung der Hitzefolgen in Krankenhäusern, Schulen und Kindergärten oder Empfehlungen zur Baugesetzgebung. Zur Verstetigung des Prozesses sieht der Aktionsplan eine Fortsetzung der Treffen der Arbeitsgruppe zum Monitoring sowie zur Koordination und Weiterbildung vor. © INFRASTRUKTUR & UMWELT Podgorica – Verstärkung der Zusammenarbeit mit übergeordneten Stellen Die Hauptstadt Montenegros liegt im Landesinnern in einer breiten Ebene umgeben von Bergen an der Mündung zweier Flüsse (Zeta und Morača). Mit 187.000 Einwohnern leben rund 30 % der montenegrinischen Bevölkerung in der Hauptstadt auf 150 ha Fläche. Der Bürgermeister beauftragte das Dezernat für Raumplanung und Umwelt mit der Koordinierung der Arbeitsgruppe mit 15 Personen aus allen relevanten Abteilungen und Stadtbetrieben. Involviert waren auch Gesundheitsamt und Wetterdienst. Die Arbeitsgruppe traf monatlich zusammen und koordinierte die Arbeiten. Die Arbeiten wurden zunächst auf das engere Stadtgebiet (mit gültigem Generalplan Stadtentwicklung) konzentriert. Gültige Sektorpläne, wie der kürzlich verabschiedete Umweltaktionsplan und das städtische Energiekonzept sowie der Masterplan (Flächennutzungsplan) und die Detailpläne (Bebauungspläne) stellten die Grundlagen für den Aktionsplan Klimaanpassung dar. Abb. 3: Öffentliche Plätze sollen zukünftig mehr Schatten spendende Überdachung und Begrünung erhalten TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 57 Birgit Haupter, Peter Heiland, Jakob Doetsch Die klimaangepasste Stadt in Schwellenländern Tirana klimaangepasste Gestaltung neuer und laufender Projekte sondere Berücksichtigung und wurden als exemplarische Umsetzungen dokumentiert. Tirana liegt 30 km von der Küste entfernt, halbseitig von Hügeln bzw. Bergketten umgeben, relativ offen in Richtung des flachen Küstenvorlandes. Die Stadtentwicklung ist geprägt von extrem starkem Wachstum. Seit 1991 hat sich die Bevölkerung von rund 250.000 bis 2013 auf 700.000 fast verdreifacht, für 2025 wird eine Bevölkerung von 1 Mio. prognostiziert (SEA, 2013). Besonders in den 1990er Jahren wurde diese Entwicklung vorrangig nach wirtschaftlichen Erfordernissen gesteuert. Der aktuelle Masterplan vom Februar 2013 zielt darauf ab, die zukünftige Entwicklung nachhaltiger mit kooperativen Ansätzen der Akteure zu steuern. In der Praxis dominieren jedoch aufgrund der dringend notwendigen wirtschaftlichen Impulse oftmals einzelne Investorenprojekte oder strategische Großprojekte verschiedener Geldgeber die faktischen Entwicklungen. Im Norden spielen vor allem das „Tirana-River-Projekt“ und das „Northern-Boulevard-Projekt“ mit Internationalen Geldgebern eine maßgebliche Rolle: hier sollen neben der Rehabilitation des Tirana-Flusses vor allem umfangreiche Siedlungs- und Gewerbeflächen entwickelt werden. Masterpläne für diese Projekte sind nicht im Stadtplanungsamt, sondern im Amt für strategische Projekte angesiedelt und werden entsprechend politisch stark befördert. Die Vulnerabilitätsanalyse und der Aktionsplan Klimaanpassung für Tirana einschließlich des 15-monatigen kooperativen Prozesses sind wichtige Beiträge, um die Erfordernisse der Klimawandelanpassung in der täglichen Planungspraxis in der Stadt höher auf die Agenda zu heben. Natürlich stellt ein solcher Aktionsplan nur eine strategische Grundlage dar, die in Einzelprojekten berücksichtigt und nach und nach umgesetzt werden muss und deren Finanzierung oftmals noch unklar ist. Nicht alle langfristig voraussichtlich notwendigen Anpassungsmaßnahmen erfahren heute bereits die Akzeptanz, die sie benötigen. Die Entwicklung der Arbeitsgruppe ist grundsätzlich positiv zu bewerten, da sich schrittweise ein besseres Verständnis und Problembewusstsein entwickelt hat. Auch der offizielle Beschluss des Aktionsplans ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass es politisch Rückendeckung für das Thema gibt. Klimaanpassung ist eine Querschnittsaufgabe. Klimawandelfolgen müssen in stadtplanerischen Prozessen frühzeitig eine Rolle spielen, indem die Integration geeigneter Anpassungsmaßnahmen in die städtebaulichen Entwürfe und Strategien sowie in Investorenplanungen systematisch erfolgt. Zu oft sind es eher Einzelaktivitäten, deren Effekte von der Akteurskonstellation abhängig sind. In den drei Projektstädten konnten, jeweils unterschiedlich und durch individuelle Situationen geprägt, durchweg Integrationseffekte erzielt werden: sei es bei der Thematisierung der Klimawandelfolgen in der strategischen Projektentwicklung (Tirana) und der Masterplanung (Belgrad, Tirana und Podgorica), oder sei es bei der Grünordnungsplanung und bei Entscheidungen über die Gestaltung von Einzelbauwerken. Räumlich wurde neben der Betrachtung des gesamten Stadtgebietes ein Fokus gesetzt: aufgrund der Größe des Gebiets entschied die Arbeitsgruppe, ausgewählte Gebiete als Fallstudien detaillierter zu untersuchen und hierfür konkrete Maßnahmen zu entwickeln. Ein Schwerpunkt lag dabei auf den strategischen Projekten mit erheblichen stadtklimatischen Auswirkungen Die Bildung der interdisziplinären Arbeitsgruppen in allen drei (Tirana-River: Hochwasser, Northern-Boulevard: Hitze/ Frischluftventilation). Weitere Pilotprojekte befassten sich mit Wärmebelastung und Hitzeinseln in älteren Quartieren und mit der Gestaltung von Gewässern. So wurden verschiedene Darstellungen im Masterplan Stadtentwicklung (vergleichbar Flächennutzungsplan) analysiert und Vorschläge für eine optimierte Umsetzung erarbeitet (z. B. Renaturierungsvorschläge für Gewässer statt deren jetzt vorgesehener Begradigung, siehe Abbildung). Die Ergebnisse der PilotaktioAbb. 4: Vorschlag für die klimawandelgerechte Renaturierung des Flusses Lana (links) anstelle der im nen fanden im Aktionsplan beMasterplan vorgesehenen Begradigung (rechts) 58 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 © eigene Darstellung Auch in Tirana konstituierte sich im Januar 2014 die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Klimawandelanpassung mit Vertretern der relevanten Stadtverwaltungsreferate (Umwelt, Gesundheit, Stadtplanung, Strategische Projekte, Ver-/Entsorgung, Verkehr u. a.) unter der Leitung des Umweltreferates, unterstützt durch die Vize-Bürgermeisterin. Die Arbeitsgruppe tagte bis April 2015 fünfmal, z. T. mit nationalen Vertretern und Geldgebern. Schlussfolgerungen: Integrierte und integrierende Prozesse in Städten in Schwellenländern Birgit Haupter, Peter Heiland, Jakob Doetsch Die klimaangepasste Stadt in Schwellenländern Städten war wesentlich, um eine Plattform für das Thema zu schaffen. In allen drei Städten musste eine gewisse, teils erhebliche Skepsis bei den einzelnen Sektoren überwunden werden. Dabei fielen Kommentare wie „alle notwendigen Erkenntnisse für unseren Sektor liegen bereits vor“; oder: „wir haben wirtschaftlich wichtige Projekte umzusetzen, da können wir uns um Klimawandel nicht auch noch kümmern“. Die offizielle Einrichtung der Arbeitsgruppen und ein offizielles Mandat für die Koordinierung durch die politische Führung sowie die Verwaltungsleitung waren hierbei von zentraler Bedeutung. Damit konnte die Arbeitsgruppe ihre Arbeit aufnehmen und in den ersten Treffen konnte die Mehrheit der Arbeitsgruppenmitglieder von der Notwendigkeit und den Vorteilen der sektorenübergreifenden Betrachtungsweise überzeugt werden. Es ist gelungen, die Thematik innerhalb der Arbeitsgruppen und den beteiligten Organisationen bewusst zu machen. Dies ist erfahrungsgemäß stark an die jeweiligen Personen gebunden. Die Verankerung im Aktionsplan und den Bezügen zu den städtischen Plänen ermöglicht auch eine gewisse Verstetigung, wenn Personen ihre Aufgabenbereiche wechseln. Dennoch bleibt hierzu abzuwarten, ob die Erfolge der Arbeitsgruppe politische Umwälzungen wie Kommunalwahlen und Neubesetzung wichtiger Positionen bis in mittlere Ebenen der Verwaltung überstehen. Die Grundlagen hierfür wurden geschaffen. In Belgrad scheint die Struktur des Prozesses aufgrund der am weitesten reichenden politischen Unterstützung stabil, so dass die fachlichen Themen eine große Konstanz aufweisen sollten. Vor dem Hintergrund des schnellen und weniger gesteuerten Wachstums in den Projektstädten ist die Überprüfung laufender Planungen und Großprojekte in Schwellenländerstädten auf Folgewirkungen und auf ihre Klimaangepasstheit von besonderer Bedeutung. Die Aktionspläne bieten nun einen Rahmen hierfür. Eine aktive Einbeziehung des Themas Klimawandel in die Bewertung und Optimierung von Investorenprojekten ist allerdings oftmals eine Frage handelnder Personen: die Großprojekte in Belgrad (Sava-Uferbebauung) und Tirana (NorthernBoulevard) bieten ausgezeichnete Ansatzpunkte, um klimawandelgerecht und sogar pilothaft zu planen und zu bauen: Es ist zu hoffen, dass die Verantwortlichen dies erkennen. Insofern bleibt auch zu konstatieren, dass in Schwellenländern die (vermeintliche) Konkurrenz von Anforderungen des Klimawandels, wie z. T. allgemein von Umweltanforderungen mit Wirtschaftlichkeit und Attraktivität von Investitionsprojekten den häufigsten Konflikt darstellt. Dies ist zwar nicht anders als in Industriestaaten und explizit auch nicht anders als in Deutschland, aber der Handlungsspielraum in Schwellenländern scheint den Verantwortlichen oftmals geringer. Daher ist es dort besonders entscheidend, dass über gut machbare und realistische Beispiele Wege aufgezeigt werden, wie eine Stadtklima-optimierte Planung von Gebäuden oder Quartieren keine Verschlechterung, sondern eine Verbesserung auch unter wirtschaftlichen Aspekten darstellen kann. Nur wenn hierfür ein Weg aufgezeigt und dafür Akzeptanz geschaffen werden kann, haben Klimawandelanpassungsmaßnahmen eine Chance auf Realisierung. Eine Herausforderung bleibt die Finanzierung und Umsetzung von identifizierten Maßnahmen. Vergleichsweise kostengünstig sind „weiche“ Maßnahmen wie Information und Frühwarnung der Bevölkerung, dagegen sind Baumaßnahmen z. B. zur schadlosen Regenwasserableitung meist nur in Kombination mit anderen Erfordernissen, wie die Erfüllung von Umweltauflagen, finanzierbar. Die GIZ unterstützt die Umsetzung von kleinen Anschauungsbeispielen für weiche Maßnahmen in den Städten, um auch weiterhin die Bewusstseinsbildung und die Akzeptanz zu fördern. Die Prozesse in den drei Projektstädten haben gezeigt, dass das Konfliktverhalten und das generelle Akzeptanzdefizit sich nicht wesentlich von den Industriestaatenunterscheiden. ¢ Anmerkungen Das GIZ-Projekt „Klimawandelanpassung im westlichen Balkan“ wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beauftragt. Es zielt ab auf die Verbesserung der Anpassung an den Klimawandel im westlichen Balkan, besonders hinsichtlich der Hochwasser- und Dürrerisiken und im Städtischen Umfeld. Das Vorhaben stützt sich in Albanien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien auf eine diversifizierte regionale, nationale und lokale Partnerstruktur. Die Unterstützung der GIZ umfasst Beratung durch internationale, regionale und lokale Fachkräfte, Fortbildungsmaßnahmen und Sachgüterbeschaffung. Mit der fachlichen Unterstützung bei der Bearbeitung der Aufgaben beauftragte die GIZ die Consultants INFRASTRUKTUR & UMWELT Professor Böhm und Partner (Darmstadt/Potsdam). Das Projekt wurde von Ende 2013 bis Sommer 2015 durchgeführt. Literatur > City of Belgrade (2015): Climate Change Vulnerability Assessment and Adaptation Action Plan. Belgrade > City of Podgorica (in Vorbereitung): Vulnerability Assessment and Adaptation Action Plan. Podgorica > City of Tirana (2013): Strategic Environmental Assessment of the Tirana Regulatory Plan 2013, Albanian University Press. ISBN 9789928-127-28-0 > City of Tirana (2015): Adapting our City to a Changing Climate: Vulnerability Assessment and Adaptation Action Plan for Tirana. Tirana > European Commission (2013): Guidelines on developing adaptation strategies http://ec.europa.eu/clima/policies/adaptation/what/ docs/swd_2013_134_en.pdf). Brussels > Lippeverband (2013): Adaption Compass Future Cities – urban networks to face climate change, Guidance for developing climateproof city regions, prepared by INFRASTRUKTUR & UMWELT, Essen > The Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) (2007): Climate Change: Impacts, Adaptation and Vulnerability > UNDP (2015): Professional exchange (bilateral communication and correspondence) with Prof. Dr. Eglantina Bruci (V&A Technical Coordinator, TNC project Climate Change Programme, UNDP) on draft Third National Communication of Albania to the United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) – draft in process by UNDP, 2015 > United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division (2015): World Urbanisation Prospects: The 2014 Revision TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 59 Seilbahn in Medellín © Dirk Heinrichs, 2013 60 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Wissenschaftlicher Beitrag. Peer reviewed. Dirk Heinrichs, Aline Delatte Urbanisierung und städtische Mobilität Internationaler Diskurs und aktuelle Verkehrs- und Stadtplanung am Beispiel von São Paulo und Medellín Mit weltweiter Urbanisierung und zunehmendem ökonomischen Wohlstand steigen Verkehrsaufkommen und Motorisierung. Investitionen in städtische Verkehrsangebote können die wachsende Nachfrage nicht befriedigen, mit negativen ökologischen und sozialen Folgen. Allerdings entstehen in Städten auch neue Mobilitätstrends. Der öffentliche Verkehr und Radverkehr verzeichnen Zuwachsraten. Es entstehen neue Angebote wie Bike-Sharing und leistungsfähige Schnellbussysteme. Dirk Heinrichs, 1966, Prof. Dr.-Ing. habil., Abteilungsleiter Mobilität und Urbane Entwicklung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Professor für Stadtentwicklung und Urbane Mobilität, TU Berlin Aline Delatte, 1984, Dipl.-Ing/M.Sc, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Institut für Verkehrsforschung, Berlin D ie Auswirkungen des kontinuierlich steigenden städtischen Verkehrsaufkommens einerseits und die Potenziale neuer Ansätze und Trends andererseits sind ein globales Thema und stehen im Zentrum der internationalen Diskurse zum Klimawandel und einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Zahlreiche internationale Institutionen und Organisationen – unter anderem Weltbank, OECD, UN-Habitat, Metropolis – betreiben die Verbreitung von Best Practice Beispielen und fördern die Entwicklung von langfristigen Visionen. Bestandteile dieser Visionen sind eine integrierte Landnutzungs- und Verkehrsentwicklung, die Beteiligung aller Akteure im Planungsprozess, die Förderung des öffentlichen und nicht-motorisierten Verkehrs sowie innovative Angebote, eine kontinuierliche Evaluation und Monitoring der Maßnahmen sowie die Schaffung von finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die Implementierung und Durchsetzung von Maßnahmen. Beispiele umfassen langfristige integrierte Landnutzungs- und Verkehrsentwicklung in Curitiba (Brasilien) oder auch der Transmilenio in Bogotá ( Jirón 2011). Trotz grundsätzlich ähnlichen Herausforderungen hat jede Stadt aufgrund ihrer sozialen, politischen, räumlichen und klimatischen Situation ihren spezifischen Kontext. Wissenstransfer und die Formulierung von gemeinsamen Zielen auf globaler Ebene sind wesentlicher Input für die Umsetzung von nachhaltigen Strategien. Jedoch können Maßnahmen nur unter Berücksichtigung dieses stadtspezifischen Kontextes erfolgreich implementiert werden. Die nachfolgenden Beispielen, São Paulo in Brasilien und Medellín in Kolumbien, verdeutlichen dies. São Paulo: Planung als Abkehr von der automobilen Stadt Die Munizipalität São Paulo ist mit 11,9 Mio. Einwohnern (2014) die größte Stadt und zugleich das Wirtschafts- und Finanzzentrum Brasiliens (Maluf 2014). São Paulos Entwicklung TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 61 © Finasal, 2007 Dirk Heinrichs, Aline Delatte Urbanisierung und städtische Mobilität Abb. 1: BRT Haltestelle in Sao Paulo ist geprägt durch eine rapide Urbanisierung im 20. Jahrhundert. Mit über 20 Mio. Einwohnern gehört der Metropolraum zu den weltweit größten Stadtregionen (UN DESA). Aufgrund des hohen Bevölkerungswachstums der am Stadtrand gelegenen Stadtgebiete dehnt sich der Siedlungsraum aus. Die Stadt ist zudem durch eine ausgeprägte sozialräumliche Segregation charakterisiert. Das schnelle und ungesteuerte Wachstum der Siedlungsfläche führt zur Entstehung informeller Hütten- und Marginalsiedlungen (Cortiços, Favelas), welche durch eine Bevölkerung mit niedrigem sozioökonomischen Status und einer defizitären (Basis-) Infrastrukturausstattung gekennzeichnet sind. Gleichzeitig entstehen zahlreichen Gated Communities für mittlere und höhere Einkommensgruppen, die nur mit dem Pkw erreichbar sind. Trotz des Zersiedelungsprozesses konzentriert sich das Arbeitsangebot weiter in der Kernstadt von São Paulo. Jedoch werden die neu entstehenden Siedlungsgebiete nicht mit dem bestehenden öffentlichen Verkehrsangebot verknüpft (Bonduki 2011). Aus dem Urbanisierungsprozess und dem Wachstum des ökonomischen Wohlstands resultiert eine hohe Zunahme des Verkehrsaufkommens. Im Jahr 2012 wurden in der Metropolregion 43,7 Mio. Wege täglich zurückgelegt: eine Steigerung um 39 % im Vergleich zum 1997. Dies gründet u. a. auf einer starken Zunahme des motorisierten Individualverkehrs (MIV), der fast ein Drittel aller Wege ausmacht. Zwischen den Jahren 2007 und 2012 stieg der Motorisierungsgrad von 184 Pkw/1.000 EW auf 212 (Pkw-Bestand in 2012: 4,3 Mio.). In 2012 besaß fast die Hälfte aller Haushalte mindestens einen Pkw (Governo Estado São Paulo). Das Straßenverkehrsaufkommen – hauptsächlich durch den Pendelverkehr zwischen 62 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 der Peripherie und der Kernstadt verursacht – übersteigt die Kapazitäten der Infrastruktur. Häufige und lange Staus spiegeln das wenig schmeichelhafte Bild einer Stadt kurz vor dem Zusammenbruch wider (Bonduki 2011, Rolnik/Klintowitz 2011, da Silva Costa 2013). Die heutige Verkehrssituation ist das Resultat einer langjährigen, schon seit den 1930er Jahren verfolgten Pkw-orientierten Politik und einer Vernachlässigung des Ausbaus des öffentlichen Verkehrs (ÖV). Erste politisch bedeutsame Forderungen nach einer gesteigerten Priorität des ÖV-Ausbaus wurden erst in 2003/2004 geäußert und mit der Einführung eines 150 km langen Bus Rapid Transit (BRT) Systems realisiert. Die daraus entstandenen, positiven verkehrlichen Wirkungen wurden durch einen Anteilsgewinn des ÖV am motorisierten Verkehrsaufkommen zwischen 2002 (44 %) und 2007 (55 %) deutlich. Diese gesteigerte ÖV-Nutzung bedeutet die Kehrtwende des jahrzehntelangen Trends der Abnahme des ÖV am Modal Split (Bonduki 2011, Maluf 2014). Nach der Kommunalwahl in 2005 fand jedoch eine Änderung der politischen Zielsetzung statt. Die öffentliche Förderung des BRT wurde stark eingeschränkt. Trotz der beobachteten und messbaren positiven Wirkung der BRTFörderung auf das gesamte Verkehrsaufkommen wurde der BRT-Ausbau nicht weitergeführt. Stattdessen standen von nun an der Ausbau des schienengebundenen ÖV sowie auch des MIV im Vordergrund. Doch auch die ambitionierte Erweiterung des schienengebundenen öffentlichen Verkehrs wurde aufgrund komplexer und hoher finanzieller Aufwände verhindert. Diese Periode ist durch eine Dirk Heinrichs, Aline Delatte Urbanisierung und städtische Mobilität deutliche Verschlechterung des Verkehrsflusses im Straßenverkehr gekennzeichnet. Sie war bei der Kommunalwahl 2013 mit verantwortlich für den Gewinn von Kandidaten, die sich ausdrücklich für eine Förderung des BRT positionierten (Maluf 2014). Als Reaktion zu dem in der zivilen Gesellschaft geäußerten Protest gegen die ÖV-Fahrpreiserhöhung in 2013 hat die Stadtverwaltung von São Paulo die BRT-Netzerweiterung beschleunigt. Fast 300 km zusätzlicher Buskorridor wurden in 2014 geschaffen. Diese Investitionen haben direkt positive Wirkungen entfaltet: Erhöhung der Fahrleistung, Zunahme der Geschwindigkeit, Reduzierung der Reisezeit und Abnahme des Dieselkraftstoffverbrauchs (Maluf 2014). Der im Juni 2014 verabschiedete Strategieplan für die Stadt São Paulo mit dem Jahr 2030 als Zeithorizont räumt der urbanen Mobilität eine hohe Priorität ein und orientiert sich an den internationalen Zielen, wie die Abkehr von der Automobilitätskultur und die Anerkennung der Bedeutung der Gestaltung städtischer Mobilität für Lebensqualität. Dafür sind eine Reihe von Maßnahmen vorgesehen. Die Verstärkung einer integrierten Stadt- und Verkehrsentwicklung ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die urbane Transformation. Neben verkehrlichen Maßnahmen beinhaltet der Plan auch die Einführung einer baurechtlichen Begrenzung auf maximal einen Pkw-Stellplatz für jede neu entstehende Wohneinheit, die an einem der definierten öffentlichen Verkehrskorridore liegt. Die Implementierung dieser restriktiven Maßnahmen gegenüber Autonutzung und -besitz in São Paulo ist ein Vorbild für alle Megastädte weltweit für die Reduzierung der PkwNutzung (Scruggs 2014, ITDP). Obwohl sich die verkehrlichen Auswirkungen der Umsetzung des Strategieplans erst im Laufe der kommenden Jahre zeigen werden, wurde bereits im Vorfeld Kritik geäußert. Insbesondere die Einführung der baurechtlichen Begrenzung von Parkplätzen könnte zu einer Verlagerung von Wohnstandorten von Haushalten mit mehr als einem Pkw in andere Stadtteile führen. Weiterer Widerspruch richtet sich gegen die zugewiesenen finanziellen Mittel für den Ausbau der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur für den Rad- und Fußverkehr. Sie werden als zu gering eingeschätzt, um eine Verlagerung von der aktuell sehr intensiven Autonutzung hin zu Verkehrsmitteln des Umweltverbundes zu bewirken (Scruggs 2014). Um mögliche negative Nebenwirkungen erfassen und die Effizienz der Maßnahmen überprüfen zu können, wurden neue Monitoring-Instrumente geschaffen. Das aktuelle Integrated Smart Mobility Planning Programme, das die Analyse der räumlichen und zeitlichen Verkehrsströme durch Messgeräte in der BRT-Flotte ermöglicht, gilt als innovative Implementierung und ein wesentliches Instrument, um politische Entscheidungen zu unterstützen (Maluf 2014). Medellín: Seilbahn als Integriertes Entwicklungsprojekt Medellín ist mit gut 2 Mio. Einwohnern die zweitgrößte Stadt Kolumbiens. Sie bildet das Zentrum der Metropolregion des Valle de Aburra, in der gut 3 Mio. Menschen leben. Die Stadt ist durch eine ausgeprägte sozialräumliche Segregation gekennzeichnet. Nachbarschaften mit Haushalten niedriger Einkommen finden sich im Norden und Nordosten Medellíns, während einkommensstarke Haushalte im Zentrum und dem südlichen Stadtgebiet leben. Nach den Ergebnissen der Verkehrserhebung aus dem Jahr 2012 (AMVA/Universidad Nacionál: 2013) lag die Anzahl der täglichen Wege bei etwa 5,6 Mio., was einem recht moderaten Wert von etwa 1,7 Wegen pro Person entspricht. Gut ein Viertel aller Wege entfallen auf den öffentlichen Busverkehr (Transporte Publico Collectivo, TPC). Im Vergleich zum letzten Erhebungszeitraum 2005 ist dies ein Rückgang. Die Nutzung des Pkw lag 2012 bei etwa 15 % – eine Steigerung gegenüber 11 % in 2005. Die Nutzung des privaten Motorrads ist von 5 % in 2005 auf 11 % in 2012 ebenfalls deutlich gestiegen. Etwa 25 % der Wege in Medellín werden zu Fuß zurückgelegt. Die Bedeutung des Fahrrads ist hingegen vernachlässigbar. Auf das Metrosystem entfallen etwa 10 % aller Wege, gegenüber 7 % in 2005. Das integrierte System umfasst zwei Schienenstrecken (Linien A und B), drei Seilbahnlinien (Linien J, K, L) und die Busschnelllinie Metroplus. Verkehrsmittel Anteil 2005 (%) Anteil 2012 (%) Bus 32 28 Metro 7 10 Taxi 11 6 Pkw 12 15 Motorrad 5 11 Fahrrad 1 1 Zu Fuß 28 26 Andere 4 3 Tab. 1: Verkehrsmittelanteile (Modal Split) in der Metropolregion 2005 und 2012 Die Integration der Seilbahn (MetroCable) in 2004 ist ein Vorhaben zur Verbesserung der Erreichbarkeit von Stadtgebieten außerhalb der ‚formalen‘ Stadt: informell entstandene Siedlungen an den Berghängen. Das MetroCable entstand nicht als isoliertes Projekt, sondern als Teil eines Integrierten Urbanen Projekts (Projecto Urbano Integrado, PUI). Es wurde vom Verkehrsbetrieb der Stadtverwaltung (Empresa Transporte Massivo, EMTVA) durchgeführt und verfolgte zum TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 63 Dirk Heinrichs, Aline Delatte Urbanisierung und städtische Mobilität einen das Ziel, die Auslastung der im Tal verlaufenden Schienenlinien durch Fahrgäste der Siedlungen an den Berghängen zu erhöhen. Zum anderen sollten mit dem Projekt die Lebensbedingungen der Bewohner verbessert werden. Im Projekt wurden drei Aspekte kombiniert. Ein erster Aspekt umfasst die physische Aufwertung durch die Seilbahn einschließlich der Stationen sowie weitere Interventionen wie Wohnungsneubau und –sanierung und Gestaltung öffentlicher Plätze. Ein zweiter Aspekt beinhaltet die Einbeziehung der Bewohner von der Konzeption bis zur Implementierung. Ein dritter Aspekt ist die institutionelle Koordination der kommunalen Verwaltungen für Planung, Verkehr, Gesundheit und Bildung untereinander sowie ihre Zusammenarbeit mit den im Zuge des PUI neu geschaffenen Stadtteilvertretungen (Blanco/Kobayashi 2009). Der Ansatz unterstützt ganz deutlich weiterreichende Ziele der Stadtplanung zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bewohner informeller Nachbarschaften. Sie sind zugleich Ausdruck der Bestrebungen, das Image und die Sicherheit der Siedlungen zu verbessern und zu zeigen, dass Stadtplanung und kommunale Politik nach jahrzehntelanger Vernachlässigung sich der Probleme in informellen Gebieten ernsthaft annehmen (DNP 2010). Der Bau der Seilbahn wurde erstmals im Landnutzungsplan für Medellín im Jahr 1993 vorgeschlagen. In dem im Jahr 2001 veröffentlichten Plan wurde ein Transportkorridor für eine Linie festgelegt, welcher die Gemeinden Popular und Santa Cruz im nördlichen Stadtgebiet an die Metro anbinden sollte. Die Durchführung erfolgte gemeinschaftlich durch die Stadtverwaltung Medellíns und die Betreibergesellschaft der Metro. Die Länge der Linie beträgt etwa 2 km mit vier Stationen. Bis zu 93 Gondeln transportieren jeweils bis zu 8 Personen sitzend und zwei weitere Personen stehend. Die Kosten für den Bau betrugen etwa 24 Mio. US Dollar (Brand /Dávila 2012). Bezogen auf gebaute Kilometer liegen sie damit unter denen für Bus oder Rail Rapid Transit Systemen. Aufgrund des vergleichsweise minimalen Flächenbedarfs für Stationen und Stützpfeiler entstehen potentiell geringere Konflikte mit Anwohnern. Nach der Verkehrserhebung aus dem Jahr 2012 nutzen täglich etwa 43.000 Personen die Seilbahnlinie (AMVA/Universidad Nacional 2013). In Spitzenzeiten erreicht die Nachfrage die Kapazitätsgrenzen von 3.000 Passagieren/Stunde. Die Wirkungen der Seilbahn sind eine deutlich kürzere Fahrzeit als mit dem Bus in das Stadtzentrum, besserer Komfort und ein zuverlässiger und für die Bewohner planbarer Betrieb von früh morgens um 4:30 bis spät abends um 23:00. Es wurde ein Tarifsystem für die kombinierbare Nutzung der Seilbahn mit der Metro und Fahrpreisreduzierung mit der aufladbaren Karte (tarjeta civica) eingeführt. Mit diesem System ist die Nutzung der Seilbahn auch finanziell attraktiv und liegt für eine Fahrt ins Zentrum etwa ein Drittel unter dem Preis für eine vergleichbare kombinierte Busfahrt (Brand/Dávila 2012). Für die Mehrheit der Bevölkerung liegt jedoch auch dieser Preis über den finanziellen Möglich- 64 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 keiten. Die Nutzung der Seilbahn scheint eine Option für denjenigen Teil der Bevölkerungen mit einer Beschäftigung (und dem entsprechenden Einkommen) in anderen Stadtteilen. Die Vorteile sind weitaus geringer für die überwiegende Mehrzahl der Bewohner mit unregelmäßigen bzw. informellen Beschäftigungsverhältnissen, Kinder, Ältere und mobilitätseingeschränkte Personen (Heinrichs/Bernet 2014). Die Einführung der Stationen und der Betrieb der Seilbahn hat in Verbindung mit der Gestaltung der umliegenden öffentlichen Flächen zu Plätzen das Sicherheitsempfinden von Bewohnern des Gebiets deutlich verbessert (ibid). Hierdurch wurde auch die Erreichbarkeit der neu angebundenen Gemeinden positiv beeinflusst. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass auch wieder verstärkt andere Verkehrsmittel (Taxis, Busse) die Gemeinden ansteuern und dass die Seilbahn auch durch Besucher aus anderen Stadtvierteln und Touristen genutzt wird. In den letzten Jahren hat sich die Seilbahn zu einer Landmarke der Stadt entwickelt, auf die ihre Bewohner stolz sind und mit der sie sich identifizieren. Die Image-Aufwertung hat einen nicht zu unterschätzenden symbolischen Wert für die Bewohner der Gemeinden Santa Cruz und Popular (Brand/Dávila 2012). Darüber hinaus hat die Einrichtung der Seilbahn in Medellín dazu geführt, das sowohl der integrierte Planungsansatz als auch die Seilbahn als Verkehrsangebot zunehmend diskutiert und umgesetzt werden, so z. B. in Rio de Janeiro in Brasilien. Vor allem in gewachsenen bzw. dicht bebauten und topographisch anspruchsvollen städtischen Lagen kommen die Vorteile der Technologie zum Tragen. Die Kosten für Implementierung und Betrieb liegen deutlich unter denen alternativer Verkehrsangebote wie Bus- oder Straßenbahnsystemen (Bergerhoff/Perschon 2014). Auf der anderen Seite handelt es sich bei einer Seilbahn nicht um ein Massentransportmittel. Im Vergleich zu maximal rund 10.000 Passagieren/Stunde einer Seilbahn sind BRT Systeme für ca. 35.000 Passagiere/Stunde ausgelegt. Fazit: lokale Lösungen als Umsetzung globaler Visionen Die in diesem Artikel vorgestellten Beispiele – Verkehrspolitiken in São Paulo und in Medellín – zeigen die Hindernisse und die Potenziale lokaler Stadt- und Verkehrsplanung zur Umsetzung nachhaltiger Visionen, wie sie in der internationalen Diskussion derzeit geführt werden. In den Strategien und Maßnahmen beider Städte finden sich die eingangs im Artikel genannten Elemente internationaler Leitbilder für nachhaltige Verkehrsentwicklung wieder. Der aktuelle Masterplan von São Paulo setzt den Schwerpunkt auf eine integrierte Landnutzung und Verkehrsentwicklung gegeben. In beiden Städten ist das Ziel, die bestehende räumliche Segregation zu überwinden und die Erreichbarkeit für alle Menschen zu verbessern. Die Maßnahmen sind für die Kommunen finanzierbar, erfordern aber ein hohes Maß an Steuerungswillen und -kompetenz. Die Einbindung der städtischen Bevölkerung spielt ebenfalls eine Rolle in beiden Fällen. Partizipative Prozesse sind, nicht zu- Dirk Heinrichs, Aline Delatte Urbanisierung und städtische Mobilität letzt bedingt durch die Proteste in 2013, im Masterplan von São Paulo vorgesehen. In Medellín erfolgte über mehrere Jahre eine gezielte Einbindung der Bevölkerung in den Kommunen Popular and Santa Cruz. Die relativ schnelle BRT-Netzerweiterung in São Paulo im Lauf der letzten Jahre und der Aufbau der Seilbahn in Medellín sind konkrete Investitionen, die sozial und ökologisch gerechte Ansätze verfolgen. In beiden Städte zeigt sich, dass der politische Willen und das lokale Engagement der Entscheidungsträger die Haupterfordernisse für die Durchführung einer nachhaltigen Entwicklung sind. Das Beispiel São Paulo verdeutlicht aber auch die Schwierigkeiten, die Politikänderungen verursachen können. In der jüngeren Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Wechsel der politischen Führung zu drastischen Kehrtwendungen in den Zielsetzungen führen können, die die Umsetzung einer langfristigen und nachhaltigen Stadt- und Verkehrsentwicklung gefährden. Die Erfahrung in Medellín zeigt, dass die Veränderung des Verkehrsangebots zwar vielfältige positive Effekte nach sich ziehen kann, die weit über die Ziele der Verkehrsplanung im engeren Sinne hinausgehen können. Es zeigt sich aber auch, dass fundamentale Einschränkungen der Bewohner informeller Siedlungen hinsichtlich des verfügbaren Mobilitätsbudgets und der Bezahlbarkeit von Verkehrsangeboten weiterhin bestehen. Die Nutzung des Angebots ist damit eingeschränkt. ¢ > Bonduki, Nabil (2011): The urban development model of São Paulo needs to be reversed. In: Estudos Avancados 25 (71), S. 23-36 > Brand, Peter; Dávila, Julio D. (2012): Mobility innovation at the urban margins: Medellín’s Metrocables. 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Investitionen in Verkehrsangebote können die Nachfrage nicht befriedigen, mit negativen ökologischen und sozialen Folgen. Mit Blick auf internationale Ziele für nachhaltige urbane Mobilität analysiert der Beitrag aktuelle Entwicklungen der Verkehrs- und Stadtplanung anhand der Fallbeispiele São Paulo und Medellín. Abstract: Worldwide urbanisation and rising economic welfare of urban residents have led to growing travel demand and motorisation rates in cities. Resulting air and noise pollution, congestion and rising travel times increasingly affect quality of life. But cities are at the same time locations where new mobility trends emerge. Public transport and cycling are gaining popularity and city governments implement new mobility concepts like bike sharing schemes or Bus Rapid Transit systems. TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 65 © Malve Jacobsen, Oktober 2015 66 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Wissenschaftlicher Beitrag. Peer reviewed. Malve Jacobsen Schnellbusse auf der Überholspur Dar es Salaam Rapid Transit als Wegbereiter nachhaltiger urbaner Mobilität? Städtischer Verkehr in Tansania steht insbesondere aufgrund schneller Urbanisierungsprozesse vor einer Vielzahl an Herausforderungen und es stellt sich die Frage, inwiefern neue Transportmodelle als Treiber einer nachhaltigen Entwicklung eingesetzt werden können. Bisher sind Minibusse, Dala Dalas, eines der meistgenutzten Transportmittel Dar es Salaams. Im Rahmen des Projektes Dar es Salaam Rapid Transit (DART) wird nun ein weiträumiges Schnellbussystem (engl.: Bus Rapid Transit System/BRT) geplant, gebaut und in Betrieb genommen. Dieses BRT System soll in Zukunft eine nachhaltige Lösung für die Transportprobleme der tansanischen Metropole bieten. E ndlich ist das Thema Verkehr bei den Vereinten Nationen im Rahmen des Programms Habitat III und den Sustainable Development Goals (SDGs) angekommen (UN-Habitat 2015). Während in den Millennium Development Goals (MDGs) Transport nicht direkt thematisiert wurde, spielen Fragen des verbesserten Zugangs zu städtischer Mobilität in der neuen globalen Entwicklungsagenda eine zentrale Rolle (World Bank 2015a, UN-Habitat 2015). Dass Mobilität und Stadt nicht nur eng zusammenhängen, sondern Transport einen Einfluss auf die Lebensqualität und nachhaltige Entwicklung einer Stadt hat, ist in wissenschaftlichen Diskursen anerkannt: ”Transport affects the ‚liveability’ of a city” (Pirie 2014: 136). Auch auf angewandter Seite, wie dem Wohn- und Siedlungsprogramm UNHabitat, wird sich seit einigen Jahren verstärkt mit nachhaltiger urbaner Mobilität auseinandergesetzt (UNHabitat 2013: 1), was vom Institute for Transportation and Development Policy (ITDP) als „historischer Schritt“ (ITDP 2015) bewertet wird. Bei der Umsetzung nachhaltiger Maßnahmen im Transportsektor gibt es insofern immensen Bedarf, bspw. hinsichtlich der Entwicklung neuer Modelle eines umweltverträglichen und effizienten, d. h. auf große Massen ausgerichteten, öffentlichen Personennahverkehr. Insbesondere im Globalen Süden gibt es den Trend zur Planung und Implementierung von BRT Systemen (Wood 2015: 1063). Inwiefern diese Bussysteme tatsächlich zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung beitragen können, soll zum einen generell und zum anderen exemplarisch am DART Projekt skizziert werden. Malve Jacobsen, Master of Arts Stadtgeographie, Humboldt-Universität zu Berlin; seit Dezember 2014 Doktorandin der Humangeographie, Universität Frankfurt BRT: Ein globales Erfolgsmodell? Die rapide globale Ausbreitung von BRTs seit Beginn der 2000er Jahre geht einher mit einem Hype dieses Modells. So werden BRTs seitens lokaler Regierungen und internationalen Organisationen eine Vielzahl an sozialen, ökologischen und ökonomischen Effekten zugeschrieben: ”BRT is not just about TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 67 Malve Jacobsen Schnellbusse auf der Überholspur © Gwen Kash, 2011 Trotz dieser Vielzahl an Vorteilen bringen Bau und Implementierung von BRT Systemen auch Nachteile mit sich. Generell haben solche Transitionsprozesse kaum vermeidbare Konsequenzen wie Zwangsumsiedelungen und Enteignungen zur Folge (Rizzo 2015: 1). Ferner können Ziele zur Aufwertung der Lebensbedingungen der armen Bevölkerung und Ziele des verbesserten Zugangs zu urbaner Mobilität in Form von höheren Eintrittsbarrieren durch elektronische Zahlungsmethoden und höhere Tarife gefährdet sein. Im Vergleich zu schienengebundenen Systemen zeigen sich Schwächen, wie die Verwendung fossiler Brennstoffe, des vergleichsweise hohen Platzbedarfs und der geringeren Effizienz. Abb. 1: Das prominente BRT System aus Bogotá: TransMilenio BRT Systeme lassen sich insbesondere wegen ihrer hohen Effizienz und Servicequalität bei gleichzeitig relativ geringen Bau- und Betriebskosten als positiv beurteilen. Die Stärken rühren daher, dass bei BRT Systemen Vorteile von Bus- und Bahnsystemen kombiniert werden, wodurch ein System trotz seiner Größe überaus flexibel bleibt. So sind bei BRTs im Vergleich zu schienengebundenen Systemen (Aus-)Bauphasen schnell und kostengünstig zu realisieren. Dies ist v. a. bei massivem Bevölkerungsund Siedlungswachstum vorteilhaft, da sich das System relativ schnell an die städtische Umwelt anpassen lässt. Darüber hinaus haben BRTs verglichen mit Minibus Systemen einen niedrigeren Energieverbrauch und demzufolge geringere Emissionen. Weitere zentrale Charakteristika sind separate Spuren für die Busse, integrierte Tarifsysteme innerhalb des BRT Netzes sowie Anschlüsse an andere Verkehrsmittel (vgl. Holzwarth 2012, Nkurunziza et al. 2012). 68 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Die tansanische Küstenstadt ist ökonomisches Zentrum des Landes und verzeichnet ein immenses Bevölkerungswachstum, welches mit Zersiedelung einhergeht. Diese flächenhafte Ausweitung und die durchschnittlich ohnehin bereits geringe Bevölkerungsdichte der größten Stadt Tansanias stellen Herausforderungen an die verkehrsinfrastrukturelle Versorgung, u. a. aufgrund der langen Wege, die zwischen Zentrum und Peripherie von Pendlern überwunden werden müssen. Darüber hinaus untermauert die zunehmende Mobilität und damit einhergehend der steigende Bedarf an Transportmöglichkeiten die Notwendigkeit einer umfassenden Umgestaltung des derzeitigen Verkehrssystems (Nkurunziza et al. 2012: 12-13, Reudenbach/Scholz 2012: 29). © Malve Jacobsen, März 2015 transporting people. […] BRT has shown to be an effective catalyst to help transform cities into more liveable and human-friendly environments“ (Wright/Hook 2007:ii-iii). Das Modell taucht per se zwar nicht in Habitat III auf, verkörpert jedoch einige Ziele dieses UN-Programms. So erfährt dieses in Lateinamerika entwickelte Bussystem im Rahmen der Nachhaltigkeitsagenda vielseitige Förderungsmöglichkeiten und lässt sich u. a. aus diesem Grund innerhalb kurzer Zeit in vielen Städten des Globalen Südens implementieren (Nkurunziza et al. 2012: 12-13, UNHabitat 2013: 48-49). “BRT has become the vogue” (Pirie 2014: 136), und bleibt in nahezu keiner Debatte zu nachhaltigem Transport im urbanen Afrika unerwähnt. Transport und Mobilität in Dar es Salaam Abb. 2: Alltäglicher Stau von Dala Dalas im Stadtzentrum © Malve Jacobsen, März 2015 Malve Jacobsen Schnellbusse auf der Überholspur Abb. 3: Diverse Transportmittel an BRT Station Shekilango Der Trend steigender innerstädtischer Mobilität begründet sich ferner in der jährlichen ökonomischen Wachstumsrate von etwa 6-7 % ( JICA 2008: 2 – 3) sowie einer jährlichen Bevölkerungswachstumsrate von 5,6 % (NBS 2013: 26). Die Prognosen für einen Bevölkerungsanstieg variieren extrem, sodass von derzeit ca. 3,4 Mio. auf 11,5 Mio. Einwohnern in 2025 (DART Agency 2015) bzw. 5,8 Mio. in 2030 ( JICA 2008: 1 – 3) ausgegangen wird. Die infrastrukturelle Entwicklung, wie der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, kommt diesen Entwicklungen und daraus resultierenden Bedarfen nicht nach und Stadtgebiete, in denen ärmere Bevölkerungsschichten leben, sind verstärkt von unzureichender infrastruktureller Versorgung betroffen (Kumar/Barrett 2008: 1). Es gibt eine Vielzahl an Arten der Fortbewegung: Wegen Geldmangels bewegt sich die Mehrheit der Bewohner zu Fuß fort, jedoch nutzen viele Städter auch Dala Dalas als prävalentes Fortbewegungsmittel. Neben herkömmlichen Taxis sind Autorikschas (Bajaji) und Taxi-Motorräder (Boda Boda bzw. Piki Piki) im Stadtbild omnipräsent. Außerdem gibt es eine geringe Anzahl an Fahrradfahrern und Pendlern, die per Zug und Fähre reisen. Darüber hinaus bestimmen zunehmend private Autos, die größtenteils von der wachsenden Mittelschicht gefahren werden, das Stadtbild (Reudenbach/Scholz 2012: 29, Salon/Aligula 2012: 72). Die unterschiedlichen Verkehrsmittel sind bis dato nicht direkt miteinander verknüpft, weder hinsichtlich der Betreiber und Tarife, noch hinsichtlich der Umsteigemöglichkeiten bei Wechsel des Transportmittels. Die Perspektiven der nachhaltigen Entwicklung gestalten sich derzeit in Hinblick auf die verkehrliche Situation der ostafrikanischen Stadt facettenreich. Einerseits bildet der zunehmende motorisierte Individualverkehr aufgrund der hohen Pro-Kopf-Emissionen eine Gefährdung für die nachhaltige ökologische Entwicklung. Allgemein jedoch deuten die nach wie vor hohen Nutzungsraten von öffentlichem und nichtmotorisiertem Verkehr auf vielfältige Potentiale zur nachhaltigen Stadtentwicklung hin. Urbane Mobilität im Kontext von sozialer Nachhaltigkeit (d. h. Förderung von sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit, vgl. Drexhage/Murphy 2010) gilt es demnach v. a. für Bevölkerungsgruppen, die keinen bzw. schlechten Zugang zu Mobilität haben, zu verbessern. Als drittes Moment wird zukünftig das Dar es Salaam Rapid Transit System hinzukommen, welches seitens der DART Agency und nationaler Medien bereits vor Inbetriebnahme als Erfolg verhandelt wird (Tanzania Daily News 2014). Jedoch ist es wahrscheinlich, dass sich dieses System trotz der vielen Vorteile und globaler Erfolgsgeschichten, die DART als Vorbild gelten, nicht reibungslos in die vorhandene Infrastruktur einfügen wird. Den größten Risiken – Proteste der Dala Dala Industrie sowie Ablehnung von DART seitens der Bevölkerung – soll durch die Inklusion der Dala Dala Besitzer und Fahrer sowie einer sukzessiven Integration des neuen Systems vorgebeugt werden (The Guardian 2014, Wood 2014: 2663). DART: Schnellbusse für Dar es Salaam DART wird in Form einer Public-Private Partnership (PPP) von Akteuren diverser staatlicher, privater und internationaler Organisationen seit Anfang der 2000er Jahre in sechs Phasen geplant und gebaut. Das Dar es Salaam City Council (DCC) hat für DART ein Finanzierungsmodell mit verschiedenen Geldgebern gewählt, bisher jedoch ist vornehmlich die Weltbank für die Finanzierung von DART zuständig. Die Weltbank knüpft ihre Mittel an Vorgaben zum Bau und Betrieb des Schnellbussystems, die einerseits zur Durchsetzung von – vorrangig dem Globalen Norden entstammenden – Idealen der zentralen Infrastrukturversorgung und andererseits zu Neoliberalisierungstendenzen führen (DART Agency 2014, Wright/Hook 2007: 115). Da Tansania, wie eine Vielzahl der Länder des Globalen Südens, auf externe (Teil)Finanzierung TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 69 © Malve Jacobsen März 2015 Malve Jacobsen Schnellbusse auf der Überholspur Abb. 4: BRT Spur auf der Kivukoni Road Die BRT Korridore sollen eine Gesamtlänge von 130 Kilometern erreichen, wodurch DART zu einem der umfassendsten BRT Systeme weltweit gehören wird. Die Struktur der Korridore ist an das derzeitige Liniennetz der Dala Dalas angelehnt und wird auf den Hauptverkehrsadern, die sich sternförmig zum Stadtzentrum anordnen, sowie auf den Tangentialen verlaufen. Ergänzend wird es ein aus kleineren Bussen bestehendes Zubringersystem geben. Ferner werden zur Unterstützung multimodaler Mobilität Schnittstellen zu anderen öffentlichen und nichtmotorisierten Transportmitteln geschaffen und bspw. Fuß- und Fahrradwege entlang der BRT Korridore gebaut (DART Agency 2014: 8, JICA 2008: 1 – 2). Es wird angenommen, dass DART ohne Subventionen bei minimal höheren Tarifen als die aktuellen Dala Dala Tarife bestehen kann (Mwananchi 2014), wodurch die Nutzung durch jene, die sich momentan primär mit (Mini-)Bus fortbewegen, gewährleistet bleiben soll. DART 70 RaumPlanung 182 / 6-2015 wird Konsequenzen für das Dala Dala System haben, wobei noch nicht genau abzusehen ist, wie sich diese gestalten werden. Sicher ist, dass BRTs ein Vorrecht auf den Straßen Dar es Salaams erhalten werden und Dala Dalas mit den Gebieten, die nicht von DART bedient werden, vorlieb nehmen müssen. Der kontinuierliche Anstieg an Mobilität wird jedoch voraussichtlich die verlorenen Gebiete für das Dala Dala Geschäft kompensieren. Außerdem haben Dala Dala Verbände die Möglichkeit, Anteilseigner an DART zu werden (The Guardian 2015). Abb. 5: Implementierungsphasen von DART TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 © DART Agency 2014 bei Großprojekten angewiesen ist, bedeutet dies daher nicht nur eine Unterstützung, sondern zugleich die Herstellung von Abhängigkeiten und Fremdbestimmung in der Planung. Malve Jacobsen Schnellbusse auf der Überholspur © Malve Jacobsen , März 2015 Die erste Linie soll in einer Übergangsphase im Oktober 2015 (Stand: September 2015) und vollständig Mitte 2016 den Betrieb aufnehmen (DART Agency 2014, ebd. 2015). Der Bau aller sechs Phasen des Großprojektes wird voraussichtlich weitere 15 Jahre in Anspruch nehmen. Ferner ist DART im Transport Master Plan als zukünftiges prävalentes öffentliches Verkehrsmittel statuiert (DART Agency 2014: 7, JICA 2008: 1 – 2). Es soll die Mobilität einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht verbessern, wie es bereits anderen BRT Projekten, z. B. dem TransMilenio aus Bogotá, gelungen ist (UN Habitat 2013, Wright/Hook 2007: iiiii). Verkehrs- und Raumplanung als integrierte Planung Abb. 6: Fuß- und Fahrradweg an der Morogoro Road © DART Agency 2014 Bei der Planung von BRT Systemen ist eine gemeinsame Verkehrs- und Raumplanung, sowie eine starke Vernetzung einzelner Akteure der Stadtverwaltung erstrebenswert und notwendig. Einerseits geht es darum, dass BRTs nachfragegerecht sowie sozial und ökologisch gerecht gebaut werden. Andererseits kann die Implementierung eines Schnellbussystems selbst für eine nachhaltige Stadtentwicklung eingesetzt werden (Cervero 2014). So könnte in Dar es Salaam z. B. versucht werden, durch eine räumliche Festlegung der BRT Korridore das Siedlungswachstum zu lenken oder die Entstehung neuer Geschäftszentren an Umstiegs- und Knotenpunkten sowie Endhaltestellen zu begünstigen. Diesen Plänen entsprechend empfiehlt die Japan International Cooperation Agency ( JICA) die Entwicklung eines „strategischen Korridors“ ( JICA 2008: 3 – 5), der sich primär auf die räumliche Struktur von DART bezieht: ”Major urban activities will be encouraged to concentrate along the corridor, aiming to establish a compact and efficient urban structure” (ebd.). So soll durch die Entwicklung dieses multifunktionalen Korridors mit ökonomischen Subzentren und Wohnungsbau einerseits das Stadtzentrum entzerrt und andererseits die voranschreitende Zersiedelung eingedämmt werden (ebd.). Mit BRT zur nachhaltigen Stadt? Eine integrierte Verkehrsplanung mit Fokus auf öffentlichen, auf Massen ausgerichteten Verkehr kann prinzipiell zu zwei Nachhaltigkeitszielen der UN einen Beitrag leisten. Abb. 7: Plan zu Phase 1 von DART TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 71 72 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Foto: Daniel Isbrecht Zum einen ist es möglich, durch den Einsatz von BRT Systemen zu einer ökologisch nachhaltigeren Stadt zu gelangen, z. B. durch die Reduzierung von Emissionen. Dabei sollte stets ein Augenmerk auf die Kombination mit nichtmotorisierten Verkehr liegen und es sollten multimodale Transportlösungen angestrebt werden, wie es in Dar es Salaam der Fall ist. Zum anderen zeigen globale Erfahrungen, dass sich durch eine verbesserte Qualität der Mobilität ebenfalls die Lebensqualität erhöhen kann, bspw. durch mehr Komfort, Sicherheit und Zeiteinsparung. Es bleibt jedoch fraglich, ob BRT Systeme in wachsenden Städten wie Abb. 8: Entwicklungsschema für Verkehrswege in Dar es Salaam Dar es Salaam zu mehr sozialer Gerechtigkeit – im Sinne von erhöhter Mobilität für arme Bevölkerungsschichten – führen > Pirie, Gordon (2014): Transport Pressures in Urban Africa. Practices, Politics, Perspectives. In: Parnell, Susan; Pieterse, können. Die Grenzen dieser innovativen Systeme sollten bei allen unzweifelhaft bestehenden Vorteilen nicht außer Edgar (Hg.): Africa’s Urban Revolution. London, S. 133-147 > Reudenbach, Lisa; Scholz, Wolfgang (2012): Mobility and ReAcht gelassen werden, sodass BRTs möglichst erfolgreich als Treiber nachhaltiger Entwicklung eingesetzt werden sidential Location of the Middle Class in Dar es Salaam. In: TRIALOG (110). Frankfurt am Main, S. 27-31 können. Generell sind integrierte, öffentliche und multimodale Verkehrskonzepte zentral für eine umfassende, > Rizzo, Matteo (2015): The Political Economy of an Urban Megaproject. The Bus Rapid Transport Project in Tanzania. In: Afnachhaltige Stadtentwicklung, können jedoch nur einen Baustein von vielen bilden. rican Affairs (114/455). Oxford, S. 1-22 > Salon, Deborah; Aligula, Erik M. (2012): Urban Travel in Nairobi, Kenya. Analysis, Insights, and Opportunities. In: Journal of Für Dar es Salaam scheint DART ein passendes TransportTransport Geography (22). O. O., S. 65-76 modell zu sein, um einen Teil zu einer „lebenswerteren“ > United Nations Human Settlements Programme (UN-Habitat) städtischen Umwelt beizutragen und die urbane Mobi(Hg.) (2013): Planning and Design for Sustainable Urban Mobilität nachhaltig zu verbessern. Konkrete Erfolge werden lity. Global Report on Human Settlements 2013. 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BRT Systeme stimmen zwar mit Zielen von Programmen wie Habitat III überein, können jedoch nicht als Universallösung gelten. Abstract: Claims on equal and equitable life, along with claims on sustainable urban mobility are increasingly pressing. Using the example of Dar es Salaam, various cities of the Global South implement Bus Rapid Transit systems (BRTs). BRTs seem to be a sustainable solution for urban transport problems and comply with a number of goals of programs like Habitat III. Yet, they are not all-round solutions. Wir drucken immer gesund Umwelt DIN EN ISO 14001:2009 Arbeitsschutz OHSAS 18001:2007 Energiemanagement DIN EN ISO 50001:2011 Foto: Daniel Isbrecht PEFC/04-31-1234 Förderung nachhaltiger Waldwirtschaft www.pefc.de Umweltschutz, Service und Qualität gehören zusammen Wer heute bei uns drucken lässt, genießt die Bequemlichkeit im Internet, aber auch die Arbeitsbedingungen im Drucksaal haben nichts mehr mit der körperlichen Belastung vergangener Jahrzehnte zu tun. 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Constance Carr, Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geographie und Raumplanung, Universität Luxemburg Evan McDonough, M.Sc., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geographie und Raumplanung, Universität Luxemburg Das Projekt baute auf einem Vorgängerprojekt auf, welches Probleme und Widersprüche im luxemburgischen Planungssystem aufgezeigt hat, sowohl in der institutionellen Landschaft als auch in der praktischen Umsetzung nachhaltiger Planungskonzepte (vgl. Carr/Hesse 2013). Urbanisierungs- und Wachstumsdruck, eingeschränkte Möglichkeiten der Raumnutzung, eine hohe Belastung der Infrastruktur und die damit verbundenen Konflikte erschweren die Planung enorm und tragen zur Erhöhung der Kosten bei. Die Suche nach tragfähigen Lösungen bleibt von fundamentaler Bedeutung für Luxemburg im Besonderen und für die raumbezogene Planung im Allgemeinen. Die Schweiz wurde Rainer Telaar, Dip. Ing., Klimaschutzberater und engagiert in der Umsetzung des Qualitätsmanagementsystems European Energy Award In Luxemburg 74 RaumPlanung 182 / 6-2015 D ie allgemeine Definition der nachhaltigen Entwicklung ist unumstritten: Sie umfasst wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte, und durch deren Integration soll Nachhaltigkeit erreicht werden. Im Bereich der Raumplanung wird weithin die Ansicht vertreten, dass nachhaltige Entwicklung neue interdisziplinäre Ansätze erfordert. Integration ist somit zu einer Art Zauberwort des Nachhaltigkeits-Diskurses der Raumplanung geworden (vgl. Nadin 2001; Cameron et al. 2004; Holden 2012) und ist inzwischen ein akzeptierter Begriff und eine Zielsetzung. Allerdings wird sie in verschiedenen akademischen Kreisen auch kontrovers diskutiert (vgl. Allmendinger/Haughton 2009; Carr et. al 2015; Enright 2012; Hesse/Carr 2013; Stead/Meijers 2009). Diese Arbeiten zeigen zum einen, dass Integration vielfach der Attraktion übergreifender Kapitalströme dient und nicht unbedingt lokalen Anwohnern zu Gute kommt; zum anderen wird deutlich, dass nachhaltige Entwicklung auch eine problematisches Konzept ist. Integration ist insofern nicht neutral oder per se positiv, sondern räumlich und sozialpolitisch konstruiert und führt nicht notwendiger Weise zu nachhaltiger Entwicklung. Dieses Forschungsprojekt hat die planerische Zielsetzung der Integration für nachhaltige Entwicklung in der Schweiz untersucht. TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Constance Carr, Evan McDonough, Rainer Telaar Integration als konzeptioneller Baustein als Gegenstand einer vergleichenden Analyse gewählt, da sie oft als Vorreiterin in innovativen Ansätzen der Raumplanung wahrgenommen wird. Beide Länder ähneln sich auch in der Wirtschaftsdynamik, im Grad der Internationalisierung und in den jeweiligen Mustern der Urbanisierung. Weiterhin werden Integration und Nachhaltigkeit als Zielsetzung der Planung definiert, um entsprechende Probleme zu bewältigen. Ziel war es, nachhaltige Raumentwicklung aus der Governance-Perspective zu untersuchen und Erkenntnisse zu gewinnen, wie die Akteure der Raumplanung mit diesem Druck umgehen. Die nördlich von Zürich gelegene Region Glattal stellte den Untersuchungsraum des Projektes dar. Dementsprechend liefert dieser Beitrag auch neue Erkenntnisse über das Schweizerische Raumplanungssystem. Integration in ‚Glattal-Stadt‘ Das Glattal umfasst in etwa den 11. und 12. Bezirk Zürichs, dehnt sich in nordöstlicher Richtung bis zum Züricher Flughafen aus und umfasst eine Reihe von ländlich geprägten Gemeinden. Generell wird das Glattal als eine Ansammlung von kollidierenden und sich überschneidenden soziopolitischen und funktionellen Räumen wahrgenommen (vgl. Diener et al. 2005; Thierstein et al. 2005; Thierstein et al. 2006). Aufgrund des gegenwärtigen Wachstumsdrucks durchläuft das Gebiet zurzeit eine Phase der Transformation. Die Kommunen sind hier mit wenig Personal, engen Beziehungsgeflechten und lokal orientierten Verwaltungssystemen konfrontiert. Sie sollen überlappende räumliche Strategien sowie Kooperationsplattformen entwickeln, die über bisherige Verwaltungsgrenzen hinaus wirken. Zusätzlich sollen sie den kantonalen Richtplan und die bundesweitem Nachhaltigkeitsprogramme berücksichtigen. Es ist erkennbar, dass Infrastruktur-Investitionen dahingehend optimiert werden sollen, dass eine allgemeine Wertsteigerung und erhöhte Wettbewerbsfähigkeit der Region erreicht wird - ohne zu Qualitätsverlusten in anderen Bereichen zu führen. Entsprechende Entwicklungsstrategien sind die Schaffung neuer Wohnflächen, neuer Verkehrsangebote und die lokale Wirtschaftsförderung. Die Region ist im Wandel und weist eine enorme Vielfalt sozialer Räume und funktionaler Differenzierung auf. Die integrative Planung soll diese Bereiche in Anbetracht der neuen Herausforderungen besser organisieren und nachhaltig gestalten. Ihre Umsetzung erfolgt unter spezifischen Rahmenbedingungen und folgt gewissen Prinzipien. Erstens: die staatliche Raumplanungspraxis in der Schweiz ist generell sehr gut aufgestellt und institutionalisiert. Raumplanungsgesetze sind auf Bundesebene verfasst, jeder Kanton erstellt einen Richtplan der von einer eigenen Verwaltungsstelle umgesetzt wird. Viele größere Gemeinden haben Raumplanungsabteilungen, die die Wünsche der Bevölkerung einbeziehen. Dabei wird das Mitspracherecht der Bürger in Form von direkter Demokratie einbezogen. Es ist eine Struktur, die Vor- und Nachteile mit sich bringt. Einerseits, haben Bürger oft Zugang zu Entscheidungsprozessen. Schweizer Bürger haben in diesem System viele Möglichkeiten, auf die Raumplanung Einfluss zu nehmen. Anderseits, haben viele Befragte auf den langen Atem der direkten Demokratie hingewiesen, mit der Folge, dass viele Vorhaben Jahre benötigen bis sie genehmigt sind. Trotz Mängeln sehen viele der Befragten diesen Prozess als das „Beste, was es gibt“. Wie alle Schweizer Gemeinden besitzen auch jene im Glattal einen hohen Grad an Autonomie. Ihre Politik- und Planungspraxis manifestiert sich auf zwei Wegen: 1) Gemeindeversammlungen, © Constance Carr, 2014 Im Rahmen des Forschungsvorhabens wurden die aktuellen Urbanisierungs- und Planungsprozesse im Glattal anhand qualitativer Methoden erforscht. Dazu wurden 25 vertiefende Interviews mit Raum- und Stadtplanern, Bauleitern, Architekten, Aktivisten, Immobilienmaklern, Vertretern der Gemeindeverwaltung und Quartiersvereinen durchgeführt. Die Befragten wurden gebeten, Auskunft über ihre Vorstellungen der Raum- planung in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen, ihren Einflussmöglichkeiten, ihrer Rolle in der Lokalpolitik sowie ihrer Einschätzung über den Gesamtverlauf der Entwicklung zu geben. Zusätzlich wurden Planungsdokumente, Internetseiten, Zeitschriften und Zeitungen ausgewertet und eine Reihe von öffentlichen Präsentationen, Gemeindeversammlungen sowie professionelle Touren in die Untersuchung einbezogen. Abb. 1: Links, die Glattalbahn, Einkaufzentrum, und Wohnungen; Rechts, Eine A380 der Emirates Airline startet am Flughafen Zürich. Die Fluggesellschaft bietet zweimal täglich direkte Flüge zwischen Zürich und Dubai an. TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 75 Constance Carr, Evan McDonough, Rainer Telaar Integration als konzeptioneller Baustein bei denen die Anwesenden (eine aktive Minderheit, welche sich zum größten Teil aus örtlichen Grundbesitzern zusammensetzt, die schon eine längere Zeit in der Gegend leben) über Probleme und Lösungsvorschläge diskutieren und abstimmen (Interview mit Gemeinde-Organisation, April 2014; Interviews mit Gemeinde-Offiziellen Mai, 2014 und Juni, 2014); 2) Volksabstimmungen, bei denen Schweizer Bürger über eine vorgegebene „Initiative” entscheiden können. Innerhalb dieses Rahmens werden Planungsvorhaben abgestimmt, und zwar auf Gemeinde- (Bebauungspläne) sowie Kanton- (Richtplan) und Bundesebene (z.B. das Agglomerationsprogramm). Wie die meisten ländlichen Gemeindeverwaltungen besitzen jene des Glattals aber zu wenig Personal für eine professionelle Planung. Daher müssen externe Stadt- und Raumplaner sowie Immobilienmakler mit der infrastrukturellen Entwicklung beauftragt werden, um abgestimmte Vorhaben umzusetzen. Als Resultat dessen werden konkrete Planungen im Glattal trotz aller partizipativen Entscheidungsprozesse überwiegend von privaten Entwicklern gesteuert, die über gute Beziehungen in die zuständigen Verwaltungsbehörden verfügen. Zweitens: um interkommunale Zusammenarbeit effizienter zu organisieren, arbeiten viele – wenn auch nicht alle – Gemeinden bei der Markenentwicklung des sogenannten Flughafenkorridors zusammen (Flughafenregion Zürich, zuvor genannt Glow. das Glattal). Ziel ist es, eine Identität des Raumes zu schaffen, welche die generelle Entwicklungsrichtung unterstützt und eine Plattform zu etablieren, über die interkommunaler Informationsaustausch sowie Öffentlichkeitsarbeit stattfinden kann. In der Öffentlichkeitsarbeit wird die strategisch günstige und wirtschaftsfreundliche Lage von Glatt betont. Befürworter dieser Gruppierung unterstützen tendenziell auch den Begriff der „Glatt Stadt“. Während Veranstaltungen dieser Plattform ein wichtiger Bestandteil einer gemeindeübergreifenden Arbeit sind, bleiben manche Akteure wegen der Unausgewogenheit der verschiedenen Interessen eher skeptisch. Sie vermuten, dass es darum geht, bestimmte Gemeinden in den Vordergrund zu stellen und/oder ein wirtschaftliches und politisches Gegengewicht zur Stadt Zürich zu etablieren (Interview mit Architekten, Februar 2014; Interview mit Gemeindevertreter, Juni 2014). Drittens: eine gewisse Orthodoxie herrscht in Bezug auf „Dichte“ oder „Verdichtung nach innen“. Architekten, Stadt- und Raumplaner, private Entwickler und Politiker vertraten einhellig die Meinung, dass „Dichte“ ausschlaggebend für eine positive Entwicklung sei. Dies wurde stets normativ begründet – spärlicher Umgang und Erhaltung des Natur- und Kulturerbes und der ländlichen Ressourcen im kleinen Land, und noch kleineren Kantonen und Gemeinden, Förderung des nachbarschaftlichen Kontaktes, (scheinbar) kurze Transportwege usw. Diese Ansätze wurden oft auch in Rechtsvorschriften formalisiert, die von direkter Demokratie legitimiert waren. Konkreter Handlungsantrieb war die Notwendigkeit, Wohnraum zu schaffen und die Mobilität im „Flughafenkorridor“ sicherzustellen, um den Forderungen der Wirtschaft Rechnung zu tragen, während sich die Region zu einer Einpendlerzone entwickelt (Abb. 2). Das Preisniveau der neuen Wohnungen ist allerdings exklusiv. Der durchschnittliche Preis für 76 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 eine Wohnung im Richti-Areal (Abb. 3) beträgt 1,2 Millionen Schweizer Franken und ist ausdrücklich auf einkommensstarke - und Steuern zahlende - Bevölkerungsschichten ausgerichtet. Gleichzeitig wird die Verkehrsinfrastruktur funktional angelegt. Dahinter steht das Hauptziel, Unternehmensansiedlungen auszulösen und die wirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen. Einhergehend mit der wachsenden Bedeutung Zürichs als globales Finanzzentrum (vgl. Diener et al 2006: 490) wird der Flughafen als Wachstumsmotor der Region betrachtet (Interview mit Planers, April, Mai, Juni.2014; Gemeindevertreter, März, April, Mai 2014, Immobilien Makler, März, 2014); nicht zufällig weist der Flughafen Zürich ein starkes Wachstum im Passagierverkehr auf (vgl. Flughafen Zürich 2014: 21). Unternehmenszentralen haben sich aufgrund des doppelten Nutzens in dem großen Mischnutzungsgebiet angesiedelt: Zum einen profitieren sie von der strategischen Nähe des wachsenden Flughafens, zum anderen ist auch genügend Fläche für weitere Entwicklungen vorhanden (vgl. Diener et al. 2006: 634). Diese Faktoren haben zur Bildung des sogenannten „Flughafenkorridors“ zwischen dem Flughafen und dem Zentrum Zürichs geführt (vgl. Schaafsma 2009: 175). Die Glattalbahn war ein zweites Verkehrsinfrastrukturprojekt. Im Jahr 2010 zur Stärkung der „FlughafenRegion“ und auf stillgelegten Industrieflächen fertiggestellt, sollte sie einen Mobilitäts-Korridor entlang der produktiven Gebiete schaffen und die Verknüpfung des Flughafens mit der Innenstadt Zürichs herstellen. Das Design der neu erschlossenen Gebiete steht im Kontrast zu den Einfamilienhaus-Gebieten im Bestand sowie den historischen Gemeindezentren, die nicht mit den öffentlichen Verkehrsnetzen verbunden sind. Auch ist ein großer Teil der neuen Infrastrukturen nicht für den Eigenbedarf der Gemeindebevölkerung bestimmt. Vielmehr stand das Ziel zur Entwicklung des Flughafenkorridors im Vordergrund. Außerdem sollten Infrastrukturen zur Förderung wirtschaftlicher Aktivitäten bereitgestellt werden. Im Gegenzug sollte der bestehende Lebensstandard in den Gemeinden gesichert werden. In institutioneller Perspektive werden zwei Grundsätze von den Befragten gegenwärtig als äußerst wichtig erachtet: Privateigentum und Autonomie der Gemeinden. In dieser Hinsicht waren die bisherigen Strategien auch sehr erfolgreich. Fragmentierung im Glattal Die Herausforderungen in der Region werden von vielen Seiten wahrgenommen. Das zeigt sich alleine durch die Vielfalt der Akteure, die Vielfalt der Veröffentlichungen von Behörden und lokale Zeitschriften, die sich mit dem Thema beschäftigen, und in der Geschwindigkeit der räumlichen Veränderungen. Die Versuche, diesen Prozess überschaubar zu halten, sind daher keineswegs unbegründet. Der normative Ansatz der integrativen Planung für Nachhaltigkeit kollidiert aber mit der harten Wirklichkeit der Desintegration und Fragmentierung. Die folgenden Punkte zeigen die Widersprüche im Glattal auf und illustrieren, welche Probleme Integration im Bereich der sozio-ökonomischen und räumlichen Entwicklung verursacht. Constance Carr, Evan McDonough, Rainer Telaar Integration als konzeptioneller Baustein n Meinungsführer versus politisch Benachteiligte oder Ausgegrenzte: Mehrere Befragte gaben an, dass bei den Gemeindeversammlungen immer dieselben Personen erschienen, bei denen die Meinungsführer sich in verhandlungsstarke Positionen brachten, indem sie auf die motivierte Wählerschaft eingingen (Interview mit Gemeindevertreter, 09.04.2014; Interview mit Verwaltungsangestellten, 14.05.2014). Währenddessen wurden diejenigen, die nicht an den Versammlungen teilnehmen konnten, praktisch als politische „Befehlsempfänger“ marginalisiert. Diese letzte Gruppe setzt sich vorwiegend aus jüngeren Gemeindemitgliedern zusammen, die neu in die Region gezogen sind, um nahe am Flughafen beziehungsweise der Stadt Zürich zu wohnen. Dieses Phänomen weist auf eine wachsende Polarisierung zwischen Insidern und Außenseitern in der Praxis der direkten Demokratie hin. n Arbeitskraft versus Bewohner: Wachstumsdruck fördert Ambivalenz bezüglich der Wohnortfrage für die neuen Arbeitskräfte. Besserverdiener können sich die neuen Apartments leisten, während sich einkommensschwächere Einwohner auf längere Wege zur Arbeit einstellen müssen. Daraus resultiert zum einen ein Planungsdilemma zwischen Mobilität und Wohnort, und zum anderen entstehen wachsende Diskrepanzen zwischen den Lebensstilen von zugezogenen Stadtbewohnern und der älteren ländlichen Bevölkerung. n Profitierende versus benachteiligte Gemeinden: Einige Gemeinden sprachen sich gegen eine ‚Glatt Stadt‘ aus, da diese für sie kaum Vorteile mit sich bringen würde, während andere Gemeinden dagegen den Begriff eines integrierten Glatttals für die Umsetzung ihrer eigenen wirtschaftspolitischen Ziele nutzen (Interviews mit Verwaltungsangestellten Mai, 2014 und Juni, 2014). Dies kann zu Unstimmigkeiten, Konkurrenz und unfruchtbaren Dialogen unter die Gemeinden führen. Es spiegelt die generellen Beschränkungen der Gemeindebehörden wider, die sich entsprechend der NIMBY-Logik („Not in my backyard“) hinsichtlich der Verteilung von Nutzen und Kosten der Entwicklung verhalten. Fazit - Widersprüchliche Integration und Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit ist nicht ein schwierig umzusetzendes Konzept. Nadin (2001) und Holden (2012) vertreten die Sichtweise, dass es neuer Ansätze in der Raumplanung bedarf. Am Beispiel Glattregion lässt sich aber aufzeigen, dass es zwar versucht wird, Nachhaltigkeit als übergeordnetes Prinzip zu verfolgen und durch integrative Prozesse bei der Planung zu implementieren. In der Realität bleibt der Fokus der Akteure aber auf den Bereichen Ökonomie und selektiven ökologischen Ansätzen begrenzt und eine Nachhaltigkeitswende wird durch bewusste und unbewusste Fokussierung auf Eigeninteressen unterminiert. Der Transformationsprozess in der Glattregion bietet konkrete Chancen, neue Urbanitätsformen und Herangehensweisen bezüglich der Raumplanung und Nachhaltigkeit zu entwickeln. Bisher gibt es auch Bemühungen, neue Verflechtungen, Netzwerke und funktionelle Räume wahrzunehmen und zu fördern. Doch negative Auswirkungen oder Konflikte werden mittels dieser sogenannten Nachhaltigen integrativen Planung weder minimiert noch beseitigt. Die Autoren folgen daher an dieser Stelle den bisherigen, eher kritischen Stimmen (vgl. Allmendinger/Haughten 2009; Carr et al. 2015; Enright 2012; Stead/Meijers 2009) mit Blick auf das Thema Integration und Nachhaltigkeit. Integration stellt somit keinesfalls eine Zauberformel dar, die bei Anwendung für harmonische Ordnung (vgl. Faludi 1970) und Nachhaltigkeit sorgt. In der Glattregion, werden manche Probleme zwar womöglich gelöst (z.B. nachhaltiges Wirtschaftswachstum), aber dafür werden sich andere verstärken (Grundstückspreise, Mobilität) und sich wahrscheinlich neue ergeben (soziale Ungleichheiten). Der Bedarf nach einer „Flughafenregion“ wird immer noch durchaus in Frage gestellt, manche Gemeinden befinden sich in Konkurrenz zueinander, und neue Bewohner bleiben oft anschluss- und orientierungslos. Der überwiegende Bau von Wohnungen mit gehobenen Standard zieht zwar höherer Ein- © Flughafenregion Zürich 2013: 17 n Ländlich versus städtisch: Als bei einer Gemeindeversammlung Raumplaner und Politiker den aufkommenden Begriff der Glattstadt erklärten, erhob sich ein älterer Herr und äußerte, dass er sich „so seine Zukunft nicht vorstellen“ könnte. Er wolle seinen ländlichen Lebensstil beibehalten. Die Reaktionen auf seine Äußerungen fielen gemischt aus (Kopfschütteln und zustimmendes Nicken). Aber es wurde deutlich, dass die Entwicklungsvorhaben keinen uneingeschränkten Rückhalt in der Bevölkerung haben. Die „Flughafenregion“ und deren Notwendigkeit werden durchaus in Frage gestellt. Dieser Konflikt wurde auch in mehreren Interviews bestätigt (Interviews mit Architekt Mai, 2014, mit Umweltbeauftragte May, 2014, Verwaltungsangestellten, Juni, 2014, mit Raumplaner, April, 2014). Abb. 2: Die Gemeinden des Glattal haben ein teilweise erhebliches Überangebot an Arbeitsplätzen, wodurch es sich zu einer Einpendlerzone par excellence entwickelt. TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 77 © Constance Carr, 2014 Constance Carr, Evan McDonough, Rainer Telaar Integration als konzeptioneller Baustein Abb. 3: Der Innenhofs des Richti Areals in Wallisellen kommensschichten in die Gemeinde, fördert aber sowohl das räumliche Planungsdilemma zwischen Mobilität und Wohnort als auch neue Formen der sozialen Konflikte und Fragmentierung. Was die Governance-Strukturen betrifft, setzt integrative Planung auf Bundes-, Kantons- oder regionaler Ebene an, während die politischen Entscheidungsprozesse segmentiert und sehr lokaler Natur sind. Dies hat wiederum zur Folge, dass lokale Probleme Priorität gegenüber der Gesamtentwicklung genießen und schlussendlich weitere Fragmentierungen und Widersprüche geschaffen werden. Bemerkenswert ist, dass selbst das hoch entwickelte schweizerische Planungssystem welches auch für seine Partizipationsmöglichkeiten internationale Reputation genießt, enorme Widersprüche und Probleme aufweist. Dieses Forschungsprojekt zeigt, dass in der Praxis die Ideologie der Integration für Nachhaltigkeit schnell in einen Wachstumsansatz mündet, der hier die Verlagerung städtischer Funktionen Zürichs ins Umland zu Gunsten bestimmter Akteure fördert. Damit wird deutlich, dass Integration in der Raumplanung nicht unreflektiert angewendet werden kann. Ohne eine kritische Analyse und entsprechende Berücksichtigung in der Planung (in Bedacht auf räumliche Fragmentierung, soziale Polarisation, Ausgrenzung usw.) kann Integration zu widersprüchlichen beziehungsweise negativen Auswirkungen führen. Campbell (2000) hat argumentiert, dass es schlichtweg unmöglich ist, Nachhaltigkeit zu erreichen. Andere Arbeiten haben aufgezeigt wie weit entfernt viele Implementierungsversuche von einer nachhaltigen Entwicklung sind, (vgl. Carr et al. 2015; Carr/Affolderbach 2014). Nachhaltigkeit ist ein Paradox (vgl. Krueger/Gibbs 2007). Nach Campbell (2000, 296) kann 78 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Nachhaltigkeit nur durch „nachhaltige Auseinandersetzung mit Konflikten“ angenähert werden. Im Glattal, wäre das der Einstieg in die von Thierstein et al. (2005: 327) formulierte „vielschichtige Daueraufgabe“. Planung für Nachhaltigkeit wäre demnach die unablässige Suche nach und Auseinandersetzung mit Konflikten, Grenzen und Widersprüchen. ¢ Anmerkung Diese Arbeit wurde im Rahmen des Forschungsprojekts “Governance for sustainable spatial development – a comparative study of Luxembourg and Switzerland (SUSTAINGOV)” unter der Leitung von Prof. Dr. Markus Hesse und Dr. Constance Carr mit Unterstützung des Fonds National de la Recherche (FNR), Luxembourg, erstellt. 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As decisionmaking processes are dominated by property owners who are likely to gain from further development, elderly inhabitants feel alienated by the loss of their rural lifestyle, social inequality is increasing and so are the distances travelled by the valley’s new inhabitants. Anzeige KAMMERWAHL 2015 Stadtplanerinnen und Stadtplaner schaffen mit ihrer Arbeit die Voraussetzung für gut gestaltete Lebensräume. Sie initiieren und organisieren Prozesse, um gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern funktionale und ästhetische ansprechende Umfelder zu entwickeln, planen und gestalten den Stadtumbau. Stadtplanung braucht Fachleute, die mit Kompetenz und Verantwortung für das Wohl der Allgemeinheit eintreten. Unsere Disziplin hat unmittelbare Auswirkungen auf die Qualität der gebauten Umwelt der Bürgerinnen und Bürger. Daher wollen wir uns für eine angemessene Wahrnehmung und öffentliche Diskussion von Stadtplanung einsetzen. Wir verstehen uns als übergreifende Vertretung der Stadtplanerinnen und Stadtplaner unabhängig von der Art der Tätigkeit und des Ausbildungshintergrunds. → www.wir-stadtplaner.de STADT BRAUCHT STADTPLANERINNEN UND STADTPLANER! Rolf-Egon Westerheide Volker Bleikamp Michael Ahn Bitte wählen Sie die Kollegengruppe Wir StadtplanerIn NRW in die 11. Vertreterversammlung! Stefan Krapp Sabine Feldmann Torsten Stamm Reinhard Drees Regina Stottrop Bettina Krusat-Barnickel Johanna Schoppengerd Sonja Pack-Hast Martina Winandi Hartmut Welters Wilfried Brandt Wolfang Honecker Rita Hoff TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Heinrich Kummer Guido Wallraven Michael Isselmann RaumPlanung 182 / 6-2015 Leonore Wolters-Krebs Rainer Rutow 79 Notizen Auslobung: Werner-Ernst-Preis 2016 J Der Förderkreis für Raum- und Umweltforschung e. V. (FRU) hat Anfang Oktober 2015 den Werner-Ernst-Preis 2016 ausgeschrieben. Unter dem Wettbewerbsthema „Facetten der Reurbanisierung“ ruft er dazu auf, sich mit „Reurbanisierung“ auseinanderzusetzen. Arbeiten sind bis zum 15.03.2016 einzureichen. Dabei können sich die Beiträge aus unterschiedlicher Fachsicht mit dem Themenfeld befassen, sie können theoretisch-konzeptionell ausgerichtet sein oder sich empirisch auf Fallbeispiele oder einzelne Projekte beziehen. Der Wettbewerb richtet sich an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler (Master-, Promotionsoder Postdoc-Phase) ebenso wie an Personen, die sich in ihrer beruflichen Praxis in der Verwaltung, in Planungsbüros etc. mit Fragen der Stadt- und Raumentwicklung beschäftigen. Teilnehmen können demnach Studierende, Absolventinnen und Absolventen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Lehre, Forschung und Praxis aller relevanten Fachbereiche. Das Höchstalter beträgt 35 Jahre (Stichtag: 15. März 2016). Insgesamt ist der Werner-Ernst-Preis 2016 mit 4500 € dotiert. Die Preise werden im Rahmen des ARL-Kongresses vom 15. bis 18. September 2016 in Hannover überreicht. Die Verfasserin bzw. der Verfasser des mit dem ersten Preis ausgezeichneten Wettbewerbsbeitrages erhält Gelegenheit zur Vorstellung der Arbeit. Weitere Informationen auch zur Anmeldung unter www.fru-online.de STÄDTEBAULICHES KOLLOQUIUM Winter 2015/2016 J Im Wintersemester 2015/2016 bietet die TU Dortmund mit Unterstützung u. a. durch den IfR e. V. das Städtebauliche Kolloquium zum Thema "Reurbaniserung vs. Suburbanisierung" an, dass sich mit den anhaltenden Trend der Renaissance der Innenstädte und die Zukunft der suburbanen Räume befasst. Wie wirkt sich die zunehmende Attraktivität der Innenstädte auf die Dichte und die Wohnqualität aus? Wo liegen die aktuellen Herausforderungen der (Re-)Vitalisierung suburbaner Räume? Welcher Handlungs- und Gestaltungsbedarf resultiert aus dem Wechselspiel der aktuel- len Trends? Mit u. a. diesen Fragen wird sich im Laufe der drei Veranstaltungen beschäftigt. Die erste der drei Veranstaltung findet am 10. November 2015 zum Thema "Trends und Herausforderungen", die Zweite am 15. Dezmber zum Thema "Wohnen zwischen Urbanität und ländlicher Idylle" und die letzte Veranstaltung am 19. Januar 2016 zum Thema "Instrumente und Strategien" statt. Veranstaltungsort ist die Technische Universität Dortmund, Rudolf Chaudoire Pavilion, Campus Süd, Baroper Straße 297. Weitere Informationen unter www.staedtebauleitplanung.de Aktion „Stadtklang“: So klingt Deutschland J Im Rahmen des Wissenschaftsjahr 2015 „Zukunftsstadt“ werden mit der Aktion „Stadtklang“, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und Wissenschaft im Dialog (WiD) initiiert wurde, Städte zum Klingen gebracht. Vom Glockenspiel aus dem Kölner Rathausturm über Salsa-Klänge vom Berliner Spreeufer bis hin zum Muhen der Kühe beim Almabtrieb in Bad Hindelang: Mehr als 1.000 Alltagsgeräusche, Lieblingsklänge oder Lärmkulissen haben Menschen in Deutschland seit dem Start der Aktion Stadtklang am 1. August 2015 aufgenommen und in eine OnlineKlangkarte hochgeladen. „Mit der Aktion Stadtklang machen wir auf die bislang noch wenig bekannte Forschungsdisziplin der akustischen Stadtplanung aufmerksam. Geräusche prägen den Alltag von uns allen und beeinflussen unser Wohlbefinden. Forschung kann dazu beitragen, die Klangkulisse von Städten positiv zu beeinflussen“, sagte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka. Auf der Aktionsseite www.stadtklang2015.de können Bürgerinnen und Bürger auf der Webseite noch bis Februar 2016 Geräusche aus ihrem Umfeld mit dem Smartphone oder einem anderen mobilen Endgerät aufnehmen und in die Klangkarte hochladen. Zudem bietet die Website wissenschaftlich fundierte Informationen zu Themen wie Lärmforschung, Psychoakustik und akustischer Stadtplanung. Weitere Informationen unter www.stadtklang2015.de Ergebnisbericht zum 4. Hochschultag der Nationalen Stadtentwicklungspolitik erschienen J Im Oktober 2015 ist der Ergebnisbericht zum 4. Hochschultag der Nationalen Stadtentwicklungspolitik erschienen. Der vierte Hochschultag, der vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung veranstaltet wurde, fand vom 21. bis 22. November 2014 in Berlin statt. Im Mittelpunkt des Hochschultages stand das Themenfeld „Wohnen“, das in Vorträgen und Foren der Veranstaltung unter verschiedenen Aspekten 80 RaumPlanung 182 / 6-2015 beleuchtet wurde. Der Ergebnisbericht präsentiert dazu anschaulich den in diesem Rahmen erreichten Stand des Dialogs zwischen der sich in Forschung und Lehre mit Fragen der Stadtentwicklung befassenden Wissenschaft und der städtebaulichen Praxis auf Bundes-, Länder und kommunaler Ebene. Er ist darüber hinaus ein Beleg für die Intensivierung von Kooperationen zwischen den Institutionen der Wissenschaft. Weitere Informationen unter www.bbsr.bund.de und www.dasl.de TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Campus Frankfurt University of Applied Sciences Fachleute für weltweite Stadtentwicklung: der internationale Masterstudiengang “Urban Agglomerations” D ie Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass den Herausforderungen des rapiden städtischen Wandels mit dem Wissen und den Methoden separater Fachdisziplinen allein nicht begegnet werden kann. Die Entwicklungen in den Stadtregionen des 21. Jahrhunderts machen – bereits in der Ausbildung – integrierte Herangehensweisen und Lösungsansätze erforderlich, die über die Grenzen voneinander isolierter technischer Disziplinen hinausgehen. Ein disziplinübergreifender Ausbildungsansatz Im Hinblick auf diese Herausforderungen legt der internationale, weiterbildende Master-Studiengang „Urban Agglomerations“, der seit 2008 an der Frankfurt University of Applied Sciences (FRA-UAS) angeboten wird, seinen Schwerpunkt auf einen disziplinübergreifenden Ausbildungsansatz. Dabei werden grundlegende „technische“ Fertigkeiten (in Bezug auf Stadtentwicklung, Stadtplanung, Stadttechnik und Infrastruktur, Datenanalyse und Geoinformationssysteme) mit nicht-technischen Wissens- und Aufgabenfeldern (wie Partizipation, Stake Holder-Analysen, Governance-Modellen und Projektmanagement) ebenso zusammengeführt wie mit den maßgeblichen sozialen und kulturellen Bestimmungsfaktoren und Phänomenen heutiger Stadtentwicklung. Internationale Vernetzung Urbane Agglomerationen sind von ihrem Wesen her multikulturelle Räume. Deshalb verfolgt der komplett englischsprachige, zweijährige Studiengang eine internationale Ausrichtung. In den ersten beiden Semestern werden in Frankfurt am Main grundlegende Fachkompetenzen vermittelt und ein interdisziplinäres Projekt bearbeitet. Das dritte Semester erfolgt dann im Ausland, an einer von derzeit mehr als 10 Partnerhochschulen weltweit, neben den europäischen Erasmus-Partnern in Schweden, Großbritannien, Italien, Polen, Portugal und der Türkei u. a. in Brasilien, Chile, Mexiko, Kolumbien, Thailand, Malaysia, Australien. Die Studierenden lernen und leben damit in mindestens zwei Ländern und machen – über das Fachstudium hinaus – vielfältige soziale und interkulturelle Erfahrungen, was zu einem wichtigen „Mehrwert“ des Studienprogramms beiträgt. Berufliche Wege Etwa 60 Absolventinnen und Absolventen haben den Studiengang seit seiner Gründung abgeschlossen. Die Mehrzahl von ihnen kommt aus dem europäischen und weltweiten Ausland und hat, umfassend qualifiziert, in ihren Heimatländern seither erfolgreiche Tätigkeiten im öffentlichen wie privaten Sektor aufgenommen, z. B. in Stadtentwicklungsbehörden in Istanbul, Ankara, Taipeh sowie kleineren Kommunen in Deutschland und in Schweden, Regionalplanungsverbänden in Banda Aceh und Hannover, dem Umweltministerium des Saarlands, freien Ingenieur- und Planungsbüros in Frankfurt, Bogotá, Kuala Lumpur, Düsseldorf sowie zahlreichen Hochschulen und Forschungsinstituten. Daraus hat sich inzwischen ein internationales AlumniNetzwerk gebildet. Wohnen und Stadtumbau im globalen Kontext Im Zentrum eine Reihe von Modulen und Projekten des Studiengangs stehen die Herausforderungen der Wohnversorgung und des Stadtumbaus bzw. der Stadterneuerung, vor allem in schnell wachsenden Stadtagglomerationen. Gegenwärtige Tendenzen formeller und informeller Stadtentwicklung, Gründe und Auswirkungen einer zunehmenden Segregation, Fragmentierung und Gentrifizierung und sich wandelnde soziale und ökologische Risikofaktoren im Lebensraum Stadt werden dabei vermittelt und diskutiert. Im Verständnis des Architekten und Stadtplaners als Teil einer komplexen Akteursgemeinde wird damit in theoretischen und praktischen Planungsaufgaben nach Konzepten gesucht, die Bewohner und die je- weilige Community und deren Kultur(en) aktiv einbeziehen, um somit zukunftssichere und nachhaltige Stadtentwicklungsund Wohnbauprojekte zu entwickeln. Erste Preise beim internationalen UNHabitat Studierendenwettbewerb Vor diesem Hintergrund und im Rahmen des Lehrmoduls “Urban Renewal and Redevelopment” nahmen die Studierenden 2014 an dem von UN-Habitat international ausgelobten Studierendenwettbewerb “Urban Revitalization of Mass Housing” teil. Es ging darum, im globalen Kontext eine entwicklungsoder veränderungsbedürftige Großsiedlung auszuwählen und Konzepte zu ihrer Verbesserung und Anpassung an lokale Bedürfnisse vorzuschlagen. Bewusst wurden im Kurs auch unvollendete Großprojekte in die Debatte mit einbezogen. Vier interdisziplinäre Teams arbeiteten schließlich an Projekten in Litauen, Jordanien, Ägypten und dem Iran. Zwei Teams wurden als Gewinner in der jeweils nationalen Kategorie ausgezeichnet: zum einen das Team “Making Heritage Sustainable“ (Allyson Murillo, Eugenia Marinaki, Marvin Alvarado Brenes, Mina Mansourian, Öykü Ülgüner, Shikha Salla Mohanraj), das die Großsiedlung Karoliniskes in Vilnius/Litauen unter Einbeziehen der Bewohner zu einer produktiven Nachbarschaft machen will; und zum anderen das Team “Checker Planner“ (Gustavo Alberto Tánori Rivera, Carolina Zabas Roelandt, Khalil Albitar, Rajiv Irungbam, Talia Figueroa und Relder Legus), das für das unvollendete Großprojekt Al-Zarqa in Jordanien eine Bottom-Up-Strategie vorsieht und vor allem den sozialen Zusammenhalt im Rahmen eines neuen, gemischten und gemeinschaftlich gestalteten Masterplans entwickeln möchte. Kontakt: ua-info@fb1.fra-uas.de www.urban-agglomerations.eu Prof. Dr. Michael Peterek, Prof. Dr. Kathrin Golda-Pongratz, Frankfurt TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 81 Campus Flächen sparen – Land bewahren! BMBF-Fördermaßnahme Nachhaltiges Landmanagement diskutiert auf Dortmunder Workshop Möglichkeiten zur Umsetzung innovativer Lösungen G egenwärtig werden in Deutschland über 70 ha Freiflächen in Siedlungsund Verkehrsflächen umgewandelt. Dies führt zu dem Verlust von Grund und Boden als wichtiger natürlicher Ressource. Die Bundesregierung hat daher im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie das Ziel formuliert, diese Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke erheblich zu reduzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, sind innovative Lösungen gefragt. Flächensparen in wachsenden und schrumpfenden Räumen Herr Osterhage vom ILS stellte eingangs die aktuellen Prognosen für die Bevölkerungsentwicklung in Nordrhein-Westfalen vor, die Auswirkungen auf die Raumentwicklung und damit auch auf die Landnutzung hat. Aktuelle Annahmen stehen zum Teil den vorherigen Prognosen entgegen. So verteilen sich mit den Trends zur Reurbanisierung Wachstums- und Schrumpfungsräume neu. Die veränderten Annahmen der Bevölkerungs- und Raumentwicklung zeigen die Notwendigkeit, mit dem Instrumentarium in der Planungspraxis zwischen Wachstums- und Schrump- © Risse/ILS 2015 Im Rahmen der Fördermaßnahme „Nachhaltiges Landmanagement“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) werden diese innovative Lösungen entwickelt. Am 27. August 2015 wurden sie in einem Regionalworkshop in Dortmund zur Diskussion gestellt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V., an dem das wissenschaftliche Begleitvorhaben der Fördermaßnahme angesiedelt ist, in Kooperation mit dem Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH (ILS). Ziele des Workshops waren, die Ergebnisse aus der BMBF-Fördermaßnahme vorzustellen, gemeinsam die Möglichkeiten zur Umsetzung in NordrheinWestfalen zu diskutieren sowie Überlegungen für neue Kooperationen treffen. Knapp einhundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer insbesondere aus der Praxis in Nordrhein-Westfalen beteiligten sich an dem Workshop. Abb. 1:Reger Zuspruch für den Regionalworkshop 82 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 fungsräumen unterscheiden und dabei flexibel auf zukünftige Entwicklungen reagieren zu können. Professor Thomas Weith vom ZALF stellte das Flächensparen in den Zusammenhang der übergeordneten Raumstrategie der Innenentwicklung vor Außenentwicklung. Er zeigte dabei die Notwendigkeit auf, Flächensparen in örtliche und regionale Gesamtstrategien eines nachhaltigen Landmanagements zu integrieren. Dabei machte er deutlich, dass „die Umsetzung des Ziels ‘Innenentwicklung vor Außenentwicklung‘ heute eine zentrale Aufgabe für Gemeinden und Regionen darstellt. Wichtig ist, mit Augenmaß vorrangig freie innerörtliche Bauflächen zu nutzen. Das vorhandene Wissen hierzu aus den Projekten muss nun angewandt und weiterverbreitet werden.“ Nutzen der Ergebnisse aus den Regionen für die Regionen Die neuen Siedlungs- und Verkehrsflächen entstehen überwiegend auf bisherigen landwirtschaftlichen Flächen. Mit dem Flächensparen wird daher ein wichtiger Beitrag zur Lösung von Konflikten zwischen der Siedlungsentwicklung und der Landwirtschaft erreicht. Darüber hinaus werden aber auch Landnutzungskonflikte innerhalb der landwirtschaftlichen Nutzung reduziert. Denn wenn Freiflächen für die Landwirtschaft erhalten bleiben, können diese genutzt werden, um gleichzeitig Pflanzen für Ernährung, Futtermittel, Energie und stoffliche Verwertung anzubauen. Innovative Lösungen zum „Land bewahren“ entstehen daher aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Zum einen stellt sich die Frage, wie Siedlungsentwicklung intelligent gesteuert werden kann. In dem Verbundprojekt RegioProjektCheck wurde hierfür ein neues Planungswerkzeug entwickelt. Wenn neue Siedlungsflä- © Risse/ILS 2015 Campus Abb. 2: Diskussion zur Umsetzung der innovativen Lösungen (Quelle: Risse/ILS 2015) chen in Anspruch genommen werden müssen, dann solle dies an geeigneten Standorten und in geeigneter Form erfolgen. Das Werkzeug, so Andrea Dittrich-Wesbuer vom ILS, unterstütze in einem frühen Stadium die Entscheidungsfindung für neue Großvorhaben, z. B. für Wohnen und Gewerbe. Entsprechend wird mithilfe diverser Bewertungskriterien ein bestmöglicher Projektstandort identifiziert. Das in dem Projekt entwickelte Werkzeug und in mehreren Regionen bereits erfolgreich getestete Werkzeug steht kostenlos im Internet auch allen anderen Regionen zur Verfügung. Es ist auch für die Bürgerbeteiligung einsetzbar. Herr Prof. Carsten Gertz präsentierte ein weiteres, im Verbundprojekt €LAN entwickeltes Werkzeug. Vor dem Hintergrund der zukünftig erwarteten Energiepreissteigerung ging das Verbundprojekt der Frage nach, wie sich diese Preissteigerung auf das Mobilitätsverhalten in einer Region sowie auf die Siedlungsflächenentwicklung auswirkt. Hierfür wurde mit Planspielen ein Modell entwickelt, das insbesondere das Entscheidungsverhalten lokaler Akteure besser abbildet, zugleich aber auch für die Praxisakteure der Metropolregion Hamburg die Entwicklung neuer Strategien ermöglicht. Seit dem Projektende nutzt nun der Hamburger Verkehrsverbund das Modell zur Wei- terentwicklung seines Verkehrsnetzes. Zum anderen sind neue Lösungen zum Ausgleich von Landnutzungskonflikten innerhalb des Freiraumes gefragt. Hier stellte Prof. Dr. Peter Rohler von der Hochschule Ostwestfalen-Lippe Ergebnisse aus dem Verbundprojekt KuLaRuhr vor. Unter dem Stichwort „Ernten statt Pflegen“ sollen Flächen des Emscher Landschaftsparks nachhaltig genutzt werden. Für die Entwicklung eines „Produktiven Parks“ könnte die bislang kostenintensive Parkpflege mit einer regionalen Biomassestrategie – mit positiven Effekten für die regionale Wertschöpfung – verknüpft werden. Dies erfordere allerdings neue Managementkonzepte. Alle vorgestellten innovativen Lösungen verdeutlichten, dass die bestehenden Akteursnetzwerke und Planungs- und Steuerungsstrukturen zur Landnutzung weiterentwickelt werden müssen, um eine nachhaltige Landnutzung zu erreichen. Eine Schlüsselbedeutung hat dabei die Stärkung regionaler Kooperationsformen, auf Basis transparenter Informationsgrundlagen. Hierbei ist eine Weiterentwicklung des Wechselspiels zwischen formellen Instrumenten (v.a. Landesentwicklungsplan Nordrhein-Westfalen, neuer Regionalplan für das Ruhrgebiet) und informellen Instrumente (z. B. Sied- lungsflächenmonitoring, regionaler „Kümmerer“ für Kooperationen) erforderlich. Fördermaßnahme leistet Mehrwert für Praxis und Wissenschaft Die Regionalveranstaltung in Dortmund stellte den Mehrwert der Fördermaßnahme unter Beweis, sowohl für die Anwendung in der Praxis als auch für den Erkenntnisgewinn in der Wissenschaft. Die Präsentationen der Verbundprojekte zeigten den Teilnehmenden, dass die in den Untersuchungsräumen getesteten Produkte auch in anderen Regionen angewendet werden können. Die Produkte können in einer umfangreichen Wissensthek ausgewählt und in einem Internetforum diskutiert werden (siehe http:// nachhaltiges-landmanagement.de/de/ wissensthek). Der Regionalworkshop bildete den Auftakt einer Veranstaltungsreihe, um in verschiedenen Regionen in Deutschland den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis zu stärken. Weiterführende Informationen finden Sie unter www. modul-b.nachhaltiges-landmanagement.de Dr.-Ing. Christian Strauß, Potsdam-Babelsberg TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 83 Campus Studium – und dann? Perspektiven im Berufsfeld Stadt-, Regional- und Landesplanung K ommunikationstalent, Einfühlungsvermögen und grundsolide Fachkenntnisse sind notwendige Voraussetzung für eine Karriere in der Stadt-, Regional- und Landesplanung. Darin waren sich die ExpertInnen aus Planungsbüros und der öffentlichen Verwaltung einig. Bei der Informationsveranstaltung für Studierende der Landschaftsarchitektur und Umweltplanung am 29. April 2015 in der Leibniz Universität Hannover stellten vier PraktikerInnen anhand ihres persönlichen Werdegangs Möglichkeiten im Berufsfeld vor. Rund 60 Studierende der Landschaftsarchitektur und Umweltplanung an der Leibniz Universität Hannover LUH informierten sich über ihre beruflichen Perspektiven. Dabei lag der Schwerpunkt in diesem Jahr auf der Stadt-, Regional- und Landesplanung. Roswitha Kirsch-Stracke (Institut für Umweltplanung IUP), die im Rahmen der Hochschulselbstverwaltung das Praktikantenamt der Fachgruppe Landschaft betreut, hatte die Veranstaltung organisiert. Das große Arbeitsfeld der Stadt-, Regional- und Landesplanung umfasst zum einen die (formelle) Einbindung freiraum- und umweltplanerischer Themen und Inhalte in die räumliche Gesamtplanung auf kommunaler, regionaler und Landesebene mit all ihren planungsmethodischen und planungsrechtlichen Aspekten und Aufgaben. Zum anderen gehören hierzu die eher informellen Planungen z. B. in der Dorfentwicklung und der Regionalentwicklung: Viele AbsolventInnen der Landschaftsarchitektur und Umweltplanung organisieren, moderieren, begleiten und dokumentieren solche Prozesse. Praxispartner bei der Vorbereitung der Veranstaltung war der Informationskreis für Raumplanung e.V. IfR, einer der Berufsverbände im Bereich Stadt-, Regional und Landesplanung. Er wur- 84 RaumPlanung 182 / 6-2015 de vertreten durch Dr. Christian Poßer (s. u.), Fachbereich Naturschutz und Grünplanung der Stadt Duisburg. Moderiert von Prof. Dr. Frank Othengrafen (IUP) gaben vier Fachleute aus einem kleineren und einem größeren Planungsbüro, einer Stadtverwaltung und einem Ministerium Einblicke in ihren Arbeitsalltag und beruflichen Werdegang. Sie erklärten ihre Erwartungen an junge KollegInnen und stellten sich ihren Fragen. Karin Bukies, Dipl.-Ing. Landespflege Hannover 1985, führt gemeinsam mit einem Architekten und Stadtplaner das Büro Planungsgruppe Stadtlandschaft Hannover (www.stadtlandschaft.de). Die eingetragene Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin SRL erläuterte das Arbeitsfeld Dorfentwicklung, in dem sie seit fast 30 Jahren tätig ist, schwerpunktmäßig in Niedersachsen. Karin Bukies war auf Umwegen zum Studium der Landespflege gekommen. Ihre Kenntnisse aus dem Ausflug in die Sozialwissenschaften und aus der Tätigkeit für die Niedersächsische Denkmalkartei kann sie in ihrem jetzigen Beruf gut brauchen. Auch ihr besonderes Interesse an der historischen Entwicklung von Orten ist in der Dorferneuerungsplanung wertvoll. Der Wechsel von Schreibtischarbeit und Vor-Ort-Terminen mit Bestandsaufnahmen und Arbeitskreisen bedeutet viel Abwechslung im Berufsalltag, insbesondere im Sommer. Als Selbstständige kann Karin Bukies ihre Arbeitszeit relativ frei gestalten. Allerdings sind viele Abendtermine wahrzunehmen, und die freiberufliche Tätigkeit bringt vor allem in Projektendphasen manche Überstunde mit sich. „In meinem Tätigkeitsfeld sind Empathie und die Fähigkeit, fachliche Inhalte allgemein verständlich, kurz und präzise erklären zu können unverzichtbar“, erklärte Karin Bukies. Von zentraler Bedeutung sei es, ein Projekt strukturieren und (sprachlich gute) Berichte verfassen zu können TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 – deshalb hält sie Studienprojekte, wie sie seit über 40 Jahren die Ausbildung in Hannover bestimmen, für die wichtigste Lehr- und Lernform. Für MitarbeiterInnen sei zeichnerisches Talent von Vorteil, wobei der Entwurf aber einen insgesamt eher geringen Anteil der täglichen Arbeit einnehme. In den übrigen Arbeitsfeldern des Büros wie Bauleitplanung und Landschaftsplanung seien gute Kenntnisse des Planungsrechts unabdingbar. Dr. Christian Poßer, Dipl.-Ing. Landespflege Essen 1989, Dipl.-Ökologe Essen 1998, Dr. Ing. Stadt- und Regionalplanung Dortmund 2012, zeigte an seinen Werdegang auf, wie man sich vom Gärtner über den Landespfleger und Ökologen zum Raumplaner entwickeln kann. Seine Studienarbeiten über Biotopmanagementplanungen von Schutzgebieten sowie die Untersuchung und Inwertsetzung von Obstwiesen in Duisburg führten ihn über seiner Tätigkeit in der kommunalen Stadtplanung zur grundsätzlichen Beschäftigung mit freiraumplanerischen Leitbildern in der Stadtentwicklung. Heute bringt Christian Poßer als Landschaftsarchitekt und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Amt für Umwelt und Grün, Fachbereich Naturschutz und Grünplanung der Stadt Duisburg (www.duisburg.de/ micro2/duisburg_gruen/index.php), Freiraumthemen in die Stadt- und Regionalentwicklung ein. „Mich motiviert, bei Entscheidungen über bestimmte Raumentwicklungen mitzuwirken und Akzente setzen zu können“, erklärte Christian Poßer. Die Nahtstellen zwischen Verwaltungshandeln und politischem Handeln zu verstehen und dafür eine Sensibilität zu entwickeln, sei auch, neben dem praktischen Tun, einer der wesentlichen Lernprozesse nach dem Berufseinstieg. Von jungen KollegInnen wünscht sich Christian Poßer neben fundiertem fachlichen Grundwissen und einer dem Berufsbild entsprechende Ausdrucksfähigkeit in Wort und Schrift vor allem aber „eine Campus gewisse Demut: Erkennen, was man weiß – und besonders, was man noch nicht weiß – und dann die Lust am lebenslangen Lernen behalten!“ Tanja Frahm, Dipl.-Ing. Landschaftsund Freiraumplanung Hannover 2002, ist eine von vier GeschäftsführerInnen bei KoRiS – Kommunikative Stadt- und Regionalentwicklung (www.korishannover.de). Das hannoversche Büro mit Standorten auch in anderen Städten hat einen Arbeitsschwerpunkt in der Regionalentwicklung und im Regionalmanagement. In diesem Tätigkeitsfeld sind selbstverständlich viele VorOrt-Termine, auch abends, notwendig. Trotzdem ist KoRiS bekannt für seine Familienfreundlichkeit: Über HomeOffice und flexible Arbeitszeiten wird den MitarbeiterInnen ermöglicht, ihre jeweilige private Lebenssituation, z. B. die ersten Jahre der Elternschaft, mit einem engagierten Berufsalltag zu verbinden. Ursache – oder Folge: Drei Viertel des 15-köpfigen Teams und ebenso der Geschäftsführung sind weiblich. „Ich wünsche mir BewerberInnen mit einem prozessorientierten, kooperativen Planungsverständnis, die sowohl im direkten, persönlichen Kontakt als auch im schriftlichen Ausdruck überzeugen“, so Tanja Frahm. Diese Fähigkeiten sind notwendig, wenn z. B. wie im letzten Jahr in kurzer Zeit mehrere Regionale Entwicklungskonzepte erarbeitet und fertig gestellt werden müssen. Fabian Wais, Dipl.-Ing. Landschaftsund Freiraumplanung Hannover 2007 und Assessor der Landespflege 2010, stellte anhand seines Werdeganges das „Landespflege-Referendariat“ vor (www.landespflege-referendariat.de). Das Referendariat gilt nach wie vor als „Königsweg“ für die höhere Verwaltungslaufbahn im Naturschutz und der räumlichen Gesamtplanung auf kommunaler, regionaler und auf Landesebene. Die zweijährige Ausbildung, die mit dem zweiten Staatsexamen abschließt, bietet einen breiten Einblick in Verwaltungsstrukturen und in planungsrechtliche Zusammenhänge. Alternativ zum Landespflege-Referendariat steht AbsolventInnen der Landschaftsarchitektur und Umweltplanung mit Masterabschluss auch das Städtebau-Referendariat offen. Nach zwei Jahren in der Regionalplanung des Landkreises Holzminden arbeitet Fabian Wais heute im Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (www.ml.niedersachsen.de) im Referat Raumordnung und Landesplanung. Zurzeit ist er mit der Änderung des Landes-Raumordnungsprogramms beschäftigt. „Ich finde es als Landschaftsund Freiraumplaner wichtig, alle Ansprüche an den Raum in der Landesplanung mit Blick auf Langfristigkeit möglichst gut zusammenzuführen, und dabei neben den wirtschaftlichen und sozialen Aspekten die Umweltbelange angemessen einzubeziehen“, so sieht Fabian Wais seine Aufgabe und Verantwortung. Anders als die bisher vorgestellten Arbeitsbereiche ist sein Berufsalltag eine Schreibtischtätigkeit und von klaren Hierarchien und festgelegten Zuständigkeiten geprägt. Als Vorteile einer Verwaltungstätigkeit nannte Fabian Wais unter anderem die geregelten, familienfreundlichen Arbeitszeiten (Gleitzeit, Zeiterfassung, Möglichkeiten der Teilzeit) und die transparente Vergütung. In der Diskussionsrunde, moderiert von Prof. Dr. Rainer Danielzyk (IUP, ARL), waren sich alle Referierenden einig, dass der Wille zum lebenslangen Lernen sowie die Fähigkeit, sich schriftlich und mündlich auszudrücken wesentliche Voraussetzungen für das Berufsfeld der Stadt-, Regional und Landesplanung sind (aber sicherlich nicht nur hier). Während in den eher informellen Prozessen der Dorfentwicklung und Regionalentwicklung Kommunikationsfähigkeit und Empathie ganz vorne stehen, sind es in der eher formellen Planung in den Verwaltungen aller Ebenen besonders planungsfachliche und rechtliche Kenntnisse und das Wissen und Erkennen von Entscheidungswegen. Die Vernetzung über Berufsverbände und Interessensgruppen wurde von allen Referierenden als ungemein wertvoll hervorgehoben, Konkurrenzen der Vereinigungen spielen dabei keine Rolle, zumal der mehr wissenschafts- orientierte IfR und die eher praxisorientierte SRL bereits über eine Fusion nachdenken. Die weiteren Organisationen und Initiativen sind durchweg auf mehreren Wegen miteinander verknüpft, über personelle Verbindungen ebenso wie über gemeinsam bearbeitete Themenfelder. Zum Abschluss der Veranstaltung stellte Markus Löwer, Geschäftsführer der Niedersächsischen Akademie Ländlicher Raum e.V. ALR, die Auslobung des diesjährigen ALR-Hochschulpreises vor. Unter den PreisträgerInnen der letzten Jahre waren mehrmals Studierende der Fachgruppe Landschaft der LUH. Im Foyer konnten sich die Studierenden über Aktivitäten unterschiedlicher Berufsverbände und weiterer Organisationen im Berufsfeld informieren. Vertreten waren: n Informationskreis für Raumplanung e.V. IfR (www.ifr-ev.de), n Vereinigung für Stadt-, Regionalund Landesplanung e.V. SRL (www. srl.de), n Akademie für Raumforschung und Landesplanung ARL (www.arl-net. de), n Niedersächsische Akademie Ländlicher Raum e.V. ALR (www.alr-niedersachsen.de), n Forschungsinitiative Transdisciplinary Rural and Urban Spatial Transformation TRUST der LUH (www.trust. uni-hannover.de), n Bundesverband Beruflicher Naturschutz BBN (www.bbn-online.de), Regionalgruppe Niedersachsen / Bremen / Hamburg. TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Roswitha Kirsch-Stracke, Hannover RaumPlanung 182 / 6-2015 85 Rezensionen Rezensionen n Gary White, Marguerite Pienaar, Bouwer Serfontein: AFRICA DRAWN. One Hundred Cities Rezensent: Ronald Kunze J Gary White, Marguerite Pienaar, Bouwer Serfontein AFRICA DRAWN. One Hundred Cities Vorwort von Elizabeth Plater-Zyberk. 280 × 300 mm, 244 Seiten, 300 Abbildungen. Hardcover. DOM Publishers, Berlin 2015. ISBN 978-386922-423-7 (englische Ausgabe). 48 EUR © AFRICA DRAWN. One Hundred Cities (S. 97) Africa gezeichnet? Über 300 detailgenau gezeichnete Pläne und Ansichten illustrieren anschaulich zeitgenössische und historische Siedlungsformen aus allen Bereichen des Kontinents und stellen der Leserschaft dabei die 100 größten und bedeutendsten Städte in jeweils drei unterschiedlichen Zeichnungen von Kairo bis Kapstadt, von Huambo (Angola) bis Lomé (Togo) vor. Dahinter steht ein von den Autoren mitbegründetes südafrikanisches Forschungsprojekt Africa Drawn. Ergänzt durch einen jeweils ein- führenden (englischen) Text reduzieren die Zeichnungen die komplexen urbanen Zusammenhänge auf die wesentlichen strukturellen Elemente, so dass die wichtigsten Merkmale der jeweiligen Stadt sichtbar werden. So ermöglicht das Buch erstmals eine vergleichende Betrachtung der Vielfältigkeit des Phänomens Stadt auf dem afrikanischen Kontinent. Die Urbanisierung des afrikanischen Kontinents schreitet rasant voran, die afrikanischen Städte und Metropolregionen gehören zu den am schnellsten wachsenden der Welt. Zahlreiche der heute als bedeutend angesehenen Orte kennt man nicht einmal mit Namen, wenn man sich nicht intensiv mit dem schwarzen Kontinent beschäftigt. Dabei wirken die in 2014 gezeichneten Stadtstrukturen doch teils recht statisch, wie seit langer Zeit unverändert. Was sich in den einzelnen Baublocks und in den Straßenräumen tatsächlich in den letzten Jahrzehnten geändert hat, kann man aus der gezeichneten Vogelperspektive Abb. 1: Algier (Ausschnitt) 86 RaumPlanung 182 / 6-2015 TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 natürlich nicht erkennen, weder die in manchen Orten herrschenden Straßenkämpfe, noch die wohl fast durchgängige technologische Aufrüstung durch mobile Kommunikationsmittel. Und dennoch scheinen lebendiges Flair und heißes Klima wie von selbst aus den Zeichnungen empor zu zusteigen. Das Ergebnis dieser faszinierenden Dokumentation städtischer Räume in Afrika ist eine Analyse urbaner Strukturen und Morphologien aus ganz unterschiedlichen Bereichen: Von Nordafrika (19) über Westafrika (28), Ostafrika einschließlich Madagaskar und den Seychellen (29), Zentralafrika (14) bis Südafrika (10) werden die jeweils auftretenden Erscheinungsformen in 100 verschiedenen Beispielen in einer einheitlichen Darstellungsart abgebildet. Dabei unterscheiden sich typisch afrikanische Städte, islamische Städte, Kolonialstädte und europäische Städte. Durch das Nebeneinander von afrikanischen und per se fremden Elementen ergeben sich noch weitere Kategorien wie Dual Cities oder Hybrid Cities. Die doch recht unterschiedlichen Darstellungen machen dabei die historisch gewachsenen Raummuster sichtbar, deren Kenntnis notwendig ist, um die zukünftige Entwicklung der afrikanischen Städte erfassen zu können. Insgesamt ist das Werk eine ungeheure Fleißarbeit, die eine intensive Auseinandersetzung mit den afrikanischen Stadtstrukturen aufzeigt. Ronald Kunze, Langenhagen tion skreis für Ra e.V. Nachrichten aus dem Verband um p un g 40 J a h re I IfR intern a rm lan nf o IfR intern 1975 2015 – Geschäftsstelle: Gutenbergstr.34, 44139 Dortmund Tel. 0231 7595-70, Fax 0231 7595-97, E-Mail info@ifr-ev.de, www.ifr-ev.de Informationskreis für Raumplanung (IfR) – Das kompetente Fachnetzwerk Fahrrad-Exkursion der Regionalgruppe Niedersachsen (Braunschweig/Hannover) trug Tim Schneider vom Planungsamt der Stadt Magdeburg bei. Er steuerte gezielt die städtebaulich bedeutungsvollen Punkte an und gab mit seinen profunden Kenntnissen viele Hintergrundinformationen. Nach dem ersten Weltkrieg verfolgte der damalige Bürgermeister das Ziel, die Kompetenz der Stadtverwaltung mit erfahrenen Fachkräften zu erhöhen. So rief er 1921 den bekannten Architekten Bruno Taut in sein Verwaltungsteam. Taut war durch frühere Gartenstadtprojekte „Reform“ (Abb. 1 u. 2) und „Hopfengarten“ in Magdeburg aufgefallen. Beide Siedlungen im Süden der Stadt sind natürlich auf der Fahrradtour angefahren worden. Die Zeit von Bruno Taut als Stadtbaurat in Magdeburg war nicht lang. Bereits 1924 war sein Engagement beendet. In diesen Jahren leitete er zahlreiche planerische Diskussionsprozesse ein. Gebäude von ihm selbst entstanden in Magdeburg nur wenige. Erhalten ist noch die ehemalige Ausstellungshalle „Stadt und Land“, die jetzige Hermann Gieseler Sporthalle (nur die Spätabendradler waren bei diesem Besichtigungspunkt noch dabei). Es ist zu hoffen, dass dieses Bauwerk des ehemaligen Stadtbaurates von der Stadt Magdeburg weiter geschätzt und erhalten wird. Es soll wohl „dunkle Wolken“ am Horizont geben. Farbe, dieses städtebauliche Gestaltungsmittel, das bei Bruno Taut einen erheblichen Stellenwert besaß, löste damals in der Bürgerschaft Madeburgs © Wolfgang Brumund J Auf den Spuren von Bruno Taut, so lautete das diesjährige Motto der Fahrradexkursion, die die Regionalgruppe Niedersachsen, Braunschweig/Hannover des IfR in Magdeburg am 11.07.2015 durchführte. Das Wetter war bestens und die Besichtigungspunkte waren zahlreich und interessant. Dies führte dazu, dass einige Mitglieder nach einem guten Essen auf der Terrasse des „Porten“ (für die „Jüngeren“: Henny Porten, gebürtige Magdeburgerin, war ein Starlet der Stummfilmzeit) direkt neben dem Schauspielhaus, noch bis kurz vor 22.00 Uhr die Spuren des legendären Architekten verfolgten und dann in die Regionalbahn nach Helmstedt/Braunschweig stiegen. Trotzdem, schon beim Essen war klar, dass eine weitere Fahrradtour nach Magdeburg Sinn macht. Für den Erfolg der Tour Abb. 1 und Abb. 2: Gartenstadt “Reform” TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 RaumPlanung 182 / 6-2015 87 IfR intern Das Rathaus im Jahr 2015 hat wieder eine schlichte, zurückhaltende Farbfassung (Abb. 3). Aber am Domplatz, wo wenige historische bzw. nach dem 2. Weltkrieg wiederaufgebaut Gebäude auf die Architektur der Nachwendezeit, wie z. B. das Verwaltungsgebäude von Bolles und Wilson mit 275 Tonnen bläulichen Natursteinplatten aus Brasilien, treffen, gibt es noch eine Farbexplosion jüngeren Datums. Über die Grüne Zitadelle von Hundertwasser am Domplatz mag man unterschiedlicher Auffassung, von Begeisterung bis die Nase rümpfen, sein. Für Magdeburg ist dieses bunte Gebäude eine Attraktion, die auch von Touristen angenommen wird. Auch Bruno Taut verfolgte mit bunter Architektur das Ziel, Menschen nach Magdeburg zu locken. Die Stadt Magdeburg hat hervorragende Publikationen über die städtebaulich spannende Zeit zwischen den beiden Weltkriegen erstellt: über die Gartenstädte Hopfenkamp und Reform, natürlich über das Wirken von © Wolfgang Brumund kontroverse Diskussionen aus. Der Stadtbaurat war nicht unumstritten (aber welcher Stadtbaurat ist schon unumstritten). Historische Postkarten mit einem „Gruß vom bunten Magdeburg“ oder mit dem Rathaus in den Farben der 20ger Jahre und dem Aufdruck „Magdeburg die bunte Stadt“ sind Zeugnisse der damaligen Bewegung. Abb. 3: TeilnehmerInnen am Magdeburger Rathaus Bruno Taut und seine Schriftenreihe „Frühlicht“, über die Ausstellungshalle Stadt und Land, über die Stadthalle und über weitere Großsiedlungen der 20ger Jahre. Es macht Spaß, sie zu lesen. Die Veröffentlichungen sind zwar weitgehend vergriffen, lassen sich über die einschlägigen Suchmaschinen dieser Welt auf einen Monitor im Wohnzimmer befördern. Übrigens, Nachfolger von Bruno Taut als Stadtbaurat von Magdeburg wurde Johannes Göderitz. Dieser wiederum war nach dem Zweiten Weltkrieg Stadtbaurat in Braunschweig. Abb. 4: Wohnungsbau am Alten Elbbahnhof 88 RaumPlanung 182 / 6-2015 Neben den stadtbaugeschichtlichen Spuren konnten sich die Teilnehmer der diesjährigen Fahrradexkursion über aktuelle Themen der Magdeburger Stadtplanung informieren. Überzeugend ist das neue elbnahe Wohnquartier „Am Elbbahnhof“ (Abb. 4), aber auch die Stadtsanierung in industriell geprägten Stadtteil Buckau (Abb. 5) hat Akzente gesetzt. TRI ALOG 12 0 / 12 1 1-2 / 2 0 15 Abb. 5: Sanierung in Buckau Wolfgang Brumund, Helmstedt Kalender Termine Dezember 2015 straße 1, 80333 München, Tel. 089/5427060, office@isw.de, weitere Informationen: www. isw-isb.de 08027/1785, oekologische-akademie@gmx. de, weitere Informationen: www.oeko-akademie.de 2. Dezember, Wiesbaden _____________ 8. Dezember, Frankfurt am Main_______ 14. Dezember, Düsseldorf_____________ Klimaschutz braucht Initiative – seien Sie dabei Fördermittel für den kommunalen Klimaschutz. Deutschlandweite Infotour 2015/2016. Veranstaltungsort: Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Mainzer Str. 80, 65189 Wiesbaden, Kontakt: Serviceund Kompetenzzentrum: Kommunaler Klimaschutz am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu), Dina Lieder, Tel. 0221/340308-12, lieder@difu.de weitere Informationen: www. difu.de/veranstaltungen Urbane und städtebauliche Sicherheit: Maßnahmen - Möglichkeiten - Perspektiven und Chancen. Veranstaltungsort: InterCityHotel Frankfurt Airport, Am Luftbrückendenkmal 1, 60549 Frankfurt am Main, Kontakt: vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V., Fax 030/390473690, seminare@vhw.de, weitere Informationen: www. vhw.de Jahresrückblick Bauleitplanung 2015. Veranstaltungsort: Hotel Leonardo City Center, Ludwig-Erhard-Allee 3, 40227 Düsseldorf, Kontakt: Institut für Städtebau und Wohnungswesen, Steinheilstraße 1, 80333 München, Tel. 089/5427060, office@isw.de, weitere Informationen: www.isw-isb.de 3. Dezember, München_______________ Revolution im Einzelhandel - Räumliche Auswirkungen des Onlinehandels und Handlungsempfehlungen für Kommunen. Veranstaltungsort: IHK Akademie München, Orleansstr. 10, 81669 München, Kontakt: Institut für Städtebau und Wohnungswesen, Steinheilstraße 1, 80333 München, Tel. 089/5427060, office@isw.de, weitere Informationen: www. isw-isb.de 3. Dezember, München_______________ Wohn-Dialog München: Dichter, höher, innovativer – Auswege aus dem Wohn-Dilemm. Veranstaltungsort: Hotel Vier Jahreszeiten Kempinski München, Maximilianstraße 17, 80539 München, Kontakt: Frau Tanja Zinke, Tel. 0211/4690517, zinke@heuer-dialog.de, weitere Informationen: www.heuer-dialog. de/veranstaltungen 4. Dezember, Braunschweig __________ Regionalgruppen-Stammtisch “Jahresplanung 2016”. Veranstaltungsort: Gaststätte Mexicana, Am Wollmarkt 14, 38100 Braunschweig. Kontakt: IfR-Regionalgruppensprecher Frank Schröter, f.schroeter@tu-bs.de, weitere Informationen: www.ifr-ev.de 5. Dezember, Berlin__________________ 20. Berliner Gespräch. Veranstaltungsort: DAZ - Deutsches Architektur Zentrum, Köpenicker Str. 48-49, 10179 Berlin, Kontakt: Bund Deutscher Architekten BDA, Köpenicker Straße 48-49, 10179 Berlin, Tel. 030/2787990, kontakt@bda-bund.de, weitere Informationen: www.bda-bund.de 7. Dezember, Stuttgart _______________ Jahresrückblick Bauleitplanung 2015. Veranstaltungsort: Haus der Architekten, Danneckerstr. 54, 70182 Stuttgart, Kontakt: Institut für Städtebau und Wohnungswesen, Steinheil- 9. Dezember, Frankfurt am Main ______ Radverkehr, Fußverkehr und ÖPNV. Wie das Miteinander gelingen kann. Veranstaltungsort: Mainfeld Raum für Kultur, Festsaal, Im Mainfeld 6, 60528 Frankfurt am Main, Kontakt: Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH, Fahrradakademie, Zimmerstraße 13–15, 10969 Berlin, Dipl.-Ing. Simone Harms, Tel. 030/39001132, harms@difu.de weitere Informationen: www.fahrradakademie.de 9. Dezember, Berlin _________________ Bürgerticket – Königs- oder Holzweg? Veranstaltungsort: Deutsches Institut für Urbanistik, Zimmerstraße 13-15 (Eingang 14-15), 10969 Berlin, Kontakt: Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH, Sylvia Koenig, Tel. 030/39001258, koenig@difu.de, weitere Informationen: www.difu.de/veranstaltungen 9. Dezember, Freiburg _______________ Freiburg. Nichts geht mehr!? Wo bleiben die Wachstumsperspektiven für die Stadt?.Veranstaltungsort: Humboldtsaal Freiburg, Humboldtstraße 2, 79098 Freiburg, Kontakt: Frau Tanja Zinke, Tel. 0211/4690517, zinke@heuerdialog.de, weitere Informationen: www.heuer-dialog.de/veranstaltungen 15. Dezember, Berlin _________________ Aktuelle Fragen zum öffentlichen Baurecht auf den Punkt gebracht. Veranstaltungsort: Hotel NH Berlin, Friedrichstraße 96, 10117 Berlin, Kontakt: vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V., Fax 030/390473690, seminare@vhw.de, weitere Informationen: www.vhw.de 17. Dezember, Hamburg ______________ Unterbringung von Flüchtlingen - Baurecht in Krisenzeiten. Veranstaltungsort: Hotel Hafen Hamburg, Seewartenstraße 9, 20459 Hamburg, Kontakt: vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V., Fax 030/390473690, seminare@vhw.de, weitere Informationen: www.vhw.de Januar 2016 12. Januar, Düsseldorf _______________ HOAI aktuell — Auswirkungen auf die Vertrags- und Abrechnungspraxis in der Stadtplanung. Veranstaltungsort: Düsseldorf, Kontakt: Akademie der Architektenkammer NRW gGmbH, Zollhof 1, 40221 Düsseldorf, Fax 0211/496793, anmeldung@akademie-aknw. de, weitere Informationen: www.akademieaknw.de 10. Dezember, Berlin_________________ Beherbergung von Flüchtlingen - Praxiserfahrungen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft. Veranstaltungsort: Hotel Sylter Hof, Kurfürstenstraße 114–116, 10787 Berlin, Kontakt: vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V., Fax 030/390473690, seminare@vhw.de, weitere Informationen: www.vhw.de 13. Januar, Berlin ___________________ Nicht ohne meine Nachbarn!? Interkommunale Kooperation in der „Spreeregion“. Veranstaltungsort: Difu, Zimmerstraße 13-15 (Eingang 14-15), 10969 Berlin, Kontakt: Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH, Sylvia Koenig, Tel. 030/39001258, koenig@difu.de, weitere Informationen: www.difu.de/veranstaltungen 11. – 12. Dezember, Reimlingen ________ 16. Januar _________________________ SRL: Moderation und Konfliktmoderation für PlanerInnen. Grundlagen – Übungen – Praxisfälle. Veranstaltungsort: Tagungshaus St. Albert, Reimlingen bei Nördlingen, Kontakt: Thomas Ködelpeter, Ökologische Akademie e.V., 83623 Dietramszell/Linden, Tel. Abstandsflächen und andere ausgewählte Fragen der ThürBO. Kontakt: Bauhaus Akademie Schloss Ettersburg gGmbH, Am Schloss 1, 99439 Ettersburg bei Weimar, Tel. 03643/ 7428417, info@bauhausakademie.de, weitere Informationen: www.bauhausakademie.de RaumPlanung 182 / 6-2015 89 Kalender 18. Januar, Düsseldorf _______________ 10. Februar, Düsseldorf ____________ Neue Aufgaben im Städtebaurecht — Innenentwicklung, Klimaschutz, Wohnungsbau, Wohnungen für Flüchtlinge. Veranstaltungsort: Düsseldorf, Kontakt: Akademie der Architektenkammer NRW gGmbH, Zollhof 1, 40221 Düsseldorf, Fax 0211/496793, anmeldung@akademieaknw.de, weitere Informationen: www. akademie-aknw.de Städtebauliche Nachverdichtung als Planungsaufgabe. Veranstaltungsort: Düsseldorf, Kontakt: Akademie der Architektenkammer NRW gGmbH, Zollhof 1, 40221 Düsseldorf, Fax 0211/496793, anmeldung@ akademie-aknw.de, weitere Informationen: www.akademie-aknw.de 27. Januar, Dortmund________________ Die Anwendung der TA-Lärm. Veranstaltungsort: Kongresszentrum Westfalenhallen, Rheinlanddamm 200, 44139 Dortmund, Kontakt: vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V., Fax 030/390473690, seminare@vhw.de, weitere Informationen: www.vhw.de 11. – 12. Februar, Potsdam __________ Fachtagung Infrasstruktur - Umwelt - Vergabe zum HVA F-StB . Veranstaltungsort: Potsdam, Kontakt: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur BMVI, Bund Deutscher Landschaftsarchitekten bdla, info@bdla.de, weitere Informationen: www.bdla.de 15. Februar, Berlin ________________ 10. Februar, Berlin ________________ Praxiskurs Artenschutz und Bauleitplanung über den problemangemessenen Umgang mit Flora und Fauna beim Planen. Veranstaltungsort: Hotel Sylter Hof Berlin, Kurfürstenstraße 114–116, 10787 Berlin, Kontakt: vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V., Fax 030/390473690, seminare@vhw. de, weitere Informationen: www.vhw.de Mehr Mitbestimmung in der Stadt. Chancen und Risiken von Volksentscheiden. Veranstaltungsort: Deutsches Institut für Urbanistik, Zimmerstraße 13-15 (Eingang 14-15), 10969 Berlin, Kontakt: Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH, Sylvia Koenig, Tel. 030/39001258, koenig@difu. de, weitere Informationen: www.difu.de/ veranstaltungen QUO VADIS 2016. 26. Jahresauftakt für Immobilienentscheider. Veranstaltungsort: u.a. Hotel Adlon Kempinski Berlin, Unter den Linden 77 – 10117 Berlin, Kontakt: Frau Tanja Zinke, Tel. 0211/4690517, zinke@heuer-dialog.de, weitere Informationen: www.heuerdialog.de/veranstaltungen Februar 2016 15. – 17. Februar, Berlin ______________ Impressum Herausgeber: Informationskreis für Raumplanung (IfR) e. V. Gutenbergstraße 34, 44137 Dortmund Tel. 0231 7595-70, Fax -97 info@ifr-ev.de, www.ifr-ev.de Verantwortlich für diese Ausgabe: Der Vorstand des IfR e. V., vertreten durch den Vorsitzenden Dr.-Ing. Ronald Kunze (ViSdP) Redaktion: Dr. Brigitte Adam, Bonn Prof. Dr. Peter Ache, Nijmegen Dr.-Ing. Susanne Bieker, Darmstadt Dr.-Ing. Alexandra Hill, Bochum Prof. Dr.-Ing. Thomas Krüger, Hamburg Dr.-Ing. Ronald Kunze, Langenhagen Dr.-Ing. Frank Othengrafen, Hamburg Prof. Dr.-Ing. Heidi Sinning, Erfurt Redaktionsanschrift: Redaktion RaumPlanung c/o IfR e. V., Dortmund, redaktion@ifr-ev.de Titelmotiv: Quito, Ecuador; ©Daphne Frank Produktion und Satz: Dipl.-Ing. Markus Pieler / Katrin Williams / Meike Wolter Layoutkonzept: Katrin Williams / Uschi Moering Unter anderem mit folgenden Beiträgen*: RaumPlanung 182 / 6-2015 Verlag: Selbstverlag des IfR e. V., ISSN 0176-7534 Diese Ausgabe enthält eine Beilage von: TU Dortmund a rm tion skreis für Ra um p e.V. 90 Druck: LASERLINE Druckzentrum, Berlin ung *Arbeitstitel, Änderungen vorbehalten Anzeigenverwaltung: IfR-Geschäftsstelle, Dortmund Tel.: 0231 7595-70, info@ifr-ev.de Es gilt die Anzeigenpreisliste 5/2014. lan n Tobias Panwinkler: Regionale Arbeitsmärkte und Migration (EU weit) n Birte Nienhaber, Ursula Roos: Welche Rolle spielt die internationale Migration in Raumplanungsdokumenten? Eine Analyse am Beispiel der beiden Bundesländer Saarland und Rheinland-Pfalz n Kolar Aparna, Joris Schapendonk, Olivier Kramsch: Rethinking Planning Visions from a Migrant-Border Lens n Rainer Staubach: Dortmund All-inclusive – ein Projekt zur Förderung des „innerstädtischen Grenzverkehrs“ n Heike Hanhörster: Migranten auf dem (Miet-)wohnungsmarkt: Sachbearbeiter als `gatekeeper´?. Ein deutsch-niederländischer Vergleich n Fabian Thiel: Heisser Boden Frankfurt am Main - Flüchtlingsunterbringung, Eigentümerkooperation und Bodenpolitik n Eberhard von Einem: Wissenstransfer durch türkischstämmige Re-Migraten nach Istanbul Bezugspreise: Jahres-Abonnement 91 € (ins Ausland zzgl. Versand), Einzelheft 19 € (zzgl. Versand), Bezug über IfR e. V. IfR-Mitglieder erhalten die Zeitschrift kostenfrei. nf o Migration. Auswirkungen europäischer Wanderbewegungen* 40 J a h re I Vorschau RaumPlanung 183 / 1-2016 (erscheint Ende Januar 2016) Erscheinungsweise: Sechs Ausgaben im Jahr 1975 – 2015 Informationskreis für Raumplanung (IfR) e. V., Gutenbergstraße 34, 44139 Dortmund PVSt, Deutsche Post AG, »Entgelt bezahlt«, K 5158 – Anzeige – Beteiligung mal anders – informelle Beteiligung mit INKA INKA ist interaktiv, leicht zu bedienen und individuell anpassbar. Ob als Mängelmelder, als Karte zur Vorstellung bestimmter Maßnahmen oder zur Sammlung von Ideen für Ihr Projekt. 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