Die approbierte Originalversion dieser Diplom-/Masterarbeit ist an der
Hauptbibliothek der Technischen Universität Wien aufgestellt
(http://www.ub.tuwien.ac.at).
The approved original version of this diploma or master thesis is available at the
main library of the Vienna University of Technology
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DIPLOMARBEIT
NO NOMAD
WOHNBAU FÜR ROMA
am Beispiel Gazela, Belgrad, Serbien
Ausgeführt zum Zwecke der Erlangung des
akademischen Grades einer Diplom-Ingeneurin
Unter der Leitung von
Univ. Prof. Dipl.-Ing. András Pálffy
Institut für Architektur und Entwerfen
E 253/6 Abteilung für Gestaltungslehre und Entwerfen
eingereicht an der Technischen Universität Wien
Fakultät der Architektur und Raumplanung
von
Julia Preschern
0127256
Lorenz-Mandl-Gasse 60/35
1160 Wien
Wien, am 08. 04. 2010
Für Mutti und Papa
INHALTSVERZEICHNIS
Kurzbeschreibung...............................................................
4
Analyse............................................................................... 35
Einleitung............................................................................
5
Gazela.................................................................................. 37
Ereignisse rund um die Siedlung 2005-2009
Kontext...............................................................................
7
Geschichtlicher Überblick.....................................................
Roma in Serbien
8
Die Standortfrage.................................................................. 43
Sozialer Wohnbau in Neu Belgrad
Konzept............................................................................... 51
Situation Heute..................................................................... 11
Roma in Belgrad
Europaweite Entwicklungen................................................... 15
Decade of Roma Inclusion
Städtebauliche Entwicklungspotenziale.................................. 59
Städtebauliche Situation....................................................... 60
Entwurf............................................................................... 63
Divlja Gradnja....................................................................... 17
Informelle Wohnbauten in Serbien
Selbstbauweise.................................................................... 78
Entwicklungszusammenarbeit................................................ 22
Wiederaufbau in Postkonfliktländern
Strategie.............................................................................. 84
Belleville.............................................................................. 24
Abriss einer Roma-Siedlung
Quellenverzeichnis................................................................ 86
Abbildungsverzeichnis.......................................................... 87
Roma, diskriminierte Serben................................................. 26
Interview mit Eduard Freudmann und Can Gülcü
New Roma Mahala................................................................ 28
Konzept für eine Umsiedlung
Rethinking Location............................................................... 30
Modell für eine interkulturelle Siedlung
Elemental............................................................................. 32
Sozialer Wohnbau in Chile
KURZBESCHREIBUNG
Diese Entwurfsarbeit behandelt das Thema „Roma und Wohnen“ am
Beispiel einer Elendssiedlung in der serbischen Hauptstadt Belgrad,
Bezirk Neu Belgrad. Die Siedlung befand sich direkt unterhalb einer
der vielbefahrenen Autobahnbrücken des sogenannten Korridor
X – derjenigen Verkehrsroute, welche Mittel- und Südosteuropa
mit dem Vorderen Orient verbindet. Am 31. August 2009 wurde
die nach der Brücke benannte Siedlung „Gazela“ aufgrund von
geplanten Restaurierungsarbeiten zerstört und deren BewohnerInnen
umgesiedelt.
Insgesamt waren dort ca. 178 Familien ansässig, 114 davon waren
zur Zeit der Räumung in Belgrad gemeldet und wurden in temporär
aufgestellten und über das gesamte Stadtgebiet verstreuten
Wohncontainern untergebracht; die Mitglieder der restlichen Familien
waren nicht als BürgerInnen der Stadt eingetragen und mussten in
ihre Heimatstädte bzw. -dörfer zurückkehren. Der Abriß der Siedlung
bedeutet das Ende einer seit ca. dreissig Jahren gewachsenen
Gemeinschaft.
Mein Anliegen besteht darin einen zeitlich unbefristeten und den
Gewohnheiten der betroffenen Familien entsprechenden Lebensraum
zu entwerfen. Wie aus einschlägiger Literatur abgeleitet werden kann,
schlagen Versuche, den Roma neue Wohnmöglichkeiten zur Verfügung
zu stellen immer wieder fehl, weil man ihre Lebensgewohnheiten ändern
will, indem man ihnen die Gepflogenheiten der Mehrheitsbevölkerung
aufzwingt, oder ihnen fertige Behausungen aufzwingt.
Um nicht von falschen Voraussetzungen auszugehen, war es
unerlässlich, mich mit den Strukturen vor Ort auseinanderzusetzen: ich
musste herausfinden wie die Roma in Gazela miteinander gelebt haben;
ich wollte zumindest einen ungefähres Gefühl für ihre alltäglichen
Gewohnheiten entwickeln und versuchen zu verstehen, unter welchen
Gazela, April 2009
4
Aspekten des Zusammenlebens ihre Gemeinschaft funktioniert hat.
Außerdem wollte ich eine Strategie entwickeln, vermittels welcher es
möglich sein sollte zu bestimmen, inwieweit die künftigen Bewohner
beim Prozess der Planung bzw. Ausführung beteiligt sein können.
Es gibt ganz verschiedene und teils widersprüchliche Vorstellungen,
die man sich von „Zigeunern“ bzw. ihrer Lebensweise macht.
Um das vorherrschende Roma-Bild zu entmystifizieren, habe ich
mich mit einschlägiger Literatur beschäftigt und eine ganze Reihe
sonstiger Informationsquellen – Nachrichtenmaterial aus serbischer
und internationaler Berichterstattung, Publikationen entsprechender
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) u.s.w. – zu Rate gezogen bzw.
miteinander verglichen und abgewogen. Darüberhinaus habe ich mit
Leuten gesprochen, die selbst längere Zeit mit Gazela zu tun gehabt
haben und den persönlichen Austausch mit der Roma-Minderheit in
Belgrad gesucht. Aus all diesen konträren Eindrücken habe ich meine
Schlüsse gezogen und die kritischen Beobachtungen in meinen Entwurf
einfließen lassen.
Ich befasse mich also mit der Aufgabe, einer Ethnie, die keine Besitzansprüche auf einen eigenen Nationalstaat stellt, deswegen auch
verteilt auf der ganzen Welt lebt, den Anspruch auf eine Heimat geltend
zu machen; und konkret mit dem Vorhaben, den Roma aus Gazela
einen permanenten und ihren Wünschen entsprechenden Aufenthaltsort
einzuräumen.
Ich betrachte meine Diplomarbeit als Machbarkeitsstudie. Sie soll den
Pool an Ideen erweitern, wie mit diesem Thema umgegangen werden
kann. Es kann dies ein Startpunkt für neue Gespräche mit den betroffenen Roma, Organisationen, Politikern bzw. der Mehrheitsgesellschaft
sein, an denen ich mich auch gerne beteiligen möchte.
EINLEITUNG
Weltweit werden im Rahmen von Entwicklungshilfeprojekten permanent
Unterkünfte geplant und erstellt, gleichzeitig werden diese Bauten
stets kritisiert und oft überhaupt in Frage gestellt. Man wirft der Entwicklungszusammenarbeit einerseits Kolonialismus vor, andererseits
ein Unvermögen auf die spezifischen Bedürfnisse der eigentlichen
Benutzer bzw. auf die jeweiligen Situationen einzugehen. Deshalb wären
derartige Projekte oft realitätsfern und Spendengelder würden sinnlos
verpulvert werden. Fakt ist, dass allein SOS-Kinderdorf in seinem 60jährigen Bestehen 1.897 Einrichtungen und Programme in 132 Ländern
und Territorien aufgebaut hat. Eine Tatsache deren Strukturen ich tiefer
ergründen wollte, ich wollte einen Einblick in diese „Hilfs-Architektur“
erhalten und meine eigene Meinung dazu bilden.
Vor welchen Problemen stehen die Teams verschiedener Entwicklungshilfevorhaben zu Beginn der Durchführung eines Wohnbauprojektes?
Werden die zu Begünstigenden in den Gestaltungsprozess
miteinbezogen? Inwieweit laufen derartige Prozesse inter- oder
transdisziplinär ab? Wie groß sind die Ansprüche an die gebaute
Architektur? Wie fair ist die Entwurfsphase, werden Wettbewerbe
durchgeführt oder gibt es „Haus- und HofarchitektInnen“?
Anhand eines konkreten Projektes wollte ich diese Fragen selbst
erarbeiten. Die erste Idee, gebunden an meine Kontakte zum SOSKinderdorf Imst, war der Entwurf eines städtischen Kinderdorfes in der
Hauptstadt von Serbien. Der dazu benötigte Bauplatz sollte während
eines Besuchs von Belgrad im April 2009 gefunden werden. Bei dieser
Bauplatzsuche bin ich zufällig auf die Siedlung Gazela bzw. die RomaThematik gestoßen. Zu diesem Zeitpunkt war Gazela noch ein Slum
unter der Autobahnbrücke. Hier lebten Roma ohne fließendes Wasser,
ohne befestigte Straßen in baufälligen Gebäuden, Baracken und Hütten.
Eine illegale Gemeinde nahe des Stadtzentrums, die jeden Moment
vertrieben werden konnte. Was dann – noch während ich meinen
Recherchen nachgegangen bin – auch tatsächlich geschah: im August
2009 wurde die Elendssiedlung aufgelöst.
Um diese Entwicklungen begreifen zu können, musste ich die Situation
der Roma in Serbien verstehen. Ich musste die Geschichte kennenlernen,
welche die Entstehung einer solchen Siedlung überhaupt zuließ. Es
musste einen Zusammenhang zwischen Roma, der Nachkriegssituation
in Serbien, dem Informellen Bauen, den Flüchtlingsströmen, der
Rückführung von Asylanten und dem Wohnungsmangel geben; und wie
hat sich “die Entwicklungshilfe” hierzu verhalten?
Im ersten Teil dieser Arbeit befasse ich mich mit diesen verwickelten
Beziehungen und gebe eine kurze Darstellung von einigen anderen
Projekten zum selben Thema. Die getroffene Auswahl hat keinerlei
Anspruch auf Vollständigkeit soll aber die Perspektive erweitern. Im
zweiten Teil ziehe ich meine Konsequenzen aus dem schriftlichen
Abschnitt und lasse sie in meinen Entwurf für einen Wohnbau für die
Roma aus Gazela einfließen. Dabei darf nicht ausschließlich an die
Roma gedacht werden. Vielmehr geht es um die Entwicklung eines
Konzepts, welches alle BewohnerInnen der Stadt miteinbezieht und
einen Austausch zwischen Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft
zulässt. Ein Impuls für die ganze Stadt, und besonders für den Bezirk
Neu Belgrad – das Ermöglichen einer Zukunftsperspektive, welche
die Roma nicht mehr marginalisiert, sondern ihren Beitrag für die
Gesellschaft und Kultur anerkennt. Abschließend wird diesbezüglich
eine denkbare Umsetzungsstrategie vorgestellt.
Klar ist, dass akuter Handlungs- und Diskussionsbedarf besteht.
“No Nomad” ist mein persönlicher Beitrag dazu.
5
KONTEXT
“The Land on which I built my house has become illegal. If it would
be legalized, we could lead a normal life, have our own electricity,
water and sewage system, and live without the fear that the
authorities will demolish our house.”
DŽEMAIL DUDA (37), arbeitslos, 3 Kinder, aus Zemun Polje
Gazela, August 2009
7
GESCHICHTLICHER ÜBERBLICK
Roma in Serbien
EINWOHNER SERBIEN:
ca. 9,5 Millionen
DAVON ROMA OFFIZIELL:
108.193 (1,44%)
INOFFIZIELLE SCHÄTZUNGEN:
mind. 400.000 (4,2%) bis max. 800.000 (8,4%)
Diese Zusammenfassung ist ein kurzer Überblick zur Geschichte der
Roma und konzentriert sich auf das heutige Gebiet Serbiens. Dabei
muss berücksichtigt werden, dass die Roma in Europa unterschiedlich
aufgenommen worden sind; deshalb auch ist ihre Geschichte in
den einzelnen Gebieten jeweils eine andere. Allein für Serbien ist
es schwierig ein genaues Bild zu zeichnen, insbesondere was die
anfängliche Ansiedlung der Roma betrifft, da es nur wenige und
kaum eindeutige schriftliche Quellen gibt, was eine Aufarbeitung ihrer
länderspezifischen Geschichte erschwert.
Die Herkunft der Roma aus Indien ist unumstritten. Warum und wann sie
Indien verlassen haben ist jedoch ungewiss. Das hat zu vielen Mythen
und Legenden über die Roma geführt und ist bezeichnend für den bis
heute andauernden Umgang mit ihrer Kultur.
Im Byzantinischen Reich vermutet man Roma schon ab dem 8. bzw. 10.
Jahrhundert. Es gibt mehrere Hinweise, dass an der heutigen Westküste
der Halbinsel Peloponnes vom 13. Jahrhundert an Roma lebten.
Ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts werden die schriftlichen
Berichte über Roma immer zahlreicher. Deshalb auch lassen sich ihre
Wege innerhalb Europas seitdem recht gut nachvollziehen. Um 1450
hatten sie bereits nahezu ganz Europa bereist. Das bedeutet, dass sie
nicht viel später als die Bulgaren angekommen sind, 400 Jahre nach
den Slaven, aber noch vor den Ungarn (vgl. Laederich, 2007).
Da ihre handwerklichen Qualitäten sehr willkommen waren, beschlossen
viele Roma sich in Südosteuropa niederzulassen. Sie bauten ihre Häuser
und Dörfer, Mahalas genannt, meist an der Peripherie der Stadt und
wurden, entgegen einer verbreiteten Auffassung, schon damals sesshaft,
wohnten aber isoliert von der Mehrheitsbevölkerung. Dies entspricht
einem Grundprinzip der Ansiedlung von Minderheiten im Osmanischen
Reich. Obzwar sie relativ isoliert wohnten hatten sie dennoch Kontakt
mit der alteingesessenen Mehrheit – schon aus wirtschaftlichen
Gründen war dies nötig. Als Beispiel sind hier Viehhändler oder
Schmiede zu nennen. Einige zogen aufgrund ihrer Arbeit von Dorf zu
Dorf, kehrten aber immer wieder zu Ihrem Hauptwohnsitz zurück. Dieser
Lebenstil hat wahrscheinlich zur Vorstellung beigetragen alle Roma
seien Nomaden. Natürlich gab es auch Gruppen von fahrenden Roma,
aber das waren eher die Ausnahmen.
Etliche Roma kamen – im Zuge der osmanischen Invasion im 14.
und 15. Jahrhundert – am Balkan an. Viele waren Hilfssoldaten
oder Handwerker im Dienste der Armee oder begleiteten einfach die
Invasion. Einige drangen weiter nach Europa vor, die meisten jedoch
blieben am Balkan. Das Osmanische Reich dominierte den Balkan über
fünf Jahrhunderte lang und beeinflusste Kultur und Geschichte dieser
Region nachhaltig - und somit auch Serbien, das 1459 großteils erobert
wurde.
Da alle Untertanen des Osmanischen Reiches abgabepflichtig waren,
gibt es ausführliche Steuerregister; in solchen wurde zwischen
„Rechtgläubigen“ und „Ungläubigen“ unterschieden. Roma hatten
allerdings eine Sonderstellung und mussten, selbst wenn sie zum
8
muslimischen Glauben konvertiert sind, eine sogenannte „Kopfsteuer“
zahlen. Eine Ausnahme waren die „Zigeuner-Sandschak“: Roma die im
Dienste der Armee waren. Aus eben diesen Registern geht auch hervor,
dass der Großteil der Roma sesshaft war. Informationen über die große
Zahl an christlichen „Zigeunern“ weisen ausserdem darauf hin, dass
Roma bereits vor der osmanischen Eroberung in der Gegend wohnhaft
waren. Diejenigen Roma jedoch, welche tatsächlich ein nomadisches
Leben führten, stellten für die Behörden insofern ein Problem dar, als
es schwierig war deren Steuern einzutreiben; deshalb wurde mittels
bestimmter Gesetze versucht auch diese sesshaft zu machen. Derartige
Maßnahmen wurden aber nur teilweise umgesetzt (vgl. Pawlata, 2002)
Ab Ende des 17. Jahrhunderts setzte der Niedergang des Osmanischen
Reiches ein. Diese Zeit war von Krisen gezeichnet, wodurch auch
historische Quellen über die Roma immer lückenhafter werden. Nach
dem endgültigen Zerfall des Osmanischen Reiches im ersten Weltkrieg
blieben die Roma innerhalb der Grenzen der neuen Balkanstaaten. In
den Gebieten, welche die Habsburger von den Osmanen zurückerobern
konnten, verschlechterte sich die Situation der Roma: in der Armee
konnten sie keine Stellung mehr finden; zudem war die Gegend
durch die Eroberung weitgehend zerstört und verlassen, es gab kaum
jemanden, der ihre Fertigkeiten in Anspruch hätte nehmen können. Der
Ausweg in ein bäuerliches Leben bzw. in die Landwirtschaft war den
Roma nicht vertraut und auch verwehrt.
Im Großen und Ganzen aber war der Status, den die Roma im
ehemaligen Osmanischen Reich inne hatten, immer noch wesentlich
besser gegenüber dem der Roma in Westeuropa, wo sie zur selben
Zeit Opfer von Verfolgungen waren. Trotzdem gab es auch im östlichen
Europa eine gewisse Abneigung gegenüber der Romabevölkerung,
welche in vielen Quellen überliefert ist. Die Roma wurden als eine
„minderwertige Rasse“ angesehen. Diese Ansicht ist am Balkan, aber
nicht nur dort, auch heute noch stark vertreten.
Der in Westeuropa immer stärker werdende Anti-Romaismus gipfelte
zur Mitte des vergangen Jahrhunderts im sogenannten Porrajmos
(romani für „das Verschlingen“), dem Völkermord der Roma im
Nationalsozialismus. Die Zahl der Ermordeten ist ungewiss, Historiker
sprechen von mindestens 250.000 Opfern. Auch in Serbien gab es
Konzentrationslager, eines davon im heutigen Neu Belgrad, namentlich
das alte Messegelände Staro sajmište.
Im nachfolgenden kommunistischen Regime gerieten die Roma
einmal mehr unter Intergrationsdruck: das Ziel der Erschaffung eines
„gemeinsamen jugoslawischen Volkes“ brachte eine ganze Reihe von
Gesetzeserlässen mit sich, welche beispielsweise einen ständigen
Wohnsitz oder einen festen Arbeitsplatz zwingend erforderlich machten.
In den Staaten des Ostblocks können diese Regelungen aber nicht als
Beweis einer rassistischen Assimilationspolitik betrachtet werden. Das
wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass den Forderungen nach einer
offiziellen Anerkennung und Gleichstellung der Roma und anderer
Minderheiten auch knapp vor der Auflösung Jugoslawiens noch
nachgekommen wurde (vgl. Friedman 2006).
Roma in Europa
(Geschätzte Prozentzahlen)
Höchste geschätzte Prozentanzahl in:
Mazedonien
Bulgarien
Slowakei
Rumänien
9,88% 9,74% 9,07% 8,56% -
197.750
750.000
490.000
1.850.000
1. Wien
2. Bratislava
3. Budapest
4. Ljubljana
5. Zagreb
6. Belgrad
7. Bukarest
8. Sarajevo
9. Podgorica
10. Priština
11. Sofia
12. Skopje
13. Tirana
14. Athen
% der Gesamtbevölkerung-durchschnittliche Schätzung
geschätzte Prozent der
Romabevölkerung
1
0%
2
3
4
5
7
6
2%
8
11
10
9
12
13
10 %
14
Preschern 2009
Quelle: Council of Europe Roma and Travellers Division, July 2008
9
Auf Anfrage aus Italien, Österreich, Deutschland, Frankreich und den
Niederlanden reisten zahlreiche Roma vor allem in den 1960er Jahren,
als „Gastarbeiter“ ein. Es war üblich, immer wieder ins Heimatland
zurückzupendeln, wo etliche Roma ihr erarbeitetes Geld in einen
zukünftigen Wohnsitz investierten. Viele verlegten aber auch ihren
Lebensmittelpunkt in die neue Heimat.
In den 1980er Jahren kam es in Jugoslawien zu einer politischen und
wirtschaftlichen Krise, die in den 1990er Jahren in einen blutigen
Bürgerkrieg mündete. Roma waren in der Regel die Ersten welche
aus den staatlichen Großbetrieben entlassen worden sind. Bis heute
spiegelt sich das in einer hohen Arbeitslosenrate wider. Wegen den
dadurch entstandenen finanziellen Nöten mussten sich manche von
ihrem immobilen Eigentum trennen, andere blieben bis zum absoluten
Verfall ihrer Wohngegend. Viele der arbeitslos gewordenen zogen an
den Stadtrand, wo sie mit den aus dem ländlichen Bereich zugezogenen
Roma zusammentrafen, welche ihrerseits auf ein besseres Leben in den
Städten hofften.
Diese gleichzeitige Zuwanderungsbewegung in Richtung Stadtrand
hat zu einer Überbevölkerung der sozial ohnehin benachteiligten,
stark verarmten Stadtteile geführt. Hier bilden die Roma mittlerweile
oft selber eine Mehrheit, nachdem viele der vormals ebenfalls dort
ansässigen „Gadze“ (die unter Roma gebräuchlichste Bezeichnung für
Nicht-Roma) ausgezogen sind. Aufgrund der miserablen Lebensqualität
und schlechten wirtschaftlichen Lage sehen sich mittlerweile aber auch
viele Roma zur Emigration gezwungen (vgl. Delépine, 2006).
Manche der ursprünglichen, peripheren Wohngegenden (Mahalas)
wurden im Zuge der Ausdehnung der Stadt von eben dieser
verschluckt. Die infolgedessen oft guten Bauplätze wurden von der
Mehrheitsbevölkerung eingefordert und annektiert, wodurch die Roma
abermals an die Vororte gedrängt wurden.
Andere Ansiedlungen konnten wegen eines grundsätzlichen Mangels an
finanziellen Möglichkeiten einerseits, aber auch wegen dem ständigen
Zuzug der ländlichen Bevölkerung, den gewohnten Lebensstandard
nicht halten. Oft wurden in die Höfe der eingeschossigen Bebauungen
provisorische Unterkünfte gequetscht, was wiederum zu Konflikten mit
den Nachbarn geführt hat, welche auf diese Art von Verdichtung mit
Ablehnung reagieren. Werden derartige Hofhäuser, die ja nun mehr oder
weniger mitten im Stadtzentrum liegen, renoviert, geschieht dies meist
10
zum Nachteil der dort lebenden Roma: Sie werden einfach vertrieben.
Meist bleibt ihnen keine andere Wahl, als sich in den Siedlungen der
Vorstädte anzusiedeln.
Infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen in den 1990ern gab
es eine starke Umwälzung der Gesamtbevölkerung. Viele Flüchtlinge
suchten einfach irgendeinen Unterschlupf. Auch der herkömmliche
Wohnungsmarkt konnte der starken Nachfrage nicht standhalten.
Manche sahen sich damals genötigt nach Westeuropa auszuwandern
und werden heute, nach der Beendigung des Konflikts, oft gewaltsam in
ihre Heimat zurückgeführt. Meistens ohne Anspruch auf ihr ehemaliges
Eigentum, und zudem in einem „ethnisch gesäuberten“ Land – da
bleibt kein Platz für die Roma.
Allein aus dem Kosovo flohen geschätzte 80% der 150.000 Roma,
also der bei weitem überwiegende Teil, nach Serbien. Einige konnten
Unterschlupf in einem Flüchtlingslager finden, die meistens haben
auch bis dato keine andere Unterkunft; andere wiederum siedelten sich
in den informellen Lagern im Stadtgebiet an.
Aufgrund ihrer schwachen politischen Position sind die Roma von den
Auswirkungen der Kriege stärker betroffen als andere Gruppen. Ihre
Angreifbarkeit und ihre soziale Isolierung ist analog mit einem Defizit an
Informationen über ihre Rechte und Pflichten zu sehen. Viele besitzen
keine Papiere, was dazu führt, dass sie keine staatlichen Hilfeleistungen
bekommen können. Deshalb können sie sich auch nicht für eine Arbeit
registrieren lassen oder ihre Kinder zur Schule schicken. Als einzige
Erwerbsmöglichkeit bleibt oft das Sammeln von Altmetallstoffen und
Papier, woraus auch Ihre Häuser bestehen. Ein Großteil lebt folglich in
illegalen, unhygienischen Wohnverhältnissen (vgl. Bobić, 2009).
Die Situation der Roma wird durch die angehende Privatisierung
von staatlichem Grundbesitz, auf welchem die meisten Siedlungen
einstmals errichtet worden sind, noch zusätzlich verschlimmert. Wo
das ehemalige sozialistische Regime die informellen Siedlungen noch
toleriert hat, beabsichtigen private Besitzer den erworbenen Baugrund
für wirtschaftliche Zwecke nutzbar zu machen. Da der Wert des
potentiellen Baugrundes an der Stadtgrenze, auf welchem momentan
noch Roma-Siedlungen stehen, in Zukunft noch weiter steigen wird,
sind Zwangsräumungen zu befürchten. Geschieht das ohne ein Anbieten
alternativer Wohnmöglichkeiten, verletzen die Behörden das Grundrecht
auf adäquates Wohnen (vgl. Benschop, 2005).
SITUATION HEUTE
Roma in Belgrad
ROMA-SIEDLUNGEN IN BELGRAD:
ca. 150
LEBENSSTANDARD DER ROMA IN BELGRAD:
ca. 15% der Roma leben in Slums
Gängige Vorurteile und Klischees über Roma könnten in etwa wie folgt
zusammengefasst werden: Sie sind Nomaden, Bettler und Diebe – und
wohnen mit ihren zahlreichen Kindern letztlich gerne im Dreck. Die
wollen das ja gar nicht anders, sie möchten ihre falsch verstandene
Freiheit nicht aufgeben und bevorzugen einen primitiven Lebensstil.
Sie wollen sich nicht integrieren bzw. sind sie aufgrund ihrer nicht
existenten Bildung gar nicht fähig sich uns anzupassen – und denen
soll man helfen?
Diese und ähnliche Vorurteile sind so fest in den Köpfen der
Mehrheitsbevölkerung verankert, dass der offenkundige Rassismus
meist gar nicht mehr als solcher wahrgenommen wird. Und die Roma
sind dieser negativen Grundhaltung täglich ausgesetzt. Unter derartigen
Umständen versuchen manche Roma nicht als solche erkannt zu
werden, um der vorherrschenden Meinung zu entgehen.
Roma Haus im Dorf Ritopek, einem Vorort von Belgrad, 2005
In einem Interview mit Ristic Irena bemerkt Stéphan Laederich,
Schweizer Roma-Aktivist und Buchautor, dazu folgendes: „Im
deutschsprachigen Raum besteht immer noch das alte Propagandabild
der bettelnden, stehlenden und fahrenden Roma. Ein Bild, das der
Realität überhaupt nicht entspricht. Denn wenn acht bis zwölf Millionen
Roma dieses Klischee erfüllen würden, dann wäre dies sichtbar. In
Osteuropa gibt es je nach Land ähnlich vorgefasste Meinungen, die
genausowenig der Wahrheit entsprechen.“
Welche Vorstellung aber von den Romas kommt der Realität am
nächsten?
Ein einheitliches Bild von einem idealtypischen „Rom“ zu zeichnen ist
eigentlich unmöglich. Kaum jemand kann sich vorstellen, dass ein Rom
oder eine Romni Arzt/Ärztin, ProfessorIn, Bauer/Bäurin oder RichterIn
sein könnte. Solche und ähnliche Berufe werden nur selten mit den
Roma assoziiert, trotzdem üben sie solche aus – und das in einer
größeren Anzahl als man vermuten würde (vgl. Laederich, 2006).
Unhygienische Siedlung, Pozeska Straße, Belgrad, 2005
Wo auch immer über „die Roma“ geschrieben wird, gilt es also
zu beachten, dass es sich hierbei um eine durchaus heterogene
Bevölkerungsgruppe handelt. Strenggenommen ist freilich jede/r Rom/
Romni eine einzigartige Persönlichkeit. Wo sich dessen oder deren
Familie einstmals niedergelassen hat, ist dennoch prägend für seine
oder ihre Geschichte.
Wie vielfältig die Lebensweisen der verschiedenen RomaGruppierungen sind, sieht man auch in Belgrad: manche leben
gemeinsam mit serbischen Nachbarn in gewöhnlichen Ziegelhäusern,
andere völlig ausgegrenzt in einfachsten Behausungen. Insgesamt sind
an die 150 Siedlungen über die ganze Belgrader Stadtstruktur verstreut
(siehe Abb. S. 12).
Innenhof eines Roma Hauses in Dorcol-Dunavska, im Zentrum von Belgrad, 2005
In der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus bei den serbischen Roma,
welche zu ca. 53% im urbanen Umfeld leben. Durchschnittlich ein
Drittel der Siedlungen wurde planmäßig errichtet, ein Drittel wurde
illegal gebaut und ein weiteres Drittel ist spontan oder in Kombination
11
Donau
Stari Grad
Kalemegdan
Gazela
Neu Belgrad
Sava
Belleville
Zemun
Umgesiedelt im August 2009
Teilweise umgesiedelt im April 2009
Belgrad
Roma Siedlungen in Belgrad
Preschern 2009
Quelle: Society for the Improvement of Local Roma Communities, 2005
12
Slum
Unhygienische Siedlung
Teil eines ehemaligen Dorfes
Alte Stadtstruktur - Patraja
Armes Dorf am Stadtrand
mit einem Plan entstanden. Ca. 44% der Roma in Belgrad haben
keinen oder kaum Anschluß an örtliche Infrastrukturen. In 83% der
Siedlungen hausen mehr als 500 Einwohner auf weniger als drei Hektar
Wohnfläche. Eine durchschnittliche Roma Familie hat in Serbien vier
bis fünf Mitglieder. Ein durchschnittliches Haus einer Roma Familie
hat 40-60m² Wohnfläche – das sind ca. 11m² Wohnfläche pro Person,
in Österreich stehen im Gegensatz durchschnittlich 42m² Wohnfläche
pro Person zu Verfügung (Quelle: Statistik Austria, MikrozensusWohnungserhebung 2007).
Eine Baracke ist sogar nur zwischen 20 und 30m² groß. Diese Daten zu
der Roma-Bevölkerung aus den „Guidelines for the Improvement and
Legalization of Informal Roma Settelments“ vermitteln einen Eindruck
der insgesamt miserablen Wohnverhältnisse.
Damit diese Siedlungen auf eine sinnvolle Art und Weise verbessert
werden, muss die jeweils spezifische Situation mitberücksichtigt
werden, um entsprechende Maßnahmen setzen zu können – sei es
die Siedlung zu legalisieren oder eine unerlässliche infrastrukturelle
Einbettung in die Wege zu leiten. Jedoch ist es nicht in jedem Fall
möglich die Siedlungen derartig aufzuwerten. Nach den „Guidelines“
zufolge passiert das, wenn das Land auf dem die Behausungen stehen
für öffentliche Straßen und Gebäude gewidmet wurde, oder wenn diese
in gesundheitsschädigender Umgebung oder auf sonstwie gefährlichem
Terrain erbaut worden sind. In diesem Fall wird die Romabevölkerung
umgesiedelt, meist geschieht das mit den Vierteln im Stadtzentrum,
welche an die Stadtgrenze verlegt werden.
Oft kommt es dann zu Meinungsverschiedenheiten mit der ansässigen
Bevölkerung, welche mit dieser plötzlichen Veränderung ihrer
Umgebung nicht zurecht kommt.
Wiederum sind es gängige Vorurteile gegenüber der „faulen“
Romabevölkerung, die ihre Kinder nicht zur Schule schickt usw.,
welche es den Umgesiedelten schwer machen sich in der neuen
Umgebung zuhause zu fühlen. Der Nationalismus, der nach dem Fall
des Kommunismus stärker geworden ist, trägt seinen Teil dazu bei.
Die Toleranz gegenüber anderen Kulturen im eigenen Land wird immer
weniger.
Aber sind nicht gerade die Städte, welche mit vielen verschiedenen Ethnien
aufwarten können, besonders anziehend? Etwa New York City, eine Stadt
die sich als multikulturelles Zentrum vermarktet. Ein Ort an dem sich die
Kulturen mit Respekt begegnen können, miteinander leben und voneinander
sogar profitieren.
Wie kann man es also schaffen, dass die Minderheiten im Einklang mit
der Mehrheitsbevölkerung leben? Oder strebt man weiter nach einer
„Balkanisierung“ der Städte und treibt somit das Entstehen von „gated
communities“ (gesicherte Wohnanlagen) an?
In einer kritischen Abhandlung über „gated communities“ argumentiert
Manuel Albers, dass diesen Entwicklungen möglichst entgegenzuwirken
werden sollte, denn die Absperrungen rund um solche Wohngebiete
„dienen einer doppelten Funktion – der sozialen Einbeziehung als auch der
sozialen Ausgrenzung. Soziale Ungleichheit ist beides, die Ursache von und
verursacht von der Zunahme gesicherter Wohnanlagen. Indem man einem
Teil der Gesellschaft erlaubt sich räumlich auszuschließen, beginnt sich der
Prozess der sozialen Aufsplitterung an den Bruchstellen zu zeigen und die
soziale Ungleichheit wird infolge zur sozialen Ausgrenzung.“
Wichtige Impulse und Gesetze für ein besseres Zusammenleben sollten vor
allem vonseiten der heimischen Politik kommen, zusammen mit engagierten
NGOs müssten Aktionen in den Bereichen Bildung, Arbeit, Wohnen und
Gesundheit gestartet werden.
Idealerweise sollte hierfür die gesamte Bevölkerung miteinbezogen werden,
nur dann kann eine andauernde Verbesserung der Lebensbedingungen aller
gewährleistet werden. Die zweite Phase der „Decade of Roma Inclusion“
(S. 15) ist angebrochen und verschreibt sich genau diesen Plänen. Es bleibt
nur zu hoffen, dass diese auch Wirkungen zeigen.
Stéphane Laederich meint dazu in seinem Text „The Situation of the Roma in
South East Europe Today“: „Die Hoffnung ist da, aber es wird trotzdem lange
dauern, die Menschen zu ändern, damit sie akzeptieren, dass Roma da sind
um zu bleiben und ein Teil ihres Landes und Kultur sind.“
13
Villen in Šutka, Skopje, 2009
Roma-Siedlung in Pfatten, Italien, 2009
14
Turbo-Architektur in Šutka, Skopje, 2009
EUROPAWEITE ENTWICKLUNGEN
Decade of Roma Inclusion
AKTIONSPLÄNE IN DEN BEREICHEN:
Bildung, Arbeit, Wohnen, Gesundheit
MITGLIEDER/*MITGLIED SEIT 2008:
Albanien*, Bosnien und Herzegowina*,
Bulgarien, Kroatien, Mazedonien,
Montenegro, Rumänien, Serbien, Slowakei,
Spanien*, Tschechische Republik, Ungarn
Während des Balkankonflikts wurde den Flüchtlingen aus Jugoslawien
für eine Zeit lang bereitwillig Unterschlupf in der EU, Norwegen und der
Schweiz gewährt. Hunderttausende Asylanträge wurden in den 1990er
Jahren gestellt. Nach Beendigung der Auseinandersetzungen und
Unterzeichnung von Rücknahmeabkommen wurde vielen Flüchtlingen
jedoch der „Duldungsstatus“ abgesprochen. Wegen der politisch
labilen Situation und den Sanktionen gegenüber Serbien mussten aber
viele trotzdem nicht zurück. Erst mit dem Wiederaufnahmeabkommen
zwischen Serbien und der EU, das am 1. Jänner 2008 in Kraft trat,
wurde mit den großen Abschiebeaktionen begonnen. Nach über zehn
Jahren im Exil hatten sich viele der abgeschobenen Familien an ihre
neue Heimat gewöhnt (vgl. Turudic, 2009).
Zurück in dem von Krisen gebeutelten Land kommen zahlreiche mit der
Umgebung nicht mehr zurecht. Viele Kinder, welche oft „im Ausland“
geboren wurden, dort zur Schule gingen und sich einen Freundeskreis
aufgebaut hatten, wurden aus der ihnen vertrauten Gesellschaft
gerissen. Sie kehren in ein fremdes Land zurück.
Die meisten Familien stranden in den wirtschaftlich noch schwachen
Städten, oft ist im übersättigten Markt für sie kein Arbeitsplatz zu
finden. Die serbische Bevölkerung schiebt gerne die Schuld dieser
miserablen Situation auf Deutschland, Österreich und die Schweiz, da
sie personae non grata in ein Land zurückschickt, welches ohnehin zu
kämpfen hat.
Natürlich sind auch Roma von diesen Abschiebungen betroffen. Zoran
Panjkovic vom Ministerium für Menschen- und Minderheitenrechte
schätzt, dass etwa 25.000 RückkehrerInnen zu diesem Schritt gezwungen
wurden. Etwa doppelt so viele sollen freiwillig gegangen sein. Unklar
ist, wie viele noch abgeschoben werden. Im Jahr 2003 schätzte der
Europarat, dass es zwischen 50.000 und 100.000 sein könnten, aber
in den vergangenen Jahren war auch von 150.000 Personen die Rede.
Etwa 70% der Menschen, die bisher zurückgekehrt sind, kommen aus
Deutschland. 60-70% von allen RückkehrerInnen sind Schätzungen
zufolge Roma. Laut Marija Denic‘, Koordinatorin des Zentrums für
die Rechte der Roma Frauen, leben 80% der HeimkehrerInnen in
informellen Roma-Siedlungen, meistens ausgeschlossen aus der
gesellschaftlichen Gemeinschaft.
Um diese in der Regel unerträglichen Zustände zu bewältigen
wurde in zwölf verschiedenen Ländern Europas für 2005 bis
2015 eine „Roma Dekade“ eingeläutet. Denn nicht nur in Serbien
leben Roma ausgeschlossen von der Gesellschaft. Unzähligen
Zeitungsartikeln zufolge ähneln sich die Strategien zur Ausgrenzung
der Romabevölkerung in den unterschiedlichsten Regionen Europas.
In Italien hetzt die Camorra die Bevölkerung gegen die Roma auf,
damit sich die Polizei mit den Krawallen auseinandersetzen muss
und das organisierte Verbrechen in Ruhe lässt. Die Anwohner einer
Roma-Siedlung in Neapel fürchteten um ihre Sicherheit, nachdem
eine 16-jährige Romni angeblich versucht hatte, ein sechs Monate
altes Baby aus einer Wohnung der Gegend zu entführen. Das Mädchen
wurde festgenommen. Trotzdem explodierte anschließend die Gewalt.
Anwohner drangen in die Siedlung ein, zündeten die Baracken an und
vertrieben die BewohnerInnen bis auf weiteres. Auch in Mailand und
Rom kommt es seit längerem immer wieder zu Protesten gegen Roma
(vgl. orf.at-News, 2008).
Unterdessen ist der Hass in Ungarn gegen Roma so groß, dass
regelmäßig paramilitärische Gruppen durch Städte und Dörfer
marschieren, vaterländische Lieder singen und Roma angreifen. Eine
Reihe von Morden auf Seiten der Roma und Nicht-Roma lässt zusätzlich
die Situation eskalieren. Aufklärungsversuche scheitern, da einerseits
Wucherer aus den Reihen der Roma beschuldigt werden, andererseits
die Täter auch rassistische Gründe haben könnten (vgl. Gergely, 2009).
Vielleicht lässt man die Morde sogar lieber im Unklaren als eine der
verdächtigten Fraktionen eindeutig zu belasten.
Ein Umdenken gegenüber den überall stark ausgegrenzten RomaGruppen muss endlich stattfinden. Eine der Voraussetzungen dafür ist,
diese Bevölkerungsschicht so in die Gesellschaft einzubinden, dass auf
beiden Seiten – Roma wie Nicht-Roma (Gadze) – ein Sicherheitsgefühl
entsteht und eine Annäherung möglich wird. Eine gar nicht so paradoxe
Vorstellung, wenn man die Gegenden in Belgrad kennt, in denen Roma
und „Gadze“ friedlich miteinander leben.
Es liegt nicht zuletzt an der Zivilcourage jedes/jeder Einzelnen,
dem Unbekannten aufgeschlossen entgegenzutreten und auf diese
Umstände aufmerksam zu machen. Auch Svetozar Čiplic‘, Minister
für Menschen- und Minderheitenrechte erkennt, dass das Bereitstellen
von Wohnmöglichkeiten für Roma eine Herausforderung für Serbien
darstellt (vgl. B92-News, 2009c).
Ein positives Vorbild für diese Herausforderung könnte „Šutka“ sein,
ein Vorort der mazedonischen Hauptstadt Skopje, die 1963 von
einem furchtbaren Erdbeben heimgesucht wurde. Aus dem dadurch
resultierenden Wohnungsmangel entstand eine der größten RomaSiedlungen Europas. Verschiedene Organisationen haben hier einen
eigenen legalen Stadtteil entstehen lassen, der vorwiegend von Roma
bewohnt wird. Wenn man Bilder aus der Roma-Siedlung „Šutka“ sieht
erkennt man auch, dass Roma sich ähnlich der Mehrheitsgesellschaft
entwickeln – wenn man ihnen nur einen legalen Ort zum Gewähren
lässt. Aber auch hier gibt es einen Haken, denn während Roma aus
„Šutka“ in der gesamten Hauptstadt unterwegs sind, setzt die Mehrheit
der mazedonischen Bevölkerung kaum einen Fuß in diesen Stadtteil.
Der Austausch passiert also nur in eine Richtung, deshalb kann
auch diese größte aller legalisierten Roma-Gemeinschaften nicht als
durchwegs gelungene Lösung angesehen werden.
15
DECADE OF ROMA INCLUSION
DECADE WATCH
Die „Roma Dekade“ wurde im Februar 2005 in Sofia von
StellvertreterInnen aus Bulgarien, Kroatien, Mazedonien, Rumänien,
Serbien, Slowakei und der Tschechischen Republik ausgerufen. Im
Namen aller beteiligten Staaten wurde eine gemeinsame Erklärung
unterzeichnet, welche insgesamt darauf abzielt die Diskriminierung
gegenüber den Roma aufzuheben und die unakzeptablen Lücken
zwischen den Roma und dem Rest der Gesellschaft zu füllen.
Unterstützt wird das Projekt unter anderem von dem Open Society Institute, der Europäischen Kommission, dem UN-Development Program,
der Weltbank und dem Europarat, welcher die jeweiligen Regierungen
in politischen Fragen berät und eine Reihe von Maßnahmen und Einbindungsprogrammen mitfinanziert.
Decade Watch ist eine Vereinigung von Roma-AktivistInnen, verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppierungen und WissenschaftlerInnen,
deren Ziel es ist, die Umsetzung der ambitiösen Ziele der einzelnen
Mitgliedstaaten eigenständig zu überprüfen. Der Zusammenschluss
konzentriert sich vor allem auf die Aktionen der Regierungen (und weniger auf die veränderte Situation für die Roma vor Ort), da ein Mangel
an einheitlichen Daten besteht und der Vergleich der einzelnen Länder
angestrebt wird. Vor allem sollen die Erfahrungen der Länder untereinander geteilt werden können und die Erfolge der Mitgliedsstaaten sich
gegenseitig anspornen.
Die Struktur der „Dekade“ sieht einen internationalen Hauptausschuss
vor, welcher aus RepräsentantInnen der jeweiligen Regierung und den
Roma der teilnehmenden Länder besteht. Diese überwachen auch den
Verlauf der „Dekade“.
Die „Dekade“ ist demnach als eine internationale Initiative konzipiert,
welche Regierungen, bilaterale und transnationale nichtstaatliche Organisationen, sowie die Roma-Zivilgesellschaft zusammenführt.
Erste Priorität bei der Einführung der „Dekade“ war, dass jedes beteiligte Land seine eigenen Aktionspläne (Decade Action Plans/DAP) erstellen konnte. Diese wurden von speziellen Arbeitsgruppen der Länder
erstellt. Auch hier waren wiederum VertreterInnen der Regierung und
der Roma beteiligt. Das bedeutet zugleich, dass nicht alle Mitglieder
der „Roma Dekade“ den gleichen Reformwillen bzw. das gleiche Reformtempo zeigen. Die bislang erzielten Ergebnisse variieren je nach
teilnehmendem Land enorm.
In erster Linie wird im Rahmen von vier Hauptbereichen gearbeitet
– Bildung, Arbeit, Wohnen und Gesundheit. Im Bereich Wohnen soll
besonders auf die Aufhebung der „Rassentrennung“ in den Siedlungen
und allgemein auf eine Verbesserung der Wohnqualität hingearbeitet
werden.
Bis heute, vier Jahre nach Beginn der „Dekade“, hat zumindest das
politische Bewusstsein stark zugenommen. Die Notwendigkeit die Situation der Roma in Zentral- und Südosteuropa zu verbessern, wird als
solche erkannt. Auch in der Europäischen Union hat die Agenda auf sich
aufmerksam gemacht, und führte bis zu einem EU-Roma-Gipfeltreffen
im September 2008. Das Treffen hob das soziale Gefälle hervor und forderte die Teilnehmer auf, im Rahmen der EU Maßnahmen zu ergreifen,
um die „Roma Dekade“ fortzusetzen und weiter auszubauen.
siehe: http://www.romadecade.org/
16
In dem Report von 2007 kommt Decade Watch zusammenfassend zu
der Beurteilung, dass es zwar in allen Ländern, mit Ausnahme Mazedoniens, in den letzten Jahren spürbaren Fortschritt gegeben habe,
weist aber in aller Deutlichkeit darauf hin, dass weiterhin dringender
Handlungsbedarf bestehe. Es mangele in allen Länder an Nachhaltigkeit
der Initiativen.
In Serbien war vor allem die Umstrukturierung der Regierung 2007 für
den teilweisen Stillstand der Arbeitsgruppen verantwortlich. Einerseits
wurden etwa Richtlinien zur Legalisierung der Roma-Siedlungen ausgearbeitet, andererseits nur sporadisch umgesetzt. Einige Städte Serbiens
haben dennoch generelle Strategien zum Thema Wohnen entwickelt.
siehe: http://www.romadecade.org/decade_watch
Decade Watch Vergleich
für den Bereich Wohnen
Platz
Land
Score 2007
Score 2005/2006
1
2
3
4
5
6
7
8
8
Kroatien
Ungarn
Bulgarien
Slowakei
Tschechien
Mazedonien
Rumänien
Montenegro
Serbien
1,75
1,50
1,25
1,25
1,00
0,75
0,50
0,50
0,50
1,50
1,75
1,25
1,25
1,00
0,50
0,75
0,50
0,50
Score 0 : Keine Aktionen der Regierung
Score 1 : Sporadische Maßnahmen. Erste Schritte eingeleitet, aber nicht regelmäß und systematisch.
Score 2 : Reguläre Maßnahmen. Nicht systematisch, noch im Wert eines programmatischen Lösungansatzes.
Score 3 : Regierungsprogramm. Ausgebaute Aktion, aber nicht in Politik integriert.
Score 4 : Integrierte Politik. Definieren des Standards für Regierungs Aktionen und Besitz.
DIVLJA GRADNJA
Informelle Wohnbauten in Serbien
GRÖSSTE INFORMELLE SIEDLUNG EUROPAS:
Bezirk Kaluđerica, Belgrad,
20.000 Einwohner
BELGRAD 2006:
43% der Wohnbauten informell
In den 1970ern, den Jahren der Industrialisierung, hat das informelle
Bauen (Divlja Gradnja) in den Städten Serbiens begonnen. Die
Menschen verließen das Land und zogen in die Stadt – auf der Suche
nach Arbeit und einem besseren Leben.
Obwohl in dieser Zeit der Start des größten Wohnbauprojektes in
Belgrad erfolgte, der Bau Neu Belgrads, mit der Errichtung von
etwa 10.000 Appartments in nur einem Jahr, konnte der Bedarf an
Wohnungen insgesamt nicht gedeckt werden. Am Stadtrand entstanden
deshalb illegale Wohnhäuser, bestärkt durch ein bis heute bestehendes
Gesetz, welches bestimmt, dass Grundstücke innerhalb der
Stadtgrenzen und im Eigentum der Gemeinde nicht privatisiert werden
können, landwirtschaftlich genutzte Flächen aber zum Kauf freistehen
(vgl. Manzotti, 2009).
In den darauffolgenden Jahren, den Jahren der Balkankriege, wurde
Serbien mit einer Welle von Flüchtlingen aus Kroatien bzw. Bosnien und
Herzegowina überschwemmt. Während des Kosovokonflikts flüchteten
massenhaft Kosovo-SerbInnen und andere Minderheiten (Roma), aus
dem betroffenen Gebiet, was zu einer rasanten Beschleunigung der
Errichtung von illegalen Bauwerken führte.
Laut einer Studie von UN-HABITAT 2006, ist davon auszugehen,
dass 43% der Wohnhäuser in Belgrad ohne Genehmigung gebaut
wurden (siehe Abb. unten), offiziell würde das an die 200.000 Häuser
ausmachen. Durch diesen Bauboom ist beispielsweise ein völlig
neuer Stadtteil namens Kaluđerica entstanden, ein Bezirk mit 20.000
EinwohnerInnen – und also eine der größten informellen Ansiedlungen
Europas.
(In)formelle Bauten in Belgrad
Preschern 2009
Quelle: UN-Habitat, 2006
Informell
Formell
Roma-Siedlungen
17
Informelle Bauten in Kaluđerica, Belgrad
18
Zlata Vukosanović, Projekt Managerin für UN-HABITAT beschreibt
diesen Ort als einen „optimalen Platz“, ohne Aussicht auf Bestrafung
oder Zerstörung der Häuser, dafür nahe am Zentrum gelegen. Trotzdem
haben die BewohnerInnen auch mit einigen Nachteilen zu kämpfen:
zum einen bricht die Stromversorgung regelmäßig zusammen,
andererseits sind die Abwasseranschlüsse total überlastet; zudem
fehlt eine reguläre Abfallbeseitigung, bis heute verfügt dieser Stadtteil
über keine zureichende Infrastruktur. Da dieses Viertel ohne vorherige
Planung entstanden ist, also ohne entsprechendes Fachwissen, wurden
auch keine Bebauungsnormen eingehalten. Infolgedessen kommt es in
Kaluđerica und anderen informellen Siedlungen dieser Art zu ernsthaften
Sicherheitsmängeln, etwa drohender Brandüberschlage aufgrund von
nicht eingehaltenen Mindestabständen zu Nachbargebäuden oder durch
das Verbauen von Feuerwehrzufahrten; Häuser werden immer wieder
durch illegale Dachaufbauten statisch überlastet. Außerdem wird der
öffentliche Raum oft ungeniert verbaut bzw. vernachlässigt und folglich
unbrauchbar.
Ivan Kucina, Professor der Architektur an der Universität Belgrad, studiert
das illegale Wachsen der Stadt seit mehreren Jahren. Ihm zufolge ist
diese Art von Entwicklung das Ergebnis jahrelanger Isolation und der
von der EU verhängten Sanktionen (zum Beispiel das Flug-Embargo
der jugoslawischen Fluggesellschaft JAT von 1998, oder die generelle
Wirtschaftsblokade ab 1999), was zu einer Normalisierung einer Form
von „Grauer Wirtschaft“ führte. Deren Auswirkungen bekam man
natürlich auch stark im Immobiliensektor zu spüren und beschränkte
sich nicht nur auf die unteren sozialen Klassen. Alle gesellschaftlichen
Schichten waren und sind an diesen Bauten beteiligt. Die irregulären
Gebäude variieren demzufolge auch sehr stark, von einer einzelnen,
eingeschossigen Einheit über ganze Elendssiedlungen bis zu Villenund Luxusvierteln ist im informellen Sektor Belgrads alles zu finden.
In einem Vortrag im September 2008 für das Komitee der „Roma
Dekade“ unterscheidet Vladimir Macura vier verschiedene Typen von
informellen Roma-Siedlungen:
*Qualitätssiedlung – gute Gebäudesubstanz/Eigentum der Bewohner
*Bedingte Siedlung – gute Gebäudesubstanz/Eigentum eines anderen
*Arme Siedlung – schlechte Gebäudesubstanz/Eigentum der Bewohner
*Slum – schlechte Gebäudesubstanz/Eigentum eines anderen
Er beschreibt auch eine Methode zur Steigerung der Lebensumstände,
basierend auf den entsprechenden Gesetzen. In seiner Rede plädiert er
dafür, auch den Wert einer noch so schlechten Siedlung anzuerkennen.
Ferner pocht Macura darauf, nur in den dringendsten Fällen eine
Umsiedlung vorzusehen, da eine Aufwertung und Legalisierung vor
Ort immer die billigere Variante darstellt. Außerdem könne man davon
ausgehen, dass diese Art von Unterstützung von den Betroffenen am
Besten angenommen wird. Eine Empfehlung, die für die Roma-Siedlung
Gazela oder „Belleville“ nicht berücksichtigt wurde, denn obwohl RomaSiedlungen im Vergleich nur einen kleinen Prozentsatz der informellen
Bebauung ausmachen (siehe Abb. S. 17), bleiben sie die mir einzigen
bekannten Gemeinden, welche aus ihren illegalen Behausungen
vertrieben wurden. Ein Art der Handhabung von Barackensiedlungen
im Zentrum der Stadt, welche in Zukunft voraussichtlich noch öfter
angewandt werden wird.
Das Phänomen „Divlja gradnja“, die serbische Bezeichnung für
illegale Konstruktionen, scheint sich nicht zu verringen, obwohl sich
die Behörden bemühen Lösungen zu finden. Dem entgegen wirken
Immobilienspekulationen und ein Unvermögen die Nachfrage für
einfaches Wohnen zu decken. Zieht man die Anzahl der vorhandenen
Wohnhäuser, die durchschnittlich in anderen Städten Südosteuropas
pro Einwohner zur Verfügung stehen, zum Vergleich heran, kann für
Belgrad ein Defizit von ca. 30% ausgemacht werden. Das spiegelt
sich auch im Preis/m² wieder, der es für sozial schwache Familien fast
unmöglich macht eine passende Wohnung zu finden. Vorallem sind
anmietbare Wohnungen Mangelware, da nach der Privatisierung fast
99% aller Wohneinheiten in Serbien in privaten Besitz sind. Was fehlt
ist eindeutig: ein sozialer Wohnungsbau (vgl. Benschop, 2005).
Um das informelle Bauen unter Kontrolle zu halten wurde im Jahr 2003
ein Gesetz verabschiedet, das zum Ziel hatte die vorhandenen illegalen
Strukturen zu reglementieren und mit jenen umzugehen, welche in
Zukunft gebaut werden sollten.
Praktisch scheiterte das Gesetz auf beiden Seiten. Nur ein kleiner
Prozentsatz entschied sich zum gesetzestreuen Bauen, aber nicht
einmal bis heute konnte sich eine Prüfung der Bauten durch die
Behörden durchsetzen. „150.000 illegale Gebäude wurden während der
1990er Jahre und 2003 errichtet“, sagt Kucina, „und zwischen 2003
und heute waren es 50.000. Das bedeutet, dass insgesamt 200.000
nicht zugelassene Häuser vorhanden sind, und das sind nur die, über
die wir Daten haben.“
„Das Problem des Gesetzes von 2003 ist“, erklärt Vukosanović, „dass
auf der einen Seite die Richtlinien zu starr waren, und auf der anderen
Seite hatten die Behörden nicht die Kapazität diesen Vorgang zu
administrieren. Das Gesetz brach in sich selbst zusammen.“
Das bedeutet, dass anhand der üblichen Maßnahmen diese
Entwicklungen nicht sinnvoll strukturiert werden können; passende
Problemlösungsstrategien können nicht einfach aus herkömmlichen
Herangehensweisen abgeleitet werden. Ein neuer, adäquater Ansatz
muss gefunden werden, um die unterschiedlichen kulturellen, sozialen
und ökonomischen Interessen zu integrieren. Neue Normen und Regeln
müssen erarbeitet werden, um der bedenklichen Zunahme dieser
Strukturen in Zukunft gerecht zu werden.
„Reiche und Arme können nicht an die gleichen Bedingungen
gebunden werden. Ein Haus für die Familie zu bauen ist etwas anderes,
als ein Haus zu bauen, aus dem man Gewinn schlagen kann. In Zarkovo,
zum Beispiel, hat man ein Appartmenthaus mit sechs oder sieben
Geschoßen gebaut, mit der Absicht es anschließend zu verkaufen,
obwohl die Bauherren wußten das sie keine Genehmigung hatten. Die
neuen Besitzer müssen nun, um es zu legalisieren, dafür bezahlen,
während die originalen Bauträger, welche damit Geschäfte gemacht
haben, verschwunden sind“, sagt Vukosanović.
19
TURBO-ARCHITEKTUR
Die informelle Architektur hat zudem ihre eigene Architektursprache
entwickelt, einen ganz spezifischen Baustil, welcher am ganzen Balkan
anzutreffen ist. Nachstehend ein Auszug aus dem Artikel „Was war oder
was ist Turbo-Kultur?“, in dem der serbische Architekt Srdjan Jovanović
Weiss über den von ihm geprägten Begriff der „Turbo-Architektur“ und
das Wesen der Bauweise in Serbien nach 1989 schreibt.
„Die Turbo-Architektur kam aus dem Nichts, und sie hatte den Wunsch,
von allen akzeptiert zu werden. Turbo-Architektur ist global, weil sie die
Moderne ablehnt und sich auf Formen einlässt, die vor der Moderne
lagen oder auf sie folgten. Turbo-Architektur neigt, bewusst oder unbewusst, zu orientalischen Formen und präsentiert sie als authentisches
regionales Erbe. Turbo-Architektur schert sich nicht darum, dass vor
der Moderne alles, was als Tradition galt, orientalisiert war, und das
seit vielen Generationen. Turbo-Architektur ist gegen orthogonale Anordnungen, schwört aber auf eine Technologie, die orthogonale Anordnungen einfordert. Deshalb wird der rechte Winkel so lange verzogen,
verzerrt, verkleidet und wegdekoriert, werden die Innenräume mit einer
zweiten Schicht versehen, werden Materialien so lange gemixt, bis die
ursprüngliche Struktur und ihre verfremdeten Zutaten so miteinander
verwoben sind, dass der jeweilige Ursprung unerkennbar geworden ist.
Turbo-Architektur ist frustriert, weil sie von den Intellektuellen verworfen wird. Turbo-Architektur ist voll mit guten Absichten. Sie ist eigentlich romantisch, liebt aber High-Tech und grelle Farben. Turbo-Architektur hat Erfolg bei der Mafia. Turbo-Architektur will siegen. Sie hat
Ambitionen und will elitär sein oder werden. Turbo-Architektur will die
Vergangenheit nicht wieder beleben, sondern ihr durch parodistische
Nachahmung beikommen. Turbo-Architektur will in der Welt eine Rolle
spielen. Turbo-Architektur ist radikal und einfallsreich, darin äußert sich
ihr Wille zu überleben, und sie überlebt dadurch, dass sie alle Aspekte
der Wirklichkeit verzerrt oder überzeichnet. Turbo-Architektur ist ein
untrügliches Zeichen dafür, dass der Schwarzmarkt funktioniert. TurboArchitektur beweist, dass Bauen weder von einem stabilen Markt noch
von einem stabilen politischen System abhängig ist. Turbo-Architektur
beschäftigt sich nicht mit absoluter Größe, aber mit Maßstäblichkeit.
Turbo-Architektur spiegelt romantische wie technologische Wünsche
und Sehnsüchte. Turbo-Architektur ist zwiespältig, nach außen ist sie
extrovertiert, nach innen schirmt sie das Private ab wie keine andere
Architektur vor ihr. Diese Zweiteilung ist ablesbar. Turbo-Architektur ist
ein Zeichen für Habgier. Turbo-Architektur produziert Festungen. Sie
möchte so widerstandsfähig sein, dass kein Bulldozer ihr je was anhaben kann. Turbo-Architektur akzeptiert keine Regeln, aber sie braucht
sie, um sie zu brechen.“
20
Beispiele von Turbo-Architektur in Priština
21
ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT
Wiederaufbau in Postkonfliktländern
ROMA-NGOs IN SERBIEN:
ca. 1000
VERTRETENDE INSTITUTIONEN IN SERBIEN:
UN-HABITAT, OSCE, Weltbank,
European Comission, Roma Heart,
Society for the Improvement of Local Roma Communities
Serbien ist ein Land in einer Postkonfliktsituation, welches mit
den veränderten Machtverhältnissen zu kämpfen hat. Nachdem die
Friedensabkommen unterzeichnet wurden, blieb das Land weiterhin
in einem instabilen Zustand, der Wiederaufbau musste in Angriff
genommen werden. Unterstützt wurde Serbien dabei von den
üblichen Entwicklungshilfe-Gemeinschaften: UN-Organisationen,
Entwicklungsbanken
und
internationalen
NichtregierungsOrganisationen (NGOs).
Wer aber sind diese Geldgeber und was verändern sie in den
Nachkriegsländern wirklich? Generell wird Ihnen ein positives Bild
zugesprochen, so ganz genau weiß aber niemand, was etwa eine „NGO“
ist. Kai Vöckler, der selbst eine solche gegründet hat, namentlich die
„Archis Intervention“, eine Initiative die sich mit der langfristigen
urbanistischen Entwicklung in Nachkriegssituationen auseinandersetzt,
versuchte dafür eine entsprechende Antwort zu finden, und kam zum
Schluss: „Ich sollte lernen, dass eine NGO keine Rechtsform hat und
alles von einem gewinnorientierten Einzelunternehmen bis hin zu einer
gemeinnützigen Stiftung sein kann – nur sollte sie nicht allzu stark mit
staatlichen Stellen assoziiert werden. Zahlreiche sogenannte NGOs
sind aber faktisch aufs Engste mit den staatlichen Strukturen ihrer
Heimatländer verbunden (beispielsweise die deutsche GTZ-Gesellschaft
für technische Zusammenarbeit mit dem BMZ-Bundesministerium für
Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), so dass selbst
dieses Kriterium nur bedingt richtig ist.“
Fakt ist, dass unzählige NGOs und Entwicklungshilfe-Projekte das Land
nachhaltig beeinflussen. So hat zum Beispiel UN-HABITAT 2005-2008
mit Hilfe der italienischen Regierung ein Projekt gestartet, welches den
Fokus auf das Integrieren von Flüchtlingen legte, das SIRP Programm
(The Settelment and Integration of Refugees Programme in Serbia).
15 Millionen Euro wurden aufgebracht um 670 Häusereinheiten zu
konstruieren, die soziale Integration der Begünstigten voranzutreiben,
ihnen den Weg in die Arbeitswelt zu ermöglichen und den Flüchtlingen
einen Platz in der Gesellschaft zu geben. Einerseits sollten mit diesem
Projekt Häuser errichtet, aber auch zusätzlich eine Methode entwickelt
werden, welche die Einführung von Sozialem Wohnbau auf politischer
Ebene ermöglicht. Dies sollte dem starken Wohnungsmangel
entgegenwirken und sozial benachteiligten Personen die Chance auf
einen adäquaten Wohnort geben. Dazu wurden sieben kommunale
Wohnbauagenturen aufgebaut, welche den Ausbau des sozialen
Wohnbausektor vorantreiben sollen.
Ein Teil dieses Programms war zudem die Aufwertung und Regulierung
der Roma-Siedlung Grdička Kosa 2. Von März 2007 bis August 2008
wurde das erste Projekt dieser Art von Kraljevo, einer Gemeinde in
Serbien, während der „Roma Dekade“ initiiert. Die Parzellen der
Siedlung gehörten größtenteils der Gemeinde selbst, beziehungsweise
den serbischen Eisenbahnen. Die wenigen öffentliche Einrichtungen
und eine schlechte Gebäudesubstanz zeigten auf dem ersten Blick
die Armut in diesem Stadtteil. Die Wasserversorgung sowie die
Kanalisation und das Stromnetz waren nur teilweise vorhanden und nur
die Hälfte der Bevölkerung war an das Verkehrssystem angeschlossen.
22
Um die Zustände in diesem Bezirk zu verbessern wurde ein Wettbewerb
ausgeschrieben, der Architekten und Studenten animieren sollte
einen innovativen städtebaulichen und architektonischen Ansatz
zu liefern, der alle Beteiligten miteinbeziehen sollte. Schließlich
wurden die Besitzansprüche reguliert, ein Abwassersystem gelegt,
die Haupterschließungstraße asphaltiert und einige der bedürftigsten
Häuser wurden mit einer Dusche ausgestattet. Zusätzlich wurde den
BewohnerInnen in gemeinschaftlichen Treffen etwa der Zusammenhang
von Körperpflege und Gesundheit erklärt. Heute gilt das Pilotprojekt als
vorbildlich und die Absicht besteht, weitere Roma-Siedlungen auf eine
ähnliche Weise zu unterstützen (vgl. Colic, 2008)
Diese Projekte können aber nur einen kleinen Teil der notwendigen
Maßnahmen zum Wiederaufbau abdecken. Außerdem wird das damit
unweigerlich einhergehende Eingreifen von Organisationen in den
umfassenderen Prozess, also dem Aufbau eines neuen unabhängigen
Staates, auch durchaus kritisch kommentiert. So geschah dies am
Kosovo, wie Kai Vöckler in seinem Text „Turbo-Urbanismus in Prishtina“
beschrieben hat: „Ein nicht unbeträchtlicher Teil der für Hilfeleistungen
bereitgestellten Gelder floss in die Ausstattung der internationalen
Organisationen und in die selbst für westeuropäische Verhältnisse
extrem hohen Gehälter der internationalen Mitarbeiter. Besonders
problematisch sollte sich aber die UNMIK-Verordnung 2000/47 (United
Nations Interim Administration Mission in Kosovo) erweisen, die
faktisch den KFOR-Angehörigen und den internationalen Mitarbeitern
der UN-Verwaltung Immunität gewährte und eine gerichtliche
Verfolgung nur mit persönlicher Zustimmung des Generalsekretärs
der Vereinten Nationen zuließ. Damit wurde der kriminellen Energie
einiger UNMIK-Mitarbeiter die Tür geöffnet und die publik gewordenen
Skandale um Veruntreuung von Geldern und Korruption ohne
strafrechtliche Verfolgung (!) diskreditierten die UN-Verwaltung in den
Augen der kosovarischen Bevölkerung nachhaltig.“
Caroline Arnulf (Ökonomin), bemerkt in dem Artikel „Verlassen und
leben lassen“ außerdem: „Ganze Heerscharen hoch anerkannter,
internationaler Experten und Entwicklungshelfer werden aktiv, ein
Großteil der Nichtregierungs-organisationen und Mitarbeiter der UN,
die in Kabul, Kinshasa, Prishtina oder Juba ansässig sind, setzen sich
in Bewegung. Vor neu oder frisch rekonstruierten Gebäuden in Mostar
markieren hunderte Logos und Plakate der Geberorganisationen ihre
unterstützende Funktion. All dies könnte den Anschein erwecken,
dass die internationale Gemeinschaft im Allgemeinen die treibende
Kraft hinter jedem Nachkriegsaufbau ist. Dies ist nicht der Fall, wenn
man die eher informellen und wenig präsenten Schlüsselfiguren dieser
Entwicklung, die Migranten, berücksichtigt, die nicht nur beim Aufbau
des Friedens, sondern auch beim Wiederaufbau der städtischen
Struktur, der Gebäude sowie der heimischen Kultur und Wirtschaft
einen starken und dauerhaften Einfluss haben.“
Das bedeutet also, dass die MigrantenInnen, welche aufgrund politischer
und wirtschaftlicher Gründe dazu gezwungen waren ihr Heimatland zu
verlassen, mit ihren Geldrücküberweisungen den größten Teil des
Aufbaus finanzieren. Diese Gelder werden grundsätzlich privat genutzt
und kommen somit direkt der Verbesserung der Lebensbedingungen der
Zurückgebliebenen zugute. In Serbien entsprechen diese Geldtransfers
über 10% des Bruttoinlandproduktes. Zu beachten ist ferner, dass diese
Summen auch dann noch fließen, wenn die meisten Hilfsorganisationen
ihre Zuwendungen nach einer ersten Stabilisierung der Notsituation
bereits reduziert und zugunsten anderer Konfliktgebiete das Land
verlassen haben. Damit sind diese Zahlungen eine beständige Quelle
und sichern den Verwandten im Vaterland das Überleben (vgl. Vöckler,
2008).
Aber nicht nur die Lebensbedingungen werden durch die
MigrantenInnen verbessert, auch gesellschaftliche Folgen sind zu
beobachten. Vor allem sind dies neue Werte, zum Beispiel eine
zunehmende Gleichberechtigung von Frauen, welche von den
Auswanderern in ihre Länder transportiert werden. Diese positive
Beeinflussung wird durch die teilweise erzwungene Rückführung von
Asylanten gestoppt und kann nicht, wie häufig angenommen, über
organisierte Entwicklungsprogramme erfolgen. Die Furcht der Westvor den Osteuropäern, welche sich „für immer“ niederlassen wollen ist
nicht berechtigt, wenn man das Verhalten zum Beispiel von albanischen
MigrantenInnen studiert. Diese gehen nur für eine Zeit ins Ausland und
investieren ihre Ersparnisse in kleine Unternehmen im Heimatland.
Kai Vöckler und Imrgard Zerr äußern sich dazu in ihrer Abhandlung
„Translokaler Urbanismus – Die Diaspora als Stadtentwickler“ wie folgt:
„So gibt es fundamentale Unterschiede zwischen dem östlichen und dem
westlichen Europa, was die Sichtweise auf Arbeit und Auswanderung
betrifft. Eine restriktive Einwanderungspolitik der westeuropäischen
Länder hat nur zu größerer illegaler Migration geführt. Es ist nicht
nachvollziehbar, dass die Länder, die hohe Einwanderungsschranken
aufgebaut haben, die gleichen sind, die Entwicklungshilfe leisten, ohne
zu sehen, um wie viel größer der positive ökonomische Effekt in den
Herkunftsländern ist, wenn man temporäre Arbeitsmigration zulassen
würde.“
Caroline Arnulf schlägt vor diese Diasporanetzwerke stärker zu
nutzen und zu professionalisieren, zugleich sollte neuartig über
Städtepartnerschaften nachgedacht werden. Könnte man nicht
die Zuwendungen der Auswanderer bündeln und vermehrt in
Infrastrukturprojekte (Parks, Schulen) anlegen, von denen die ganze
Gemeinschaft profitiert? Somit würden mit größerer Wahrscheinlichkeit
die positiven Entwicklungen der Postkonfliktländer vorangetrieben, weil
allein das von Staat bzw. Organisationen zur Verfügung gestellte Geld
meist nicht ausreicht, um diese nachhaltigen Schritte zu übernehmen.
Außerdem ist es im Sinne aller Beteiligten die Lage zu verändern, um
eine Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen.
In einem weiteren Text zu diesem Thema mit dem Titel „Staatsloser
Urbanismus und Gutes Regieren“ stellt Kai Vöckler fest: „Der
Zusammenhang von Arbeitsmigration, Geldrücküberweisungen und
lokaler Stadtentwicklung ist nur eines von vielen Beispielen, die auf die
Notwendigkeit verweisen, über neue Formen politischer Gestaltung im
transnationalen Raum nachzudenken.“
Fazit: Aus meiner eigenen Erfahrung war es sehr schwierig in direkten
Kontakt mit der Society for the Improvement of Local Roma Communities
bzw. UN-HABITAT Serbia zu treten. Ich habe diese Organisationen
ausgewählt, weil während meiner Recherche immer wieder Personen
dieser Institutionen als Experten zum Thema „Roma und Wohnen“
in Serbien herangezogen wurden. Im Endeffekt kam ein persönlicher
Austausch aber nicht zustande, obwohl ich die Sichtweise derer, die in
diesen Organisationen beschäftigt sind, gerne eingehender vorgestellt
hätte. Ich muss mich daher auf Publikationen aus dem Internet
beschränken, was mir nach langem E-mail-Verkehr und schließlich
zwei kurzfristigen Absagen bezüglich eines Interviewtermins auch, von
Prof. Dr. Vladimir Macura, dem Präsidenten der Society, empfohlen
wurde. Ein Treffen mit Zlata Vuksanović-Macura (verheiratet mit
Vladimir Macura), Projektmanagerin von UN-HABITAT-SIRP Programm
wurde mir auch verwehrt (aber in diesem Fall konnte ich immerhin
bis zum Portier vordringen, der so freundlich war mir eine Publikation
über die letzten Geschehnisse der Entwicklungszusammenarbeit
auszuhändigen). Von daher muss ich die allgemeine Zugänglichkeit zu
den genannten Hilfsorganisationen infrage stellen; fraglich ist auch, ob
bedürftige Personen es schaffen können mit den Hilfsgemeinschaften
in Verbindung zu treten. Aus Gesprächen mit Einheimischen
konnte ich erfahren, dass sie den Organisationen teils sehr kritisch
gegenüberstehen, auch korrupte Machenschaften wurden ihnen
vorgeworfen. Persönlich hätte ich mir vonseiten der Entwicklungshelfer
eine höhere Wertschätzung meiner Wissbegierde gegenüber bzw.
mehr Kooperation erwünscht. Schließlich gehört die Information der
Bevölkerung auch zu ihren Aufgaben.
Das ändert freilich nichts an der Tatsache, dass Entwicklungshilfe ein
wesentlicher Motor für den Wiederaufbau in Nachkriegsländern ist und
bleibt.
Roma sind wohl die größten Verlierer des Balkankonflikts, ohne
einen Anspruch auf einen eigenen Staat zu stellen, bleiben sie in den
ethnisch gesäuberten Ländern einer der am stärksten marginalisierten
Gruppen. Deshalb sind besonders bei diesem Thema nachhaltige
Konzepte zur Integrierung und Verbesserung ihrer Lebensbedingungen
gefordert. Überlegungen die oft nur durch Druck von NichtregierungsOrganisationen stattfinden. Um ein zerrissenes Land in einen stabilen,
unabhängigen, funktionierenden und sicheren Staat umformen
zu können, müssen Politiker einsehen, dass die Einbindung der
gebliebenen Minderheiten oberste Priorität hat. Die Bürger müssen
sich gerecht behandelt fühlen und miteinander auskommen, um nicht
die Schuld der unrechten Situation bei ihren Nachbarn zu suchen und
neue Auseinandersetzungen heraufzubeschwören.
Die Evolution der finanziellen Zuwendungen
von Migranten gegenüber der offiziellen Entwicklungshilfe
Milliarde
US-$
200
175
$ 167
$ 166
150
125
$ 136
100
$ 79
75
50
25
1990
1991
1992
1993 1994
1995
1996
1997
Offizielle
Entwicklungshilfe
Finanzielle Zuwendungen
von Auswanderern
Privatkapital und
Aktienkapital
Direkte
Auslandsinvestitionen
1998 1999
2000 2001
2002 2003
2004
(70% aller Geldrücküberweisungen)
Quelle: Prishtina is Everywhere, Parthas Verlag, 2008
23
BELLEVILLE
Abriss einer Roma Siedlung
ORT:
Block 67, Neu Belgrad
PRODUZENTIN:
Rena Rädle und Vladan Jeremić,
Biro Beograd
http://www.birobeograd.info/
www.modukit.com/raedle-jeremic/
Der Film „Belleville“ dokumentiert den Abriss eines Teiles einer RomaSiedlung mitten in Neu Belgrad und zeigt die anschließenden Proteste
und die Misere der vertriebenen BewohnerInnen.
A
Auslöser für die polizeilich unterstützte Räumung war die „SommerUniversade 2009“. Für diese internationale Sportveranstaltung
wurde im Block 67, in unmittelbarer Nähe der Roma-Siedlung, 1858
Wohnungen mit dem klingenden Namen Belville errichtet. Die sechzehn
Gebäude, darunter 14-geschossige Appartmenthäuser, stellen den
momentan größten Wohnungsneubaukomplex in Belgrad dar.
Die Räumung der Barackensiedlung erfolgte am 3. April 2009, ohne
alternative Unterkunftmöglichkeiten für die Bewohner zur Verfügung zu
stellen, welche nicht einmal genügend Zeit hatten, ihr persönliches Hab
und Gut zu retten. Die Bagger zerstörten die Hütten von 45 Familien.
Die Betroffenen machten sich in den darauffolgenden Tagen dreimal auf
den Weg ins Stadtzentrum, um vor dem Rathaus adäquate Unterkünfte
von der Stadt zu fordern.
B
Die zuständigen Behörden versprachen einen temporären Unterschlupf
mit Wasseranschlüssen in der Stadtgemeinde bereitzustellen.
Ungeachtet der Zusicherung wurden zu Beginn nur drei Wohncontainer
in Boljevac, 15km außerhalb von Belgrad, aufgestellt. Die Bewohner
reagierten verstört und akzeptierten das Angebot nicht.
Am 8. April 2009, dem dritten Tag der Demonstrationen, feierte
das Roma National Council und das Ministerium für Menschen
und Minderheiten den internationalen Roma-Tag mit Konzerten im
Stadtzentrum. Serbien hatte zur dieser Zeit die Präsidentschaft der
„Roma Dekade“ inne.
Zehn Tage später installierte die Stadt dreizehn Wohncontainer im
Bezirk Mirijevo, einem Wohnviertel von Belgrad. Nicht alle Familien
bekamen einen Platz einige blieben im Block 67 zurück.
Außerdem wurde rund um die verbliebene Siedlung der Bau eines
Metallzauns in Angriff genommen, der die Bewegungsfreiheit der Roma
massiv einschränkt und zutiefst entwürdigend ist.
C
„Zuerst bekommen wir diesen Zaun zusammen mit Polizisten, und dann
haben plötzlich die Straßenlaternen neben uns aufgehört zu leuchten“,
beschreibt ein ortsansässiger Roma die Situation.
Eine Petition wurde verfasst. Sie verlangt von der Stadt Belgrad
endlich ordentliche und nachhaltigere Maßnahmen zur Verbesserung
der Lebensbedingungen der BewohnerInnen der rund 150 Slums in
Belgrad.
Film unter: http://www.archive.org/details/BELLEVILLE
D
24
E
F
G
H
I
J
A: Eine Familie der abgerissenen Siedlung
B: Srđan Šajn, Präsident einer Roma Partei
C: Roma im Streik
D: Marko Karadžić, Staatssekretär im Ministerium
für Menschen und Minderheitsrechte
E: Bewohner der Siedlung
F: Vladan Ðukić, Sekretär für Soziales und Kinderwohlfahrt
G: bereitgestellte Containersiedlung
H: Tasa Mirijevski, Roma Verein Zvezdara
I: im Block 67
J: Zorica Denić, seit 8 Jahren in Neu Belgrad
25
ROMA, DISKRIMINIERTE SERBEN
Interview mit
Eduard Freudmann und Can Gülcü
AUTOREN DES BUCHES:
Beograd Gazela
Reiseführer in eine Elendssiedlung, Drava Verlag, 2008
INTERVIEWPARTNERIN:
Lina Čipan
ORT, DATUM:
Wien, 11. 08. 2009
Das folgende Interwiev hat vor dem 31. 08. 2009 stattgefunden, das
heißt es wurde noch vor der Räumung der Siedlung Gazela durchgeführt.
Deswegen auch wurde die Umsiedelung nicht weiter thematisiert. Zu diesem Zeitpunkt waren sich die Gesprächsbeteiligten noch nicht sicher, ob
diese überhaupt stattfinden wird oder nicht. In Anbetracht dieser Tatsache
wird der zähe Informationsfluss ersichtlich, der es sogar für interessierte
Personen schwierig macht den Überblick zu bewahren.
Julia Preschern: Was ist euer Zugang zum Thema? Wie habt ihr die Roma
kennengelernt, speziell die Roma aus der Siedlung Gazela?
Eduard Freudmann: Wir nahmen im Frühjahr 2005 an einem Kunstfestival in Belgrad teil und trafen dort einen Kollegen aus Wien, der im Winter
zuvor ein KünstlerInnentreffen und Stadtforschungsprojekt in Belgrad
veranstaltet hatte. Schlusspunkt dieser Veranstaltung war ein Besuch
in der Gazela-Siedlung und geplant war eine Fortsetzung des Projekts
im darauf folgenden Sommer mit einem Schwerpunkt auf der Siedlung.
Unsere Idee war parallel dazu eine Art „mapping“ über Gazela zu schaffen,
allerdings kam das übergeordnete Projekt aus verschiedenen Gründen
nicht zustande.
Lina Čipan: Waren das künstlerische Projekte?
Can Gülcü: Unter anderem war geplant, ein „Artist in Residence“Programm in der Siedlung anzubieten – KünstlerInnen hätten in dessen
Rahmen zusammen mit den BewohnerInnen ortsbezogene Projekte entwickeln sollen.
E.F.: Beispielsweise sollte eine Baracke gebaut werden, die als Gemeinschaftszentrum dienen würde.
C.G.: Trotz des Nichtzustandekommens dieses Projekts haben wir weiter
an unserem Konzept gearbeitet, haben die organisatorischen wie finanziellen Rahmenbedingungen dafür geschaffen und hatten in diesem Sommer
2005 unseren ersten längeren Rechercheaufenthalt in Belgrad.
E.F.: Zunächst trafen wir uns mit VertreterInnen von Roma-NGOs und
anderen Institutionen sowie mit Personen, die sich mit der Thematik beschäftigen. Das Ziel war einerseits einen Überblick über den
Forschungsstand bezüglich der zahlreichen Elendssiedlungen in Belgrad
sowie der Einbettung der Roma-Minderheit in der serbischen Gesellschaft
zu bekommen, andererseits auch Informationen über die Gazela-Siedlung
im Speziellen: wie ist die Gemeinschaft dort strukturiert, welche Vorgehensweise während der Recherche in der Siedlung ist sinnvoll, an wen
kann man sich für Gespräche wenden?
C.G.: Zu jener Zeit gab es ein Umsiedlungsprojekt, so besuchten wir die
Siedlung zum ersten Mal in Begleitung eines Roma-Vertreters am Tag
einer diesbezüglichen Volkszählung. In den folgenden Monaten besuchten
wir die Siedlung immer wieder, um mit einer Vielzahl von BewohnerInnen
Gespräche zu führen.
L.Č.: Was hat euch eigentlich beim ersten Besuch dort gefallen, was hat
euch so angezogen bzw. inspiriert, dass ihr das Buch schreibt?
E.F./C.G.: Es ging uns dabei nicht ums Gefallen.
E.F.: In unserem Projekt wollten wir den Hintergründen der Diskriminierung
von Roma nachgehen, denn dass sie aus dem Leben der Mehrheitsgesellschaft auf vielfältigste Weise ausgeschlossen sind, war augenscheinlich.
C.G: Außerdem wollten wir herausfinden, mit welchen gesellschaftlichen
26
Strukturen die eigenartige Unsichtbarkeit dieses Ortes zusammenhängt,
der aufgrund seiner exponierten Lage in der Stadt eigentlich so sichtbar
sein müsste, und auch wie das Leben in der Siedlung organisiert ist.
J.P.: Das heißt die Informationen die ihr von den entsprechenden NGOs
herausgefunden habt, waren für euch nicht ausreichend? Was hat euch
gefehlt?
E.F.: Wir haben in den Gesprächen sehr bald festgestellt, dass der diesbezügliche Wissensstand derjenigen, deren Job die Beschäftigung mit den
Elendssiedlungen und ihren BewohnerInnen ist, ein unzureichender ist.
Zusätzlich waren wir ständig mit Vorurteilen und Stereotypen konfrontiert.
J.P.: Gibt es schriftliche Quellen, also etwas Vergleichbares wie euer
Buch?
E.F.: Die wenigen vorhandenen schriftlichen Quellen über Gazela würden
wir größtenteils als unzuverlässig bezeichnen. Das zeigt sich auch daran,
wie widersprüchlich und fehlerhaft die darin enthaltenen Informationen
sind, zum Beispiel schwanken die Angaben zur BewohnerInnenzahl in den
verschiedenen Quellen von 300 bis 5000.
C.G.: Auch die Informationen über das gesellschaftliche Gefüge in
der Siedlung erwiesen sich als grundlegend falsch: Auf Grundlage der
Gespräche zuvor waren wir zunächst auf der Suche nach einem „Chef“,
also einer Ansprechperson, von der der Zugang zu Informationen und den
BewohnerInnen abhängig sein würde. Eine solche politische Struktur mit
den entsprechenden EntscheidungsträgerInnen existiert aber in Gazela
ganz einfach nicht. Das große Problem dabei ist aber, dass sich die zuständigen Institutionen solchen Siedlungen genau auf Basis dieser fiktiven
Annahme nähern.
E.F.: Beispielsweise wurden im Zuge der Umsiedlungsplanung 2006 von
der Stadtverwaltung vier Bewohner ausgewählt, die zu Vertretern der verschiedenen Gruppen in der Siedlung erklärt wurden. Dabei bezog sich diese Wahl nicht auf ein tatsächlich vorhandenes gesellschaftliches Gefüge,
sondern fiel mehr oder weniger beliebig auf Personen, die sich in jenem
Moment aus verschiedenen Gründen zu dieser Aufgabe berufen fühlten.
J.P.: Es gibt aber sehr wohl politische VertreterInnen von außen, eben
NGOs, wie stehen die BewohnerInnen zu ihnen? Wissen sie, dass sie
vertreten werden?
C.G.: Ein Problem dieser politischen Vertretung ist, dass die Roma-Organisationen nicht unbedingt direkt in den Elendssiedlungen aktiv werden,
zumindest nicht in Gazela.
L.Č.: Aber für wen sind sie dann aktiv? Was machen sie dann?
C.G.: Die Organisationen, mit denen wir zu tun hatten, operieren in erster
Linie in den Siedlungen, in denen sie angesiedelt sind und bieten dort,
neben ihren politischen Aktivitäten, verschiedene Dienste für die BewohnerInnen aus der Umgebung an: so gibt es beispielweise die Möglichkeit
an ihre Vereinszentralen angeschlossene Kliniken oder Bildungs- und
Kinderbetreuungseinrichtungen zu besuchen.
E.F.: Aufgrund der fehlenden Rechtssicherheit stehen solche Zentralen
natürlich nicht in den Elendssiedlungen, die Gefahr einer plötzlichen
Räumung durch die Behörden wäre einfach zu groß.
C.G.: Zusätzlich sind die zur Verfügung stehenden Geldmittel sehr
begrenzt. Das ist nicht nur ein Faktor, der der Einigkeit unter den VertreterInnen im Weg steht und Rivalitäten fördert; ausserdem muss man mit
den vorhandenen Mitteln in irgendeiner Weise auskommen – und dabei
bleiben die Elendssiedlungen leider außen vor.
L.Č.: Was für ein Bild habt ihr von „den Roma“? Gibt es spezielle Eigenschaften? Waren sie beispielsweise „offen“ oder „verschlossen“?
E.F.: Zunächst müssen wir festhalten, dass man nicht von „den Roma“
sprechen kann. Sowohl in Gazela als auch außerhalb ist das eine sehr
heterogene Gemeinschaft mit zum Teil sehr unterschiedlichen Lebensumständen und Interessen. Deswegen kann man nicht von speziellen Eigenschaften sprechen und auch nicht allgemein behaupten, dass sie offen
oder verschlossen wären, das ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich.
L.Č.: Haben sich irgendwelche stereotypischen negativen Sachen, die
man so über die Roma hört bewahrheitet? Oder sagt ihr das ist alles
Schwachsinn?
E.F.: Das ist reiner Schwachsinn.
J.P.: Gibt es Gewohnheiten, die sie besonders haben, Eigenschaften die sie
spezieller machen? Gibt es da etwas Greifbares oder sind sie gleich wie die
SerbInnen, wie die Mehrheitsgesellschaft?
E.F.: Es ist erstmal wichtig festzustellen, dass sie ja auch SerbInnen sind.
Aber unter ihnen sind Roma eine benachteiligte, diskriminierte Gruppe.
J.P.: Glaubt ihr, sie haben eine spezielle Identität unter den SerbInnen?
Und falls ja, diese durch eine Intergration in die Mehrheitsgesellschaft
verloren gehen könnte? Sollte man Familienclans fördern oder deren
Aufsplitterungen forcieren? Würde damit nicht auch die Kultur der Roma
„aufgelöst“ werden?
E.F.: In Serbien leben viele Menschen in Großfamilien mit den dazugehörigen Vor- und Nachteilen für die Familienangehörigen, das ist nichts Außergewöhnliches oder Spezielles. Ich denke, dass auch die meisten Roma,
die wir getroffen haben, weiterhin so ein Leben führen wollen würden.
C.G.: Das ist aber keine Identitätsfrage, sondern hat einfach damit zu tun,
dass diese Familienverbände unter anderem auch dem wirtschaftlichen
Auskommen dienen. Übrigens wurde dieser Punkt aus den bisherigen
Übersiedlungsprojekten nahezu vollständig ausgeklammert: die Errichtung neuer Siedlungen weit außerhalb des Stadtzentrums, würde etwa
dazu führen, dass die wirtschaftliche Grundlage der meisten, nämlich das
Sammeln von Altstoffen, einfach wegfällt.
J.P.: Bei einem dieser Umsiedlungsprojekte konnten wieder Vertreter von
BewohnerInnen partizipieren (vgl. S. 28). Sie konnten zum einen aus 32
möglichen Bauplätzen einen auswählen. Der ausgewählte Baugrund befindet sich an der Peripherie. Seht ihr für die Zukunft einen Platz für die Roma
im Stadtzentrum?
C.G.: Meiner Meinung nach ist es viel dringlicher, dass der vorhandene
Wohnort legalisiert wird und somit die BewohnerInnen Rechtssicherheit
bekommen.
E.F.: Man muss sich vor allem dafür einsetzen, dass Gazela von dem aktuellen, illegalisierten in den informellen Status übertritt. Es gibt im Grunde
keinen Unterschied zwischen der größten informellen Siedlung Europas,
die übrigens in Belgrad liegt, nämlich Kaluđerica und den illegalisierten
Siedlungen wie Gazela – außer natürlich, dass in den Elendssiedlungen
Roma wohnen und in Kaluđerica nicht. Wenn man, wie die BewohnerInnen
von Gazela, permanent von der Vertreibung vom Wohnort bedroht ist und
jeden Tag damit rechnen muss, dass das eigene Haus abgerissen wird,
baut und lebt man eben anders als mit Rechtssicherheit.
J.P.: Wenn man für sie plant soll man also eine Mischung mit der Mehrheitsgesellschaft zustande bringen, oder verlieren sie dann ihre Identität?
C.G.: Es wäre äußerst problematisch, sie in einem von den restlichen BürgerInnen der Stadt separierten Ort unterzubringen, denn es geht nicht nur
darum, wie sie wohnen, sondern auch wie man gegen die ständige Diskriminierung vorgeht und sie in die Mehrheitsgesellschaft einbettet. Das geht
einher mit Bildungs-, Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten.
E.F.: Deswegen ist die Frage der Lokalität eine sehr wichtige. Es geht
um Gazela, aber auch um die restlichen ca. 150 Elendssiedlungen in der
Stadt. Wenn man all diese aus der Stadt aussiedelt, ist gar keine Grundlage vorhanden, sinnvoll gegen die Diskriminierung vorzugehen. Man
kann nicht einen großen Teil der BürgerInnen aus der Stadt vertreiben und
behaupten, man hätte ihnen geholfen. Deswegen ist die Lage einer neuen
Siedlung der springende Punkt: befindet sich diese im Nirgendwo, dann
handelt es sich bei dem Projekt um reine Augenauswischerei.
J.P.: Habt ihr sie konkret gefragt, ob sie dort wohnen bleiben wollen?
E.F.: Sie hätten sich ja an diesem Ort nicht angesiedelt, wenn sie dort
nicht wohnen wollen würden. Deswegen kann man auch davon ausgehen, dass sie auch bleiben wollen. Andere Faktoren trugen zwar auch zur
Entstehung bei, aber sonst wäre an dieser Stelle keine Siedlung in dieser
Form entstanden.
J.P.: Wie kann es mit Gazela in Zukunft weiter gehen?
E.F.: Wichtig ist vor allem ein entschiedenes Vorgehen gegen die
vielschichtige Diskriminierung, aber die Zukunftsgestaltung liegt nicht
im Wirkungsbereich der BewohnerInnen von Gazela, sondern dem der
Mehrheitsgesellschaft.
C.G.: Es geht nicht darum, nur die Wohnsituation zu ändern oder vereinzelt
Bildungs- bzw. Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Nur im Rahmen eines
umfassenden Programms, das gleichzeitig alle vorhandenen Probleme
angeht, ausgestattet mit ausreichend finanziellen Mitteln, begleitet von
einer entschiedenen Öffentlichkeitsarbeit, aber vor allem getragen von
dem notwendigen politischen Willen, gäbe es die Möglichkeit, diese
untragbare Situation zu verändern.
Zu den Personen:
Eduard Freudmann, geboren 1979 in Wien, Studium an der Akademie der Bildenden Künste
Wien und an der Bauhaus Universität Weimar. Lebt als Kunst- und Kulturschaffender in Wien und
Belgrad; als Lehrender an der Akademie der Bildenden Künste Wien tätig.
Can Gülcü, geboren 1976 in Bursa, Studium an der Akademie der Bildenden Künste Wien, davor
der Architektur an der TU Wien. Lebt als Künstler in Wien.
Lina Čipan, geboren 1982 in Skopje, Studium an der Technischen Universität Wien. Schreibt an
ihrer Diplomarbeit mit dem Thema Roma in Šutka, Skopje.
27
NEW ROMA MAHALA
Konzept für eine Umsiedlung
d
ORT:
Ovča, Belgrad
VERANTWORTLICHE:
Vladimir Macura, Milorad Djuric,
Zivojin Mitrovic
c
a
d
e
A
Vladimir Macura beschäftigt sich schon lange mit der Roma-Thematik,
er gilt allgemein als Experte für Roma und deren Wohnangelegenheiten.
„New Roma Mahala“ zeigt den gemeinsam mit ausgesuchten
RepräsentantInnen der Gazela-Gemeinschaft unternommenen Versuch
ein Projekt zur Umsiedlung zu gestalten. Dabei sollten für 130 Familien
permanente Wohnmöglichkeiten geschaffen werden und die saisonelle
Population von 90 Familien in temporäre Unterkünfte einquartiert
werden.
In allen Phasen des Vorhabens waren ausgesuchte Personen der
Siedlung, sogenannte „StellvertreterInnen“ involviert. So wählten sie
beispielsweise aus 32 Möglichkeiten den Bauplatz des neuen Mahalas
aus. Das Grundstück ist an der Peripherie der Stadt und Eigentum der
Stadtgemeinde.
Laut Macura müssen beim Entwerfen von adäquaten Wohnungen für
Roma-Familien folgende fünf Ansprüche beachtet werden:
B
1) Leben am Erdboden: Wohnen findet ebenerdig statt.
2) Leben ohne Käfig: Wohnung, Veranda und Garten bilden das Heim.
Zuhause ist nicht bloß die Wohnung.
3) Leben in einer Familie: das Herzstück des häuslichen Leben ist ein
Raum mit Herd.
4) Leben im Privaten: ein Raum für erwachsene Kinder, junge Pärchen,
Ältere oder Kranke ist seperiert von anderen Bereichen der Wohnung
zu organisieren.
5) Leben in der Gemeinschaft von Freunden und Nachbarn: Erweiterung
des Wohnzimmers in den öffentlichen Raum.
A: Reihenhaus
a) Regenwasserfilter
b) Solare Warmwasseraufbereitung
c) elektrischer Boiler mit Warmwasseraufbereitung verbunden
d) Wärmespeicher Ziegelwand
e) Südseite mit größeren Fenstern als Nordseite
B: Skizze des Mahalas
C: Umsiedlung vom Stadtzentrum an die Peripherie
Geplant wurden drei Typen von Wohnungen, sowie ein vierter Typus,
eine Kombination aus den anderen drei Varianten, um möglichst allen
Wünschen der verschieden großen Familien gerecht werden zu können.
Die Größen der Wohnungen variieren zwischen 30 und 97m². Durchschnittlich stehen einer Person ca. 11m² Wohnfläche zu Verfügung.
Donau
Batajnica
Borča
Macura sagt die Häuser werden – entsprechend der „Mentalität der
Roma“ – ökologische Funktionen aufweisen, er nennt dies „semipassiv“. Es wird etwa ein solarer Warmwasserbereiter installiert, eine
Einrichtung welche in vereinfachter Form selbst bei den bescheidenen
Hütten in Gazela zu beobachten ist. Auch für die Roma-VerteterInnen
stellt dies eine passende Lösung dar.
Krnjača
Zemun
Staro
gradsko
tkivo
Novi Beograd
Gazela
Surčin
Rakovica
Želenik
Umka
Sremčica Rušanj
Velika
Moštanica
C
28
Višnjica
Mirijevo
Banovo
Brdo
Sava
Ovča
Resnik
Kaluđerica
Leštane
Zuce
Vinča
Die Konstruktion der Häuser soll vom sozialem Wohnprogramm der
Stadt Belgrad finanziert werden. Die Wohnungen werden anschließend
mit Unterstützung der Stadt an die Familien vermietet.
Gedacht wurde aber nicht nur ans Wohnen, es wird angemerkt, dass man
sich im Rahmen eines solches Projekts auch um Erziehung, Beschäftigung und medizinische Versorgung der Bewohner kümmern müsse. So
kommt es auch zum Vorschlag die Einwohner in öffentlichen Fabriken
anzustellen, am besten in einem neuen „Zentrum für Recycling“.
Der Entwurf wurde mit dem Holcim Awards Acknowledgement Prize
2008 (dotiert mit 15.000$) ausgezeichnet (vgl. Macura, 2008b).
Geplant war, das Projekt im Juli 2008 zu starten. Weitere Informationen
über das Projekt konnten nur mehr über regionale Nachrichten ausfindig gemacht werden. Laut Meldungen von B92-News (eine der führenden südosteuropäischen Webseiten seit 1996), konnte wegen massiven
Protesten der Anwohner Ovčas nicht gebaut werden. Die Einwohner
glauben, dass die neue Roma-Siedlung die ethnische Struktur der
Gemeinde ändern würde. Außerdem stehe nicht genügend Infrastruktur
zur Befriedigung des elementaren Lebensstandards aller zur Verfügung.
Tatsächlich wurde das Projekt nie umgesetzt.
„Wir haben einige Gründe unsere Menschenrechte zu erhalten und zu
schützen. Vor allem beinhalten diese das Recht zu entscheiden was
in deinem Bezirk passiert, zudem das Recht unserer persönlichen
Sicherheit und das unseres Eigentums, sowie das Recht zur normalen
Bildung“, sagt Ðurica Šipoš, Mitglied des Ausschusses der protestierenden Anwohner (vgl. B92-News, 2008).
D
D: Übersichtsplan, New Roma Mahala
1. Boxen zum Sammeln von Material bzw. Parken
2. Nebenstraße
3. Mini Basketballplatz
4. Fußgängerweg
5. Öffentlicher Platz
6. Kinderspielplatz
7. Reguläre Straße
E: Grundriss, Type Ema, South Veranda,
54m² für 3-5 Personen
Rajko Ðurić, Präsident der Roma Union Serbien, meint hingegen, dass
der Widerstand der Bevölkerung gegen die Konstruktion des neuen Mahalas gegen Maßnahmen verstößt, welche von Staat und Stadt bereits
abgesegnet wurden, und dass die widerständigen Anrainer die Konsequenzen dafür tragen müssten. Er meint ausserdem, dass es sich bei
dieser Aktion um unverblümten Rassismus handelt, und dass diese Art
von Roma-Feindlichkeit von Tag zu Tag ansteigt.
2
1
3
4
7
5
5
6
6
2
1
E
29
RETHINKING LOCATION
Modell für eine interkulturelle Siedlung
ORT:
Mirijevo, Belgrad
DIPLOMARBEIT VON:
Tamara Brajović,
Technische Universität Belgrad
alter Stadtteil
Donau
Batajnica
Borča
Krnjača
Zemun
Staro
gradsko
tkivo
Novi Beograd
Gazela
Surčin
Rakovica
Želenik
Umka
Sremčica Rušanj
Velika
Moštanica
A
30
Višnjica
Mirijevo
Banovo
Brdo
Sava
Ovča
Resnik
Kaluđerica
Vinča
Leštane
Zuce
B
alter Stadtteil
Der Aktionsplan umfasst mehrere Schritte, die wie folgt beschrieben
werden können: als erstes müssen die Gewohnheiten und Bedürfnisse
der Betroffenen, sprich Roma und Nicht-Roma, aufgenommen werden,
um die Kriterien für die neue Siedlung zu finden. Weiters muss ein Ge-
Während ihrer Recherchearbeit zu dieser Arbeit hat Tamara Brajović
herausgefunden, dass die Bevölkerung in Mirijevo gerne in dorfähnlichen Strukturen leben würde. Deshalb auch ist ihr städtebauliches
Konzept, wie ein ländlich gewachsenes Dorf zu betrachten. Sie übesetzt
einfach die Matrize der Umgebung auf den neuen Ort und erhält so eine
authentische Erweiterung der Gemeinde, eine „geplant-gewachsene“
Struktur.
In einem ausführlichen Regelwerk beschreibt sie, wer in dem neuen
Gebiet wohnen wird, zusammenfassend sind dies sozial Bedürftige,
welche teilweise eine Miete bezahlen müssen, gewisse Begünstigte
aber nicht. Zusätzlich soll es Grundstücke für Privatbesitz geben aber
auch Investoren sollen dort Wohnungen bauen dürfen.
alter Stadtteil
Um eine größere Vermischung der Nachbarschaftsgruppen untereinander voranzutreiben und einen gewissen Wohnstandard in dem Bezirk
einzuführen, soll neues Gebiet erschlossen werden. Auf diesem bebaubaren Gelände wird nach einer bestimmten Vorgehensweise eine Wohnanlage entstehen, welche einen gewissen Mix an sozialen Schichten
und Ethnien vorsieht. Dafür wurde ein Aktionsplan erdacht, welcher zum
einen die „unhygienische Siedlung“ aufwertet bzw. entlastet, indem einige der BewohnerInnen in den neuen, nahegelegenen Stadtteil ziehen,
andererseits sieht er auch vor, Wohnungen für die einkommenschwache
Mehrheitsbevölkerung zu Verfügung zu stellen.
biet für die neue Siedlung gefunden werden, danach soll entschieden
werden, wer dorthin ziehen darf. Im nächsten Schritt wird das Gelände
analysiert, um danach ein Modell für den Mix vor Ort auszuarbeiten.
Zum Schluß werden anhand eines urbanistischen Planes die Ergebnisse vermerkt. An dem Arbeitsprozess soll die in Mirijevo lebende
Bevölkerung, Investoren von Wohnhäusern, Abgesandte der Stadt, ein
Städtebaubüro und NGOs teilnehmen.
neuer Stadtteil
Tamara Brajović beschreibt in ihrer Diplomarbeit ein Modell für einen
neuen, interkulturellen Stadtteil in Mirijevo einem Bezirk von Belgrad.
Roma leben in dem analysierten Bezirk in sogenannten „unhygienischen Siedlungen“, nebenan die serbische Mehrheitsbevölkerung in
kleinstädtischen Strukturen.
A: Umsiedlung innerhalb des Bezirkes Mirijevo
B: Einbettung in den Bezirk
C: Übetragene Matrize der Nachbarschaft auf das neue Gebiet
D: Mixtur der Wohnungstypen in 2 Phasen
E: Verschiedene Bebaungstypen
C
1. Phase
Wohnungen zum Verkauf (10%)
Eigentumswohnungen (30%)
gemeinnützige Wohnungen (30%)
Sozialwohnungen (30%)
2. Phase
Wohnungen zum Verkauf (10%)
Eigentumswohnungen (50%)
D
gemeinnützige Wohnungen (20%)
Sozialwohnungen (20%)
E
31
A
A
A
B
32
ELEMENTAL
Sozialer Wohnbau in Chile, 2004
ORT:
Quinta Monroy, Iquique
ARCHITEKTEN TEAM/DO TANK:
Alejandro Aravena,
Alfonso Montero, Tomas Cortese,
Emilio de la Cerda, Andrés Iacobelli
www.elementalchile.cl
C
D
Im Auftrag der Regierung entwickelte die Initiative Elemental
Wohnhäuser für einhundert Familien, welche seit dreissig Jahren illegal
im Stadtzentrum der Wüstenstadt Iquique lebten. Auf dem Grundstück
der illegalen Siedlung sollte kostengünstiger Wohnraum zum
Eigenerwerb für die einhundert Familien geschaffen werden. Unterstützt
wurde dieser Auftrag mit einem Betrag von 7.500$ pro Wohneinheit,
zuwenig um einen standardisierten Wohnungstyp zu erstellen.
Es musste eine Strategie entwickelt werden, welche es erlaubte den
zentralen Bauplatz zu halten, um nicht auf die günstigere Peripherie
ausweichen zu müssen.
E
Aravena sieht Sozialen Wohnbau nicht als bloßen Kostenaufwand,
sondern vielmehr als eine Investition. Deshalb auch müssen die
staatlichen Förderungen mit der Zeit an Wert gewinnen. Der Standort
spielt dabei eine große Rolle, ebenso das soziale Millieu. Der Beitrag
sollte zumindest für Baugrund, Infrastruktur und Rohbau reichen. Der
Rest sollte von den BewohnerInnen selbst finanziert bzw. im Eigenbau
verwirklicht werden.
Im Prinzip werden die Häuser sozusagen nur zur Hälfte gebaut: Die
Infrastruktur, wie Küche und Bad, sowie Treppen und konstruktive Wände werden vorgegeben. Alle übrigen Ausbauarbeiten werden von den
BewohnerInnen selbst übernommen.
So entstand eine Grundstruktur mit je 30m² großen Einheiten, welche
nach Bedarf auf bis zu 72m² vergrößert werden können. Angeordnet
wurden diese Einheiten in Hausgruppen mit überschaubaren Höfen,
welche eine Selbstverwaltung ermöglicht und dem Staat somit Folgekosten spart.
A: Innenansicht Elemental im Gebrauch
B: Innenansicht im Rohbau
C: Elemental kurz nach Fertigstellung
D: Elemental im Gebrauch
E: Axonometrie
Nach einigen Jahren in Betrieb zeigt sich die „Quinta Monroy“ als
durchaus gelungenes Projekt. Wegen des großen Erfolgs soll auch in
anderen Städten diese Art von Bebauungsstruktur umgesetzt werden.
Außerdem wurde das Projekt mit dem Global Award for Sustainability
ausgezeichnet. (vgl. Detail, 2008)
33
ANALYSE
”I collect metal and paper all the day long for 3 euros per day. This is
all the money we have. I cannot apply for social assistance and child
allowance, because I don’t have 200 euros to buy a residence permit.”
MILAN PEŠIĆ (35), 4 Kinder, aus Gazela, Neu Belgrad
Gazela, Mai 2009
35
Gazela am 31. August 2009
36
GAZELA
Ereignisse rund um die Siedlung
von 2005-2009
BEGINN DER SIEDLUNG:
ca. 1983
ENDE DER SIEDLUNG:
31. August 2009
Das erste Mal verkündete die Stadtregierung 2005, dass eine
Evakuierung der Siedlung Gazela bevorstehe.
Damals war geplant temporäre Wohncontainer an der Peripherie Neu
Belgrads (nahe der „Dr. Ivan Ribar“-Straße), aufzustellen. Als die
Nachbarschaft davon erfuhr, reagierte diese postwendend mit Protesten
gegen den Entschluß. Die Regierung nannte sie daraufhin Rassisten,
und erklärte das Projekt würde trotzdem realisiert werden.
Doch der Widerstand wurde nicht kleiner. Etliche Kontrapunkte wurden
von den Anrainern formuliert, etwa dass die Stadt nur den Bauplatz
unter der Brücke für weitere Investitonen freimachen wolle. Außerdem
würde der Preis der Liegenschaft gedrückt, falls solch eine große,
einkommensschwache Gruppe in der Umgebung angesiedelt werden
würde (vgl. Wikipedia, 2009).
Einige NGOs unterstützen das Vorhaben der Stadtregierung, andere wiederum wiesen darauf hin, dass diese „Lösung“ insgesamt mangelhaft
ist: nicht nur wegen dem wirtschaftlichen Faktor, sondern auch weil das
geplante Projekt einen Zaun vorgesehen hatte. Dies würde bloß ein neues Ghetto schaffen – ohne die eigentlichen Probleme zu lösen. Nach
monatelangen Auseinandersetzungen, verbalen Schlagabtäuschen und
Protesten zogen sich die offiziellen VertreterInnen zurück und legten
den Plan auf Eis.
Im Juli 2007 erklärte die Stadt wieder, dass eine Umsiedlung im
Frühjahr 2008 bervorstünde. Die geschätzten 245 Familien müssten
der Restaurierung der Gazela-Brücke (im Jahre 1971 erbaut) weichen.
Konkrete Pläne wohin und wie die Bevölkerung umziehen sollten,
wurden nicht vorgelegt, aber eine Zählung der Einwohnerschaft wurde
veranlasst. Dies ist im Zusammenhang mit dem Angebot der Europäischen Investitionsbank zu sehen, welches den Kredit für die Restaurierung der Brücke nur unter der Bedingung gewährt, dass dieser „Job“
korrekt erledigt wird.
Damals erklärte er, dass nach europäischem Vorbild vorgegangen wird,
um nicht erneut einen Slum zu kreieren. Deshalb auch sollte den BewohnerInnen an unterschiedlichen Orten eine neue Bleibe bereitgestellt
werden.
In einem Interview erklärt der Bürgermeister der Stadt Belgrad,
„Das ist der Anfang. Aber um diese zwei Dinge zu differenzieren,
diese Menschen müssen ausziehen, sie müssen in die Gesellschaft
aufgenommen werden, ihre Kinder müssen in die Schule gehen und sie
müssen Arbeit bekommen. Aber auch Belgrads BürgerInnen müssen
sich den Fakten bewußt sein, dass sie sich nicht widersetzen oder
verhindern können, dass BürgerInnen des gesellschaftlich verarmten
Lagers unter der Gazela-Brücke, in ihre Nachbarschaft kommen.“
Weiters fügt Krkobabić hinzu, dass eine solche Diskriminierung nicht
mehr toleriert wird. (vgl. B92-News, 2009a)
Schließlich wurden am 31. August 2009 die Familien, die in Gazela seit
nunmehr 30 Jahren gelebt haben, umgesiedelt.
Die Umsiedelung geschah aber bevor die Aktionspläne mit den
betroffenen BewohnerInnen abgesprochen wurden. Ferner wurde davon
abgesehen die Umsiedelung von der Europäischen Investmentbank
(EIB) oder der European Bank for Reconstruction and Development
(EBRD) genehmigen zu lassen, welche zur Gewährung des damals zur
Verfügung gestellten Kredits, eine bestimmte Vorgehensweise forderte.
Die Anwohner Ovčas vereitelten die geplante Umsiedlung in ihr Umland
im Juli 2008 mit ähnlichem Widerstand wie bei dem gescheiterten
Vorhaben von 2005. (siehe S. 28, 29)
In Belgrad registrierte Familien wurden in vier verschiedene Bezirke
innerhalb Belgrads umgesiedelt. Einem Report von CEE Bankwatch
Network (einer interantionalen NGO) zufolge bekam jede Familie einen
temporären Wohncontainer inklusive Möbeln und einem Anschluß an
die sanitäre Infrastruktur gestellt. Zur gleichen Zeit wurden 64 Familien,
welche in südserbischen Gemeinden gemeldet sind, mit Bussen in die
entsprechenden Städte und Dörfer transportiert. Außerdem wurde eine
Abmachung getroffen, dass jene Familien, die nirgendwo registriert
sind, ebenfalls eine temporäre Unterkunft bekommen, bis eine permante Lösung gefunden wird.
Im Februar 2009 wurden dann von Bürgermeister Milan Krkobabić
die Aktionspläne zur Räumung der Wohngemeinde bekannt gemacht.
Osman Balić, Koordinator der „Roma Dekade“ meint, dass besondere
Aufmerksamkeit jenen zukommen müsse, welche nicht in Belgrad
37
Innenraum einer Behausung
Innenraum eines Containers
38
registriert sind, und erklärt weiters, dass die Probleme von einigen
hundert Menschen gelöst werden müssten (vgl. B92-News, 2009b)
Dementgegen übt Ombudsmann Sasa Jankovic scharfe Kritik am Abbruch der Behausungen: „Bulldozer und Polizei können die Probleme
der Roma-Siedlung nicht lösen, noch werden die Pläne der Roma
Dekade eingehalten.“ – In Vranje, eine der südserbischen Städte, in
die einige Familien fortgebracht wurden, kämpft man inzwischen für die
Unterbringung von 69 Personen. – „Wir essen, schlafen und erleichtern
unsereins am selben Platz - sieben von uns teilen sich eine Decke zum
schlafen“, sagt Nevzadija Kamberi, Mutter einer der nicht registrierten,
umgesiedelten Familien.
Auf der Suche nach einem bessern Leben, war sie vor zehn Jahren nach
Belgrad gezogen. Dort mühte sie sich und ihre Familie ab, um zu überleben. Seit dem 31. August 2009 leben sie auf einem Hügel über der
Stadt Vranje, in einer Hütte ohne fließendes Wasser und Elektrizität.
Jene Familien die registriert sind, bekamen eine Entschädigung von
200.000 Dinar (umgerechnet 2.200 Euro). Familien ohne Anmeldung
sind in weitaus schlechterer Position.
Kamberi erzählt, dass sie anfänglich Mitarbeiter des lokalen, sozialen
Arbeitszentrums und der Gemeinde getroffen hätte. Zuerst bekamen sie
Unterschlupf und 2000 Dinar, sprich 22 Euro. Eine Nacht blieben sie
im Zentrum, aber dann wurden sie auf sich allein gestellt. – Der Grund
wieso sie nicht angemeldet sind, wird von ihrem Mann damit erklärt,
dass einige Menschen in Belgrad ein Geschäft daraus machen. Diese
würden einen als Einwohner an ihrer Adresse melden, forderten als
Gegenleistung aber 300 bis 500 Euro.
Branimir Stojancic, ein Beauftragter der Stadt Vranje sagt, dass die
Gemeinde alles veranlassen würde um den Asylsuchenden zu helfen.
Alle die wirklich aus Vranje stammen wird finanzielle Sicherheit garantiert. Die lokale Regierung sei nun für das Schicksal der Vertriebenen
aus Belgrad verantwortlich (vgl. Antic, 2009).
Im September und Oktober 2009 besuchten RepräsentantInnen des CEE
Bankwatch Network und ihrer serbischen Partnergruppe, dem Center for
Ecology and Sustainable Development, die temporären Siedlungen in
Belgrad. Daraufhin wurden einige Bedenken bezüglich der bestehenden Situation geäußert: „Erstens sind die Zustände in den temporären
Quartieren unbefriedigend. Zweitens konnten die BewohnerInnen keine
Auskunft darüber geben, welche Langzeitpläne es für permante Wohnmöglichkeiten gäbe, und drittens war es nicht klar, wie die Menschen
die hier leben ihren Unterhalt bestreiten sollen.“
Im Anschluss konnten einige Verbesserungen in den Container-Siedlungen gemacht werden, trotzdem sind diese Container sicher keine
permanente Lösung für das Problem. Der aktuelle Stand der Dinge ist,
dass sich die Betroffenen ab März 2010 für eine limitierte Zahl von Sozialwohnungen in Belgrad bewerben können. Einige Roma haben aber
schlechte Erfahrungen mit früheren Bewerbungen, in welchen sie sich
unfair behandelt fühlten. Das Auswahlverfahren involviert nämlich zuerkannte Punkte auf der Basis von verschiedenen Kategorien von Werten.
Einige EinwohnerInnen behaupten, dass ihnen Punkte aberkannt wurden, weil sie aus der Gazela-Siedlung kommen – und folglich wieder in
Containern beherbergt werden würden (vgl. CEE-Report, 2009)
39
Alte Siedlung, Juni 2009
40
Neue Siedlung, September 2009
41
Belgrad, Sava, Neu Belgrad
42
BELGRAD
Messegelände/ WTC
Autobahnbrücke Gazela (E70/75)
Sava
Alte Eisenbahnbrücke
Neue Eisenbahnbrücke
Sava-Promenade
Insel Ciganlija/ Naherholungsgebiet
Block 18a/ Bauplatz Gazela
Block 69/ Industriezone
Block 18/ Kleingartensiedlung
NEU BELGRAD
DIE STANDORTFRAGE
Sozialer Wohnbau in Neu Belgrad
ORT:
Block 18a/Gazela
POTENZIALE FÜR DIE STADTENTWICKLUNG:
Alte Eisenbahnbrücke, Eisenbahntrasse, Sava-Promenade,
Industrieviertel, Autobahnbrücke
Zur Schaffung einer konstruktiven Ausgangslage für das geplante
Wohnbauprojekt ist ein zentraler Standort für die betroffenen RomaFamilien aus Gazela von großer Bedeutung, insbesondere angesichts
der folgenden, recherchierten Tatsachen:
Wie in den Kapiteln Belleville (vgl. S. 24) und Gazela (vgl. S. 37)
beschrieben, wurden in Belgrad 2009 zwei Elendssiedlungen
umgesiedelt. Diese Praktik der Verlagerung von Roma-Familien von
einem Ort zum anderen wurde sowohl von zahlreichen Protesten der
Roma selbst, als auch von großen Widerständen der zukünftigen
NachbarInnen begleitet. Im Falle von Gazela konnten sogar zwei
verschiedene Nachbarschaftsgruppen eine Umlegung der Roma
Siedlung in deren direkte Umgebung verhindern. Würde die Siedlung
jedoch am gleichen Platz bleiben, wäre davon auszugehen, dass
die vertrauten NachbarInnen kaum Probleme mit den bekannten
AnrainerInnen hätten. Auch Vladimir Macura, Roma-Experte aus
Serbien, rät bei einem noch so miserablen Zustand einer informellen
Siedlung zu einem „Upgrading“ vor Ort. Dies sei nicht nur die
günstigste Variante, sondern würde auch seitens der Betroffenen am
besten angenommen werden.
Bei dem sozialen Wohnbauprojekt Elemental (vgl. S. 33), einem
von der Thematik her ähnlichen Bauvorhaben, spricht der Architekt
Alejandro Aravena sich dafür aus, die staatlichen Förderungen teilweise
in den zentralen Bauplatz zu investieren, um nicht die sozial bedürftigen
Familien in die Peripherie aussiedeln zu müssen. Das Projekt solle mit
der Zeit an Wert gewinnen, deshalb spiele der Standort ein wichtige
Rolle. Die BewohnerInnen, welche schon an die dreissig Jahre im
Zentrum der Stadt lebten (ähnlich lange wie die BewohnerInnen aus
Gazela), blieben somit in ihrer gewohnten Umgebung, zudem würden
sie so auch in ein diversifiziertes soziales Millieu eingebettet.
Aus dem Kapitel Divlja Gradnja (vgl. S. 17) geht weiters hervor, dass
nicht nur Roma in informellen Bauten in Belgrad wohnen, vielmehr ist
diese Art zu bauen eine allgemeine Folgeerscheinung der kriegerischen
Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte. Laut einer Studie von UNHABITAT 2006 sind 43% der Wohnhäuser in Belgrad ohne Genehmigung
gebaut. Von daher betrachtet gibt es keinen wesentlichen Unterschied
zwischen der Siedlung Kaluđerica und der Siedlung Gazela. Im Zuge
der allgemeinen Legalisierung dieser Bauten sollte kein Unterschied
in der Bearbeitungsweise zwischen Roma und Nicht-Roma (Gadže)
Siedlungen gemacht werden.
In einem Interview mit Eduard Freudmann und Can Gülcü (vgl. S. 26)
wurde zudem klar, dass der zentrale Wohnort der Roma gleichzeitig
die wirtschaftliche Basis zum überleben der Roma-Familien darstellt.
Versetzt man die Roma einfach an die Peripherie (ohne alternative
Erwerbsmöglichkeiten anzubieten), beraubt man sie einer ihrer
wichtigsten Einnahmequellen: das Sammeln von Altstoffen ist am
Stadtrand schlicht nicht lukrativ. (Altstoffsammeln soll freilich nicht
unbedingt als Jobperspektive in Aussicht gestellt werden, aber es ist
davon ausszugehen, dass in einer gewissen Übergangszeit die Familien
mit dieser Arbeit ihren Unterhalt bestreiten.)
Auf keinen Fall dürfen die Roma einfach an den Stadtrand abgeschoben
werden, um sie – als Opfer und Spiegel gesellschaftlicher Misstände
– getrost in irgendeinem Vorort vergessen zu können. Die seit
Jahrzehnten dort lebenden Roma haben einen durchaus legitimen
Anspruch auf Platz in der Stadt. Auf der jetzigen Baustelle, auf welchem
die Siedlung Gazela noch vor kurzem gestanden ist, sollte eine
permanente Wohnmöglichkeit für die abgeschobenen Roma entstehen.
43
Donau
Sava
Bildauschnitt
Autobahn
geplante Ringautobahn
Eisenbahn
Strassen
Stadtgrenze
44
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
Block 22/ Wohnbau
Block 21/ Wohnbau
Hyatt Regency
Ušće/ Geschäftszentrum
Block 19a/ Wohnbau
Block 19/ Sava Centar
Intercontinental
Industriehafen
Block 69/ Industriegebiet
Block 18a/ Gazela (Bauplatz)
Block 18/ Kleingartensiedlung
Savapromenade
Staro Sajmište
Sava
Neue Eisenbahnbrücke
Alte Eisenbahnbrücke
Autobahnbrücke Gazela
Stari Savski Most
Brankov Most
Messegelände
Eisenbahngelände
Hajd Park
Autobahn
4
19
2
3
13
18
1
7
6
23
11
5
12
10
17
9
21
16
8
15
14
23
20
22
45
1
3
2
7
4
5
8
12
9
6
10
11
10m
50
100
13
200
14
Umgebungsplan, M 1:10 000
46
1 Block 19/ Sava Centar, 2 Block 19a/ Wohnbau, 3 Block 18/ Kleingartensiedlung, 4 Block 18a/ Gazela (Bauplatz), 5 Block 69/ Industriegebiet, 6 Hafen,
7 Savapromenade, 8 Autobahnbrücke, 9 Alte Eisenbahnbrücke, 10 Neue Eisenbahnbrücke, 11 Sava, 12 Eisenbahngelände, 13 Messegelände, 14 Senjak
Block 21/Wohnbau
Block 19
Block 19a/Wohnbau
Block 18/Kleingartensiedlung
Block 18/Kleingartensiedlung
Block 69/Industrieviertel
Bulevar vojvode Mišića
Brankov Most/Unterführung
Unter der Gazela-Brücke
Block 42/Roma-Siedlung
Block 19/Sava Centar
Autoput/Block 19
Block 18/Kleingartensiedlung
Block 23/Wohnbau
Grenze Block 18/18a
Sava Promenade bei Block 18a
Block 69/Industrieviertel
Alte Eisenbahnbrücke
Ulica Savska
Hausboot auf Sava
47
Panorama 1
Panorama 2
10m
50
100
200
Schwarzplan, M 1:10 000
48
Sava
Panorama 1/Block 18a November 2009 bzw. vor der Umsiedlung
Panorama 2/Blick über die Sava nach Neu Belgrad
Neue Eisenbahnbrücke
alte Eisenbahntrasse
Block 19a
Sava Centar
Hotel Continental
Block 18a/ Gazela
Block 69/ Industriezone
Autobahnbrücke Gazela
Alte Eisenbahnbrücke
Blok 18
Block 18a/ Gazela
Sava- Promenade
Autobahnbrücke Gazela
Sava-Promenade
Stari Grad
Alte Eisenbahnbrücke
49
KONZEPT
“Bad housing hinders progress in roma education.
Imagine how to do your homework without electricity?”
TONI TASHEV, DecadeWatch, Bulgaria
Gazela, November 2009
51
Die Wohnsituation in Belgrad ist seit geraumer Zeit durch einen hohen
Wohnungsmangel bestimmt. Verschiedene Faktoren, allen voran
der wirtschaftliche Niedergang Serbiens, welcher insbesondere die
zentralen und südlichen Gebiete des Landes traf, trieb die dort ansässige
Bevölkerung in die Stadt; aber auch viele Vertriebene – aus Kosovo,
Bosnien-Herzegowina, usw. – fanden Zuflucht in den Städten Serbiens.
Da der Staat, um nur ein prägnantes Mißverhältnis zu nennen, lediglich
für knapp zehn Prozent aller aus dem Kosovo geflohener Menschen eine
Unterkunft zur Verfügung stellte, sah sich die übrigbleibende Mehrheit
dazu gezwungen sich in informellen Siedlungen niederzulassen; die
Roma unter ihnen landeten hauptsächlich in Elendssiedlungen (vgl.
Aggermann, 2008).
Die meisten Bauten wurden in dieser Postkonfliktsituation selbstständig
von dem/der BauherrIn entworfen und gebaut, das hat zu einer eigenen
Architektursprache geführt, welche Srdjan Jovanović Weiss als
Turbo-Architektur beschreibt (vgl. S. 20). Diese Turbo-Architekturen
geben auch einen Eindruck vom persönlichen Geschmack ihrer
BewohnerInnen; das Haus fungiert als Statussymbol, womit der/die
BewohnerIn sich selbst öffentlich präsentieren kann.
Diese Möglichkeit zur Schaustellung wird von den Besitzern sehr
geschätzt, sie dient der individuellen Distinktion. Die für TurboArchitekturen charakteristische Selbstständigkeit der Auftraggeber
während der Bautätigkeit möchte ich respektieren, denn ich bin der
Meinung, dass das persönliche Aneignen vom zukünftig bewohnten
Raum einen wichtigen Faktor für die Zufriedenheit der BewohnerInnen
eines Wohnbaus darstellt. Deshalb greife ich in meinem Konzept die
Idee der Personalisierung des Eigenheims auf. Anders als beim “freien”,
informellen Bauen soll aber regulierend eingegriffen werden: einerseits
um den bekannten Problemen des „Wilden Bauens“ vorzubeugen (vgl.
S. 19), andererseits um gewisse Qualitätsstandards zu etablieren; dazu
zählt zum Beispiel eine Bauweise, welche sich durch gute und also
nachhaltige Dämmeigenschaften auszeichnet.
Trotzdem bleibt bei meinem Entwurfskonzept ein Spielraum, der
durchaus Wahlmöglichkeiten zulässt: diese können die künftigen
BewohnerInnen dazu benutzen, eigene Vorstellungen in die Konstruktion
ihrer künftigen Wohnung miteinfließen zu lassen.
52
Um die Spanne an bereitgestellten Möglichkeiten eingrenzen zu
können, habe ich die gewohnte Lebensweise der Roma in der alten
Siedlung Gazela eine Zeit lang studiert und die gewonnenen Einsichten
in einen entsprechenden Entwurf bzw. in das städtebauliche Konzept
übertragen.
In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Aspekte besonders
hervorheben:
Die alte Siedlungsstruktur ist sehr stark von den Netzwerken innerhalb
der Familie, der “Erweiterten Familie” bzw. der Großfamile geprägt.
Alle Mitglieder solcher Netzwerke berufen sich auf einen gemeinsamen
Vorfahren. Das gesellschaftliche Leben basiert hauptsächlich auf den
Kontakten innerhalb der Großfamilie und hat demnach auch einen
entscheidenden Einfluss auf die individuelle Lebensführung. Die
Familien stehen in regem Austausch und helfen sich gegenseitig
im Alltag weiter, sei dies bei finanziellen Engpässen, beim Bau der
eigenen Hütte oder bei der Kinderbetreuung. Ehen werden meist im
Einverständnis von Eltern und Schwiegereltern geschlossen. Die
Jungfamilie bleibt – selbst mit Kindern – so lange bei der Familie des
Mannes, bis sie sich ein eigenes Haus leisten kann; manchmal leben
so bis zu vier Generationen unter einem Dach. Und selbst wenn die
junge Familie auszieht und – möglichst in unmittelbarer Nähe zu den
(Schwieger-)Eltern – einen eigenen Haushalt gründet, bleibt eine starke
Abhängigkeit bestehen (vgl. Aggermann, 2008).
Gewohnt wird in Hütten und Baracken mit einer bewohnbaren Fläche
von 20-30m². Einer Familie mit durchschnittlich vier bis fünf
Personen steht eine solche minimale Zelle für das private Leben zur
Verfügung. Aufgrund dieses begrenzten Raumes, und weil gerade
in den Sommermonaten die Innentemperatur in den Hütten ins
Unerträgliche steigen kann, wird das Wohnen gern nach Außen verlegt
– sprich: Tätigkeiten wie Kochen, Waschen, Altstoffverarbeitung und
dergleichen finden im Freien statt. Rund um den Eingangsbereich
werden dazu einfach Teppiche ausgelegt, diese sind ohne Schuhe zu
betreten (um den Schmutz aus den Hütten fernzuhalten) und dienen
als Schwelle zum Inneren der Häuser. So einen Vorplatz gibt es bei fast
allen Unterkünften, dabei ist ein fließender Übergang vom Privaten zum
Öffentlichen zu erkennen. Ein bestimmter Anspruch auf ein gewisses
Terrain ist nicht immer eindeutig festzustellen, manchmal aber werden
auch Zäune zur eindeutigen Abgrenzung aufgestellt.
Nordwesteingang
Vladimira Popovića
Nordosteingang
Brodarska
Alte Siedlungsstruktur
Kernfamilie
Erweiterte Familie
Großfamilie
Vernetzung innerhalb der Gemeinschaft
53
54
55
Für Außenstehende war die alte Siedlungsstruktur vor allem vom
Eindruck einer Aneinanderreihung nicht klar gegliederter, ineinander
verschränkter Wohnbereiche geprägt. Betritt man die Siedlung steigt
man unvermittelt in die Privatsphäre der BewohnerInnen ein, eine
diskrete Annäherung ist für Dritte kaum möglich. Deshalb soll für die
BewohnerInnen ein klar umrissener und dadurch „geschützter“ Raum
im Freien definiert werden. Mit diesem Bereich, der im übrigen frei
gestaltet werden kann, entsteht eine Art Durchgangszone zwischen
privatem und öffentlichem Leben. Durch eine forcierte Einrichtung
explizit öffentlicher Bereiche wird schließlich der Austausch mit der
Mehrheitsbevölkerung erleichtert: mögliche Hemmungen die Siedlung
zu betreten werden leichter überwindbar.
Dennoch zeichnen sich auf den Balkonen und Terrassen der Häuser die
individuellen Charaktere und Lebensweisen der BewohnerInnen ab. Der
Außenbereich wird als erweiteter Wohnraum genutzt und fördert, ähnlich
wie in der alten Siedlung, die Kommunikation mit den Nachbarsleuten.
Zieht man die Bebauungsstrukturen in nächster Umgebung des
Bauplatzes zum Vergleich heran, werden unterschiedliche Typologien
ersichtlich: direkt neben der Siedlung Gazela ist eine idyllische
Kleingartensiedlung zu finden, nördlich des Blocks 18a stehen die für
Neu Belgrad typischen Wohnblocks. Welche Art von Ordnung stellt nun
für die Roma-Familien die beste Lösung dar? Auch hierfür wurde die
Antwort in der spontan entstandenen, ehemaligen Siedlung gesucht.
Grundsätzlich wird der intuitiv enstandene Verbindungsweg (zwischen
Vladimira Popovića und Brodarska) der alten Siedlung in meinem
Konzept beibehalten; jedoch wird er seitlich des Bauplatzes verlegt,
damit das neue Wohnviertel nicht durch eine Strasse halbiert wird und
um einen Pufferraum zwischen Gazela-Brücke und Siedlung entstehen
zu lassen. Die geplanten Punkthäuser werden dem gekrümmten
Bauplatz schachbrettartig angepasst. Zwischen den Bauten entstehen
so übersichtliche Höfe, welche stellenweise begrünt sind und teils
asphaltiert werden sollen. Zwei größere Platzsituationen wurden
ebenso in das städtebauliche Konzept eingearbeitet. Hier können die
vielen Kinder spielen, Feste gefeiert oder aber wöchentliche Märkte
abgehalten werden. Im Erdgeschoßbereich soll im allgemeinen die
Möglichkeit bestehen kleinere Gewerbe zu etablieren, dies soll das
Viertel beleben und die Selbstständigkeit der BewohnerInnen fördern.
56
57
Studien zur Neuen Siedlungstruktur
58
Städtebauliche Entwicklungspotenziale
Der Bauplatz bietet außerdem einige Entwicklungspotentiale für
Neu Belgrad bzw. die ganze serbische Hauptstadt, welche wie folgt
beschrieben werden können:
Alte Eisenbahnbrücke: Um vom historischen Stadtteil Belgrad nach
Neu Belgrad zu gelangen muss man den Fluß Sava überqueren.
Dafür stehen fünf Brücken zur Verfügung, allerdings kann man als
Fußgänger nur die Stari Savski Most bzw. Brankov Most benutzen.
Die Brücke Gazela dient ausschließlich dem Autoverkehr. Nützt man
die öffentlichen Verkehrsmittel, um von „Alt-“ nach Neu Belgrad zu
kommen, müssen große Umwege in Kauf genommen werden. Von daher
empfiehlt es sich eine zentrale, für den Fußgänger- bzw. Fahrradverkehr
reservierte, Brücke einzurichten. Die alte Eisenbahnbrücke mit ihrer
Fachwerkskonstruktion wäre hervorragend geeignet die beiden
Stadtteile wechselseitig zugänglicher zu machen. Auf diesem Weg
könnte beispielsweise vom internationalen Kongreßzentrum Sava
Centar und den umliegenden Hotels direkt zum Messegelände auf der
anderen Sava-Seite spaziert werden.
Eisenbahntrasse: Gleichzeitig könnte man die stillgelegte
Eisenbahntrasse – ähnlich dem „The High Line“ Projekt in New York
– zu einem Park umgestalten; die BewohnerInnen der Stadt würden
sich auf diese Weise einen Ort zum Erholen zurückerobern. Die erhöhte
Eisenbahntrasse liegt zwischen dem Industrieviertel im Block 69 und
dem Bauplatz Gazela und führt entlang des Block 43 zum Bahnhof Neu
Belgrads. Hier findet auch regelmäßig ein Flohmarkt statt.
Sava-Promenade: Die Promenade entlang der Sava ist ein grüner Streifen
für Fußgänger und Radfahrer. In den letzten Jahren haben sich am Ufer
des Flusses viele Restaurants, Diskos und Cafes niedergelassen; das
Ufer wurde als probates Naherholungsgebiet erkannt und also nutzbar
gemacht. Im Bereich des Bauplatzes Gazela jedoch ist die Promenade
in einen bedauernswerten Zustand. Das Potential auch hier die Sava zu
genießen ist aber sicher vorhanden.
Industrieviertel: Unterbrochen wird die Sava-Promenade flußaufwärts
des Bauplatzes durch das in den Blöcken 69, 68 und 58 gelegene
Industrieviertel. Erst ab Block 70a gibt es wieder einen öffentlichen
Zugang zum Wasser. Da dieses Industrieviertel im Zentrum von
Neu Belgrad liegt, sollten die zuständigen Stadtplaner anstreben
dieses Gebiet umzuwidmen und die Industrie mehr und mehr an die
Peripherie verlagert werden – dann könnte auch die Promenade ohne
Unterbrechung durchlaufen.
Autobahnbrücke: In Belgrad führt die Autobahn direkt durch das
Stadtzentrum. Zur Überquerung der Sava fährt man auf die GazelaBrücke, auf welcher sich zur Rush-Hour immer alles staut, aber auch
sonst ist dies eine stark befahrene Verbindung. Zur Entlastung der
Verkehrssituation wurde der Bau einer zusätzlichen Brücke – Most
preko Ade Ciganlije – in Angriff genommen (federführend dabei ist
die Wiener Baufirma PORR). Um den Transitverkehr durch die Stadt
zu verringern ist zusätzlich der Bau einer umfahrenden Ringautobahn
entlang der Stadtgrenze geplant.
59
Blick über die Sava auf die Siedlung Gazela
60
12
11
13
10
1
9
2
8
7
3
6
10m
50
100
5
200
4
Städtebauliche Situation, M 1:5000
1 Block 18a/ Gazela, 2 Alte Eisenbahntrasse/ Flaniermeile, 3 Block 69/ Industriegebiet, 4 Neue Eisenbahnbrücke, 5 Sava, 6 Alte Eisenbahnbrücke,
7 Savapromenade, 8 Most Gazela/ Autobahnbrücke, 9 Brodarska, 10 Sadika Ramiza, 11 Vladimira Popovića, 12 Block 19/ Sava Centar, 13 Block 19a/ Wohnbau
61
ENTWURF
Blick Richtung Alte Eisenbahnbrücke
63
64
Entwurfsgedanke
Der ursprüngliche Gedanke für den Entwurf war einen Grundriss zu
gestalten, welcher in seiner Form so flexibel ist, dass je nach den
Bedürfnissen der BewohnerInnen verschiedene Möglichkeiten für die
Ausformulierung dieser Basis offen stehen.
Um diese Absicht zu realisieren wurde ein fast quadratischer Grundriss
mit mittig liegender Nasszelle entworfen. Fassadenelemente und
Innenraumgestaltung sind frei wählbar. Praktisch steht also ein
statisch funktionierender Rohbau zur Verfügung, welcher in einem
unkomplizierten Bauteilsystem von den BewohnerInnen selbst fertig
gebaut werden kann.
Diese minimalen Vorgaben ermöglichen größtmögliche Variabilität,
was erlaubt auf die Wünsche und Gewohnheiten der BewohnerInnen
Rücksicht zu nehmen und diese dann entsprechend zu implementieren.
So werden etwa keine Zimmereinteilungen vorgegeben: die RomaFamilien können ihre Wohnungen nach eigenem Ermessen einteilen
und ihren Vorstellungen gemäß gestalten.
Der vorgegebene Grundriss bildet also nur eine Basis für die weiteren
Ausbauarbeiten. Die einfache Grundfläche lässt unterschiedliche
Nutzungen zu, verschieden große Familien können nach Bedarf
beheimatet werden. Und selbst wenn sich deren Größe im Laufe der
Zeit verändert, ist es möglich die Aufteilung der Wohnung immer
wieder neu zu adjustieren (hierzu können auch die Fassadenelemente
getauscht werden).
Der bewußt einfach gehaltene Entwurf bildet den kleinsten gemeinsamen
Nenner und Ausgangspunkt für im weiteren individuell gestaltbare
Wohnstätten. Die folgenden Zeichnungen, sind ausschließlich
beispielhafte Realisierungen und sollen als Vorschläge angesehen
werden.
Aus organisatorischer Sicht ist es praktikabler nur einen, in
der Grundform nicht variierenden Haustyp bereitzustellen. Die
verschiedenen Bauelemente der Fassade jedoch ermöglichen,
dass derselbe Typ in unterschiedlichsten Ausgestaltungen errichtet
werden kann. Die Siedlung wird also keineswegs von einem einzigen,
immer gleichen Modell-Haus dominiert, sondern unterschiedliche
Abwandlungen stehen nebeneinander. Das komplette System kann
somit nach innen wie außen den Bedürfnissen der Roma angepasst
werden; dies lässt erwarten, dass die tatsächliche Umsetzung des
Projekts auf breite Akzeptanz stoßen und allgemein entgegenkommend
aufgenommen werden würde.
65
G
G
d
Basis Schnitt AA
1:100
66
e
f
g
a
5
b
1
2
3
3
2
1
4
A
A
c
d
e
g
f
Basis Grundriss
1:100
1 Wohnen/ Essen/ Arbeiten
2 Küche (optional)
3 Bad/ Abstellraum
4 Veranda
5 Blumenkästen
Wohnfläche Innen: 105 m²
Außenbereich:
116 m²
0
1
5m
67
Grundrissentwicklung
2,8m²
4,2m²
11m²/
Person
Minimalzelle 56,25m² für 5 Personen/Erweiterung in Selbstbauweise
Halböffentlich
Halböffentlich
Privat
Öffentlich
Öffentlich
Privat
Standardisierter Wohnriegel mit Balkonen und Erschließungsgang
Privater Rückzugsbereich/Erschließung=Erweiteter Wohnbereich
Nischenbildung/Optimierung der Kerne
Innenliegender Hof/Nischen/Privater Rückzugsbereich
68
Konzept: Erschließungszone=Kommunikationszone=Erweiteter Wohnbereich
Innenliegendes Stiegenhaus/Private Terrasse/Privater Innenhof
Außenliegendes Stiegenhaus/Private Terrasse/Privater Innenhof/Balkon
Innen- und Außenliegendes Stiegenhaus/Balkon/Nasszellenvarianten
Vereinfachung der Nasszelle/Mögliche Raumeinteilung-Viertelung/Halbierung/Balkon
Zusammenfassung der Nasszellen/Mögliche Raumeinteilung
69
Vorschläge zur Raumeinteilung/
Geschoßweise
Verschiedene Wohnungstypen je nach Familiengrößen
1:200
5
1 Wohnen/Essen
2 Küche
3 Bad
4 Abstellraum
5 Zimmer
5
5
5
3
5
4
2
1
Typ 1: 6-10 Personen
105,2m²
min. 10,5m²/Person
a
5
5
2
1
5
3
3
5
Typ 2b: 3-4 Personen
50,2m²
min. 12,6m²/Person
Wohnsituation in Österreich
Wohnfläche pro Person nach Herkunft
im Ausland geborene Personen bzw. in
Österreich geborene AusländerInnen
Gesamt
In Österreich geborene ÖsterreicherInnen
Personen ausländischer Herkunft
Ehem. Jugoslawien (ohne Slowenien)
Türkei
Wohnfläche in m²
42
45
31
23
20
Quelle: Statistik Austria, Mikrozensus-Wohnungserhebung 2007 (Jahresdurchschnitt)
Im Vergleich dazu liegt die durchschnittliche Wohnfläche bei Roma Familien in
Serbien bei 11m² pro Person. In Elendsvierteln bei nur etwa 5,6m² pro Person.
70
5
2
1
a
Typ 2a: 4-6 Personen
54,1m²
min. 9,0m²/Person
b
b
a b
5
5
2
5
3
3
5
2
1
1
a b
Typ 3a: 4-6 Personen
60m²
min. 10m²/Person
Typ 3b: 3-4 Personen
44,2m²
min.11,1m²/Person
a
5
b
5
5
2
3
3
5
2
1
1
a b
Typ 4a: 3-4 Personen
44,8m²
min.11,2m²/Person
Typ 4b: 3-4 Personen
57,4m²
min. 14,4m²/Person
a b
5
5
5
2
3
1
3
2
b
a
1
Typ 5a: 4-6 Personen
67,3m²
min.11,2m²/Person
5
Typ 5b: 2 Personen
37m²
min. 18,5m²/Person
71
Vorschlag zur Raumeinteilung/
auf mehreren Ebenen
Wohnen und Arbeiten in der erweiterten Familie
1:200
5
1 Wohnen/Essen
2 Küche
3 Bad
4 Abstellraum
5 Zimmer
6 Gewerbe
6
4
5
3
2
1
Typ 6: 15-24 Personen
315,6m²
min. 13,2m²/Person
Ebene 1
105,2m²
32,2m² für Gewerbe
5
5
5
5
5
3
4
5
2
1
Ebene2
105,2m²
5
1
Ebene 3
105,2m²
72
5
5
3
4
5
2
Geländer
Stegplatte transparent
oder Metallgitter
Fensterfüllung
Glas oder Stegplatten
(transparent/opal)
Fassade
Schichtholzplatte
wahlweise lackiert
Sichtschutz
Stegplatte opal
Ebene 3
Wohnen
Ebene 2
Wohnen
Ebene 1
Gewerbe/ Wohnen
73
Ansicht A
1:100
74
Ansicht B
1:100
75
Ansicht C
1:100
76
Wohnungen aneignen, personalisieren.
Ansicht D
1:100
77
Selbstbauweise
Das Haus wird in einem Raster von 1,25 x 1,25m aufgebaut. Auf
diesem Raster stehen Fertigteilbetonstützen, welche einen Großteil
der statischen Funktionen übernehmen. Die Stützen werden von
professionellen Arbeitern zusammen mit dem Fundament, den
Fertigteildecken und der vorgefertigten Nasszelle am Bauplatz
montiert.
Anschließend wird dieser Rohbau den begünstigten Roma-Familien
zum Selbstbau überlassen. Unter qualifizierter Betreuung werden
den künftigen BewohnerInnen während der Fertigstellung eines
Musterhauses alle nötigen Baudetails erklärt. Am Bauplatz soll eine
temporäre Bauhütte eingerichtet werden, welche einerseits als Lager
für Materialen dient, andererseits zum Fertigen der Außenhülle genutzt
werden kann. Dieses Depot wird bis zur Fertigstellung der Fassade von
einem fachkundigen Team betreut.
Aus einem Bauteilkatalog können die Begünstigten verschiedene
Elemente zur Fassadengestaltung wählen. Diese Elemente sind dem
Raster angepasst und werden je nach Grundrissgestaltung in einer
kurzen Planungsphase ausgesucht.
Auf einem durch einfache Nagelverbindungen zusammengefügten
Holzrahmen werden die gewählten Elemente angebracht. Die fertige
Außenwand wird anschließend in das Betonstützenraster eingebaut.
78
Die Öffnungen können zudem mit verschiedenen Materialien (Glas,
opale/transparente Stegplatte) gefüllt werden; die Auswahl wird
wiederum von den BewohnerInnen getroffen. Auch die Beplankung aus
Schichtholzplatten kann auf Wunsch lackiert werden. Durch vorherige
Festlegung eines bestimmten Maximalaufwands pro Quadratmeter
können die Ansprüche auf einem vertretbaren Niveau gehalten werden.
Auf diese Weise können die Kosten gerecht verteilt und möglichst
niedrig gehalten werden.
Sobald die dichte Außenhülle steht wird das Haus seinen baldigen
BewohnerInnen übergeben. Im freien Eigenbau, also von nun an
ohne weitere Aufsicht, werden die Grundrisse geteilt und konstruktiv
angeeignet (Vorschläge für die Einteilung der Grundrisse stehen
allerdings zu Verfügung).
Die getätigten Arbeitsstunden des Selbstbaus sollen vergütet werden.
Der Lohn könnte entweder ausbezahlt oder von der späteren Miete
abgezogen werden.
Man kann davon ausgehen, dass diese Partizipationsmöglichkeiten
auf eine gute Resonanz stossen werden. Jedes einzelne Haus kann
individuell angepasst und weitergestaltet werden; dabei hält sich der
organisatorische Aufwand durchaus in Grenzen, weil sich durch die
Anzahl der Elemente und der vorgefertigten Struktur ein überschaubarer
Spielraum entwickelt.
Balkon/Veranda
Schalung
Balkenlage
Vorgefertigte Nasszelle
Fertigteilstützen E
Fertige Außenwand D
Jede Außenwand muss aus
statischen Gründen zwei mal
das Element 1.3 enthalten.
Rahmen C
Öffnungen B
Element 2.0-3.2 (a-d)
Beplankung A
Element 1.0-1.3
79
Bauteilkatalog für die Außenwand
A, B
A
Beplankung mit dazwischenliegender Wärmedämmung
Jede Außenwand muss
aus statischen Gründen
zwei mal das Element 1.3
enthalten.
1.0
1.1
1.2
1.3
B
Öffnungen
Tür
Fensterflügel
Rahmen
a
3.0
2.0
3.1
3.2
3.1a
3.1a‘
b
c
d
Fensterflügel in Rahmen
(a-d in 3.0-3.2)
3.0a
3.0a‘
3.2a
80
3.2a‘
3.2b
3.1b
3.1b‘
3.2b‘
3.1c
3.2d
Außenwandaufbau
A und B in C=D
1.0 1.2
1.2
1.3
1.1
1.2 1.0
1.3
1. Schritt:
Auswahl der Bauteile aus A
2. Schritt:
Auswahl der Bauteile aus B
A und B in C
3.2d
3.0a
3.1b
3.2a‘
3. Schritt:
Bauteile A und B mit
Rahmen C befestigen
A und B in C=D
4. Schritt:
Fertige Außenwand D
Materialien
Beplankung:
Schichtholzplatte (lackiert)
Füllung Rahmen/Fensterflügel:
Isolierverglasung
Stegplatte transparent
Stegplatte opal
D in E=Fassade
Isolierverglasung
Stegplatte opal
Stegplatte transparent
Schichtholzplatte
5. Schritt:
Vorgefertigte Außenwand D in
Fertigteilstützen E einsetzen
81
1
Gummigranulatmatte
Dichtungsbahn
OSB-Platte 20mm
Gefällekeil
PE-Folie
Schichtholzplatte 30mm
Holzbalken 250mm dazw. Wärmedämmung
Dampfsperre
Lattung 60mm dazw. Glaswolle
Schichtholzplatte 20mm
2
Schiebeelement Aluminiumprofil
mit Stegplatte 20mm
3
Handlauf Flachstahl 40/15mm
Brüstung aus Gitter bzw. Stegplatte
4
Holzrahmen mit Isolierverglasung
Float 4+SZR 16+Float 4
5
Lärchenbretter 80/28
Lattenrost
beschieferte Dichtungsbahn
Schichtholzplatte 30mm
Holzbalken
zementgebundene Spanplatte 10mm
6
Parkett 18mm
Zementestrich 45mm
Trittschalldämmung 25mm
PE-Folie
Schichtholzplatte 30mm
Holzbalken 250mm dazw. Glaswolle
Lattung 60mm dazw. Glaswolle
Schichtholzplatte 20mm
7
Abhängung Flachstahl 80/80mm
8
Schichtholzplatte 18mm
Lattung 30mm
Holzfaserplatte diffusionsoffen, wasserdicht 22mm
Tragkonstruktion dazw. Wärmedämmung
OSB-Platte 15mm
GK-Platte 12,5mm
9
Lärchenbretter 80/28mm
Lattenrost
Kies
Stahlbeton
10 Parkett 18mm
Zementestrich 45mm
Trittschalldämmung 25mm
PE-Folie
Stahlbeton
82
1
2
3
4
5
6
8
7
9
10
Fassadenschnitt
1:20
83
Strategie
Für sozialen Wohnungsbau aufzukommen ist grundsätzlich Sache des
Staates bzw. der Stadt. Vor allem sollte in einen zentralen Standort
investiert werden, da dieser im Hinblick auf eine sinnvolle Einbettung
der Roma-Gemeinschaft von größter Wichtigkeit ist. Der zunehmenden
Abschiebung der Roma an den Stadtrand muss entgegengewirkt
werden.
Das Projekt könnte dabei durchaus von sogenannten Diasporanetzwerken
(vgl. S. 23) unterstützt werden. Die Zuschüsse von Migranten sollten
insbesondere in die Infrastrukturen des öffentlichen Freibereiches
des Wohnviertels fließen. Hierzu könnte eine Städtepartnerschaft
geschlossen werden, welche die Zuwendungen bündelt und
sich beispielsweise der Revitalisierung der Sava-Promenade im
Bauplatzbereich annimmt, oder etwa die alte Eisenbahntrasse zur
Flaniermeile umfunktioniert. Solche Eingriffe kommen der ganzen
Bevölkerung zugute und wären wohl auch im Sinne derer, die wieder in
ihre Heimat zurückkehren möchten.
Für den organistatorischen Teil des Vorhabens, den konkreten Aufbau
bzw. die Assistenz am Bauplatz wäre eine Untersützung vonseiten
serbischer Nichtregierungsorganisationen, die bereits mit den
betroffenen Roma in Kontakt sind, sinnvoll. Diese haben bereits eine
Gesprächsbasis mit der Gemeinschaft der Roma aufgebaut und kennen
auch die Gegebenheiten vor Ort. Beispielhaft sollen hier nur die
Society for the Improvement of Local Roma Communities oder die CEE
Bankwatch Network (mitsamt ihren wichtigen Verbindungen) erwähnt
werden.
Die übergeordnete Aufgabe ist einen Austausch zwischen
Mehrheitsbevölkerung und Roma in die Wege zu leiten. Innerhalb der
Siedlung können mögliche Berührungspunkte eingerichtet werden
und die Nahtstellen zur unmittelbaren Umgebung sollen freundliche
Kontaktaufnahmen erleichtern. Der vorgestellte Entwurf zur Bildung
einer architektonischen Grundlage für friedliche Koexistenz und
konstruktiven Umgang kann nur unter Mitwirkung von Roma und
“Gadže” verwirklicht werden. Hoffen wir, dass Roma und Nicht-Roma
diese Chance annehmen werden können.
84
Blick Richtung Sava Centar
85
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Kontakt: http:/ sanjaknezevic.com/
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Seite 14: Bilder aus Šutka von Lina Čipan, Bild aus Pfatten von Marlene Roner Trojer
Seite 18, 45: Vesna Vučinić
Seite 21: Kai Vöckler, aus Prishtina is Everywhere, Turbo-Urbanismus als Resultat einer Krise.
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Seite 4, 9, 12, 17, 23, 28, 44, 46, 47, 48, 49, 51 und alle weiteren Darstellungen wenn nicht
anders angeführt: Julia Preschern
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Dokumentarfilm:
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Mirkovic Lidija, 2008. Ich habe davon geträumt, Friseuse zu werden.
http://www.osce.org/odihr/18148.html
http://www.rroma.org
http://www.unhabitat.org.yu/
87
Danke liebe Familie in Imst, Innsbruck und OTK für eure Unterstützung und die Milch im Kühlschrank.
Danke Max (bb) und maxdata!
Danke Anmari, Fabian, Ingo, Judith, Lina und Zeynep-für die ganze Uni-Zeit und für die neben der
vielen Arbeit prägenden, erholsamen, berührenden und glücklichen Momente im WUK.
Danke Ivo, ohne deine Hilfe könnt das hier keiner lesen.
Danke FC Heisser Leberkäse/Waltherpark für ein unvergessliches Spiel in Belgrad, und das beste Tor
des Jahres.- kanns was schenas gebn?...
Danke auch an Prof. András Pálffy, Prof. Jens Dangschat und Vesna Vučinić für ihre Zeit, die fordernden
Korrekturen und die vielen Anregungen.