Neue Spielregeln für die grenzenlose Ökonomie:
Eine Einleitung
Uwe Schneidewind, Klaus Pichter
Universität Oldenburg und Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)
gGmbH, Berlin
Ökologische Krisensymptome als Nebenfolge der
Globalisierung
Bei der Suche nach Charakterisierungen aktueller ökonomischer und Gesellschaftsentwicklungen spielt das Stichwort "Globalisierung" eine Schlüsselrolle. Es
dominiert sowohl gesellschaftstheoretische (vgl. z.B. Beck 1997) als auch ökonomische Analysen (vgl. z.B. Steger 1999, Bülow u.a. 1999) der Jahrtausendwende.
Wichtige wirtschaftliche Kennzeichen der Globalisierung sind die zunehmend
komplexeren, grenzüberschreitenden Verbundbeziehungen in und zwischen Unternehmen entlang von Wertschöpfungsketten (vgl. Krüger 1999), das in den vergangenen zwei Jahrzehnten überproportional gestiegene Wachstum des Welthandelsvolumens und der rasante Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen seit
Mitte der 80er Jahre (vgl. OECD 1998). Wesentliche Triebfedern dieser Entwicklung sind die Liberalisierung des Welthandels, die Auflösung politischer Blocks
und insbesondere die Innovationen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik.
Die Ökonomie ist "grenzenlos" geworden. Diese Kennzeichnung bezieht sich
nur im ersten Schritt auf die Überwindung von nationalen Grenzen im Wirtschaftsverkehr. Bei näheren Hinsehen hat diese "Grenzenlosigkeit" auch viele
andere Facetten: Sie beschreibt das Überschreiten von Wachstumsgrenzen, das
Überwinden von politisch-administrativen Steuerungsgrenzen, die in einer globalen Ökonomie für viele Unternehmen kaum noch gelten, aber auch das Überschreiten von Grenzen der Tragfähigkeit ökologischer und sozialer Systeme, deren
Existenz in einer globalisierten Wirtschaft immer mehr in Frage gestellt werden.
In der aktuellen Diskussion wird deswegen zurecht auf die Grenzen der globalisierten Wettbewerbsökonomie, die "Grenzen des Wettbewerbs" (Gruppe von
Lissabon) hingewiesen und vor einer Wettbewerbsgläubigkeit gewarnt, die übersieht, dass freie Märkte allein die weltweit wachsenden sozialen, ökologischen,
demographischen und beschäftigungspolitischen Probleme nicht lösen können,
sondern diese Effekte häufig gerade die nicht beabsichtigen Nebenfolgen des
ökonomisch getriebenen Globalisierungsprozesses sind. "Wer ausschließlich auf
den Markt setzt, zerstört mit der Demokratie auch die Marktwirtschaft
selbst. "(Beck 1997) Wie sich 1995 bei der Mexiko-Krise und auch der jüngsten
Asienkrise zeigte, hat "An den Börsen und in den Handelsräumen der Banken und
Versicherungen, bei Investment und Pensionsfonds [... ] eine neue politische Klasse die Weltbühne der Macht betreten, der sich kein Staat, kein Unternehmen und
erst recht kein durchschnittlicher Steuerbürger entziehen kann: global agierende
Händler in Devisen und Wertpapieren, die einen täglich wachsenden Strom von
K. Fichter et al. (eds.), Umweltschutz im globalen Wettbewerb
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2000
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Einleitung
freiem Anlagekapital dirigieren und damit über Wohl und Wehe ganzer Nationen
- weitgehend frei von staatlicher Kontrolle" (MartinJSchumann 1996,71).
Diese Kritik lässt sich verallgemeinern: Versteht man das Phänomen der Globalisierung nämlich als konsequentesten Ausdruck der Weiterentwicklung ausdifferenzierter moderner Gesellschaften, dann sind die Nebenfolgen der Globalisierung Hinweis auf Probleme in der Organisation dieser Gesellschaften an sich.
Wenn wir uns daher mit der Suche nach Lösungsstrategien für eine "nachhaltige"
und "ökologische" Ausgestaltung globaler Wirtschafts beziehungen machen, darf
sich der Blick nicht vorrangig auf die ökologischen und sozialen Krisensymptome
richten, sondern muss auf die Organisationsprinzipien moderner Gesellschaften
fokussieren.
Eine solche Analyse erfolgt im folgenden Abschnitt und entwickelt einen Bezugsrahmen, der den Rahmen für notwendige "neue Spielregeln" einer grenzenlosen Ökonomie absteckt.
Zur institutionellen "Nicht"-Nachhaltigkeit moderner,
globalisierter Gesellschaften
Wie eine systematische und zukunftsfähige Institutionenentwicklung im Sinne
einer regulativen Idee "Nachhaltigkeit" aussehen kann, ergibt sich dabei aus Analyse der Konstruktionsprinzipien moderner Gesellschaften. Als eine deren wesentlichen Entwicklungstendenzen gilt eine spezifische Form der Differenzierung
der gesellschaftlichen Organisation, die sie von vormodernen Gesellschaften unterscheidet. Anders als in hierarchisch gegliederten Gesellschaften tritt in modernen Gesellschaften ein neuer Typus gesellschaftlicher Ausdifferenzierung hinzu,
der als funktionelle Differenzierung bezeichnet wird (Luhmann 1975).
Funktionelle Differenzierung bezeichnet einen gesellschaftlichen Entwicklungsprozess, während dessen sich gesellschaftliche Teilsysteme herausbilden, die
sich auf die Erfüllung bestimmter Funktionen für das gesamtgesellschaftliche
System spezialisieren. Damit verbunden ist die Herausbildung spezialisierter SinnZusammenhänge. Dadurch wird die Wahrnehmung von Ereignissen in der Umwelt des Systems im System vorstrukturiert. Die Folge ist, dass Information im
System selektiv bearbeitet wird. Es entstehen Muster der Wahrnehmung und der
Nichtwahrnehmung von Ereignissen. Dadurch wird auf der Ebene des einzelnen
Teilsystems die Komplexität möglicher Ereignisse reduziert - und zwar sowohl
der Ereignisse, die aus der Sicht des Systems geschehen, wie auch der Ereignisse,
die innerhalb des Systems möglich sind. Dies ermöglicht eine deutliche Erhöhung
der Geschwindigkeit der Kommunikations- und Entscheidungsprozesse innerhalb
des Systems. Die Folge ist ein Gewinn an Effizienz und Effektivität auf der Ebene
solcher Teilsysteme. (Luhmann 1984) Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ermöglicht diese funktionelle Ausdifferenzierung eine "Steigerung der Optionenvielfalt" (Willke 1989: 61-65). Im allgemeinen werden die Ausdifferenzierung
von "Sphären" (Walzer 1992) des Rechts, der Moral, der Wissenschaft, der Technologie, Politik, Wirtschaft, Bildung, Religion und der Zivilgesellschaft unterschieden.
Als Vorteile gesellschaftlicher Differenzierung gelten in Analogie zu den Vorteilen der Arbeitsteilung Spezialisierung, Dynamisierung, gesteigerte Effizienz
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und Effektivität. Die Umweltfrage wurde in der Umweltpolitik häufig ähnlich
spezialisiert betrachtet und konnte daher nicht mehr als segmentspezifische Folgenbegrenzung bleiben. Die Dynamik dieser ausdifferenzierten Teilsysteme bringt
aber vor der dem Hintergrund des Postulats nachhaltiger Entwicklung auch Probleme mit sich (vgl. hierzu auch die Weiterentwicklungen der systemtheoretischen
Analyse sowie die Verknüpfung mit der Forschung zu politischen Handlungskapazitäten bei Jänicke 1996, Jänicke/Weidner 1995 und 1997, Jänicke 1997):
1. Das Fehlen handlungsfähiger Koalitionspartner für eine Politik der Nachhaltigkeit. Dieses Fehlen ist u.a. dadurch verursacht, dass in den Teilsystemen keine oder zu wenige Rollen vorgesehen sind, die dafür sorgen, dass das gesamte
Spektrum ökonomischer, ökologischer und sozialer Anliegen ebenso wie die
Wirkungen auf künftige Generationen abgepfÜft und in dessen Entscheidungsprozesse eingebracht werden. Es kann auch auf mangelnde Vernetzung und Organisation entsprechender Akteure zurückgehen. Neuen Koalitionspartnern
kann durch eine Verbesserung der Partizipationsmöglichkeiten Eingang in die
verschiedenen Politikarenen verschafft werden. Dies setzt allerdings das Vorhandensein entsprechender, hinreichend organisierter Akteure voraus. Nachhaltigkeitsanliegen sind als gesellschaftliche Interessen insofern vergleichsweise schlecht organisierbar, weil sie die langfristigen Interessen der Gesellschaft
als Ganzes widerspiegeln. Institutionelle Lösungsstrategien sollten daher die
Fähigkeit zur Selbstorganisation stärken (vgl. z.B. Schneidewind 1998). Damit
werden nicht nur langfristig die Rahmenbedingungen für die Entstehung möglicher Koalitionspartner einer Nachhaltigkeitspolitik in der Gesellschaft gestärkt,
sondern diese wird auch in die Lage versetzt, einen größeren Teil ihrer Probleme selbst zu lösen, was die politischen Akteure wiederum von gesellschaftlichen Handlungserwartungen entlastet.
2. Fehlendes Wissen zur Wahrnehmung von Problemlagen. Zwischen den gesellschaftlichen Teilsystemen (wie Politik, Wirtschaft, Recht, Wissenschaft) bestehen umfassende Kommunikationsbarrieren. Wissen wird in den jeweiligen
Systemen hochselektiv produziert, aufgenommen und verarbeitet. Ökologische,
soziale und ökonomische Nebenwirkungen, die sich in anderen Teilsystemen
zeigen, werden dadurch kaum wahrgenommen. Institutionelle Problemlösungsstrategien müssen deswegen bei einer Erhöhung der Kapazitäten zur - ökonomischen, ökologischen und sozialen - Folgenwahrnehmung und
berücksichtigung (Reflexivität) ansetzen (vgl. auch Böhret 1990).
3. Fehlende oder falsche Anreizmuster. In den gesellschaftlichen Teilsystemen
kommt es zur Ausprägung von Partialinteressen. Die entsprechenden Anreizmuster werden vorwiegend auf der Ebene von institutionalisierten Spielregeln
festgeschrieben. Institutionelle Reformen müssen daher insbesondere an den
vorhandenen oder fehlenden Ressourcen zur Veränderung solcher Anreizmuster ansetzen. Die wichtigsten dieser Ressourcen sind Expertise, finanzielle Ressourcen, juristische Klagemöglichkeiten beziehungsweise rechtliche Absicherung von Positionen und Zugang zu politischen Willensbildungsprozessen. Institutionelle Lösungsstrategien müssen den systematischen Einbezug aller Betroffenen unter Schaffung von partiellem Ausgleich von Macht- und Ressourcenungleichgewichten sicherstellen.
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4. Das Fehlen gangbarer sozialer und technisch-ökonomischer Alternativen. Die
Entstehung sozialer und technisch-ökonomischer Alternativen scheitert häufig
ebenfalls an der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme. So ergibt
sich z.B. die Durchsetzung technischer Möglichkeiten (Wissenschaft), die unter
gegebenen Umständen nicht wirtschaftlich sind (Wirtschaft), erst durch die Beeinflussung ökonomischer Größen - etwa der Preisverhältnisse mit fiskalischen
Mittel, d.h. also durch politische Entscheidungen (Politik). Institutionelle Lösungsstrategien, die das Entstehen neuer sozialer und technisch-ökonomischer
Optionen (Innovationen) für eine nachhaltige Entwicklung fördern, müssen entsprechende Vernetzungen zwischen den Teilsystemen zur Innovationsförderung (vgl. auch Minsch u.a. 1996) anstreben.
Aus jeder der vier Problemdimensionen lassen sich demnach konkrete institutionelle Lösungsstrategien definieren.
Tabelle 1 Problemdimensionen gesellschaftlicher Organisation und institutionelle Lösungsansätze
ProblemdimensioD
Lösungsstrategje
Feblen handlungsfabiger Koalitionspartner rur eine Politik der achhaltigkeit in
den Teilsystemen
SelbstorganisationIPartizipation
Fehlendes Wissen und fehlende kulturelle
Resonanz fUr reformenlegitimierende Interpretationen
Reflexivität
Fehlende oder falsche Anreizmuster, fehlende Ressourcen zur Veränderung der
Anreizmuster
Machtausgleicb-/Konfliktregelung
Fehlende gangbare alternative soziale und
tecbniscb-ökonomiscbe Optionen
In.novation
Jeder dieser Problemdimensionen lassen sich nun konkrete Institutionen im Sinne
der vier Lösungsstrategien zuordnen. Im Rahmen der Studie "Institutionelle Reformen einer Politik der Nachhaltigkeit" (vgl. Schneide wind u.a. 1997, Minsch
u.a. 1998) finden sich rund 70 Institutionenvorschläge geordnet nach den unten
wiedergegeben Problemlösungsstrategien.
Wichtig für die weitere Betrachtung an dieser Stelle ist die Tatsache, dass das in
den vier Basisstrategien zum Ausdruck kommende Politikverständnis polyzentrisch ist, d.h. nicht der Staat besitzt das Problemlösungsmonopol im Kontext von
Nachhaltigkeit, sondern eine Politik der Nachhaltigkeit bedarf des Zusammenspiels einer großen Zahl von Akteuren (vgl. dazu auch den Beitrag von Messner in
diesem Band).
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Abb 1 Basisstrategien für institutionelle Reformen einer Politik der Nachhaltigkeit
Institutionelle Basisstrategien und Globalisierung
Dies ist in der Debatte um Globalisierung von hoher Bedeutung. Denn folgt man
der Argumentation von kritischen Analytikern der Globalisierung, wie z.B. der
Gruppe von Lissabon, von Beck, AltvaterlMahnkopf oder MartinlSchumann, so
zeigen diese eindrucksvoll auf, dass auf globaler Ebene das Primat der (staatlichen) Politik zunehmend zurückgedrängt zu werden scheint. Die demokratische
politische Steuerbarkeit wirtschaftlicher Prozesse ist in Frage gestellt.
Die gesellschaftliche Debatte über diese Entwicklungen ist in vollem Umfang
entbrannt. Forderungen nach neuen Regulierungen der globalen Finanzmärkte, die
Integration von sozialen und ökologischen Kriterien in das Regelwerk des Welthandelsabkommens, die Stärkung supranationaler Institutionen wie der UN stehen
auf der Agenda der aktuellen politischen Diskussion. Dies sind Versuche, eine
neue "Institutionenlandschaft" für die grenzenlose Ökonomie zu entwickeln.
Dabei wird einmal über neue globale Ordnungsstrukturen und Spielregeln diskutiert, die die negativen externen Effekte eines intensivierten Wettbewerbsprozesses verringern. Dabei sollen insbesondere auch Umweltschutzanforderungen
fest in das Marktgeschehen und den Wettbewerbsprozess integriert werden. Für
die Transformation einer globalisierten Ökonomie in Richtung ökologischer
Nachhaltigkeit brauchen wir nicht nur eine Stärkung des globalen ökologischen
Ordnungsrahmens (Multilaterale Umweltabkommen und -verträge, klare Umweltqualitäts- und -handlungsziele usw.) und die Integration von Umweltschutzanforderungen in die Weltwirtschaftsordnung (Welthandelsabkommen, internationale
Finanzinstitutionen, Abbau ökologisch kontraproduktiver Subventionen usw.),
sondern auch neue globale Steuerungsstrukturen (Mehrebenenpolitik in der Global
Governance-Architektur, leistungsfähige Policy-Netzwerke, institutionelle Refor-
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men der Vereinten Nationen, leistungsfähige Formen der Selbstregulation, neue
Kräfte im Wettbewerb usw.).
Auf internationaler Ebene kommt Politik ausgeübt in Form demokratischer legitimierter Zentralgewalten, die Rahmenordnungen festlegen, in denen sich das
Handeln der Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft abspielt, sehr schnell an
Grenzen. Die Schwierigkeiten eines entsprechenden Vorgehens zeigen sich schon
auf der Ebene der Europäischen Union, im globalen Maßstab scheinen sie vollständig unmöglich. "Global Governance" der Zukunft wird deswegen vielmehr
aus einem breiten und ausdifferenzierten Instrumentarium an direkten und indirekten Regel- und Sanktionsmechanismen bestehen, an dessen Schaffung nicht nur
Regierungen und suprastaatliche Institutionen, sondern auch viele andere gesellschaftliche Organisationen beteiligt sein werden. Neben Umweltschutzorganisationen oder Normungsvereinigungen werden Unternehmen und Unternehmensverbände selbst einen wichtigen Anteil an der Ausgestaltung der neuen Steuerungsstrukturen haben.
An dieser Stelle wird es möglich, die oben durchgeführte allgemeine institutionelle Analyse moderner Gesellschaften mit der speziellen Herausforderung von
neuen Spielregeln für eine (globale) grenzenlose Ökonomie zu verbinden (v gl.
Abb.2).
Abb 2 Das GlobaIisierungs-Achteck: Spielregeln für eine grenzenlose Ökonomie
Eingebettet in die vier Basisstrategien eines nachhaltigen institutionellen Wandels
lassen sich•• vier Bausteine identifizieren, die für die 1neuen "Spielregeln einer grenzenlosen Okonomie" von zentraler Bedeutung sind:
Spielregeln für eine grenzenlose Ökonomie
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Globale Spielregeln für Umweltschutz im Wettbewerb
Die abnehmende Steuerungsfähigkeit der Nationalstaaten und damit das Fehlen
zentraler Steuerungsinstanzen wird spätestens mit dem Bericht der BrandtKommission (Stiftung Entwicklung und Frieden 1995) debattiert und diesem
Rahmen das Konzept der Global Governance entwickelt. Hinter diesem Konzept
steht die Vorstellung, dass Konzepte einer zentralen Weltregierung weder realistisch noch leistungsfähig sind und es mehr und mehr auf die Steuerungsfähigkeit
unterschiedlicher Akteure auf der politischen Weltbühne ankommt. In Zukunft
bedarf es daher einer leistungsfähigen polyzentrischen Global GovernanceArchitektur. Dabei spielen auch weiterhin Nationalstaaten eine wesentliche Rolle,
darüber hinaus aber auch die Nicht-Regierungs-Organisationen wie Umweltverbände und nicht zuletzt auch multinationale Großunternehmen. Die Regierungen
behalten das Monopol zur Fixierung und Durchsetzung von Politiken, privaten
Akteuren kommt jedoch in den Phasen der Problemidentifikation, der Analyse der
Problemzusammenhänge und der Implementierung (z.B. Datenbeschaffung, Monitoring, Mitarbeit in privat-öffentlichen Regulierungsinstitutionen) eine wachsende Rolle zu (vgl. dazu Messner in diesem Band).
Ein zentrales Element zur Sicherung von Umweltschutz im globalen Wettbewerb ist die Stärkung des ökologischen Ordnungsrahmens. Das wichtigste Instrument dazu sind multilaterale Umweltabkommen und -verträge (vgl. Biermann in
diesem Band). Eine ökologische Weltordnungspolitik hat die Aufgabe, Umweltqualitäts- und Umwelthandlungsziele zu vereinbaren und damit globale ,,Leitplanken" für die Weltgemeinschaft festzulegen. Die Stärkung einer Weltumweltordnung heißt darüber hinaus aber auch, ökologisch kontraproduktive Subventionen
z.B. im Energiebereich abzubauen (vgl. Troge). Voraussetzung für eine effektive
Weltumweltpolitik sind außerdem institutionelle Reformen. Simonis und Biermann schlagen dazu eine neue Weltumweltorganisation vor (vgl. Simonis in diesem Band).
Eine weitere wichtige Aufgabe zur Sicherung des Umweltschutzes im globalen
Wettbewerb besteht darin, Umweltschutzanforderungen in die Weltwirtschaftsordnung zu integrieren sowie Weltumweltordnung und Weltwirtschaftsordnung zu
harmonisieren. Dazu ist es erforderlich, das Thema "Handel und Umwelt" auf die
Tagesordnung einer neuen umfassenden WTO-Runde zur weltweiten Handelsliberalisierung zu bringen (vgl. OHig) und dort das Verhältnis von WTO-Regeln zu
multilateralen Umweltabkommen, zu Produktionsvorschriften, Eco-LabeHing usw.
zu klären (vgl. Franz/Jaeckel). Auch ist es erforderlich die Arbeiten der WTO mit
denen in anderen Organisationen wie UNEP, UNCTAD und OECD zu verbinden,
um eine verstärkte Integration von Umweltaspekten in die internationale Welthandelsordnung zu erreichen (vgl. Larderel).
Für ein "Greening" der Weltwirtschaftsordnung spielen auch die Verankerung
von Umweltstandards in Regelungen zu ausländischen Direktinvestitionen und
internationalen Verhaltenskodizes (Codes of Conduct) für multi- und transnationale Unternehmen eine zentrale Rolle. Erfahrungen mit dem North American Free
Trade Agreement (NAFTA) zeigen, dass die Befürchtung durchaus berechtigt ist,
dass mit liberalen Investitionsregelungen Umweltstandards unterlaufen werden
(vgl. Clarke). Bei der Neuverhandlung eines multilateralen Abkommens über
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ausländische Direktinvestitionen sind klare Umweltschutzregelungen zu verankern. Gleiches gilt für internationale Instrumente der Selbstregulierung von Unternehmen, wie z.B. die OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen (vgl.
Jones). Umwelt- und Sozialstandards müssen hier verbindlich verankert und deren
Einhaltung regelmäßig überwacht werden (vgl. Martens).
Alle diese globalen "Spielregeln" leisten einerseits Beiträge zum Interessensausgleich und der Konfliktregelung im internationalen Kontext. Das Streben nach
Wohlstand und einzelwirtschaftlichen ökonomischen Erfolg wird mit globalen
ökologischen und sozialen Interessen zum Ausgleich gebracht. Zum anderen sind
sie ein Schlüsselbeitrag zur Förderung von ökologischen und sozialen Innovationen in der globalen Ökonomie. Denn erst durch solche globalen Leitplanken führt
nicht mehr die Vermeidung von hohen ökologischen und sozialen Standards zum
einzelwirtschaftlichen Erfolg, sondern deren möglichst intelligente Einhaltung.
Neue Kräfte im globalen Wettbewerb
Kennzeichen der veränderten Institutionenlandschaft einer grenzenlosen Ökonomie ist das Phänomen, dass neben dem Staat neue Kräfte im globalen Wettbewerb
auftreten, die die Steuerungsfunktion des Staates begleiten.: Hierzu gehören der
Einfluss von Medien (vgl. die Beiträge von Zerfaß und Lenius im vorliegenden
Band), die Arbeit von Umweltschutz- und andere Nichtregierungsorganisationen
(NGO's, vgl. die Beiträge von BendelI und Pietschmann) sowie von Dienstleistern
in den Finanzmärkten (vgl. die Beiträge von SchalteggerlFigge, Flatz, Schuhmacher und Knörzer).
Die verhinderte Versenkung der Ölplattform Brent Spar oder die durch internationale NGO-Zusammenarbeit erreichte Blockade des multilateralen Investitionsabkommens MAI vermitteln Eindrücke des hier neu entstehenden Einflusses.
Ermöglicht wird die Macht der internationalen NGO's insbesondere durch die
geschickte Nutzung massenmedialer Kommunikationsmuster. Die Massenmedien
werden in der globalisierten Welt zum entscheidenden Transmissionsriemen von
Wettbewerbsveränderungen. Neben den Massenmedien wirken die Finanz- und
Kapitalmärkte, als die in der Globalisierung am weitesten fortgeschritten Institutionen, am stärksten auf das Handeln von Unternehmen im globalen Wettbewerb
zurück. In dem Maße, in dem die Akteure (wie Banken, z.B. institutionelle Anleger oder Rating-Agenturen) in diesen Märkten ökologische Aspekte in ihr Handeln einbeziehen, verändern sich ebenfalls die Durch- und Umsetzungschancen
ökologischer Strategien im globalen Wettbewerb.
Die neuen Kräfte greifen einerseits unmittelbar in Konflikte um globalen Interessensausgleich ein. Der Fall Brent Spar war in seiner Kraft, gesetzliche Regeln
zu dominieren, hierfür ein illustratives Beispiel. Sie haben aber auch eine wichtige
reflexive Funktion: Durch die neuen Akteure werden die ökologischen und sozialen Nebenfolgen globaler Ökonomie aus vielen Perspektiven verdeutlicht und
helfen Unternehmen und Branchen daraufrechtzeitig zu reagieren. NGO's, Finanzenmärkte und insbesondere die Medien erfüllen eine solche wichtige Reflexionsfunktion in der grenzenlosen Ökonomie.
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Zukunftsmärkte und neue Wettbewerbsstrategien
Die neuen Spielregeln und Kräfte in der grenzenlosen Ökonomie werden zunehmend begleitet durch Eigeninitiativen von Unternehmen. Ein neuer Typus sozialökologischen Unternehmertums (vgl. Günther/Pfriem) taucht in den Märkten auf.
Diese Unternehmer kennen die Erfolgsbedingungen ökologischer Wettbewerbsstrategien (vgl. Dyllick) und identifizieren die für die Umsetzung notwendigen
Instrumente (vgl. exemplarisch die Flusskostenrechnung bei Loew/Strobel) und
Technologien (vgl. die Beispiele bei Bärmann sowie Riemann). Sie sehen ihre
Rolle dabei nicht nur auf das Nutzen von existierenden Marktchancen begrenzt,
sondern verstehen sich selbst "grenzenlose" (vgl. Picot) und als "strukturpolitische
Akteure" (vgl. Schneidewind), die die Spielregeln der grenzenlosen Ökonomie
aktiv mitgestalten.
Der Aufbau und die konkrete Nutzung von Zukunftsmärkten verdeutlicht das
hohe Selbstorganisations- und Innovationspotential von Unternehmen in der grenzenlosen Ökonomie. Es erklärt, warum Unternehmen eine wichtige Rolle in den
"Global Governance"-Strukturen der grenzenlosen Ökonomie spielen. Dabei geht
es allerdings nicht um irgend welche Zukunftsmärkte, sondern um solche, die als
"nachhaltig" zu charakterisieren sind, um Angebots-lNachfragekonstellationen
also, bei denen Waren und Dienstleistungen im Vergleich zu bestehenden Märkten
unter folgenden Bedingungen getauscht werden:
•
•
•
•
Erhöhung der Wertschöpfung entlang des Produktlebensweges
Verbesserung der Lebensqualität
Dematerialisierung und Erhöhung der Öko-Effizienz
Verbesserung von Ressourcenschutz, Vermeidung von "Vergiftung" und Sicherung des natürlichen Gleichgewichts
• Unterstützung nachhaltiger Investitions- und Konsummuster
• Beachtung von internationalen Sozialstandards und bürgerlich-politischen
Grundrechten.
Information und Kommunikation
Der vierte Schlüsselfaktor in der grenzenlosen globalen Ökonomie ist die Information und Kommunikation: Durch die zunehmende Arbeitsteiligkeit in der
Weltwirtschaft, die rasante Entwicklung bei Informations- und Kommunikationstechnologien (luK-Technologien) und die Herausbildung einer globalen Mediengesellschaft ist die Bedeutung von Information und Kommunikation für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in den vergangenen Jahren permanent gestiegen. Information und Kommunikation spielen heute bei Marktdynamik, Wettbewerb sowie in politischen und öffentlichen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen eine entscheidende Rolle (vgl. Pichter 1998). Durch IuKTechnologien verändern sich Unternehmen und Märkte in rasantem Tempo (z.B.
virtuelle Unternehmen, Tele-Shopping, Teledienstleistungen usw.). Durch die
Komplexität und "Unübersichtlichkeit" wirtschaftlicher und gesellschaftlicher
Vorgänge erlangt außerdem die Unternehmenskommunikation eine zentrale operative wie strategische Bedeutung.
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Einleitung
Eine systematische und auf die Unternehmensstrategie abgestimmte Verknüpfung
von Marktkommunikation, interner Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
schafft für Unternehmen neue Erfolgs- und Innovationspotentiale (vgl. Fichter).
Durch die intelligente Nutzung von Internet, Intranet und Electronic Commerce
lassen sich neue Marktpotentiale für umweltschonende Produkte erschließen (vgl.
NachtmannIKolibius), die Produktnutzungsdauer verlängern und Recyclingprozesse optimieren (vgl. Albrecht) und die Ressourceneffizienz und Reststoffverwertung verbessern (vgl. RaubergerlWisser).
Eine aktive und dialogische Umweltkommunikation mit Kunden (vgl. Staub),
Kapitalgebern (vgl. Minte) und allen Stakeholdern (vgl. Wißler und Kiper) des
Unternehmens hat auch wichtige reflexive Funktionen. Dies gilt auch für die Umwelt- und Nachhaltigkeitsberichterstattung, die sowohl zur Unterstützung des
internen Verbesserungsprozesses wie auch zu mehr Transparenz nach Außen
beitragen kann. Sie ist außerdem eine zentrale Voraussetzung für ein Monitoring
der Umweltbelastungen und der Umweltschutzleistungen von Unternehmen. Ohne
klare und überprütbare Standards bei der Berichterstattung haben neue Steuerungsinstrumente der Umweltpolitik, wie z.B. Selbstverpflichtungsabkommen und
Codes of Conduct, wenig Aussicht auf Erfolg (vgl. Clausen).
Fazit
Der Weg in einer globale grenzenlose Ökonomie ist nicht aufzuhalten. Er muss
aber nicht zwangsläufig einer Nachhaltigen Entwicklung entgegenstehen. Neue
Institutionen und Spielregeln können die Leitplanken für "Nachhaltigkeit im globalen Wettbewerb" sein. Diese Spielregeln werden durch zahlreiche Akteure und
über unterschiedlich Zugänge gemacht. Das vorliegende Buch zeichnet eine
Landkarte der "neuen Spielregeln für die grenzenlose Ökonomie".
Literatur
Altvater, E., Mahnkopf, B.: Grenzen der Globalisierung. Münster 1996.
Beck, U.: Was ist Globalisierung. Frankfurt a.M. 1997.
Böhret, C.: Folgen - Nachweltschutz. Entwurf für eine aktive Politik gegen schleichende Katastrophen. Opladen 1990.
Bülow, W.v. u.a. (Hrsg.): Globalisierung und Wirtschaftspolitik. Marburg 1999.
Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt": Konzept Nachhaltigkeit - Fundamente für die Gesellschaft von Morgen (Zwischenbericht). Bonn 1997.
Fichter, K.: Umweltkommunikation und Wettbewerbsfähigkeit, Marburg 1998.
Giddens, A.: Jenseits von Rechts und Links. Frankfurt a.M. 1997.
Gruppe von Lissabon: Grenzen des Wettbewerbs. Die Globalisierung der Wirtschaft und die
Zukunft der Menschheit. München 1997.
Jänicke, M.: The Political Systems's Capacity for Environmental Policy. In: Jänicke,
M./Weidner, H. (Hrsg.): National Environmental Policies - A Comparative Study of Capacitiy Building. Berlin 1997, S. 1-24.
Jänicke, M., Weidner, H. (Hrsg.): Successful Environmental Policy - A Critical Evaluation of 24
Cases. Berlin 1995.
Jänicke, M. (Hrsg.): Umweltpolitik der Industrieländer - Entwicklung, Bilanz, Erfolgsbedingungen. Berlin 1996.
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Krüger, W.: Konsequenzen der Globalisierung für Strategien, Flihigkeiten und Strukturen der
Unternehmung. In: Giesel, F., Glaum, M. (Hrsg.): Globalisierung, München 1999, S. 17-48
Luhmann, N.: Soziologische Aufklärung, Band 2. Opladen 1975.
Luhmann, N.: Soziale Systeme. Frankfurt a.M. 1984.
Martin, H.P., Schumann, H.: Die Globalisierungsfalle. Der Angriff auf Demokratie und
Wohlstand. Reinbek 1996.
Minsch, J. u.a.: Mut zum ökologischen Umbau - Innovationsstrategien für Unternehmen, Politik
und Akteurnetze. Basel 1996.
Minsch, J. u.a.: Institutionelle Reformen für eine Politik der Nachhaltigkeit. Berlin 1998.
OECD: International Direct Investment Statistics Yearbook, Paris 1998
Priddat, B.P.: Die Zeit der Institutionen - Regelverhalten und Rational Choice. In Priddat, B.P.,
Wegner, G. (Hrsg.): Zwischen Evolution und Institution - Neue Ansäte in der ökonomischen
Theorie. Marburg 1996.
Richter, R., Furubotn, E.: Neue Institutionenökonomik. Tübingen 1996.
Schneidewind, U. u.a.: Institutionelle Reformen für eine Politik der Nachhaltigkeit: Vom Was
zum Wie in der Nachhaltigkeitsdebatte. In: GAlA 6 (1997), no. 3, S. 182-196.
Schneidewind, U.: Die Unternehmung als strukturpolitischer Akteur, Marburg 1998.
Steger, U (Hrsg.): Globalisierung gestalten. Szenarien für Markt, Politik und Gesellschaft. Berlin
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Stiftung Entwicklung und Frieden (Hrsg.): Nachbarn in Einer Welt. Bonn 1995.
Walzer, M.: Zivile Gesellschaft und amerikanische Demokratie. Frankfurt a.M. 1996.
Willke, H.: Systemtheorie entwickelter Gesellschaften. Weinheim 1989.
Dabei soll die Zuordnung der Elemente zwischen zwei Basisstrategien Schwerpunkte der
Wirkung andeuten. Jeder Baustein ist in der Regel mit allen vier Basisstrategien vernetzt. Dies
kommt durch die Pfeilrosette in der Mitte von Abbildung 2 zum Ausdruck.