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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM
Ursachen, Abklärung, diagnostischer Stellenwert
Thrombophilie
PD Dr. med. Giuseppe Colucci a, b , Prof. Dr. med. Dimitrios A. Tsakiris a
Peer
a r tic le
a
Diagnostische und Klinische Hämatologie, Universitätsspital Basel, Basel; b Servizio di Ematologia ed Emostasi, Clinica Luganese Moncucco, Lugano
Die beiden Autoren haben zu gleichen Teilen zum Artikel beigetragen.
v ie we
d
re
Die Durchführung einer Thrombophilie-Abklärung in der Arztpraxis ist häufig
eine Quelle von Unsicherheit und Bedenken. Die Schwierigkeiten beginnen mit der
Wahl des richtig zu untersuchenden Patienten, sind verbunden mit dem Zeitpunkt
der Abklärung, mit der Wahl der Analysen, des Materials und enden mit der korrekten Interpretation der Ergebnisse.
Das Editorial zu diesem
Artikel finden Sie auf S. 67
in dieser Ausgabe.
Einführung
Ursachen der Thrombophilie
In diesem Artikel möchten wir – aufgrund der Evidenz
Der Begriff Thrombophilie weist auf eine Neigung hin,
und der persönlichen Erfahrung – die theoretischen
intravaskulär pathologische Blutgerinnsel zu bilden.
Grundlagen der Thrombophilie-Abklärung und die In-
Das Gerinnungssystem befindet sich im Normalfall in
dikationen darlegen sowie praktische Empfehlungen
einem Gleichgewicht zwischen pro- und antikoagula-
abgeben.
torischen Einflüssen. Auf biochemischer Ebene spielt
sich dies als Interaktion zwischen prokoagulatori-
Fall-Vignette: Fragestellung
schen Gerinnungsenzymen und antikoagulatorischen
natürlichen Gerinnungsinhibitoren ab. Genetische
Selbstzuweisung einer 23-jährigen Frau mit Atembe-
Abweichungen sowie der Einfluss von epigenetischen
schwerden (Kurzatmigkeit), Schweissausbrüchen und
Faktoren können dieses Gleichgewicht stören, woraus
Müdigkeit. Die Symptome verspüre sie zunehmend seit
klinisch eine Thromboseneigung resultieren kann. Die
48 Stunden eher bei Anstrengung, dazu seit 12 Stunden
klinische Beurteilung der Thrombophilie beruht auf
einen thorakalen/pleuralen Schmerz rechts lateral. Fie-
der persönlichen und Familienanamnese, der klini-
ber, Husten und Auswurf werden verneint.
schen Untersuchung und der Labordiagnostik.
Persönliche Anamnese: keine bekannten kompromittierenden Krankheiten, keine Medikamente ausser einem
kombinierten Kontrazeptivum (Östrogen/Gestagen)
seit sechs Monaten, keine Thrombosen.
Giuseppe Colucci
Venöse Thrombophilie
Familienanamnese: zwei Jahre jüngere Schwester ohne
Die Thrombophilie wird durch angeborene und/oder
Thrombosen in der Anamnese, Grossmutter väterli-
erworbene Faktoren bestimmt, die allein oder in Kom-
cherseits mit rezidivierenden Thrombosen (Beinvenen-
bination das Risiko für venöse Thromboembolien
thrombose/Lungenembolie).
(VTE) erhöhen. VTE umfassen die tiefen Venenthrom-
Klinischer Status: BD 110/78 mm Hg, Puls 90/min, sonst
bosen in typischer oder atypischer Lokalisation sowie
unauffällig.
die Lungenembolie. Man unterscheidet «provozierte»
Spiral-Computertomogramm: Nachweis segmentaler
(sekundäre) und «nicht provozierte» (idiopathische)
Lungenembolien beidseits.
VTE. Die Risikofaktoren bei provozierten VTE werden
Therapie-Empfehlung: orale Antikoagulation in thera-
in Haupt- und untergeordnete Risikofaktoren und in
peutischer Dosierung für sechs Monate.
reversible (transitorische) oder irreversible (persistente) unterteilt. Die Trennung zwischen «provozier-
Dimitrios A. Tsakiris
Frage
ten» und «nicht provozierten» VTE ist sehr wichtig,
Würden Sie eine Laborabklärung für eine hereditäre
weil dies einen Einfluss auf die Therapiedauer hat
oder erworbene Thrombophilie bei der obigen am-
(Tab. 1).
bulanten Patientin veranlassen? Wenn ja, was und
Die hereditäre Thrombophilie wird am häufigsten
wann?
durch einen Mangel von natürlichen antikoagulatori-
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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM
schen Proteinen (Antithrombin-Mangel, Protein-C-
Non-0-Blutgruppe stellt in diesem Sinne die häufigste
Mangel, Protein-S-Mangel), eine genetisch bedingte
milde Prädisposition dar [1].
Dysfibrinogenämie, eine schwere Hyperhomocystein-
Die Prävalenz von thrombophilen Defekten in der all-
ämie oder eine Mutation des Faktors II (Prothrom-
gemeinen Population ist relativ tief (Tab. 2). Die Suche
bin-G20210A-Mutation) oder V (R506Q, Faktor-V-Leiden-
nach diesen Defekten muss deswegen nur bei klarer
Mutation) verursacht. Im Zeitalter der genomweiten
Indikation erfolgen.
Assoziationsstudien (GWAS) wurden zusätzliche geneti-
Die hereditäre Thrombophilie erhöht besonders das Ri-
sche Polymorphismen aufgedeckt mit grenzwertiger,
siko für die erste Thrombose, während das Rezidivrisiko
aber messbarer statistischer Assoziation zur VTE. Die
marginal beeinflusst wird (Tab. 3).
Weitere erworbene prädisponierenden Faktoren, die al-
Tabelle 1: Provozierende, nicht provozierende und hereditäre Risikofaktoren (RF)
einer Thrombose [15].
lein oder in Kombination das Risiko für VTE erhöhen,
sind zu suchen respektive auszuschliessen (Tab. 4 und
5). Die Kombination von zwei oder mehreren Faktoren
Provozierende RF
Nicht provozierende RF
Hereditär
Operation
Alter >60 Jahre
Antithrombin-Mangel
Trauma
Geschlecht (männlich)
Protein-C-Mangel
Fraktur
Ethnie
Protein-S-Mangel
Tumor
Body-Mass-Index >30 kg/m2
Faktor-V-Leiden
Immobilisierung
Östrogen/Gestagen
Prothrombin-G20210A
ren Thrombophilie auf die oben erwähnten Hauptde-
erhöht das Thromboserisiko multiplikativ. Die klinische
Thrombophilie ist am Schluss eine Gen-Gen-Interaktion oder eine Gen-Umwelt-Interaktion.
Wir empfehlen, sich bei der Suche nach einer hereditä-
Schwangerschaft
Steroide
Dysfibrinogenämie
fekte zu beschränken (Tab. 2). Die in der Vergangenheit
Lange Reise
Statine
Non-0-Blutgruppe
als Risikofaktor vermutete heterozygote oder homozy-
Hospitalisation
Diät
gote Mutation der Methylentetrahydrofolat-Reduktase
Katheterintervention
Körperliche Aktivität
(MTHFR) – 677C→T – hat sich nicht als Risikofaktor für
Akuter Infekt
Umweltverschmutzung
die erste VTE oder für ein Rezidiv bestätigt (weder
allein noch in Kombination) und ihre Bestimmung ist
somit redundant [2].
Tabelle 2: Prävalenz der Thrombophilie-Defekte in der allgemeinen Population
und bei Patienten mit stattgehabten Thrombosen [14].
Prävalenz in der
Bevölkerung
(%)
Prävalenz in
VTE-Kohorten
(%)
Arterielle Thrombophilie
Jährliches
VTE-Risiko
(% /y)
Die arterielle Thrombophilie wird durch die klassischen arteriellen Risikofaktoren begünstigt und die
Antithrombin-Mangel
0,02
0,5
1,1
hereditären Gerinnungsdefekte spielen eher eine
Protein-C-Mangel
0,15
6
0,7
untergeordnete Rolle. In diesem Fall stehen vor allem
Protein-S-Mangel
0,1
2
0,3
arterielle Hypertonie, Dyslipidämie, Diabetes, östro-
F-V-Leiden heterozygot
5
16
0,5
genhaltige Medikamente und Neoplasien im Vorder-
F-V-Leiden homozygot
0,004
0,01
1,3
grund. Die erworbenen prädisponierenden Faktoren
F-II-G20210A heterozygot
2
7
0,4
F-II-G20210A homozygot
0,1
2
1,1
respektive eine erworbene Thrombophilie, insbe-
F-V-Leiden/F-II-G20210A heterozygot
0,1
3
0,5
sondere das Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom
(Tab. 4 und 5), sind auch in diesem Fall zu suchen beziehungsweise auszuschliessen. Verschiedene weitere ge-
VTE: venöse Thromboembolie, F: Faktor.
netische Polymorphismen wurden in Zusammenhang
mit arteriellen Thrombosen gebracht, haben sich jeTabelle 3: Relatives Risiko für Thrombosen bei der hereditären Thrombophilie.
doch in der Literatur nicht bestätigt und waren kontroversen Diskussionen unterworfen, entweder weil sie in
Erste VTE
Rezidiv
Faktor-V-Leiden-Mutation
– heterozygot
– homozygot
4,9–9,7
40–80
1,3
–
Prothrombin-Genmutation
1,9–3,8
1,4
Antithrombin-Mangel
5–8
0,5
Protein-C-Mangel
5–8
2,5
Protein-S-Mangel
1,7–8
2,5
Dysfibrinogenämie
–
Die klinische Evaluation eines Patienten zur Suche
Hyperhomocysteinämie
–
einer erworbenen Thrombophilie ist bei jedem Patien-
Non-0-Blutgruppe
2,5
ten indiziert. Dagegen sollte die Durchführung einer
kommen oder weil den positiven Beobachtungsstudien gleich viele negative gegenüberstehen [3].
Indikationen für die Suche einer
hereditären Thrombophilie
labormässigen Thrombophilie-Abklärung zur Suche
VTE: venöse Thromboembolie.
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hoher Prävalenz in der allgemeinen Bevölkerung vor-
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– atypisch lokalisierte Thrombosen (obere ExtremiTabelle 4: Ursachen der erworbenen Thrombophilie.
täten, portal, mesenterial);
– gekreuzte arteriovenöse Thrombosen bei offenem
Typ
Mögliche Ursache, z.B.
Akquirierte APC-Resistenz
Pille, Schwangerschaft
Akquirierter Antithrombin-Mangel
Nephrotisches Syndrom, Sepsis
Akquirierter Protein-C-Mangel
Heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT),
HIV-Infekt
Akquirierter Protein-S-Mangel
Schwangerschaft, Pille, HIV-Infekt
Hyperhomocysteinämie
Vitamin-B6 -, Vitamin-B12-, Folsäure-Mangel
Zustände mit erhöhtem Faktor VIII,
Fibrinogen
Entzündungen, Infektionen
Foramen ovale;
– Frauen vor Verschreibung der Pille im Falle einer
positiven persönlichen und/oder Familienanamnese für VTE.
Wenn möglich, muss zuerst immer der Index-Patient
(der Patient mit der stattgehabten Thromboembolie)
untersucht werden. Bei Verwandten soll nur eine par-
Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom
tielle Thrombophilie-Abklärung durchgeführt werden
APC: aktiviertes Protein C
(nur der nachgewiesene Defekt wird gezielt gesucht).
Falls die Familienanamnese positiv für VTE ist, aber
der Index-Patient nicht untersucht werden kann, dann
Tabelle 5: Erworbene prädisponierende Faktoren für Thrombosen [14–16].
Alter >65 Jahren
sollen die Verwandten mit klarer Familienanamnese
Immobilisation, Flug >4 Stunden
2
(z.B. Thromboembolie bei Verwandten ersten oder
zweiten Grades, im Alter vor <50 Jahren) untersucht
Trauma
Body-Mass-Index >30 kg/m
Postoperativer Zustand
Postthrombotisches Syndrom
werden. Die Thrombophilie-Abklärung bei Frauen vor
Tumor
Varikosis
der Verschreibung der Pille ist nur indiziert im Falle
Myeloproliferative Neoplasien (PV, ET)
Orale Kontrazeption
einer positiven persönlichen und/oder Familienana-
Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH)
Hormonersatztherapie
mnese für VTE. Nicht alle Krankenkassen übernehmen
Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom
Schwangerschaft, Puerperium
die Kosten einer präventiven Thrombophilie-Abklä-
Systemischer Lupus erythematodes
Entzündliche Darmerkrankungen
Behçet-Krankheit – Hughes-Stovin-Syndrom
Schwere Infektion
rung, eine Kostengutsprache ist hier zu beantragen.
Morbus Cushing
Klinefelter-Syndrom
Chemotherapie
Rauchen
Nephrotisches Syndrom
Depression
Wann ist eine Thrombophilie-Abklärung
nicht indiziert und sollte nicht durchgeführt
werden?
PV: Polycythämia vera, ET: essentielle Thrombozytämie.
Die Durchführung einer Thrombophilie-Abklärung
entspricht nicht einer Routineuntersuchung, sondern
Tabelle 6: Situationen, in denen eine Thrombophilie-Abklärung nicht indiziert ist
und nicht durchgeführt werden sollte [2, 6, 7].
Frauen mit negativer persönlicher und familiärer Anamnese vor der Verschreibung
eines oralen Kontrazeptivums
bedarf einer wohl begründeten Indikation. Der zu untersuchende Patient muss richtig selektioniert werden
und bestimmte Kriterien erfüllen. Die generelle Verordnung der Abklärung ohne Indikation – wie zum
Patienten mit Tumoren – aktiv oder in der Vorgeschichte
Beispiel bei jungen Frauen mit negativer persönlicher
Patienten mit tiefer Venenthrombose/Lungenembolie posttraumatisch u/o postoperativ
und Familienanamnese für thromboembolische Ereig-
Patienten >60 Jahre
nisse vor der Verschreibung der Pille – ist nicht indi-
Patienten >50 Jahre mit einem oder mehreren klaren Risikofaktoren für VTE
ziert, nicht kosteneffektiv und soll vermieden werden.
Verwandte 1. oder 2. Grades (Eltern bzw. Grosseltern) mit VTE im Alter >60 Jahre
Zusätzliche Situationen, in denen eine Thrombophilie-
Patienten ohne Nachkommen und Geschwister
Abklärung grundsätzlich nicht indiziert ist, sind in der
Patienten in der Akutphase der VTE
Tabelle 6 zusammengefasst.
VTE: venöse Thromboembolie
einer hereditären Thrombophilie nur bei strikter Indi-
Thrombophilie bei Kindern
kation stattfinden [4–7]. Indikationen für die Abklä-
Die hereditäre Thrombophilie als Grundlage ist natür-
rung des Index-Patienten, nach einem oder mehreren
lich seit Geburt präsent, jedoch sind Thrombosen im
venösen Ereignissen, sind:
Kindesalter praktisch inexistent, mit Ausnahme im
– idiopathische
Thromboembolie
bei
Patienten
<50 Jahren;
Neugeborenenalter. Diese sind meistens provoziert
bei Katheterinterventionen oder anderen gefässinva-
– rezidivierende Thromboembolien;
siven Handlungen. Die Indikationen für die Thrombo-
– unklare rezidivierende Aborte;
philie-Abklärung bei Kindern sind zum Teil individu-
– thromboembolische Ereignisse (kurz) nach Start /
ell geprägt. Bei Neugeborenen mit Purpura fulminans,
in Zusammenhang mit östrogenhaltigen Medika-
Hautnekrosen oder schweren idiopathischen Throm-
menten;
bosen sowie bei Jugendlichen mit idiopathischen
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Thrombosen wird eine Abklärung empfohlen. Labortechnisch wird hier das gleiche Profil wie bei den Er-
Abklärung hereditäre und/oder erworbene
Thrombophilie
wachsenen untersucht. Bei Neugeborenen und Kindern mit gewöhnlichen, nicht katheterassoziierten
Zeitpunkt der Blutentnahme
Thrombosen wird eine Abklärung nach Ermessen der
Die Durchführung der Thrombophilie-Abklärung soll
Konsequenzen und des individuellen Risikos pro Fall
idealerweise ausserhalb der Akutphase der Thrombose
empfohlen. Bei katheterassoziierten Thrombosen
erfolgen. Die Gleichgewichtsstörung der Hämostase in
wird keine Thrombophilie-Abklärung empfohlen. Bei
der akuten Phase einer Thrombose erschwert die Inter-
Kindern von betroffenen Eltern oder anderen Fami-
pretation der Resultate, sodass häufig nur ein Teil der
lienmitgliedern wird ebenfalls keine Frühabklärung
Ergebnisse interpretiert werden kann.
empfohlen mangels direkter Konsequenzen. Diese Ab-
Die Resultate der Abklärung beeinflussen kaum das ini-
klärung wird allenfalls in die Zeit der Adoleszenz ver-
tiale Management und die Therapie des Patienten. Falls
schoben [8, 9].
eine Indikation für die Durchführung einer Thrombophilie-Abklärung besteht, soll diese einen Monat nach
Labordiagnostik der Thrombophilie
Ende der Antikoagulationstherapie durchgeführt werden. Falls eine Langzeitantikoagulation indiziert ist, soll
Die Thrombophilie-Abklärung stellt eine umfassende
die Abklärung frühestens zwei bis drei Monate nach
Evaluation des prothrombotischen Risikos des Patien-
dem akuten Ereignis stattfinden unter Berücksichti-
ten dar sowie allenfalls eine Evaluation des Risikos für
gung der möglichen Einflüsse der Therapie auf die La-
die Nachkommen.
borresultate. Sowohl die Vitamin-K-Antagonisten wie
auch die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAC, Fak-
Abklärung Blutbild
tor-Xa- oder Faktor-IIa-Inhibitor) können einen Teil der
Das Blutbild dient zum Ausschluss oder zur Bestätigung
Analysen ungünstig beeinflussen, sodass die Interpre-
von Krankheiten, die mit einem erhöhten Thrombose-
tation der Laborresultate erschwert wird (Tab. 7). Jedoch
risiko assoziiert sind (Tab. 5). Insbesondere bei jungen
kann bei den chronischen Therapien mit DOAC in nied-
Patienten mit atypisch lokalisierten (ausgedehnten)
riger prophylaktischer Dosierung nach einer Therapie-
VTE sind myeloproliferative Neoplasien – wie etwa die
abstinenz von 24–48 Stunden eine Blutentnahme ge-
Polycythaemia vera und/oder die essentielle Throm-
plant und interpretiert werden.
bozythämie – auszuschliessen.
Während einer Schwangerschaft sollte die Abklärung
ebenfalls nicht durchgeführt werden, sondern erst
sechs Monate nach der Geburt. Zwei Ausnahmen, mit
Tabelle 7: Interferenzen der direkten oralen Antikoagulantien (DOAC, Anti-FXa-Hemmer)
mit Gerinnungsanalysen.
möglichen therapeutischen Konsequenzen, sind hier
Test
Methodenprinzip
Interferenz
– Antithrombin-Bestimmung bei Thrombose in der
PT/INR
Gerinnungsendpunkt
Ja
aPTT
Gerinnungsendpunkt
Ja
Thrombinzeit
Gerinnungsendpunkt
Nein
Fibrinogen
Gerinnungsendpunkt
Nein
Faktor II, V, VII, VIII, IX, X, XI, XII
Gerinnungsendpunkt
Ja
Faktor XIII
Chromogen
Nein
Faktor VIII chromogen
Chromogen
Ja
Protein-C-Aktivität
Chromogen
Nein
Auswahl der Laboranalysen
Protein-S-Aktivität
Gerinnungsendpunkt
Ja
Eine komplette Thrombophilie-Abklärung beinhaltet:
Antithrombin-Aktivität
Chromogen
Ja
Gerinnungsstatus inklusive Quick/INR, aktivierte par-
Protein-C-Antigen
Immunoassay
Nein
tielle Thromboplastinzeit (aPTT), Fibrinogen, D-Dimere
Protein-S-Antigen
Immunoassay
Nein
sowie Protein C funktionell, Protein S funktionell,
Antithrombin-Antigen
Immunoassay
Nein
Antithrombin funktionell, Resistenz gegen aktiviertes
Plasminogen-Aktivität
Chromogen
Nein
Protein C (APC-Resistenz), Lupus-Antikoagulans, Auto-
APC-Resistenz
Gerinnungsendpunkt
Ja
antikörper gegen β-2-Glykoprotein I (IgG + IgM) und An-
Lupus-Antikoagulans
Gerinnungsendpunkt
Ja
D-Dimere
Immunoassay
Nein
tikardiolipin (IgG + IgM). Die genetische Suche nach der
Thromboelastometrie
Gerinnungsendpunkt
Ja
Reptilase-Zeit
Gerinnungsendpunkt
Nein
PT: Thromboplastinzeit («prothrombin time»), aPTT: aktivierte partielle Thromboplastinzeit,
APC: aktiviertes Protein C.
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zu erwähnen:
Schwangerschaft: Möglichkeit der AntithrombinSubstitution peripartal [10].
– Sofortige Protein-C-Bestimmung bei Purpura fulminans des Neugeborenen: Möglichkeit der Protein-C-Substitution beim Neugeborenen [11].
Prothrombin-Genmutation G20210A und der Faktor-VLeiden-Mutation (R506Q) wird aus EDTA-Blut oder aus
dem Zellsediment der Citratröhrchen durchgeführt.
Bei Feststellung eines Protein-C-, -S- oder Antithrom-
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bin-Mangels wird die Analyse dieser Proteine durch die
Antikoagulation festzulegen. In der umfassenden Be-
antigenetische Bestimmung erweitert, um einen funk-
urteilung und Beratung werden, neben dem Rezidiv-
tionellen von einem kompletten Mangel zu unterschei-
risiko, das Blutungsrisiko unter Antikoagulationsthe-
den. Dieses Analysenprofil kostet in der Schweiz CHF
rapie abgeschätzt und die individuelle Präferenz des
564.– (Analysenliste der Schweiz 2019).
Patienten mitberücksichtigt. Die Evidenz zeigt eine
untergeordnete Rolle der Thrombophilie in der Vor-
Stellenwert der Thrombophilie-Abklärung
aussage eines erneuten Auftretens einer Thrombose.
Drei prognostische Modelle für das individuelle VTE-
Ziele der Thrombophilie-Abklärung sind die Suche
Rezidivrisiko nach Abbruch der Antikoagulation nach
nach möglichen Ursachen der Thrombose und die Iden-
einer idiopathischen VTE – HERDOO2 Score, «Vienna
tifikation der Patienten, die nach dem ersten Ereignis
Prediction Model» und DASH Score – berücksichtigen
von einer Dauerantikoagulation profitieren könnten.
die Thrombophilie nicht [12]. Im Score von Franco Mo-
Andere Ziele der Abklärung sind die Identifikation von
reno et al. [13] ist die genetische Thrombophilie statis-
Familienmitgliedern, bei denen durch das Vermeiden
tisch signifikant, wobei nur eine retrospektive und
von Risikofaktoren und/oder eine medikamentöse Pro-
keine prospektive Validation von diesem Score durch-
phylaxe VTE vorgebeugt werden können, sowie die Be-
geführt wurde. Bei Nachweis einer hereditären Throm-
ratung von Patienten, Verwandten und betreuenden
bophilie mit möglichen Folgen für die Nachkommen,
Ärzten. Folgende Parameter sind hilfreich bei der Ab-
vor allem Frauen im gebärfähigen Alter, wird eine
schätzung des individuellen VTE-Rezidivrisikos – und
Familienabklärung (gezielte partielle Thrombophilie-
für die Bestimmung der Antikoagulationsdauer:
Abklärung) empfohlen. Sie hilft bei der Entscheidung,
– Umstände der VTE: postoperativ (kumulatives Re-
in Risikosituationen eine Prophylaxe nur mit konser-
zidivrisiko nach fünf Jahren: ca. 3%) versus nicht-
vativen Massnahmen (z.B. Bewegung, Kompressions-
chirurgische Risikofaktoren wie zum Beispiel östro-
strümpfe, Hydratation, Verzicht auf Östrogene) oder
genhaltige Hormonpräparate, Schwangerschaft,
auch medikamentös durchzuführen. Darüber hinaus
Beinverletzung, Flüge über vier Stunden, Gips, 5–12
ist die hereditäre Thrombophilie wichtiger Bestandteil
Wochen postoperativ (kumulatives Rezidivrisiko
der Risiko-Scores «Caprini» und «Rodgers» für die Risi-
nach fünf Jahren: ca. 15%) versus idiopathisch (ku-
kostratifizierung der Patienten bezüglich des periope-
mulatives Rezidivrisiko nach fünf Jahren: ca. 30%).
rativen Thromboserisikos.
– Lokalisation der VTE: distal versus proximal.
– Anzahl der VTE: Rezidivierende VTE haben ein erhöhtes Rezidivrisiko (relatives Risiko [RR]: 1,5) im Ver-
Stellenwert einer positiven ThrombophilieAbklärung bezüglich Thromboseprophylaxe
gleich zur ersten VTE.
Bei Nachweis einer thrombophilen Anomalie bei
– Alter >60 Jahre, Geschlecht (männliches Geschlecht:
einem Familienmitglied stellt sich die Frage bezüglich
RR 1,6), Body-Mass-Index (BMI 26–30 kg/m2: RR ca. 2;
Prozedere und Prophylaxe. Die erste Risikostratifizie-
BMI >30 kg/m2: RR ca. 5).
rung der Patienten beruht auf der persönlichen Anam-
– Antiphospholipid-Antikörper: mittel- bis hochtitrige
nese. Zusätzlich sollten körperlicher Habitus, Alter, Art
Antikardiolipin-Antikörper Typ IgG: RR ca. 2; Lupus-
der Gerinnungsanomalie, Art der Erwerbung (hetero-
Antikoagulans: RR 6–8.
zygot oder homozygot), Grunderkrankung und weitere
– Hereditäre Thrombophilie: Antithrombin-Mangel:
Risikofaktoren mitberücksichtigt werden. Bei diesen
RR ca. 2; homozygote Faktor-V-Leiden-Mutation: RR
Patienten empfehlen wir generell, eine Immobilisa-
ca. 2–3; compound heterozygote Faktor-V-Leiden-
tion und/oder Dehydrierung zu vermeiden. Vor allem
und Prothrombin-G20210A-Mutation: RR ca. 2–5.
bei Varikose sind Kompressionstrümpfe in Risikositu-
– D-Dimere nach Sistierung der oralen Antikoagula-
ationen (Immobilisation, Reise >4 Stunden, Schwan-
tion: negative D-Dimere: RR ca. 0,4.
– Persistierend erhöhter Faktor VIII:C («Factor VIII
Clotting Activity»): RR ca. 6.
– Alle Krankheiten mit erhöhtem Thromboserisiko
gerschaft, postoperativ) zu empfehlen. In diesen
Risikosituationen empfehlen wir eine sorgfältige medikamentöse Prophylaxe und bei Frauen keine Verschreibung östrogenhaltiger Präparate.
(Tab. 4).
Stellenwert der Thrombophilie-Abklärung
bezüglich Thrombosetherapie
Stellenwert einer negativen ThrombophilieAbklärung bezüglich Thromboseprophylaxe
Falls die Familienanamnese stark positiv ist und keine
Die Thrombophilie-Abklärung sollte nicht mit dem
labormässig fassbare Thrombophilie nachgewiesen
einzelnen Ziel durchgeführt werden, die Dauer der
wird, sind die prophylaktischen Massnahmen wie
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Korrespondenz:
PD Dr. med.
oben zu empfehlen. Umso mehr, falls auch die persön-
phylaxe sind individuell zu bestimmen. Wir empfehlen
liche Anamnese positiv für VTE ist.
die Prophylaxe mit niedermolekularen Heparinen
(LMWH), risiko- und gewichtsadaptiert, bis zum Beginn
Giuseppe Colucci
Servizio di Ematologia
Stellenwert der Thrombophilie-Abklärung
im Kontext einer Schwangerschaft
der Geburtswehen. Ein Zeitabstand von 12 Stunden zur
Die physiologischen Anpassungen des Körpers, der Blut-
einer Spinalanästhesie. Ein interdisziplinäres Manage-
giuseppe.colucci[at]
zirkulation und der Gerinnung während der Schwan-
ment dieser Patientinnen mit Einbezug von Gynäko-
moncucco.ch
gerschaft erhöhen das Thromboserisiko. Obwohl das
logen, Hebammen, Anästhesisten und Hämatologen
Risiko präpartal vor allem durch BMI, Alter, Anzahl Ge-
während der Schwangerschaft und in der peripartalen
burten, Varikosis und postpartal durch Frühgeburt,
Periode ist empfehlenswert.
ed Emostasi
Clinica Luganese Moncucco
Via Moncucco 10
CH-6900 Lugano
letzten LMWH-Dosis ist genug für die Durchführung
Sectio caesarea und Blutung erhöht wird, ist das VTERisiko bei Frauen mit Mangel an antikoagulatorischen
Proteinen und positiver Familienanamnese besonders
Fall-Vignette: Antwort
hoch. Mögliche geburtshilfliche Komplikationen bei
Die Antwort auf die Frage, ob eine Laborabklärung
Vorliegen von thrombophilen Defekten sind beispiels-
für hereditäre oder erworbene Thrombophilie bei der
weise Präeklampsie bei Protein-S-Mangel oder die fe-
zu Beginn vorgestellten Patientin veranlasst werden
tale Wachstumsretardierung bei Faktor-V-Leiden- und
solle, lautet ja. Dies, weil das Resultat der Thrombo-
Prothrombin-G20210A-Mutation. Die Beurteilung des
philie-Abklärung sowohl bei der Patientin wie auch bei
persönlichen Risikos vor der Einleitung einer medika-
ihrer Schwester Konsequenzen hätte. Bei der Patientin
mentösen Thromboembolie-Prophylaxe sowie regel-
würde der Ausschluss einer schweren Thrombophilie
mässige Kontrollen während der Schwangerschaft sind
den Entscheid hinsichtlich einer Thromboseprophy-
bei diesen Patientinnen indiziert. Beginn (24. Schwan-
laxe bei künftigen Schwangerschaften beeinflussen.
gerschaftswoche oder früher), Dosis und Dauer der Pro-
Bei der Schwester der Patientin würde die Information,
ob eine Thrombophilie in der Familie vorliegt oder
nicht, den Entscheid über Hormonsubstitution (Östro-
Das Wichtigste für die Praxis
gen-/Gestagen-Produkte) sowie ebenfalls hinsichtlich
Prophylaxe bei Schwangerschaften beeinflussen.
• Die gerinnungsphysiologische Thrombophilie ist eine fassbare Entität,
Und zwar sollte ein komplettes Thrombophilie-Scree-
eine von zwölf Personen in der Allgemeinbevölkerung besitzt eine ent-
ning (Protein-C-, Protein-S-, Antithrombin-Aktivität,
sprechende genetische Variation. Die klinische Thrombophilie ist effektiv
Faktor-V-Leiden-Mutation, Prothrombin-Mutation, An-
eine Gen-Gen-Interaktion oder eine Gen-Umwelt-Interaktion.
tiphospholipid-Antikörper) einen Monat nach Ende der
• Die Thrombophilie-Abklärung bedarf einer gezielten Indikationsstellung
Antikoagulation erfolgen.
bei Patienten, bei denen diese Erkenntnis direkte therapeutische oder
Disclosure statement
prophylaktische Konsequenzen hätte.
• Die Thrombophilie-Abklärung hat nur bedingt eine Konsequenz auf die
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Wahl oder die Dauer der Antikoagulation nach einer Thrombose.
• Die Thrombophilie-Abklärung beeinflusst die Wahl einer Hormonsubstitution (Östrogen/Gestagen-Produkte) wie auch den Entscheid über eine
Literatur
Die vollständige Literaturliste finden Sie in der Online-Version des
Artikels unter https://doi.org/10.4414/smf.2020.08452.
allfällige Thromboseprophylaxe in der Schwangerschaft.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2020;20(5–6):73–78
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