Erschienen in: Spieß, Constanze/Reisigl, Martin (Hrsg).: Sprache und Geschlecht.
Empirische Analysen. OBST 91, Band 2. Duisburg, uvrr-Verlag (2017), S. 217-236.
Sina Lautenschläger
(Stereotype) Männlichkeit und Weiblichkeit im
Pressetext
Abstract
Der Beitrag untersucht die sprachliche Konstruktion von Geschlechtsspezifik anhand des
Lexempaares weiblich und männlich in bundesdeutschen Pressetexten des Jahres 2013. Neben
der konstruktivistischen Prämisse, die davon ausgeht, dass die menschliche Wahrnehmung der
Wirklichkeit zu einem Großteil durch Sprache geformt wird, liegt das Konzept doing gender
zugrunde, wonach Geschlecht (gender) nicht etwas ist, das man hat, sondern etwas, das man
tut. Dem (pressetextlichen) Sprachgebrauch kommt dabei eine entscheidende Rolle zu: Die
hier (re)produzierten (stereotypen) Rollenbilder, die sich als Muster sedimentieren, werden
mittels korpuslinguistischer Methoden quantitativ erhoben und qualitativ framesemantisch
analysiert. Damit werden sowohl explizit geäußerte Stereotype aufgezeigt als auch implizit
zugrunde liegende geschlechtsspezifische Vorstellungen erfasst.
1.
Theoretische Prämissen
Stereotype Vorstellungen davon, was Männlichkeit und Weiblichkeit ‚ist‘1,
welche Fähigkeiten und Eigenschaften Männer und Frauen ‚besitzen‘ und
wie sie sich typischerweise verhalten, sind von jeher vorhanden und gehen
stets von einer Komplementarität und Polarität aus. Als besonders einprägsam gilt dabei der Geschlechterdiskurs des 18./19. Jahrhunderts, der „noch
immer auf das Alltagsverständnis dessen [wirkt], was Frauen und Männer
sind“ (Schaufler 2002, 195). Dieses geschlechtsspezifische Alltagsverständnis
wird von Wetterer (2008, 46) als das „alltagsweltliche Geschlechterwissen“
bezeichnet, welches sich dadurch auszeichnet, dass „[e]s […] einen breiten
Fundus von stillschweigenden Annahmen und inkorporierten Handlungsroutinen [umfasst], die sich der bewussten Verfügbarkeit nicht zuletzt deshalb
1
Ontologisch wirkende Aussagen über das So-Sein oder So-Verhalten von Männern und
Frauen sind im Folgenden stets unter Rückbezug auf die sprachliche Konstruktion von
Weiblichkeit und Männlichkeit zu verstehen. Damit wird nicht wiedergegeben, wie Männer
und Frauen außerhalb der Medienrealität (s. u.) ‚sind‘, sondern nur, wie sie mitsamt Verhaltensweisen und Charakteristika in den Pressetexten dargestellt, beschrieben und somit
konstruiert werden.
Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 91 (2017), ##-##
8
Sina Lautenschläger
entziehen, weil wir sie zwar ,haben‘, aber nicht wissen, dass wir uns in ihrem
,Besitz‘ befinden“ (Wetterer 2010, 9).
Die kontrastive Gegenüberstellung der Geschlechterrollen, in deren
Zuge den Frauen der heimische und den Männern der öffentliche Bereich
zugewiesen wurde, „hat sich bis Mitte des 19. Jahrhunderts [[p]arallel zur Formation des Bürgertums] vollzogen“ (Stocker 2005, 13). Diese Polarisierung,
die noch heute Auswirkungen auf das alltagsweltliche Geschlechterwissen hat,
wurde dabei mit geschlechtsspezifischen naturgegebenen Wesensmerkmalen
erklärt (vgl. Stocker 2005, 13). Diese Annahme, die die Geschlechter zu diesem oder jenem Handeln und Sein biologisch verpflichtet sieht, ist seit den
1960er und 1970er Jahren in der Frauen- und Geschlechterforschung nicht
mehr aktuell, stattdessen stehen kulturelle Einflüsse und somit die Konstruktion des kulturellen Geschlechts (gender) in Abgrenzung zum biologischen
Geschlecht (sex) im Fokus. Problematisch an der sex-gender-Trennung ist
allerdings, dass dabei der „heimliche Biologismus“ (Gildemeister 2008, 138)
nicht überwunden wird, denn bei dieser Unterscheidung „[wurde] implizit
von einem ‚natürlichen Unterschied‘ ausgegangen und [wurden, SL] die kulturellen Ausprägungen von ‚gender‘ lediglich als gesellschaftlicher Reflex auf
Natur gefasst“ (Gildemeister 2008, 137). Ohne diesen biologisch fundierten
Rückgriff auf Natur (sex) kommt das auf West/Zimmermann (1987) zurückgehende Konzept doing gender aus, dem sich die folgenden Ausführungen
anschließen. Mit doing gender wird davon ausgegangen,
Geschlecht bzw. Geschlechtszugehörigkeit nicht als Eigenschaft oder
Merkmal von Individuen zu betrachten, sondern jene sozialen Prozesse
in den Blick zu nehmen, in denen „Geschlecht“ als sozial folgenreiche
Unterscheidung hervorgebracht und reproduziert wird. (Gildemeister
2008, 137) [Hervorhebung im Original]
Die begriffliche Erweiterung durch doing zeigt entsprechend an, dass gender
nicht etwas ist, das man hat, sondern etwas, das man tut (vgl. Mühlen Achs
2004, 201): Die kulturell-soziale Konstruktionsleistung, also die interaktive
Konstruktion der Akteur*innen bezüglich gender und dessen Inszenierung,
steht im Mittelpunkt. Dabei kommt der parole – in diesem Beitrag begrenzt
auf den pressetextlichen Sprachgebrauch des Jahres 2013, der sich ausschließlich auf die Lexeme männlich und weiblich bezieht2 – eine besondere Rolle
2
Durch den thematischen Zuschnitt auf die Lexeme weiblich und männlich gerät primär
ein Sprachgebrauch in den Fokus, der postuliert, dass es zwei (und nur zwei) Geschlechter
gibt, und der somit den Geschlechtsbinarismus und damit einhergehend Heteronormativität als Norm konstatiert. Auch Bezeichnungen wie z. B. intersexuell (d. h. zwischen den
(Stereotype) Männlichkeit und Weiblichkeit im Pressetext
9
zu, denn dem gemäßigten Konstruktivismus folgend wird davon ausgegangen, dass „[d]ie Sprache […] die Sachverhalte der Wirklichkeit nicht einfach
ab[bildet], sondern [sich] in ihren Begriffen bereits die spezifische Gestaltung
der kulturellen Welt [spiegelt]“ (Gardt 2003, 286). Sprache vermittelt also
nicht nur Wirklichkeit (vgl. dazu auch Berger/Luckmann 212007), sondern
trägt maßgeblich zu deren Formung und Konstruktion bei und hat somit
bedeutenden Einfluss darauf, wie Geschlecht ‚gemacht‘ und wahrgenommen
wird. Gerade die Massenmedien sind an der Verbreitung und Verfestigung
stereotyper geschlechtsspezifischer Zuschreibungen beteiligt, wobei diese nicht
nur explizit, sondern auch implizit vermittelt werden. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Analyse der Medienrealität (Felder 2009, 23) handelt, d. h., der Untersuchungsgegenstand ist ein
„perspektivierter Ausschnitt von Welt zur interessengeleiteten Konstitution
von Realität im Spektrum verschiedener Wirklichkeiten“ (Felder 2009, 23).
Dadurch, dass Medien diversen Nachrichtenfaktoren3 folgen und verstärkt bestimmte (aktuelle, brisante, skandalöse etc.) Ereignisse aufgreifen und darüber
gehäuft und intensiv berichten, beeinflussen sie bezüglich des (explizit und
implizit) thematisierten Sachverhalts die Wahrnehmung der Rezipient*innen.
Außerdem gilt ganz generell, „dass man in einer Zeitung nicht den funktio-
3
(zwei) Geschlechtern stehend) oder androgyn haben jeweils nur in einem System Bestand,
das auf dieser Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität beruht, denn „‚[a]ndrogyn‘
beispielsweise, macht ohne das Wissen um die Differenz zwischen Frau und Mann keinen
Sinn, ebenso wenig ist der Begriff ‚bisexuell‘ ohne die Unterscheidung zwischen Homound Heterosexualität verstehbar“ (Villa 2000, 128).
Rüskamp (2008, 100-101) nennt die folgenden: „Kurze Dauer und rasche Entwicklung: Ein
plötzlich eintretendes kurzzeitiges Ereignis ist weit eher zur Nachricht geeignet als Prozesse,
die viel Zeit in Anspruch nehmen. Stärke des Ereignisses: Je brutaler ein Verbrechen, je furchtbarer eine Naturkatastrophe, desto größer die Schlagzeile – desto größer vermutlich auch
das Leserinteresse. Nähe zur Redaktion, zum Publikum: Dies ist zunächst einmal räumlich
zu verstehen. […] Nähe ist aber auch kulturell zu verstehen: Erscheinungen der abendländischen Kultur stehen uns näher, als die anderer Kulturkreise […]. Übereinstimmung
mit Stereotypen: Eine Nachricht, die an Bekanntes anknüpft, interessiert mehr als eine
Nachricht, die völlig neue Strukturen schafft. Zumeist werden bekannte Handlungsmuster
fortgesetzt. Kontinuität des Themas: Die Fortsetzung einer Nachricht interessiert, weil man
wissen will, wie es weitergeht, welche Folgen eingetreten sind. Personalisierung: Namen
sind Nachrichten. Zentralität des Ereignisortes: Dahinter steht die Vermutung, dass sich
[…] Deutsche mehr interessieren für Vorgänge in Berlin und Franzosen mehr für solche
in Paris.“ Ergänzend dazu können noch Luhmanns Angaben herangezogen werden (vgl.
Luhmann 32004, 58-61): Neuheit der Information; Überraschung (Wiederholungen sind
unerwünscht), Bevorzugung von Konflikten, Nennen von Quantitäten, Normverstöße
(mitunter Skandale), Aktualität.
Sina Lautenschläger
10
nierenden Alltag findet, sondern dessen kurzzeitige Störung“ (Rüskamp 2008,
100). Die nachfolgend thematisierten Stereotype und Rollenbilder, die sich
musterhaft in den Pressetexten wiederfinden lassen, sind also stets unter der
Bedingung zu verstehen, dass es sich um die Medienrealität handelt.
2.
Stereotype
Stereotype werden u. a. durch den Sprachgebrauch (re)produziert und vermittelt. Bevor auf die hier relevanten Assoziationsstereotype eingegangen wird,
sei zunächst mit Putnam (1979) darauf hingewiesen, dass der Begriff Stereotyp
wertneutral4 zu verstehen ist. Stereotype dienen der Komplexitätsreduktion
und Vereinfachung von Kommunikation und sind „vielfach hilfreiche oder als
hilfreich wahrgenommene Ordnungsrahmen für das Strukturieren und Vereinfachen einer sozialen Situation“ (Klauer 2008, 23). Stets zu berücksichtigen
ist dabei, dass Stereotype nicht immer (oder auch gar nicht) zutreffend sind:
Daß ein Merkmal […] in dem mit einem Wort verknüpften Stereotyp
enthalten ist, heißt nicht, daß es eine analytische Wahrheit wäre, daß
alle Xs oder auch nur die meisten Xs oder auch nur alle normalen Xs
oder auch nur überhaupt irgendwelche Xs dieses Merkmal aufweisen.
(Putnam 1979, 68)
Putnam „[schätzt] den Einfluss der sprachgebundenen Interaktion auf die Genese
von sprecherspezifischem, lexikalisch gebundenem Alltagswissen höher [ein]
als die tatsächliche, individuelle Erfahrung der Sprecher mit den jeweiligen
Kategorienmitgliedern“ (Konerding 2001, 157) [Hervorhebung S. L.], was
bedeutet, dass das Sprechen über X ausgeprägter ist als die eigene Erfahrung
und Auseinandersetzung damit: Zuschreibungen zu X werden also primär
unkritisch von anderen Gruppenmitgliedern übernommen (vgl. Konerding
2006, 2613). An diesen Ausführungen wird deutlich, dass der Sprachgebrauch,
der das stereotype Wissen stützen oder gar erst generieren kann, signifikanten
Einfluss auf die Wahrnehmung hat.
Assoziationsstereotype (bzw. assoziativ-semantische Stereotype) „erfassen
mit einem sprachlichen Ausdruck verbundene Bedeutungsassoziationen
[…] [und, S. L.] sind damit mentale Repräsentationen sozial geteilter Zu4
Dem gegenüber steht die im alltäglichen Sprachgebrauch verbreitete, negativ konnotierte
Ansicht, dass „ein Stereotyp eine konventional verwurzelte (häufig übelmeinende und möglicherweise völlig aus der Luft gegriffene) Meinung darüber [ist], wie ein X aussehe oder
was es tue oder sei“ (Putnam 1979, 68) [Hervorhebung S. L.].
(Stereotype) Männlichkeit und Weiblichkeit im Pressetext
11
schreibungen, welche die im engeren Sinn semantische Bedeutung ergänzen
[…]“ (Stocker 2005, 72). Sie sind aus diesem Grunde „referenzsemantisch
grundsätzlich nicht auf außersprachliche Gegenstände/Sachverhalte zurückzuführen, sondern auf Perzepte bzw. mentale Modelle“, und gelten als „Produkt der Semantisierung von Ansichten“ (Kilian 2005, 124). Damit sind
sie „kollektive Konzeptualisierungen der außersprachlichen Wirklichkeit,
also durch Einstellungen gelenkte und ins Wort gebrachte Wahrnehmungen
[…]“ (Kilian 2005, 128). Assoziationsstereotype sind dabei weder lediglich
der parole noch der langue zuzuordnen, „sondern sind in deren Rahmen
lediglich kollektiv ‚gewusst‘ und mehr oder minder geduldet“ (Kilian 2005,
127). Stereotype im Allgemeinen und assoziativ-semantische Geschlechterstereotype im Besonderen
sind kognitive Strukturen, die sozial geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale von Frauen und Männern enthalten. Nach
dieser Definition gehören Geschlechterstereotype […] einerseits zum
individuellen Wissensbesitz, andererseits bilden sie den Kern eines
konsensuellen, kulturell geteilten Verständnisses von den je typischen
Merkmalen der Geschlechter. (Eckes 2008, 171) [Hervorhebung im
Original]
Die stereotyp assoziierten Merkmale „fungieren als […] sozial verbindliche
Kriterien der Identifikation und entsprechenden Benennung von Kategorienmitgliedern in typischen bzw. ‚normalen‘ Referenzsituationen“ (Konerding
2006, 2615) [Hervorhebung im Original]. Werden diese sozial verbindlichen
Kriterien verletzt, resultiert daraus entweder Überraschung oder Ablehnung/
Bestrafung:
Die deskriptiven Anteile [von Geschlechterstereotypen] umfassen traditionelle Annahmen darüber, wie Frauen und Männer sind, welche
Eigenschaften sie haben und wie sie sich verhalten. Frauen „sind“
danach verständnisvoll und emotional, Männer „sind“ dominant und
zielstrebig. Aus Verletzungen dieser Annahmen folgt typischerweise
Überraschung. Die präskriptiven Anteile beziehen sich auf traditionelle
Annahmen darüber, wie Frauen und Männer sein sollen oder wie sie
sich verhalten sollen. So „sollen“ Frauen einfühlsam sein, Männer
„sollen“ dominieren. Werden präskriptive Annahmen verletzt, resultiert
in der Regel Ablehnung oder Bestrafung. (Eckes 2008, 171) [Hervorhebung im Original]
Sina Lautenschläger
12
3.
Methode
Dadurch, dass assoziativ-semantische Geschlechterstereotype „kollektiv
‚gewusst‘ und mehr oder minder geduldet“ (Kilian 2005, 127) und daher
nicht mehr zwangsläufig expliziert werden (müssen), bedarf es geeigneter
Methoden, die zum einen musterhafte Aspekte des Sprachgebrauchs erfassen
und zum anderen stillschweigend zugrunde gelegtes, verstehensrelevantes
Wissen (Busse 1997) aufdecken können. Da mittels Korpuslinguistik diese
Musterhaftigkeiten in der parole ermittelt und durch die Framesemantik
das verstehensrelevante Wissen erschlossen werden können, bietet sich eine
Kombination dieser Methoden an, die im Folgenden kurz dargelegt werden.
3.1.
Korpuslinguistik
Kennzeichnend für die empirisch-quantitativ arbeitende Korpuslinguistik ist,
dass (sehr) große Textmengen die Untersuchungsbasis bilden, wobei die parole,
nicht die langue, fokussiert wird (vgl. Bubenhofer 2009, 4). Korpuslinguistik
ist somit als Sprachgebrauchsanalyse zu verstehen, mit der einerseits Thesen
über eine Datengrundlage gewonnen werden können (= corpus driven5) und
andererseits bereits bestehende Thesen überprüft werden können (= corpus
based 6) (vgl. Bubenhofer/Schröter 2012, 266). Durch statistische Tests ist
es möglich, maschinell die statistisch signifikanten Sprachgebrauchsmuster
aus Tausenden von Texten ohne subjektive Eingriffe errechnen zu lassen,
die dann in einem zweiten Schritt qualitativ auf ihre Bedeutung untersucht
werden können. Wenn von statistischer Signifikanz die Rede ist, wird darauf
verwiesen, dass das gemeinsame Vorkommen von zwei oder mehr Wörtern
(= Kookkurrenz) nicht dem Zufall geschuldet ist, sondern es sich um eine
besondere Beziehung handeln muss. Was genau diese Beziehung besonders
macht und welche Bedeutung hervorgebracht wird, muss qualitativ erarbeitet
werden.
Das zugrunde liegende Korpus wird mittels der Analysesoftware COSMAS II des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) editiert und analysiert. Es
5
6
Der corpus driven-Zugriff ist induktiv angelegt, das heißt, bei diesem Zugang wird das
Korpus selbst zum Analysegegenstand (vgl. Steyer 2004, 94). Thesen über den Sprachgebrauch werden aus den im Korpus zugrunde liegenden Daten abgeleitet.
Der corpus based-Zugriff hingegen ist deduktiv ausgerichtet, was bedeutet, dass das Korpus
dazu genutzt wird, um Hypothesen, die bereits vor der Korpusanalyse feststehen, zu bestätigen oder zu verwerfen (vgl. z. B. Bubenhofer 2009; Bubenhofer/Scharloth 2010)
(Stereotype) Männlichkeit und Weiblichkeit im Pressetext
13
umfasst ausschließlich das Jahr 2013 und besteht aus 17 Quellen7, die aus
778.098 bundesdeutschen Pressetexten8 mit insgesamt 189.264.551 Tokens
konstituiert sind. Da aufgrund der hohen Quantitäten – weiblich9 weist
7.617 Treffer in 318 Kookkurrenzclustern, männlich 6.575 Treffer in 279
Kookkurrenzclustern auf – nicht alle Cluster untersucht werden können,
finden ausschließlich die oberen TOP 10 Eingang in die Analyse, wobei nur
forschungsrelevante Kookkurrenzen berücksichtigt werden. Forschungsrelevant
bedeutet, dass Eigennamen (von Personen, Orten, Straßen etc.), Referenzen
auf Tiere oder Sport-Cluster10 nicht beachtet werden.
Was den Zugriff betrifft, wird im Folgenden so verfahren, dass zunächst
corpus driven an das Korpus herangegangen und eine statistische Kookkurrenzanalyse (KA) zu den Lexemen männlich und weiblich durchgeführt wird. Mit
einer KA und ihrer Darstellung sprachlicher Daten in Kookkurrenzclustern
wird so „ein reflektierter und strukturierter Zugang zu sprachlichen Massendaten geschaffen“, mit dem man „sich primär aus der ‚Ordnung der Dinge‘
selbst ein Bild vom typischen Gebrauch und den kontextuellen Gegebenheiten machen kann“ (Steyer/Lauer 2007, 504) [Hervorhebung im Original].
Daran anknüpfend wird corpus based verfahren, das heißt, dass das in der KA
aufgezeigte syntagmatisch dominante Muster des Clusters gezielt angefragt
wird, was die ursprüngliche Belegmenge reduziert, da ausschließlich die dem
dominanten Muster entsprechenden Belege verbleiben. Diese verbleibende
7
Sofern keine anderen Angaben gemacht werden, sind die Quellen stets von Januar 2013
bis Dezember 2013 im Korpus vertreten: Braunschweiger Zeitung (Januar–Juni), FOCUS,
Hannoversche Allgemeine, Hamburger Morgenpost, Mannheimer Morgen, Nordkurier,
Nürnberger Nachrichten, Nürnberger Zeitung, Rhein-Zeitung, die tageszeitung, Süddeutsche
Zeitung, VDI nachrichten, Die Zeit (Online-Ausgabe), Zeit Campus (Februar-April, Juni,
August, Oktober, November), Zeit Geschichte (Februar, Mai, August, November), Zeit
Wissen (Februar-April, Juni, August-Oktober, Dezember). Die Tatsache, dass bei bestimmen
Quellen einige Monate fehlen, ist nicht etwa durch manuelle Selektion bedingt, sondern
geht auf COSMAS II und dessen Aufbereitung zurück.
8 Andere deutschsprachige Quellen aus Österreich und der Schweiz werden ausgeklammert,
da kulturelle Unterschiede nicht vereinheitlicht werden sollen.
9 Um ein möglichst breites Verwendungsspektrum der Lexeme männlich und weiblich erfassen
und erforschen zu können, wird der Grundformoperator & eingesetzt: Er bewirkt, dass
alle Wortbildungs- und Flexionsformen des angefragten Lexems berücksichtigt werden.
10 Ein besonders prägnantes Beispiel für diese irrelevanten Sport-Cluster ist der jeweils erste
und signifikanteste Kookkurrenzpartner Jugend, der über die Erkenntnis, dass es eine
männliche und weibliche A-, B-, C- (usw.) Jugend gibt, keine weiteren Rückschlüsse zulässt und sich somit als nicht bedeutsam für die Analyse erweist.
Sina Lautenschläger
14
Belegmenge ist dadurch ohne subjektiven Eingriff auf ein Maß reduziert, das
der qualitativ-framesemantischen Analyse zugänglich ist.11
3.2.
Framesemantik
Bevor dargelegt wird, weshalb sich Korpuslinguistik und Framesemantik so
fruchtbringend ergänzen, sei kurz die Framesemantik skizziert.
Bei der Framesemantik wird davon ausgegangen, dass „Bedeutungen […]
aus einem Geflecht von Wissenselementen [bestehen], das im Sprachverstehensprozess im Rückgriff auf Hintergrundwissen erschlossen (‚inferiert‘) wird“
(Busse 2009, 85). Durch dieses „Geflecht von Wissenselementen“ wird deutlich, dass Frames rekursiv sind: Frames enthalten (Sub-)Frames, die wiederum
(Sub-)Frames enthalten (können).
„Sprachliche Zeichen“, so die Annahme, „setzen in Kommunikationszusammenhängen Anhalts- und Markierungspunkte, die es ermöglichen,
den Bedeutungsgehalt […] im impliziten Rückgriff auf Weltwissen zu
konstruieren“ (Busse 2009, 84), was zur Folge hat, dass von den Zeichenbenutzer*innen nur das explizit ausgedrückt wird, was für das Verstehen in
der Situation tatsächlich notwendig und relevant ist – das verstehensrelevante Wissen wird also stillschweigend vorausgesetzt. Die explizite Füllung
der sogenannten slots (Anschlussstellen) wird als Füllwert bezeichnet; die
verstehensrelevanten, aber nicht gegebenen, sondern vorausgesetzten und
stereotypisch erwartbaren Informationseinheiten werden als Standardwerte
bezeichnet, die „das Wissen [umfassen], das wir von uns, unserer Welt und
den Dingen darin gewonnen haben, den Erfahrungen […], die wir […] als
besonders typisch für die entsprechenden Bezugsobjekte routinisiert haben“
(Klug 2014, 251) [Hervorhebung im Original].12 Bedeutsam für die Analyse
von Texten ist dementsprechend nicht nur das, was explizit geäußert wird,
11 Für eine ausführliche Beschreibung dieses Filterungsprozesses sowie der Grenzen und
Möglichkeiten der Korpuslinguistik siehe Lautenschläger (demn.).
12 Das bedeutet, dass (Be)Deutungen im Wandel der Zeit und in anderen Sprachgemeinschaften bzw. Kulturen variieren können: „Wissensrahmen sind damit immer flexibel und
können durch Konstituenten wie Zeit, Raum oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten
[…] Gruppe von anderen Prädikationen, d. h. mit unterschiedlicher Bedeutung gefüllt
sein. Unter dieser konstruktivistischen Prämisse werden konventionelle Bedeutungen von
Zeichen […] als aus dem Gedächtnis abrufbare, konzeptuell verfestigte Bedeutungsstrukturen verstanden, die […] von sprachlichen […] Zeichen aktiviert werden können“ (Klug
2012, 203).
(Stereotype) Männlichkeit und Weiblichkeit im Pressetext
15
sondern auch gerade das, was nicht mehr gesagt oder geschrieben werden muss
und als bereits Gewusstes präsupponiert wird.
Mittels der Korpuslinguistik ist es möglich, das massen- bzw. musterhaft13
Explizierte, sprich: die Füllwerte, in Form statistisch signifikanter Kookkurrenzen14 an der Textoberfläche als das sogenannte Kookkurrenzprofil aufzudecken.
Das Kookkurrenzprofil eines Lexems ist die Gesamtheit der berechneten Kookkurrenzcluster „und stellt […] ein Kondensat seines Gebrauchs dar“ (Belica
2008, 5), wobei es im Folgenden als Basis der untersuchten Frames gilt: Alles,
was über den männlich- und weiblich-Frame ausgesagt werden kann, basiert
auf diesem musterhaften pressetextlichen Sprachgebrauch, der maschinell
errechnet wird. Die Konstitution eines Frames geht aber über das explizit
Formulierte hinaus, da, wie erwähnt, Bedeutung „im Sprachverstehensprozess
im Rückgriff auf Hintergrundwissen erschlossen (‚inferiert‘) wird“ (Busse
2009, 85). Das (Hintergrund-)Wissen und Assoziationen können einerseits
explizit in Form von Füllwerten evoziert werden oder liegen andererseits implizit als stereotypische Standardwerte zugrunde, die in der pressetextlichen
Datenbasis nicht expliziert werden müssen, sondern die sich wie von selbst
verstehen und deswegen stillschweigend vorausgesetzt werden können. Das
maschinell erstellte Kookkurrenzprofil kann solche Schlussfolgerungsprozesse
nicht leisten und daher den Zusammenhang von Füll- und Standardwerten
nicht erkennen, weshalb es als Grundlage, quasi als Füllwert-Lieferant des
Frames dient.
13 Die Unterscheidung von Massenhaftigkeit und Musterhaftigkeit muss getroffen werden,
weil Kookkurrenzen statistische Signifikanz, also ein überzufällig häufiges gemeinsames
Vorkommen anzeigen (= Musterhaftigkeit) und nicht zwangsläufig (wohl aber sehr häufig)
mit hohen Frequenzen einhergehen (= Massenhaftigkeit). Ist künftig von Sprachgebrauchsmustern/vom musterhaften Sprachgebrauch die Rede, werden damit sowohl niedrig- als
auch hochfrequente, statistisch signifikante Phänomene bezeichnet.
14 Bei der Gleichsetzung Kookkurrenz = Füllwert ist allerdings zu beachten, dass nicht jeder
Füllwert automatisch eine Kookkurrenz ist, denn diese ist abhängig von statistischer Signifikanz. Wird eine Gleichsetzung von Füllwert und Kookkurrenz vorgenommen, dann
stets vor dem Hintergrund der statistischen Kookkurrenzanalyse: Statistisch auffällige,
das heißt signifikante Füllwerte können erfasst und gebündelt werden. Diese Füllwerte
(= Kookkurrenzen) werden also überzufällig häufig in der Datenbasis genannt und sind
zumeist, aber nicht immer, hochfrequent vertreten. Bei Einzelbelegen und -beispielen
kann hingegen nicht von der Gleichsetzung Füllwert = Kookkurrenz ausgegangen werden:
Hier können die Füllwerte als einmalig auftretende Werte fungieren, die die jeweiligen
slots füllen und dabei keinen musterhaften Charakter haben.
16
4.
Sina Lautenschläger
Analyse und Ergebnisse
Die Analyse vollzieht sich vor dem Hintergrund dieser TOP 10-Kookkurrenzen, wobei die Liste bereits von forschungsirrelevanten Clustern bereinigt
ist15 und die über den corpus based-Zugriff reduzierte Belegmenge enthält:
-
-
weiblich: 2. männliche (296x), 3. männlich (208x), 4. männlichen (224x),
6. Geschlecht (106x), 10. Führungskräfte (67x), 11. Fans (97x), 12. typisch
(50x), 13. Geschlechts (35x), 14. Prozent (204x), 16. Anteil (47x)
männlich: 2. weibliche (309x), 3. weiblich (208x), 4. Kollegen (247x),
5. weiblichen (218x), 11. Person (80x), 13. Frauen (157x), 14. Erzieher
(38x), 15. Personen (69x), 16. dominierten (37x), 17. Geschlecht (34x)
Rein oberflächenbasiert ist zunächst auffällig, dass beide Frames bzw. Kookkurrenzprofile im hochsignifikanten Bereich aufeinander verweisen, weshalb
sich gemeinsame Sub-Frames ergeben. Gemeinsamkeiten sind aber nicht nur
an diese Reziprozität gebunden, sondern gehen zurück auf beide Geschlechter
betreffende Thematiken, die sich durch unterschiedliche Kookkurrenzen manifestieren, oder aber auf Beidnennung, bei der aber nur ein Ausgangslexem
als signifikant errechnet wird.
Werden die Belege und deren Inhalte jeweils geschlechtsspezifisch kategorisiert, zeigen sich folgende, nicht hierarchisch angeordnete Sub-Frames
bzw. Kategorien, die zumeist in Zusammenhang stehen und nur behelfsweise
voneinander getrennt sind:
-
weiblich: 1. Stereotype/Rollen, 2. Domänen, 3. weibliche Benachteiligung, 4. Intersexualität
-
männlich: 1. Stereotype/Rollen, 2. Domänen, 3. weibliche Benachteiligung, 4. Intersexualität, 5. Täterschaft
Während der weiblich-Frame anhand der Kategorisierung kein Alleinstellungsmerkmal aufweist, ist Täterschaft ausschließlich im männlich-Frame bedeutsam. Bemerkenswert ist zudem, dass männliche Benachteiligung keineswegs
kategorial salient wird, während sich weibliche Benachteiligung in beiden
Frames niederschlägt. Unter Berücksichtigung dieses bereits oberflächlich
an den Füllwerten bzw. Kookkurrenzen wahrnehmbaren Unterschiedes werden die Belege kategorial im Detail beleuchtet. Dabei können allerdings aus
15 Bei &weiblich bereinigt um: 1. Jugend, 5. B-Jugend, 7. C-Jugend, 8. A-Jugend, 9. D-Jugend,
15. E-Jugend. Bei &männlich bereinigt um: 1. Jugend, 6. C-Jugend, 7. B-Jugend, 8. D-Jugend,
9. E-Jugend, 10. A-Jugend, 12. Küken.
(Stereotype) Männlichkeit und Weiblichkeit im Pressetext
17
Platzgründen stets nur wenige Belegausschnitte zur Veranschaulichung herangezogen werden, die entsprechend repräsentativ für das zugrunde liegende
Sprachgebrauchsmuster sind.
Da die Inhalte der Belege, die Kategorie 4 zugeordnet werden, für beide
Frames in gleicher Weise (un)bedeutsam sind, sei lediglich darauf verwiesen,
dass Intersexualität bemerkenswert häufig fokussiert wird. Diese frequente
Thematisierung hängt damit zusammen, dass die Presse auf die Erweiterung
des Personenstandsgesetztes vom November 2013 reagiert: „Ins Geburtenregister muss nun nicht mehr eingetragen werden, ob das Baby männlich
oder weiblich ist. Wird bei einem Kind Doppelgeschlechtlichkeit festgestellt,
können die Eltern zunächst ein X ins Geburtenregister schreiben lassen.“16
Auch Kategorie 5 des männlich-Frames, nämlich Täterschaft, kann knapp
umrissen werden. Anhand der Kookkurrenzen Person und Personen wird deutlich, dass Täterschaft in vielfältiger Form (Gewalt, Diebstahl, Sachbeschädigung etc.) ausschließlich für männlich, nicht aber für weiblich signifikant und
salient ist. Diese massen- und musterhafte Berichterstattung beeinflusst die
Wahrnehmung der Rezipient*innen und kann stereotype Kategorisierungen
begünstigen. Dass Männlichkeit, nicht aber Weiblichkeit z. B. mit sexueller
Gewalt bzw. Pädophilie assoziiert ist, wird anhand des Kinderbetreuungsdiskurses gezeigt werden, der sich auf den Mangel an männlichen Erziehern in
frühpädagogischen Einrichtungen bezieht und sich innerhalb der ErzieherDebatte manifestiert.
Kategorie 1 weist Parallelen innerhalb beider Frames auf, was auf die
Reziprozität bzw. Beidnennung zurückgeht, und befasst sich mit stereotypen
Vorstellungen, die sich auf beide Geschlechter beziehen und primär in beruflichem Zusammenhang stehen:
(1) Doch der weibliche Führungsstil allein verspreche noch längst keinen
Erfolg, meint Wirtschaftsberater Walter Simon. „Eine gute Führungskraft muss männlich und weiblich zugleich sein.“ Mitarbeiter brauchten
Einfühlungsvermögen genau wie Druck, ein Unternehmen rationales
Zahlendenken wie Intuition. (Nürnberger Nachrichten, 09.04.2013, S.
17, Guter Chef: Ein bisschen weiblich, ein bisschen männlich […])
Aufgrund des alltagsweltlichen Geschlechterwissens bzw. der Standardwerte muss nicht erörtert werden, welche der genannten Eigenschaften je
männlich und weiblich assoziiert sind. Durch diese sich komplementär
gegenüberstehenden stereotypen Assoziationen wird die geschlechtsbinäre
16 die tageszeitung, 01.11.2013, S. 7, Und ich sag dir nicht, wer du bist.
18
Sina Lautenschläger
Spaltung verdeutlicht, die die Führungskraft wiederum überbrücken muss.
Die in diesem Fall vorliegende Wertgleichheit von männlich und weiblich
zugeordneten Charakteristika ist als Seltenheit zu verstehen, denn häufiger
finden sich Belege wie diese:
(2) Wer oben ist, teilt seine Macht nicht gern. […] Die Überraschung: 40
Prozent der Fieslinge waren Frauen. Eine andere Studie (2010) resümiert,
dass Frauen mit überwältigender Mehrheit (80 Prozent) auf andere
Frauen losgingen, derweil Männer „fair“ seien, also die Geschlechter
gleichermaßen quälten. […] Aber wieso sollten Frauen „sanfter“ und
„netter“ sein, wenn es um hohe Einsätze geht – Aufstieg, Status und
Einkommen? Man darf unterstellen, dass Chefinnen nicht aufgrund
„typisch weiblicher“ Tugenden die Spitze erklommen, sondern wie die
Männer die Konkurrenz mit spitzen Ellenbogen verdrängt haben. (Die
Zeit, Online-Ausgabe, 21.03. 2013, Gute Mädel, böse Jungs)
Der Befund, dass Frauen „Fieslinge“ sein können, konfligiert mit den bereits
erwähnten deskriptiven Anteilen des weiblichen Geschlechterstereotyps, gilt
somit nicht als Standardwert des weiblich-Frames und muss daher explizit als
Füllwert benannt und gleichzeitig als „Überraschung“ beurteilt werden. Neben
den in Anführungszeichen gesetzten typisch weiblichen Tugenden, die bis auf die
Prädikationen sanft und nett nicht weiter expliziert werden (müssen), werden
den Chefinnen männlich assoziierte Verhaltensweisen zugesprochen. Es wird
explizit benannt, dass typisch weibliche Tugenden nicht dem beruflichen Aufstieg dienlich sind, sondern dass Frauen männlich assoziierte Verhaltensweisen
adaptieren müssen – hier wird wieder eine klare Trennung weiblicher und
männlicher Charakteristika vorausgesetzt –, wenn es um „Aufstieg, Status und
Einkommen“ geht. Konkurrenzverhalten gilt, dies verdeutlicht auch Beleg (3),
als ‚nicht-weiblich‘ und muss in einem System, das auf Geschlechtsbinarismus
beruht, entsprechend als ‚männlich‘ beurteilt werden. Dabei wird weibliches
Konkurrenzverhalten selten als solches bezeichnet, sondern es werden negativ
konnotierte Substantive wie Stutenbissigkeit oder Zickenkrieg herangezogen:
(3) Dreyer: […] Ich glaube, was Sie Zickenkrieg nennen, ist oft ganz normale
Konkurrenz und nicht typisch weiblich. Das hat wenig mit Unterdrückung zu tun, das gibt’s bei Männern ganz genauso. Wir sind bei Frauen
in der Öffentlichkeit bloß weniger daran gewöhnt. Deshalb wird darüber
anders berichtet, wenn Frau von der Leyen und Frau Schröder sich nicht
verstehen, als wenn Herr Brüderle und Herr Rösler streiten. (Die Zeit,
Online-Ausgabe, 05.09.2013, Die Männer werden teilen müssen)
(Stereotype) Männlichkeit und Weiblichkeit im Pressetext
19
Neben den häufig vorzufindenden beruflich kontextualisierten Stereotypen,
die vorwiegend das Weibliche fokussieren, wird ein breites Spektrum abgedeckt, dass sich oft durch den Kontrast weiblich vs. männlich auszeichnet, z. B.
„Frauen […] bewiesen im Gegensatz zum männlichen Geschlecht Gespür für
den Erhalt ihrer Gesundheit“17, „Dass der Motorsport nicht nur was für das
männliche Geschlecht ist, zeigte Anja Schnepel“18.
Auch in Kategorie 2 (Domänen) überwiegt in beiden Frames die pressetextliche Auseinandersetzung mit ‚typisch weiblichen‘ Berufen. Obwohl konstatiert wird, dass es neben typischen Frauenberufen auch typische Männerdomänen gibt, wird ausschließlich die weibliche Berufswahl problematisiert:
„Nach wie vor schöpfen junge Frauen in Deutschland ihre Berufsmöglichkeiten nicht voll aus, heißt es beim Projekt. […] Mehr als die Hälfte wählt
aus nur zehn verschiedenen Ausbildungsberufen im dualen System – kein
naturwissenschaftlich-technischer ist darunter.“19 Warum nur die weibliche,
nicht aber die ebenso stereotypisch männliche Berufswahl als problematisch
beschrieben wird, hängt den Pressetexten zufolge mit der schlechten Entlohnung in den ‚typisch weiblichen‘ Branchen zusammen: „[B]eim Equal Pay Day
[wurde] unter dem Titel ‚Viel Dienst – wenig Verdienst!‘ auf die im Vergleich
zu anderen Branchen niedrigen Löhne im Pflege- und Gesundheitsbereich
aufmerksam gemacht. Hier sind 80 Prozent der Beschäftigten weiblich.“20
Zudem wird Teilzeit-Arbeit als ein primär weibliches Phänomen aufgefasst,
was wiederum mit der traditionellen Rollenverteilung zusammenhänge und
mitunter für die in beiden Frames sehr deutlich erkennbare Auseinandersetzung mit dem weiblichen Mangel in Führungspositionen verantwortlich gemacht wird (s. u.). Während die traditionelle Rolle nur Frauen zum
Nachteil gereiche, wirken sich manche stereotypen Assoziationen negativ auf
beide Geschlechter aus, was sich in Bezug auf Männer aber ausschließlich im
männlich-Frame anhand der Thematisierung des Männer-Mangels in Kitas
manifestiert. Die explizit stereotypgetragene Annahme, dass „‚[g]erade dieser
Bereich mit der mütterlichen Fürsorge verbunden [wird]‘“21, wird ebenso für
den Mangel verantwortlich gemacht wie weitere Aspekte:
17
18
19
20
21
Rhein-Zeitung, 13.11.2013, S. 18, Volkshochschule ehrt Kursleiter.
Nordkurier, 19.03.2013, Mit Karacho über den Stoppelacker […].
Rhein-Zeitung, 11.03.2013, S. 14, Veranstaltung soll Mädchen für die Technik begeistern.
Rhein-Zeitung, 26.03.2013, S. 17, Verdienst wird beklagt.
Nürnberger Nachrichten, 19.10.2013, S. 11, Männer sind im Kindergarten noch immer
Exoten […].
20
Sina Lautenschläger
(4) „Wir haben ein Imageproblem. Viele denken: Kinderspiele sind doch
nichts für richtige Männer.“ Auch der Vorsitzende der Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft in Rheinland-Pfalz […] bezeichnet das
Männerbild der Gesellschaft als Hauptursache für das geringe Interesse
der Männer am Erzieherberuf. […] „Das spielt eine viel größere Rolle
als die schlechte Bezahlung, die oft als Grund angeführt wird.“ […]
Sorge macht EKHN-Projektleiterin Herrenbrück zudem, dass männliche
Erzieher oft unter dem Generalverdacht stehen, sie hätten pädophile
Neigungen. (Rhein-Zeitung, 28.06.2013, S. 15, In Kindertagesstätten gibt
es kaum Erzieher)
Einige stereotype Vorstellungen, die in Fällen wie diesen in Vorurteilen gegenüber männlichen Erziehern münden, sind nicht nur für Frauen, sondern auch
für Männer stark beeinträchtigend, werden aber in den Zeitungstexten marginalisiert (fünf Belege) und gehen auf heterogene Kontexte zurück, zeichnen
also kein musterhaftes Bild. So wird z. B. die Frauenquote als „Gender-Teufelskreis“ bezeichnet, „der das männliche Geschlecht allmählich ins Abseits
drängt“ und „auf eine neue ungerechte Geschlechterdominanz zu[steuert]“22,
oder aber es wird (implizit) angenommen, dass ‚Männerthemen‘ den ‚Frauenthemen‘ in der gesellschaftlichen Wahrnehmung nachstehen23 oder dass
Sexismus von Frauen Männern gegenüber kaum wahrgenommen werde.24
Wesentlich häufiger vorzufinden als diese marginalisierten Themen und
die nur im männlich-Frame saliente Erzieher-Debatte ist die weibliche Be22 Nürnberger Zeitung, 05.05.2013, S. 18, Wer Frauenquote sagt, muss auch Männerquote
sagen.
23 „Interview: Klaus John vom Offenen Väternetzwerk kämpft für das gemeinsame Sorgerecht […] Herr John, erst vor wenigen Tagen wurde […] gegen die Unterdrückung von
Frauen protestiert, in Deutschland wird gerade über Sexismus und Quoten für weibliche
Führungskräfte diskutiert. Da haben Sie sich aber nicht die beste Zeit ausgesucht, um auf
ein Männerthema aufmerksam zu machen. Klaus John: Ich denke, dass es eigentlich sogar
eine gute Zeit ist. Klar, auf den ersten Blick machen wir uns für ein Männer- oder besser
Väterthema stark. Doch im Grunde kämpfen wir für Gleichberechtigung...“ (Nürnberger
Nachrichten, 20.02.2013, S. 11, Wir sind schließlich Väter, keine Samenspender […])
24 „ZEIT: Gibt es auch Sexismus von Frauen gegenüber Männern? Walter: Ja, aber es gibt
bisher kaum ein Bewusstsein dafür. Nehmen wir die häufig vorkommenden Fälle aus dem
Kindergarten, wo Eltern oder Erzieherinnen die Kompetenz ihrer wenigen männlichen
Kollegen aus dem Geschlecht ableiten. Das klingt manchmal harmlos, etwa wenn gesagt
wird: Geh doch du mit den Jungs Fußball spielen, du bist doch ein Mann. Wenn man
umgekehrt sagen würde: Koch du doch mit den Mädchen, du bist eine Frau, dann gäbe
es einen Aufschrei!“ (Die Zeit, Online-Ausgabe, 14.02.2013, Sexismus gibt’s auch unter
Männern)
(Stereotype) Männlichkeit und Weiblichkeit im Pressetext
21
nachteiligung (Kategorie 3), die sich in beiden Frames sedimentiert und primär auf den Mangel weiblicher Führungskräfte bezogen wird, aber auch auf
die hier nicht weiter betrachtete benachteiligende Wirkung des generischen
Maskulinums referiert. Die gesamte Auseinandersetzung wird gut durch Beleg (5) repräsentiert:
(5) Wir kommen gerade mal auf 2,5 Prozent Frauenanteil in Vorständen
und 10 Prozent in Aufsichtsräten. Das ist ein schockierendes Ergebnis!
Wollen wir wirklich zusehen, wie Frauen in unserer heutigen Gesellschaft
derart benachteiligt werden? In unserem Grundgesetz steht schon lange
die Gleichberechtigung geschrieben. Die Realität sieht jedoch ganz anders
aus. Und das, obwohl 60 Prozent der Universitätsabsolventen heutzutage
weiblich sind! (Rhein-Zeitung, 23.03.2013, S. 14)
Eine Benachteiligung von Frauen wird in den Pressetexten an keiner Stelle in
Frage gestellt oder dementiert, aber in Bezug auf die Einführung einer Frauenquote besteht Uneinigkeit. Zum einen sei, wie erwähnt, die Frauenquote ein
„Gender-Teufelskreis“, der eine männliche Benachteiligung mit sich bringe,
aber gleichzeitig auch eine „‚Diskriminierung des weiblichen Geschlechts‘“,
denn „‚[e]ine Quote verletzt die Würde der Frau. Denn jede Frau in einer
Leitungsposition würde zur Quotenfrau‘“.25 Zum anderen wird verhalten
pro Quote argumentiert: „Die Quote mag ein hässliches Instrument sein.
Selbst viele Frauen lehnen sie ab, weil sie fürchten, als Quotenfrau und nicht
wegen ihrer Kompetenz die Karriereleiter höher zu steigen. Aber noch daran
zu glauben, dass sich ohne feste Quoten etwas ändert, ist schlicht naiv.“26
Was sich in der Argumentation von Quotengegner*innen genauso wie bei
Quotenbefürworter*innen häufig finden lässt, ist ein (indirekter) Verweis auf
traditionelle Rollen: Nicht nur, aber hauptsächlich in Bezug auf Führungspositionen wird gefordert, dass es eine bessere Vereinbarkeit von Familie und
Beruf für Frauen geben muss – eine Forderung, die im Zusammenhang mit
Männern nicht relevant scheint: „Karrierekiller bei weiblichen Mitarbeitern
seien laut Frauenbeauftragter in vielen Firmen immer noch Familienauszeit
und Teilzeit. Bei der Stadt arbeitet jede zweite Frau Teilzeit“27, „[e]in Grund
dafür [für den niedrigen Anteil von Frauen in Führungspositionen, S.L] sei,
25 FOCUS, 14.01.2013, S. 36-47; in den Ausschnitten werden als Zitate kenntlich gemachte
Aussagen zitiert.
26 Rhein-Zeitung, 19.04.2013, S. 2; Quoten-Kompromiss der Union ist faul.
27 Nürnberger Nachrichten, 30.10.2013, S. 9; Mehr Frauen führen - Chancengleichheit: Stadt
erhält Auszeichnung.
Sina Lautenschläger
22
dass Frauen häufiger aus familiären Gründen eine Auszeit vom Job nähmen
und in Teilzeit arbeiteten.“28
5.
Fazit
Wie anhand der repräsentativ ausgewählten fünf Belege gezeigt werden konnte,
wird im pressetextlichen Sprachgebrauch eine klare Trennung zwischen dem
gezogen, was als weiblich und als männlich gilt. Durch die Kombination
von Korpuslinguistik und Framesemantik ist es zum einen möglich, einen
typischen massen- sowie musterhaften Sprachgebrauch in den Pressetexten
aufzudecken, der bereits rein oberflächenbasiert einen bestimmten Umgang
mit Geschlechtsspezifik aufzeigt, und zum anderen können neben den für
eine Sprachgemeinschaft typischen Füllwerten/Kookkurrenzen auch die vorhandenen stereotypischen Standardwerte erkannt werden, die bestimmte, verstehensrelevante Wissenselemente unausgesprochen als bekannt und gewusst
voraussetzen. So muss an keiner Stelle in den Pressetexten so etwas wie ‚Männer
sind X, daher sind Frauen Y‘ expliziert werden, weil es sich wie von selbst versteht, dass Eigenschaften, die Frauen ‚haben‘, bei Männern i. d. R. nicht zu
finden sind. Wird also eine Aussage darüber getroffen, was weiblich ‚ist‘, kann
ex negativo geschlussfolgert werden, dass dies auf männliche Personen nicht
zutrifft, ohne dass dies tatsächlich geäußert werden muss. Unter Rückbezug
auf das eingangs vorgestellte Konzept des doing gender, das die sozialen Prozesse
bei der Hervorbringung und Unterscheidung von Geschlecht fokussiert, lässt
sich somit feststellen, dass mittels des hier untersuchten Sprachgebrauchs eine
Welt und Wirklichkeit entworfen und gleichzeitig nachgezeichnet wird, in
der sich die (explizit und implizit) als weiblich und männlich klassifizierten
Fähigkeiten und Charakteristika stets komplementär gegenüberstehen: Was
männlich ist, ist nicht weiblich und umgekehrt. Männlichkeit und Weiblichkeit besetzen entsprechend die verschiedenen Pole einer Skala, die aber keine
Übergangsbereiche zu haben scheint. Selbst wenn nicht immer deutlich wird,
welche Eigenschaften genau als männlich oder weiblich angenommen werden
und den geschlechtsspezifischen Unterschied konstituieren, ist zweifelsohne
erkennbar, dass es diesen Unterschied gibt, der stark stereotypgetragen ist
und der Konsequenzen mit sich bringt, die sich im Pressetext primär im Zu-
28 Nürnberger Zeitung, 15.01.2013, S. 1; Deutsche Wirtschaft zu Berufschancen von Frauen –
Karrierehindernis Kind.
(Stereotype) Männlichkeit und Weiblichkeit im Pressetext
23
sammenhang mit beruflicher Selbstverwirklichung/Karriere nachvollziehen
lassen, was sich besonders deutlich in den Belegen (2) und (4) manifestiert.
Abschließend lässt sich festhalten, dass in den zugrunde liegenden Pressetexten die Situation von Frauen omnipräsent ist und sich sowohl im weiblich- als auch im männlich-Frame sehr deutlich sedimentiert, wohingegen
eine kritische Reflexion der männlich assoziierten Stereotype und Rollen
vergleichsweise peripher stattfindet und sich primär in der Erzieher-Debatte
niederschlägt. Während also, wenngleich dies auch mit niedrigerer Frequenz
geschieht, bei männlich alles verhandelt wird, was auch bei weiblich salient
ist, gelten die Erzieher-Debatte und die Kategorie Täterschaft als Alleinstellungsmerkmale des männlich-Frames.
Deutlich wird, dass der mediale Fokus generell problemorientiert ist,
dass man also, wie erwähnt, „in einer Zeitung nicht den funktionierenden
Alltag findet, sondern dessen kurzzeitige Störung“ (Rüskamp 2008, 100).
Daher greifen Pressetexte besonders die als problembehaftet wahrgenommene Situation von Frauen auf, da die traditionelle Rollenverteilung mitsamt
Stereotypen in beruflichen Kontexten primär Frauen zum Nachteil gereiche.
Wo sich Problematiken bei Männern ergeben, werden auch diese aufgegriffen
und fokussiert, allerdings ist dieser Bereich wesentlich enger gefasst (findet er
sich im vorliegenden Material doch ausschließlich in der Erzieher-Debatte).
Auf Weiblichkeit bezogene stereotype Klassifizierungen scheinen, so das Fazit,
nicht nur signifikanter und massenhafter vorzukommen, sondern werden
stärker problematisiert und reflektiert, während männlich assoziierte Stereotype größtenteils unhinterfragt bleiben und in Bezug auf beruflichen Erfolg
idealisiert bzw. als förderlich beurteilt werden.
6.
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