Danzig
"Musikalische Begabung allein ist ein Fluch. Es sind vor allem Verlockung und Durst, die den Hunger füttern, der im Inneren des Künstlers brennt." Der gebürtige Glenn Allen Anzalone weiß, wovon er hier spricht. Seine künstlerische und musikalische Begabung übertrifft nur der Ehrgeiz. Beides zusammen macht ihn in verschiedenen Genres zur musikhistorisch bedeutsamen Kultfigur sowie zur polarisierenden Reizfigur gleichermaßen.
Bereits mit den Misfits, in stetiger Hassliebe zu Bandkumpan Jerry Only verbunden, trägt Glenn Danzig maßgeblich zur Entwicklung des Punk im Allgemeinen und des Horrorpunk im besonderen bei. Nach seinem Ausstieg 1983 stampft er die großartigen Samhain aus dem Boden. Die Combo hat nur vier Jahre Bestand und findet in dieser Zeit nicht ansatzweise die von Danzig erhoffte mediale Beachtung. Musikalisch gilt sie retrospektiv jedoch als wichtiger Baustein und entscheidendes Bindeglied zwischen seinen alten Hardcore-Wurzeln und der erfolgreichen Band Danzig.
Diese entsteht 1987 aus den Trümmern Samhains in teilweise identischer Besetzung. Glenn Danzigs Faible für B-Movies, Dämonen und Okkultismus ist auch weiterhin eine feste Konstante seines künstlerischen Universums. Musikalisch zieht es ihn jedoch zu neuen Ufern. Weniger Geschwindigkeit, mehr Atmosphäre und sorgfältiges, reiferes Songwriting sind die neuen Prämissen.
Die Songs stehen auf einem festem Hardrock-Fundament. Hinzu kommen angedoomte, Black Sabbath-Riffs aus der Iommi-Schule, etwas Highway-taugliche Gothic-Rock-Attitüde und ein gehöriger Schuss erdiger Blues. Auch Danzigs Gesang verbessert sich deutlich. Er erweitert seine Range und entwickelt ein Timbre, das zwischen jenem seiner Idole Elvis Presley und Jim Morrison pendelt. Dies bringt Glenn zeitweilig den Spitznamen "Evil Elvis" ein.
Eine weitere Schlüsselfigur für die Entwicklung und den Erfolg der Band ist Rick Rubin. Stets auf der Suche nach dem Besonderen nimmt er Danzig unter die Fittiche seines American Recordings-Labels und produziert die ersten beiden Alben. Das schlicht "Danzig" betitelte Debüt (in Fankreisen auch gern "Danzig I" genannt) sorgt ob seiner unerwarteten Stilistik für positive Irritation bei Publikum und Medien. Mit dem eingängigen "Mother" enthält die Platte einen schwarzen Diamanten, der sich zu Danzigs erfolgreichstem Track und ewigem Aushängeschild mausert.
Zwei Jahre später erscheint "Danzig II: Lucifuge", für das Rubin das grobporige Soundbild verfeinert. Erstmals treten im Hause Danzig akustische Instrumente auf und Danzigs Vocals geraten noch nuancierter als auf dem Vorgänger. Die Platte verkauft sich weltweit ordentlich. So kommt es, dass Glenn Danzig in den folgenden vier Jahren seinen kommerziellen Höhepunkt und den Gipfel medialer Anerkennung erklimmt.
Den Hauptanteil der Produktion an "Danzig III: How The Gods Kill" (1992) und "Danzig 4" (1994) übernimmt er selbst. Keine schlechte Entscheidung. Mit Highlights wie "Anything", "How The Gods Kill" oder "Sistinas" beweist er feines Gespür für Atmosphäre und verbindet dräuende Dunkelheit mit fettem Hardrock. Die finsteren Songs setzt Alien-Schöpfer H.R. Giger mit entsprechendem Coverartwork kongenial in Szene.
"Danzig 4" enthält mit "Cantspeak" den zweiterfolgreichsten Track der Band. Neben der hypnotischen Musik ist hierfür besonders das berühmte Video verantwortlich. Dank grandioser Umsetzung von Clip-Director Fred Stuhr (Tool) landet das intensive Lied in der MTV-Rotation. Auch die erfolgreiche Tour an der Seite der Misfits-Verehrer Metallica steigert den Popularitätsschub. Ultimativer Ritterschlag für Danzig ist gleichwohl die Bekanntschaft mit seinem Idol Johnny Cash. Danzig komponiert dem 'Man In Black' den Song "Thirteen" auf den Leib. Der zu Recht begeisterte Country-Star packt es 1994 auf sein berühmtes "American Recordings"-Album.
Danach zerbricht die Stammbesetzung an persönlichen Querelen. Die Musik büßt große Teile ihrer kompositorischen und ästhetischen Stärken ein. Doch bevor alles so richtig den künstlerischen Bach runtergeht, veröffentlicht Danzig 1996 das experimentelle "Blackacidevil". Fans und Journaille zeigen sich zu Unrecht weitgehend entsetzt ob der Hinwendung zum Industrial-Rock. Das Album wird ein kapitaler Flop.
In den folgenden zwei Dekaden rotiert ein wahnwitziges Wechselkarussell im Line Up. Aufgrund des anscheinend nicht gerade einfachen Charakters Danzigs verkürzen sich längerfristig angedachte Kollaborationen zur flüchtigen Stippvisite. Der Mitgliederverschleiß gerät zum Treppenwitz im Rock-Biz: Neben Danzig standen Mitglieder von Alice In Chains, Type O Negative, Ministry, Prong, Social Distortion, Queens Of The Stone Age, Velvet Revolver, Agnostic Front, D.O.A., Nothingface, Rob Zombie und Ozzy Osbourne.
Die alte Weisheit von den vielen Köchen, die den Brei verderben, kommt in den Folgejahren überdeutlich zur Geltung. Zwar befinden sich auf den Scheiben noch hier und da gelungene Tracks. Doch egal ob man "Satan's Child", "Circle Of Snakes" oder "Deth Red Sabaoth" hört: Sie allesamt gehen höchstens als Schatten früherer Glanztaten durch.
Daneben betreibt Danzig erfolgreich einen Comic-Verlag und ein Label, das den Back-Katalog von Samhain und Misfits vermarktet. Auch zwei kompositorisch recht gelungene, aber mies produzierte Neo-Klassik-Platten "Black Aria I & II") erscheinen außerhalb des öffentlichen Radars. Mehr Beachtung finden dagegen Auseinandersetzungen und Skandälchen, die der Boss anzettelt.
So legt sich Danzig etwa vor laufender Kamera mit Def Leppard an. Auf der Tour zur später erscheinenden DVD "Archive De La Morte" provoziert er den Sänger seiner Vorband North Side Kings so lange, bis dieser ihn kurzerhand k.o. schlägt. Auch mit dem Betreiber des Dynamo Open Airs gibt es Handgreiflichkeiten.
Ebenso stark irritiert der Mann aus Lodi, New Jersey regelmäßig mit seinen ambivalenten politischen Äußerungen, für die er seine Rockstar-Berühmtheit all zu gern nutzt. Von seinem libertären Standpunkt aus geißelt er Republikaner und Demokraten der USA gleichermaßen als autoritär, lehnt jede Einflussnahme von Religion auf die Gesellschaft ab und fordert totale Freiheit für die Kunst. Zudem ist er Aktivist gegen die Parental Advisory-Kennzeichnung von Tonträgern und lehnt jegliche Art der Zensur komplett ab. Neben solch fortschrittlichem Gedankengut zeigt er sich auch als reaktionärer Befürworter der Todesstrafe, was ihm besonders in den 90ern kritische Nachfragen in der europäischen Metalpresse beschert.
2015 erfüllt er sich einen Kindheitstraum und covert für das Album "Skeletons" diverse Songs seiner Helden, darunter Elvis Presley, Aerosmith, ZZ Top, oder Everly Brothers. Die Platte zum Imagewandel bringt jedoch nicht die erhoffte kreative Kehrtwende, sondern bietet wenig mehr als ödes Metal-Geniedel auf.
Danzigs nächste Studioplatte "Black Laden Crown" erscheint im Frühjahr 2017. Zumindest teilweise entpuppt sie sich als Befreiungsschlag. Zum einen kommt Urmitglied Joey Castillo wieder zurück und trommelt einige Tracks ein. Zum anderen serviert Danzig u.A. mit dem Titelsong endlich wieder ein paar starke Nummern, die an glorreiche Zeiten erinnern. Einzig die Produktion zeigt sich einmal mehr höchstens als recht dürftiger Schatten seiner Rubin-Ära.
Im Herbst 2019 verschreckt Danzig mit seinem Horror-Ekel-Film Verotika Reihen von Festivaljuroren, die sein Werk allesamt verreißen. Neue Musik erscheint im April 2020 in Form eines Coveralbums, diesmal komplett auf Elvis fokussiert. "Danzig Sings Elvis" verrät alleine schon aufgrund der Songauswahl, wie authentisch Danzig Elvis verehrt. Der Versuch, Elvis' Songs in ein stark reduziertes Goth-Arrangement zu kleiden, scheitert aber spektakulär. Für den Frühsommer 2020 geplante Elvis-Live-Shows im intimen Rahmen fallen ebenso wie reguläre Danzig-Festivalauftritte im Sommer wegen Corona ins Wasser.
© Laut
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