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Jessie Ware

Das Vereinigte Königreich bleibt auch in den 2010er Jahren die größte europäische Hausnummer in Sachen Soulful Music. Nirgendwo anders ist die so geschichtsträchtige Spielart derart in der Gegenwart vernetzt. Sei es im Pop via neuen und verdienten Größen wie Adele und Amy Winehouse, sei es im elektronischen Untergrund in den Metiers zwischen Dubstep und Garage. 2010 taucht mit Jessie Ware eine weitere Größe aus dem Meer des UK Soul an der Oberfläche auf, Land und Länder, Mainstream und Underground zu erobern. Die Sängerin zielt auf einen Spitzenplatz in der Liga der großen Souldiven: Ein Ikonenstatus à la Whitney Houston oder Sade sind ihr langfristiges Ziel. Dabei gilt die Musikkarriere lange Zeit alles andere als gesichert. 1984 geboren und im Südlondoner Brixton aufgewachsen, wird ihr zwar eine Gesangsausbildung zuteil, als Schülerin tritt Ware sogar in Musicals auf, doch auf der Universität ergreift sie eine große Unsicherheit ihr Talent betreffend. "Damals hielt ich es quasi für ausgeschlossen, dass es klappen könnte" – die Laufbahn wird auf Eis gelegt. Die Tochter eines BBC-Reporters widmet sich dem Sportjournalismus. Gut, wenn man sich dennoch weiter in Künstlerkreisen bewegt. Jahre später erinnert sich nämlich Wares guter Freund Jack Peñate an sie. Der weiß noch aus Hochschulzeiten, dass Freundin Jessie eine tolle Stimme hat. Drum bietet er ihr den Hintergrundgesangspart bei einer BBC-Session mit Zane Lowe an. Natürlich lässt die Londonerin sich nicht zweimal bitten: "'Das ist die Chance', dachte ich mir, Singen macht eh viel mehr Spaß." Gemeinsam gehen Background-Sängerin Ware und Penate erst auf UK-, dann US-Tour. Die Songwriterin schöpft viel neues Selbstbewusstsein und klingelt zurück in London einfach mal beim populären Dubstep-Producer SBTRKT. Der zeigt sich sofort begeistert vom Talent. Der Song "Nervous" entsteht. SBTRKT schickt das Stück ans ebenfalls euphorische Label Numbers. Plötzlich ist Ware nicht mehr Hintergrundstimme, sondern 50 Prozent vom Act SBTRKT And Jessie Ware. "Ich fand das natürlich super: Ich hatte einen Song auf einem echt coolen Label, und ganz egal, was danach passieren sollte, hatte ich davon schon mal ein Vinyl in der Hand", erinnert sich die Songwriterin. Auf dem SBTRKT-Album übernimmt sie 2011 gleich zweimal die Gesangsparts. Spätestens jetzt ist ihr die Aufmerksamkeit der britischen Popszene gewiss: Als einer der ersten Acts tritt sie bei der mittlerweile auch in Berlin stattfindenden Boiler Room-Livestream-Partys auf, schließt sich mit Sampha für den Track "Valentine" kurz, und dann steht das Label PMR Records mit Stift und Plattenvertrag vor der Tür. Doch Jessie Ware tritt erst einmal auf die Bremse. Aus Angst, zu sehr in der Dance-Schublade zu versinken, widmet sie sich der Verfeinerung ihrer Songwriter-Skills: "Meine Songs sollten so sein, dass sie nicht gleich morgen wieder vergessen sind. So eine musikalische Eintagsfliegen-Nummer kam für mich nicht in Frage." Während die erste PMR-Single "Strangest Feeling" noch keine Chartsposition erreicht, arbeitet Ware beständig weiter an ihrer Musik – und am Image. Als sie im März 2012 ihr Solo-Livedebüt in Islington gibt, sieht die Sängerin auch optisch mehr nach Soul/R&B-Queen als nach Garage-Prinzessin aus. Mit Liveband und klassischem Songwriting anstelle tiefer Bässe und Clubsounds präsentiert sie sich ein gutes Stück vom Zeitgeist-Sound losgelöst. "Ich habe mich ein wenig an den Beats und Grooves von Musikern orientiert, auf die ich schon seit Ewigkeiten stehe: von Prince zum Beispiel, von Chaka Khan und Grace Jones. Ich wollte R&B-Songs aufnehmen, die melancholisch und wunderschön zugleich sind – so wie die Musik von Sade." Dementsprechend losgelöst vom alten Jessie Ware-Image klingt auch das Debütalbum "Devotion", das im August desselben Jahres erscheint und die Top 10 der UK-Charts erobert. Elf entschleunigt-lässige Songs, angesiedelt irgendwo zwischen Soul, Pop, R&B und elektronisch fundierten Songstrukturen, die das komplette Spektrum von zuckersüß bis düster abdecken. Es folgt "Tough Love" mit dem optisch interessanten Video "Champagne Kisses". 2016 wird Jessie Mama, arbeitet aber parallel schon wieder an neuen Songs. Für Ed Sheeran schreibt sie zusammen mit ihm und mit Ammar Malik ("Moves Like Jagger"/Maroon 5) 2017 den Track "New Man" - in England einer der 100 erfolgreichsten Songs des Jahres. Sheeran beehrt Ware wiederum als Ko-Autor des Schlusssongs auf "Glasshouse", ihrem Folgealbum. Die Singles "Adore You", "Mirage (Don't Stop)" und "Spotlight" kündigen den vierten Longplayer "What's Your Pleasure?" an, der im Sommer 2020 überraschend tief in Disco-Funk einsteigt. Zugleich engagiert sich Ware politisch, unterstützt öffentlich die britische Labour Party und schreibt außerdem an einem Kochbuch. Es entwickelt sich aus ihrer Podcast-Serie "Table Manners" (Tischmanieren und -rituale). Für diese Reihe befragt sie zahlreiche Promis assoziativ zum Themenkreis Essen, Küche, Familienleben und zu gesellschaftlichen Fragen. Gleichbleibendes Element aller Folgen ist, dass sie mit den VIPs beim Dinieren plauscht. Jüngere Acts wie Stefflon Don, Senior*innen wie Paul McCartney, Dolly Parton und Tom Jones, Pop-Kolleginnen wie Meghan Trainor, Mel C und Ellie Goulding, aber auch Hip Hop-Acts wie Loyle Carner und will.i.am nehmen an der 2017 gestarteten Serie teil. Und auch viele Leute von außerhalb der Musikbranche. Alle Folgen produziert eine feste Partnerin, die Podcast-Expertin Alice Williams. Bevor sich Jessie in eine erneute Babypause verabschiedet, lässt sie sich noch für die Brit Awards 2021 nominieren und konkurriert beim Preis ums beste britische Album mit Celeste, Dua Lipa, Arlo Parks und J Hus. Zu "What's Your Pleasure" schiebt Jessie genau ein Jahr nach Release sieben stilistisch ähnliche (und ähnlich gute) Bonus-Tracks und einen Remix für die 2021-Deluxe-Ausgabe hinterher. Why not, hat die Platte doch mit Platz 3 der UK-Charts super abgeschnitten und sich millionenfach kaufen und streamen lassen. Aus den Reaktionen bei den folgenden Live-Shows als Haupt-Act, Support und bei Open Air-Festivals erkennt Ware, welche Momente besonders gut ankommen. Sie lernt für die Texturen der Percussion, und vor allem für den Einsatz ihrer Stimme. Ein Schlüsselerlebnis dabei ist für sie die Eröffnung für Harry Styles. "Als ich auf die unglaublich große Bühne blickte, musste ich mich erst mal kneifen. Ich war hier, um für einen Meister der Performance das Warm-Up zu machen. Ich musste nicht einfach diese Bühne füllen, sondern eher sowas wie eine ganze Arena. Da konnte ich nicht einfach nur ruhig meine Lieder vortragen (...). Ich nahm wahr, dass ich nicht länger einfach eine 'Sängerin' bin - ich bin eine 'Performerin'." Diese Erfahrung fließt in eine sehr selbstbewusste Folge-LP mit dem Titel "That! Feels Good!". "Es geht darum, die Lautstärke hoch zu drehen und diesen echten, deepen, sexy und verdammt guten Groove rüber zu bringen." Die Sängerin baut zahlreiche Brücken in die Musikgeschichte. Über ihren Track "Hello Love" denkt sie, Amy Winehouse würde er gefallen, lehne er sich doch an sie an: "Ich hoffe, sie würde ihn gemocht haben." Und zu "Freak Me Now" kommentiert sie: "Das ist mein Mousse T-'Horny' '98-Moment." - Das Ziel der ganzen Platte: "Ich fühl mich gut, und ich möchte, dass es jedem anderen auch so geht!"
© Laut

Diskografie

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