Jenny Hval
Jenny Hval ist eine Allroundkünstlerin, die die seltene Gabe besitzt, Unterhaltung mit Avantgarde zu verbinden. Musikalisch reicht die Bandbreite von Pop über Singer/Songwriter bis hin zu experimentellen, elektronischen Klanginstallationen. Neben ihren ausgefeilten Songtexten veröffentlicht die Norwegerin Kolumnen und Essays und blickt mittlerweile auf zwei erfolgreiche Romane zurückblicken.
Das weit gestreute Talent der Osloerin ist beeindruckend. Bereits während ihrer Studienzeit in Australien sammelt sie erste Erfahrungen bei semierfolgreichen Combos: IPanic und Folding For Air. Recht schnell zeigt sich, dass ein Bandkontext nicht recht zu der skandinavischen Individualistin passt. In einer Gruppe fühlt sie sich kreativ eingeengt. Kollaborationen mit anderen Künstlern (Håvard Volden oder Susanna Wallumrød) hingegen befruchten die eigene Kreativität.
So begibt sie sich wieder zurück in den hohen Norden Europas und startet eine umfangreiche Solokarriere. Ihren bürgerlichen Namen empfindet sie dabei zunächst jahrelang als störend und wählt sich für die ersten beiden Veröffentlichungen "To Sing You Apple Trees" und "Medea" das Pseudonym Rockettothesky.
Beide Platten haben von sphärischen Tracks bis zu poppigen Lieder viel zu bieten und bringen erste Achtungserfolge ein. Preise für die beste Newcomerin Norwegens und Vergleiche mit Tori Amos oder Joni Mitchell in den internationalen Medien sind der verdiente Lohn. Herausragende Songs wie "Grizzly Man", "On Cherry Tree" oder "Barrie For Billy MacKenzie" bezeugen eine reife, fesselnde Songwriterseele.
So ehrenhaft die Vergleiche sein mögen, so wenig passen sie aber stilistisch. Hval ist ein Solitär, der auf ganz eigene Art zwischen Frohsinn und Schwermut wandert. Deutlich ausgeprägter ist die künstlerische Verwandtschaft zum verstorbenen Billy MacKenzie, dem Frontman der ebenso grandiosen wie legendären Associates. Der entsprechende Songtitel des oben erwähnten Tracks kommt nicht von ungefähr.
Ab der Veröffentlichung von "Viscera" lässt sie den Künstlernamen hinter sich und releast fortan nur noch als Jenny Hval. Auch die Musik ändert sich, sie gerät experimenteller. Recht minimale Elektro-Effekte (vor allem in "Innocence Is Kinky") und ein nordischer Schamanengesang, der mitunter leicht an den Stil Björks erinnert, halten Einzug. Die folgende Platte "Nude On Sand" (mit Lebensgefährten Håvard Volden) wartet dagegen mit intimem Folk und sanften Liedern auf.
Das 2014 erscheinende "Meshes Of Voice" - eine Zusammenarbeit mit Sängerin Susanna Wallumrød - geht noch einen Schritt weiter in Richtung moderne Kunst. Düstere Zeilen, atonale Collagen und eine spröde, fast abweisende Grundstimmung kennzeichnen die Platte. Das im Sommer 2015 veröffentlichte "Apocalypse, Girl" gerät zugänglicher als "Meshes Of Voice", ohne den Anspruch aufs Unkonventionelle aufzugeben. Die aufwühlende Mischung aus gedemütigt klingender Niedergeschlagenheit und hellen Ausbrüchen lässt Hvals Klang gewordene Intimität noch eindrucksvoller erscheinen.
Mit Kym Myhr und dem Trondheim Jazz Orchestra veröffentlicht sie 2016 das sperrige, abstrakte Free-Jazz-Album "In The End His Voice Will Be The Sound Of Paper". Mit "Blood Bitch" erscheint bereits ein halbes Jahr später eine poppige und zugängliche Platte, die Themen wie weibliche Selbstverwirklichung und Politik behandelt. Danach folgt 2018 mit "The Long Sleep" eine vielschichtige EP. Mit dem ein Jahr später erschienenen "The Practice Of Love", das universelle Fragen aufwirft, greift Jenny Hval dann Neunziger-Trance-Elemente auf.
Mit "Classic Objects" wagt sich die Norwegerin schließlich 2022 in organischere, rhythmischere Gefilde vor. Die Scheibe sieht sie als eine Art "Landkarte" vergangener, zukünftiger und unmöglicher "Orte, an die einen Träume, Halluzinationen, der Tod und die Kunst führen können". An Experimentierfreude und Abwechslung fehlt es ihrer Diskografie wahrlich nicht.
© Laut
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