Michael Holm
"Susi, du klaaner Schwarzfußindianer": Mit so einem Songtitel würde man 2023 für Empörung sorgen. Die Generation, die mit Schlaghosen und Blumenmuster-Patches auf löchrigen Jeans aufwächst, kommt 1971 in den Genuss dieses Lieds von 'Mister Mendocino' Michael Holm. Vorgetragen von der Gruppe Adam und die Micky's, einer Brit-Beat-Band aus Offenbach. In südhessischem Dialekt starten sie damit in fünf Jahrzehnte Bühnenerfolg.
Auch Lieder wie "Guildo hat euch lieb", "Tanz den Horn" und "Ich find' Schlager toll!" von 1997 würden 2023 kaum dafür qualifizieren, dass Sänger Guildo Horn zum ESC geschickt wird. Da will Michael Holms Ziehkind auch nicht nochmal hin, obwohl man sich an seinen Beitrag immerhin noch lange zurück erinnert. Verantwortlicher Producer damals: Michael Holm, dessen Tränen nicht lügen.
Michael machte erfolgreich Schlager, der mehr als Schlager ist, nämlich bisweilen Schlager mit Niveau und maximal unscharfer Grenze zum Pop. Und obwohl er zwar als Interpret sehr bekannt ist, arbeitet er auch als Liedtexter, oft zugleich Komponist, auch für viele andere Artists, als Autor von Instrumental- und Filmmusik und als Produzent für andere. Im Schlager sticht solch eine Mehrfach-Rolle leuchtend hervor. Und andererseits ist Holm ein unscheinbarer Strippenzieher, mit jeder Menge Menschen vernetzt.
Sein Jurastudium hängt er schnell an den Nagel. Zum ESC trägt er mit mehreren Anläufen bei. Ein erstes Mal (lange vor Guildo) schafft er es mit Joy Flemings "Ein Lied kann eine Brücke sein". Das Lied erreicht zwar nur den drittletzten Rang im damaligen Grand Prix de la Chanson de l'Eurovision. Aber dabei sein ist alles, und sogar der 'Spiegel' lobt: "So viel Soul hatte der Eurovision Song Contest selten wie 1975 (...) So auf der Höhe kann Deutschland sein, so modern der bundesdeutsche Beitrag (...)!"
Der Song verfolgt Holm durch den Rest seiner Laufbahn. Fast so wie "Mendocino" und "Lucille". Zu seinem Leben gehört auch die Freundschaft zu einer Reihe anderer deutscher Stars, außerdem dass er Japaner für die Panflöte begeistert, dass er 5.000 D-Mark an Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl verschenkt, auf einen Bauernhof zieht und ein bisschen mit 'Schuld' an der VOX-Serie "Sing meinen Song" trägt.
Geboren am 29. Juli 1943 unter dem Namen Lothar Bernhard Walter im deutsch-polnisch-tschechischen Grenzgebiet Schlesien wächst der Knirps im fränkischen Erlangen auf. Dort jammt er mit 15 in seiner ersten Band. Seine musikalische Ambition zeigt sich mit 18 unwiderstehlich, als er im Abiturjahr noch zwecks Musik als Prüfungsfach das Gymnasium wechselt und den täglichen Schulweg nach Nürnberg auf sich nimmt. Das ist kurz vor der Beatlemania, und der Lothar a.k.a. Michael beobachtet die englische Popkultur genau. Konform zu den vielen 'The'-Bands tritt er als 'Die Missouris' und zusammen mit seinem Freund Drafi Deutscher als 'The Blue Brothers' auf.
Jenseits solcher Seitenableger veröffentlicht er unter dem Namen Michael Holm von 1961 bis '69 um die 40 Singles, bis er mit "Mendocino" seinen Durchbruch feiert. Es ist die Coverversion einer texanischen Band (Vorläufer der Texas Tornados), die damit auf Englisch zuerst einen großen Hit hatte. Holm landet also noch einen, und macht sich das Prinzip fortan zunutze: Internationale Lieder vom Englischen ins Deutsche umschreiben.
Holm macht aus diesen Übersetzungs-Übungen sowohl musikalische Kunst wie auch lyrischen Kommerz. In Serie etwa für den Elvis-Cover-Künstler Gerd Böttcher, einen Synchronsprecher und Alleinunterhalter. Für Marianne Rosenberger wandelt Holm die Country-Hymne "Stand By Your Man" in "Wer Liebe sucht" um. Mit Zeilen wie "Ein kleines Wort bringt oft viel Glück / was du verschenkt hast an Zärtlichkeiten, bekommst du tausend Mal zurück / Wer Liebe sucht, der muss auch Liebe geben".
Ebenfalls schon in den 1960ern textet Michael für France Gall, Howard Carpendale und Schmuse-Rock'n'Roller Bernd Spier. Holm schließt außerdem Bekanntschaft mit einem aufstrebenden italienischen Produzenten, der sich in den Arabellapark-Studios in München niederlässt: Giorgio Moroder. Dessen Spezialgebiet werden bald die Synthesizer.
1969 stehen die Zeichen aber vorerst auf Grün für feinsten Flowerpower-Rockpop, genauer: auf Spinatgrün. Giorgio und Michael veröffentlichen unter dem Namen Spinach die Kultplatte "Spinach 1". Mit belanglosen Texten auf Englisch, im Stile der damaligen Welle, "That is my big girl, strong than liquor, but the girls are really fine, such a very hungry kind, guarantee to blow your mind" ("America, America", auf "Spinach 1", 1969). Manches Garage-Soul-Riff wie in "Action Man Part 1 + 2" gelingt ihnen trotzdem vortrefflich.
Bestverkauftes Lied in der West-BRD wird dagegen 1969 besagtes "Mendocino", das im Woodstock-Jahr ebenfalls Kalifornien-Sehnsucht bedient. Der Name Michael Holm ist jetzt gesetzt.
Viele wollen von ihm Texte oder ganze Songs geliefert bekommen oder produziert werden. Erik Silvester zum Beispiel, der schon lange vor der Spider Murphy Gang vorm "Skandal um Rosi" warnt und der von der weiten Welt träumen darf, wie in "Ich kenn ein Girl am Zuckerhut". Schon Anfang der 70er probiert Holm 'Denglisch' zugunsten des Versmaßes aus.
Mary Roos, Jürgen Drews, Mireille Mathieu, Kurt Felix' Frau Paola, Roland Kaiser, Bata Illic, Chris Andrews, Rex Gildo, Peter Alexander, Adriano Celentano, Karel Gott, Peter Maffay, Frank Zander unter seinem Pseudonym Ede and the Pommesfrites, Boney M., Dieter Thomas Heck, Seicht-Country-Barde Tom Astor, der junge Nino De Angelo und Große-Sprüche-Gigant Gunter Gabriel - sie alle und noch viele weitere greifen auf Michaels Talent zurück.
Doch der begehrte Autor verzeichnet auch zahlreiche eigene Achtungserfolge als Interpret und eine Nummer Eins: "Tränen lügen nicht". Michael erläutert in einem ZDF-Rückblick, was das Stück so faszinierend machte: neben dem üppigen Sound die antizyklische Aussage gegen den Zeitgeist. "'Wer drei Mal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment...' - also, man war schon gesellschaftlich nicht so zusammen, man hält alles locker, bloß nicht eng zusammen rücken. Aber 'Tränen lügen nicht' ist ja die Gegenbotschaft!" - Otto Waalkes tauscht zwei Buchstaben aus und baut den Song in seine Slapstick-Shows flugs als "Dänen lügen nicht" ein. Weitere Hits für Holm: "Barfuß im Regen" (1970), "El Matador" (1970, im Original ein Traditional), "Baby Du bist nicht alleine" (1973), "Desperado" (1977), "El Lute" (1979) und "Die Nacht hat tausend Augen" (1982).
Die "ZDF-Hitparade" begleitet die gesamte Erfolgsstrecke, Heck scheint eher selbst Fan als nur Ansager des Künstlers zu sein. Und umgekehrt. Der Sänger über den Moderator in einem ZDF-Rückblick, archiviert von laut.fm-Hitparadio: "Er hat nur darauf gewartet, dass irgendwas daneben geht, und dann ist er aufgeblüht, schlagfertig, witzig, (...) kein Versprecher, kein Zögern, kein falscher Name, keine Zahl, die in irgendeiner Form gestoppelt war. Wirklich phänomenal! Außerdem einfach unheimlich herzlich und ein Freund für alle Interpreten." - Beide verbindet die CDU und ihre gemeinsame Ablehnung der '68er-Demos aus kritischen linken Studierendenkreisen. Die BRD von Heck und Holm bleibt die ganzen '70er hindurch trotz Ölkrise, RAF, Waldsterben und atomarer Aufrüstung plüschig, piefig, provinziell, bieder und beschaulich. Auch optisch.
Ebenfalls stets an Holms Seite: Rainer Pietsch, Dirigent und Arrangeur, der mit 14 aus der DDR geflüchtet war. Seinen Namen liest man regelmäßig in den Credits von Holms Output. Parallel vertieft Michael seine Zusammenarbeit mit Moroder, der immer mehr dem Disco-Treiben zustrebt und neben Donna Summer noch andere Sängerinnen aufzubauen versucht. Zum Beispiel Roberta Kelly, die "Funky Stardust" aufnimmt. Die LP "Zwei Gesichter" (1976) von Holm zeigt sein zweites Gesicht auf dem Disco-Dancefloor, etwa in "Disco Lady Lou", "Manhattan", "Parfüm Harald" oder "Lass dich treiben" auf der B-Seite und dekliniert Disco-Funk bis Hardrock-Disco durch. Die A-Seite der Scheibe nimmt hingegen einen Schwenk Richtung Country.
Folgerichtig tritt Michael 1977 in Kenny Rogers' Fußstapfen, mit der deutschen Übersetzung "Musst du jetzt gerade gehen, Lucille?". Auch Steely Dan dürfen in "Black Jack (Do It Again)" dran glauben. "I Feel The Earth Move" aus Carole Kings Meisterwerk "Tapestry" übersetzt Holm hingegen nicht, singt es auch nicht selbst, produziert aber ein fantastisch feinfühliges Cover mit Wolfgang Jass und dessen Band Love And Tears.
Trotz der punktuellen Ausflüge in Rock, Soul, Disco und Country ist irgendwann Schluss mit Lyrics. Nach 20 Jahren Fließband-Reimen und Gesang widmet sich Michael Holm in einer Kehrtwende nur noch der Komposition und musikalischen Gestaltung. Ab 1980 experimentiert er mit Cusco. Dahinter verbirgt sich eine lang angelegte Kooperation mit Klaus Doldingers Keyboarder Kristian Schultze aus der Band Passport.
Cusco veröffentlichen mehr als ein Dutzend Alben, die meist ein Land oder ein Thema mit Stimmungsgeblubber abbilden. Diese New Age-Musik kommt in Südkorea und Japan super an, sodass Michael Holm dieses Feld akribisch abgrast. Dafür klatschen die beiden jede Menge Panflöten-Gedudel auf die Aufnahmen.
In den '90ern folgt die ein oder andere Spur Revival alter Zeiten. Rocko Schamoni covert als 'Rocko Schamoni and the Explosions' den alten Holm-Schinken "Mendocino".
Ebenfalls in den 90ern machen sich nacheinander Roger Whittaker (1993), Guildo Horn (1993), ein gewisser Mark 'Oh (1994) und Dieter Thomas Kuhn mit Ensemble (1995) an "Tränen lügen nicht" zu schaffen. Mit dem Original kann eigentlich nur eine Nummer wirklich mithalten, denn Holms "Tränen lügen nicht"-Version umfasste seine Stimme in achtfacher Überlagerung als Chor nebst 111 Musikern: "Die Créme der Leute, die es in London gab, weil: In München waren die alle im Urlaub", so Holm später gegenüber dem ZDF.
Die Neuauflage mit Eurodance-Produzent Mark 'Oh hat unter den Covers den meisten Medien-Impact und chartet 1994/95 mit einer abgefahrenen Rave-Version auf Englisch, "Tears Don't Lie" auf Eins der deutschen und Drei der Charts in Österreich und der Schweiz. Sogar die "Bravo Hits 9" vom Februar 1995 enthält einen ewig langen Remix von dem Teil, und die Teenies erfahren erstmals von jenem Michael Holm und dessen Original. Das "Tränen lügen nicht"-Cover bringt dem Techno-Außenseiter Mark auch einen Auftritt bei der Berliner Loveparade ein, und Jahre später wiederholt er den Erfolg im Top 40-Segment, anlässlich eines Mark 'Oh-Best Of-Albums. Dem Schlager sei Dank!
1996 kehrt Michael Holm kurz in die Rolle des Schlager-Songwriters zurück, schreibt mit Gunter Gabriel den Country-Classic "If I Were A Carpenter" um und arrangiert das Ergebnis "Wenn ich nur ein Trucker wär" auf stumpfen Electro-Beats. An Gunters Seite trällert die damals 28-jährige Thüringerin Linda Feller den Part, den bei Johnny Cashs Version June Carter darbot.
Mit Guildo Horn produziert Holm eine neue Duett-Version der ollen 70er-Kamelle "Baby Du bist nicht alleine", außerdem das Album "Danke" und die Medley-CD "Meisterhaft - Wir finden Schlager toll" unter dem Namen 'Guildo und die Bunten Socken'. Deutschland nach der Wiedervereinigung sucht damals noch einen gemeinsamen Humor, der alle Regionen eint und repräsentabel ist und findet ihn vorübergehend in Stefan Raabs Lyrics und dem Bandnamen 'Orthopädische Strümpfe'.
Mitte der 90er wird Holm auch jenseits der 50 zwei Mal spät Papa. "Gerade wenn man so wie ich Kinder zu einem späten Zeitpunkt bekommt, ist das nochmal ein richtiger Höhepunkt im Leben", bekundet er gegenüber dem Portal inRLP.de.
Im Zuge des Bankrotts der Telefunken-Nachfolge-Firma AEG kursieren kurz vor mp3 noch Lizenzrechte uralter Aufnahmen. Eastwest, eine heute ebenfalls ausgelöschte Firma, packt 1999 erstmals die ganz frühen Holm-Singles auf einen Tonträger. Die CD "Die Telefunken-Singles 1961 - 1965" enthält solch klingende Songtitel wie "Crazy Daisy", "Blue Beat Baby", "Alles Geld dieser Welt" und die Geigen-Schnulze "Happy Birthday, Josefin".
Im Herbst '98 wird Helmut Kohl als Kanzler abgewählt und sieht sich ein Jahr später einer umfassenden Aufdeckung seines Korruptionssystems gegenüber. Die so genannte 'Parteispendenaffäre' beschäftigt fünf Monate lang als Thema Nummer Eins das gesamte Nachrichten- und Info-Angebot der Republik, die CDU muss eine Millionen-Strafzahlung an Vater Staat ableisten. Medienmogul Leo Kirch, Schauspieler Heiner Lauterbach, Nestlé-Ober-Fusions-Guru Helmut Maucher, Dieter Thomas Heck, Michael Holm und 25 weitere Promis unterstützen Kohl, in Fachkreisen zärtlich "Birne" genannt, im März 2000 bei einer Spendensammelaktion - neue Spenden als Ablasshandel für die alten. Ironie: Holm, der als Sparfuchs gilt, spendet mit 5.000 D-Mark (damals zirka 2.500 Euro) den kleinsten Betrag. Das damalige Parteispendengesetz verlangt in dieser Größenordnung, dass aus dem Steuerzahler-Topf 2.500 D-Mark on top subventioniert werden.
In den 2000ern wohnt Michael Holm auf einem Bauernhof in Oberbayern und hält mit seiner Familie auch etliches Vieh. Gelegentlich bringt er Alben heraus.
2011 erinnert sich der Fernsehsender VOX für ein neues Konzept an den Schlager-Star. Junge deutsche Rap-Acts treffen auf deutlich ältere Schlager-Größen und covern einander. Das Format floppt zwar quotentechnisch, weil nur die Idee in der ersten Folge Zuschauer bannt, die Umsetzung aber schnell das Interesse schwinden lässt. Dennoch erhält die Doku-Reihe den Deutschen Fernsehpreis. Michael Holm trifft in Folge 3 auf Rapperin Kitty Kat, die "Mendocino" einen ganz neuen Schliff gibt. Im Frühjahr 2014 wird das Konzept in Grundzügen für "Sing meinen Song - Das Tauschkonzert" recycelt, wobei zum Beispiel Xavier Naidoo dann Roger Cicero covert.
Anlässlich seines 77. Geburtstags teilt Michael Holm dem Portal schlager.de 2020 mit: "Ich fühle mich sehr wohl, habe keine Krankheiten, keine Gebrechen (...) Das alte Eisen ist immer noch nicht verrostet, würde ich sagen." Im Multi-Krisenjahr 2022 zeigt er sich politisch und kommentiert den Ukraine-Krieg: "Herr Gysi hat noch nicht eines gemerkt: Russland war immer ein Völkergefängnis mit ein paar hundert Völkerschaften, die Russisch lernen müssen, ob sie's wollen oder nicht." Wütend wedelt der Sänger vor der Kamera von Tikonline.de mit dem Zeigefinger.
Zum 80. Geburtstag erscheinen die Best Of-Compilation "Das Original" sowie das Eigen-Covers-Album "Holm 80". Letztere Werkschau entsteht unter Beteiligung von Otto, Michelle, Mickie Krause und Andreas Gabalier. Michaels neue Plattenfirma findet, dass "seine Stimme immer noch so frisch und jung klingt, dass man meinen könnte, 80 sei das neue 35". Das passt gut dazu, dass auch die Songs aus der Zeit stammen, als Holm plus/minus 35 war.
© Laut
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