Scooter
"Get off your shirts and wait for further instructions." Ob geliebt oder gehasst, mit ihrem Erfolgsrezept - eingängige, bekannte Melodien auf einfachen Techno-Beats, garniert mit teutonisch-englischen Shouting, das jeden Anglisten in die Verzweiflung treibt - geben Scooter die Maxime aus, beliebige Dancefloors in Tollhäuser verwandelt: "Move! Your! Ass!"
Die kommerzielle Karriere von Scooter ist eng mit der noch beeindruckenderen Erfolgsgeschichte ihrer Hamburger Plattenfirma Edel verknüpft. Dort jobbt Frontmann H. P. Baxxter 1993, seinerzeit noch auf den bürgerlichen Namen Hans-Peter Geerdes hörend, als Promoter.
Den Verantwortlichen des Labels kommt zu Ohren, dass ihr Telefonvermarkter gemeinsam mit Rick Jordan in den 80ern bereits mit einem Wave-Projekt namens Celebrate The Nun zwei Alben produziert und es in Hannover zu lokaler Berühmtheit gebracht hat. Diese Referenz beschert dem Duo den Auftrag, einen Remix der holländischen House-Produktion "Vallee De Larmes" anzufertigen. Gemeinsam mit Baxxters Cousin Ferris Bueller machen sie sich an die Arbeit und taufen ihr Unterfangen der Jahrmarktklänge der Vorlage wegen auf den Namen Scooter.
Der Titel floppt, aber bereits mit ihrer zweiten Single schaffen Scooter 1994, nicht zuletzt dank der cleveren Edel-Vermarktung, den Durchbruch: "Hyper Hyper". Die Techno-Szene windet sich vor Schmerz und schmäht die "drei Einzeller im Hyperspace" (Prinz) als "Techno-Deppen persönlich" (Frontpage).
Der Massenmarkt jedoch sitzt nicht in trendigen Großstadtclubs, sondern in Provinz-Discos und Golf GTIs. Scooter begreifen das früher als alle anderen. Sie machen Musik, die genau dort prächtig funktioniert: "Hyper Hyper" stampft bis auf Platz zwei der deutschen Charts und erreicht Platin-Status.
Von den meisten Kommerz-Dance-Combos unterscheidet Scooter die Fähigkeit, diesen Triumph in schneller Folge scheinbar beliebig oft zu wiederholen: Ob Billy Idol, Kiss oder Bots, alles drehen sie gnadenlos erfolgreich durch den Scooter-Mixer und veredeln die Resultate zu Gold oder Platin.
Auch live begeistern die drei die Massen. Rund eine Viertelmillion Fans pilgert jährlich zu Scooter-Konzerten. Allein zum Gig in Moskau strömen 1998 17.000 Menschen.
Als Ferris Bueller 1998 die Lust verliert, ersetzt ihn nahtlos der Hamburger House-DJ Axel Coon. Der Keyboarder kehrt seinem Verein jedoch Anfang März 2002 schon wieder den Rücken, um sich zukünftig vermehrt DJing und Remixen zu widmen. Seinen Platz nimmt Produzent und DJ Jay Frog ein, der schon bei der "Push The Beat For This Jam - The 2nd Chapter"-Tour zeitweise den Ersatzmann für den erkrankten Coon spielte.
Der Stil bleibt bestehen, der Erfolg ebenso: Scooter entwickeln sich zum Phänomen, an dem man beim Rückblick auf die späten Neunziger nicht vorbei kommt.
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, werfen die Arbeitstiere und Marktschreier unter den Techno-Acts 2002 24 Carat Gold unters Volk. Im Jahr darauf schießen sie The Stadium Techno Experience nach.
Dann geschieht etwas im Scooter-Universum, das Fans und Freunde der Band gleichermaßen verwirrt: Frontmann H. P. rühmt sich nach der erfolgreichen Teilnahme an einer RTL-Show, er sei Deutschlands klügster Promi. Parallel veröffentlicht er ein Hörspiel in der Reihe "Reading Stars". Dafür liest er Prosastücke des österreichischen Autors Thomas Bernhard.
Mit Alben wie "Mind The Gap" (2004) oder "Who's Got The Last Laugh Now?" (2005) gelangen sie jedoch wieder auf den altbekannten Weg: Spielbuden-Techno für jedermann. Auch beim Vorentscheid zum Eurovision Soncontest 2004 bleiben sie mit "Jigga Jigga!" dieser Sparte treu, unterliegen allerdings im Finale Max Mutzke, für den sich 92 Prozent der Anrufer aussprechen.
Neben der "Who's Got The Last Laugh Now?"-Live-Tournee, deren Hamburg-Konzert im Juni 2006 auf CD und DVD erscheint ("Excess All Areas"), treten Scooter auch als Remixer in Erscheinung: Bloodhound Gangs "Uhn Tiss Uhn Tiss Uhn Tiss" und Deichkinds "Remmi Demmi (Yippie Yippie Yeah)" bekommen jeweils eine Scooter-Version verpasst. Außerdem erscheint ein Beitrag des Trios auf der Benefiz-Maxi "Help!Asia" zu Gunsten der Flutopfer der Tsunami-Katastrophe in Südostasien.
Im August 2006 entschließt sich Jay Frog, künftig mehr Energie in seine Solo-Projekte zu investieren. An seine Stelle tritt der Hamburger Produzent und DJ Michael Simon. Das erste Album in neuer Besetzung, "The Ultimate Aural Orgasm", erscheint Anfang Februar 2007.
Die Vorabsingle "Behind The Cow", für die Scooter Schreihals Fatman Scoop ins Boot holen, belegt, was zu erahnen war: Am Sound hat sich ebenso viel geändert wie an H. P. Baxxters Performance am Mic, seinem stoischen Gesichtsausdruck und seinem wasserstoffblonden Bürstenschnitt: nichts.
Im August 2007 tritt das Trio bei der Hochzeit von Viva-Moderatorin Gülcan mit Sebastian Kamps auf. Drei Tage später erscheint die Single "The Question Is What Is The Question" - Scooter waren damit als erste deutsche Band zwanzigmal in den Top Ten der deutschen Charts vertreten. Im November folgt die 13. Platte, "Jumping All Over The World".
Die Erfolgsgeschichte will kein Ende nehmen. Das Trio feiert 2013 stilecht "20 Years Of Hardcore" - und tauscht im Jahr darauf wieder einmal einen der beiden weniger präsenten Beteiligten aus. Statt Mitbegründer Rick J. Jordan gehört nun Phil Speiser zum Team. Das fünfte Kapitel der Band-Geschichte wäre somit aufgeschlagen. Scooter nennen das erste Album, das Speiser mitverantwortet, folgerichtig "The Fifth Chapter", auch bei "Ace" Anfang 2016 und "Scooter Forever" im Jahr darauf ist er mit an Bord.
H. P. Baxxter hat es unterdessen noch in einer ganz anderen Funktion zu Bekanntheit gebracht: Er sitzt seit Beginn des Jahres an der Seite von Dieter Bohlen und den beiden Schlager-Sängerinnen Michelle und Vanessa Mai in der Jury von "Deutschland sucht den Superstar" und gibt dort bei weitem nicht die unsympathischste Figur ab.
Dem fünften folgt das sechste Kapitel der Bandgeschichte: Phil Speiser nimmt im Herbst 2018 seinen Hut. Im Jahr darauf macht Sebastian Schilde das Trio wieder komplett und Scooter weiter wie bisher, bis ...
... ja, bis mit 2020 "the worst year ever" anbricht. Gegen die Corona-Pandemie kommen auch Vierviertel-Stampfbeats und ein blondierter Schreihals mit Megafon nicht an. Tourpläne brechen zusammen wie Kartenhäuser. Scooter lassen sich trotzdem nicht zur Untätigkeit verdammen. Mit "FCK 2020" schreiben sie einem erbärmlichen Jahr die angemessene Hymne und legen im Frühjahr darauf Studioalbum Nummer 20 nach. Um sich dem Stoßseufzer im Titel anschließen zu wollen, muss man wahrlich kein Fan sein: "God Save The Rave"!
Ob man den Output seines Trios letzten Endes für "großartig", "scheiße" oder "großartige Scheiße" hält: An der Funktionalität des Gebotenen lässt sich nicht rütteln. Deswegen lautet die Botschaft an den Floor ungebrochen: "Move! Your! Ass!"
© Laut
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