Plan B
Aufgewachsen im Londoner Problemviertel Forrest Gate, prügelnde Stiefväter, Alkoholismus, Drogenvergangenheit. Das ist der Stoff, aus dem Plattenfirmen ihre Sternchen formen. Plan B ist eines davon. Und doch irgendwie völlig anders.
Als Ben Drew sein Debüt veröffentlicht, geht ein Aufschrei durch den konservativen Teil der britischen Gesellschaft. Plan B erdreistet sich, in "Kidz" über den Mord an Damilola Taylor aus Sicht der Täter zu rappen. Taylor war 2000 im Alter von elf Jahren von kaum älteren Jungs auf offener Straße erstochen worden. Ein ganzes Land verfällt in Trauer und Wut.
Männer wie der spätere Premierminister David Cameron reagieren allzu reaktionär, ohne zu hinterfragen: Ein Verbot muss her. Das Gros der Kritiker und Fans interessiert diese Meinung herzlich wenig, "Who Needs Action When You Got Words" avanciert zum Underground-Hit. Ein weißer Junge aus dem sozialen Wohnungsbau, der mit einer Gitarre auf der Bühne steht und rappt. Parallelen zu Eminem sind schnell gezogen.
"Ich sehe Musik als Musik. Bezüglich der Gitarren-Sache dachte ich: 'Wieso eigentlich nicht?' Je weiter ich damit ging, desto mehr bemerkte ich, dass die Leute davon geschockt sind. Das hat mir diese ganze Presse beschert", erzählt er der BBC. Rage Against The Machine, Kurt Cobain und The Prodigy seien seine Einflüsse. Allesamt Künstler, die für ihren ganz eigenen, persönlichen Stil stehen.
Die Gitarre ist sicher ein Punkt für Drews steigende Bekanntheit, es gibt derer jedoch mehrere: Zum einen ziehen sich Schimpftiraden derart durch die Platte, dass sie wie das Morsealphabet klänge, würde man die Kraftausdrücke auspiepen.
Zum anderen spiegelt der Titel des Albums, ein Zitat aus dem Meat Puppets-Cover und Nirvana-Klassiker "Plateau", nicht gerade Ben Drews Lebensmotto wider: Saufgelage, Drogenbesitz, Schlägereien sind mehr oder weniger an der Tagesordnung. Die Delikte summieren sich, bis die Gerichte durchgreifen. Eine Bewährungsstrafe und die Verpflichtung, ein Anti-Aggressions-Training zu absolvieren, sollen den Londoner zur Räson bringen.
Mit Erfolg, er habe die Wut, die ihn lange Zeit antrieb, im Griff, erzählt er dem Spiegel anlässlich der Veröffentlichung seiner zweiten LP "The Defamation Of Strickland Banks". Es ist ein Soul-Album der alten Schule, wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Und der dritte Aspekt seiner Bekanntheit: Ben Drew ist musikalisch wie textlich wandelbar und ein Geschichtenerzähler wie kaum ein Zweiter.
Das Konzeptalbum über den unschuldig verknackten, fiktiven Soulstar Strickland Banks wird zum Megahit auf der Insel. Monatelang führt die Platte die britischen Charts an, bevor der Erfolg langsam Richtung Resteuropa schwappt. Die Feuilletons sind voll des Lobs. Alle Welt fragt sich, wie aus dem wüsten Rapper in kurzer Zeit ein gefühlvoller Soulsänger werden konnte.
"Ich bin halt mit dem Talent gesegnet, Musikstile zu verstehen und perfekt zu absorbieren. Als Teenager habe ich Soul entdeckt, aber dann kam Hip Hop dazwischen. Vor allem erzähle ich gern Geschichten, und Musik liefert mir dazu den Hintergrund, das muss eben nicht unbedingt Soul sein." Zudem habe er bereits als Jugendlicher massenhaft R'n'B-Liebeslieder geschrieben, diese jedoch nie veröffentlicht.
Nebenbei verschafft ihm die Gabe, sich in unterschiedliche Charaktere glaubhaft hineinversetzen zu können, einige Filmrollen. 2009 stellt er in "Harry Brown" sogar neben Michael Caine einen der Hauptcharaktere dar. Natürlich mimt er den Bösewicht.
Im realen Leben bleibt Plan B allerdings Ben Drew. Im ZDF-Kulturmagazin Aspekte entgegnet er unverhohlen, provokativ, undiplomatisch und authentisch auf die Kritiker, die ihn mittlerweile feiern, wenige Jahre zuvor jedoch noch als zornigen weißen Jungen aus der Unterschicht belächelten: "Danke, dass ihr meine Platte liebt, schön, dass ihr meine Fans seid. Aber fickt euch."
© Laut
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