The Orb
Gewöhnlich dürfen sich Produzenten aus Detroit wie Juan Atkins, Kevin Saunderson oder Derrick May zugute halten, die Entwicklung von House und Techno wesentlich mitgestaltet zu haben. Die Acts von der britischen Insel führen dagegen ein Schattendasein, auch wenn ihre Leistungen nicht minder gering einzuschätzen sind. Einer dieser ganz frühen Rave-Acts, wie man in der Zeit vor Techno noch titelte, sind The Orb.
Deren episches 23 Minuten-Monster "A Huge Ever Growing Pulsating Brain That Rules From The Centre Of The Ultraworld" eroberte mit seinen tanzbaren Ambientklängen 1989 Neuland, das bald auch Underworld, Orbital und The Chemical Brothers für sich entdecken sollten. Geistiger Vater von The Orb ist Dr Alex Paterson, der in London unter dem bürgerlichen Namen Duncan Robert Alex Paterson, was abgekürzt den Doktor ausmacht, zur Welt kommt. Dem Musikgeschäft wendet sich Paterson über den Umweg des Roadies zu.
Punk und Indie heißen seine Vorlieben, und so schleppt Alex Paterson schon bald Koffer, Boxen und Instrumente für seine Lieblingsband Killing Joke. Später spielt er bei Bloodsports, kommt kurze Zeit darauf als A'n'R bei Brian Enos Label EG Records unter und gründet schließlich 1988, auf der Höhe des Acid House-Fiebers, zusammen mit Jimmy Cauty The Orb. Den Namen für das Projekt entleiht das Duo aus dem Woody Allen Film "Sleeper".
Schnell kommen Paterson und Cauty bei Wau Records unter, wo 1989 die Kiss EP als ihr Debüt erscheint. Sie bleibt jedoch nur eine Randnotiz der Musikgeschichte, denn die folgende Veröffentlichung "A Huge Ever Growing Pulsating Brain That Rules From The Centre Of The Ultraworld" macht The Orb auf einen Schlag bekannt und lässt sie zu Ikonen der britischen Rave-Bewegung werden. Das 23-minütige Opus besticht durch sein verspult rockiges Verständnis von elektronischer Musik und gibt damit den Takt vor für Bands wie The Prodigy oder Chemical Brothers vor, die sich in der Folge das beste von Rock und Elektro rauspicken können, ohne an den Pranger der Genrepuristen gestellt zu werden.
Kurz nach "A Huge Ever Growing Pulsating Brain That Rules From The Centre Of The Ultraworld" verlässt Jimmy Cauty The Orb und geht an Bord des gerade in Fahrt kommenden KLF-Dampfers. Dem Erfolgskurs von The Orb tut das keinen Abbruch. Paterson baut ein Netzwerk von Musikern auf, mit denen er fortan unter dem Namen The Orb kollaboriert. Killing Joke-Mitglied Youth nimmt den Platz von Cauty ein und trägt sich 1990 als Co-Autor der nächsten Hitsingle "Little Fluffy Clouds" in die britische Ravegeschichte ein.
1991 stößt Kristian Weston aka Thrash, der zuvor in Punk- und Hardcorebands spielte, zur Band. Im selben Jahr erscheint mit "Adventures Beyond The Ultraworld" auch das lange erwartete Debütalbum von The Orb, das mit trippig groovenden Beats das Orbsche Klanguniversum auf den Punkt bringt. In dieser Zeit ebenfalls schon mit am Start sind das Ex-Palais Schaumburg Mitglied Thomas Fehlmann, sowie Youth, Steve Hillage und Miquette Giraudy. Weston und Fehlmann haben den besten Draht zu Paterson und werden Stück für Stück in den Rang von Langzeitkollaborateuren erhoben.
Mit der 92er Single "Blue Room" unterstreichen The Orb ihre Vorliebe für epische Arrangements. Der Song bringt es auf stolze 39 Minuten und 58 Sekunden und ist damit die längste Single, die jemals an der Spitze der britischen Charts stand. Dr. Paterson lebt hier sein Psychedelic-Ideal voll aus, doch kündigt bereits das nächste Album "U.F. Orb" eine Abkehr vom orb-typischen Ambient-House an. Die Tanzbarkeit der Tracks verliert gegenüber ihrem Ambient-Charakter an Wichtigkeit.
Die folgenden Alben "Pomme Fritz" und "Orbus Terrarum" verstören mit ihren wilden Geräuschlandschaften viele Fans und huldigen unverhohlen den Indie-Wurzeln von Paterson. Mehr Aufsehen als die eigenen Alben erregen die zahlreichen Remixe, die The Orb von Beginn ihrer Karriere an für Künstler wie Primal Scream, Depeche Mode, Erasure und The Cranberries anfertigen. Japans Yello Magic Orchestra darf sich gar über ein ganze Remixalbum aus dem orb'schen Tonstudio freuen, während Jean Michel Jarre umsonst bei Paterson anklopft.
Mit "Orbus Terrarum" nimmt Thomas Fehlmann 1995 eine prominentere Rolle bei The Orb ein. Auf "Orblivion" prägen weiterhin düstere Soundscapes das Album. Erst im neuen Jahrtausend finden The Orb mit Releases auf dem Kölner Label Kompakt wieder zurück zu ihren Ambient-House-Wurzeln. 2004 erscheint mit "Bicycles & Tricycles" gar in neues Album, dessen dunkle Groovewälle furchteinflößend über die Zuhörer hereinbrechen. Selten geworden sind indes housige Zugriffe, die den Dancefloor im Auge haben.
In der Folge veröffentlicht Alex Paterson unter dem The Orb-Banner weitere Longplayer, mal mit Martin Glover, dem Gründungsmitglied von Killing Joke und Produzent von U2, Depeche Mode, Erasure oder Yazoo, (The Dream", 2007), dann wieder mit Thomas Fehlmann ("Baghdad Batteries (Orbsessions Volume III)", 2009 und alle Studioalben zwischen 2012 und 2018).
Auch über 20 Jahre nach ihrer Gründung erproben The Orb noch neue Wege: "C Batter C" (2011) ist der Soundtrack zu einer filmischen Installation, die in Londons Battersea Power Station aufgeführt wird. Auf "Metallic Spheres" (2009) und "The Orbserver in the Star House" (2012) kooperieren sie mit David Gilmour bzw. Lee Scratch Perry verschmelzen dabei ihre elektronische Musik nahezu perfekt mit organischen Klängen.
Mit "Moonbuilding 2703 AD" von 2015, das aus vier langen Jams besteht, setzen The Orb erneut auf ihre eigensinnige Mischung aus House, Ambient, Dub und Techno und klingen dabei immer noch erstaunlich frisch. Dabei liegt der Fokus auf technoide Strukturen, wie auch auf dem ein Jahr danach veröffentlichten "Cow / Chill Out, World!". Auf "No Sounds Are Out Of Bounds" von 2018 geht es wieder ruhiger und experimenteller zu.
Im Anschluss steigt Thomas Fehlmann aus, um sich wieder vermehrt auf seine Solo-Karriere zu konzentrieren und den technoiden Klang-Möglichkeiten weiter nachzuforschen. Zum vollwertigen Haupt-Songwriting-Partner steigt dafür Michael Randell auf, der zuvor vom Live-Mitglied zum Studiotechniker berufen wurde. 2020 legt das Duo mit "Abolition Of The Royal Familia" ein recht abwechslungsreiches Album vor, das mit einer Vielzahl an historisch inspirierten Samples aufwartet.
© Laut
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