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Buchvorschau
Seerache - Manfred Megerle
Manfred Megerle, geboren 1937, lebt heute mit seiner Familie in Flein bei Heilbronn. Bis 2005 leitete er eine Werbeagentur und schrieb Werbetexte. Nach dem beruflichen Ausstieg verlegte er sich auf Kriminalromane. Sein Anspruch: ungewöhnliche Kriminalfälle mit überraschenden Wendungen. Seine Schauplätze: der westliche Bodensee, den er vor Jahren zu seiner zweiten Heimat erkor. Dort lässt er seit 2007 den kantigen Hauptkommissar Leo Wolf ermitteln.
Im Emons Verlag erschienen seine Romane »Seehaie«, »Seefeuer«, »Seeteufel« und »Seepest«. Der vorliegende Band »Seerache« ist Hauptkommissar Leo Wolfs fünfter Fall.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.
© 2012 Hermann-Josef Emons Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: Heribert Stragholz
Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch
eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
ISBN 978-3-86358-131-2
Originalausgabe
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Kostenlos bestellen unter www.emons-verlag.de
Für Carin und Ulrich
»Geld verdirbt den Charakter –
vorausgesetzt, man hat einen.«
Sir Peter Ustinov
Ȇberlingen ist ein Karrierekiller.
Wer einmal hier ist, will nie wieder weg.«
Josef Kling, Antiquitätenhändler
1
Fröstelnd stand der Mann auf dem Außendeck, nicht ahnend, dass sein Tod beschlossene Sache war. Knapp zwanzig Stunden blieben ihm noch, dann würde sein Lebenslicht ausgeblasen.
Zwanzig Stunden. Für den Mann nicht viel mehr als ein Wimpernschlag. Für den Vollstrecker eine Ewigkeit.
Um kurz nach zwölf hatte die Fähre in Meersburg abgelegt, in etwas mehr als einer Viertelstunde würde sie Konstanz erreichen. Ein eisiger Wind fegte über das Außendeck und trieb dem Mann die Tränen in die Augen. Er nahm die Hände aus den Taschen und schlug den Mantelkragen hoch.
Trotz des widrigen Wetters fühlte er sich, als könnte er Bäume ausreißen. Er wusste, falls die Dinge sich weiterhin wie geplant entwickelten, dann hätte er sein Leben lang ausgesorgt. So gesehen bedauerte er keineswegs, das gut geheizte Bordrestaurant verlassen zu haben. Der Lärm und die stickige Luft in dem brechend vollen Raum waren ihm zu viel geworden. Eine Zeit lang hatte er mit dem Gedanken gespielt, das Ende der Überfahrt in seinem Wagen abzuwarten. Doch davon war er schnell wieder abgekommen. Ihn grauste, wenn er an das düstere Fahrzeugdeck dachte, zumal er zwischen den dicht an dicht stehenden Wagen regelmäßig Platzangst bekam. Das schaurige Windgeheul dort unten tat ein Übriges. So war ihm letztlich nur das Außendeck geblieben.
Lange würde er es hier aber auch nicht aushalten. Kaum hatte er den Fuß vor die Tür gesetzt, waren ihm Eiskristalle wie glühende Nadeln ins Gesicht geschlagen; er hatte sich festhalten müssen, um nicht über Bord gefegt zu werden. Und von wegen Aussicht auf die Schweizer Berge! Mit Ach und Krach konnte er das Konstanzer Ufer erkennen. Gemütlich ist anders, dachte er und wollte sich eben wieder in den Schiffsbauch zurückziehen, als sein Handy klingelte. Verstohlen sah er sich nach Mithörern um. Doch die wenigen Fahrgäste, die hier draußen der Witterung trotzten, schienen ausnahmslos mit sich selbst beschäftigt. Mit klammen Fingern fischte er das Gerät aus der Tasche. Als er die Nummer auf dem Display erkannte, hellte sich seine Miene auf. »Wurde aber auch Zeit«, murmelte er erleichtert. Es war Stunden her, dass er um diesen Rückruf gebeten hatte.
Er suchte sich ein einigermaßen windgeschütztes Plätzchen. Dann drückte er die Empfangstaste und nannte seinen Namen.
Das Gespräch dauerte nicht einmal eine Minute; schon nach wenigen Sätzen verabschiedete er sich. »Bis heute Abend also. Und vergessen Sie das Geld nicht – in bar, wenn ich bitten darf. Ach, noch was: Seien Sie pünktlich. Sie wissen ja, wer zu spät kommt …« Er ließ dem Halbsatz ein heiseres Lachen folgen, unterbrach die Verbindung und steckte das Handy wieder in die Tasche. Jetzt war er froh, das altmodische Teil nicht weggeschmissen zu haben, letzte Woche, als er das neue Smartphone erstanden hatte. Dessen Anschaffung hatte ihn zwar eine Stange Geld gekostet, doch dafür hielt es, was der Name versprach. Inzwischen mochte er das Wunderding nicht mehr missen. Dumm nur, dass es seit gestern spurlos verschwunden war. Verlegt? Verloren? Vielleicht sogar gestohlen? Er wusste es nicht. Schon die Vorstellung, es könnte in fremde Hände gelangt sein, verursachte ihm Übelkeit – weniger wegen des materiellen Wertes, der war leicht zu verschmerzen. Nein, weit schwerer traf ihn der Verlust der sensiblen Daten, die er darauf gespeichert hatte. Ungesichert. Die Einrichtung eines Sicherheitscodes hatte er immer wieder auf später verschoben. Sofort nach seiner Rückkehr würde er noch einmal alles danach absuchen. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich das verdammte Ding nicht wiederfände!
Während er zum zweiten Mal das Bordrestaurant betrat, überschlugen sich seine Gedanken. Dieser Anruf eben – brauchte es noch mehr Beweise, dass er mit seinen Plänen richtiglag? Erneut hatte er einen dicken Fisch an Land gezogen.
Obwohl … ein bisschen seltsam hatte sich der Anrufer schon benommen. Wie, zum Teufel, sollte er die Frage nach »qualifizierten Referenzen« verstehen, wie die auffallende Neugier, als es um Sicherheiten ging? Und weshalb hatte der Kerl so hämisch gelacht, als er Bares verlangte?
Unwillig wischte er seine Bedenken beiseite. Immerhin war es die dritte Zusage in weniger als einer Stunde gewesen – eine Resonanz, auf die er in seinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt hatte. Fast hatte es den Anschein, als wären die Leute scharf darauf, sich von ihren Kröten zu trennen.
Na ja, kein Wunder bei dreißig Prozent Rendite – pro Monat, wohlgemerkt. Wer konnte da schon Nein sagen? Er grinste. Gewissensbisse? Wieso sollte er die haben? Es traf ja keine Armen.
Hatten ihn seine beiden Partner anfangs für einen Spinner gehalten, so waren sie inzwischen vom Gegenteil überzeugt. Wiederholt hatten sie ihm versichert, der Plan sei »irgendwie genial«. Nicht, dass er dieses Lob allein auf sich bezogen hätte, das Geschäftsmodell stammte schließlich nicht von ihm. Es war von ihren spanischen Geschäftspartnern entwickelt worden und fußte auf der Erkenntnis von Psychologen und Finanzstrategen, wonach die Gier nach immer mehr Geld den Verstand umso schneller ausblendet, je höher die in Aussicht gestellten Gewinne sind. »Gier frisst Hirn«, der Titel dieses Buches traf den Nagel auf den Kopf. Nicht umsonst zählte der Konstanzer Autor Jürgen Wagner hierzulande zu den kompetentesten Wirtschaftsanwälten.
Beim Gedanken an die spanischen Partner lachte der Mann kurz auf. Seit sie die Anlagen teilweise auf eigene Rechnung verscherbelten, stimmte die Kasse. Er ärgerte sich, dass er nicht schon viel früher draufgekommen war. Und was sein Mitgefühl mit den Anlegern anging, so hielt sich das in Grenzen. Wer vor lauter Gier den Hals nicht voll genug bekam, war selbst schuld, wenn er sein Geld verlor.
Ein Blick durchs Fenster auf das sich nähernde Konstanzer Ufer holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Noch zehn Minuten bis … nein, nicht bis Buffalo.
Merkwürdig. Wieso fiel ihm gerade jetzt Fontanes Gedicht wieder ein – das von der Schwalbe, die über den Eriesee flog? War Lichtjahre her, dass er es das letzte Mal hatte aufsagen müssen … War die Schwalbe, dieser Kahn, etwa gesunken … oder am Ufer zerschellt? So oder so wäre es ein schlechtes Omen. Ausgerechnet jetzt!
Ach was, dachte er und richtete den Blick nach vorn, wo hinter gischtenden Wellen das Konstanzer Ufer lag. Zehn Minuten bis zum Fährhafen … für einen Espresso im Stehen reichte das allemal. Kurz entschlossen kämpfte er sich zur Theke durch.
Gerade wollte er seine Bestellung aufgeben, da drängte sich ein bulliger Glatzkopf an ihm vorbei und warf einen Zehneuroschein auf die Theke. »Wodka, aber doppelt«, verlangte er. In seinem derb klingenden Akzent klang es eher wie ein Befehl denn wie eine Bitte.
So viel Dreistigkeit machte ihn einen Moment lang sprachlos. Was bildete sich dieser Kerl ein? Eine dicke Lippe riskieren, aber nicht mal richtig Deutsch können, pah! Ihm lag ein geharnischter Protest auf der Zunge, doch ein unbestimmtes Gefühl ließ ihn schweigen. War es ratsam, den Muskelprotz gegen sich aufzubringen? Dieser bullige Kerl – der Aussprache nach ein Osteuropäer – schien nicht nur unverfroren, sondern auch noch bärenstark. Grund genug, den Ärger fürs Erste hinunterzuschlucken. Er beschloss, ihn stattdessen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
So ungewöhnlich wie die Statur des Glatzkopfs war dessen »modisches« Äußeres. Über einem ehemals weißen Hemd spannte sich ein knapp sitzender schwarzer Anzug, der die aufgepumpten, steroidverdächtigen Muskelpakete eher hervorhob, als dass er sie verbarg. Mit dem harten Akzent und dem blank polierten Schädel erinnerte er ihn verdammt an einen russischen Popen.
Er kam nicht dazu, seine Begutachtung fortzuführen, denn kaum hatte der Kerl seinen Drink erhalten, da drehte er sich um, und zwar so ungestüm, dass gut die Hälfte des Wodkas auf seinem Mantel landete. »Können Sie nicht aufpassen?«, fauchte er erbost. »So eine Scheiße aber auch … Jetzt haben Sie mit Ihrem Gesöff meinen Mantel ruiniert.«
Der Glatzkopf zeigte sich davon nur wenig beeindruckt. »Aber, aber, Herr Hauschild, warum denn gleich aus Rolle fallen?«, radebrechte er. Trotz des vordergründigen Spotts war ein gefährlicher Unterton in seiner Stimme nicht zu überhören.
Einen Augenblick lang war er wie vor den Kopf geschlagen. »Sie … Sie kennen meinen Namen?«
»Ist gute Frage«, erwiderte der Glatzkopf gelassen und richtete den Blick zur Decke. Als habe er dort die gesuchte Antwort gefunden, senkte er anschließend den Kopf und fasste sein Gegenüber ins Auge. »Thorsten Hauschild, frei arbeitender Fi… äh, wie heißt? Richtig: Finanzberater. Wohnen in Konstanz, vierunddreißig Jahr, geschieden, kinderlos«, leierte er herunter. »Sie wollen wissen, woher ich habe Information? Ist gemeinsamer Bekannter. Hat gebeten, sich … äh … ein wenig um Sie zu kümmern.«
»Gemeinsamer Bekannter? Wer soll das sein?« Hauschilds Augen verengten sich zu Schlitzen. »Sagen Sie mal … was läuft hier eigentlich?«
»Psst, nicht hier«, beschied ihn der Glatzkopf. Mit einem Kopfnicken verwies er auf die neugierigen Blicke der Umstehenden und fügte halblaut hinzu: »Gehen Sie einfach zu Ihrem Wagen. Dort Sie finden Antwort.« Noch ehe Hauschild etwas erwidern konnte, machte er kehrt und stakste davon.
Zum Teufel, dachte Hauschild, was geht hier eigentlich vor? In was bin ich da hineingeraten?
Dieses merkwürdige Zusammentreffen konnte kein Zufall sein. Ganz im Gegenteil, alles sprach dafür, dass der Glatzkopf es bewusst herbeigeführt hatte. Nur weshalb? Sosehr er sich darüber auch den Kopf zerbrach, es fiel ihm keine passende Antwort ein. Wahrscheinlich war es das Beste, der Anweisung zu folgen und zurück zum Wagen zu gehen.
Ohne lange zu überlegen, eilte er die Treppe hinab. Kurz vor dem letzten Absatz stoppte er und hielt sich am Geländer fest. Was, wenn das Ganze eine Falle war? Dann würde er geradeswegs in sein Verderben rennen. Bei den Lichtverhältnissen hier unten wäre ein tätlicher Angriff vergleichsweise leicht zu bewerkstelligen, und da die Mehrzahl der Wagenbesitzer sich noch immer auf dem Oberdeck aufhielt, konnte er schwerlich auf Hilfe hoffen. Mit anderen Worten: Der Glatzkopf hätte ein leichtes Spiel mit ihm.
So nicht, dachte Hauschild grimmig. Zum Glück hatte er die Gefahr noch rechtzeitig erkannt. Er würde sich schon zu wehren wissen. Entschlossen öffnete er die Stahltür und betrat das Fahrzeugdeck.
Langsam und sich nach allen Seiten absichernd schlich er an der rechten Bordwand entlang, bis er vorn, drei Wagen weiter, seinen BMW X5 entdeckte. Er beschloss, fürs Erste hinter einem dunklen Kastenwagen in Deckung zu gehen. Von dort aus konnte er den betreffenden Deckabschnitt in aller Ruhe beobachten.
Doch sosehr er auch nach vorn stierte – da war nichts, absolut nichts, was ihm verdächtig erschien. Weder trieben sich dubiose Gestalten im Umfeld seines SUV herum, noch waren Anzeichen eines gewaltsam aufgebrochenen Fensters oder einer Tür zu erkennen. Da klemmte nicht mal ein Zettel hinter dem Scheibenwischer. Totale Fehlanzeige.
War es möglich, dass der Glatzkopf nur seinen Spaß mit ihm hatte treiben wollen? Er verwarf diesen Gedanken wieder – zu eindeutig war der Kerl auf Konfrontation aus gewesen. Doch warum hatte er sein Anliegen nicht gleich im Restaurant vorgebracht? Warum sollte er zu seinem Wagen gehen, um, dort angekommen, festzustellen, dass der Glatzkopf durch Abwesenheit glänzte? Erwartete ihn die Nachricht etwa im Fahrzeuginneren? Unmöglich! Er hatte vor dem Weggehen die Zentralverriegelung betätigt.
Es half alles nichts: Wenn er Gewissheit haben wollte, musste er näher ran.
Die Nerven zum Zerreißen gespannt, näherte er sich vorsichtig seinem Auto. Kurz bevor er es erreichte, entriegelte er per Fernbedienung die Türen.
Er hätte sich nicht gewundert, wenn die Karre in die Luft geflogen wäre. Aber alles blieb ruhig.
Er atmete tief durch, ehe er zögernd die Fahrertür öffnete. Als auch das ohne Folgen blieb, setzte er sich rasch ans Steuer und zog die Tür hinter sich zu. »Puh«, seufzte er erleichtert und betätigte die Türsperre.
»Wird auch höchste Zeit, mein Freund«, tönte es da in seinem Rücken.
Hauschild glaubte einen Moment lang, einem akustischen Trugbild aufgesessen zu sein. Der Wagen war die ganze Zeit über verschlossen gewesen – wo, um Himmels willen, sollte da eine fremde Stimme herkommen? Böses ahnend fuhr er herum. Und tatsächlich: Auf der Rückbank saß eine dunkle, hünenhafte Gestalt, und obwohl die Lichtverhältnisse im Wagen sehr zu wünschen übrig ließen, war die Ähnlichkeit mit dem Kerl aus dem Restaurant unverkennbar: kahler Schädel, Boxerfigur, speckiger schwarzer Anzug – sogar der Akzent war identisch. Aber handelte es sich wirklich um denselben Mann? Irgendetwas an ihm kam Hauschild anders vor. Aber was?
Kaum hatten sich seine Augen an das Zwielicht gewöhnt, sprang ihm der Unterschied auch schon ins Auge: Eine breite Narbe zog sich quer über die Stirn des Mannes, dessen Gesichtszüge sich bei näherem Hinsehen ebenfalls recht deutlich von denen des ersten Glatzkopfs unterschieden. Irgendjemand musste ihm gewaltig eins übergebraten haben. Recht so, befand Hauschild und bedauerte zutiefst, selbst keine Waffe in Reichweite zu haben.
»Wenn Sie denken, dass ich mir jetzt ins Hemd mache, dann haben Sie sich geschnitten«, entgegnete er scheinbar gelassen, nachdem er sich einigermaßen gefangen hatte.
»Sie können tun, was Sie wollen – ist Ihr Auto, oder nicht?«
»Ah ja. Und wieso sind Sie dann eingedrungen?«, fuhr Hauschild auf, während er fieberhaft nach einem Ausweg suchte. Körperlich war er dem Hünen unterlegen – es sei denn, er nutzte das Überraschungsmoment. Wenn es ihm gelänge, dem Kerl die Faust ins Gesicht zu rammen, ihn mit einem Schlag ins Reich der Träume zu schicken … dann müsste er nur noch aus dem Wagen springen und das Fährpersonal verständigen.
Er hatte sich bereits halbwegs dazu entschlossen, als ihn ein Klopfen gegen das Seitenfenster herumfahren ließ. Draußen stand, wie befürchtet, Glatzkopf Nummer eins, der Wodkatrinker aus dem Restaurant. Missbilligend schüttelte er den kahlen Schädel. »Können vergessen«, rief er ihm zu, »gegen Igor haben keine Chance.«
Hauschild schluckte. Selbst wenn es ihm gelänge, Igor auszuschalten, bekäme er es postwendend mit dem zweiten Muskelprotz zu tun. Damit hatte sich sein Plan erledigt. Andererseits: Solange er sich an Bord der Fähre befand und die Fahrt andauerte, konnte er sich einigermaßen sicher fühlen. Entschlossen drehte er sich zu Igor um: »Schluss jetzt! Entweder Sie verschwinden aus meinem Wagen …«
»Oder?«
»Oder … oder ich hupe das ganze Schiff zusammen.«
»Wetten, dass Sie nicht machen?«
»Was setzen Sie dagegen?«
Igor lachte höhnisch auf. »Einmal Spieler, immer Spieler, was?«
Hauschild zuckte zusammen. »Was wollen Sie damit andeuten?«
»Sie können sich nicht denken?«
»Sagen Sie’s mir.«
»Also gut, reden wir nicht um … wie heißt bei Ihnen? Reden wir nicht um heißen Brei herum, richtig? Sie haben Spielschulden. Hohe Spielschulden. Vierunddreißigtausend Euro. Summe wäre vor zwei Tagen fällig gewesen. Sie jetzt wissen, warum wir hier sind?«
Hauschild wurde nun tatsächlich einiges klar. Er versuchte, Zeit zu gewinnen. »Wer schickt Sie?«, fragte er lauernd, obwohl er die Antwort bereits kannte.
»Borowski.«
Hauschild atmete tief durch, bevor er antwortete. »Okay, tut mir leid, ich hatte das vollkommen vergessen«, log er. »Kann ja mal passieren, oder? Bestellt Borowski, er bekommt sein Geld. Nächste Woche, nein, in zwei Tagen leg ich’s ihm auf den Tisch, dann bin ich wieder flüssig. So lange muss er sich gedulden.«
Igor kniff die Augen zusammen. »Borowski muss gar nichts. So wenig wie wir. Wenn überhaupt einer muss, dann du, mein Freund – nämlich zahlen. Morgen Mittag, zwölf Uhr, wir sind bei dir. Und ich rate gut: Lass uns nicht hängen.«
»Sonst?«
»Sonst du bist nicht mehr unser Freund. Und wer nicht Freund ist, ist Feind, verstehst? Nur: Mit Feinden machen wir kurzen Prozess. Aber du bist ja vernünftig, nicht wahr? Und jetzt mach bitte schön Autotür auf.«
»Ihr habt sie wohl nicht mehr alle! Wie soll ich so schnell vierunddreißigtausend Euro flüssig machen, könnt ihr mir das mal sagen, eh? Glaubt ihr, ich hab die Penunzen zu Hause herumliegen, oder was?«
»Fünfzigtausend, mein Freund! Es sind fünfzigtausend. Du hast Zinsen vergessen. Und Inkassogebühr. Auch wir müssen leben, du verstehst?«
»Verdammt. Das könnt ihr mit mir nicht machen. – Autsch!« In höchster Erregung war Hauschild hochgefahren und mit dem Kopf an den Wagenhimmel gestoßen.
Ohne sich auch nur im Geringsten anzustrengen, drückte ihn Igor in den Sitz zurück. »Du Armer, ich weine gleich«, entgegnete er spöttisch, um mit knallharter Stimme fortzufahren: »Denkst wohl, wir wüssten nicht Bescheid über … äh, wie heißt bei euch? … Einlagen … ja, über Einlagen? Denkst, wir wüssten nicht, wie viel du bekommen hast?« Er las von einem Zettel ab, den er plötzlich in der Hand hielt: »Bundschuh hundertachtzigtausend, Lenz hundertneunzigtausend, Zöller fünfundsiebzigtausend, Sennefeldt vierhundertsechzigtausend … soll ich weiterlesen?«
Im Bruchteil einer Sekunde wurde Hauschild aschfahl. Jetzt wusste er, in wessen Händen sich sein Smartphone befand. Dabei spielte es, wenigstens im Augenblick, nicht die geringste Rolle, auf welche Weise die Glatzköpfe sich das Ding gekrallt hatten.
»Okay, okay, das bestreite ich ja nicht«, beteuerte er. »Aber wie ich schon sagte, die Summen sind angelegt. Was soll ich machen? Ich brauch einfach mehr Zeit.«
Igor lächelte begütigend. »Du das irgendwie hinbekommen, da bin ich sicher. Morgen Mittag, zwölf Uhr, wir werden bei dir sein. Und jetzt mach Türen auf. Sitzung zu Ende.«
Wie in Trance drückte Hauschild den Entriegelungsknopf, und Sekunden später hatte Igor den Wagen verlassen. Bevor er mit seinem Kompagnon in Richtung Ausfahrt entschwand, reichte er Hauschild eine Visitenkarte. »Hier. Damit du nicht denkst, wir nehmen Job nicht ernst. Do svidanija!«
Igor wandte sich bereits zum Gehen, als er sich an den Kopf griff, weil ihm offenbar noch etwas einfiel. Aus einer Innentasche seines Anzugs zog er ein flaches silbernes Gerät und drückte es dem verdutzten Hauschild in die Hand. »Entschuldige, hätte ich fast vergessen: Dein verschwundenes … äh …«
»Smartphone«, half ihm sein Partner aus, der inzwischen ebenfalls zurückgekommen war.
»Sag ich doch, Smartphone«, grunzte Igor und fügte hinzu: »Du solltest besser auf Sachen aufpassen, mein Freund.«
Sein meckerndes Lachen hallte noch in Hauschilds Ohren, als die beiden seinen Blicken längst entschwunden waren. Böses ahnend, sah er auf die Visitenkarte. Als er den Namen las, bekam er weiche Knie. »MOSKAU-INKASSO«, prangte da in fetten Blockbuchstaben. Darunter, in kursiv, das Motto der Truppe: »Zahl oder stirb!«
Hauschild zerriss die Karte und warf die Fetzen aus dem Fenster. Was für ein Aufwand wegen der paar vergessenen Kröten, dachte er. Borowski, dieser Korinthenkacker. Na ja, spätestens morgen Mittag war die Sache vom Tisch. Die fünfzig Mille würde er bis dahin schon auftreiben.
2
Besser kann man es eigentlich nicht treffen, dachte Wolf. Der strahlend blaue Märzhimmel hoch über ihm war nach dem Dreckswetter der letzten Tage die reinste Offenbarung. Das morgendliche Sonnenlicht brach sich in der silbern schimmernden Hülle des Zeppelins und tauchte die Reihe der wartenden Fluggäste in einen gleißenden Schein. Und doch wollte bei ihm keine Freude aufkommen.
Kurz zuvor hatte die Riesenzigarre auf dem Landeplatz aufgesetzt. Nun schwankte sie sacht am Haltemast hin und her, bereit, nach dem Austausch ihrer menschlichen Fracht aufs Neue zu starten.
Je näher jedoch das »Boarding« rückte, desto unwohler fühlte sich Wolf in seiner Haut. Längst hatte er seine Flugangst überwunden geglaubt – und nun das! Am liebsten wäre er auf der Stelle aus der Schlange der Wartenden ausgeschert und wieder zurückgegangen.
Er hätte sich die Aufnahmen nicht ansehen dürfen.
Vorhin war er durch die Abfertigungshalle geschlendert und dabei zufällig auf eine Bildwand gestoßen – nichts Besonderes, lediglich eine Handvoll Reproduktionen von vergilbten Schwarz-Weiß-Fotos. Die allerdings hatten es in sich gehabt: Sie zeigten das Ende des Luftschiffs »Hindenburg«, das im Mai 1937 in Lakehurst/ USA ein Opfer der Flammen geworden war und nicht weniger als sechsunddreißig Menschen in den Tod gerissen hatte. Ein Dreivierteljahrhundert war das jetzt her, und doch hatten sich die Motive unauslöschlich in Wolfs Gedächtnis gebrannt: das todbringende Flammenmeer, die verzweifelten Löschversuche, das verglühende Gestänge …
Ein Schauder kroch ihm den Rücken hinab. Was, wenn sich eine solche Katastrophe wiederholte? Nicht irgendwann und irgendwo, sondern hier und heute?
Seine Flugangst war wieder da.
Im Grunde hatte er es sich selbst zuzuschreiben. Warum hatte er nicht dankend abgelehnt, als die Kollegen ihm den Zeppelinflug zu seinem Dienstjubiläum geschenkt hatten? Wieso, zum Teufel, hatte es auch ausgerechnet ein Zeppelinflug sein müssen? Ein kleines Präsent hätte es doch auch getan, eine Flasche Pastis zum Beispiel. Andererseits: Woher sollten die Kollegen von seiner Flugangst wissen, wenn er sie doch seit Jahren unter der Decke hielt?
Noch etwas anderes gab ihm zu denken: Wieso hatte ausgerechnet Marsberg seine Begleitung angeboten, noch dazu ungefragt und auf eigene Kosten? Hatte der Freund und Kollege sein drohendes Kneifen etwa einkalkuliert? Das wäre ja oberpeinlich!
Ein Gutes hatte die Sache aber gehabt. Als Marsbergs Beifahrer war er bequem nach Friedrichshafen gelangt. Die Zeiten, in denen er solche Entfernungen noch mit seinem Drahtesel schaffte, waren schließlich vorbei, und die Bahn schied wegen ihrer vertrackten Fahrkartenautomaten von vornherein aus.
Er spürte einen Schubs im Rücken. »Los, Leo, kneifen gilt nicht, du bist dran«, drängte Marsberg und ließ seiner Aufforderung ein spöttisches Lachen folgen. Widerspruchslos setzte sich Wolf in Bewegung.
Inzwischen hatte er das Einsteigeprinzip des neuen Zeppelins durchschaut: Es kletterte jeweils einer der zurückgekehrten Fahrgäste aus der unter dem Luftschiff hängenden Kanzel, und ein neuer stieg zu. Offenbar war das Gleichgewicht der Riesenzigarre derart fragil, dass größere Gewichtsschwankungen unter allen Umständen vermieden werden mussten. Nicht gerade vertrauenerweckend, befand Wolf, doch nun gab es kein Zurück mehr.
Ein Angestellter in schmucker Uniform half Wolf die wenigen Stufen hinauf, und schon war er im Inneren der Kanzel verschwunden. Erneut verließ einer der Ankömmlinge die Kabine, ehe die Reihe an Marsberg kam. Wenig später war der Passagierwechsel abgeschlossen. Der Angestellte zog die Treppe zurück, die Flugbegleiterin verriegelte die Tür – der Zeppelin war startbereit.
Wolf hatte bis zuletzt mit sich gerungen. Wäre Marsberg nicht mit von der Partie gewesen, er hätte sich rechtzeitig verdünnisiert. Am Ende war ihm nichts anderes übrig geblieben, als zuzusteigen. Mehr stolpernd als gehend hatte er die Kabine durchquert und sich freudlos in einen Fenstersitz fallen lassen. Selbst als Marsberg ihm mit anerkennendem Nicken auf die Schulter geklopft und sich unmittelbar hinter ihm niedergelassen hatte, war das von Wolf nur teilnahmslos zur Kenntnis genommen worden. Irgendwann hatte er einen scheuen Blick durch das Seitenfenster geworfen und das geschäftige Treiben draußen verfolgt.
Immerhin hatte er einen Sitz am Fenster ergattert! Wenn er schon dem eigenen Untergang beiwohnen musste, dann bitte schön auf einem Logenplatz.
Umso größer war seine Enttäuschung, als er jetzt verstohlen durch den Innenraum blickte. Alle Sitze in der Kabine lagen ausnahmslos am Fenster. Irgendwie schade … so ein kleines Privileg hätte ihm gutgetan.
Ein Lautsprecher knackte, und der Pilot meldete sich zu Wort. Er begrüßte zunächst die Passagiere, bevor er auf den Ablauf des Fluges einging. Aus begreiflichen Gründen hörte Wolf nur mit halbem Ohr zu. Voll banger Erwartung fieberte er dem Moment entgegen, in dem sich die Zigarre in die Luft erheben würde.
Irgendwann riss ihn Marsberg aus seinem dumpfen Brüten. »Na, Leo, was meinst du, koppeln wir uns ausnahmsweise ab? Heut ist Samstag, da wird uns schon keiner in die Suppe spucken.«
Wolf verstand nur Bahnhof. »Was meinst du mit abkoppeln?«, fragte er.
»Hast du dem Piloten nicht zugehört? Wir sollen unsere Handys ausschalten. Die Dinger stören den Flugbetrieb.«
»Ach das.« Ohne Widerrede kam Wolf der Aufforderung nach, bevor das Geschehen auf dem Vorfeld erneut seine Aufmerksamkeit fesselte.
Zwischenzeitlich hatte sich das Luftschiff vom Haltemast gelöst. Wie von Geisterhand gezogen schwebte es senkrecht nach oben, bevor es langsam Fahrt aufnahm. Interessiert verfolgte Wolf das Startmanöver. Dabei machte er eine höchst überraschende Feststellung: Sein Unbehagen beim Blick in die Tiefe war wie weggeblasen. Wie war das möglich? Hatte er sich seine Flug- und Höhenangst all die Jahre über nur eingebildet? Seine letzte Flugreise fiel ihm wieder ein, nach Teneriffa, oder war es Lanzarote gewesen? Schon auf dem Hinflug war ihm schlecht geworden; die Turbulenzen auf dem Rückflug hatten ihm vollends den Rest gegeben. Zehn Jahre war das jetzt her. Seitdem war er nicht mehr geflogen.
Der Zeppelin als therapeutisches Medium? Sah ganz so aus. Er musste mit Marsberg darüber reden, später, wenn sie wieder am Boden waren.
Bald erreichte der Zeppelin die vorgeschriebene Flughöhe, gemächlich begann er, über Friedrichshafen hinwegzuziehen.
Ganz schön groß, das Kaff, dachte Wolf erstaunt – er hatte die Stadt noch nie aus der Luft gesehen.
Nach und nach ging die dichte Bebauung in offene Landschaft über, Wiesen, Felder und Wälder wechselten einander ab. Der Anblick erinnerte Wolf an einen gigantischen Flickenteppich. Dazwischen lagen immer wieder ausgedehnte Obstanlagen, die dank ihrer strengen Geometrie das scheinbare Chaos wohltuend ordneten.
Dann rückte eine stark befahrene Straße ins Bild, die Bundesstraße 31, die wichtigste Verkehrsader entlang des nördlichen Bodensees. Allen Versprechungen der schwarzen Landesregierungen zum Trotz, den Verkehr über eine neu zu bauende Autobahn aus den Ortschaften herauszuhalten, führte sie bis heute mitten durch Friedrichshafen. Dabei war das Vorhaben alles andere als neu. Schon 1938 hatten die Nazis eine Bodenseeautobahn geplant. Leider war, zusammen mit dem braunen Spuk, auch dieses Projekt in der Versenkung verschwunden. Von oben betrachtet sah alles recht harmlos aus, doch das täuschte. Wer rasch, egal an welchem Wochentag, von Überlingen nach Lindau oder München musste, der konnte ein Lied davon singen.
Unvermittelt legte sich eine Hand auf Wolfs Schulter. »Na, Leo, haben wir dir zu viel versprochen?«, wollte Marsberg wissen.
Wie dieser hatte auch die Mehrzahl der anderen Fluggäste inzwischen ihre Plätze verlassen. Ringsum wurde in unterschiedlichen Sprachen parliert, ausgestreckte Finger deuteten auf mehr oder weniger markante Orte in der Landschaft unter ihnen, und natürlich wurde auf Teufel komm raus fotografiert. Wolf und Marsberg schienen die Einzigen ohne Kameras zu sein.
Wolf, dem vom ständigen Hinausstarren der Nacken schmerzte, stand nun ebenfalls auf. Ein Großteil der Passagiere hielt sich im Heck der Kabine auf, wo ein breites, über die ganze Rückfront der Kanzel reichendes Panoramafenster den ungehinderten Blick auf Friedrichshafen und sein Hinterland erlaubte. Schon wollte sich Wolf dazugesellen, als ihm einfiel, dass Marsberg noch immer auf eine Antwort wartete.
»Ob ihr zu viel versprochen habt, willst du wissen?« Nachdenklich wiegte er den Kopf hin und her. »Nun, wie soll ich sagen, eigentlich ist es … na ja, ganz nett.«
Als Marsberg fragend die Augenbrauen hob, fügte er schnell hinzu: »Jedenfalls entspannter als in einem Flieger.«
Wolf ahnte, dass seine Antwort nicht Marsbergs Erwartungen entsprach. Er hätte sich jedoch lieber die Zunge abgebissen als zuzugeben, dass ihm die Fliegerei mit dem Zeppelin über die Maßen gefiel. Wie hätte das auch zusammengepasst: Vor dem Start ein Schisser, jetzt plötzlich ein Fan?
Überraschenderweise löste seine Antwort bei Marsberg ein Schmunzeln aus. Was eigentlich nur verständlich war, denn die Gebanntheit, mit der er vom Start weg an seinem Fenster geklebt und die unter ihm vorbeiziehende Landschaft förmlich in sich aufgesogen hatte, wäre wohl selbst einem Blinden mit Krückstock nicht verborgen geblieben. Da musste er sich nicht wundern, wenn der Freund seine Antwort für die Untertreibung des Jahres hielt.
Und so ließ denn Marsbergs Antwort auch nicht lange auf sich warten. »Wenn ich ehrlich sein soll, Leo … ›Ganz nett‹ sieht irgendwie anders aus, meinst du nicht?«
»Was willst du damit sagen?«, gab Wolf schwach zurück.
»Nun, könnte es sein …«
»Nein, könnte es nicht.«
»Ach, komm schon, Leo, lass endlich die Katze aus dem Sack. Du fürchtest dich vorm Fliegen. Na und? Es gibt Schlimmeres. Und ein Rundflug mit dem Zeppelin gehört gewiss nicht dazu, im Gegenteil. Hier kann man doch gar keine Flugangst haben, so gemächlich, wie das vorangeht.« Er sah Wolf prüfend an. »Oder täusche ich mich? Vielleicht hätten wir doch ein anderes Präsent für dich finden sollen.«
Wolf druckste herum, ehe er sich zu einer Antwort entschloss. »Ja, stimmt, ich hab Flugangst – zumindest hatte ich sie bis heute Morgen. Die Aussicht, irgendein Fluggerät besteigen zu müssen, hat mir den Angstschweiß auf die Stirn getrieben. Weil das so ist, bin ich schon seit Jahren nicht mehr geflogen. Seit ich jedoch in diesem Zeppelin sitze, ist alles anders. Komisch, nicht wahr? Im Grunde genommen hab ich das euch zu verdanken.«
»Dann ist es ja gut. Obwohl, laut Statistik …«
»Geh mir weg mit Statistik.« Wolf lachte auf. »Da muss ich immer an meinen Nachbarn denken, der ist Jäger. Hat angeblich auf einen Hasen angelegt und zuerst knapp rechts vorbeigeschossen. Der zweite Schuss lag knapp links daneben. Im statistischen Durchschnitt ergäbe das einen toten Hasen, meinte er.«
Nun musste auch Marsberg lachen. »Ein bisschen weit hergeholt, findest du nicht?«
»Ja, vermutlich.«
In der Zwischenzeit hatte das Luftschiff auf Westkurs gedreht. In Sichtweite zum Ufer schwebten sie über die samtblaue Wasserfläche, vorbei an Seemoos, Manzell und Immenstaad, bevor der Pilot zur einer Seeüberquerung ansetzte. Bei Münsterlingen erreichten sie schließlich das schweizerische Ufer, die Firnhänge des Säntis schienen zum Greifen nah. Dann erfolgte abermals ein Kurswechsel, diesmal nach Nordwest. Wenig später rückte der Grenzort Kreuzlingen in ihr Blickfeld, der nahtlos in Konstanz überging.
»Leo, da unten … siehst du die Imperia?« Eindrucksvoll markierte die Statue von Peter Lenk die Konstanzer Hafeneinfahrt.
»Aber sicher, ich bin ja nicht blind. Da hinten ist das Konzilgebäude, dort das Münster und …« Wolf verstummte und hob horchend den Kopf.
»Was ist?«, fragte Marsberg irritiert.
Wolf lauschte noch einmal konzentriert, dann zuckte er mit den Achseln. »Mir war so, als hätte ich meinen Namen gehört.«
Marsberg sah ihn zweifelnd an. »Das sind jetzt aber keine Entzugserscheinungen, oder? Vielleicht solltest du dir von der Stewardess einen