Lady Trents Memoiren 1: Die Naturgeschichte der Drachen
Von Marie Brennan
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Über dieses E-Book
Nun endlich liegt die wahre Geschichte dieser beispiellosen Pionierin vor. In ihren eigenen Worten berichtet Lady Trent über ihre aufregende Expedition in die Berge von Vystrana, wo sie die erste von vielen historischen Entdeckungen machte, die sie und die Welt für immer verändern sollten.
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Lady Trents Memoiren 1 - Marie Brennan
5658
TEIL EINS
In welchem die Schreiberin dieser Memoiren
eine jugendliche Obsession mit Drachen entwickelt
und eine Gelegenheit einfädelt,
dieser Obsession zu frönen
EINS
Grünie – Ein unglückseliger Vorfall mit einer Taube –
Meine Obsession mit Flügeln – Meine Familie –
Der Einfluss von Sir Richard Edgeworth
Als ich sieben Jahre alt war, fand ich auf einer Bank am Rand des Waldes, der die hintere Grenze unseres Gartens bildete, einen toten Funkling, den der Hausmeister noch nicht weggebracht hatte. Voller Aufregung nahm ich ihn mit, um ihn meiner Mutter zu zeigen, doch bis ich sie erreichte, war er in meinen Händen fast völlig zu Asche zerfallen. Mama schrie angeekelt auf und schickte mich zum Händewaschen.
Unsere Köchin, eine große und schlaksige Frau, die dennoch die wundervollsten Suppen und Soufflés herstellte (und so das Gerücht, dass man einem schlanken Koch nicht vertrauen dürfe, Lügen strafte), war diejenige, die mir das Geheimnis verriet, wie man Funklinge nach ihrem Tod konservierte. Sie bewahrte in ihrem Schrank einen auf, den sie für mich herausholte, als ich in der Küche ankam und wegen des Verlusts des Funklings und des Tadels meiner Mutter sehr niedergeschlagen war. »Wie hast du ihn aufbewahren können?«, fragte ich und wischte meine Tränen weg. »Meiner ist in lauter Stücke zerfallen.«
»Essig«, sagte sie, und dieses eine Wort leitete mich auf den Pfad, der mich bis dahin führte, wo ich heute stehe.
Wenn man ihn nach seinem Tod schnell genug findet, kann man einen Funkling (wie viele Leser dieses Bandes zweifellos wissen) konservieren, indem man ihn in Essig einbalsamiert. Ich sprang fest entschlossen zum Suchen in den Garten hinaus und stopfte ein Glas Essig in eine Tasche an meinem Kleid, sodass der Rock ganz schief hing. Der erste, den ich fand, verlor im Konservierungsprozess seinen rechten Flügel, aber ehe eine Woche um war, hatte ich ein intaktes Exemplar: einen Funkling, der anderthalb Zoll lang war und dessen Schuppen in tiefem Smaragdgrün schimmerten. Mit der grenzenlosen Genialität eines Kindes nannte ich ihn Grünie, und er steht bis zum heutigen Tag auf einem Regal in meinem Arbeitszimmer, wo er seine winzigen Flügel ausbreitet.
Funklinge waren nicht die einzigen Dinge, die ich in jenen Tagen sammelte. Ich brachte andauernd andere Insekten und Käfer (denn damals klassifizierten wir Funklinge als Insektenspezies, die einfach Drachen ähnelten, was, wie wir heute wissen, nicht stimmt) und viele weitere Dinge nach Hause: interessante Steine, verlorene Vogelfedern, Bruchstücke von Eierschalen, Knochen jeglicher Art. Mama hatte Wutanfälle, bis ich mit meinem Hausmädchen einen Pakt schloss, dass sie kein Wort über meine Schätze verlieren und ich ihr dafür jede Woche eine zusätzliche Arbeitsstunde geben würde, in der sie sich hinsetzen und die Füße hochlegen konnte. Danach versteckte sich meine Sammlung in Zigarrenschachteln und Ähnlichem, sicher in meinen Schränken verstaut, wo meine Mutter nicht hinschaute.
Ohne Zweifel kam ein Teil meiner Begeisterung davon, dass ich die einzige Tochter unter sechs Kindern war. Weil ich so sehr von Jungen umgeben war und unser Haus recht isoliert im ländlichen Tamshire lag, glaubte ich sicher, dass Kinder einfach immer seltsame Dinge sammelten, unabhängig von ihrem Geschlecht. Die Versuche meiner Mutter, mich zu erziehen, hinterließen ansonsten wenig Eindruck, befürchte ich. Etwas von meinem Interesse kam auch von meinem Vater, der sich wie jeder Gentleman zu jener Zeit moderat über Entwicklungen auf allen Gebieten informiert hielt: Recht, Theologie, Wirtschaft, Naturkunde und mehr.
Der Rest davon war, wie ich mir einbilde, angeborene Neugier. Ich saß oft in der Küche (wo ich sein durfte, ja, sogar dazu ermutigt wurde, nur weil das bedeutete, dass ich mich nicht draußen schmutzig machte und meine Kleider ruinierte) und stellte der Köchin Fragen, wenn sie ein totes Huhn für eine Suppe häutete. »Warum haben Hühner Wunschknochen?«, fragte ich sie eines Tages.
Eines der Küchenmädchen antwortete mir im albernen Tonfall einer Erwachsenen, die mit einem Kind spricht. »Damit man sich etwas wünschen kann!«, und sie gab mir fröhlich einen, der bereits getrocknet war. »Du nimmst eine Seite davon …«
»Ich weiß, was wir damit tun«, schnitt ich ihr ungeduldig und recht taktlos das Wort ab. »Aber deshalb haben Hühner so etwas nicht, oder dieses Huhn hätte sich bestimmt gewünscht, nicht als unser Abendessen im Topf zu landen.«
»Himmel, Kind, ich weiß nicht, warum sie ihnen wachsen«, sagte die Köchin. »Aber man findet sie in allen Arten von Vögeln – Hühnern, Truthähnen, Gänsen, Enten und so weiter.«
Die Erkenntnis, dass alle Vögel diese Eigenschaft teilten, war faszinierend, etwas, das ich nie zuvor bedacht hatte. Meine Neugier trieb mich bald zu einer Tat, bei deren Andenken ich heute noch erröte, nicht wegen der Tat selbst (weil ich seither viele Male ähnliche Dinge getan habe, wenn auch auf eine sorgfältigere und wissenschaftlichere Art), sondern wegen der heimlichen und naiven Weise, wie ich sie ausführte.
Auf meinen Wanderungen fand ich eines Tages eine Taube, die tot unter eine Hecke gestürzt war. Sofort erinnerte ich mich daran, was die Köchin gesagt hatte, dass alle Vögel Wunschknochen hatten. Sie hatte auf ihrer Liste keine Tauben aufgezählt, aber Tauben waren Vögel, oder nicht? Vielleicht würde ich herausfinden, wozu sie dienten, weil ich es noch nicht herausgefunden hatte, indem ich am Esstisch beobachtet hatte, wie ein Bediensteter eine Gans zerlegte.
Ich nahm die Leiche der Taube und versteckte sie hinter dem Heuschober neben der Scheune, dann stahl ich mich hinein und klaute ein Taschenmesser von Andrew, meinem nächstälteren Bruder, ohne dass er es bemerkte. Als ich wieder draußen war, machte ich mich an meine Erforschung der Taube.
In meiner Herangehensweise an diese Arbeit war ich organisiert, wenn auch nicht ganz vernünftig. Ich hatte die Dienstmädchen Vögel für die Köchin rupfen gesehen, deshalb verstand ich, dass der erste Schritt war, die Federn zu entfernen – eine Aufgabe, die sich als schwieriger erwies, als ich erwartet hatte, und als fürchterlich schmutzig. Sie erlaubte mir allerdings zu sehen, wie der Federschaft in seinen Follikel (ein Wort, das ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte) passte, und die unterschiedlichen Arten an Federn zu betrachten.
Als der Vogel mehr oder weniger nackt war, verbrachte ich einige Zeit damit, seine Flügel und Füße zu bewegen, um zu sehen, wie sie funktionierten – und in Wahrheit, um mich für das zu wappnen, was ich als Nächstes zu tun beschlossen hatte. Schließlich besiegte die Neugier meinen Ekel und ich nahm das Taschenmesser meines Bruders, setzte es auf der Haut des Vogelbauchs an und schnitt.
Der Gestank war entsetzlich – im Nachhinein bin ich mir sicher, dass ich die Eingeweide perforiert hatte –, aber meine Faszination war ungebrochen. Ich untersuchte die Fleischklumpen, die herauskamen, und wusste bei den meisten nicht, was sie waren, denn für mich waren Leber und Nieren Dinge, die ich bisher nur auf einer Servierplatte gesehen hatte. Ich erkannte allerdings den Darm und vermutete, was die Lungen und das Herz waren. Nachdem mein Ekel besiegt war, setzte ich mein Werk fort, zog die Haut ab, zupfte an Muskeln und sah, wie alles zusammenhing. Ich deckte die Knochen einen nach dem anderen ab und bewunderte, wie fein die Flügel gebaut waren und wie breit das Sternum wirkte.
Ich hatte gerade den Wunschknochen entdeckt, als ich hinter mir einen Schrei hörte, mich umwandte und sah, wie mich ein Stalljunge entsetzt anstarrte.
Während er wegrannte, versuchte ich hektisch, mein Chaos zu beseitigen, und zerrte Heu über die zerstückelte Leiche der Taube, war aber so verstört, dass dies hauptsächlich darin resultierte, dass ich noch schlimmer aussah als zuvor. Zu dem Zeitpunkt, als Mama den Ort des Geschehens erreichte, war ich von Blut und Taubenfleischbrocken, Federn und Heu und mehr als nur einigen Tränen bedeckt.
Ich möchte meine Leser nicht mit einer detaillierten Beschreibung der Behandlung, die ich in diesem Moment erhielt, belasten. Die Abenteuerlustigeren unter Ihnen haben nach ihren eigenen Eskapaden zweifellos ähnliche Züchtigungen erlebt. Am Ende fand ich mich im Arbeitszimmer meines Vaters wieder, wo ich sauber und mit verschämter Miene auf seinem Akhiateppich stand.
»Isabella«, sagte er mit tadelnder Stimme, »was ist nur in dich gefahren, dass du so etwas tust?«
Es strömte alles in einem Redeschwall heraus, dass ich die Taube gefunden hatte (ich versicherte ihm immer wieder, dass sie tot gewesen war, als ich sie entdeckt hatte, und dass ich sie ganz sicher nicht getötet hatte) und meine Neugier, was den Wunschknochen betraf – ich redete und redete, bis Papa näher kam, sich vor mich hinkniete, mir eine Hand auf die Schulter legte und mich schließlich zum Schweigen brachte.
»Du wolltest wissen, wie es funktioniert?«, fragte er.
Ich nickte, weil ich mich nicht zu sprechen traute, damit der Wortschwall nicht dort weitermachte, wo er aufgehört hatte.
Er seufzte. »Dein Benehmen war für eine junge Lady nicht angemessen. Verstehst du das?« Ich nickte. »Dann lass uns sicherstellen, dass du dich daran erinnerst.« Mit einer Hand drehte er mich um und mit der anderen verabreichte er meinem Hintern drei kurze Schläge, die die Tränen wieder laufen ließen. Als ich mich wieder unter Kontrolle hatte, stellte ich fest, dass er mich alleine gelassen hatte, um mich zu sammeln, und zur Wand seines Arbeitszimmers gegangen war. Die Regale dort waren voller Bücher, von denen einige, wie ich vermutete, so viel wogen wie ich selbst. (Das war natürlich bloße Einbildung. Das schwerste Buch in meiner derzeitigen Bibliothek, mein eigenes De draconum varietatibus, wiegt bloße zehn Pfund.)
Der Band, den er herunterholte, war viel leichter, wenn auch dicker als alles, was man einem siebenjährigen Kind für gewöhnlich geben würde. Er drückte ihn mir in die Hand und sagte: »Deine Mutter wäre nicht glücklich, dich damit zu sehen, nehme ich an, aber mir ist lieber, du lernst aus Büchern als aus Experimenten. Jetzt hinaus mit dir und zeige das nicht deiner Mutter.«
Ich machte einen Knicks und floh.
Wie Grünie steht dieses Buch immer noch auf meinem Regal. Mein Vater hatte mir Gotherhams Anatomie der Vögel gegeben, und obwohl unser Verständnis für dieses Thema sich seit Gotherhams Tagen wesentlich verbessert hat, war es zu dieser Zeit eine gute Einführung für mich. Der Text war mir nur halb verständlich, aber ich verschlang die Hälfte, die ich verstehen konnte, und dachte fasziniert und verwirrt über den Rest nach. Das Beste waren die Diagramme, dünne, sorgfältige Zeichnungen von Vogelskeletten und Muskulatur. Aus diesem Buch lernte ich, dass die Funktion des Wunschknochens (oder, genauer gesagt, der Furcula) ist, das Thoraxskelett von Vögeln zu stärken und Haltepunkte für die Flügelmuskeln zu bieten.
Es schien so einfach, so offensichtlich: Alle Vögel hatten Wunschknochen, weil alle Vögel fliegen konnten. (Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nichts von Straußen, genau wie Gotherham.) Kaum eine geniale Folgerung auf dem Feld der Naturkunde, aber für mich war sie wirklich genial und eröffnete mir eine Welt, die ich nie zuvor betrachtet hatte: eine Welt, in der man Muster und ihre Umstände beobachten und daraus Schlüsse ziehen konnte, die mit bloßem Auge nicht sichtbar waren.
Flügel waren wahrlich meine erste Obsession. In jenen Tagen machte es für mich keinen großen Unterschied, ob die entsprechenden Flügel einer Taube oder einem Funkling oder einem Schmetterling gehörten. Der springenden Punkt war, dass diese Wesen fliegen konnten, und dafür verehrte ich sie. Ich sollte hier wohl erwähnen, dass Mr. Gotherham, obwohl sich sein Text mit Vögeln befasst, gelegentlich faszinierende Verweise auf analoge Strukturen oder Verhaltensweisen bei den Drachen macht. Weil man (wie ich schon erwähnt habe) damals Funklinge als eine Insektenart klassifizierte, könnte man dies als meine erste Einführung in die wundersame Welt der Drachen zählen.
Ich sollte zumindest kurz von meiner Familie erzählen, denn ohne sie wäre ich nicht zu der Frau geworden, die ich heute bin.
Ich vermute, dass Sie bereits einen gewissen Eindruck von meiner Mutter haben. Sie war eine aufrechte und ordentliche Frau ihrer Klasse und versuchte ihr Bestes, um mir das Benehmen einer Lady beizubringen, doch niemand kann das Unmögliche erreichen. Jegliche Schwächen in meinem Charakter dürfen nicht ihr zur Last gelegt werden. Was meinen Vater betrifft, so hielten ihn seine Geschäfte oft fern von daheim, und so war er für mich eine distanziertere Gestalt und vielleicht gerade deshalb auch toleranter. Er hatte den Luxus, mein Fehlverhalten als liebenswerte Schrullen in der Persönlichkeit seiner Tochter betrachten zu können, während meine Mutter die Unordnung und die ruinierten Kleider beseitigen musste, die diese Schrullen verursachten. Ich blickte zu ihm auf, wie man zu einem kleineren heidnischen Gott aufblicken würde, sehnte mich ernsthaft nach seinem Wohlwollen, war mir aber nie ganz sicher, wie ich ihn gewogen stimmen konnte.
Was Geschwister betrifft, war ich, wie gesagt, das vierte in einer Familie mit sechs Kindern und die einzige Tochter. Die meisten meiner Brüder werden, auch wenn sie für mich persönlich wichtig sind, in dieser Geschichte nicht oft vorkommen. Ihre Leben sind mit meiner Karriere nicht besonders verflochten.
Die Ausnahme ist Andrew, den ich bereits erwähnte. Er ist derjenige, dem ich das Taschenmesser geklaut hatte. Er war mehr als alle anderen mein ernsthafter Partner in all den Dingen, an denen meine Mutter verzweifelte. Als Andrew von meinem blutigen Experiment hinter dem Heuschober hörte, war er so beeindruckt, wie es nur ein achtjähriger Junge sein kann, und bestand darauf, dass ich das Messer als Trophäe für meine Taten behielt. Ich habe es nicht mehr. Es hätte einen Ehrenplatz neben Grünie und Gotherham verdient, aber ich verlor es in den Sümpfen von Mouleen. Allerdings nicht, ehe es mir das Leben rettete, als es mich aus den Ranken freischnitt, mit denen mich meine Labane-Häscher gefesselt hatten, und so bin ich Andrew für dieses Geschenk auf ewig dankbar.
Ich bin ihm außerdem für seine Hilfe während unserer Kindertage dankbar, wo er für mich die Privilegien der Jungen ausübte. Wenn unser Vater nicht in der Stadt war, lieh sich Andrew Bücher aus seinem Arbeitszimmer, damit ich sie benutzen konnte. Texte, für die ich selbst nie die Erlaubnis bekommen hätte, fanden so ihren Weg in mein Zimmer, wo ich sie zwischen den Matratzen oder hinter meinem Kleiderschrank versteckte. Mein neues Hausmädchen hatte zu viel Angst, mit hochgelegten Beinen erwischt zu werden, um auf die alte Vereinbarung einzugehen, aber sie war Süßigkeiten zugetan, und so einigten wir uns auf einen neuen Handel, und ich las zu mehr als einer Gelegenheit bis tief in die Nacht.
Die Bücher, die er für mich auslieh, betrafen natürlich beinahe alle Naturkunde. Mein Horizont erweiterte sich von seinem geflügelten Anfang auf alle Arten: Säugetiere und Fische, Insekten und Reptilien, Pflanzen jeglicher Art, denn in jenen Tagen war unser Wissen noch allgemein genug, dass man von einem Mann (oder in meinem Fall einer Frau) erwarten konnte, sich mit dem gesamten Gebiet vertraut zu machen.
Einige Bücher erwähnten Drachen. Sie taten das nie ausführlicher als in kurzen Exkursen, knappen Absätzen, die wenig mehr taten, als meinen Appetit auf mehr Informationen anzustacheln. An mehreren Stellen allerdings fand ich Bezüge auf ein bestimmtes Werk: Sir Richard Edgeworths Eine Allgemeine Drachenkunde. Carrigdon & Rudge sollten es angeblich bald neu auflegen, wie ich aus ihrem Herbstkatalog erfuhr. Ich riskierte sehr viel, indem ich mich in das Arbeitszimmer meines Vaters schlich, um dieses Heft offen hinzulegen, sodass die Seite, die die Neuauflage bewarb, aufgeschlagen war. Sie beschrieb Eine Allgemeine Drachenkunde als »das unverzichtbarste Grundlagenwerk über Drachen, das in unserer Sprache verfügbar ist«. Sicher würde das reichen, um meinem Vater ins Auge zu fallen.
Mein Risiko zahlte sich aus, denn es war bei der nächsten Lieferung an Büchern, die wir erhielten, dabei. Ich konnte es nicht sofort haben – Andrew wollte nichts ausleihen, was unser Vater noch nicht gelesen hatte –, und das Warten machte mich beinahe wahnsinnig. Im frühen Winter aber übergab mir Andrew das Buch in einem Korridor und sagte: »Er hat es gestern fertig gelesen. Lass dich nicht damit erwischen.«
Ich war auf meinem Weg in den Salon für meinen wöchentlichen Unterricht am Pianoforte, und wenn ich wieder in mein Zimmer hinaufgegangen wäre, wäre ich zu spät gekommen. Stattdessen huschte ich weiter und versteckte das Buch, nur Sekunden ehe mein Lehrer eintrat, unter einem Kissen. Ich zeigte ihm meinen schönsten Knicks und mühte mich danach redlich, nicht zum Diwan zu sehen, von wo aus ich spüren konnte, wie mich das ungelesene Buch neckte. (Ich würde sagen, mein Spiel litt unter der Ablenkung, aber für etwas so Schreckliches ist es schwierig, noch schlechter zu werden. Obwohl ich Musik schätze, könnte ich bis zum heutigen Tag keinen Ton halten, wenn man ihn zur Aufbewahrung an mein Handgelenk binden würde.)
Sobald ich aus meinem Unterricht entkommen war, begann ich sofort mit dem Buch und machte kaum Pausen, außer um es zu verstecken, wenn nötig. Ich kann mir vorstellen, dass es heutzutage nicht mehr so bekannt ist wie damals, weil es von anderen, vollständigeren Werken verdrängt wurde, also könnte es für meine Leser schwierig sein, sich vorzustellen, wie faszinierend es mir damals vorkam. Edgeworths Identifikationsmerkmale für »Echte Drachen« waren ein nützlicher Ausgangspunkt für viele von uns, und seine Auflistung an qualifizierten Spezies ist umso beeindruckender, weil sie durch Korrespondenz mit Missionaren und Händlern zusammengestellt wurde anstatt durch eigene Beobachtungen. Er befasste sich außerdem mit der Frage der »Unechten Drachen«, nämlich jener Kreaturen, wie zum Beispiel Wyvernen, die das eine oder andere Kriterium nicht erfüllten und doch (nach den Theorien jener Zeit) Äste am gleichen Stammbaum zu sein schienen.
Der Einfluss, den dieses Buch auf mich hatte, kann abgeschätzt werden, wenn ich sage, dass ich es viermal vom Anfang bis zum Ende las, weil einmal sicher nicht reichte. Gerade so, wie manche Mädchen in diesem Alter nach Pferden und reiterlichen Abenteuern verrückt sind, so wurde ich drachenverrückt. Dieser Ausdruck beschrieb mich gut, weil er nicht nur zum Hauptaugenmerk meines Erwachsenenlebens führte (was wahrlich mehr als nur ein paar Aktionen hier und da einschloss, die man für wahnsinnig halten könnte), sondern auch direkt zu der Handlung, die ich kurz nach meinem vierzehnten Geburtstag beging.
ZWEI
Erpressung – Waghalsige Dummheit –
Ein noch unglückseligerer Vorfall mit einem Wolfsdraken –
Der Beinaheverlust des schulterfreien Kleides
In jenen Tagen wussten wir schrecklich wenig über Drachen, weil es in Scirland keine Echten Drachen gab und das Feld der Naturkunde erst langsam seine Aufmerksamkeit auf das Ausland richtete. Ich war allerdings sehr wohl mit den verfügbaren Informationen über jene unbedeutenderen Vettern der Drachen, die in unserem eigenen Land immer noch zu finden sind, vertraut, und kein Befehl oder irgendeine Geldsumme hätte mich davon überzeugen können, eine Gelegenheit verstreichen zu lassen, mehr aus erster Hand zu erfahren.
Als mich also die Neuigkeit erreichte, dass ein Wolfsdrake auf unserem Besitz gesichtet worden war, und zwar nicht einmal, sondern mehrfach und von verschiedenen Augenzeugen, und dass er Schafe gerissen hatte, kann man sich wohl vorstellen, wie mein Interesse stieg. Der Name ist natürlich recht fantasievoll. Sie haben keine Ähnlichkeit mit Wölfen, abgesehen von ihrer Tendenz, Nutztiere als ihre rechtmäßigen Mahlzeiten zu betrachten. Heutzutage sind sie in Scirland selten, und damals waren sie schon nicht häufig. In unserer Gegend hatte man seit Generationen keinen mehr gesichtet.
Wie konnte ich diese Chance verstreichen lassen?
Zuerst aber musste ich einen Weg finden, um die Bestie zu sehen. Papa machte sich sofort daran, eine Jagd zu organisieren, genau wie er es bei einem Wolf getan hätte, der für Ärger sorgte. Hätte ich allerdings um Erlaubnis ersucht mitzureiten – wie es Andrew ohne Erfolg tat –, hätte man sie mir absolut verweigert. Ich war vernünftig genug, um einzusehen, dass es fruchtlos gewesen wäre, alleine hinauszureiten und zu hoffen, den Wolfsdraken zu sichten – und höchst gefährlich, falls nicht. Meine Sehnsucht zu erfüllen, würde daher ernsthafterer Mühen bedürfen.
Ein Teil der Ehre – oder vielleicht der Schuld – für das, was folgte, gebührt zumindest Amanda Lewis, deren Familie in meiner Jugend unser nächster Nachbar war. Mein Vater und Mr. Lewis waren gute Freunde, aber man konnte nicht dasselbe über meine Mutter und Mrs. Lewis behaupten, und dies schuf einen gewissen Grad an Spannungen, wann immer uns gesellschaftliche Anlässe zusammenbrachten – besonders in Anbetracht von Mamas Missbilligung ihrer Tochter.
Amanda war ein Jahr älter als ich und das einzige Mädchen im Tal von Tam River in ungefähr meinem Alter und von ähnlichem Status. Zum unendlichen Ärger meiner Mutter war sie auch das, was die jungen Leute heutzutage cool nennen – sehr unanständig auf eine Weise, die Amanda für modern hielt. (Ich war nie cool. Meine Unanständigkeit war immer völlig unmodern.) Aber weil ich sonst niemanden hatte, mit dem ich mich unterhalten konnte, konnte Mama es mir kaum verbieten, die Familie Lewis zu besuchen, und so wurde Amanda meine engste Freundin, bis die Heirat uns beide fortbrachte.
Am Tag, als wir von dem Wolfsdraken erfuhren, marschierte ich die zwei Meilen zu ihrem Haus hinunter, um ihr die Neuigkeiten mitzuteilen, und meine Situation befeuerte sofort ihre lebhafte Fantasie. Amanda presste ein Buch an ihre Brust, holte erfreut Luft und sagte, während ihre Augen voller Übermut funkelten: »Oh, aber es ist einfach! Du musst dich als Junge verkleiden und mitreiten!«
Damit niemand denkt, ich würde den Namen meiner Kindheitsfreundin beschmutzen, indem ich ihr diesen Vorfall in die Schuhe schiebe, muss ich allen versichern, dass ich, nicht sie, diejenige war, die eine Möglichkeit fand, ihre Idee praktisch umzusetzen. So ist es bei mir oft gelaufen: Ideen, die zu verrückt sind, als dass jemand anders sie ernst genommen hätte, sind genau die Ideen, auf die ich mich stürze und nach denen ich handle, oft auf die organisierteste und vernünftigste Weise. (Ich sage dies nicht aus Stolz, denn es ist eine sehr dumme Angewohnheit, die mich mehr als einmal beinahe umgebracht hätte, sondern aus Ehrlichkeit. Wenn man das, was mein Gatte meine derangierte Zweckmäßigkeit nannte, nicht versteht, wird sehr wenig von meiner Lebensgeschichte auch nur den geringsten Sinn ergeben.)
Also war Mandas Ausruf der Funke. Der Zunder und Span, die ihn zu einer Feuersbrunst machten, waren alleine mein Tun. So lief es also.
Es gab eine Anzahl junger Männer, die auf unserem Gut anfallende Arbeiten übernahmen, hauptsächlich draußen. Ich stand ihnen generell nicht nahe, aber da war einer, Jim, den ich in der Hand hatte. Genauer gesagt hatte ich ihn einmal in höchst kompromittierenden Umständen mit einem unserer Küchenmädchen ertappt. Ich selbst war dazu unterwegs gewesen, einen kleinen und faszinierenden Schädel, den ich nicht identifizieren konnte, zu verstecken, aber weil ich ihn unter meinem Rock verborgen hatte, konnte Jim meine eigenen kompromittierenden Umstände nicht erkennen. Daher schuldete er mir einen Gefallen, und ich beschloss, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, diesen einzufordern.
Mich auf die Jagd mitzunehmen, war natürlich ein Vergehen, für das er ohne Referenzen hinausgeworfen werden konnte. Ich hätte allerdings dasselbe erreichen können, indem ich von seinem Techtelmechtel mit der Magd erzählt hätte, und obwohl ich das nie getan hätte, ließ ich ihn glauben, dass ich es tun würde. Man mag das schrecklich von mir finden, und ich erröte jetzt noch, wenn ich mich an meine Erpressung erinnere, aber ich werde nicht vorgeben, dass ich damals solche Skrupel hatte. Ich bestand darauf, dass Jim mich auf die Jagd mitnehmen musste.
Hier diente die kühle Distanz zwischen meiner Mutter und Mrs. Lewis meinem Zweck hervorragend. Amanda erzählte Mama, dass sie mich für einen Nachmittag und Abend zu sich nach Hause eingeladen hätte und ich am Morgen zurückkehren würde, und Mama, die wenig Lust verspürte, mit ihrer Nachbarin zu korrespondieren, gab die Erlaubnis, ohne Fragen zu stellen. Deshalb kam Amanda an dem Morgen, als die Jagd beginnen sollte, mit einem Bediensteten zu unserem Anwesen und gab vor, dass ich einige Zeit mit ihrer Familie verbringen würde.
Eine kurze Strecke die Straße hinunter zügelten wir unsere Pferde und ich nickte ihr von meinem Sattel aus zu, während ihr Bediensteter verwirrt zusah. »Danke, Manda.«
Ihre Blicke tanzten beinahe. »Du musst mir alles darüber erzählen, wenn es vorbei ist!«
»Sicher«, antwortete ich, obwohl ich wusste, dass die Geschichte sie wahrscheinlich nach kurzer Zeit langweilen würde, wenn ich nicht eine aufregende Romanze während der Jagd hinzudichtete. Amandas Geschmack an Lesestoff erstreckte sich auf Groschenromane, nicht Naturkunde.
Ich ließ sie zurück, um sich mit den Mitteln, die sie für angemessen hielt, mit dem Bediensteten auseinanderzusetzen, und ritt über Feldwege zu dem Feld, wo sich die Jagdgesellschaft versammelte. Jim wartete bei einer tiefer gelegenen Quelle auf mich, wie wir es verabredet hatten.
»Ich habe ihnen erklärt, dass Sie mein Cousin und zu Besuch hier sind«, sagte er und übergab mir einen Stapel Kleider. »Es ist da drüben wie im Irrenhaus – Leute von überall. Niemand wird es seltsam finden, wenn Sie sich uns anschließen.«
»Ich brauche nur einen Moment«, sagte ich zu ihm und schlich zu einer Stelle, wo er mich nicht sehen konnte. Während ich ständig über meine Schultern sah, für den Fall, dass er mir gefolgt wäre, wechselte ich aus meiner eigenen Reitkleidung in die viel rauere Jungenkleidung, die er mir mitgebracht hatte. (Worte können, wie ich hinzufügen sollte, nicht ausdrücken, wie seltsam es war, zum ersten Mal eine Hose zu tragen. Ich fühlte mich halb nackt. Seither trug ich sie zu vielen Gelegenheiten – weil Hosen viel praktischer zum Drachenjagen sind als Röcke –, aber ich brauchte viele Jahre, um mich daran zu gewöhnen.)
Man muss ihm zugutehalten, dass Jim errötete, als er mich so skandalös gekleidet sah. Er war ein guter Kerl. Aber er half mir, mein Haar unter eine Kappe zu stecken, und als es verborgen war, gab ich, glaube ich, einen passablen Jungen ab. Ich war damals noch im Wachstum und bestand ganz aus schlaksigen Armen und Beinen und noch nicht der Rede werten Hüften und Brüsten.
(Und warum, das frage ich alle, sollte sich mein Herausgeber bei mir über solche Worte beschweren, wo ich doch mehrere Bücher geschrieben habe, in denen ich die Anatomie und Fortpflanzung der Drachen in weitaus drastischeren Ausdrücken beschreibe? Er wird diese Bemerkung nicht beibehalten wollen, wie ich voraussehe, aber ich werde ihn dazu bringen. Mein Alter und mein Status bringen Vorteile.)
Der verblüffendste Teil des Morgens kam allerdings, als Jim mir ein Gewehr übergab. Er sah meinen Gesichtsausdruck und sagte: »Sie wissen nicht, wie man so eines benutzt, oder?«
»Warum sollte ich?«, war meine Antwort, und ich sprach sie in einem etwas schärferen Tonfall aus, als er verdiente. Immerhin war ich diejenige, die darauf bestanden hatte, Jungenkleidung anzuziehen. Es war wohl kaum gerecht, dass ich jetzt die beleidigte Dame spielen sollte.
Er ging darüber hinweg. »Na ja, es ist ziemlich einfach – man legt das hier an seine Schulter, zielt in die Richtung …« Er verstummte. Ich vermute, dass er, wie ich, sich die potenziellen Konsequenzen vorstellte, wenn ich mitten in einer chaotischen Jagd tatsächlich eine Waffe abgefeuert hätte.
»Lassen wir das einfach ungeladen, einverstanden?«, fragte ich, und er sagte: »Ja, das machen wir.«
Und so kam es, dass ich auf der Jagd nach einem Wolfsdraken mitritt, als Junge verkleidet, mein Haar unter einer Kappe und ein ungeladenes Gewehr in meiner Hand, auf meiner Stute Bossy, die überall mit Schmutz eingerieben war, um ihr glänzendes Fell zu tarnen. Jim hatte es mit Recht ein Irrenhaus genannt: Trotz Papas aufrichtiger Mühen war es eine unorganisierte Angelegenheit mit viel zu vielen Leuten dabei. Wenige Männer wollten ihre Gelegenheit verpassen, einen Wolfsdraken zu jagen.
Der Tag war recht schön, und ich konnte meine Aufregung kaum verbergen, als wir losritten. Die Gebiete, in denen man den Wolfsdraken gesichtet hatte, waren nicht schrecklich weit von unserem Gutshaus entfernt, weshalb sich Papa so schnell darum gekümmert hatte, die Jagd zu organisieren, aber wir hatten trotzdem einige Entfernung zurückzulegen.
Unser Besitz bestand hauptsächlich aus felsigem, hügeligem Boden, der für Schafe besser als für alles andere geeignet war, doch wir hatten einige Bauern als Pächter im Tal des Tam River. Das Anwesen stand genau am nördlichen Rand dieses Tals. Wäre man nach Osten oder Westen geritten, wäre das Gelände sanfter geworden, aber unser Pfad führte uns nach Norden, wo das Land schnell zu einem Gebiet anstieg, das zu steil war, um es urbar zu machen. Dort dominierten immer noch Kiefern, und in deren Schatten versteckte sich angeblich der Wolfsdrake.
Ich hielt mich wie angeklebt an Jims Seite und gab vor, schüchtern zu sein, sodass ich nicht mehr Fragen als nötig beantworten musste. Ich vertraute nicht darauf, dass meine Stimme als männlich durchgehen würde, obwohl ich eindeutig ein bartloser Junge sein sollte. Jim kümmerte sich in dieser Hinsicht gut um mich und sprach genug, dass niemand sonst zu Worte kam – obwohl das Geplauder vielleicht an seinen Nerven lag. Er hatte Grund genug, besorgt zu sein.
Wir erreichten den Wald im Norden kurz nach Mittag, woraufhin die Anführer begannen, die Jagd einzuteilen. »Schnell, reite zu Simpkin«, sagte ich und drängte Jim von meinem Vater und anderen Männern fort, die mich vielleicht erkannt hätten.
Ich schloss aus den Bruchstücken von Gesprächen, die ich