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Fallstricke: Österreich Krimi
Fallstricke: Österreich Krimi
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eBook288 Seiten3 Stunden

Fallstricke: Österreich Krimi

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Über dieses E-Book

Der Lokalreporter Michael Wörner führt ein beschauliches Leben. Ein Haus mit Garten, eine wundervolle Frau und ein aufgewecktes Kind. Das ändert sich, als der Landespolitiker Fuhrmann mit aufgeschnittener Kehle nahe einem gerade neu eröffneten Aussichtsturm aufgefunden wird. An möglichen Motiven mangelt es nicht, und schon gar nicht an potentiellen Tätern: Parteifreunde, politische Gegner, Wirtschaftsleute und Personen aus Fuhrmanns persönlichem Umfeld. Wörner beginnt zu recherchieren, doch je tiefer er in diese Welt voll Hinterlist, Täuschung, Lüge und Verbrechen eindringt, desto stärker begibt er sich in persönliche Gefahr...

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum9. Sept. 2014
ISBN9783902784841
Fallstricke: Österreich Krimi
Autor

Michael Koller

Michael Koller, geboren am 14. März 1972, lebt in Hoheneich bei Gmünd im Waldviertel. Nach Abschluss der Handelsakademie war er in unterschiedlichen Berufszweigen tätig und lernte so den Facettenreichtum des Lebens bestens kennen. Seine Leidenschaft war und ist das Schreiben. Zeitungsartikel, Kurzgeschichten, Gedichte, Romane und Internetblogs umreißen das Repertoire des Enfant Terribles der Waldviertler Schreibzunft.

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    Buchvorschau

    Fallstricke - Michael Koller

    2

    Tag 1

    Der Klingelton bohrte sich in meinen Kopf. Durch jede Windung meines Gehirns. Mit geschlossenen Augen tastete ich über den Nachttisch. Bis ich das Handy endlich in den Händen hielt. Es musste noch sehr früh am Morgen sein. Zumindest ließ mein schlaftrunkener Zustand diese Annahme zu. Langsam öffnete ich die Augen und drückte die Taste mit dem grünen Telefonhörer. So viel konnte ich gerade noch auch ohne meine Brille erkennen. Den Schriftzug auf dem Display, der den Anrufer ankündigte, jedoch nicht.

    »Hallo?«, murmelte ich vor mich hin. Das Telefon nur halb am Ohr.

    »Mach, dass du aus dem Bett kommst!«, befahl die Stimme am anderen Ende der Leitung. Es war der Chefredakteur der Zeitung, bei der ich als Reporter arbeitete. Peter Hollaus. Was wollte er bloß an einem Sonntagmorgen von mir? »Im Naturpark ist eine Leiche gefunden worden. Mit durchgeschnittener Kehle. Beim Polizeifunk hat sich einer verplappert. Der Tote ist allen Anschein nach Ernst Fuhrmann.« Unvermittelt fuhr ich hoch. Meine Sinne waren mit einem Schlag zurückgekehrt und endgültig dem Reich der Träume entflohen. Ich räusperte mich.

    »Fuhrmann? Aber den habe ich gestern Abend noch gesehen. Bei der Turmeröffnung.« Bevor ich weitersprechen konnte, fiel mir Peter ins Wort.

    »Und die ist ihm anscheinend nicht gut bekommen.« Er hatte keinen allzu scharfen Sinn für Humor. »Wie auch immer. Du wohnst ja gleich um die Ecke. Ich will, dass du da sofort hinfährst und dich umsiehst. Mach Fotos. Rede mit den Polizisten und den anderen Kollegen, die sicher schon wieder vor uns da sind. Das komplette Programm. Ich rufe dich später für weitere Infos an. Und jetzt raus aus den Federn!«

    Die Verbindung wurde unterbrochen. Ich legte das Handy hin und setzte meine Brille auf. Dann stieg ich aus dem Bett und öffnete die Vorhänge. Ein Blick auf den Radiowecker verriet mir, dass es zwanzig Minuten nach sieben war. Meine Frau Susan war bereits weg. Ihre Schicht im Krankenhaus begann um Punkt sieben Uhr. Ich schlüpfte in meine Hausschuhe und begab mich ins Bad. Unsere beiden Katzen schliefen auf der kleinen Bank im Vorzimmer.

    Während ich mir die Zähne putzte und mich rasierte, versuchte ich mich an die gestrigen Ereignisse zu erinnern. An die Eröffnung des neuen Aussichtsturms im Naturpark »Steinheide«, die von zahlreicher regionaler Prominenz aus Politik und Wirtschaft besucht worden war. Auch von Landrat Ernst Fuhrmann, der die Festrede gehalten hatte. Und nun nicht mehr am Leben war. Ich ging ins Obergeschoß unseres Einfamilienhauses und öffnete vorsichtig die Tür zum Kinderzimmer. Meine kleine Tochter Julia lag noch in ihrem Bettchen, die kuschelige Decke über ihr Kinn gezogen. Ich betrachtete sie eine Weile mit stolzem Blick und machte dann wieder kehrt. Julia war gerade sieben Jahre alt geworden, und sie freute sich schon auf ihr zweites Schuljahr nach den Sommerferien. Ich ging zurück ins Schlafzimmer und kleidete mich an. Dann rief ich Gerti Wallner, unseren guten Geist aus der Nachbarschaft an. Wir waren seit vielen Jahren miteinander befreundet, und sie half mir immer wieder mal aus der Patsche. Ohne große Erklärungen abzuwarten, versprach sie, gleich rüber zu kommen, um Julia Gesellschaft zu leisten. Nach diesem Gespräch informierte ich auch meine Frau, ohne jedoch zu sehr ins Detail über die Gründe meines Ausflugs zu gehen. Das hatte bis zum Abend Zeit. Zudem wusste ich ja auch selbst so gut wie nichts.

    Ich warf Notebook, Digitalkamera, Diktiergerät und Schreibblock in meine kleine Umhängetasche. Als ich mir gerade die Schnürsenkel band, läutete es an der Tür. Ich öffnete und begrüßte Gerti. Sie war im Herbst sechzig geworden. Auf mich wirkte sie eher wie fünfundvierzig. Voll von Lebensgeist, Tatendrang und Freude. All die Schicksalsschläge, die ihr Leben begleiteten, hatten ihr nichts anhaben können. Nur der Tod ihres Mannes hatte leichte Spuren hinterlassen. Spuren, die sie nicht wegwischen konnte. Sie war von mittlerer Statur und hatte krauses Haar. Hinter ihrer spitzbübischen Miene verbargen sich die Würde und Erhabenheit, die die pensionierte Volksschuldirektorin zeitlebens ausgestrahlt hatte. Ich küsste sie auf die Wange, schnappte die Tasche und bedankte mich. Es bedurfte keinerlei Einweisungen. Gerti Wallner kannte sich hier bald besser aus als ich selbst.

    Dann war ich auch schon weg. Ich war in Eile. Ich schritt durch den Garten zur Garage. Vorbei an der hohen Hecke, die zur Straße hin angepflanzt war. Vorbei an den reifen Obstbäumen.

    Es war ein strahlend schöner Morgen. Die Sonne erleuchtete den Himmel auf ihrem unaufhaltsamen Weg zum Zenith. Wohlige Wärme durchströmte meinen Körper. Der Sommer war eine herrliche Jahreszeit. Voll des Lebens. Voll sprießender Natur. Erst jetzt kam mir wieder der Grund meines Fortgehens in den Sinn. Ein Mord an einem hochrangigen Politiker. Ja, es waren auch die Grausamkeiten, die unter dem Lichte der Sonne hervorgekehrt wurden.

    *

    Ich stellte meinen Kleinwagen auf dem Besucherparkplatz ab und ging den Schotterweg in Richtung Aussichtsturm hinauf. Auf halbem Weg zwischen Parkeingang und Turm war eine größere Menschenmenge versammelt. Ein Team des Staatsfernsehens hatte sich über das allgemeine Fahrverbot in der »Steinheide« hinweggesetzt und war mit ihrem Übertragungswagen bis zur polizeilichen Absperrung gefahren. Es war mir schleierhaft, wie die schon hier sein konnten. Obwohl ich nur zwei Fahrminuten zum Parkplatz und maximal weitere zehn Gehminuten bis hierher hatte, schien ich der letztankommende Berichterstatter zu sein. Ich sah mich etwas unter den Leuten um. Neben den TV-Leuten erkannte ich auch zwei Reporter großer Wiener Tageszeitungen. Direkt am Absperrband stand Markus Hirscher, Chefredakteur der »Regionalzeitung«. Unser unmittelbares regionales Konkurrenzblatt. Er unterhielt sich gerade mit einem Streifenpolizisten. Auch ihn kannte ich. Gerber hieß er. Ein typischer Landgendarm der jüngeren Generation. Überheblich und inkompetent. Diese Sorte war auf das Abzocken von Autofahrern spezialisiert. Eine Mordermittlung war zehn Nummern zu groß für ihn. Gerber war auch bei der Presse kein Unbekannter. Zumal ein Vorfall trotz aller Vertuschungsversuche über ihn bekannt geworden war. Er hatte seine Lebensgefährtin mit seiner Dienstwaffe bedroht und war daraufhin mehrmals strafversetzt worden, bis er wieder zu seinem alten Dienstposten zurückkehrte. Statt Gefängnis wurde er weiter auf die Bevölkerung losgelassen. Dass unter solchen Vorzeichen das Image der Exekutive zunehmend Schaden nahm, war eine nur allzu verständliche Tatsache. Polizisten stellten im betrunkenen Zustand ohne irgendeine Grundlage Strafmandate aus, vergingen sich an Schutzbefohlenen und missbrauchten sowohl ihr Amt als auch die ihnen anvertraute Ausrüstung. Auch ich war schon in die Fänge dieser Willkür geraten. Darum hielt sich meine Begeisterung für diese Institution verständlicherweise in Grenzen. Ich ging auf Hirscher zu, der gerade sein Gespräch beendet hatte.

    »Hallo, Markus. Was sagt dieses Arschloch?« Ich hatte noch immer keinerlei Informationen. Markus Hirscher sah mich überrascht an.

    »Wenn das nicht Mike Wörner ist. Auch schon hier?«

    Ich sah auf den fünfzig Meter entfernten Tatort, der mit schwarzen Tüchern verhangen war. Ich kannte die Stelle sehr gut von meinen Wanderungen mit der Familie durch den Park. Eine kleine Senke zwischen zwei kolossalen Steingebilden, dem sogenannten Satansbett, und dem Teufelswecken, einem überdimensionalen Hinkelstein.

    Leute von der Spurensicherung liefen geschäftig herum. Und irgendwo darunter wohl der leitende Beamte der Kriminalpolizei in Krems, der meiner Heimatstadt Mürren unterstand.

    Hirscher sprach weiter: »Wie ich sehe, hat dein Chef mal wieder eine Spätzündung gehabt. Ansonsten wärst du schon mindestens vor einer Stunde hier gewesen. Jedenfalls vor mir.«

    Ich musterte ihn interessiert. Wir waren zusammen zur Schule gegangen. Und waren sehr gute Freunde gewesen. Wir hatten uns beide für Journalismus interessiert. Während er später in Wien studierte und Karriere machte, langte es bei mir allerdings nur für den Aufbaulehrgang und eine Anstellung beim »Wochenblatt«, einer wöchentlich erscheinenden Gratiszeitung. Umso verwunderter waren wir alle gewesen, als er vor zwei Jahren nach Mürren zurückkehrte und seinen jetzigen Posten antrat. Vom Starjournalisten im meinungsmachenden »Wirtschaftsblatt« zum Provinzschmierfink. Er hatte es mit Sehnsucht nach der Heimat, dem Bodenständigen erklärt. Doch dafür war er nie der Typ gewesen. Und die Menschen änderten sich nur allzu selten.

    Ich überging den herablassenden Ton in seinen Worten.

    »Nun, du kennst ihn ja. Gründlichkeit braucht nun einmal seine Zeit. Außerdem können wir uns niemanden leisten, der Tag und Nacht den Polizeifunk abhört. Wir sind eben auf Informanten angewiesen. Und die lassen sich mitunter etwas Zeit.« Ich grinste ihn kumpelhaft an, um vielleicht etwas aus ihm herauszukriegen, obwohl ich es kaum glaubte. Zu oft hatte er mir schon die lange Nase gezeigt und mir seine Überlegenheit demonstrativ untergerieben. Umso verblüffter war ich über seine Antwort.

    »Soviel ich weiß, habt ihr am Dienstagnachmittag Redaktionsschluss. Bis dahin wird es selbst bis zu dir durchgedrungen sein. Also kann ich es dir genauso gut auch gleich sagen.«

    Er wusste genau, dass ich über keinerlei Informationen verfügte. Er schien sich über so viel Langatmigkeit zu amüsieren. Also packte er die Gelegenheit beim Schopf und wies mich wie einen Schuljungen in den Fall ein, nicht ohne auf jede Menge unterschwellige Häme und Seitenhiebe zu verzichten. Ja, schon in der Schule hatte er mir zeigen müssen, wo es langging. Wie einem etwas begriffsstutzigen Esel.

    »Laut Gerber hat ihn ein Pilzsammler um etwa fünf Uhr morgens gefunden. Kehle durchgeschnitten. Nach den Blut- und Schleifspuren zu urteilen, wurde er knapp neben dem Wegrand ermordet und ein paar Meter in die Senke dort geschleift.« Er zeigte auf die Tücherwand. »Sie haben bisher nur mit dem Chauffeur von Fuhrmann gesprochen. Der hat unten am Parkplatz auf dessen Rückkehr gewartet und ist unterdessen eingeschlafen. Wurde erst von der Polizei geweckt.«

    Ich überlegte kurz.

    »Wann ist er denn von der Feier gegangen? Als ich um neun Uhr verschwunden bin, waren noch alle von seinem Tisch da. Fuhrmann selbst, Vanek, der Bürgermeister, die beiden Vizes, Maurer und Viktoria Buntschuh. Komisch, dass die so lange geblieben sind. Normalerweise machen die sich ganz unauffällig aus dem Staub.«

    Markus Hirscher nickte zufrieden. Darum also seine Kooperation. Er brauchte auch von mir Auskünfte. Er selbst war ja meines Wissens nach schon sehr früh gegangen. Gleich nach den offiziellen Pressefotos. Sein nächster Vorschlag überraschte mich noch mehr.

    »Wenn du willst, arbeiten wir in dieser Sache zusammen. Schließlich haben wir ihn zu einem tatnahen Zeitpunkt noch gesehen. Wenn wir uns austauschen, kommen wir vielleicht dahinter, was da oben vorgegangen ist.« Er deutete zum hinter uns liegenden Aussichtsturm. Dieser Sinneswandel ließ alle Alarmglocken in mir läuten. Er führte doch irgendetwas im Schilde. Andererseits hatte ich aber auch nichts zu verlieren. Unsere Blätter erschienen beide mittwochs. Er konnte mich also nicht mit einer früheren Veröffentlichung eventuell wichtiger Tatsachen übers Ohr hauen. Zudem hatte ich die Chance, ihn einmal in Aktion zu erleben. Trotz all seiner Allüren war er ein berufliches Vorbild für mich. Er konnte mir vielleicht bei meinen eigenen Unzulänglichkeiten ein wenig weiterhelfen. Und er war einmal mein bester Freund gewesen.

    »Okay. Aber verrate mir zuerst, wie du diesen Scheißer von Gerber zum Reden gebracht hast.«

    Hirscher schüttelte amüsiert den Kopf. Mit einem Grinsen im Gesicht antwortete er mir:

    »Du wirst es nie lernen. Dein Problem ist, dass du zu bieder bist. Zu ehrlich. Du hast keine kriminelle Energie. Ich habe noch immer sehr viele und sehr gute Verbindungen. Daran hat sich durch meinen Wechsel ins Waldviertel nichts geändert. Gerber ist doch schwärzer als die Schafe, die er jagen soll. Und ich habe ein paar Sachen gegen ihn in der Hand. Nichts Weltbewegendes. Aber nach dem letzten Skandal um ihn genug. Also haben wir eine Abmachung. Er plaudert, und ich höre zu. Nicht mehr und nicht weniger.«

    Hirscher rief seinen Fotografen zu sich und gab ihm letzte Anweisungen, bevor er den Schauplatz verließ. Meine Zeitung konnte sich diesen Luxus nicht leisten. Also heftete ich mich an dessen Fersen, um auch noch ein paar einigermaßen brauchbare Bilder zu bekommen. Ich nickte Markus zum Abschied zu. Mit Daumen und kleinem Finger seiner rechten Hand formte er das Telefonzeichen. Ja, wir würden telefonieren. Irgendwann nach Herausgabe der ersten offiziellen Pressemitteilung, die wohl in Kürze erfolgen würde.

    Ich machte meine restlichen Aufnahmen und kehrte dann an den mittlerweile zahlreich erschienenen Schaulustigen vorbei zum Parkplatz zurück.

    Es war inzwischen halb neun. Das Dorfwirtshaus am Naturpark in Alt-Mürren hatte schon geöffnet. Ich setzte mich an den Stammtisch und verfolgte die Berichterstattung im Staatsfernsehen. Die hatten schon wesentlich mehr Informationen zusammengetragen. Aber natürlich auch noch nichts Konkretes. Das würde dauern. Ich bestellte ein kleines Frühstück. Schon bald würde sich das Lokal füllen. Kollegen, Zaungäste, Ausflügler. Ich fragte mich, warum Hirscher nicht auf die Idee gekommen war, hierher zu gehen. Gerade jetzt war das ein idealer Ort für allen möglichen Klatsch. Ich nahm meinen Block aus der Tasche und begann, die bisherigen Fakten zusammenzutragen. Vom Mord an Ernst Fuhrmann. Landrat. Bauunternehmer. Weiberheld. Strippenzieher. Es fielen mir viele Stichworte zu ihm ein. Machtgierig. Aalglatt. Rücksichtslos. Mit allen Wassern gewaschen. Ich stellte mein Notebook auf den Tisch und stieg ins Internet ein. Die Quelle allen Wissens. Dort, wo sich Politiker gläsern darstellten. Und Gegner die glatt polierte Oberfläche zerfurchten. Die Wahrheit lag wie üblich irgendwo dazwischen. Irgendwo im Niemandsland. Irgendwo verborgen hinter endlosen Hürden.

    *

    Die erste Pressekonferenz nach dem Mord an dem bekannten Landespolitiker Ernst Fuhrmann wurde schon am frühen Nachmittag im altehrwürdigen Palmenhaus der Stadt Mürren abgehalten. Mein Chefredakteur hatte mich telefonisch darüber unterrichtet. Dieses Mal war ich einer der Ersten vor Ort. Trotzdem nahm ich in den hinteren Reihen Platz und wartete auf das Eintreffen der Behördenvertreter. Ich hatte nicht vor, irgendwelche Fragen zu stellen. In der Regel war das auch nicht nötig, da andere Kollegen etwaige Unklarheiten ansprachen. Ich war nie der Mensch gewesen, der sich besonders hervortun wollte. Das brachte mich beruflich nicht recht weiter, hatte aber auch einen Vorteil. Ich war unauffällig und daher wurde immer wieder einmal ein unüberlegter Satz in meiner Gegenwart gesprochen, den ich für eine Story verwenden konnte. Während andere nach vorn drängten, hielt ich mich eher im Hintergrund. Beobachtete. Und erhielt dadurch nicht selten einen besseren Blick auf die Ereignisse. Die Wahrhaftigkeit war nun nicht immer gleich an der Oberfläche zu erkennen.

    Zudem lohnte sich ein allzu aggressives Auftreten in dieser Region nicht wirklich. Denn es tat sich nie etwas. Nur belanglose Reportagen über irgendwelche Vereine oder Festivitäten. Hin und wieder ein kleiner Aufreger bei einer Gemeinderatssitzung im Umland von Mürren. Wirtschaftsbetriebe in Schieflage oder ein anstehendes regionales Fußballderby waren schon das Höchste der Gefühle.

    Ansonsten standen in unseren Käseblättern kaum erwähnenswerte Mitteilungen. Und plötzlich kam ein derartiger Fall wie dieser daher. Wie eine frische Brise, die den frustrierenden Alltag wegblies. Nach und nach trudelten die unterschiedlichsten Medienberichterstatter ein. Manche mit breitem Grinsen im Gesicht. Ein Mord in der Politik war immer gut fürs Geschäft. Schließlich wollte sich jeder dazu äußern. Ob Parteifreunde oder Mitbewerber aus den anderen Lagern. Es hatte ja niemand etwas zu verbergen. Und Schweigen würde genau das in die Köpfe der Menschen projizieren. Ja, ja. Nach der Wahl war immer vor der Wahl.

    Michaela Schwarz von der »Gratispresse« nahm neben mir Platz. Ich kannte sie seit ein paar Monaten. Ein hübsches, junges Ding. Ehrgeizig und durchaus kompetent. Es gab im Bezirk Mürren drei Wochenzeitungen. Nummer eins war Hirschers »Regionalzeitung«, gefolgt von meinem »Wochenblatt«. Die »Gratispresse« war noch nicht so lange auf dem Markt und hatte auch ein schauerliches Niveau. Daran konnte auch Michaela Schwarz nichts ändern. Wenn ich diese Zeitschrift durchblätterte, fühlte ich mich nachher immer eine Spur besser. Ob der Erkenntnis, dass es noch etwas Mieseres als die eigene Zeitung gab. Markus kam nun ebenfalls in den Saal, setzte sich jedoch ganz nach vorn. Offensichtlich hatte jemand für ihn reserviert. Ja, jeder, wo er hingehörte.

    Das Staatsfernsehen hatte seine Livekameras aufgebaut und den Licht- und Soundcheck durchgeführt. Man war bereit. Und wie aufs Stichwort traten auch die Protagonisten dieser Veranstaltung aufs Podest und nahmen hinter den Mikrophonen Platz. Ein Mann in Zivil, einer in Uniform und eine ziemlich kurzberockte Dame. Ich sah vor meinem geistigen Auge Hirscher mit einem anzüglichen Grinsen im Gesicht.

    Die Frau war Polizeisprecherin und stellte nach der Begrüßung und einer kurzen, sachlichen Einleitung die beiden Herren vor: Franz Berwein, Kommandant der Mürrener Polizei, und Robert Brettschneider, den Leiter der Mordkommission »Fuhrmann«. Berwein kannte ich. Ein korpulenter Mittfünfziger. Aufgedunsen und vulgär. Er war nur Beiwerk, um die örtliche Exekutive nicht gleich von Beginn an vor den Kopf zu stoßen. Dennoch würden sie hier nichts zu melden haben. Brettschneider hatte sein eigenes Team. Und wenn er ein Profi war, würde er auch keinen von Berweins Leuten anfordern. Die konnten höchstens einen Jugendlichen aus einer Kneipe ohrfeigen oder einem Angetrunkenen den Führerschein entziehen.

    Ich musterte den Major. Eine tiefe Aversion machte sich in mir breit. Dieses rattenartige Gesicht. Dieser widerlich fettige Schnauzbart. Diese buschigen, tiefgesetzten Augenbrauen. Dieser wulstige Mund. Brettschneider. Wie der Geheimpolizist aus dem »braven Soldaten Schwejk«. Ein wahres Ebenbild. Name und Erscheinung glichen den beiden exakt. Nun, ich hoffte, dass es nicht er sein würde, mit dem ich zu sprechen hatte. Denn so viel war klar. Man würde mich vorladen. Schon allein wegen der Fotos, die ich am Abend vor dem Mord geschossen hatte.

    Die Dame erteilte ihm das Wort. Nach einigen Angaben zum Fundort der Leiche und der Tötungsmethode kam er zum Kern seiner Ausführungen.

    »Der Obduktionsbericht liegt natürlich noch nicht vor, aber trotzdem konnte der Tatzeitpunkt bereits eingegrenzt werden. Nach Angaben des untersuchenden Arztes muss der Tod zwischen elf Uhr abends und ein Uhr früh eingetreten sein. Das deckt sich auch mit den ersten Aussagen, die wir bereits einholen konnten. Demnach hat Herr Fuhrmann die gestrige Veranstaltung in der ›Steinheide‹ gegen dreiundzwanzig Uhr ohne Begleitung verlassen und sich in Richtung des Besucherparkplatzes begeben. Genaueres werden wir Ihnen nach der Vernehmung der zahlreichen Zeugen mitteilen können. Aufgrund der Art der Tötung gehen wir von einer geplanten Aktion aus. Womöglich die Arbeit eines Experten. Der Tod dürfte Herrn Fuhrmann völlig überraschend ereilt haben.«

    Brettschneider erörterte noch die näheren Umstände der Auffindung von Fuhrmanns Körper, schilderte die Maßnahmen, die bisher getroffen wurden und gab auch einen kurzen Ausblick auf die weitere Vorgehensweise seitens der Polizei. Er machte den Eindruck eines abgeklärten, routinierten Ermittlers, der schon durch so manches Stahlbad gegangen war. Was blieb, war die Abneigung, die ich ihm gegenüber verspürte. Ich hatte den Eindruck, dass dieser Mann auf schnelle Ergebnisse aus war, wodurch mitunter die Wahrheit leiden konnte. Ein abgeschlossener Fall war alles, was zählte. Wer dafür belangt wurde, spielte kaum eine Rolle. Ich war mir sicher, dass dieser Mann schon so manchem einen Strick gedreht hatte. Ihm Wörter in den Mund legte, die er später bereute. Ich würde auf der Hut sein müssen, um nicht selbst in seine Fänge zu geraten. Ein mögliches Motiv war schließlich schnell konstruiert. Vor allem bei einem Mann wie Ernst Fuhrmann, der sich gewiss viele Feinde geschaffen hatte. Ja, der Weg nach oben war dornig und grausam. Kein Terrain für Zimperliesen.

    *

    Nach der Pressekonferenz nahm mich Markus Hirscher zur Seite.

    »Bevor du jetzt zur Polizei läufst und denen deine Fotos gibst, sollten wir uns noch kurz unterhalten.«

    Wir suchten die nächstgelegene Kneipe auf. Dort setzten wir uns in eine kleine Nische. Markus sah mich über seine kleinen Brillengläser hinweg an. Er hatte sein schulterlanges, braunes Haar zu einem Schwanz gebunden. Er konnte sich noch nicht eingestehen, älter geworden zu sein. Zweiundvierzig, genauso wie ich.

    »Was hältst du von der Sache?«, fragte er mich mit seinem unvermeidlich süffisanten Grinsen im Gesicht.

    Ja, was hielt ich davon?

    »Nun, sieht ganz nach einem Killer aus. Eine Tatwaffe werden sie jedenfalls nicht finden.«

    Hirscher strahlte mich an. »Bravo, mein Junge! Und was folgt daraus?« Es war genauso wie in der Schule. Auch damals hatte er dieses Frage-Antwort-Spiel mit mir durchexerziert, in der Hoffnung, mir die Grenzen meines Verstandes aufzuzeigen und mir gleichzeitig seine Überlegenheit zu demonstrieren. Ich konnte es nicht fassen, dass ich es nach all den Jahren noch immer zuließ. Wie gerade jetzt. Er hatte eine undefinierbare Macht über mich. Wie ein Hypnotiseur, der sein Medium nach langem Schlaf wieder reaktivierte.

    »Fuhrmanns Unternehmen soll das neue ›Grenzlandspital‹ bauen. Die tschechischen Mitbetreiber waren darüber nicht sehr erfreut. Schließlich wollten die auch ihre eigenen Firmen an dem Geschäft teilhaben lassen. Hat ja viel böses Blut gegeben.«

    Hirscher klatschte in die Hände. Einige Gäste sahen zu uns her. Er feixte sie breit an. Ja, er war ein wahrer Menschenfreund.

    »Sehr gut. Und um deinen

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