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Der Viadukt Moabit und die Wächter des Heiligtums
Der Viadukt Moabit und die Wächter des Heiligtums
Der Viadukt Moabit und die Wächter des Heiligtums
eBook516 Seiten5 Stunden

Der Viadukt Moabit und die Wächter des Heiligtums

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Über dieses E-Book

... wer erbringt den Beweis Gottes?

BERLIN 1938. Bedroht durch das Naziregime, versteckt der Rechtsanwalt Adam Böhm eine uralte Schatulle mitsamt heiligem Inhalt in einem Moabiter Viadukt mit dem Plan, das Heiligtum bald wieder an sich zu nehmen. Doch dazu kommt es nicht mehr. Aus Angst vor der Gestapo flüchtet Adam aus Nazideutschland.
Einst aus seiner Heimat entwendet und über viele Jahrhunderte unter dem Siegel der Verschwiegenheit von Generation zu Generation weitergereicht, besitzt das Heiligtum eine überirdische Kraft, die den Menschen in schwierigen Zeiten Trost und Zuversicht spendet.
Das Heiligtum, das trotz der Geheimhaltung bis in die höchsten Kreise Begehrlichkeiten weckt, schlummert viele Jahre unbemerkt im muffigen Gemäuer des Moabiter Viadukts. Dessen unermesslicher Inhalt würde das Weltbild vieler Gläubigen auf den Kopf stellen.
Erst der Berliner Student Ben Hoppe, Schlüsselfigur und Bindeglied zwischen historischer Vergangenheit und Gegenwart, findet 1985 einen Hinweis auf dieses Versteck. Ein Zufall?

Ein Roman, der auf historischen Fakten aufbaut und geschichtliche Persönlichkeiten wie Marsilius von Padua, Papst Johannes XXII. bis hin zu Karl IV. geschickt mit der Handlung verknüpft. Erleben Sie viele lebendige und berührende Geschichten aus der Historie bis in die heutige Zeit.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum12. Feb. 2020
ISBN9783750458246
Der Viadukt Moabit und die Wächter des Heiligtums
Autor

Vira Kerstin Mangold

Sie hatte noch einen Koffer in Berlin... Vira Kerstin Mangold, 1966 im Ruhrgebiet geboren, wuchs zeitweise in Berlin auf, wo sie auch ihre pädagogische Ausbildung absolvierte. Nach diversen Auslandsaufenthalten und Tätigkeiten in leitenden pädagogischen Positionen, lebt sie nun wieder in Berlin, von wo aus sie ihr erstes Buch publiziert. Um möglichst faktisch und lebendig zu schreiben, reiste sie an die Schauplätze ihrer Geschichte.

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    Buchvorschau

    Der Viadukt Moabit und die Wächter des Heiligtums - Vira Kerstin Mangold

    Mein herzlicher Dank gilt…

    Dr. Pavla Zajíčková, Dr. Vladimír Červinka.

    Filip Zajíček (Übersetzungsbüro bontext.cz), Jaja Zajíčková, Jiří Půlpán, Tomáš Zajíček, Angela Schöne (Angee), Carsten Pfarr, Shai Ben Ami.

    „Viadukt-Nachbar" Wolfram Ritschl, Inhaber Restaurant Paris-Moskau, Berlin.

    Universität Regensburg.

    Zeitzeugen: Alena Krkonošková, Bohumil Šolc †.

    Foto Hausfassade (Sgrafitto Technik) Rathenower Straße, Berlin: mit freundlicher Genehmigung der Hausverwaltung Bona Fide-Immobilien sowie Eigentümer des Hauses.

    Inhalt

    Kapitel I Berlin, Februar 1938

    Das Versteck im Viadukt

    Kapitel II Im Jahre des Herrn 1335

    Isaks Künste

    Ulrichs Enthusiasmus

    Die Behandlung mit Angst im Nacken

    Die Höllenqualen des Wilhelm von Ockham

    Das Heiligtum findet seinen Wächter

    Der Dämon in Nürnberg

    Im Angesicht des Todes

    Kapitel III Im Jahre des Herrn 1349

    Die Flucht Davids

    Agnes

    Die Prager Gesellschaft

    Der Heiratskandidat flüchtet

    Halsabschneider, Halunken und seltsame Kreaturen

    Die Sippe

    Kapitel IV Im Jahre des Herrn 1365

    Konrad

    Die Abgründe des Priors und das Miststück

    Das Erbe

    Burkharts Wahnsinn

    Der Aufbruch

    Kapitel V Gegenwart Berlin, Juni 1985

    Ben

    Die Befreiung des Heiligtums

    Der Anruf

    Die Enthüllung

    Der letzte Besuch

    Kapitel I Berlin, Februar 1938

    Das Versteck im Viadukt

    Gegen ein Uhr nachts hatte sich Adam Böhm den warmen Wintermantel angezogen, den Hut aufgesetzt, den in zerschlissenen Leinen gewickelten Gegenstand unter den Arm geklemmt und die Wohnung verlassen. Von der Straße aus sah er zu seiner Frau Ruth hoch. Sorge stand in ihrem Gesicht.

    Entschlossenheit.

    Er wandte sich hastig ab und lief die Rathenower Straße bis zum Ende hinunter.

    Keine Zeit verlieren.

    Es war eine kalte schneefreie Winternacht und die eisige Luft schmerzte mit jedem Atemzug in seiner Brust. Fröstelnd schlug er den Kragen seines Mantels hoch und bog links in die Straße Alt-Moabit ein.

    Das Gelächter von Betrunkenen schlug ihm entgegen. Sein Magen krampfte. Drei torkelnde Männer kamen auf ihn zu. Er verlangsamte instinktiv seine Schritte und zog den Hut tiefer ins Gesicht. Zu seinem Glück verschwand das singende Terzett in einem beleuchteten Hauseingang. Er wechselte die Straßenseite.

    Nur noch wenige Minuten von seinem Zielort entfernt.

    Unerkannt bleiben.

    Im schwachen Laternenlicht war jetzt der Moabiter Stadtbahnviadukt zu erkennen, der sich bis ins Unendliche zu erstrecken schien. Dahinter, im Wirtshaus Kindlstube, brannte noch Licht. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich der Universum-Landesaustellungspark und das Gelände der Nationalsozialisten.

    Er sah sich um und schaute direkt auf die Glaskuppel des Luftfahrtmuseums, in dem derzeit das imposante Verkehrsflugboot Dornier Do X untergebracht war.

    Sein Magen rebellierte. Er wusste, dort drüben fanden immer wieder Folterungen und Erschießungen durch die Hände der SA-Männer statt.

    An der Trasse bog er rechts ab, von wo es einige Stufen nach unten ging. Unten angekommen, folgte er einem mit Hecken geschützten Seitenweg und stand dann unmittelbar vor den geschlossenen Rundbögen des Viadukts, von denen einige als Lager und Geschäftsräume dienten, andere wiederum leerstanden. Da er sich auf der Rückseite befand, sah er vor sich eine Reihe ziegelsteinreicher Kreisbögen, die von gusseisernen Hintertüren verkleidet waren.

    Adam kannte sich gut aus, schon in seiner Kindheit hatte er mit seinen Freunden in dieser Gegend gespielt und wusste daher, dass genau diese leerstehenden Lager nicht versperrt wurden.

    Es raschelte.

    Er fuhr erschrocken herum und schaute geradewegs in die glühenden Augen einer ausgemergelten Katze. Sie taxierte ihn, beschloss dann aber, sich ins Dickicht zu verziehen.

    Sein Herz schlug jetzt hart gegen die Brust. Er schaute sich mehrfach um, ob ihn jemand beobachtete. Erst als er sich sicher fühlte, öffnete er eine der Türen und trat in das Innenleben des Viadukts. Feuchtigkeit und der Gestank von Jauche schlugen ihm entgegen. Schwarze Nacht umfing ihn. Nur der klägliche Schein einer entfernten Laterne ließ ihn erahnen, wo er sich befand.

    Adam schaltete die Taschenlampe ein und durchquerte einen langen schmalen Gang, von dem rechts von ihm kleine Nischen abgingen. Er betrat wahllos eine Nische, legte den in Leinen gewickelten Gegenstand vorsichtig ab, holte die Utensilien aus der Manteltasche und begann, die bereits hervortretenden Ziegelsteine durch leichtes Hämmern auf ihre Festigkeit zu überprüfen und hatte Erfolg. Mehrere mörtelarme Steine, die sich in Kopfhöhe befanden, wackelten. Durch seine feste, stetige Hin-und-her-Bewegung verloren sie ihren Halt und ließen sich mühelos aus dem Gemäuer ziehen. Wie er vermutet hatte, gab es zwischen dem bearbeiteten Mauerwerk und der direkt gegenüberliegenden Wand einen Hohlraum.

    Erleichterung.

    Er hauchte heißen Atem auf seine steif gefrorenen Finger und befreite dann endlich den Gegenstand von dem abgenutzten Leinentuch.

    Eine flache längliche Schatulle kam zum Vorschein. Adam lächelte. Sie hätte sicherlich vieles zu berichten.

    Er spürte die einzigartige Kraft, die von ihr ausging. Eine wohlige Wärme breitete sich in seinem frierenden Körper aus und erfüllte ihn mit Frieden. Doch viel wichtiger war der Inhalt, dessen Wert nicht zu ermessen war. Zu kostbar, zu einzigartig, zu gefährlich, um ihn bei sich zu behalten. In dieser schwierigen Zeit blieb ihm nichts anderes übrig, er musste die Schatulle sicher vor den Nationalsozialisten verstecken.

    Eine vertraute Berührung, ein letzter Blick, dann wickelte er die Schatulle erneut in das alte Leinentuch und versenkte sie mit samt dem Inhalt in das Mauerloch. Den Schatullenschlüssel steckte er in seine Hosentasche. Rasch setzte er die herausgezogenen Ziegelsteine an ihren alten Platz zurück und klopfte sie so gut wie nur möglich fest. Sorgfältig prägte er sich die Stelle ein, an dem sich jetzt das unersetzliche Familienerbe befand.

    Das Erbe… sein Erbe, das schon seit so vielen Generation in seiner Familie weitergereicht worden war. Es schmerzte ihn, die Schatulle nun zurückzulassen. Wo er doch ständig darauf achten sollte. Trotzdem fühlte sich Adam irgendwie erleichtert.

    Er rannte die menschenleere Straße entlang. Nur das bezaubernde Gesicht eines Ufa-Stars, das ihm von Plakatwänden anlächelte, schien ihn zu verfolgen. Seine Schritte hallten in die eisige Nacht. Dabei warf das trügerische Mondlicht seinen Schatten auf den Asphalt.

    Würde das Heiligtum jemals zu seiner Familie zurückfinden? Adam hatte nicht die geringste Ahnung.

    Kapitel II Im Jahre des Herrn 1335

    Isaks Künste

    Isak beobachtete bemannte Fischerboote, die mit leicht wippendem Rumpf auf dem fischreichen See trieben, und das erinnerte ihn an die sanften Bewegungen einer Jungfrau, die mit schwingenden Hüften förmlich über den Boden schwebte. Nach vielen Geburten würde sie nicht mehr leichtfüßig und zierlich sein, sondern ihr Becken breit und ausladend, während ein altes sonnengebleichtes Fischerboot immer noch eine gewinnende Ausstrahlung hatte und Sehnsüchte in ihm weckte, die ihm ein alterndes Weib niemals erfüllen könnte.

    Versonnen schaute er über das schimmernde Gewässer, in dem sich die tiefstehende Aprilsonne spiegelte. Eine leichte Windbrise erreichte ihn, erfüllte die Luft mit einer betörenden Blumennote, erfasste seine Sinne und trug ihn hinfort, an einen Ort, wo es keine Krankheiten, keinen Schmerz, kein Blut, keinen übelriechenden Atem und keine abgerissenen Gliedmaßen gab.

    Es ziemte sich nicht, aber Isak ergab sich seinem Verlangen, setzte sich in das feuchte Gras und schaute zu, wie Männer am Gestade ihre Netze aus Lindenbast richteten, mit flinken Händen Verknotungen entwirrten und das Flechtwerk zum Trocknen weit ausspannten. Isak bog seinen Oberkörper nach hinten und glitt langsam in den duftenden Wiesenteppich, dabei verschränkte er die Arme hinter seinen Kopf und lauschte auf das wohlklingende Geräusch der Bugwellen, die beharrlich gegen das Ufer schlugen. Jeder getane Atemzug vereinte sich mit einer sanften Woge, schwang mit ihr im Gleichklang und erzeugte ein Gefühl von inneren Frieden.

    Isak war ein anerkannter jüdischer Arzt, von beeindruckender Größe und charismatischem Aussehen. Sein braunes welliges Haar fiel ihm locker auf die Schulter, sein Mund, eine Spur zu melancholisch, wurde wiederum durch ein energisches Kinn entlastet. Er bevorzugte es, keinen Bart zu tragen, wie eigentlich in den jüdischen Gemeinden üblich, und es gab dafür einen simplen Grund: Der Bart kratze ihn.

    Seine Ausbildung absolvierte er in der – über die Stadtmauern hinaus bekannten – Schola Medica, die sich in der Hafenstadt Salerno südlich von Neapel befand. In einer Lehrzeit von acht Jahren wurde er in die Künste der Chirurgie eingeweiht, er lernte die Anatomie des Menschen und tauchte in die Welt der Pflanzenheilkunde ein, die man ihm anhand des Buches Circa Instans offenbarte. Ein Lehrbuch, das die Wirkung vieler Kräuter und Pflanzen und deren Anwendung beschrieb. Der Unterrichtsstoff beinhaltete Elemente und Heilverfahren aus arabischen, jüdischen und lateinischen Regionen, deren Methodik Isak eine wertvolle Mitgift war. Dieses harmonische Zusammenspiel nutze Isak für seine Arbeit und ließ ihn ein äußerst erfolgreicher Arzt werden.

    Einige Jahre zog er praktizierend durch die Lande, um sich schließlich in der Stadt München niederzulassen. Zu dieser günstigen Zeit nahm das jüdische Volk an dem gesellschaftlichen Leben des mittleren Bürgertums teil. Isak genoss als angesehener Arzt das Privileg, mit seiner Familie in einem vornehmen Stadtteil Münchens zu leben. Die christliche Einwohnerschaft zog ihn gerne zu Rate, zwar wurde er vom Klerus argwöhnisch beobachtet, man ließ ihn aber dennoch walten.

    Isaks Heilkunst war bekannt, da seine Medizin aus Kräutern und Pflanzen bestand, die in den Höhen der Alpen wuchsen. Er verarbeitete nur die Gewächse mit der besten Qualität. Da die Münchner Bürgerschaft Isak achtete, kam auch der ein oder andere geistliche Vertreter, natürlich unter dem Mantel der Verschwiegenheit, um seine Hilfe in Anspruch zu nehmen.

    Seufzend richtete er sich auf und verließ die friedliche Kulisse, um sich auf den Heimweg zu machen. Judis, seine Frau, wartete schon mit der Abendspeise auf ihn. Er lief noch ein Stück am See entlang, an dessen Ufer schiefe Fischerhäuschen dem Wind trotzten. Er begegnete einer sonnengegerbten Frau, die einem zappelnden Barsch das Messer in den glitschigen Körper stieß. Der Fisch erzitterte, dann rührte er sich nicht mehr. Isak schauderte und wendete seinen Blick ab.

    Schon als Kind hatte er es gehasst, seinem Onkel beim Schächten zu helfen. Das Schreien der Tiere vor dem Schnitt und ihr angstvoller Blick trieben Isak vor lauter Mitleid die Tränen in die Augen. Er verfluchte sein Talent, den Schmerz der geschundenen Tiere am eigenen Leib fühlen zu können, und die Belustigung seines Onkels hatte die Sache nicht gerade einfacher gemacht.

    Traumatisiert durch dieses Kindheitserlebnis, aß er nun so gut wie nie Fleisch, und diese Enthaltsamkeit gab ihm ein Gefühl von Wiedergutmachung.

    Bei den Kranken war es anders, er empfand dieses Mitleid bei ihnen nicht. Hier ging es lediglich darum, seine medizinischen Kenntnisse für ein schmerzfreies Dasein zur Verfügung zu stellen. Er gab also, aber er nahm nicht. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er lieber das Handwerk eines Tischlers ausgeübt, denn er war ziemlich geschickt mit den Händen. Er mochte den Geruch von Holz und die Vorstellung, aus Eichenholz eine Truhe, einen wuchtigen Stuhl, einen Schachzabel, ja vielleicht sogar ein Boot herzustellen, gefiel ihm. Aber das waren nur Träumereien eines närrischen Mannes. Sein Großvater und sein Vater praktizierten als Ärzte und daher war es für die Familie eine Selbstverständlichkeit, dass Isak denselben Weg als Mediziner einschlug. Ihm missfiel in jungen Jahren diese Art von Fremdbestimmung, dennoch würde seine Söhne das gleiche Los treffen. Immerhin sparte er schon seit Jahren für die kostspielige Ausbildung seiner Kinder. Wie sein Vater immer zu sagen pflegte: Kranke wird es immer geben; und allein diese Tatsache sicherte den Lebensunterhalt der Familie.

    Ganz in Gedanken vertieft, merkte er gar nicht, dass er bereits vor seinem Haus stand.

    Er zog seinen Kopf ein und trat durch die Tür.

    Seine Kinder saßen längst um den gedeckten Tisch und begrüßten ihn artig. Wie immer ging Isak zuerst zu seiner Judis und küsste sie auf die Wange. Dann wusch er sich sorgfältig die Hände, an denen immer noch der angenehme Geruch von frischem Gras haftete und setzte sich zu seinen Kindern Sara, Noa, Josef und David auf die schmale Holzbank.

    Sara kletterte auf seinen Schoß und schlang ihre Arme um den geliebten Vater.

    »Sind auch alle Hände hier am Tisch sauber?«, fragte er mit väterlicher Strenge.

    Sie nickten hastig und zeigten ihre Hände.

    Judis, eine kleine schmächtige Frau, mit dickem braunem Zopf und schwarzen Ringen unter den Augen, reichte ihm ein Tuch zum Abtrocknen. »Du kommst spät heute«, stellte sie leicht säuerlich fest.

    Isak überhörte ihren beleidigten Unterton. Es kam ihm nicht in den Sinn, ihr zu erzählen, dass er eine Weile am hiesigen See saß, um auf das schimmernde Wasser zu starren und die Fischer zu beobachten. Das hätte sie nur ärgerlich gemacht. »Ich weiß. Aber ich musste heute wieder zum alten Jakob.«

    Das war nicht einmal gelogen.

    »Erneut?«

    »Ja, bedauerlicherweise.«

    »Was hat er denn schon wieder?«

    »Immer noch das Problem mit seinem Stumpen. Er beklagt sich ständig darüber, dass sein rechter Arm schmerzt, obwohl ich den bereits vor einem Jahr abgenommen habe.«

    »Wie kann denn so etwas medizinisch möglich sein?«

    Isak seufzt. »Wenn ich das wüsste, Judis. Der Alte ist ja selbst schon ganz verzweifelt. Den fehlenden Arm kann er verkraften, aber das Stechen und Brennen im Stumpen nimmt ihm jegliche Lebensfreude. Ganz arg sei es wohl, wenn das Wetter umschlägt.«

    Judis schaute verwirrt. »Was hat das Wetter mit seinem Arm zu tun? Wo er doch keinen mehr hat.«

    »Ich weiß, dass so etwas schwer zu begreifen ist.«

    Noa staunte. »Vater, wie kann denn etwas wehtun, wenn es nicht mehr da ist?«

    »Nun, auch wir Mediziner sind nicht allwissend, Noa.«

    Sara wurde neugierig. »Und wie konntest du dem alten Jakob die Schmerzen nehmen?«

    »Leider konnte ich es nicht«, gab Isak zu.

    »Aber du bist doch Arzt«, rief Noa vorwitzig.

    »... und sogar ein ganz besonders Guter«, warf Judis ein.

    Isak lächelte verlegen. Er tätschelte Judis Hand. »Das heißt aber noch lange nicht, dass ich übermenschliche Kräfte besitze.« Er dachte kurz nach. »Ich erinnere mich, dass ich in der Zeit als Student in einem Lehrbuch über diese Besonderheit las. Freilich war von einer Heilung nichts zu lesen, doch die alten Ägypter, die sehr klug waren, fanden eine Methode um den Schmerz zu mildern.«

    Er legte eine dramatische Pause ein.

    Sara wurde ungeduldig. »Bitte, bitte erzähle es uns, Vater.«

    Isak schaute in die Runde. »Stellt euch vor, sie legten Zitterwelse auf die schmerzenden Stellen.«

    Isaks Tochter legte ihre kindliche Stirn in Falten. »Du meinst einen Fisch?«

    Er gab ihr einen Nasenstüber. »Ganz genau. Die Gepeinigten berichteten, dass sie bei der Anwendung ein leichtes Kribbeln verspürten. Und offensichtlich verschaffte ihnen die ungewöhnliche Behandlung Erleichterung.«

    Isak schaute in vier verblüffte Gesichter. »Erstaunlich, nicht wahr?«

    Seine Kinder nickten.

    David verspürte Hunger und kletterte auf den Schoß seiner Mutter. Judis legte eine Brust frei und ließ ihren Sohn an dem Nippel saugen.

    David zog ganz ordentlich und sie biss sich auf die Lippen. Durch das andauernde Stillen waren ihre Brustwarzen schon wund und schmerzten.

    Isak sah das Leiden seiner Frau und dachte an die Zeiten, als er sich noch den Kopf nach ihr verrenkte. Jetzt mit vierundzwanzig, nach sechs Schwangerschaften, davon zwei Totgeburten, war sie ausgezehrt und erschöpft. Feines Grau durchzog bereits ihr Haar, ihre einstige Schönheit verblasste. Er spürte das Nachlassen ihrer Lebenskraft, wie bei vielen anderen Frauen auch, die er behandelte. Noch mehr Niederkünfte würde sie körperlich nicht mehr verkraften und irgendwann würde die Geburt eines neuen Sprösslings ihr Tod sein. Da gab es nichts zu beschönigen. Er schaute auf. »Ich mache dir eine Salbe, die wird dir Linderung verschaffen.«

    Sie nickte nachdenklich, als hätte sie seine schwarzen Gedanken gelesen.

    Ertappt wandte er sich seinen Kindern zu. Er versuchte fröhlich zu wirken. »… Und was den alten Jakob betrifft, ich gab ihm Weidenrinde, die sollte seinen Schmerz mildern.«

    »Gibt es denn keine Zitterwelse in der Isar?«, fragte Josef, der zweitjüngste Sohn. Isak lachte und winkte ab. »Genug gefragt. Jetzt wird gegessen.«

    Judis packte ihren Busen ein und setzte David auf Saras Schoß. Dann tunkte sie Isaks Schüssel in den gusseisernen Topf, der über der Feuerstelle hing und reichte ihm die mit getrockneten Kräutern gewürzte Getreidesuppe. Nachdem die dampfende Suppe an alle verteilt war, nahm Isak den Laib Brot, brach ein Stück ab und begann mit dem Segensspruch: »Gepriesen seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der hervorbringt Brot aus …«

    Es klopfte heftig.

    Isak verstummte, erhob sich und ging zur Tür.

    Ulrichs Enthusiasmus

    Es war Ulrich von Burgaus erste Amtsausführung als Laufbote, seit er der kaiserlichen Dienstmannschaft angehörte. Er war siebzehn Jahre und trug die Tracht des Kuriers wie ein stolzer Ehrenmann. Auf seiner knielangen grünen Tunika prangte in Brusthöhe das kaiserliche Wappen, mit einem übergroßen, schwarzen Adler. Sein einschneidiges Messer steckte in einem aus Schweinsleder gefertigten Halter und war an einer Gürteltasche angebracht, die er an seiner linken Hüftseite trug. Die Tasche bestand aus widerstandsfähigem Rindsleder und der angenehme Geruch des gegerbten Leders stieg ihm mit jeder Windbrise in die Nase.

    Er lief zu Fuß und wurde langsam ärgerlich, weil sich seine Schaftschuhe bei jedem Schritt tief in Schlamm und Gülle eindrückten. Er stelzte wie ein Storch durch die Gassen, um dem stinkenden Hausunrat zu entkommen, den die Bewohnerschaft achtlos aus ihren Fenstern kippte. Nach einigen Gassen kam ein Knecht auf ihn zu. Ulrich sah ihn hinken. Zwei Schweine trieb er vor sich, und an den dicken Schweinenacken waren Stricke gewickelt, die lose auf dem dreckigen Boden schleiften.

    Ulrich musste ausweichen. Dann traten ihn vor Schreck die Augen aus den Höhlen. Eine große bellende Töle versperrte dem Hinkenden und ihm den Weg. Der Köter zog seine Lefzen so weit hoch, dass seine weißen Hauer gefährlich blitzten. Ulrich starrte in die teuflischen Augen des Tiers. Das Maul des Köters triefte, ein tiefer, grollender Laut kam aus seinem Innersten und die stocksteife Rute vibrierte bedrohlich. Langsam, ganz vorsichtig zog Ulrich sein noch ungebrauchtes Messer. Er wollte zustechen, bevor die tollwütige Töle ein Stück aus seiner Wade herausgerissen hätte.

    Ein Schwein quiekte.

    Ulrich begann zu schwitzen. Der Köter schien verrückt zu sein. Sein Herz begann sich zu beschleunigen, wenn es nötig war, würde er sein neues Messer in den Kopf des Hundes stoßen. Er hob das Messer ganz langsam in die Luft, bereit zum Zustoßen.

    Aus dem Augenwinkel sah Ulrich, wie der Hinkende mit dem Fuß ausholte. War es Angst oder Mut? Ulrich wusste es nicht. Zu Ulrichs Erstaunen trat der Knecht den Köter in das fletschende Maul und fiel dann auf die Seite in den Matsch. Eins der Schweine stupste ihn am Bein. Der verrückte Köter heulte auf, kniff die Rute ein und sprang in die nächste Parzelle.

    Ulrich lachte erleichtert. Er steckte sein Messer zurück. Dann rümpfte er die Nase, frischer Kotgestank. Verdutzt schaute er auf das Schwein, das gerade dabei war, ganz nah an seinem Fuß einen großen Haufen zu machen. Hastig zog er sein Bein weg. Er lief rot an. »Pass doch auf, wo du deine verdammten Säue hinscheißen lässt!«

    Der hinkende Knecht rappelte sich vom Boden auf. Häme stand in seinem Gesicht. »Oho, da hat sich wohl der vornehme Herr verlaufen, wie? Beim nächsten Mal werde ich dich höflich um Erlaubnis fragen, wenn mein Vieh einen Haufen machen muss.«

    Ulrich trat einen Schritt auf den Knecht zu. Schließlich trug er jetzt die kaiserliche Tracht. Er machte eine Drohgebärde, indem er seine Faust dem Hinkenden hinhielt. »Ich gebe dir gleich eins mit, Schweinetreiber. Du weißt wohl nicht, wen du vor dir hast.«

    »Dafür, dass du dir gerade wegen eines verrückten Kläffers fast ins Hemd gemacht hast, bist du jetzt bei einem Krüppel wie mir ganz schön vorlaut, Grünschnabel.«

    Ulrich atmete tief durch. »Ich habe keine Zeit, den Tag zu vertrödeln. Es gibt Verordnungen, die besagen, dass Fäkalien noch am selben Tag zu beseitigen sind. Wenn du jetzt nicht dein Schandmaul hältst und weitergehst, werde ich Meldung machen.«

    Der Knecht musterte Ulrich angewidert. Einerseits hätte es seiner Seele gutgetan, Ulrich noch ein paar Gehässigkeiten an den Kopf zu werfen, anderseits war er nicht scharf auf eine Meldung an die Obrigkeit. Die würde ihm nämlich ein sattes Strafgeld für die Schererei seines Schweines auferlegen. Er nahm die Stricke seiner Schweine in die Hand. »Rutsch mir den Buckel herunter.«

    Er hinkte davon.

    Ulrich schüttelte den Kopf über so viel Dreistigkeit. Es ging um Leben und Tod und dieser Holzkopf stahl ihm seine Zeit. Er stemmte seine Faust in die Handfläche.

    Da war es wieder, sein Problem.

    Schon seit Kindertagen stieg die Wut viel zu schnell in ihm hoch. Wie oft schon hatte er sich von seinen Brüdern reizen lassen? Die Stimme seiner Mutter klang ihn im Ohr. Du musst dich besser in den Griff bekommen, sonst nimmt es noch ein schlimmes Ende mit dir. Seine Gesichtszüge wurden hart. Ich darf nicht bei jeder Kleinigkeit in Rage kommen. Ich darf nicht!

    Er hatte jetzt schon viel zu viel Zeit verloren. Das schlechte Gewissen machte sich bereits bemerkbar. Was ist, wenn er wegen mir stirbt? Ulrich beschleunigte seine Schritte. Nervös schaute er sich um. Ein blonder Junge mit wulstigen Lippen scheuchte zwei ausgebüxte Hühner zurück in den Garten.

    »Gott zum Gruße! Sag schnell, wo finde ich die Wohnstätte des jüdischen Arztes Isak ben Abraham? Sein Haus soll wohl ganz in der Nähe sein.«

    Der Junge dachte kurz nach. Dann streckte er seinen Arm aus, um Ulrich die Richtung zu zeigen. »Geht zur nächsten Ecke, da müsst Ihr links abbiegen, am Ende der Gasse findet Ihr sein Haus auf der rechten Seite.« Er wurde neugierig. »Was braucht Ihr denn von dem Judenarzt?«

    »Das geht dich nichts an«, gab Ulrich barsch zurück.

    Der Junge zuckte zusammen.

    Ulrich folgte der Wegbeschreibung. So schnell, wie er nun rannte, so schnell drehten sich die Gedanken in seinem Kopf. Die Zeit wird kommen, wo ich nicht mehr durch die stinkende Kloake waten muss. Wenn ich meine Sache gut mache, bekomme ich mein eigenes Kurierpferd. Hoch zu Ross würde es niemand wagen, Frechheiten von sich zu geben oder dumme Fragen zu stellen. Er kam ins Schwärmen. Weite Reisen will ich machen, um wichtige Dokumente an hochgestellte Herrschaften zu überbringen. Allein bei dieser Vorstellung machte sein Herz einen freudigen Sprung. Sein Instinkt ließ ihn spüren, dass das Leben noch einige Überraschungen für ihn bereithielt. Ulrich fühlte sich bereit.

    Als er dann links um die Ecke bog, bemerkte er, dass die Häuser schon deutlich stabiler gebaut waren. Es stank auch nicht mehr so entsetzlich. Er sah auf beiden Seiten der Gasse ein Rinnsal, welches durch Regengüsse Kehricht und Kot hinfortschwemmte. Der Unrat trieb durch kleine verästelte Bäche, die schließlich die ganze stinkende Kloake in die Isar spülten.

    Schneller als eben noch erwartet, stand er vor Isaks Behausung und staunte nicht schlecht über dessen Wohnstätte. Das Haus war zwar schmal, hatte jedoch ein solides Fundament aus Stein. Getragen wurde das Bauwerk durch ein Holzgerüst, Quer- und Längsbalken dienten als Verstärkung und gaben dem Gebäude die erforderliche Stabilität. Der Leerraum zwischen den Balken war mit einem Holzgeflecht aus Weidenruten, Lehm und Stroh ausgefüllt, die Fassade mit Lehmputz geschlossen und das Dach mit Roggenstroh bedeckt. Am rechten Türpfosten der Vordertür hing ein kleines schmales Holzkästchen, in der sich die Mesusa befand, die kleine biblische Verse enthielt.

    Ulrich hob die Hand, um zu klopfen, doch dann, ganz plötzlich, vernahm er hinter der Tür eine männliche Stimme, die ein Gebet sprach. Er verharrte einen Augenblick, unschlüssig darüber, ob er so einfach das Gebet unterbrechen dürfte. Doch dann besann er sich. Letzten Endes ging es um das Leben des Kaisers.

    Der Gedanke an Ludwig ließ ihn panisch werden.

    Er hämmerte mit der Faust heftig gegen die Tür. »Isak ben Abraham, öffnet! Es eilt.«

    Isak öffnete.

    Ein Jüngling in kaiserlicher Tracht stand vor seiner Tür. Ein feiner Bart schmückte bereits sein leicht hervortretendes Kinn. Dicke Sommersprossen verteilten sich auf Nase und Wangen, Schläue stand in seinen Augen, dazu lagen Tüchtigkeit und Stolz in seiner Haltung. Kurzum, ein verunsicherter junger Mensch, der sich rasch zum gestandenen Mannsbild entwickeln würde. »Ihr seht ja ziemlich gehetzt aus. Nur zu, kommt herein.« Isak trat zur Seite.

    Ulrich folgte Isaks Bitte, wenn auch mit Unbehagen. Dies war seine erste offizielle Amtshandlung, und jetzt fühlte er sich wie ein Störenfried. Dazu hemmte ihn noch Isaks imposante Erscheinung, weil ihn der Arzt bestimmt um zwei Köpfe überragte.

    Judis starrte missbilligend auf Ulrichs lehmverklebte Schaftstiefel, die ihren frisch gereinigten Boden verschmutzten.

    Ulrich machte zwei Schritte ins Haus. »Danke. Verzeiht die abendliche Störung. Ich bin Ulrich von Burgau und gehöre der kaiserlichen Dienstherrschaft an.«

    Judis und Isak tauschten besorgte Blicke aus.

    Die Kinder musterten den Fremden in der grünen Tracht und witterten, dass etwas sehr Wichtiges im Gange war.

    Judis nickte ihm freundlich zu. Ulrich fühlte sich unbehaglich und eingeschüchtert.

    »Was führt Euch zu mir? Seid Ihr etwa krank?«

    »Gott behüte, nein«, antwortete Ulrich hastig. Sein frisch erworbenes Selbstbewusstsein schmolz wie Butter in der brütenden Sonne. Er ärgerte sich über sich selbst, weil er nicht sofort seinen Auftrag erledigt hatte. Nun stand er wie ein Dummkopf vor dem wartenden Isak, der mit fragendem Blick auf ihn hinabschaute. Er würde noch viel lernen müssen. So viel stand fest.

    Isak hob eine Augenbraue. Seine Neugierde wuchs.

    Ulrich gab sich einen innerlichen Ruck, presste seine Brust raus und nahm Haltung an. Er machte sich lang, um größer zu erscheinen. »Isak ben Abraham, auf dringenden Befehl des erhabenen Römischen Kaisers Ludwig sollt Ihr mir unverzüglich folgen!«

    Isak starrte Ulrich an, sichtlich irritiert von dem wechselnden Ton, der so gar nicht zu diesem unsicheren Gesandten passen wollte.

    Ulrich zögerte. »Habt... habt Ihr mich verstanden?«

    Besorgnis.

    Ungläubigkeit.

    Verunsicherung.

    Isak löste sich aus seiner Erstarrung. »Ich… ich verstehe nicht ganz?«

    Panik stieg in Ulrich auf. »Herrgott nochmal! Kaiser Ludwig verlangt nach Euch. Ihr seid doch der Arzt Isak ben Abraham?«

    »Freilich.«

    »Dann lasst uns umgehend aufbrechen.« Ulrich öffnete die Tür zum Gehen.

    Judis und die Kinder schauten entgeistert.

    Isak klopfte Ulrich auf die Schulter. »Wartet.«

    Ulrich fuhr herum.

    »Weiß der Kaiser, dass ich Jude bin?«

    Ulrich runzelte die Stirn. »Gewiss.«

    Judis fing sich schneller als Isak. Sie stand auf und reichte ihrem verstörten Mann die gut bestückte Arzttasche, in der sich alle wichtigen Utensilien befanden, die für eine sorgfältige Behandlung nötig waren.

    Ulrich stampfte mit dem Fuß. Kostbare Zeit ging verloren. »So kommt doch endlich!«, kreischte er verzweifelt. »Ich werde Euch alles auf dem Weg zum Hof erzählen.« Was wäre, wenn sie beide zu spät kämen? Ich wäre daran schuld. Ihm wurde übel bei den Gedanken. Energisch zog er den verdatterten Isak aus dem Haus.

    Judis warf ihrem Mann noch rasch seinen Umhang zu.

    Isak war das ungewohnte Tempo nicht gewöhnt und bemühte sich, Ulrichs schnellen Schritten zu folgen. Zum Glück war es nur ein Katzensprung zur kaiserlichen Residenz. Sie hasteten durch die Häuserreihen, vorbei an Händlern, die gerade ihre Waren einpackten. Mittlerweile hatte die untergehende Sonne den stinkenden Matsch erwärmt und getrocknet; allerdings hatten sich durch diesen Prozess konvexe Wölbungen auf der Oberfläche der ausgetretenen Pfade gebildet und daher glich ihr schnelles Gehen eher einem Tanz auf fauligen Eiern.

    Dessen ungeachtet, erläuterte Ulrich Isak den Krankheitszustand des Kaisers. »Ludwig ist in einer sehr schlechten Verfassung. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Er ist kaum noch ansprechbar und nur noch ein Schatten seiner selbst.« Ulrichs ansteigende Angst fiel langsam von ihm ab, da sie kurz vor dem Hof waren. Ludwig würde auf den Arzt warten, so schnell starb es sich nicht. Dieser Gedanke ließ ihn ruhiger werden.

    »Wieso ließ er nach mir rufen? Kaiser Ludwig hat doch Beistand durch seinen Leibarzt.« Isak hielt sich die Seite. Stiche vom schnellen Laufen malträtierten ihn bereits. Er beobachtete Ulrich heimlich von der Seite. Der schien nicht die Spur aus der Puste zu kommen.

    »Sicherlich behandelte er Ludwig, nur war es bislang nicht wirklich von Nutzen. Im Gegenteil, seine missliche Lage verschlimmerte sich in den letzten Tagen zusehends. Eine heilsame Lösung fand sein Leibarzt nicht, wenn ich es so andeuten darf.« Ulrich kaute nervös an der Unterlippe.

    »Wahrscheinlich ist der Kurpfuscher mit seinem Latein am Ende«, knurrte Isak.

    Ulrich zuckte mit den Schultern. »Es sieht fast so aus. Andernfalls hätte ich Euch nicht holen brauchen.«

    Isak schnaubte durch die Nase. »Die medizinischen Ausbildungen vieler selbsternannter Ärzte sind oft nur erbärmlich. Wie viele Pfuscher ich schon im Laufe meines Lebens getroffen habe, bin ich nicht mehr imstande, zu zählen.«

    »Tatsächlich?«

    »Pah! Die Behandlungsmethoden sind gar zu oft stümperhaft ausgeführt und das hat für die Behandelten fatale Folgen. Das ist für mich ein großes Ärgernis, das könnt Ihr mir glauben.« Er winkte ab. »Aber fahrt ruhig fort. Ich schone meine Kraft für den ungewohnten Dauerlauf hier.«

    Ulrich feixte. »Nun, wie Ihr sicherlich wisst, hatte sich Ludwig ohne die Befürwortung von Papst Johannes in der Petersbasilika in Rom zum Kaiser krönen lassen und war durch diesen Akt beim Papsttum in Ungnade gefallen.«

    Isak bejahte. »Das war lange Zeit Stadtgespräch. Die Römische Kurie erkennt Ludwig als Kaiser nicht an.«

    Ulrich nickte wissend. Er senkte die Stimme: »Es wird gemunkelt, dass er ohne den Segen Johannes’ die strafende Hand Gottes zu spüren bekommt, indem er jetzt von einer schweren Krankheit heimgesucht wird, versteht Ihr?«

    Isak nickte nachdenklich. Er begriff. Ludwig hatte den Papst als Häretiker bezeichnet, der hatte wiederum Ludwig den Kirchenbann auferlegt. Isak wusste, dass zwischen den weltlichen und geistigen Herrschern bis zum Ableben des Papstes ein erbittender Kampf tobte. Auch jetzt, nach Johannes’ Tod hatte der Bann immer noch Bestand. Sei es drum, man verlangt nach mir und es scheint mehr als

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