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Die fröhliche Wissenschaft
Die fröhliche Wissenschaft
Die fröhliche Wissenschaft
eBook344 Seiten4 Stunden

Die fröhliche Wissenschaft

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Über dieses E-Book

"Die fröhliche Wissenschaft (la gaya scienza)" enthält rund 400 Aphorismen des Philosophen Friedrich Nietzsche zu unterschiedlichen Themen, wie Erkenntnistheorie, Psychologie, Wissenschaftstheorie, Nutzen und Aufgabe der Wissenschaft, Philosophie des Geistes, Zweck des Daseins, Arbeit, Wille zur Macht, Kunst und Künstler, Frauen und das Verhältnis der Geschlechter, Moral und Religion, Nihilismus und Ursprung des Bewusstseins.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum7. März 2020
ISBN9783750290112
Die fröhliche Wissenschaft
Autor

Friedrich Nietzsche

Friedrich Nietzsche wird 1844 in Röcken in Sachsen geboren. Nach dem Studium der Philologie und Theologie in Bonn und Leipzig wird er mit 24 Jahren Professor für Klassische Philologie in Basel. Dort lernt er Richard Wagner kennen, der sein Denken zusammen mit den Schriften Schopenhauers am stärksten beeinflußt. Im Krieg 1870/71 wird Nietzsche freiwillig Krankenpfleger, kehrt aber selbst erkrankt zurück und muß sich 1879 von seinem Lehramt dispensieren lassen.Als Außenseiter unter den deutschen Philosophen des späten 19. Jahrhunderts bleibt der Philologe Nietzsche in der Philosophie Autodidakt. In seinem ersten philosophischen Werk Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872) entwickelt Nietzsche die These, daß in den Wagnerschen Dramen die Tragödie aus der Musik wiedergeboren wird und formuliert den Antagonismus zwischen Apollinischem und Dionysischem.Schon die Unzeitgemäßen Betrachtungen von 1876 zeigen die Entfremdung von Wagner, die Distanz zur Philosophie Schopenhauers wird mit Menschliches, Allzumenschliches offenbar. Nietzsche wählt die Unabgeschlossenheit der aphoristischen Form, die für ihn zu einem neuen „Denkstil für freie Geister“ paßt. Während des immer stärkeren Rückzugs in die Einsamkeit bereitet Nietzsche die Neuausgaben seiner Werke vor, für die er neue Vorreden schreibt, die als Selbstinterpretationen gelesen werden können. In den Jahren ab 1883 erscheinen die zentralen philosophischen Dichtungen des Spätwerks Also sprach Zarathustra, Jenseits von Gut und Böse oder Ecce homo. 1889 erleidet Nietzsche in Turin den endgültigen geistigen Zusammenbruch und wird in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. In zunehmender geistiger Umnachtung verbringt er seine letzten Lebensjahre in der Pflege seiner Mutter und seiner Schwester. Nietzsche stirbt 1900 in Weimar.

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    Buchvorschau

    Die fröhliche Wissenschaft - Friedrich Nietzsche

    Die fröhliche Wissenschaft

    LUNATA

    Die fröhliche Wissenschaft

    Friedrich Wilhelm Nietzsche

    Die fröhliche Wissenschaft

    © 1882 Friedrich Wilhelm Nietzsche

    Überarbeitete Neuauflage

    © Lunata Berlin 2020

    Inhalt

    Vorrede zur zweiten Ausgabe

    Scherz, List und Rache

    Erstes Buch

    Zweites Buch

    Drittes Buch

    Viertes Buch

    Fünftes Buch

    Anhang

    Über den Autor

    Die fröhliche Wissenschaft

    (la gaya scienza)


    „Dem Dichter und Weisen sind alle Dinge befreundet und geweiht,

    alle Erlebnisse nützlich. alle Tage heilig, alle Menschen göttlich."

    Emerson

    [Motto der Ausgabe 1882]


    Ich wohne in meinem eigenen Haus,

    Hab Niemandem nie nichts nachgemacht

    Und – lachte noch jeden Meister aus,

    Der nicht sich selber ausgelacht.

    Über meiner Haustür

    [Motto der Ausgabe 1887]

    Vorrede zur zweiten Ausgabe

    1.

    Diesem Buche tut vielleicht nicht nur eine Vorrede not; und zuletzt bliebe immer noch der Zweifel bestehen, ob jemand, ohne etwas Ähnliches erlebt zu haben, dem Erlebnisse dieses Buches durch Vorreden nähergebracht werden kann. Es scheint in der Sprache des Tauwinds geschrieben: es ist Übermut, Unruhe, Widerspruch, Aprilwetter darin, so daß man beständig ebenso an die Nähe des Winters als an den Sieg über den Winter gemahnt wird, der kommt, kommen muß, vielleicht schon gekommen ist... Die Dankbarkeit strömt fortwährend aus, als ob eben das Unerwartetste geschehen sei, die Dankbarkeit eines Genesenden – denn die Genesung war dieses Unerwartetste. »Fröhliche Wissenschaft«: das bedeutet die Saturnalien eines Geistes, der einem furchtbaren langen Drucke geduldig widerstanden hat – geduldig, streng, kalt, ohne sich zu unterwerfen, aber ohne Hoffnung – und der jetzt mit einem Male von der Hoffnung angefallen wird, von der Hoffnung auf Gesundheit, von der Trunkenheit der Genesung. Was Wunders, daß dabei viel Unvernünftiges und Närrisches ans Licht kommt, viel mutwillige Zärtlichkeit, selbst auf Probleme verschwendet, die ein stachlichtes Fell haben und nicht danach angetan sind, geliebkost und gelockt zu werden. Dies ganze Buch ist eben nichts als eine Lustbarkeit nach langer Entbehrung und Ohnmacht, das Frohlocken der wiederkehrenden Kraft, des neu erwachten Glaubens an ein Morgen und Übermorgen, des plötzlichen Gefühls und Vorgefühls von Zukunft, von nahen Abenteuern, von wieder offnen Meeren, von wieder erlaubten, wieder geglaubten Zielen. Und was lag nunmehr alles hinter mir! Dieses Stück Wüste, Erschöpfung, Unglaube, Vereisung mitten in der Jugend, dieses eingeschaltete Greisentum an unrechter Stelle, diese Tyrannei des Schmerzes überboten noch durch die Tyrannei des Stolzes, der die Folgerungen des Schmerzes ablehnte – und Folgerungen sind Tröstungen –, diese radikale Vereinsamung als Notwehr gegen eine krankhaft hellseherisch gewordene Menschenverachtung, diese grundsätzliche Einschränkung auf das Bittere, Herbe, Wehtuende der Erkenntnis, wie sie der Ekel verordnete, der aus einer unvorsichtigen geistigen Diät und Verwöhnung – man heißt sie Romantik – allmählich gewachsen war –, oh wer mir das alles nachfühlen könnte! Wer es aber könnte, würde mir sicher noch mehr zugute halten als etwas Torheit, Ausgelassenheit, »fröhliche Wissenschaft« – zum Beispiel die Handvoll Lieder, welche dem Buche diesmal beigegeben sind – Lieder, in denen sich ein Dichter auf eine schwer verzeihliche Weise über alle Dichter lustig macht. – Ach, es sind nicht nur die Dichter und ihre schönen »lyrischen Gefühle«, an denen dieser Wieder-Erstandene seine Bosheit auslassen muß: wer weiß, was für ein Opfer er sich sucht, was für ein Untier von parodischem Stoff ihn in Kürze reizen wird? »Incipit tragoedia« – heißt es am Schluss dieses bedenklich-unbedenklichen Buchs: man sei auf seiner Hut! Irgend etwas ausbündig Schlimmes und Boshaftes kündigt sich an: incipit parodia, es ist kein Zweifel...

    2.

    – Aber lassen wir Herrn Nietzsche: was geht es uns an, daß Herr Nietzsche wieder gesund wurde?... Ein Psychologe kennt wenig so anziehende Fragen, wie die nach dem Verhältnis von Gesundheit und Philosophie, und für den Fall, daß er selber krank wird, bringt er seine ganze wissenschaftliche Neugierde mit in seine Krankheit. Man hat nämlich, vorausgesetzt, daß man eine Person ist, notwendig auch die Philosophie seiner Person: doch gibt es da einen erheblichen Unterschied. Bei dem einen sind es seine Mängel, welche philosophieren, bei dem andren seine Reichtümer und Kräfte. Ersterer hat seine Philosophie nötig, sei es als Halt, Beruhigung, Arznei, Erlösung, Erhebung, Selbstentfremdung; bei letzterem ist sie nur ein schöner Luxus, im besten Falle die Wollust einer triumphierenden Dankbarkeit, welche sich zuletzt noch in kosmischen Majuskeln an den Himmel der Begriffe schreiben muß. Im andren, gewöhnlicheren Falle aber, wenn die Notstände Philosophie treiben, wie bei allen kranken Denkern – und vielleicht überwiegen die kranken Denker in der Geschichte der Philosophie –: was wird aus dem Gedanken selbst werden, der unter den Druck der Krankheit gebracht wird? Dies ist die Frage, die den Psychologen angeht: und hier ist das Experiment möglich. Nicht anders als es ein Reisender macht, der sich vorsetzt, zu einer bestimmten Stunde aufzuwachen, und sich dann ruhig dem Schlafe überläßt: so ergeben wir Philosophen, gesetzt daß wir krank werden, uns zeitweilig mit Leib und Seele der Krankheit – wir machen gleichsam vor uns die Augen zu. Und wie jener weiß, daß irgend etwas nicht schläft, irgend etwas die Stunden abzählt und ihn aufwecken wird, so wissen auch wir, daß der entscheidende Augenblick uns wach finden wird – daß dann etwas hervorspringt, und den Geist auf der Tat ertappt, ich meine auf der Schwäche oder Umkehr oder Ergebung oder Verhärtung oder Verdüsterung und wie alle die krankhaften Zustände des Geistes heißen, welche in gesunden Tagen den Stolz des Geistes wider sich haben (denn es bleibt bei dem alten Reime: »der stolze Geist, der Pfau, das Pferd sind die drei stölzesten Tier auf der Erd« –). Man lernt nach einer derartigen Selbst-Befragung, Selbst-Versuchung, mit einem feineren Auge nach allem, was überhaupt bisher philosophiert worden ist, hinsehen; man errät besser als vorher die unwillkürlichen Abwege, Seitengassen, Ruhestellen, Sonnenstellen des Gedankens, auf die leidende Denker gerade als Leidende geführt und verführt werden, man weiß nunmehr, wohin unbewußt der kranke Leib und sein Bedürfnis den Geist drängt, stößt, lockt – nach Sonne, Stille, Milde, Geduld, Arznei, Labsal in irgendeinem Sinne. Jede Philosophie, welche den Frieden höher stellt als den Krieg, jede Ethik mit einer negativen Fassung des Begriffs Glück, jede Metaphysik und Physik, welche ein Finale kennt, einen Endzustand irgendwelcher Art, jedes vorwiegend ästhetische oder religiöse Verlangen nach einem Abseits, Jenseits, Außerhalb, Oberhalb erlaubt zu fragen, ob nicht die Krankheit das gewesen ist, was den Philosophen inspiriert hat. Die unbewußte Verkleidung physiologischer Bedürfnisse unter die Mäntel des Objektiven Ideellen, Rein-Geistigen geht bis zum Erschrecken weit – und oft genug habe ich mich gefragt, ob nicht, im großen gerechnet, Philosophie bisher überhaupt nur eine Auslegung des Leibes und ein Missverständnis des Leibes gewesen ist. Hinter den höchsten Werturteilen, von denen bisher die Geschichte des Gedankens geleitet wurde, liegen Missverständnisse der leiblichen Beschaffenheit verborgen, sei es von einzelnen, sei es von Ständen oder ganzen Rassen. Man darf alle jene kühnen Tollheiten der Metaphysik, sonderlich deren Antworten auf die Frage nach dem Wert des Daseins, zunächst immer als Symptome bestimmter Leiber ansehen; und wenn derartigen Welt-Bejahungen oder Welt-Verneinungen in Bausch und Bogen, wissenschaftlich gemessen, nicht ein Korn von Bedeutung innewohnt, so geben sie doch dem Historiker und Psychologen um so wertvollere Winke, als Symptome, wie gesagt, des Leibes, seines Geratens und Missratens, seiner Fülle, Mächtigkeit, Selbstherrlichkeit in der Geschichte, oder aber seiner Hemmungen, Ermüdungen, Verarmungen, seines Vorgefühls vom Ende, seines Willens zum Ende. Ich erwarte immer noch, daß ein philosophischer Arzt im ausnahmsweisen Sinne des Wortes – ein solcher, der dem Problem der Gesamt-Gesundheit von Volk, Zeit, Rasse, Menschheit nachzugehen hat – einmal den Mut haben wird, meinen Verdacht auf die Spitze zu bringen und den Satz zu wagen: bei allem Philosophieren handelte es sich bisher gar nicht um »Wahrheit«, sondern um etwas anderes, sagen wir um Gesundheit, Zukunft, Wachstum, Macht, Leben...

    3.

    – Man errät, daß ich nicht mit Undankbarkeit von jener Zeit schweren Siechtums Abschied nehmen möchte, deren Gewinn auch heute noch nicht für mich ausgeschöpft ist: so wie ich mir gut genug bewußt bin, was ich überhaupt in meiner wechselreichen Gesundheit vor allen Vierschrötigen des Geistes voraushabe. Ein Philosoph, der den Gang durch viele Gesundheiten gemacht hat und immer wieder macht, ist auch durch ebenso viele Philosophien hindurchgegangen: er kann eben nicht anders, als seinen Zustand jedesmal in die geistigste Form und Ferne umzusetzen – diese Kunst der Transfiguration ist eben Philosophie. Es steht uns Philosophen nicht frei, zwischen Seele und Leib zu trennen, wie das Volk trennt, es steht uns noch weniger frei, zwischen Seele und Geist zu trennen. Wir sind keine denkenden Frösche, keine Objektivier- und Registrier-Apparate mit kaltgestellten Eingeweiden – wir müssen beständig unsre Gedanken aus unsrem Schmerz gebären und mütterlich ihnen alles mitgeben, was wir von Blut, Herz, Feuer, Lust, Leidenschaft, Qual, Gewissen, Schicksal, Verhängnis in uns haben. Leben – das heißt für uns alles, was wir sind, beständig in Licht und Flamme verwandeln; auch alles, was uns trifft, wir können gar nicht anders. Und was die Krankheit angeht: würden wir nicht fast zu fragen versucht sein, ob sie uns überhaupt entbehrlich ist? Erst der große Schmerz ist der letzte Befreier des Geistes, als der Lehrmeister des großen Verdachtes, der aus jedem U ein X macht, ein echtes rechtes X, das heißt den vorletzten Buchstaben vor dem letzten... Erst der große Schmerz, jener lange langsame Schmerz, der sich Zeit nimmt, in dem wir gleichsam wie mit grünem Holze verbrannt werden, zwingt uns Philosophen, in unsre letzte Tiefe zu steigen und alles Vertrauen, alles Gutmütige, Verschleiernde, Milde, Mittlere, wohinein wir vielleicht vordem unsre Menschlichkeit gesetzt haben, von uns zu tun. Ich zweifle, ob ein solcher Schmerz »verbessert«-; aber ich weiß, daß er uns vertieft. Sei es nun, daß wir ihm unsern Stolz, unsern Hohn, unsre Willenskraft entgegenstellen lernen und es dem Indianer gleichtun, der, wie schlimm auch gepeinigt, sich an seinem Peiniger durch die Bosheit seiner Zunge schadlos hält; sei es, daß wir uns vor dem Schmerz in jenes orientalische Nichts zurückziehen – man heißt es Nirwana –, in das stumme, starre, taube Sich-Ergeben, Sich-Vergessen, Sich-Auslöschen: man kommt aus solchen langen gefährlichen Übungen der Herrschaft über sich als ein andrer Mensch heraus, mit einigen Fragezeichen mehr, vor allem mit dem Willen, fürderhin mehr, tiefer, strenger, härter, böser, stiller zu fragen, als man bis dahin gefragt hatte. Das Vertrauen zum Leben ist dahin: das Leben selbst wurde zum Problem. – Möge man ja nicht glauben, daß einer damit notwendig zum Düsterling geworden sei! Selbst die Liebe zum Leben ist noch möglich – nur liebt man anders. Es ist die Liebe zu einem Weibe, das uns Zweifel macht... Der Reiz alles Problematischen, die Freude am X ist aber bei solchen geistigeren, vergeistigteren Menschen zu groß, als daß diese Freude nicht immer wieder wie eine helle Glut über alle Not des Problematischen, über alle Gefahr der Unsicherheit, selbst über die Eifersucht des Liebenden zusammenschlüge. Wir kennen ein neues Glück...

    4.

    Zuletzt, daß das Wesentlichste nicht ungesagt bleibe: man kommt aus solchen Abgründen, aus solchem schweren Siechtum, auch aus dem Siechtum des schweren Verdachts, neugeboren zurück, gehäutet, kitzliger, boshafter, mit einem feineren Geschmack für die Freude, mit einer zarteren Zunge für alle guten Dinge, mit lustigeren Sinnen, mit einer zweiten gefährlicheren Unschuld in der Freude, kindlicher zugleich und hundertmal raffinierter, als man jemals vorher gewesen war. Oh wie einem nunmehr der Genuss zuwider ist, der grobe, dumpfe, braune Genuss, wie ihn sonst die Genießenden, unsre »Gebildeten«, unsre Reichen und Regierenden verstehen! Wie boshaft wir nunmehr dem großen Jahrmarkts-Bumbum zuhören, mit dem sich der »gebildete Mensch« und Großstädter heute durch Kunst, Buch und Musik zu »geistigen Genüssen«, unter Mithilfe geistiger Getränke, notzüchtigen läßt! Wie uns jetzt der Theater-Schrei der Leidenschaft in den Ohren wehtut, wie unsrem Geschmack der ganze romantische Aufruhr und Sinnen-Wirrwarr, den der gebildete Pöbel liebt, samt seinen Aspirationen nach dem Erhabenen, Gehobenen, Verschrobenen fremd geworden ist! Nein, wenn wir Genesenden überhaupt eine Kunst noch brauchen, so ist es eine andre Kunst – eine spöttische, leichte, flüchtige, göttlich unbehelligte, göttlich künstliche Kunst, welche wie eine helle Flamme in einen unbewölkten Himmel hineinlodert! Vor allem: eine Kunst für Künstler, nur für Künstler! Wir verstehen uns hinterdrein besser auf das, was dazu zuerst nottut, die Heiterkeit, jede Heiterkeit, meine Freunde! auch als Künstler –: ich möchte es beweisen. Wir wissen einiges jetzt zu gut, wir Wissenden: oh wie wir nunmehr lernen, gut zu vergessen, gut nicht-zu-wissen, als Künstler! Und was unsre Zukunft betrifft: man wird uns schwerlich wieder auf den Pfaden jener ägyptischen Jünglinge finden, welche nachts Tempel unsicher machen, Bildsäulen umarmen und durchaus alles, was mit guten Gründen verdeckt gehalten wird, entschleiern, aufdecken, in helles Licht stellen wollen. Nein, dieser schlechte Geschmack, dieser Wille zur Wahrheit, zur »Wahrheit um jeden Preis«, dieser Jünglings-Wahnsinn in der Liebe zur Wahrheit – ist uns verleidet: dazu sind wir zu erfahren, zu ernst, zu lustig, zu gebrannt, zu tief... Wir glauben nicht mehr daran, daß Wahrheit noch Wahrheit bleibt, wenn man ihr die Schleier abzieht; wir haben genug gelebt, um dies zu glauben. Heute gilt es uns als eine Sache der Schicklichkeit, daß man nicht alles nackt sehn, nicht bei allem dabei sein, nicht alles verstehen und »wissen« wolle. »Ist es wahr, daß der liebe Gott überall zugegen ist?« fragte ein kleines Mädchen seine Mutter: »aber ich finde das unanständig« – ein Wink für Philosophen! Man sollte die Scham besser in Ehren halten, mit der sich die Natur hinter Rätsel und bunte Ungewissheiten versteckt hat. Vielleicht ist die Wahrheit ein Weib, das Gründe hat, ihre Gründe nicht sehen zu lassen? Vielleicht ist ihr Name, griechisch zu reden, Baubo?... Oh diese Griechen! Sie verstanden sich darauf, zu leben: dazu tut not, tapfer bei der Oberfläche, der Falte, der Haut stehenzubleiben, den Schein anzubeten, an Formen, an Töne, an Worte, an den ganzen Olymp des Scheins zu glauben! Diese Griechen waren oberflächlich – aus Tiefe! Und kommen wir nicht eben darauf zurück, wir Wagehalse des Geistes, die wir die höchste und gefährlichste Spitze des gegenwärtigen Gedankens erklettert und uns von da aus umgesehen haben, die wir von da aus hinabgesehen haben? Sind wir nicht eben darin – Griechen? Anbeter der Formen, der Töne, der Worte? Eben darum – Künstler?

    Ruta bei Genua,

    im Herbst 1886

    Scherz, List und Rache

    Vorspiel in deutschen Reimen

    Einladung

    Wagt's mit meiner Kost, ihr Esser!

    Morgen schmeckt sie euch schon besser

    Und schon übermorgen gut!

    Wollt ihr dann noch mehr, – so machen

    Meine alten sieben Sachen

    Mir zu sieben neuen Mut.

    Mein Glück

    Seit ich des Suchens müde ward,

    Erlernte ich das Finden.

    Seit mir ein Wind hielt Widerpart,

    Segl' ich mit allen Winden.

    Unverzagt

    Wo du stehst, grabtief hinein!

    Drunten ist die Quelle!

    Laß die dunklen Männer schrein:

    »Stets ist drunten – Hölle!«

    Zwiegespräch

    War ich krank? Bin ich genesen?

    Und wer ist mein Arzt gewesen?

    Wie vergass ich alles Das!

    Jetzt erst glaub ich dich genesen:

    Denn gesund ist, wer vergass.

    An die Tugendsamen

    Unseren Tugenden auch soll'n leicht die Füsse sich heben:

    Gleich den Versen Homer's müssen sie kommen und gehn!

    Welt-Klugheit

    Bleib nicht auf ebnem Feld!

    Steig nicht zu hoch hinaus!

    Am schönsten sieht die Welt

    Von halber Höhe aus.

    Vademecum-Vadetecum

    Es lockt dich meine Art und Sprach,

    Du folgest mir, du gehst mir nach?

    Geh nur dir selber treulich nach: –

    So folgst du mir – gemach! gemach!

    Bei der dritten Häutung

    Schon krümmt und bricht sich mir die Haut,

    Schon giert mit neuem Drange,

    So viel sie Erde schon verdaut,

    Nach Erd' in mir die Schlange.

    Schon kriech' ich zwischen Stein und Gras

    Hungrig auf krummer Fährte,

    Zu essen Das, was stets ich ass,

    Dich, Schlangenkost, dich, Erde!

    Meine Rosen

    Ja! Mein Glück – es will beglücken –,

    Alles Glück will ja beglücken!

    Wollt ihr meine Rosen pflücken?

    Müsst euch bücken und verstecken

    Zwischen Fels und Dornenhecken,

    Oft die Fingerchen euch lecken!

    Denn mein Glück – es liebt das Necken!

    Denn mein Glück – es liebt die Tücken! –

    Wollt ihr meine Rosen pflücken?

    Der Verächter

    Vieles lass ich fall'n und rollen,

    Und ihr nennt mich drum Verächter.

    Wer da trinkt aus allzuvollen

    Bechern, lässt viel fall'n und rollen –,

    Denkt vom Weine drum nicht schlechter.

    Das Sprüchwort spricht

    Scharf und milde, grob und fein,

    Vertraut und seltsam, schmutzig und rein,

    Der Narren und Weisen Stelldichein:

    Dies Alles bin ich, will ich sein,

    Taube zugleich, Schlange und Schwein!

    An einen Lichtfreund

    Willst du nicht Aug' und Sinn ermatten,

    Lauf' auch der Sonne nach im Schatten!

    Für Tänzer

    Glattes Eis

    Ein Paradeis

    Für Den, der gut zu tanzen weiss.

    Der Brave

    Lieber aus ganzem Holz eine Feindschaft,

    Als eine geleimte Freundschaft!

    Rost

    Auch Rost tut not: Scharfsein ist nicht genung!

    Sonst sagt man stets von dir: »er ist zu jung!«

    Aufwärts

    »Wie komm ich am besten den Berg hinan?« –

    Steig nur hinauf und denk nicht dran!

    Spruch des Gewaltmenschen

    Bitte nie! Lass dies Gewimmer!

    Nimm, ich bitte dich, nimm immer!

    Schmale Seelen

    Schmale Seelen sind mir verhasst;

    Da steht nichts Gutes, nichts Böses fast.

    Der unfreiwillige Verführer

    Er schloss ein leeres Wort zum Zeitvertreib

    In's Blaue – und doch fiel darob ein Weib.

    Zur Erwägung

    Zwiefacher Schmerz ist leichter zu tragen,

    Als Ein Schmerz: willst du darauf es wagen?

    Gegen die Hoffahrt

    Blas dich nicht auf: sonst bringet dich

    Zum Platzen schon ein kleiner Stich.

    Mann und Weib

    »Raub dir das Weib, für das dein Herze fühlt!« –

    So denkt der Mann; das Weib raubt nicht, es stiehlt.

    Interpretation

    Leg ich mich aus, so leg ich mich hinein:

    Ich kann nicht selbst mein Interprete sein.

    Doch wer nur steigt auf seiner eignen Bahn,

    Trägt auch mein Bild zu hellerm Licht hinan.

    Pessimisten-Arznei

    Du klagst, dass Nichts dir schmackhaft sei?

    Noch immer, Freund, die alten Mucken?

    Ich hör dich lästern, lärmen, spucken –

    Geduld und Herz bricht mir dabei.

    Folg mir, mein Freund! Entschliess dich frei,

    Ein fettes Krötchen zu verschlucken,

    Geschwind und ohne hinzugucken! –

    Das hilft dir von der Dyspepsei!

    Bitte

    Ich kenne mancher Menschen Sinn

    Und weiss nicht, wer ich selber bin!

    Mein Auge ist mir viel zu nah –

    Ich bin nicht, was ich seh und sah.

    Ich wollte mir schon besser nützen,

    Könnt' ich mir selber ferner sitzen.

    Zwar nicht so ferne wie mein Feind!

    Zu fern sitzt schon der nächste Freund –

    Doch zwischen dem und mir die Mitte!

    Erratet ihr, um was ich bitte?

    Meine Härte

    Ich muß weg über hundert Stufen,

    Ich muß empor und hör euch rufen:

    »Hart bist du! sind wir denn von Stein?« –

    Ich muß weg über hundert Stufen,

    Und niemand möchte Stufe sein.

    Der Wandrer

    »Kein Pfad mehr! Abgrund rings und Totenstille!« –

    So wolltest du's! Vom Pfade wich dein Wille!

    Nun, Wandrer, gilt's! Nun blicke kalt und klar!

    Verloren bist du, glaubst du – an Gefahr.

    Trost für Anfänger

    Seht das Kind umgrunzt von Schweinen,

    Hülflos, mit verkrümmten Zeh'n!

    Weinen kann es, Nichts als weinen –

    Lernt es jemals stehn und gehn?

    Unverzagt! Bald, solle ich meinen,

    Könnt das Kind ihr tanzen sehn!

    Steht es erst auf beiden Beinen,

    Wird's auch auf dem Kopfe stehn.

    Sternen-Egoismus

    Rollt' ich mich rundes Rollefass

    Nicht um mich selbst ohn' Unterlass,

    Wie hielt' ich's aus, ohne anzubrennen,

    Der heissen Sonne nachzurennen?

    Der Nächste

    Nah hab den Nächsten ich nicht gerne:

    Fort mit ihm in die Höh und Ferne!

    Wie würd' er sonst zu meinem Sterne? –

    Der verkappte Heilige

    Dass dein Glück uns nicht bedrücke,

    Legst du um dich Teufelstücke,

    Teufelswitz und Teufelskleid.

    Doch umsonst' Aus deinem Blicke

    Blickt hervor die Heiligkeit!

    Der Unfreie

    Er steht und horcht: was konnt ihn irren?

    Was hört er vor den Ohren schwirren?

    Was war's, das ihn darniederschlug?

    Wie jeder, der einst Ketten trug,

    Hört überall er – Kettenklirren.

    Der Einsame

    Verhasst ist mir das Folgen und das Führen.

    Gehorchen? Nein! Und aber nein – Regieren!

    Wer sich nicht schrecklich ist, macht Niemand Schrecken:

    Und nur wer Schrecken macht, kann Andre führen.

    Verhasst ist mir's schon, selber mich zu führen!

    Ich liebe es, gleich Wald- und Meerestieren,

    Mich für ein gutes Weilchen zu verlieren,

    In holder Irrniss grüblerisch zu hocken,

    Von ferne her mich endlich heimzulocken,

    Mich selber zu mir selber – zu verführen.

    Seneca et hoc genus omne

    Das schreibt und schreibt sein unausstehlich weises Larifari,

    Als gält es primum scribere,

    Deinde philosophari.

    Eis

    Ja! Mitunter mach' ich Eis:

    Nützlich ist Eis zum Verdauen!

    Hättet ihr viel zu verdauen,

    Oh wie liebtet ihr mein Eis!

    Jugendschriften

    Meiner Weisheit A und O

    Klang mir hier: was höre ich doch!

    Jetzo klingt mir's nicht mehr so,

    Nur das ew'ge Ah! und oh!

    Meiner Jugend hör ich noch.

    Vorsicht

    In jener Gegend reist man jetzt nicht gut;

    Und hast du Geist, sei doppelt auf der Hut!

    Man lockt und liebt dich, bis man dich zerreisst:

    Schwarmgeister sind's –: da fehlt es stets an Geist!

    Der Fromme spricht

    Gott liebt uns, weil er uns erschuf!-

    »Der Mensch schuf Gott!« – sagt drauf ihr Feinen.

    Und soll nicht lieben, was er schuf?

    Soll's gar, weil er es schuf, verneinen?

    Das hinkt, das trägt des Teufels Huf.

    Im Sommer

    Im Schweisse unsres Angesichts

    Soll'n unser Brot wir essen?

    Im Schweisse isst man lieber Nichts,

    Nach weiser Ärzte Ermessen.

    Der Hundsstern winkt: woran gebricht's?

    Was will sein feurig Winken?

    Im Schweisse unsres Angesichts

    Soll'n unsren Wein wir trinken!

    Ohne Neid

    Ja, neidlos blickt er: und ihr ehrt ihn drum?

    Er blickt sich nicht nach euren Ehren um;

    Er hat des Adlers Auge für die Ferne,

    Er sieht euch nicht! – er sieht nur Sterne, Sterne.

    Heraklitismus

    Alles Glück auf Erden,

    Freunde, gibt der Kampf!

    Ja, um Freund zu werden,

    Braucht es Pulverdampf!

    Eins in Drei'n sind Freunde:

    Brüder vor der Not,

    Gleiche vor dem Feinde,

    Freie – vor dem Tod!

    Grundsatz der Allzufeinen

    Lieber auf den Zehen noch,

    Als auf allen Vieren!

    Lieber durch ein Schlüsselloch,

    Als durch offne Türen!

    Zuspruch

    Auf Ruhm hast du den Sinn gericht?

    Dann acht' der Lehre:

    Bei Zeiten leiste frei Verzicht

    Auf Ehre!

    Der Gründliche

    Ein Forscher ich? Oh spart dies Wort! –

    Ich bin nur schwer – so manche Pfund'!

    Ich falle, falle immerfort

    Und endlich auf den Grund!

    Für immer

    »Heut komm' ich, weil mir's heute frommt« –

    Denkt Jeder, der für immer kommt.

    Was ficht ihn an der Welt Gered':

    »Du kommst zu früh! Du kommst zu spät!«

    Urteile der Müden

    Der Sonne fluchen alle Matten;

    Der Bäume Wert ist ihnen – Schatten!

    Niedergang

    »Er sinkt, er fällt jetzt« – höhnt ihr hin und wieder;

    Die Wahrheit ist: er steigt zu euch hernieder!

    Sein Überglück ward ihm zum Ungemach,

    Sein Überlicht geht eurem Dunkel nach.

    Gegen die Gesetze

    Von heut an hängt an härner Schnur

    Um meinen Hals die Stunden-Uhr:

    Von heut an hört der Sterne Lauf,

    Sonn', Hahnenschrei und Schatten auf,

    Und was mir je die Zeit verkünd't,

    Das ist jetzt stumm und taub und blind: –

    Es schweigt mir jegliche Natur

    Beim Tiktak von Gesetz und Uhr.

    Der Weise spricht

    Dem Volke fremd und nützlich doch dem Volke,

    Zieh ich des Weges, Sonne bald, bald Wolke –

    Und immer über diesem Volke!

    Den Kopf verloren

    Sie hat jetzt Geist – wie kam's, dass sie ihn fand?

    Ein Mann verlor durch sie jüngst den Verstand,

    Sein Kopf war reich vor diesem Zeitvertreibe:

    Zum Teufel ging sein Kopf – nein! nein! zum Weibe!

    Fromme Wünsche

    »Mögen alle Schlüssel doch

    Flugs verloren gehen,

    Und in jedem Schlüsselloch

    Sich der Dietrich

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