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Die Hexenrichter von Würzburg: Historische Novelle
Die Hexenrichter von Würzburg: Historische Novelle
Die Hexenrichter von Würzburg: Historische Novelle
eBook233 Seiten3 Stunden

Die Hexenrichter von Würzburg: Historische Novelle

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Über dieses E-Book

In "Die Hexenrichter von Würzburg" beleuchtet Franz von Seeburg die erschütternden Ereignisse der Hexenverfolgungen im 17. Jahrhundert, unter besonderer Berücksichtigung des berüchtigten Prozesses in Würzburg. Seeburg verbindet historisch fundierte Erzählungen mit einem eindringlichen, literarisch anspruchsvollen Stil, der den Leser in die düstere Atmosphäre dieser Zeit eintauchen lässt. Die Mischung aus fesselnder Prosa und sorgfältig recherchierten historischen Fakten ermöglicht eine tiefere Reflexion über Machtmissbrauch, Aberglauben und die menschliche Psyche zur damaligen Zeit, was das Buch zu einem wichtigen Beitrag zur deutschen Geschichte und Literatur macht. Franz von Seeburg, ein angesehener Historiker und Schriftsteller, widmet sich in seinem Werk den sozialen und politischen Strukturen, die zu den massiven Hexenverfolgungen führten. Durch seine umfassenden Kenntnisse der Geschichte und seiner kritischen Sichtweise auf die menschliche Natur gelingt es Seeburg, die Komplexität der Motivationen und Ängste, die zu diesen Tragödien führten, eindrucksvoll darzustellen. Diese Expertise wird durch seine eigene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geprägt, die ihn dazu anregte, den dunklen Schatten der Geschichte zu beleuchten. Dieses Buch ist nicht nur für Geschichtsinteressierte von großer Bedeutung, sondern auch für Leser, die sich mit den tiefgreifenden Themen von Glaube, Rechtsprechung und Ethik auseinandersetzen möchten. Seeburgs deftiger und zugleich nachdenklicher Stil regt den Leser dazu an, über die Gefahren von Fanatismus und Intoleranz nachzudenken. "Die Hexenrichter von Würzburg" ist ein fesselndes Pflichtwerk, das zum Nachdenken anregt und die dunklen Kapitel unserer Geschichte in ein neues Licht rückt.
SpracheDeutsch
HerausgeberSharp Ink
Erscheinungsdatum30. Jan. 2023
ISBN9788028277673
Die Hexenrichter von Würzburg: Historische Novelle

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    Buchvorschau

    Die Hexenrichter von Würzburg - Franz von Seeburg

    Franz von Seeburg

    Die Hexenrichter von Würzburg

    Historische Novelle

    Sharp Ink Publishing

    2024

    Contact: info@sharpinkbooks.com

    ISBN 978-80-282-7767-3

    Inhaltsverzeichnis

    1. Kapitel: Fahrendes Volk

    2. Kapitel: In stiller Zelle

    3. Kapitel: Jahrmarkt

    4. Kapitel: Eine Hexe

    5. Kapitel: Ein blindes Kind - ein blinder Richter

    6. Kapitel: Richterweisheit

    7. Kapitel: Edle Menschen

    8. Kapitel: Spürhunde

    9. Kapitel: Der Jesuit im Gefängnis

    10. Kapitel: Elsa und Edeltraut vor den Richtern

    11. Kapitel: Der Richter im Gefängnisse

    12. Kapitel: Das Elend und der Wahn wachsen

    13. Kapitel: »Priester im Bunde des Satans«

    14. Kapitel: Blutiges Morgenrot

    15. Kapitel: Der Wahrheit Sieg

    1. Kapitel: Fahrendes Volk

    Inhaltsverzeichnis

    Rings düsterer Wald. Alte Buchen, mächtige Föhren und Tannen beschatten einen Boden, den nur selten eines Wanderers Fuß betritt. Ungestört äst dort der Hirsch, weidet das Reh und krächzt die Eule. Die geheimnisvolle Weihe von Jahrhunderten liegt über diesem Meere von Bäumen, über das wilde Stürme hinweggebraust und über dem so oft des herrlichen Frankenlandes Sonne aufgegangen. Neben der in sich zusammenbrechenden Eiche keimt und sproßt neues junges Leben in saftweichem Grün, unter dem Schatten weitästiger Buchen glüht unbegehrt und ungepflückt im schwellenden Moosgrunde die Erdbeere. Dem Schiffe gleich, das stolz die Wellen durchschneidet, fliegt in majestätischem Flügelschlage der Geier über das wogende Meer grünender Kronen, während in dem dichten Geäste die Sänger des Frühlings aus frischen Kehlen singen.

    Dort, wo der Wald sich lichtet und von sanfter Anhöhe nach dem Tale niedersteigt, steht im Tannenschatten ein einsames Haus. Fest, massiv sind seine Mauern, aus regellosem Gesteine gefügt. Rings an den Wänden kriecht der schwarzgrüne Efeu träge hinauf und verschleiert mit seinen Blättern die kleinen Fensterbogen mit ihren sonnenblinden, runden Glasscheiben. Die Haustüre steht offen und gewährt freien Einblick in einen gewölbten, halbdunklen Hausflur, an dessen Ende ein roh gezimmerter alter Eichentisch auf weit gespreizten Beinen steht. Über diesem an der graufarbigen Wand hängt ein Kruzifix, schwarz, schmutzig, von Spinnengeweben umzogen, vom Holzwurme angefressen.

    's ist Frühlingsabend. Die scheidende Sonne hat ihren Glanz in ungezählte Lichter gebrochen, welche auf dem jungen zarten Grün der Buchen und auf dem dunkeln Boden des Waldes ihren Abendreigen in feenhaftem Tanze feiern. Auch an dem alten Hause zieht scheidend ein rosiger Strahl vorüber, ein warmer Kuß, auf Leichenlippen gehaucht, und stirbt dann in dem Schatten der Waldesnacht.

    Kein Vogelsang mehr! Die kleinen Flöten sind müde geworden und träumen von neuen Liedern für den morgigen Tag. Nur die Eule ächzt wie das Gewissen eines schlaflosen Sünders durch die tiefe Stille des Abends.

    Gott grüß euch, ihr Sterne! Warum soll ich euch denken als riesige Körper in endlos weiten Fernen, an denen des Menschen forschender Geist Zirkel und Zahl versucht? Nein, ihr seid mir liebe Engelsaugen, die freundlich auf Flur und Wald und in fromme Menschenherzen niedergrüßen.

    Ein greller Pfiff, darauf ein rohes Lachen. Dort teilt sich des Niederwaldes dichtes Geäste und wilde, verwetterte Gestalten treten heraus. Sie schreiten dem alten Hause zu und lagern sich vor demselben ins schwellende Gras.

    »Heda, Zuckerwastl!« ruft ein kleiner, dicker Geselle, den breiten Schlapphut fest auf den Kopf gedrückt; »heda, wirf deinen zusammengestohlenen Kram ins Gras! Bist nicht halb mehr der Spitzbube, wenn du die Ware vom Rücken nimmst.«

    Der Angeredete streifte stechenden Auges den Dickwanst. Erst löste er die Lederbänder seiner Kraxe, stellte diese beiseite und reckte Arme und Beine; dann fuhr er mit dem Ärmel über sein wettergebräuntes Gesicht, um sich den Schweiß abzutrocknen, und strich endlich mit stolzem Selbstbewußtsein über das abgeschlissene Sammetwams, über dem um den dürren Hals eine Messingkette hing.

    »Bist der schmuckste Junker im Frankenlande,« spottete der Dicke weiter; »gehst in Sammet und Seide gleich einem Grafen. Nur schade, daß der ganze Plunder sowenig wert ist als der, der ihn trägt.«

    »Pappenheimer,« gab trocken der Zuckerwastl zurück, »stecke deine rote Nase nicht zu tief in meinen Topf, es möchte dir sonst übel ergehen!«

    Mit diesen Worten wandte er sich von dem Dicken ab und seinen anderen Gesellen zu.

    »Du mein Gott!« lachte er, einem mürrischen Alten vertraulich auf die Schultern schlagend, »wie wirst du grau und schwach, zerbrochener Paulus! Hab' dich auch einst in besseren Zeiten gesehen, ehe sie dir in München im Falkenturme die Glieder gestreckt haben. Ja, ja, Spitzbubenleben macht noch schneller alt als Herrenleben; es geht eben gar zuviel Ungewitter über einen richtigen Schelmenkopf!«

    »Dir hat es doch nicht übel bekommen,« gab der zerbrochene Paulus, ein hinkender Alter, halb verdrossen, halb neidig zurück.

    »Glaub's wohl,« lachte der Neunaugen, ein widerlicher Kerl mit dünner Stimme und schielenden Augen; »es versteht sich nicht jeder so gut auf sein edles Handwerk wie der Junker Zuckerwastl! So einer solch weisen Kopf zwischen seinen Schultern sitzen hat, mögen ihm die hochgelahrten Herren mit den hänfenen Halskrausen und dem peinlichen Rechte nicht beikommen.«

    Der Zuckerwastl nickte dankend für das gespendete Lob, pfiff ein Lied und schritt nach dem Hausflure, um dort den Schenkwirt aufzusuchen. —

    Wir haben hier eine Gesellschaft vor uns, wie sie sich in einem alten Gerichtsakte gezeichnet findet, Gauner vom reinsten Wasser, echte Erzeugnisse jener wilden Zeit des beginnenden siebzehnten Jahrhunderts, wo die unteren Volksschichten fast ohne Bildung waren und eine ganz erbärmliche Justiz den letzten Rechtsbegriff in der Menge zerstörte.

    Der Zuckerwastl war eine lange, hagere Gestalt mit stechenden Augen und dünnen schwarzen Haaren; jenen Namen trug er, weil er stets einen kleinen Kram mit sich trug, der aus Zucker, Gewürz, Hutschnüren, Schamlot und Hosenbändern bestand; diese Gegenstände aber sollten ihm nicht zu redlichem Erwerbe dienen, sondern vielmehr ein Mittel sein, sich als fahrender Händler in die Häuser einzuführen, die Gelegenheit zum Stehlen auszukundschaften und dann mit seinen Gesellen nach Lust und Möglichkeit zu rauben, oder, wenn es nicht anders ging, wohl auch zu morden. Er gehörte zu jenen Landfahrern, welche von wandernden Eltern stammen, ohne Heim und bleibende Stätte, dem Wandertriebe folgend von der Wiege bis zum Galgen oder, wenn er unter einem guten Sterne geboren war, bis zu einer Grube draußen im Walde; ohne Aufblick nach oben, ohne Verständnis des Diesseits, ohne Hoffen und Sehnen nach einem besseren Jenseits. Die wenigen Begriffe von Gott und Religion fanden sich in solchen Menschen nur im Zustande greulichster Verzerrung, daher auch jene mehr dämonische als bloß abergläubische Auffassung vom Wesen und der Gewalt des Satans. Ja, diese Gattung Leute betrachtete sich im Bewußtsein der eigenen Verworfenheit und in dem Gefühle der Verachtung, mit der ihnen jede über ihnen stehende Schichte der Gesellschaft begegnete, als bereits bei lebendigem Leibe dem Teufel zu eigen verfallen und fand, dadurch mit dem Gifte des Hasses erfüllt, eine satte Befriedigung darin, wenn möglich durch Hilfe des Satans Rache an jenen zu üben, die, sei es durch Tugend oder Geistesbildung oder Glücksgüter, hoch über ihnen standen.

    Wie die Neuzeit trotz ihrer teils wirklichen, teils vermeintlichen Aufklärung sich einem epidemischen Wahnsinne im Tischklopfen, Somnambulismus und Magnetismus hingegeben und damit, bewußt oder unbewußt, einen Dämonenkult getrieben hat, und wie diese Abirrung ihren Grund in einer verrückten Anschauung aller göttlichen und irdischen Ordnung und in einer krankhaften sozialen Auffassung hatte: so auch jene Erscheinungen voll beschämender Verirrungen, die uns im Hexen- und Zauberwahne entgegentreten. Sie waren nichts anderes als eine häßliche soziale Krankheit, großgezogen durch religiöse Unbildung und unverstanden von jenen, deren heiligste Pflicht und schönste Aufgabe es gewesen wäre, hier rettend, heilend, versöhnend dazwischenzutreten. Die rohe Gewalt des Scheiterhaufens war dem geistig kranken Volke kein Gegenbeweis seines Irrtums, sondern vielmehr eine unumstößliche Bestätigung seines Wahnglaubens. —

    Der Zuckerwastl war so ganz ein Produkt seiner Zeit: keck, verwegen, auf einen Gott nicht hoffend, aber dem Teufel vertrauend, ein Fremdling auf der weiten Welt und doch überall zu Hause, wo Gelegenheit oder Verbrechen ihm den Tisch deckten, jeden hassend und sich selbst nicht liebend, dagegen Rad und Galgen als sicheren Schlußstein eines trost- und friedelosen Lebens stets vor Augen.

    Eine dunkle, gestaltlose Ahnung erzählte ihm noch von Eltern. Als Bube streunte er bettelnd und stehlend Land auf und ab, sah keine Schule, hörte kein Gotteswort, kniete in keinem Beichtstuhle, verstand kein Gebet, ward Jüngling und Mann und Verbrecher, und berechnete als solcher sein Leben nicht nach Tagen und guten Werken, sondern nur mehr nach Übeltaten und rohen Genüssen.

    Die Gesellschaft, die sich in buntem Wechsel um ihn als ihren Kernpunkt kristallisierte, war nicht besser als er selbst. Dort sehen wir unter dem langen Abendschatten des einsamen Waldhauses den Pappenheimer und den zerbrochenen Paulus, beide Kesselflicker aus der Passauer Gegend, Meister in der Zunft der Diebe, Räuber und Brandstifter. Dann noch den Neunaugen, einen ehemaligen Dorfschmied, der sich wegen eines Mordes aus seiner Heimat geflüchtet hatte, unterwegs eine sechzehnjährige, ihren Eltern entlaufene, umherstreunende Dirne aufgriff und zum Weibe nahm, obwohl er zu Hause Weib und Kinder im tiefsten Elende zurückgelassen. —


    Der zerbrochene Paulus hatte sich neben dem Neunaugen ins Gras gelegt und stierte unverwandten Blickes nach dem abendlichen Himmel empor, an dem ein Stern nach dem andern in mildem Lichte aufleuchtete.

    »Bist gewaltig ernst und nachdenklich,« brach der Neunaugen das Schweigen; »willst vielleicht in den Sternen lesen, wann für dich Galgen und Rad gezimmert werden?«

    »Nein!«

    »Nun, was guckst du denn dann?«

    »Verstehst es doch nicht, wenn ich es dir auch sagen wollte, windischer Kopf!«

    »Meinst du? Käme erst auf eine Probe an. Wollt' ich doch meine Seligkeit an einen Krug Wein verwetten, ich wäre klüger geworden als mancher Ratsherr, wenn ich nicht zwischen den Stauden der Heide aufgewachsen wäre.«

    »Mag sein! Weil dein Verstand nicht ganz gestorben zu sein scheint, so will ich dir also sagen, was ich gucke und mir dabei denke. Siehst du die Sterne?«

    »Ei wohl!«

    »Denkst du dir auch etwas über diesen Sternen?«

    »Man sagt gewöhnlich, der Herrgott wohne dort.«

    »Gut. Ich denke mir das auch. Nun sage mir, alter Sünder, hoffest du dort auch einmal hinaufzukommen?«

    Der Neunaugen richtete sich in hellem Erstaunen aus dem taufeuchten Grase auf und schaute seinen Nachbar mit einem langen, fragenden Blicke an.

    »Ich — in den Himmel? Nein!«

    Das stieß er heftig, fast schmerzlich heraus.

    »Und warum nicht?« fragte der andere mit steigendem Ernste.

    »Das will ich dir sagen, denn ich weiß es. Ein Teil Menschen gehört unserem Herrgott, der andere dem Teufel. Und wir armen Teufel — nun, wir gehören eben dem Teufel.«

    Dazu stieß er ein häßliches, heiseres Lachen aus.

    »Ich will dir etwas sagen,« fuhr der Neunaugen ruhiger fort und rückte näher an die Seite des zerbrochenen Paulus. »Ich weiß eigentlich gar nicht, wozu unsereiner auf der Welt ist. In einem Stadel oder unter einem Waldbaume zur Welt gekommen, sind wir gleich dem Wilde, das aus einem Jagdbogen in den andern läuft, bis ihm der Jäger das tötende Blei ins arme Herz schießt. Ja,« fuhr er fort und ballte die Rechte, »die drinnen in den Städten, die sattgemästeten Bürger und die stolzen, übermütigen Junker, die dicken Ratsherren und erst gar die Priester und Mönche, diese alle können leicht auf unseren Herrgott hoffen, ihnen ist Zeit und Ewigkeit wie auf das Butterbrot gestrichen — aber wir? Was fangen wir an? Weißt du,« flüsterte er und stieß seinen Nachbar mit dem Ellenbogen an, »für uns ist es immerhin das beste, wir verschreiben uns kurzweg dem Satan!«

    »Was nützt uns der?« gab der zerbrochene Paulus verdrossen zurück. »Ist er doch ein Schelm gleich uns!«

    »Magst nur zu sehr recht haben. Aber er kann uns armen Tropfen doch manchen Nutzen schaffen. Du, glaube ich, wärest der letzte, der es verschmähte, wenn ihm der Teufel die Gewalt gäbe, aus glühenden Kohlen Gold zu machen, verborgene Schätze zu heben und unterschiedlichen Zauberspuk zu treiben.«

    »Ja, wenn es nur so wäre!« seufzte Paulus auf und schaute wieder nach den Sternen. —

    — Drinnen im Hause sitzt der Zuckerwastl in einer dunkeln Ecke und führt mit dem Wirte flüsterndes Zwiegespräch.

    »Nun, alter Diebsvater, weißt du nirgend einen fetten Bissen, der auf unsere langen hungerigen Finger wartet?«

    Der Schenkwirt, ein alter Mann, dessen linkes Auge ausgeronnen ist, und über dessen kahlen Scheitel sich eine breite Schramme zieht, scheint diese Frage nicht zu beachten. Er sitzt mit überschlagenen Beinen auf seiner Holzbank und heftet den Blick auf den roten, ausgetretenen Ziegelboden.

    »Ich war jüngst in Würzburg unten,« begann er in halblautem Selbstgespräche. »Die herrliche Stadt ist häßlich geworden; wohin immer du gehst, riecht es nach Blut. Da drinnen reitet der Satan die Herren bei lebendigem Leibe! Du glaubst nicht, alter Freund, wie sie da drunten morden und brennen! Lauter echtes Hexenfleisch! Jetzt ist dort alles und jegliches Hexe und verhext! Möchte nicht wetten, ob sich die klugen Herren am Gerichte in ihrer großen Weisheit nicht selbst zuletzt noch für Zauberer und vom Teufel Besessene halten. Wenn die Herren nicht so dumm wären, so wäre dies ein gar kluger Gedanke für sie. Denn wenn doch einmal alles des Teufels sein muß, dann sind sie wahrlich dazu die besten. Aber höre, Alter, dazwischen klingt etwas wie Wundermäre! Bei den Jesuitern ist ein junger Pater, ich habe ihn selbst gesehen, dieser nimmt sich mit brennender Liebe der armen Hexen an, als wären es seine eigenen Schwestern. Er schwört bei allem Heiligen, es geschehe den Ärmsten allen unrecht, denn es gebe keine Hexen —«

    »Was?« fuhr der Zuckerwastl dazwischen. »Solches sagt er?«

    »Jawohl, das sagt er!« bestätigte der Wirt mit großem Ernste. »Und noch mehr! Er tut das mit eigener großer Gefahr, denn alle die Hochweisen am Gerichte behaupten steif und fest, solches sei helle Ketzerei, und man dürfe sowenig Hexen und Unholde leugnen als unseren Herrgott selbst, und es liefen der Hexen wohl hundert und tausend durch das Land und suchten Menschen und Vieh und alle Erdenfrucht zu verderben. Die Gestrengen sind dem Pater schon hart angelegen, er solle doch endlich Vernunft annehmen und auch wie jeder klar denkende Mensch an Hexen glauben; hätten ihn doch seine Ordensobern ebendarum vom Rheine herauf nach Würzburg gesendet, um den armen Wesen, die ganz vom Teufel besessen sind, in der letzten Stunde tröstend und erlösend beizustehen; aber der Spee ist wie aus Eisen, er biegt und beugt sich nicht; es gibt keine Hexen — das ist sein tägliches Wort, und das sagt er so sicher und fest, als sagte er einen Ausspruch aus Gottes Mund, und mit alledem steht der Pater ganz allein, niemand hilft ihm, niemand steht auf seiner Seite!«

    Der Zuckerwastl machte große Augen und wiegte nachdenklich das Haupt.

    »Es soll dem Manne keine Schande sein, wenn ein Kerl, wie ich einer bin, ihn lobt. Aber meinst du auch, er setzt seinen Kopf durch?«

    »Ich kann es schier nicht glauben; es sind zu viele gegen ihn, und darunter alle Großen. Und diese können und wollen das Rädern, Martern und Verbrennen nicht mehr lassen. Sie sind es gewohnt, wie du das Stehlen; und sowenig du dich deines Schelmenhandwerks schämst, sowenig schämen sich die Herren ihrer Grausamkeit. Weißt du, sie haben für ihre Dummheit ein gar heiliges Pflaster, sie sagen: sie dienen Gott!«

    »Sei mir stille, alter Schwätzer, und lasse mich denken! Ich bin nur ein armer, windflüchtiger Geselle, den es Mühe kostet, an einen Gott zu glauben, den er nicht schaut, den es aber noch mehr Überwindung kostet, an die Liebe der Menschen zu glauben, die er nicht sieht. Der Spee ist ein seltener Mensch; er setzt sich aller Gefahr und Feindschaft aus, nur um solcher willen, denen jeder andere aus dem Wege geht, die alle hassen und verachten. Das kann ihm nicht Geld und nicht Ehre und auch nicht Frieden einbringen; sag' mir, alter Zigeuner, warum tut er das wohl?«

    »Ich weiß es nicht,« versetzte der Wirt. »Mir ist der Mann ein heiliges Rätsel. Drunten in der Stadt sagen die einen, Spee tue dies alles aus fester Überzeugung und reiner Menschenliebe; andere nennen ihn einen verrückten Kopf, und wieder andere flüstern sich in die Ohren, er stehe selbst mit dem Satan im Bunde und nehme sich der Hexen und Unholde nur darum an, damit diese desto ungestörter Land und Leute verderben könnten.«[A]

    »Dumme Menschen!« lachte der Zuckerwastl. »Der Pater selbst ein Unhold — der Blödsinn sieht der Ratsherrnweisheit so ähnlich, wie ein Ei dem andern. Aber,« fuhr er, plötzlich ernster werdend, weiter, »meinst du wirklich, der Jesuit ergreife wohl aus reiner Menschenliebe für die Hexen Partei? Sieh, ich verstehe das nicht, aber es kommt mir wie Sonnenschein über meine alte schmutzige Seele, wenn ich denke, daß es doch noch ein Menschenherz gibt, das auch die Verdammten liebt; denn verdammt sind sie ja doch alle, die Hexen und Zauberer.«

    »Habe mir auch schon oft so meine eigenen Gedanken darüber gemacht,« antwortete der Schenkwirt; »klar bin ich mir aber über den Mann nicht geworden. Aber was ich seit meinen jungen Jahren nicht mehr verspürt habe, das habe ich gegen den Pater empfunden: Liebe, ehrliche, aufrichtige Liebe. Schau, Alter, wenn der Spee recht hätte und machte mit seinem hellen Verstande und mit

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