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Amtmanns Magd
Amtmanns Magd
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eBook250 Seiten3 Stunden

Amtmanns Magd

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Über dieses E-Book

In "Amtmanns Magd" entfaltet Eugenie Marlitt eine gefühlvolle Erzählung über Liebe, soziale Ungleichheit und die Herausforderungen des Lebens im 19. Jahrhundert. Der Roman, der in einem realistischen Stil verfasst ist, spiegelt die gesellschaftlichen Verhältnisse der Zeit wider und thematisiert das Ringen der Protagonistin mit ihrer Rolle als Dienstmagd im Landadel. Marlitt gelingt es, die inneren Konflikte ihrer Figuren lebendig darzustellen, wodurch der Leser eine tiefere Verbindung zu den Charakteren und deren Schicksalen aufbaut. Die geschickte politische und soziale Analyse wird durch eine fesselnde Erzählweise ergänzt, die den Leser bis zur letzten Seite in ihren Bann zieht. Eugenie Marlitt, eine bedeutende Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts, wurde durch ihre eigenen Erfahrungen als Frau in der damaligen Gesellschaft geprägt. Aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen, kannte sie die Herausforderungen und das Streben nach sozialem Aufstieg nur zu gut. Diese persönlichen Bezüge verleihen "Amtmanns Magd" eine authentische Stimme und ermöglichen es der Autorin, kritisch auf die gesellschaftlichen Strukturen ihrer Zeit zu blicken. Dieses Buch ist ein Muss für jeden, der sich für historische Romane und die Herausforderungen der damaligen Gesellschaft interessiert. Marlitts einfühlsame Charaktere und die fesselnde Handlung laden dazu ein, über die Thematiken von Liebe und Klassenunterschieden nachzudenken. "Amtmanns Magd" ist nicht nur ein literarischer Genuss, sondern auch eine tiefgründige Reflexion über menschliche Beziehungen und soziale Gerechtigkeit.
SpracheDeutsch
HerausgeberSharp Ink
Erscheinungsdatum1. Juli 2015
ISBN9788028253011
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    Buchvorschau

    Amtmanns Magd - Eugenie Marlitt

    Eugenie Marlitt

    Amtmanns Magd

    Sharp Ink Publishing

    2024

    Contact: info@sharpinkbooks.com

    ISBN 978-80-282-5301-1

    Inhaltsverzeichnis

    1.

    2.

    3.

    4.

    5.

    6.

    7.

    8.

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    10.

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    17.

    18.

    19.

    20.

    1.

    Inhaltsverzeichnis

    Die alte Frau Oberforstmeisterin war schon seit länger als einem Jahr verstorben. Ein Jahr ist für die Toten, die bekanntlich schnell vergessen werden, eine lange Zeit, und die alte Dame im Hirschwinkel hatte nach landläufigem Ausdruck keinerlei »Freundschaft« hinterlassen – es war um ihretwillen weit und breit auch nicht das kleinste Stückchen Trauerband gekauft und angelegt worden. Somit wäre ihr einsames Dasein wohl ohne weiteres spurlos verlöscht wie ein ausgeblasenes Licht, wenn sie nicht zeitlebens den stark bemerkbaren Stempel einer Sonderlingsnatur getragen hätte – solches Zeichen aber verflüchtigt sich nicht so bald für die Überlebenden.

    Die wenigen Dorfleute, die ihr Weg dann und wann am Gutshause im Hirschwinkel vorüberführte, guckten deshalb auch beharrlich nach dem Erkerfenster im oberen Stock und erwarteten steif und fest, daß der kleine Frauenkopf mit den weißen Ringellöckchen an Stirn und Schläfen und der Stahlbrille auf dem Nasenrücken beim Geräusch ihrer Schritte lebhaft herumfahre und durch die Scheiben sehe. Da hatte ja immer der scharfmusternde Blick über die Brillengläser hinweg jedes noch so ängstlich verheimlichte Loch im Ärmel, jeden Schmutzflecken an den Schürzen und Weiberröcken, aber auch die stillste Leidensmiene sofort bemerkt, und je nachdem war ihnen ein Wort strengen Tadels oder die Aufforderung, doch schnell einmal mit dem Armsündergesicht heraufzukommen, zugerufen worden.

    Den Arbeitern im Walde aber, den Holzknechten, den Pechsiedern und Kienrußbrennern, fehlte sie erst recht. Das »Waldweiblein« war immer so pünktlich und rüstigen Schrittes dahergekommen. Die schwarze Krepphaube, das um die Schultern geschlagene Kantentuch war ihnen so bekannt gewesen wie die behenden Frauenfüße in weißen Strümpfen, über denen sich nach alter Mode die schwarzen Schuhbänder kreuzten, wie der grünseidene Strickbeutel, der ihr am Arm baumelte, und der kluge, neben der greisen Herrin hertrabende weiße Pudel.

    Aus dem grünen Arbeitsbeutel war immer frischgepflücktes Kräuterwerk, nach welchem sich der alte Rücken unermüdlich bückte, in dicken Büscheln gequollen, und dabei hatte dieser vorweltliche weite Seidensack ein ganzes Lager von chirurgischen Instrumenten, Pflasterschachteln und Medizinfläschchen beherbergt, woneben einige grobe Seifenstückchen nie fehlten; denn wie andere mildtätige Seelen warme Suppe, so hatte die Frau Oberforstmeisterin eifrig Seife im großen Waschkessel für die Armen gekocht. Der Schrecken der Schmutzigen, ein unerschrockener Arzt und Bader für die Kranken und Verunglückten, war sie aber auch ein wahrer Zank-und Sprühteufel gegenüber dem blühenden Thüringer Aberglauben gewesen, und bei dem leisesten Verdacht, daß man zum »Verbüßen und Besprechen« von Wunden und Gebrechen greife, hatte sie den Leuten den Kopf gewaschen und ihnen den Text gelesen »nach Noten«, wie sie sagten.

    Sie war eines natürlichen Todes gestorben, an einem Erkältungsfieber, das sie sich beim Kräutersuchen auf zugigem Berggipfel geholt. Weil sie jedoch von der ersten Stunde ihres Erkrankens an bis zum letzten Atemzug stark phantasiert und die Besinnung nicht wiedererlangt hatte, so unterlag es keinem Zweifel, daß ihr die bösen Mächte, die sie Zeitlebens bekämpft, schließlich selbst »an den Kragen« gegangen waren – sie mußte durchaus »etwas« im Walde gesehen haben, es war ihr »angetan« worden.

    Letztwillige Verfügungen fanden sich nicht vor, und so fiel ihr vortrefflich bewirtschaftetes, im sogenannten Hirschwinkel gelegenes Gut einem Verwandten in der Mark zu, von welchem keine Menschenseele je etwas gehört hatte. Er blieb auch fern und unsichtbar, nachdem er sein Erbe angetreten hatte, kaum daß man erfuhr, er heiße Markus und sei Besitzer einer bedeutenden Maschinenfabrik in der Nähe von Berlin.

    Er schien kein Gewicht auf den neuen Besitz zu legen; die Verwaltung desselben mochte ihm nicht passen; deshalb war alles in Bausch und Bogen verpachtet. Der Pächter wohnte im unteren Geschoß, und im oberen Stock des verwaisten Gutshauses vergnügte sich das Mäusevolk, »und die Spinnen würden ja wohl noch die Schlüssellöcher mit ihren scheußlichen grauen Webelappen verstopfen«, pflegte die schönere Hälfte des Pächters, Frau Triebet, mit verächtlichem Achselzucken zu sagen; denn weder ihr selbst noch dem Kehrbesen und Scheuerwisch war der Eintritt gestattet.

    Auf den höher gelegenen Strichen des Thüringer Waldes gedeihen die Halmfrüchte nicht sonderlich, Wiesen und Kartoffelbau herrschen vor. Die schmalen Talgründe liegen oft in stundenlanger grüner Linie wie ein schimmerndes Samtpolster zwischen den waldbewachsenen Bergen; Gras, glitzerndes Wassergerinnsel, auch wohl ein kühler Forellenbach oder die weiße, glatte Landstraße wechseln miteinander ab. Der Hirschwinkel dagegen war eine selten sonnige, geschützte Waldecke, eine Art Eiland, auf welchem der Sommerwind nach Herzenslust mannshohes Halmgewoge der Kornfelder vor sich herjagen und sogar in den tiefgelben Breiten des edlen Weizens wühlen konnte. Das hübsche Gut lag ziemlich abseits von den belebten Verkehrswegen, gleichsam hinter den Waldkulissen; deshalb konnte es recht wohl geschehen, daß der Fremde, der bereits seit einer vollen Stunde den Waldfahrweg beschritt, plötzlich halt machte, um sich an frischem Quellwasser für einen vermeintlich noch längeren Marsch zu erquicken.

    Der dünne Wasserstrahl, der am Abhang zwischen dem entblößten Wurzelgeflecht einer schief überhängenden Fichte hervorquoll, war kalt wie Eis und von köstlichem Wohlgeschmack – der kleine silberne Reisebecher wurde wiederholt gefüllt und geleert, dann schritt der Herr fürbaß. Über den Arm trug er einen Sommermantel, in der Hand hielt er eine kleine Ledertasche – eine leichte Reiseausrüstung; sonst hätte man den schlanken Mann in der hellgrauen Joppe für einen Spaziergänger halten können, so behaglich schlendernd, ganz dem Genuß der Waldschönheit hingegeben, verfolgte er die Weglinie, die, wie gewaltsam in das Buchendüster hineingeschnitten, sich durch die Stämme drängte.

    Er war bisher ein einsamer Wanderer gewesen, keine Menschenseele war ihm begegnet. Er sah die Eichhörnchen von Ast zu Ast schlüpfen und die grünen Fahnen der Farne am Wege zittern, wenn sich kleines Getier unter dem Pflanzengeschlinge tummelte, das die schaffende Kraft des Waldbodens immer wieder bis in die Fahrgeleise herübertrieb. Die leichtbewegte Luft hauchte ihm Erdbeerdüfte und für Augenblicke auch den appetitlichen Geruch von Bratkartoffeln zu; sie trug auch das schwache Geräusch ferner Axtschläge herüber, und seit einer Viertelstunde begleitete den Gehenden zur Rechten das Murmeln fließender Gewässer, die er nicht sah. Nun aber lichtete sich das Dickicht allmählich nach dieser Seite hin, und sonnige Wiesenflächen leuchteten herein; ein rascher Bach schoß mitten durch das rasige Gelände und trieb weiter unten die Räder einer Schneidemühle. Da war im engen Rahmen dunkelnden Gehölzes der ganze Zauber einer Waldidylle eingefangen. Ein schmaler Steg führte über das Wasser, ein einfaches Gefüge, durch dessen auseinanderklaffende Bretter das drunten rauschende Gewässer heraufblickte.

    Der Fremde beschleunigte seine Schritte. Er betrat den Steg, jedenfalls um den vollen Anblick des hübschen Landschaftsbildes zu gewinnen; aber er kannte wohl die Heimtücke solcher sorglos über die Bäche geschlagener Holzbrückchen nicht, denn während er die Augen gefesselt auf die Mühle richtete, versank sein Fuß plötzlich und sah wie eingekeilt zwischen dem den äußersten Rand bildenden Fichtenstamm und dem nächsten Brett. Eine Verwünschung auf den Lippen, mühte er sich unter allen Zeichen zorniger Ungeduld, den Fuß aus der Klemme zu ziehen; aber der Steg hatte kein Geländer, und dem Gefangenen stand nicht einmal ein Gehstock zur Verfügung, auf den er zu nachdrücklicher Kraftanwendung den Oberkörper hätte stützen können. Bebend vor Ärger und Erregung hielt er inne und schaute nach irgendeinem Beistand aus, der in dem einsamen Tale sehr fraglich schien.

    Just in dem Augenblick kam eine weibliche Gestalt um die Ecke der Schneidemühle und schritt geradeswegs auf den Steg zu. Sie trug ein Grasbündel auf dem Kopfe, das sie mit dem gehobenen Arme stützte. Allem Anschein nach war es eine Dienstmagd, ein junges blödes Bauernmädchen, das sich vor dem Fremden auf der Brücke fürchtete; denn ihr anfänglich sehr rascher Gang verlangsamte sich augenscheinlich bei seinem Erblicken.

    »Heda, spute dich ein wenig, mein Kind!« rief er ihr ungeduldig zu.

    Nun blieb sie gar wie festgemauert stehen.

    Er murmelte etwas von bodenloser Bauerndummheit zwischen den Zähnen und machte abermals einen verzweifelten Versuch, sich zu befreien. – Angesichts dieser Anstrengungen mochte es dem Mädchen doch wohl klar werden, daß er kein zu Fürchtender, vielmehr ein Hilfloser sei. Sie besann sich nicht länger und kam herbei.

    »So – weißt du nun, daß ich kein Menschenfresser bin?« sagte er, ohne sie weiter anzusehen. »Sieh her – du mußt mir aus dem Schraubstock da helfen! Stelle dich hierher, dicht neben mich, aber fest, damit ich meinen Arm auf deine Schulter legen kann.«

    Sie trat zu ihm, ohne ein Wort zu sagen; aber in dem Augenblick, wo er Miene machte, sich auf sie zu stützen, sah er, wie sie verstohlen in das Grasbündel hinaufgriff und einen dicken Halmbüschel zwischen ihre Schulter und seinen Arm niederzog – lächerlich! – das Bauernmädchen da war eine Prüde!

    Er hielt inne und zog den Arm zurück. »Möchtest du nicht?« fragte er belustigt.

    »Nein – eigentlich nicht! Aber der Sägemüller und sein Knecht kommen vor abends nicht heim, und die Müllerin ist schwach und krank.«

    »Ach so, da müßte ich ja wohl wie der Fuchs im Tellereisen hier verkommen, wenn du dich nicht erbarmtest?« – Er bog sich vor, um unter das weiße Tuch zu blicken, das sie gegen den Sonnenbrand über den Kopf gezogen und unter dem Kinn geknüpft hatte; es ragte weit vor wie ein umfangreicher Hutschirm und beschattete Stirn und Nase bis zur Unsichtbarkeit; die untere Gesichtshälfte verschwand noch mehr in den dicken Falten der verschlungenen Leinenzipfel – hübsch oder häßlich, das blieb unentschieden!

    »Ja, meine kleine Prüde, da kann ich dir freilich nicht helfen, du wirst dich herablassen müssen,« setzte er endlich mit verhaltenem Lachen hinzu. »Denke, du seiest eine barmherzige Schwester, und tue es um der christlichen Liebe willen.«

    Sie schwieg und stemmte die Linke auf die Hüfte, um ihrer Haltung mehr Festigkeit zu geben. Sie war ein großes, schlank und schön gebautes Mädchen und stand wie eine Mauer, als er, den Arm auf ihre Schulter pressend, mit einigen heftigen Rucken den Fuß aus der Klemme zu ziehen sich abmühte. Ein leises Ächzen, eine halbverbissene Verwünschung klangen an ihrem Ohr hin, dann sprang er plötzlich befreit mitten auf die Brücke und stampfte wiederholt auf, um sich zu vergewissern, daß das mißhandelte Glied unverletzt geblieben sei.

    Das Mädchen schritt unterdessen weiter.

    »Halt – auf ein Wort!« schrie er ihr nach.

    »Hab’ keine Zeit! Der Fisch verdirbt!« antwortete sie, unbeirrt weitergehend. Sie zeigte ihm halb zurückgewendet, daß ihr ein Netz mit einer Forelle am Arme hing.

    »Ließe sich in dem Falle das Fischchen nicht ersetzen – wie? –«

    »Nein.«

    »Nein? – Also nicht … Aber meinen Dank? –«

    »Behalten Sie ihn!«

    »Oho – du bist kurz angebunden, mein Kind!« lachte er und steckte das seidene Taschentuch, mit welchem er die Reste der Fichtenrinde von seinem Fuß weggestäubt hatte, wieder zu sich. Gleich darauf schritt er an ihrer Seite.

    »Mir scheint, unter dem häßlichen Tuch da steckt ein ganz verteufelt trotziger Kopf,« sagte er. »Wie aber, wenn ich nun ebenso trotzig bin wie du, und deine Hilfe durchaus nicht geschenkt haben will?«

    »Dann tun Sie wohl, an Ihren Platz auf der Brücke zurückzukehren.«

    Er lachte laut auf und suchte gespannt abermals einen Blick unter das verhüllende Tuch zu werfen. Das Mädchen hatte Mutterwitz – die »Bauerndummheit« hatte sie sicher so wenig im Gesicht wie auf den Lippen. Sie wandte flink den Kopf nach der anderen Seite, und ihm blieb nur die Musterung ihrer Gestalt.

    Sie war ärmlich gekleidet. Aus dem verschossenen Kleid waren die Ärmel getrennt und hatten den Hemdärmeln Platz machen müssen – sie fielen lang und schön weiß bis über die Ellbogen herab. Busen und Rücken umhüllte plump ein verwaschenes, hinten geknüpftes Baumwolltuch, und die starren Falten der steifgestärkten blauen Schürze umstanden steif ihre Hüften. Sie war ohne Zweifel eine Dienende. Das Kleid, wenn auch entstellt und zum Arbeitskittel umgeändert, war von städtischem Schnitt und stammte sicher aus den Sachen der Dienstherrin.

    »Nun, dann will ich dir für einen Samariterdienst wenigstens die Hand drücken.« Er streifte rasch den Handschuh von der Rechten, einer weißen, kräftigen Hand mit einem schönen Siegelring am Finger, und hielt sie ihr hin.

    »Meine Hand ist hart,« versetzte sie zurückweichend – der Arm, an welchem ihr das Netz hing, vergrub sich förmlich in den Schürzenfalten.

    »Nun ja, ich hätte das wissen können!« sagte er mit Humor. »Die Thüringer Disteln stechen, wo man sie anrührt; das merkte ich schon vorhin auf der Brücke … Dienst du in der Mühle da drüben?«

    Sie schwieg einen Augenblick, dann sagte sie: »Der Sägemüller kann keine Magd halten. Er hat die Mühle nur in Pacht, sie gehört zum Gut in Hirschwinkel!« – Dabei schritt sie in tannengerader Haltung, das Grasbündel auf dem Kopfe stützend, und weder rechts noch links blickend, beschleunigten Schrittes den Fahrweg entlang. Sie zeigte unverhohlen, daß sie keine Lust habe, sich weiter ausfragen zu lassen.

    Diese bäurische Unnahbarkeit schien ihn höchlich zu belustigen. Er war ein noch junger Mann, der mit seinem leichten Gang nicht um eine Linie hinter ihr zurückblieb.

    »Also die Mühle gehört zum Gut?« wiederholte er fragend. »Sieh, sieh – nun weiß ich doch auch, wo du zu Hause bist. Der Weg da führt doch wohl direkt nach dem Gutshaus im Hirschwinkel?«

    »Auch nach dem Vorwerk.«

    Er blieb stehen. »Aha, das ist die kleine, zum Gut gehörige Pachtung, die der verkommene Amtmann widerrechtlich besetzt hält –«

    Jetzt wandte sich der Kopf unter dem Grasbündel mit einer jähen Wendung nach ihm hin. Die untere Gesichtshälfte hob sich dabei aus den Tuchfalten, und der Fremde sah für einen Augenblick einen kleinen, schönen Mund mit blaßroten Lippen, um den der Zorn seine Linien zog.

    »Ich bin beim Amtmann,« schnitt sie ihm kurz, fast drohend, die Rede ab.

    »Was der Tausend – da habe ich dich ja wohl gar beleidigt? Hältst wohl große Stücke auf deinen Herrn?«

    Sie schwieg scheinbar trotzig.

    Er lächelte verstohlen. »Du scheinst mir eine ›Besondere‹ zu sein. Aber auch im Dienst beim Amtmann! Das will was heißen! … Weißt du aber auch, daß ich gerade deshalb Gewalt über dich habe?«

    Das Mädchen wich unwillkürlich zurück.

    »Ja, ja – ernstlich! Ich kann dir das Grasbündel da ohne weiteres wegnehmen und dir dein Tuch abpfänden, wenn du mir nicht das volle Besitzrecht deines Herrn an der Wiese nachweisest, auf der du gemäht hast. Er zahlt seinen Pacht nicht und zieht fortgesetzt den Nutzen aus Grundstücken, die ihm vor länger als Jahresfrist gekündigt sind … Was hast du darauf zu erwidern, wie?«

    Sie schien anfänglich kein Wort über die Lippen bringen zu können; dann aber sagte sie mit leiser Stimme: »Daß Sie der neue Herr im Hirschwinkel sein müssen.«

    »Der bin ich. – Siehst du nun ein, daß du alle Ursache hast, mir schön zu tun?«

    »Ich – Ihnen?« Eine grenzenlose Empörung schien ihr ganzes Wesen zu durchschüttern.

    »Reg’ dich nicht auf!« lachte er. »Ich bin kein Schlimmer; im Gegenteil – ich nähme nun die harte Hand gar nicht, die mir ›das Kräutlein rühr mich nicht an‹ vorhin so schnöde verweigert hat, und wenn sie mir noch so freundlich geboten würde … Aber ein wenig höflicher möchte ich dich sehen.«

    »Gegen den Feind der Menschen, die ich lieb habe?«

    »Feind? – Hm ja, du hast ganz recht, insofern ich ein geschworener Feind der offenkundigen Spieler und Schlemmer bin; und dein Amtmann ist einer, der seinesgleichen suchen soll.«

    Ein Seufzer hob den Busen des Mädchens, und gepreßt stammelte sie: »Da werden Sie wohl mit meinem –«

    »Mit deinem lieben Herrn kurzen Prozeß machen, willst du sagen?« fiel er ihr mit sehr strengem Ton, und ohne eine Miene zu verziehen, ins Wort. »Versteht sich! Ich werde ihn an die Luft setzen, und zwar sofort, ohne Gnade, den Verschwender, den Prahlhans – darauf verlasse dich! – In Geschäftsangelegenheiten verstehe ich durchaus keinen Spaß … Weißt du nun, wen du vor dir hast?«

    »Ach ja – einen reichen Mann, wie er schon in der Bibel steht.«

    »Richtig! Einen Mann, der absolut nicht ins Himmelreich kommt, eben weil er ein Reicher ist – der Arme! – Ja, ja, hast recht – einen Tyrannen, einen Blutaussauger, einen Menschen, der Geldfragen gegenüber ein steinhartes oder vielmehr gar kein Herz hat, wie es einem praktischen Geschäftsmann ziemt … Aber laufe doch nicht so, Mädchen!«

    Sie war in der Tat in förmlichen Sturmschritt verfallen, und diesmal blieb Herr Markus zurück. Er sah ihr mit gespannter Aufmerksamkeit nach … Und wenn auch der häßliche, plumpe Anzug das Mädchen entstellte, eine Thüringer Edeltanne war sie doch, eine Erscheinung voll Leben und unbewußter Grazie in dem Spiel der schlanken, jugendkräftigen Glieder … Schade um diese Gestalt, an der Sonnenbrand, Arbeit und Armut rieben und zehrten, um sie in kurzer Zeit hart und eckig, zum frühgealterten Weibe zu machen! … Es blieb allerdings fraglich, ob nicht der Kopf den Adel, die Anmut des schönen Leibes sofort verwischte, wenn das verhüllende Tuch fiel. Der lieblich geschwungene Mund verbürgte noch lange nicht, daß das Mädchen nicht schielte, keine gemeinen Züge hatte und nicht sommersprossig und rothaarig war – doch nein; unter dem weißen Tuchzipfel stahl sich ein gelöstes, glänzend dunkles Zopfende hervor – rothaarig war sie nicht!

    2.

    Inhaltsverzeichnis

    Das Mädchen hatte sich kaum um zwanzig Schritt entfernt, als eine kleine, dicke Frau in braunem runden Strohhut und weiter Jacke aus einem schräg nach dem Fahrweg mündenden Waldpfad trat. Sie schritt direkt auf die Eilige zu und hielt sie an der Schürze fest.

    »Hör mal, Mädel, habt ihr denn wirklich die teuern Speisekartoffeln so in Hülle und Fülle, daß du Ende Juni, sage Ende Juni, den Betteljungen die ungewaschenen Mäuler damit stopfst?« fragte sie. – Das klang nicht etwa wie Schelten; die Frau sprach sehr langsam und bedächtig, aber nachdrücklich – man hörte, daß sie gewohnt sei, in aller Gemütlichkeit den Leuten die Köpfe zurechtzusetzen. – »Ich krieche tagtäglich auf allen vieren durch die Kellerecken, um noch ein paar feine Salatkartoffeln für unseren Tisch zu erwischen, und dort« – sie zeigte nach der Richtung zurück, in der sie gekommen – »dort braten sie haufenweise in der Asche … Das soll einen nicht ärgern! Wir bezahlen auf die Minute pünktlich den teuren Pacht für schlechten Boden, und deine Amtmanns ernten die besten Acker ab; sie leben ins Tageslicht hinein und fragen den Kuckuck danach, daß auch einmal bezahlt sein muß –«

    »Lassen Sie mich gehen, Frau!« rief das Mädchen halb gebieterisch, halb ängstlich, und strebte weiter zu kommen.

    »Frau! Frau!« wiederholte die kleine Dicke geärgert und ohne den Schürzenzipfel loszulassen. »Bin ich denn ein Tagelöhnerweib? Und hast du denn gar keine Lebensart, Mädchen? Wenn du noch gesagt hättest, Frau Verwalterin, oder meinetwegen auch nur Frau

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