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Wir waren Kinder und es war Krieg: Erzählungen
Wir waren Kinder und es war Krieg: Erzählungen
Wir waren Kinder und es war Krieg: Erzählungen
eBook166 Seiten2 Stunden

Wir waren Kinder und es war Krieg: Erzählungen

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Über dieses E-Book

Die meisten dieser Erzählungen beruhen auf Erlebnissen und Wahrnehmungen des Autors während der letzten Phase des 2. Weltkriegs, wobei er als Junge von 9–10 Jahren die Ereignisse eher spannend als gefährlich empfunden hat. Besonders deutlich wird das in 'Kriegskind' und in 'Der Doktor'. Der Text 'Erzfeindliebe' handelt von einer Frau aus der Normandie, die erst auf dem Totenbett der Mutter von ihr erfährt, dass sie die Tochter eines deutschen Besatzungssoldaten ist. Den Anstoß zu dieser Erzählung gab der Bericht einer französischen Freundin des Autors. In 'Hannah' geht es um ein jüdisches Mädchen in Berlin, das nach der Verhaftung seiner Eltern von einem Bekannten der Familie bis zum Kriegsende versteckt wird. Diese besondere Situation führt im Laufe der Zeit zu einer immer intensiveren, allerdings auch problematischen Beziehung.
SpracheDeutsch
HerausgeberRhein-Mosel-Vlg
Erscheinungsdatum3. Juni 2015
ISBN9783898018333
Wir waren Kinder und es war Krieg: Erzählungen
Autor

Gerd Forster

Gerd Forster, geboren in Ludwigshafen, lebt in Eulenbis, Landkreis Kaiserslautern, und zeitweise in Berlin. Studium der Musik und der Germanistik in Heidelberg, Gymnasiallehrer bis 1999. Mitbegründer der Autorengruppe Kaiserslautern.

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    Buchvorschau

    Wir waren Kinder und es war Krieg - Gerd Forster

    © 2015 E-Book-Ausgabe

    Rhein-Mosel-Verlag

    Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel

    Tel. 06542-5151 Fax 06542-61158

    Alle Rechte vorbehalten

    ISBN 978-3-89801-833-3

    Ausstattung: Marina Follmann

    Umschlagfoto: Gerd Forster

    Gerd Forster

    Wir waren Kinder und es war Krieg

    Erzählungen

    RHEIN-MOSEL-VERLAG

    ***

    Inhalt:

    Kriegskind

    Alex

    Zwei Erinnerungen und der Wald dazwischen

    Ein Gutshof in Lothringen

    Erzfeindliebe

    Der Doktor

    Hannah

    ***

    Meiner Enkelin Soraya gewidmet

    Kriegskind

    Der kleine, schon schlottrige Lastwagen ist mit Standlicht in der klaren Januarnacht unterwegs. Gerhard und seine Mutter sitzen ziemlich beengt neben dem Fahrer. Auf der Ladefläche die wenigen Sachen, die noch aus dem brennenden Haus zu retten waren. Einen Teil der Wohnzimmereinrichtung hatten sie, als die regelmäßigen Bombardierungen Ludwigshafens begannen, vorsorglich zu Verwandten in die Nordpfalz transportieren lassen, wo Mutters jüngste Schwester Elsbeth mit Sohn Reiner lebt und unterstützt von einem Knecht und wechselnden Gefangenen die Landwirtschaft betreibt, seit ihr Mann an der Ostfront ist. Der kam früher ab und zu in Urlaub, zuletzt nicht mehr.

    Vor der Frontscheibe ein von Scheinwerfern abgetasteter Himmel. »Worms«, sagt der Mann, »ich fahre besser über Grünstadt.«

    Der Wagen durchquert später das abgedunkelte Monsheim, folgt dem Lauf der Pfrimm und biegt schließlich in Albisheim nach Norden ab. Von jetzt an muss die Mutter dem Fahrer den Weg zeigen. Auf der Höhe hinter dem Dorf Stetten am Steinernen Kreuz geht’s steil nach oben an dem Gerhard vertrauten Wasserwerk vorbei. Der Boden der unbefestigten Straße ist hart gefroren und schüttelt das Auto durch. Als die Mutter das Ortsschild ihres Heimatdorfes erkennt, beginnt sie zu weinen. In der Hauptstraße zeigt sie dem Fahrer ihr Elternhaus.

    Gerhard springt aus dem Wagen und zieht mehrmals am Eisengriff der Glocke, während die andern ebenfalls aussteigen. Nach wenigen Minuten beugt sich Tante Elsbeth aus einem der Fenster im oberen Stock.

    »Ach, du liewer Gott«, stößt sie hervor, »was issen bassiert?«

    »Wir sind ausgebombt worden!«, ruft ihre Schwester hinauf, und auf die Ladefläche des Wagens zeigend: »Das ist alles, was wir noch haben. Gustav ist in Oggersheim geblieben.«

    Und die Tante: »Kummen rinn! Ich hun en Bu kriet! Aacheblick, ich mach eich uff!«

    Im roten Morgenrock über ihrem Nachthemd kommt sie herunter, schließt auf, umarmt ihre Schwester, streicht Gerhard über den Kopf und öffnet das große Tor, damit der Mann die Sachen abladen und in den Hof tragen kann. Danach will er sich gleich wieder auf den Rückweg machen. Die Tante holt ihm noch schnell einen Ring Leberwurst. Gerhard und seine Mutter gehen schon in die Wohnung, um sich am Küchenherd aufzuwärmen, denn beide sind ohne Mantel. Die Mutter hatte ihren nicht mehr aus dem brennenden Haus holen können, und Gerhard trägt nur die Jacke, worin er auf dem Klassenausflug unterwegs gewesen war.

    Das Baby liegt in der Wiege neben dem Bett seiner Mutter und schläft. Es ist am Neujahrstag zur Welt gekommen. Gerhard soll sich im Nachbarzimmer neben seinen Cousin Reiner ins Doppelbett legen, sagt die Tante, wenn’s ihm zu kalt sei, bringe sie ihm einen warmen Backstein aus dem Küchenherd.

    Was für ein Tag für Gerhard. Ein schier endloser Tag. Wie immer war er von seiner Mutter geweckt worden, hatte sich gewaschen, angezogen, die Zähne geputzt, in der Küche mit seinen Eltern gefrühstückt und sich zusammen mit anderen Kindern aus seinem Viertel auf den Schulweg gemacht.

    Seit der dritten Klasse ist Herr Kreuter ihr Lehrer, den sie alle von Anfang an gemocht haben, weil er nicht so streng ist, keinem mit dem Rohrstock auf die Handfläche schlägt und versteht, dass es den Buben schwer fällt, den ganzen Vormittag unbeweglich auf ihren hölzernen Klappstühlen zu sitzen.

    Neulich hatte er sich vor der Klasse aufgebaut und gesagt: »Ich bin ein Pferd, wer will Reiter sein?«

    »Ich, ich, ich!«, hatten alle durcheinander geschrien.

    Er hatte sich einen ausgesucht, auf seine Schultern gehoben und gerufen: »Nun versucht mal, den Reiter herunterzuziehen!«

    Das war erst nach einer Weile gelungen. Dann hatte der Nächste aufsitzen dürfen, Gerhard war nicht mehr drangekommen, hatte das Spiel aber toll gefunden.

    Heute Morgen begrüßte Herr Kreuter die Klasse mit einer überraschenden Ankündigung: »Draußen ist es schön, blauer Himmel und für Januar nicht kalt. Wir machen einen Spaziergang!«

    Begeistertes Zustimmungsgebrüll.

    Der Lehrer führte die Gruppe aus dem Ortskern heraus und dann durch ein Gartengelände, wo er da und dort einen Baum vorstellte.

    Plötzlich gab es Voralarm, und Herr Kreuter rief: »Rennt schnell los zum nächsten Luftschutzkeller!«

    Allen war klar, dass er selbst dafür länger brauchen werde. Gerhard lief in Richtung Schule und wunderte sich unterwegs, dass keiner seiner Kameraden ihm gefolgt war. Jetzt jaulten die Sirenen Vollalarm.

    Wenig später saß Gerhard noch etwas außer Atem auf einer Bank zwischen Erwachsenen, die Schüler waren mit ihren Lehrern offenbar in anderen Räumen. Nach einer Weile hörte er jemand sagen, auf das Haus der Familie Haber sei eine Bombe gefallen, und er verstand nicht, wieso der das schon gewusst haben konnte.

    »Das ist direkt neben uns«, flüsterte er seinem Nachbarn zu.

    Schon bald wieder Entwarnung. Er spurtete los, die breite Hitlerstraße entlang und bog an deren Ende nach links in die Kaiserstraße ein. Zu seinem Erstaunen kam ihm da bereits sein Klassenkamerad Kurt auf dem Fahrrad entgegen und schüttelte, ohne anzuhalten, den Kopf. Als Gerhard die Ecke zur Uhlandstraße erreichte, erblickte er das brennende Haus. Ihr brennendes Haus. Seine Mutter stand etwas davon entfernt und nahm ihn weinend in die Arme. Der Vater verfolgte die Löscharbeiten der Feuerwehr, ohne davon Notiz zu nehmen, dass sein Sohn jetzt da war. Aber wieso ist er bereits daheim gewesen, er hatte als Lehrer doch Unterricht zu halten?

    Die Außenmauern des Hauses und die Terrasse mit dem Balkon darüber standen noch, das Dach jedoch war eingestürzt und aus sämtlichen Fensterhöhlen drang schwarzer, beißender Rauch. Die Eltern waren mit dem Alarm die Treppe hinab in den Luftschutzraum gegangen, und kurz darauf hatte die Bombe, woran, wie sich später erwies, ein Bündel Brandbomben befestigt war, das ganze Haus bis in den Nachbarraum durchschlagen und dort eine Delle im Betonboden hinterlassen. Weit und breit war ihr Haus das einzige, das einen Treffer abgekriegt hat, und Gerhard bekam mit, dass sich die Umstehenden darüber wunderten, gleichzeitig dankbar, verschont worden zu sein. Die Piloten mussten wohl auf ihrem Heimflug die letzte Bombe loswerden, vermutete jemand, aber morgens um elf, das sei doch merkwürdig.

    Fliegerangriffe tagsüber, da sind die Amerikaner im Einsatz, hatten Gerhard und seine Eltern noch nicht erlebt, zuletzt aber fast jede Nacht durch die Engländer. Bevorzugte Ziele: die Städte am Rhein. Vor kurzem konnte Gerhard noch aus Klassenräumen das Lied mit der Schlusszeile »Bomben auf Engeland« hören.

    Als er noch ganz klein war, hatte ihn bei Alarm seine Mutter, wie sie erzählte, in eine warme Decke gewickelt und in den Keller getragen. Zu seiner Zeit als Schulkind konnte er dort wie seine Eltern das helle Pfeifen entfernt niedergehender Bomben hören. Einmal war etwas mit unheimlichem Dröhnen über das Haus gerauscht, und er hatte einen seltsamen Druck gespürt bis zum vielfachen Einschlag etwas weiter weg. Ein Bombenteppich, so der Vater. Wahrscheinlich sei die einige Kilometer westwärts gelegene Flakstellung das Ziel gewesen.

    Der zur Straße hin gelegene Raum war inzwischen als Luftschutzkeller eingerichtet worden. Eines Morgens waren zwei Männer erschienen und hatten in die Außenwand ein quadratisches Loch gebrochen und eine rote Eisentür mit Griff eingefügt. Anschließend hatten sie außen davor eine Grube ausgehoben, die Ränder zementiert und darüber ein Gitter gelegt. Im schlimmsten Fall, also wenn die Treppe nicht mehr zu benutzen war, konnten sie nun durch die Eisentür und das hochgehobene Gitter ins Freie gelangen.

    In den letzten Wochen durfte Gerhard abends noch eine Weile neben Vater an der offenen Kellertür stehen und mit ihm beobachten, wie Scheinwerfer versuchten, feindliche Flugzeuge anzustrahlen, damit die Flak zielen konnte. War ein Flugzeug eingefangen, half Gerhard zielen. Selten mit Erfolg. Die hellen Wölkchen zerplatzender Granaten. Morgens hielten die Buben auf dem Schulweg immer nach Splittern Ausschau. Meist blitzten sie ihnen schon von weitem entgegen, die geriffelten Außenseiten bunt, und jeder wollte ein besonders bizarres Exemplar aufheben und verstaute es, falls es nicht zu sperrig und zu schwer war, in seinem Ranzen. Man konnte die Fundstücke auch an bestimmten Sammelstellen abgeben und bekam dafür ein paar Groschen.

    Eines Nachmittags hatte sich die Nachricht verbreitet, ein abgeschossener Bomber sei in der Nähe der Fischweiher auf ein Feld gestürzt. Natürlich musste Gerhard sofort hinrennen. Das zertrümmerte Wrack qualmte noch. Von den Piloten keine Spur. Entweder waren sie darin verbrannt oder sie hatten es noch geschafft, mit dem Fallschirm abzuspringen. Jemand zeigte auf ein klaffendes Loch in der Front eines am unteren Feldrand stehenden Hauses. Da habe ein Ehepaar am offenen Fenster gestanden, wusste jemand, bis es den brennenden Bomber hatte auf sich zukommen sehen, und kurz darauf sei an der Stelle eines seiner Räder hineingeflogen.

    Der Aufmarsch der Hitlerjungen fand immer sonntagmorgens statt. Gerhard konnte sie schon von weitem hören, wenn sie, mit Trommeln und Fanfaren die Kirchenglocken übertönend, durch die Schillerstraße und schließlich hinaus auf die Ruchheimer Straße zogen. Er folgte ihnen nie, klopfte aber manchmal den Trommelrhythmus auf einer Gießkanne oder einem Eimer mit und hatte danach noch eine Weile die zackige Marschmusik in den Ohren.

    Den Hitlerjungen sehr nahe gekommen, ja unvermittelt unter sie geraten war er eines Tages, als plötzlich auf einem Gartenweg, den er gerade passieren wollte, bei einer Geländeübung zwei Gruppen, jede mit einem andersfarbigen Armband markiert, übereinander herfielen und sich die Nasen blutig boxten. Gerhard blieb nur, sich an einen Gartenzaun zu drücken, bis der Kampf vorbei war. Die mit den roten Binden hatten gesiegt. Sicherlich hat dieses Erlebnis dazu beigetragen, dass er nicht davon träumte, bald die Uniform eines Hitlerjungen tragen zu dürfen.

    Im Dorf seiner Verwandten fielen keine Splitter vom Himmel und von der Hitlerjugend war nichts zu sehen. Gleich vom nächsten Tag an, wenn Gerhards Cousin Reiner aus der Schule kam und sie gegessen hatten, spielten sie, wozu sich oft auch der andere, einige Jahre jüngere Cousin Ernst, Tante Lenas Sohn, einfand. Als Einzelkind – seine beiden Halbbrüder waren wesentlich älter – ist Gerhard in diesen Spielen ganz aufgegangen, vor allem aufgrund der zu allerlei abenteuerlichen Unternehmungen verlockenden Möglichkeiten eines Bauernhofs: Pferdestall, Kuhstall, Garten, Felder und vor allem die Scheune mit ihren für Versteckspiele geeigneten Höhlen im Heu und im Stroh, sodass er fast nie daran denken musste, was alles er verloren hat: sämtliche Spielsachen, seine Bücher, das Klavier, seine Kleider und die Kameraden seiner Klasse. Auch genoss er das im Unterschied zu der zuletzt doch ziemlich eingeschränkten Ernährung in der Stadt deftige bäuerliche Essen, zum Beispiel in Butter zubereitete Bratkartoffeln mit Fleischküchelchen oder Schneebällchen mit Hasenpfeffer.

    Eines Nachmittags schlich er, von Reiner hingeleitet, an einen Zuckersack und stopfte sich den Mund voll. Spindeldürr, wie er im Kontrast zu seinem stämmigen Cousin war, konnte das nicht schaden.

    In die Schule musste er freilich auch, doch an Reiners Seite war ihm davor nicht bang, zudem kannte er außer Ernst von seinen früheren Ferienaufenthalten her einige Kinder.

    Zuvor musste all das besorgt werden, was er für den Unterricht brauchte. Der Lehrer hieß ihn willkommen und zeigte ihm einen freien Platz. In dem kleinen Ort gab es nur zwei Gruppen, die Klassen eins bis vier und fünf bis acht. Wie Reiner war Gerhard in der dritten, und anders als in Oggersheim wurden Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet.

    Bevor sich der Lehrer einer Klasse widmete, erhielten die übrigen eine schriftliche Aufgabe, und wenn von den Älteren einige schnell damit fertig waren, durften sie den Jüngeren helfen. Die erste Hausaufgabe bestand darin, die ganze Tafel mit einem bestimmten Wort zu füllen. Gerhard saß am Küchentisch neben Reiner und verfolgte erstaunt, wie der in einer Affengeschwindigkeit das Wort jeweils im Zickzack durch zwei Zeilen jagte. Gerhard mochte den neuen Lehrer. Später hat ihm seine Mutter erzählt, dass alle seine drei Söhne gefallen seien.

    Bei einem Gang durch die Scheune Richtung Garten sah Gerhard auf einmal Philipp wieder vor sich mit seinen eingesunkenen Augen unter der in die Stirn gezogenen Mütze und in seiner zu weiten Hose. Er wurde hier nur Philp genannt, Nachnamen hatten die Gefangenen offenbar keine. Es war nicht sein erster Russe, daheim war er schon welchen

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