Beleihung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 19. Januar 2016 um 17:19 Uhr durch Hindicleft (Diskussion | Beiträge) (tote Links ersetzt, passende Zitatvorlage). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Durch die Rechtsfigur der Beleihung werden Hoheitsrechte auf private Unternehmen oder natürliche Personen übertragen. Es handelt sich um einen Fall der mittelbaren Staatsverwaltung.

Der Begriff des „Beliehenen“ (auch: beliehener Unternehmer) wurde von dem Nestor des deutschen Verwaltungsrechts Otto Mayer geprägt. Er hat jedoch keinen unmittelbaren Eingang in das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes gefunden, wird aber beispielsweise in § 24 des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes für das Land Schleswig Holstein umschrieben als Übertragung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung auf natürliche und juristische Personen des Privatrechts sowie nicht rechtsfähige Vereinigungen zur Erledigung in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts.

Wesen und Voraussetzungen der Beleihung

Bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben kann es sachgerecht sein, privaten Sachverstand oder bereits vorhandene private Kapazitäten zu nutzen. Die Beleihung ermöglicht es dem Staat, sich durch Deregulierung und Privatisierung zu entlasten. Grenze der Beleihung ist lediglich die Erfüllung staatlicher Kernaufgaben, die nicht delegiert werden dürfen (z. B. Aufgaben der Polizei oder der Finanzverwaltung).[1]

Die Beleihung führt dazu, dass Privatpersonen (natürliche und juristische Personen) Verwaltungsaufgaben selbständig wahrnehmen; ihnen werden Entscheidungskompetenzen übertragen (anders: Verwaltungshelfer). Dabei handelt es sich um eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass nur Beamte und Angestellte der öffentlichen Verwaltung hoheitliche Befugnisse ausüben können (Art. 33 Abs. 4 GG). Dem Gesetzgeber steht ein weiter Entscheidungsspielraum zu, ob und inwieweit er öffentliche Aufgaben durch eigene Organe oder durch Beliehene erfüllen will.

Eine Beleihung darf nur durch oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen. Der Gesetzesvorbehalt betrifft nicht nur das „Ob“ einer Beleihung, sondern umfasst auch deren wesentliche Modalitäten.[2] So muss der Gesetzgeber die Befugnisse und Pflichten des Beliehenen ebenso benennen wie eventuelle Mitwirkungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten der Dritten gegenüber dem Beliehenen. Außerdem müssen weitere Voraussetzungen erfüllt sein. So muss der beleihende Hoheitsträger zumindest die Rechtsaufsicht über den Beliehenen ausüben. Die Notwendigkeit einer Fachaufsicht ist umstritten, wie z. B. die Kontroverse zwischen Bundesrat und Bundesregierung zur Frage der Fachaufsicht bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. zeigt.[3]

Da der Beliehene mit der hoheitlichen Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben betraut ist, zählt er zur vollziehenden Gewalt i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG. Gleichgültig ob er öffentlichrechtlich oder privatrechtlich tätig wird, unterliegt er damit der Grundrechtsbindung.

Spezialgesetzliche Regelungen

Die zahlreichen gesetzlichen Fälle einer Beleihung sind nicht einheitlich geregelt und folgen keiner klaren Dogmatik, was die wissenschaftliche Literatur kritisiert.[4]

Ebenso uneinheitlich ist die Frage nach der Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen dem Beliehenen und Dritten (öffentlich- oder privatrechtlich) sowie – davon abhängig – die Frage des Rechtswegs gegen Entscheidungen des Beliehenen (Verwaltungs- oder Zivilrechtsweg). Dazu bedarf es im Einzelfall einer genauen Prüfung der jeweiligen Vorschrift einschließlich etwaiger landesrechtlicher Besonderheiten.

Beispiele für eine Beleihung, ohne dass diese im Gesetz auch immer so benannt würde, enthalten § 2 Öko-Kennzeichengesetz, § 2 Öko-Landbaugesetz, § 4 Autobahnmautgesetz für schwere Nutzfahrzeuge (ABMG), § 10 Kraft-Wärme-Koppelungsgesetz (KWKG), § 20 Abs. 1 Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz, §§ 17–19 Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG), § 5 Bundeswertpapierverwaltungsgesetz, §§ 5, 12 Luftsicherheitsgesetz, §§ 3, 7 Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz und das Akkreditierungsstellengesetz.

Haftung des Beliehenen

Soweit der Beliehene unmittelbar hoheitlich tätig wird, können Amtshaftungsansprüche gegen den Staat entstehen, falls der Beliehene Amtspflichten verletzt.[5]

Praktische Beispiele

In der Praxis sind zum Beispiel die Ingenieure der technischen Überwachungsvereine (TÜV) und Ingenieure anderer Prüfgesellschaften bei der regelmäßigen Hauptuntersuchung von Kraftfahrzeugen Beliehene sowie die Prüfingenieure für Bautechnik, Bezirksschornsteinfeger, Prüfstellen, Notare (wenn sie nicht sogar Amtsnotare sind), Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure (kurz ÖbVI) und Fleischbeschauer sind beliehene natürliche Personen, ebenso wie die Angehörigen von privaten Unternehmen, die im Auftrag der Bundespolizei an allen deutschen Flughäfen die Zugangskontrollen zu den Sicherheitsbereichen durchführen (Passagiere, Flugpersonal, Warenlieferungen etc.). Sie treffen auf Grund der Beleihung durch die Verwaltung selbst die Entscheidung über hoheitliche Maßnahmen.

Toll Collect

Im Wege der Beleihung hat das Bundesamt für Güterverkehr die Toll Collect GmbH mit der Erhebung und Überwachung der LKW-Maut in Deutschland beauftragt.

Flug- und Schiffskapitäne

Auch der Flugkapitän ist nach § 12 Abs. 1 Luftsicherheitsgesetz Beliehener, soweit er „für die Sicherheit und Ordnung an Bord des im Flug befindlichen Luftfahrzeuges“ sorgt, ebenso der Schiffskapitän nach § 121 Seearbeitsgesetz.

Hoheitliche Aufgaben von Berufsverbänden

Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen wurde in § 71 Fahrerlaubnisverordnung mit der Aufgabe der amtlichen Anerkennung verkehrspsychologischer Berater beliehen.[6] Diese staatliche Beleihung wurde kontrovers diskutiert, da hierfür angeblich eine explizite gesetzliche Ermächtigung fehle.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verbände der Ersatzkassen als beliehene juristische Personen eingestuft (BVerfG NJW 2003, 1232, 1235).

Der Verband der Privaten Krankenversicherung ist damit beliehen, Art, Umfang und Höhe der Leistungen im Basistarif und im Notlagentarif festzulegen (§ 158 Abs. 2 VAG).

Einzelnachweise

  1. Kiefer: Regelungsbedarf und Gestaltungsspielräume bei der Beleihung, LKRZ 2009, 441
  2. BVerwG 3 C 35.09 Urteil vom 26. August 2010
  3. BT-Drucks. 16/9154, S. 56 und 59.
  4. Scherzberg, NVwZ 2006, 377, 385 und die Formulierungsvorschläge von Schmidt, ZG 2002, 353 ff.
  5. So die ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1967 – VII ZR 34/65, BGHZ 49, 108; BGH, Urteil vom 14. Oktober 2004 – III ZR 169/04, NJW 2005, 286
  6. Kögel, M 2002 Die Sektion Verkehrspsychologie im BDP e.V.: neues gesetzliches Beispiel eines „beliehenen Unternehmers“ (§ 71 der Fahrerlaubnisverordnung – FeV)

Literatur

  • Birgit Schmidt am Busch: Die Beleihung: Ein Rechtsinstitut im Wandel. In: DÖV. 60. Jg., Bd. 2, H. 13, S. 533–542.
  • Frank Bansch: Die Beleihung als verfassungsrechtliches Problem – Zur Zulässigkeit einer Übertragung hoheitlicher Befugnisse auf Private nach dem Grundgesetz. Frankfurt am Main 1973 (Dissertation (Univ.)).