ADB:Hofmann, August Wilhelm von
*): August Wilhelm von H., der hervorragendste der aus der Liebig’schen Schule hervorgegangenen Chemiker, wurde am 8. April 1818 in Gießen geboren und starb in Berlin am 5. Mai 1892.
HofmannHofmann’s Familie war um die Mitte des 17. Jahrhunderts in der Stadt Worms ansässig, um deren Verwaltung sich seine Vorfahren frühzeitig verdient gemacht haben. Der aufopfernden Thätigkeit des Stadtmeisters und Rathsseniors Philipp H. wird bei der Zerstörung der Stadt durch die Franzosen im Jahre 1689 rühmend gedacht und Philipp Christian H., der Urgroßvater, brachte es bis zum regierenden Bürgermeister der freien Reichsstadt. Hofmann’s Großvater starb in jungen Jahren 1784 durch einen Sturz vom Pferde, weshalb die Wittwe Maria Elisabeth, geb. Rasche, nach ihrem Heimathorte Hanau übersiedelte. Der befreundete Oberst eines dänischen Regiments veranlaßte ihren Sohn Johann Philipp in dänische Dienste zu treten, wo er mit 21 Jahren Lieutenant wurde; allein dieser Beruf befriedigte ihn nicht und die Beschäftigung mit Ingenieurwissenschaften nahm sein Interesse so in Anspruch, daß er sich entschloß zu architektonischen Studien die Universität Marburg zu beziehen. Nach ihrem Abschluß trat er als Baumeister zuerst in den Dienst des Fürsten Bentheim, alsdann in den des Burggrafen von Friedberg und kam, als 1806 das Großherzogthum Hessen gegründet wurde, in den hessischen Staatsdienst.
Aus der Ehe mit Wilhelmine Bodenius aus Lingen bei Hannover waren bereits vier Töchter und ein Sohn entsprossen, als nach einer Pause von acht Jahren August Wilhelm im J. 1818 geboren wurde.
Der Vater, der 1817 als Provinzialbaumeister nach Gießen gezogen war, wo er sich ein eigenes Wohnhaus erbaute, war ein Mann voll ernsten Strebens. Seine Liebe für alles Edle und Gute prägte sich dem empfänglichen Gemüthe des aufgeweckten Knaben frühzeitig ein, und insbesondere die Reisen, die er mit dem Sohne durch Italien und Frankreich machte, entzündeten in diesem eine unversiegliche Begeisterung für alle schönen Künste. Von dem eminenten Sprachtalent, über welches H. später verfügte, scheint er auf der Gießener Schule wenig Gebrauch gemacht zu haben; da er nur langsam mitkam, so wurde er für einige Jahre dem Pfarrer Hildebrand zu Mehlbach in der Wetterau anvertraut, von wo er in die Prima des Gymnasiums zurückkehrte.
Im Herbst 1836 bezog H. die Gießener Universität. Er beabsichtigte, sich dem Studium der Rechte zu widmen, belegte aber, vielleicht unter dem Einflusse seines Schwagers, des Physikers Heinr. Buff, schon im ersten Semester physikalische Vorlesungen und hörte im dritten neben einem Colleg über Naturrecht einen chemisch-analytischen Cursus bei Liebig. Dieser stand damals auf der Höhe seines Wirkens; seine zauberhafte Lehrthätigkeit begeisterte eine schaffensfrohe lernbegierige Schar von Schülern, die aus allen Ländern der Welt herbeiströmten. Enger und enger werden die zur Verfügung stehenden Räume; es muß zur Errichtung eines besonderen Lehrgebäudes geschritten werden, und der Bau des so berühmt gewordenen Gießener Laboratoriums wird dem Hofkammerrath und Universitätsbaumeister Hofmann übertragen. So in Liebig’s Zauberkreis eingetreten, verbindet ihn bald ein nahes Freundschaftsverhältniß mit dem großen Chemiker, der sich nun [578] des Sohnes, welcher den juristischen Studien keinen Geschmack abgewinnen konnte, auf das wärmste annimmt.
Durch den Assistenten Fr. Schödler wird H. in die Geheimnisse der Analyse eingeweiht, und Liebig’s Privatassistent H. Will unterstützt seine Arbeiten mit allezeit liebenswürdiger Bereitwilligkeit. Außer Liebig’s Vorlesungen hört er Physik bei Buff, Technologie bei Knapp, Astronomie bei Umpfenbach, Oryktognosie bei v. Klipstein; aber auch die Vorträge über Aesthetik, Dante, Shakespeare von Hillebrand werden nicht verschmäht. Begeistert von der neuen Wissenschaft, betreibt er seine Studien auf das eifrigste und besteht am 9. April 1841 das Doctorexamen summa cum laude unter gleichzeitiger Erlangung der venia legendi, nachdem er von der Einreichung einer Dissertation dispensirt worden ist.
Als Doctor arbeitet H. im Liebig’schen Laboratorium weiter und veröffentlicht nach zwei Jahren seine erste selbständige Arbeit: „Chemische Untersuchungen der organischen Basen im Steinkohlentheeröl“ (Liebig’s Ann. 1843). Es ist ein merkwürdiger Zufall, daß sich H. schon in dieser ersten Arbeit mit demjenigen Gegenstande beschäftigt, der später den Weltruhm seines Namens begründen sollte: dem Anilin, einer in geringen Mengen im Steinkohlentheer enthaltenen Base, welche, ausgestattet mit einer ungeahnten tinctorialen Verwandlungskraft, in Hofmann’s Händen der Ausgangspunkt für die moderne Farbchemie geworden ist. Die zufällige Veranlassung zu dieser Arbeit bot ein früherer Schüler Liebig’s, Ernst Sell, der in Gemeinschaft mit C. Zimmer in Offenbach eine Theerdestillation errichtet hatte und seinem Lehrer als Erstlingsproduct eine Probe Steinkohlentheeröl übersandte, die Liebig an H. zur Untersuchung übergab.
Ueber den Steinkohlentheer, damals ein lästiges Nebenproduct der Gasbereitung, lagen nur wenige Arbeiten vor. Einige saure und einige basische Bestandtheile hatte zehn Jahre vorher F. Runge in Oranienburg daraus abgeschieden. Von den ersteren hatte der französische Chemiker Laurent die Carbolsäure untersucht und als Phenylhydrat erkannt; H. wandte sich daher den letzteren zu, worunter ihn Runge’s Kyanol besonders anzog. Da jedoch die Probe an basischen Bestandtheilen nur geringe Mengen enthielt, so machte er von Sell’s Erlaubniß Gebrauch, in dessen Fabrik größere Mengen davon selbst zu bereiten, und nach der Arbeit von einer Woche kehrt er beglückt mit zwei Kilo des Basengemisches, zu jener Zeit ein kostbarer Schatz, nach Gießen zurück. Mit der Familie Sell’s, aus dessen Werke später die bekannte Oehler’sche Farbfabrik hervorgegangen ist, blieb H. für sein Leben eng befreundet.
Als H. das Kyanol isolirt und analysirt hatte, fand er, daß es dieselbe Zusammensetzung besaß, wie eine Base, die der Petersburger Chemiker Fritzsche soeben durch Destillation aus der Anthranilsäure gewonnen und Anilin genannte hatte. Dieser Name stammt von der arabischen Bezeichnung „anil“ (blau), unter welcher die Portugiesen den Indigo in den Handel brachten und wurde von Fritzsche gewählt, weil seine Base Aehnlichkeit zeigte mit dem von Unverdorben durch Destillation des Indigos gewonnenen Krystallin. Auch im Benzidam, das der russische Chemiker Zinin kurz vorher aus dem Nitrobenzol gewonnen, schien eine ähnliche Substanz vorzuliegen. H. unterwirft diese vereinzelten Beobachtungen einem eingehenden Studium und findet, daß alle diese Substanzen, so verschieden ihre Herkunft, dieselbe Zusammensetzung, dieselben chemischen und physikalischen Eigenschaften haben, und acceptirt nun für diesen interessanten Körper den klangvollen Namen Anilin. In ähnlicher Weise gelingt ihm der Identitätsnachweis einer zweiten Base des Steinkohlentheers, [579] des Leukols, mit dem Chinolin, das der Pariser Chemiker Gerhardt aus dem Chinin gewonnen hatte; allein das Anilin ist es, dem er vorerst seine ungetheilte Aufmerksamkeit zuwendet.
Diese mit „großer Sorgfalt und Genauigkeit“ (Liebig) ausgeführten Arbeiten Hofmann’s, welche später für die chemische Industrie von eminenter praktischer Bedeutung werden sollten, haben zunächst ein rein theoretisches Interesse und machen Hofmann’s Namen bald in der Wissenschaft bekannt. Insbesondere sind es die Untersuchungen über die Halogenderivate des Anilins, welche für die damalige Entwicklung der chemischen Theorien von ausschlaggebender Bedeutung wurden.
Schroff und unvermittelt standen sich die Theorien von Berzelius und Dumas gegenüber. Nach der elektrochemischen Theorie des großen Schweden sollte der Charakter einer chemischen Verbindung nur durch die Natur der darin enthaltenen Elemente bedingt sein; nach der Substitutionstheorie Dumas', welcher beobachtet hatte, daß der positive Wasserstoff in chemischen Verbindungen durch das negative Chlor ersetzt werden kann, ohne ihren chemischen Charakter wesentlich zu ändern, sollte dieser nicht von der elektropositiven oder negativen Natur der Elemente, sondern lediglich von deren Lagerungsweise abhängen.
Die directe Chlorirung des Anilins war schon mehrfach, aber immer vergeblich, versucht worden; H. erreicht sie indirect auf einem merkwürdigen Umwege über gechlorte Indigoderivate und zeigt, nun im Besitze des einfach, des zweifach und des dreifach gechlorten Anilins, daß in der That das negative Chlor ein Wasserstoffatom substituiren kann, ohne den positiven Charakter der Base zu vernichten – eine glänzende Bestätigung von Dumas’ Theorie –, aber es findet sich zugleich die nicht minder wichtige Thatsache, daß der Eintritt des negativen Bestandtheils gleichwol einen zweifellosen Einfluß auf die Verbindung ausübt. Schon in dem Monoderivat zeigt sich die Basicität des Anilins etwas vermindert, noch mehr ist dies beim zweifach gechlorten Anilin der Fall und in dem neutralen Trichloranilin haben sich die elektronegativen Eigenschaften der eintretenden Chloratome „mit dem elektropositiven Charakter, welcher dem ursprünglichen Systeme angehörte, ins Gleichgewicht gesetzt“.
Wie so häufig in der Geschichte der Wissenschaft findet hier ein Ausgleich zwischen anscheinend unvereinbaren Theorieen statt. Durch die Arbeit Hofmann’s wird zwar die französische Auffassung bestätigt, aber gleichzeitig führt sie die Versöhnung herbei mit den Ansichten des schwedischen Forschers. Diese ersten Arbeiten haben aber nicht nur die Wissenschaft gefördert, auch die Industrie hat daraus reichen Nutzen gezogen. Da das Steinkohlentheeröl nur geringe Mengen Anilin enthält, so machte sich bald das Bedürfniß fühlbar, einen weniger mühevollen Weg zur Gewinnung dieses kostbaren Stoffes aufzufinden. Dies gelang H. durch den Nachweis, daß die leichtsiedenden Antheile des Theeröls große Mengen Benzol enthalten, dessen nahe Beziehung zum Anilin ihm bereits bekannt war. Indem er das Benzol in Gegenwart von Schwefelsäure mit starker Salpetersäure behandelt und das so gewonnene Nitrobenzol durch nascirenden Wasserstoff in Anilin verwandelt, beschreitet er zuerst den Weg, auf dem noch heute die für die Bereitung der Theerfarbstoffe erforderlichen Anilinmengen gewonnnen werden, die sich gegenwärtig auf viele Millionen Kilo jährlich belaufen.
Im J. 1843 starb Hofmann’s Vater. Zu dieser Zeit übertrug Liebig seinem bisherigen Privatassistenten Will das Laboratorium für Anfänger, H. wurde Will’s Nachfolger und hatte Liebig sowol bei seinen Experimentaluntersuchungen, wie auch bei der Redaction der „Annalen der Chemie“ zu unterstützen. Trotzdem findet H. auch noch für eigene Arbeiten Zeit. 1844 [580] veröffentlicht er eine Untersuchung „über das Chloranil“ und im darauffolgenden Jahre eine große Abhandlung „über die Metamorphosen des Indigos und die Erzeugung organischer Basen, welche Chlor und Brom enthalten“, die ihm von der Société de Pharmacie de Paris eine Medaille im Werthe von 200 Frcs. einträgt. Auch die Arbeit „über das Toluidin, eine neue organische Base“, erscheint 1845.
In dem Maße, wie Hofmann’s Name in der wissenschaftlichen Welt bekannt wird, regt sich indessen der Wunsch nach einer selbständigen Stellung, und, da er sich mit Helene Moldenhauer aus Darmstadt, einer Nichte von Liebig’s Frau, verlobt hatte, auch nach einem eigenen Herde. So habilitirt er sich am 28. April 1845 in Bonn und beginnt seine Lehrthätigkeit mit einer agriculturchemischen Vorlesung. Sein Verbleiben in Bonn währte jedoch nicht lange. Die glänzenden Erfolge der Liebig’schen Unterrichtsmethode waren auch im Auslande wohlbekannt und hatten die Aufmerksamkeit einsichtsvoller Männer Englands auf die Mängel der dortigen chemischen Lehrinstitute gelenkt. Unter dem Vorsitz des Gemahls der Königin hatte sich ein Comité gebildet zur Gründung eines College of Chemistry in London, dessen Leitung einem Schüler Liebig’s übertragen werden sollte. Zu diesen Männern gehörte der königliche Leibarzt Sir James Clark, der einflußreiche Lord Ashburton, W. Gregory, einer der ersten Schüler Liebig’s, der Geologe Buckland und Dr. Gardener, welcher Liebig’s Schriften durch seine Uebersetzungen in England bekannt gemacht hatte. Für diesen wichtigen Posten hatte Liebig seine Schüler Fresenius, Will und H. vorgeschlagen.
Ein Besuch der Königin von England bei der Beethovenfeier in Bonn, wo H. zufällig dieselben Zimmer bewohnte, die der Prinz-Gemahl dort als Student innegehabt hatte, die Experimente, die H. den hohen Herrschaften bei einer Besichtigung dieser Zimmer in einem dort eingerichteten Laboratorium vorführte und die liebenswürdige Art Hofmann’s, mit der er im Fluge die Herzen von Hoch und Niedrig zu gewinnen verstand, trugen dazu bei, daß die Wahl auf ihn fiel.
Das neue Lehrinstitut für wissenschaftliche Chemie in London wurde im Herbst 1845 zunächst in einem gemietheten Hause errichtet; bald aber wird in Gegenwart des Prinzen Albert der Grundstein des „Royal College of Chemistry“ in Oxfordstreet gelegt, das 1848 bezogen wird. Den Erfolg von Hofmann’s Lehrtäthigkeit in England wird man am besten würdigen, wenn wir einige berühmte Persönlichkeiten nennen, welche aus dem College hervorgegangen sind. Zu Hofmann’s ersten Schülern gehörten Warren de la Rue, der Leiter der Staatsdruckerei und der größten Papierfabrik Londons, Sir F. Abel, der Director des Laboratoriums zu Woolwich, der die von ihm „gezähmte“ Schießbaumwolle in die Kriegstechnik einführt, E. C. Nicholson, der Director einer der bedeutendsten chemischen Fabriken Londons, der talentvolle Ch. Mansfield, der zuerst das leichte Steinkohlentheeröl durch fractionirte Destillation in seine Bestandtheile, Benzol und Toluol, zerlegte, aber durch eine dabei ausgebrochene Feuersbrunst sein Leben verlor. Zahlreiche Lehrstühle der Naturwissenschaften wurden mit Hofmann’s Schülern besetzt: in London finden wir die Professoren Bloxam und Henry Road, in Dublin Th. A. Rowney, in Cork John Blyth, in Oxford Odling, an der indischen Ingenieurschule Mc. Leod, den langjährigen Assistenten Hofmann’s. Auch der berühmte Sir W. Crookes, C. E. Groves, Stenhouse, Forster u. v. A. waren seine Schüler. Aber auch an deutschen Namen hat es dem College nicht gefehlt; der geniale Forscher Peter Grieß, der neben seiner Thätigkeit als Chemiker [581] der großen Brauerei Allsopp in Burton on Trent noch Muße fand, die Farbenindustrie mit den werthvollen überaus reactionsfähigen Diazoverbindungen zu beglücken, Georg Merck, ein Mitglied der bekannten Darmstädter Chemikerfamilie, C. A. Martius, der Begründer der Berliner Anilinfabrik und, last not least, Hofmann’s ausgezeichneter Biograph J. Volhard in Halle sind daraus hervorgegangen.
Das Geheimniß dieses Erfolges bestand vornehmlich in der eigenen Freude an der wissenschaftlichen Forschung. Bei der Aufsuchung neuer Probleme hat er stets große Ziele im Auge; ein Meister der Beobachtung und des Experiments, unterläßt er es aber nicht, auch die unscheinbarste Thatsache zu beachten, um sie nicht selten zum Ausgangspunkte neuer und werthvoller Entdeckungen zu machen. Ueber die Arbeiten seiner zahlreichen Schüler ist er stets aufs genaueste orientirt, jeden Fortschritt begrüßt er mit Enthusiasmus, für jede Schwierigkeit weiß er einen Ausweg. Ein glänzender Redner, läßt er den Zuhörer Antheil nehmen an der inneren Begeisterung, mit der er vor gefülltem Hörsaal die Lehren der Wissenschaft vorträgt; eine Künstlernatur durch und durch, gestaltet er jede Vorlesung zu einem Kunstwerk: die Anordnung der Apparate, die Aufeinanderfolge der Versuche, jedes einzelne Experiment ist seinem Schönheitsgefühl unterworfen, und wer je das Glück gehabt hat, die für seine englischen Zuhörer bestimmte „Einleitung in die moderne Chemie“ zu hören, dem ist die künstlerische Gestaltung dieser geistvollen Experimentalvorträge als ein unvergängliches Erlebniß in der Erinnerung geblieben.
Die Gewohnheit der englischen Gelehrten ihre Wissenschaft in öffentlichen Vorlesungen zu popularisiren theilt auch H.: In den Working men lectures lauschen 1800 Zuhörer seinen Worten. Aber auch der königliche Hof weiß den Genuß einer Hofmann’schen Vorlesung zu schätzen und trotz der nicht geringen Schwierigkeiten in den königlichen Schlössern Experimente anzustellen, nehmen seine Vorträge, die er auf Einladung der Königin unter der Assistenz des unübertrefflichen Mc. Leod in Osborne und in Windsor hält, einen glänzenden Verlauf. Die für Kunst und Wissenschaft gleich empfängliche Prinzessin Victoria, die nachmalige Kaiserin Friedrich, ist in London seine aufmerksame Schülerin gewesen; sie hat bis zu seinem Tode keine Gelegenheit vorübergehen lassen, ihn ihrer Dankbarkeit und ihres freundschaftlichen Wohlwollens zu versichern.
Bei all diesen äußeren Erfolgen blieb H. auch schweres Leid nicht erspart; nach einer überaus glücklichen sechsjährigen Ehe verlor er am 6. Februar 1852 seine Frau Helene.
Hofmann’s Arbeiten in England bilden die Fortsetzung seiner früheren Untersuchungen. Im glücklichen Besitze des Anilins erkennt er alsbald die ungeheure Mannichfaltigkeit der Umwandlungen, welcher dieser reactionsfähige Körper zugänglich ist. Ein fast unbegrenztes Feld öffnet sich seiner Forscherthätigkeit. In zehn Abhandlungen: „Beiträge zur Kenntniß der flüchtigen organischen Basen“ sind zahlreiche Untersuchungen und Entdeckungen niedergelegt, denen der leitende Gedanke zu Grunde liegt, die Analogien aufzudecken, welche die neuen Basen, Anilin, Toluidin, Cumidin u. s. w. mit dem Ammoniak und dessen Derivaten zeigen. Hierher gehören die grundlegenden Arbeiten über das Cyananilin und seine Zersetzungsproducte, Oxanilid und Oxanilsäure, über das Melanilin aus Anilin und Chlorcyan, welches zur Phenylisocyansäure führt, über den Phenylharnstoff aus cyansaurem Anilin, über das Carbanilid, das aus Phosgen und Anilin gewonnen wird, über das Sulfocarbanilid aus Anilin und Schwefelkohlenstoff, über dessen Entschwefelungsproducte [582] u. v. A. Das theoretisch wichtige Resultat dieser Untersuchungen und zugleich eine der größten Entdeckungen Hofmann’s ist die Erkenntniß, daß die Berzelius’sche Theorie nicht im Stande ist, den Zusammenhang aller dieser Erscheinungen zu erklären, daß das Anilin, nicht, wie es diese Theorie verlangte, als ein Additions- sondern vielmehr als ein Substitutionsproduct des Ammoniaks anzusehen ist.
Wenn diese Ansicht richtig war, so mußte man erwarten, daß auch die anderen Wasserstoffatome des Ammoniaks substituirbar seien; eine unmittelbare Folge dieser Erkenntniß war daher die Aussicht auf eine unabsehbare Reihe neuer Amine. In der That gelingt es H. neben dem Methylamin, das schon Adolph Wurtz aus dem Cyansäureester erhalten hatte, durch die fortgesetzte Einwirkung von Jodmethyl auf Ammoniak ein Dimethylamin, ein Trimethylamin und schließlich ein Tetramethylammoniumhydroxyd zu gewinnen. Neben dem Anilin entstehen auf dieselbe überraschend einfache Weise das Methylanilin, das Dimethylanilin u. s. w. Indem immer neue Radicale eingeführt werden, bilden sich unter seinen Händen zahllose neue Derivate des Ammoniaks. Aber auch hiermit ist die Substitutionsmöglichkeit noch nicht erschöpft; auch das Stickstoffatom selbst läßt sich in diesen Aminen durch die ihm analogen Elemente Phosphor, Arsen und Antimon ersetzen. Eine neue Perspective von Phosphinen, Arsinen und Stibinen eröffnet sich, deren Bearbeitung H. in Gemeinschaft mit dem Pariser Chemiker A. Cahours in Angriff nimmt, mit dem er schon früher eine gemeinsame Erforschung der merkwürdigen im Lauch und im Senföl vorkommenden Allylverbindungen unternommen hatte. Immer von neuem bewährt sich das Substitutionsgesetz, und sicherlich konnte eine glänzendere Bestätigung desselben nicht gefunden werden, als die Thatsache, daß z. B. das Tetrabutylphosphoniumjodid, P(C4H9)4J, vom Salmiak NH4Cl äußerlich nicht zu unterscheiden ist, obwol alle Elemente darin durch andere ersetzt worden waren. Die für diese Untersuchungen wichtigen Krystallmessungen werden von Hofmann’s Freunde ausgeführt, dem ausgezeichneten Mineralogen und späteren italienischen Finanzminister Quintino Sella, dem die Wissenschaft die Wiederbelebung der Accademia dei Lyncei, dem der Fortschritt der menschlichen Cultur die Errichtung des Giordano Bruno-Denkmals in Rom verdankt.
Am 13. December 1856 schließt H. seine zweite Ehe mit Miß Rosamond Wilson. Seine äußere Stellung hatte sich inzwischen mehr und mehr gefestigt. Da die dauernde Unterhaltung des College aus Privatmitteln trotz der Großmuth seiner Gönner auf finanzielle Schwierigkeiten stieß, so ging das Institut, dessen Nützlichkeit nicht bezweifelt werden konnte, in die Hand des Staates über und H. wurde als Professor an der School of Mines englischer Staatsbeamter. Hatten sich hierdurch seine regelmäßigen Einkünfte wesentlich erhöht, so wurden sie noch glänzender, als ihm auf Betreiben Th. Graham’s die wichtige Stellung eines königlichen Münzwardeins übertragen wurde.
Wenn die Arbeiten Hofmann’s bis dahin ein mehr theoretisches Interesse beanspruchten, so nahmen sie nun einen Verlauf, der für die Entwicklung der chemischen Industrie von der allergrößten Bedeutung werden sollte. Die gewaltige Entwicklung der Theerfarbenindustrie, dieses Resultat einer bewundernswürdigen Vereinigung von wissenschaftlicher Forschung und industriellem Unternehmungsgeist, wurzelt in den Entdeckungen der Anilinfarbstoffe durch H. und seine Schüler.
Ende der fünfziger Jahre beginnt er sich mit den Anilinfarben zu beschäftigen und wenige Jahre darauf, 1862, konnten die Theerfarbstoffe auf [583] der Londoner Weltausstellung einen beispiellosen Triumph feiern. Die märchenhafte Pracht dieser Farben, ihre intensive Leuchtkraft, die Reinheit ihrer Töne, die erstaunliche Mannichfaltigkeit ihrer Nuancen riefen die allgemeine Bewunderung hervor und verbreiteten den Ruf ihres wissenschaftlichen Entdeckers über die ganze Welt.
Die tinctoriale Reactionsfähigkeit des Anilins war H. nicht entgangen, ihre verwickelte Natur erkennend, hatte er sich aber zuerst mit den einfacheren Umwandlungen beschäftigt und die gut kristallisirenden Verbindungen den komplex zusammengesetzten Farbstoffen vorgezogen. Erst als sein Assistent Perkin im J. 1856 die technische Verwerthbarkeit eines von ihm entdeckten Farbstoffes, des Mauveïns, erkannt hatte, begann H. die früher von ihm weniger beachteten Farbstoffe näher zu untersuchen. Die Einwirkung von Tetrachlorkohlenstoff auf Anilin führt ihn zur Entdeckung des prächtig carmoisinrothen Rosanilins, der Muttersubstanz aller Anilinfarbstoffe. Durch sinnreiche Versuche zeigt er, daß nur ein Gemenge von Anilin und Toluidin befähigt ist, den Farbstoff zu bilden, was für die Industrie, die sich der technischen Darstellung alsbald bemächtigt, von Wichtigkeit ist, und die wissenschaftliche Untersuchung ergibt, daß im Rosanilinmoleküle drei Reste aromatischer Basen miteinander verkoppelt und drei substituirbare Wasserstoffe darin vorhanden sind. In dem von Girard und de Laire durch Erhitzen von Rosanilin mit Anilin erhaltenen prachtvollen „Anilinblau“ findet H. diese Wasserstoffe durch drei Phenyle ersetzt, und der Austausch dieser Wasserstoffatome im Rosanilin durch Aethylgruppen liefert ihm die glänzenden Farbstoffe, welche unter dem Namen ‚Hofmann-Violette‘ mehrere Jahre die Mode beherrscht und einen enormen industriellen Erfolg gehabt haben. Auch ein Anilingrün ließ nicht lange auf sich warten, welches als Jod- oder Methylgrün in den Handel kam. Soweit es der damalige Stand der Wissenschaft zuließ, wurde die Bildung und die Zusammensetzung der Farbstoffe, welche der Rosanilingruppe angehören, aufgeklärt; endgültig wurde ihre Constitution ein Jahrzehnt später festgestellt durch die ausgezeichneten Untersuchungen von E. und O. Fischer.
Daß unter solchen Verhältnissen Hofmann’s Name unter den englischen Gelehrten und Industriellen Ansehen und höchste Anerkennung fand, kann nicht verwundern; die geistvolle Art seines Umgangs, die bezaubernde Liebenswürdigkeit, sein sprudelnder Humor, sein schlagfertiger nie verletzender Witz machten ihn zu einer ebenso beliebten, wie begehrten Persönlichkeit Londons. In den Ferien ist er der gern gesehene Gast auf dem Landgut Lord Ashburtons, wo er Thomas Carlyle kennen lernt; er unterrichtet den Prinzen von Orleans und tritt in ein nahes Verhältniß zum Grafen von Paris, dessen Hochzeit mit der Prinzessin von Montpensier er beiwohnt. Faraday und Graham darf er zu seinen väterlichen Freunden zählen, im anregendsten Verkehr steht er mit seinen Collegen von der School of Mines den Geologen Murchison, de la Beche, Ramsay, den Physikern Tyndall, Stokes und Mills, dem Mineralogen Washington Smith und dem Metallurgen John Percy, ferner mit den chemischen Collegen in London Stenhouse, Williamson, W. Allen Miller, Frankland, Odling, Abel, Crookes.
Daß Hofmann’s vielseitige Kenntnisse auch von der Regierung und der Justiz in Anspruch genommen werden, braucht kaum gesagt zu werden. Seien es Fragen der Steuer- oder Zollgesetzgebung, der Nahrungsmittelcontrolle oder der Hygiene, des naturwissenschaftlichen Unterrichts oder der Criminalistik, sein Urtheil wird zu ihrer Lösung herangezogen. Eine unentbehrliche Persönlichkeit ist er bei allen Ausstellungen; sein auf reiche Erfahrung gegründetes [584] Urtheil, sein umfassendes Wissen, seine Geschäfts- und Sprachgewandtheit prädestiniren ihn zum Preisrichter und Berichterstatter. Schon 1851 auf der ersten Weltausstellung in London und 1855 in Paris gehört H. der Jury an. 1862 ist er in London Berichterstatter für die chemischen Producte, worunter, wie schon erwähnt, die Anilinfarben das Hauptinteresse in Anspruch nehmen und auf der bald folgenden internationalen Pariser Exposition findet die allgemeine Anerkennung seiner Verdienste durch die Verleihung des Grand prix (100 000 Frcs.) und durch die Ernenunng zum Officier der Ehrenlegion ihren Ausdruck. Schon seit 1847 ist H. Foreign Secretary der Londoner Chemical Society, die ihn im J. 1861 zu ihrem Präsidenten erwählt.
So steht H. auf der Höhe seines Ruhmes; England ist sein zweites Vaterland geworden.
Aber die Wirksamkeit des hervorragenden Mannes war auch in seiner Heimath nicht unbemerkt geblieben. Zwar durfte man kaum hoffen, daß er seine glänzende Stellung in London, die auch die weitgehendsten Wünsche zu befriedigen geeignet war, aufgeben werde, um eine deutsche Professur anzunehmen; allein, als von der preußischen Regierung der Ruf an ihn gelangte, den durch den Rücktritt Bischoff’s erledigten Lehrstuhl in Bonn zu übernehmen und als kurze Zeit darauf die chemische Professur in Berlin durch den Tod Eilhard Mitscherlichs frei wurde, war es die Empfindung „eines tiefen Heimwehs nach dem geistigen Hochland einer deutschen Universität“, die H. nicht zögern ließ, in seine Heimath zurückzukehren.
Noch von London aus leitet er den Bau des neuen Laboratoriums in Bonn; im Mai 1865 siedelt er nach Berlin über, wo er bis zur Vollendung des nach seinen Plänen aufgeführten großartig angelegten Neubaues sich in der Dienstwohnung des inzwischen verstorbenen Heinrich Rose ein provisorisches Laboratorium einrichtet. Außer seinen Assistenten Krämer, Olshausen, Sell und Martius finden nur wenige Schüler, darunter der früh verstorbene talentvolle Paul Mendelssohn-Bartholdy in den engen Räumen Platz.
Am 6. Juni hält H. seine Antrittsrede in der Akademie der Wissenschaften, der er seit 1858 als correspondirendes Mitglied angehörte. Das neue in der Georgenstraße gelegene Laboratorium wurde im J. 1867 bezogen und im Mai des folgenden Jahres durch eine mit einer Ausstellung verbundene Feier eingeweiht. Das Wohnhaus des Professors lag an der Dorotheenstraße und war durch ein geräumiges Privatlaboratorium mit dem chemischen Institut verbunden.
Zu dem Fortgange von London hatte vielleicht der Verlust beigetragen, den H. durch den Tod seiner Frau Rosamond nach nur vierjähriger Ehe am 30. Januar 1860 erlitt. In Berlin begründete er am 19. Mai 1866 einen neuen Hausstand. Hofmann’s dritte Gattin, Elise Moldenhauer, war die Cousine seiner ersten Frau und die Schwester der Frau von Heinrich Buff in Gießen, welcher in erster Ehe Hofmann’s Schwester zur Frau gehabt hatte. Aber auch diese Ehe sollte nach kurzer Zeit gelöst werden; am 17. October 1871 starb Frau Elise nach langem schweren Leiden. In demselben Jahre verlor H. seinen ältesten Sohn James aus erster Ehe, der sich als Student der Medicin in der Berliner Klinik mit Diphtherie inficirt hatte.
Der geselligen Natur Hofmann’s war aber ein behagliches Familienleben zum unabweislichen Bedürfniß geworden: am 11. August 1873 heirathet er Bertha Tiemann, die Schwester seines langjährigen Assistenten und Freundes, des Entdeckers des Vanillins und des Jonons Ferdinand Tiemann; noch fast 19 Jahre hat er mit ihr in glücklichster Ehe gelebt. Von seinen elf Kindern [585] sind außer James noch zwei gestorben, acht, fünf Söhne und drei Töchter, haben ihn überlebt.
Daß H. in Berlin alsbald alle Chemiker und Alles was zur Chemie Beziehungen hatte, um sich sammelte, war begreiflich; hatte er doch, seit zwanzig Jahren Mitglied der Chemical Society in London, die segensreiche Förderung kennen gelernt, welche diese Gesellschaft auf die englische Wissenschaft und Technik ausübte. Noch bevor das neue Laboratorium eröffnet wurde, gründete er am 11. Mai 1867 in Gemeinschaft mit Baeyer, Martius, Oppenheim, Scheibler, Schering, Wichelhaus u. A. die „Deutsche Chemische Gesellschaft“, der bald alle namhaften Chemiker Deutschlands und viele des Auslandes angehörten. Die überaus fruchtbare Wirksamkeit dieser Gründung erhellt am besten aus der Thatsache, daß der Umgang der „Berichte“, in welchem die Mitglieder ihre Arbeiten den Fachgenossen kundgeben, innerhalb 25 Jahren von 282 auf über 5000 Druckseiten angewachsen ist. In dieser Zeit stammen nicht weniger als 899 Abhandlungen aus dem Hofmann’schen Laboratorium und mehr als 150 von seiner eigenen Hand; die letzte lag bei seinem Tode druckfertig auf seinem Schreibtische. Andere Arbeiten erschienen in den Proc. of the Roy. Soc., im Journal of the Chem. Soc., in den Comptes rendus, den Annales de chim. et de phys., den Monatsber. der Berl. Akademie und in den Annalen der Chemie; ihre Gesammtzahl beträgt 277.
Bei der Fülle und Mannichfaltigkeit einer so gewaltigen Thätigkeit ist es nicht möglich, den verschlungenen Wegen aller dieser Arbeiten im einzelnen nachzugehen; nur in allgemeinen Umrissen dürfen wir einzelne, sei es für die Entwicklung der Wissenschaft, sei es für die Industrie besonders wichtige Gruppen herausgreifen. Mit Vorliebe ist H. stets auf die tinctoriale Chemie zurückgekommen; seiner Lieblingsschöpfung, den Rosanilinfarbstoffen, schließen sich Untersuchungen über andere Farbclassen an, wie das Chinolinroth, das Cyanin, das Naphtalinroth und namentlich Farbstoffe aus dem Buchenholztheer, welche Reichenbach schon 30 Jahre zuvor aus den hochsiedenden Antheilen des Holztheeröls erhalten hatte. H. erklärt ihre Ableitung von der Pyrogallussäure und stellt ihre interessanten Beziehungen zu den Rosanilinfarbstoffen fest. Auch mit den Rohstoffen für die Farbfabrikation hat sich H. wiederholt beschäftigt. Seine Arbeiten über die hochsiedenden Antheile des technischen Anilins, das Phenylen- und Toluylendiamin, die Entdeckung des Hydrazobenzols und seine merkwürdige intramoleculare Umwandlung in Benzidin, das Studium der Xylidine und die Wanderung der Methylgruppen methylirter Amine in den aromatischen Kern, welche ihn bis zum pentamethylirten Anilin und schließlich zum Hexamethylbenzol führen und viele andere Entdeckungen sind es, die die Farbenindustrie nicht zögerte als willkommenes Rüstzeug in ihre Betriebsstätten zur Bereitung organischer Producte aufzunehmen.
Die Arbeiten Hofmann’s beschränken sich aber keineswegs auf die aromatischen Verbindungen, denen die Theerfarbstoffe angehören, auch die aliphatische Chemie verdankt ihm nicht geringere Förderung. Vor allem ist hier der Oxydation der Säureamide mit Brom und Alkali zu gedenken, die einen neuen Weg zum Abbau der Fettsäuren liefert, der später bei der Synthese des künstlichen Indigos aus Naphtalin benutzt worden ist. Eine seiner glänzendsten Entdeckungen ist die Synthese des Formaldehyds. Nachdem er 20 Jahre vergeblich nach dieser zwischen dem Grubengas und der Kohlensäure stehenden Verbindung gesucht hatte, gewinnt er sie auf eine ebenso einfache, wie elegante Weise, als er einen mit Holzgeistdämpfen beladenen Luftstrom über eine glühende Platinspirale leitet. Dieser höchst reactionsfähige, auch pflanzenphysiologisch wichtige Stoff bildete den Ausgangspunkt bei der Synthese der Zucker und hat nicht [586] nur in der chemischen Industrie, sondern seiner desinficirenden Eigenschaften wegen auch zu hygienischen und zu Conservirungszwecken große praktische Bedeutung gewonnen.
An die Arbeiten über die Aminbasen schließen sich ausgedehnte und mühevolle Untersuchungen über die Aethylenbasen an, unter denen das Diäthylendiamin erwähnenswerth ist, welches später unter dem Namen Piperazin als Mittel gegen Gicht Verwendung gefunden hat. Unerschöpflich ist seine Erfindungsgabe zur Entdeckung neuer Wege in große unbekannte Gebiete, unübertrefflich sein experimentelles Geschick, diese Wege gangbar zu machen, die ihn weiter zu den Aminiden und Guanidinen, zu der Cyanursäure mit ihren zahlreichen Derivaten und endlich zu den Isonitrilen führen. Die Untersuchungen über diese merkwürdigen durch einen überwältigenden Geruch ausgezeichneten Verbindungen, deren Bearbeitung einen wahren Opfermuth verlangte, gaben H. Veranlassung zu einer pflanzenphysiologisch interessanten Entdeckung, der Synthese der Senföle, die sich als die Schwefelverbindungen der Isonitrile zu erkennen gaben und in ihrer bekannten Einwirkung auf die Geruchsorgane diesen kaum nachstehen.
Auch bei andern Gelegenheiten hat H. das Gebiet der Pflanzenchemie betreten. Eine umfassende Arbeit hat er der Untersuchung der Alkaloide gewidmet, welche im Wasserschierling gefunden werden. Sie führte zur Synthese des inactiven Coniins, erklärte den Zusammenhang dieser Base mit dem Piperidin und dem Pyridin und lehrte eine überaus wichtige neue Methode des Abbaus cyklischer Basen durch Elimination des Stickstoffs kennen. Der erfinderischen Thätigkeit und experimentellen Geschicklichkeit Hofmann’s auf dem Gebiete der physikalischen Chemie, welch ihm u. a. die elegante Methode der für die Ermittlung der Moleculargröße wichtigen Dampfdichtebestimmung in der Barometerlehre verdankt, kann nur kurz gedacht werden, ebenso wie seiner eminenten Begabung zur Auffindung neuer und belehrender Vorlesungsversuche und fein erdachter diesem Zwecke dienender Apparate, unter denen die Hofmann’schen Eudiometer besonders erwähnt werden sollen, welche heute in allen chemischen Fundamentalvorlesungen zu volumetrischen Demonstrationen benutzt werden.
Man sollte meinen, diese wissenschaftlichen Arbeiten hätten in Gemeinschaft mit einer ausgebreiteten Lehrthätigkeit in Hörsaal und Laboratorium die ganze Arbeitskraft eines Mannes in Anspruch nehmen müssen, allein, er weiß mit demselben Eifer auch noch den mannigfaltigen Anforderungen gerecht zu werden, welche die Metropole an gesellige Naturen und wissenschaftliche Capacitäten von seinem Range zu stellen pflegt; und dies sind keine geringen.
Als H. nach Berlin kam, fand er dort seinen langjährigen Freund, den Physiker G. Magnus vor, bei dem er ebenso wie bei dessen Bruder, dem Porträtisten E. Magnus die gastfreieste Aufnahme fand; auch der Meteorologe Dove, der Mineraloge Gustav Rose, der Geologe Beyrich, der Botaniker Braun, der Zoologe Peters sind ihm gut bekannt, und neue Freunde gewinnt er alsbald in dem Mathematiker Kronecker, dem Physiologen Du Bois Reymond, dem Aegyptologen Lepsius, dem Historiker Droysen, in den Physikern Ries und Poggendorff, dem Industriellen Kunheim, dem amerikanischen Historker und Botschafter G. Bancroft und vielen Anderen. Daß die freunschaftlichen Beziehungen, in die H. zu seiner englischen Schülerin, der Kronprinzessin Victoria getreten, in Berlin wieder aufgenommen wurden, braucht kaum erwähnt zu werden; sie finden ihren Ausdruck in der Verleihung des preußischen Adels bei Hofmann’s 70. Geburtstage und nach dem Tode der Kaiserin in der Aufstellung seiner Büste an ihrem Denkmal vor dem Brandenburger Thor in Berlin. Auch [587] der alte Kaiser Wilhelm liebte es, sich bei epochemachenden Entdeckungen der Naturwissenschaften, wie der Spectralanalyse, der Anilinfarben, der Verflüssigung der Luft, durch Hofmann’s Experimentalvorträge belehren zu lassen.
Wenige Gelehrte konnten sich einer ähnlichen Sprachkenntniß und Sprachgewandtheit rühmen, wenigen stand das Wort in so glänzender Weise zur Verfügung wie H.; kein Wunder, daß man ihn bei jeder großen Versammlung, bei Jubiläen, bei Denkmalsenthüllungen als geborenen Festredner zu gewinnen suchte. Auf der Londoner Ausstellung 1862 begrüßt er die auswärtigen Celebritäten in allen vier Cultursprachen; 1888 hält er bei der Enthüllung des Denkmals seines Freundes Quintino Sella in Biella die Festrede vor dem Könige von Italien und in demselben Jahre spricht er bei dem 800jährigen Jubiläum der Universität Bologna als Abgesandter der deutschen Universitäten „in correttissimo Italiano“. Bei dieser Gelegenheit wird ihm zugleich mit den Chemikern Bunsen und Chevreul der Ehrendoctor von Bologna verliehen, wo er ein halbes Jahrhundert zuvor studirt hatte, als die Erkrankung seines Vaters bei Gelegenheit einer italienischen Reise einen mehrmonatlichen Bologneser Aufenthalt nothwendig machte.
Auf der von mehr als 3000 Gelehrten besuchten Naturforscherversammlung in Berlin 1886 führte H. den Vorsitz, und als bald darauf der Beschluß gefaßt wurde, an Stelle dieser losen periodischen Zusammenkünfte eine feste Vereinigung zu begründen, wurde er zum ersten Präsidenten der neu organisirten Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte erwählt, die er 1890 in Bremen mit einer historischen Rede über die Entwicklung der Naturforschung seit dem Beginn dieser Versammlungen eröffnete.
Als Mitglied der Deputation für das Medicinalwesen, für Handel und Gewerbe, bei der Schaffung des Reichspatentamts und des Reichsgesundheitsamts, in zahlreichen Commissionen zur Lösung educatorischer Fragen und wissenschaftlicher Aufgaben hat H. seine Kenntnisse, seine Erfahrungen, seine Arbeitskraft stets bereitwillig in den Dienst des Allgemeinwohls gestellt. Daß es bei dieser vielseitigen Thätigkeit nicht immer ohne Kampf abgeht, zeigt eine in der Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege (1879) abgedruckte Streitschrift gegen einen namhaften Pharmakologen, der die von der Commission zur Gründung des Reichsgesundheitsamtes dem Reichstage vorgelegten Materialien einer unliebsamen Kritik unterzogen hatte. Ein Meister der Polemik, fortiter in re, suaviter in modo, nicht ohne feine Satire läßt H. den Leser über den Ausgang des Streitfalls nicht im Zweifel.
Die Arbeitskraft Hofmann’s ist auch hiermit nicht erschöpft; noch ist einer ausgebreiteten litterarischen Thätigkeit zu gedenken. Die ausgezeichnete „Einleitung in die moderne Chemie“ ist schon erwähnt worden. Das kleine Lehrbuch erschien in englischer und deutscher Sprache im J. 1865. und hat bis 1877 zahlreiche Auflagen erlebt. Für das englische Publicum übersetzte er Liebig’s Anleitung zur organischen Analyse und Wöhler’s Mineralanalyse und in Gemeinschaft mit Bence Jones gab er in den ersten Jahren seines Londoner Aufenthalts den Jahresbericht der Chemie von Liebig und Kopp in englischer Sprache heraus. Bei Gelegenheit der Wiener Weltausstellung, wo er Vorsitzender des Comités der deutschen Industriellen war, erschien von ihm im Verein mit Freunden und Fachgenossen ein Bericht „über die Entwicklung der chemischen Industrie in den letzten zehn Jahren“ (Braunschweig 1875–77) und einen ähnlichen Bericht erstattete er mit R. Biedermann im Auftrage des preußischen Ministeriums bei der Ausstellung wissenschaftlicher Apparate und Präparate in London 1876. Als Rector der Universität beschäftigt er sich 1886 mit der [588] Frage der Theilung der philosophischen Facultät und mit der Zulassung von Realschulabiturienten zum Universitätsstudium.
Mit besonderer Vorliebe hat H. seine gewandte Feder der Geschichte der Chemie gewidmet. Weit entfernt jedoch diese Studien in systematische historischen Werken zu verdichten, wozu ihm Ruhe und Zeit gefehlt haben würden, kleidet er sie vielmehr in die Form gelegentlicher Reden, wie die überaus reizvollen Vorträge „Berliner Alchymisten und Chemiker; Rückblick auf die Entwicklung der Chemie in der Mark“ und „Ein Jahrhundert chemischer Forschung unter dem Schirm der Hohenzollern“ (1881–1882), worin er die Geschichte der Chemie in Berlin von den Goldmachern Thurneißer, Kunkel, dem Porzellanerfinder Böttger, bis zu den gelehrten Forschern Hoffmann, Stahl, Eller, Pott, den Begründern der Rübenzuckerindustrie Marggraf und Achard und zu seinen Vorgängern an der Berliner Universität Klapproth, Hermbstädt, Mitscherlich, H. Rose und G. Magnus ebenso fesselnd wie belehrend abhandelt.
Einen unvergleichlichen Schatz historischen Materials aber verdankt ihm die Wissenschaft in den unübertrefflichen Gedächtnißreden, die er als Präsident der Chemischen Gesellschaft dahingeschiedenen Fachgenossen zu widmen pflegte. Die persönlichen Beziehungen, in denen er zu allen bedeutenden Chemikern des 19. Jahrhunderts stand, eine umfassende allgemeine Bildung, eine erstaunliche Belesenheit, verbunden mit einem eminenten Gedächtniß, Kenntnisse auf allen oft entlegenen Gebieten des Wissens, seine künstlerische Gestaltungskraft, seine Beherrschung der Sprache, seine vielfachen Reisen, die sich auf alle europäischen Länder, auf den Orient, auf Afrika und Nordamerika erstreckten, alles trug dazu bei, diese „Erinnerungen an vorangegangene Freunde“ nach Inhalt und Form zu wahren Meisterwerken der Weltlitteratur zu gestalten. Drei stattliche Bände (Braunschw. 1888) füllen diese ausführlichen Biographien bedeutender Gelehrter, wie Justus v. Liebig, Friedrich Wöhler, Thomas Graham, Gustav Magnus, Heinrich Buff, J. B. Dumas, Quintino Sella, Peter Grieß, H. von Fehling, Adolph Wurtz u. A.
Dieses der Kaiserin Friedrich gewidmete Werk erschien kurz nach dem Tode des Kaisers. In der letzten der Biographien behandelt H. das Leben des Pariser Chemikers Ad. Wurtz, der im Jahre 1869 in Gesellschaft des ihm befreundeten Aegyptologen Lepsius der Eröffnung des Suezcanals beiwohnte. H. beschreibt diese denkwürdigen Festlichkeiten und benutzt am Schluß die Reisebriefe von Lepsius, der den damaligen deutschen Kronprinzen auf einer dreiwöchigen Nilfahrt nach Oberägypten begleitet hatte, zu einer ergreifenden Apotheose des heldenmüthigen Kaisers Friedrich.
Aber nicht nur litterarische Denkmäler hat H. den Heroen der Wissenschaft gesetzt; er ruhte nicht, bis er im Verein mit den Fachgenossen für Liebig in München und Gießen, für Wöhler in Göttingen solche in Stein und Erz geschaffen hatte; auch in der Herausgabe des Briefwechsels dieser großen Forscher (Braunschw. 1888, 2 Bde.) hat sich H. ein bleibendes Verdienst erworben.
Einem so thatenreichen, so erfolgreichen Leben konnte es an dankbarer Anerkennung nicht fehlen. Seine Schüler haben ihn buchstäblich auf Händen getragen. Keine Gelegenheit haben sie vorübergehen lassen, den verehrten Lehrer zu feiern. An seinem 60. und 70. Geburtstage wurden ihm Commerse gegeben, wie sie Berlin noch nicht gesehen hatte. Bei dem ersten waren Schüler von allen fünf Welttheilen vertreten; der zweite wurde verherrlicht durch die Anwesenheit von Karl Schurz, mit dem H. bei der Eröffnung der Northern Pacificbahn in Amerika zusammengetroffen war. Diese Anhänglichkeit seiner Schüler war in der That gerechtfertigt, denn der Einfluß, den H. als Lehrer auf den Fortschritt [589] der Wissenschaft und der Industrie ausgeübt hat, kann nicht hoch genug angeschlagen werden: seine zahlreichen, auf den Lehrkanzeln und in den Werkstätten der Technik thätigen Schüler – sind sie auch über den ganzen Erdkreis zerstreut – umschließt noch heute ein geistiges Band einmüthiger Arbeit im Sinne des Meisters und der Zusammengehörigkeit in der dankbaren Verehrung des unvergleichlichen Lehrers.
Die deutsche chemische Gesellschaft brachte ihrem Präsidenten ihre Huldigung durch die Begründung einer Hofmannstiftung dar. Die chemische Großindustrie hat Sorge getragen, daß sein von Angeli’s Künstlerhand gemaltes Bildniß der Nationalgalerie einverleibt wurde. Seine Freunde und Fachgenossen haben das Andenken des großen Forschers geehrt durch die Errichtung des „Hofmannhauses“ in Berlin, einer bleibenden Heimstätte für die Wissenschaft, der A. W. v. Hofmann sein Leben gewidmet hat.
- Poggendorff, Biogr.-litter. Handwörterbuch. – W. Will, A. W. v. Hofmann, Gedächtnißrede, Berl. 1892. – J. Volhard u. E. Fischer, Aug. Wilh. von Hofmann, ein Lebensbild, Ber. d. Dtsch. Chem. Ges. 1902. – H. Armstrong, Hofmann Memorial Lecture, Journ. chem. soc. 1896. – Eine Zusammenstellung von Hofmann’s Abhandlungen gaben Nölting und Gerber im Mon. scient. de Quesneville 1897.