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117. Jahrgang – Juli 2021 – Doak, Mary: A Prophetic Public Church. Witness to Hope Amid the Global Crises of the 21st Century. – Collegeville/ MN: Liturgical Press Academic 2020. (xxi) 234 S., brosch. € 24,80 ISBN: 978-0-81-468450-4 In Zeiten, in denen der (röm.-kath.) Kirche ein öffentlicher kritischer Blick auf sich selbst nicht mehr erspart bleibt und in denen die Theologie diesen Blick nicht als pathogene Selbstbetrachtung missverstanden wissen darf, kann Mary Doaks ekklesiologischer Vorschlag als durchaus dreist, aber eben auch als „witness to hope“ bezeichnet werden. Nun hat sich die eine röm.-kath. Kirche in unterschiedlichen kulturell-geschichtlichen Settings je anders gesellschaftlich entfalten können und dabei verschiedene theologische Formatierungen hervorgebracht. Dies trifft nicht zuletzt auf die Katholische Kirche und Theologie in den USA zu. D., die Systematische Theologie an der Univ. of San Diego lehrt, hat sich an der Univ. of Chicago den ‚Bazillus‘ Public Theology eingefangen, der sie seither in ihren Arbeiten begleitet.1 Aus unterschiedlichen Gründen, die hier nicht näher erläutert werden können, findet Öffentliche Theologie in der deutschsprachigen Katholischen Theologie bis dato nur bedingt Resonanz.2 D.s Buch ist in sechs Kap., eine Einleitung und einen Schluss gegliedert. Die titelgebende Programmatik „A Prophetic Public Church“ gründet sich für die Vf.in in Lumen Gentium 1: der Zeichencharakter von Kirche, im Sinne ihres prophetischen Zeugnisses muss mit ihrem Werkzeugcharakter, im Sinne ihres Auftretens als „public agent“, aufs Engste verbunden sein (xvi). Dabei bestimmt die Vf.in Kirche nicht von ihrem Wesen, sondern von ihrer Sendung her. Damit steht der Kirche eine „divided, individualistic, and yet increasingly globally connected world“ (xvii) im Blick. Logik und Aufbau des Buches sind gut nachvollziehbar: Kap. eins („Called to Communion. The Vision of the Second Vatican Council“) entwickelt ein differenziertes Verständnis missionarischen Kirche-Seins unter Bezugnahme auf zentrale Konzilstexte, jüngere kirchliche Dokumente sowie Ekklesiologien aus unterschiedlichen Kontexten (1–37). Damit aber Kirche glaubwürdiges Zeichen und Instrument von Einheit in Vielfalt (unity-in-diversity) sein kann, kommt Kirche um die äußerst schwierige und schmerzliche Bearbeitung zweier Wurzelübel, die in ihre Anfänge zurückreichen, nicht länger herum: Kap. zwei („Overcoming Religious Anti-Semitism. Communion with the Church’s External Other“) und Kap. drei (“Overcoming Misogyny. Vgl. Mary DOAK: Reclaiming Narrative for Public Theology, Albany/ NY 2004 (SUNY Series: Religion and American Public Life) sowie DIES.: Divine Harmony. Seeking Community in a Broken World, New York/ NY 2017. 2 Vgl. dazu Andreas TELSER: Konturen Öffentlicher Theologie im Werk David Tracys, in: Ethik und Gesellschaft 1/2019, abrufbar unter: http://www.ethik-und-gesellschaft.de/ojs/index.php/eug/article/view/1-2019-art-4/656. 1 Theologische Revue 117 (Juli 2021) Communion with the Church’s Internal Other”) sind demnach eine ungemütliche tour de force in zentrale Weichenstellungen der Urkirche in puncto ihrer abwertenden Haltung gegenüber Juden und Frauen. Gelingt es nicht, Einheit in Vielfalt mit jenen, die entweder zentraler Teil von Kirche selbst oder mit ihr herkünftig aufs Engste verbunden sind, zu leben, sind die prophetische Kraft als auch öffentliche Handlungsfähigkeit von Kirche massiv geschwächt (xix). Wie sehr ein prophetisches Mitwirken von Kirche in öffentlich-globalen Belangen nottut, das entfalten die verbleibenden drei Kap. – der Blick der Vf.in bleibt dabei beharrlich auf den nicht mitgedachten(!) Frauen. Beim Sich-wechselseitig-Bedingen von Weltwirtschaft (Kap. vier), Klimakrise (Kap. fünf) und globaler Migration (Kap. sechs) darf Kirche, gerade als Weltkirche (K. Rahner; 28) nicht bloß zusehen: in und mit ihren Gläubigen kann sie einen Unterschied machen. Der Ton, den D. bei all dem anschlägt, ist angesichts der erschütternden Faktenlage nie alarmistisch, sondern bestimmt und Hoffnung zeugend. So überzeugend der programmatische Titel – A Prophetic Public Church – klingt, so groß und bekannt sind dessen innere Spannungen: „…is [it] possible to be an actor within, while also being an alternative to, public life“ (5)? Nicht nur das II. Vaticanum, dessen theologische Grundlinien D. grob nachzeichnet (7–21) und dabei, wenig überraschend, besonderes Augenmerk auf die Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute (21–28) legt, sondern auch vielfältige nachvatikanische Ekklesiologien (28–33) – von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie über Kirchenverständnisse in Asien und Afrika, den Herausforderungen durch den Rassismus in den USA bis hin zum Pentekostalismus – geben beredtes Zeugnis von der Wichtigkeit einer prophetischen und öffentlichen Kirche. Der Kirche unheilvolle, ja erschütternde Geschichte mit dem, was die Vf.in als ihr „external Other“ – Judentum und die Juden – bezeichnet (Kap. zwei), umreißt die Vf.in mit einem knappen Gang durch die Geschichte: Die Zeit des NT (45–51), der Alten Kirche (51–58) und der Christenheit bis zur Shoah (58–65). Seitens der Kirche bedarf es noch immer großer Anstrengungen, um den kirchlichen supersessionistischen Triumphalismus zu überwinden, um mit dem Judentum eine andere Erzählung zu beginnen, und „to engage, and learn from, Jewish interpretations of these [biblical; A.T.] texts.“ (69) Misogynie (Kap. drei) darf, wie D. anhand eines reichen internationalen Datenmaterials einmal mehr vor Augen führt, kein Randthema sein: „What kind of church […] would consider the often violent and frequently deadly oppression of women a minor concern?“ (81) Auch hier gilt, die Kirche darf die kritische Auseinandersetzung mit sowie Aufarbeitung von „the Church’s Internal Other“ nicht länger verweigern. Der knappe Blick in die Geschichte (82–96) erinnert nicht nur an den höchst ambivalenten Blick auf Frauen im NT, sondern läuft auf eine in weiterer Folge theologisch legitimierte Überwachung von Frauen als „inferior, dangerous, abject other“ (91) zu. Im Hintergrund wirkt, dies ist hinlänglich bekannt, ein hierarchischer Dualismus, dessen Wirkmacht letztlich nur intersektional aufgebrochen werden kann: „A truly liberating feminism recognizes that sexism, racism, colonialism, and ecological destruction are intertwined…“ (98). Der theologische Versuch, anhand von Geschlechter-Komplementarität Augenhöhe zu ‚etablieren‘, greift für die Vf.in jedoch zu kurz (105). Die bleibende Asymmetrie wird verschleiert, die institutionalisierte Diskriminierung ist (selbst-)zerstörerisch: „Women are devalued, the church is diminished, and the church’s mission is compromised.“ (112) DOI: https://doi.org/10.17879/thrv-2021-3408 2 Theologische Revue 117 (Juli 2021) Bei der Verantwortung einer prophetisch öffentlichen Kirche in einer globalen Wirtschaft (Kap. vier) greift D. Fäden aus der Katholischen Soziallehre und aus Papst Franziskus’ Evangelii gaudium auf, um die Idolatrie des Marktes samt seinen Opfermechanismen ‚vorzuführen‘ (122–132). Allerdings verortet die Vf.in auch in der Katholischen Soziallehre selbst blinde Flecken betreffend die signifikante ökonomische Benachteiligung von Frauen (137). Eine Reform des Weltwirtschaftssystems ist nicht zuletzt deshalb so dringlich, weil dieses System einen Großteil der Weltbevölkerung, insbes. Frauen, sowie die Umwelt darauf reduziert, „fuel for the engine driving greater profits for stockholders“ zu sein (141). Die Klimakrise (Kap. fünf) drängt darauf – die Katholische Soziallehre und die Enzyklika Laudato Sí im Rücken –, einen „tyrannischen Anthropozentrismus“ zu überwinden (156–165), wofür wiederum ein intersektionaler Blick geboten sei (165–162), der bei Papst Franziskus (noch) nicht vorhanden ist. Die Vf.in orientiert sich an aktuellen Studien zur Klimaforschung (172–176), welche der Notwendigkeit, dass Kirche vermittels ihrer Glaubenden sowie ihres institutionellen Gewichts prophetisch und öffentlich wirken müsse, mehr Nachdruck verleiht (176–182). Wenn Christen es versäumen, sich mit ihren – auch spirituellen – Mitteln einer zerstörerischen Konsumhaltung zu entwinden, „it would be a failure in their mission.“ (183) Das Menschheitsthema Migration (Kap. 6) findet gleichfalls in der Breite Katholischer Soziallehre ihren aktuellen Niederschlag; im kritischen Blick der Vf.in ist dabei besonders der gemeinsame Hirtenbrief der US-amerikanischen und mexikanischen Bischöfe von 2003 Strangers No Longer (193–203). Mehr noch als in den anderen Bereichen (Wirtschaft und Klima) irritiert hier nicht nur die Vf.in der androzentrische Blick: „[…] while the vast majority – 72 percent – of trafficking victims are women and girls, the bishops discuss trafficking as though it is a gender-neutral reality […].“ (203) Eine in sich selbst überaus facettenreiche Migration ist angesichts des kirchlichen Anspruchs Einheit in Vielfalt zu leben, einer besonderen Bewährungsprobe ausgesetzt, gilt es doch, die Würde der Person nicht bloß abstrakt, sondern in ihrer kulturellen Partikularität zu respektieren (197). Aus Sicht der Vf.in steht der Kirche selbst eine folgenschwere, aber unumgängliche Migration aus einer gesellschaftlich abgesicherten Position von Macht und Privilegien bevor (220), nicht um damit ihre prophetische Stimme zu verlieren und ihr öffentliches Engagement aufzugeben, sondern um genau darin glaubwürdig(er) zu sein. Die Baustellen sind allzu groß, die Werkzeuge im Vergleich dazu stümperhaft. Verzweiflung läge nahe, einzig sie stünde im Widerspruch zum Glauben: „With God, we have great reason to hope.“ (223) D.s Ekklesiologie könnte Bibliothekar:inn:en Kopfzerbrechen bei der Zuordnung bereiten: Soll die Publikation im Bereich der Sozialethik oder der Systematischen Theologie aufgestellt werden? Theolog:inn:en, denen es mit einem sorgenden wie sorgenvollen Blick auf unsere Welt darum geht, Kirche in ihrer öffentlichen und prophetischen Verantwortung gestärkt zu sehen, werden dieses Buch als korrelationsfreundlich erfahren: Es lädt ein, weiterzudenken und das Gelesene mit den eigenen Schwerpunktsetzungen zu verknüpfen. Über den Autor: Andreas Telser, Dr., Assistenzprofessor des Instituts für Fundamentaltheologie und Dogmatik an der Katholischen Privat-Universität Linz (a.telser@ku-linz.at) DOI: https://doi.org/10.17879/thrv-2021-3408 3