AUSSERBETRIEB
AUSSERBETRIEB
METAMORPHOSEN DER
METAMORPHOSEN DER
ARBEIT IN DER SCHWEIZ
ARBEIT IN DER SCHWEIZ
HERAUSGEGEBEN VON BRIGITTA BERNET
BRIGITTA BERNET UNO JAKOB TANNER
UND JAK O B TANNER
Mit Beiträgen von Celine Angehrn, ßrigitta Bernet, Iris ßlum, Flurin
Condrau, Gioia Da! Mo!in, Andreas Fasel, Urs Germann, Thomas
Hengartner, Niklaus lngold, Simona lsler, Christian Koller, Martin
Lengwiler, Marina Lienhard , Eva Lüthi, Nicole Peter, Matthias Ruoss,
Anja Suter, Jakob Tanner, Carola Togni, Adrian Zimmermann und
einem Schlusswort von Marcel van der Linden
Eine Publikation des Schweizerischen Sozialarchivs
2015
Limmat Verlag
Zürich
«Perlen ist ein Dorf, das ganz der Fabrik gehört!>, lautet der T itel einer Fabrikrepo rtage, die der Schweizer Historiker und Schriftsteller Niklaus Meienberg im Jahr 1985 veröffentlichte.' Das Papierunternehmen, das damals
rund 550 Angestellte beschäftigte, war die Namensgeberio eines FabrikDorfes, das ab 1873 als zentralschweizerische Company Town auf der Grenze der zwei Luzerner Gemeinden Root und Buchrain aufgebaut wurde.
Wichtig für die Standortwahl war die Wasserkraft. Der drei Kilometer lange, schnurgerade ecKa nal von Perlen11, mit dem Reuss-Wasser durch die Turbinen geleitet wurde, stellt einen markanten Einschnitt in die Flusslandschaft dar. Für die Holzzufuhr und den Abtrausport des Papiers wurde
eigens eine Eisenbahnlinie erstellt. In der Entstehung des Dorfes griffen
Betriebs- und Sozialordnung eng ineinander. Hier wohnte grassmehrheitlich die Fabrikbelegschaft. Weit über das Privateigentum an den Produktionsmitteln hinaus war die dörfliche Siedlung im Besitz der Cl Fabrik»: Ihr
gehörten die allermeisten Gebäude, die Betriebswohnungen und Mietskasernen, ein Wohlfahrts- und ein Ledigenhaus ebenso wie zwei Landwirtschaftsbetriebe, Pflanz- und Schrebergärten, die Produktionsgebäude selbst
sowie ausgedehnte Baulandreserven. In der Zwischenkriegszeit schenkte
das Unternehmen das Grundstück für ein neues katholisches Kirchengebäude. Auch am Bau von Schule, Strassen, Brücken, einem Vereinslokal und
der Kanalisationsanlage war es wesentlich beteiligt. Niklaus Meienberg stellte Perlen als einen Super-Betrieb dar, als einen Ort, an dem der arbeitende
Mensch lebt, wohnt, sich ernährt, sich vermehrt und stirbt.'
Wie noch zu zeigen ist, wurde dieses Bild einer to ta len Institution , das
Meienberg evoziert, in seiner Reportage buchst äblich demontiert. Das vorliegende Buch m acht diese {cDezentrierung" zum Thema. ccAusser Betrieb>!
rückt die Metamorphosen der Arbeit in der Schweiz in eine neue Forschungspcrspektive. ln dieser Einleitung zeichnen wir Aufstieg, Stabilisierung und Erosion der ccbetriebskapitalistischenll Form der Arbeit im 19. und
20 . Jahrhundert nach. Die erste Passage situiert den Umbruch , den Meien-
7
bergirr seiner Reportage schildert, vor dem Hintergrund der gegenwärtigen
ccKrise der Arbeit». In einer Iangue duree blenden wir anschliessend zurück
auf den Prozess, in dem sich die lange unhinterfragte und scheinbar natürliche Vorstellung von Arbeit- als im Betrieb geleistete C<Normalerwerbsarbeitll - historisch durchsetzte. Der darauffolgende Teil fokussiert auf die
Zeit cmach dem Boom11 und skizziert die Veränderungen, denen die Formen und Deutungen von Arbeit seither unterlagen. In den letzten zwei
Passagen diskutieren wir die ccDezentrierung des Betriebsl> als historische
Forschungsaufgabe und stellen die einzelnen Beiträge vor.
SPRENGUNG IM FABRIKDORF
Meienbergs Perlen-Porträt lehnte sich lose an die Fabrikreportagen und
Arbeiteruntersuchungen an, wie sie von Günter Wallraff in der BRD, aber
auch von italienischen Autoren (etwa bei Fiat und Olivetti) realisiert worden waren.' Im Unterschied zur damals ebenfalls aufstrebenden Tradition
der Community History (Grabe, wo du stehst, Geschichte von unten), die
nach Spuren vergangener Industrieareale und Lebensrealitäten suchte,
setzten die Reportagen auf eine empirisch hochauflösende Beschreibung
der Gegenwartsgesellschaft. Sie interessierten sich für den Wandel der modernen kapitalistischen Industriegesellschaft, der sich vor aller Augen abspielte und zugleich kaum bemerkt wurde_ Anh;md der porträtierten Fabriken dokumentierten sie den krisenhaften Transformationsprozess, in dem
sich einzelne Produktionsstandorte, aber auch ganze Wirtschaftsregionen
befanden. Wie Ethnografen, die mit ihrer Feldforschung meist dann zur
Stelle waren, wenn dieuntersuchten Kulturen ihre Bestandesvoraussetzungen zu verlieren drohten, setzten die C<externem- sozialwissenschaftliehen
und historischen- ccFabrikbesichtigungen» in der Schweiz zu einem Zeitpunkt ein, als das Paradigma des Industriebetriebs seinen Zenit bereits überschritten hatte. 4
Seit den 198oer-Jahren erodierten die traditionellen Hochburgen der
Industrieproduktion und mit ihnen auch die hochmechanisierte Massenproduktion, wie sie sich seit der Zwischenkriegszeit herausgebildet und wie sie
in den trenteglorieuses (den drei Wachstumsjahrzehnten zwischen 194sund
1975) vorgeherrscht hatte. Dieser Strukturwandel war in der Schweiz besonders kritisch, zählte sie doch noch in den Ig6oer-Jahren zu den Ländern mit
einem besonders hohen Anteil an Beschäftigten im gewerblich-industriellen
(dem sogenannten zweiten) Sektor.' Die Schweiz war eine geradezu exemplarische Industriegesellschaft, in der die wichtigsten Städte und ganze Regionen auf Gedeih und Verderb von den vor Ort tonangebenden Unternehmen abhängig waren. Nestle in Vevey, die BBC in Baden-Wettingen, Sulzer
8
und Rieter in Winterthur, Alusnisse in Neuhausen und Sieders, dieSIG in
Schauffhausen, Ciba, Geigy, Sandoz und Hoffmann La Rache in Basel, Bühler in Uzwil, Von Roll in Gerlafingen, Saurer in Arbon: In diesen Verbindungen von Städte- und Firmennamen äusserte sich im Selbstverständnis der
Zeitgenossinnen und Zeitgenosssen das Erfolgsrezept solider «Schweizer
Unternehmem und einer selbstbewussten Exportnation. Dasselbe zeigte
sich in Industrieregionen wie dem arc jurassien, in dem sich Dutzende von
Uhrenfirmen von weltweiter Reputation konzentrierten.
Der Rückbau der industriellen Organisations- und Siedlungsstrukturen verlief disparat und wenig sichtbar. Niklaus Meienberg verfügte jedoch
über ein ausgeprägtes Sensorium für unmerkliche Übergänge. Als er Mitte
der Ig8oer-Jahre im Fabrikdorf eintraf, registrierte er eine Ästhetik des Verschwindens. Er schilderte einen untergehenden Fabrik-Kosmos. Das Zentrum seiner Reportage bildete eine Reihe leerstehender Arbeiterhäuser der
Papierfabrik, die zum Abriss freigegeben war. Einheimische montierten
daraus die letzten verwertbaren Gegenstände ab- Türen, Fenster, Armaturen- und trugen sie fort. Später gingen die Sprengstoffexperten des Militärs
ans Werk. Von Schaulustigen mitverfolgt und von den beteiligten Offizieren, Unteroffizieren sowie dem Liegenschaftsverwalter der Papierfabrik
mit einem "Sprengtrunb begossen, verbreitete der Instant-Abbruch indessen nicht nur Festtagslaune. Meienberg zeichnete das Bild von Zuschauerinnen und Zuschauern, deren Gesichtszüge in der abziehenden Staubwolkelangsam wieder hervortraten. Sein Blick fiel auf eine alte Frau, welche die
im Trümmerhaufen stehen gebliebene Hälfte des Hauses nachdenklich betrachtete und hinaufschaute zum ccnoch immer gut erhaltenen Kachelofen,
der ihre Wohnung 46 Jahre lang geheizt hattel> 6 •
Das Objekt der Sprengung, die Meienberg schilderte, war die gebaute
Seite der «betrieblichen Sozialpolitikn 7• Diese- von Patrons und Management gleichermassenvorangetriebene- FührungsSprengungeines Arbeiterhauses an der
strategie war seit dem Ersten Weltkrieg das RückDorfst~c
1 in Perlen, 2.1. Juni 1985.
grat des Industriekapitalismus und des ccSchweizer
Unternehmensn. Sie zielte auf die Herausbildung
einer sesshaften, loyalen Stammbelegschaft mit geringer Streikneigung. Sie umfasste ein weites Spektrum von Massnahmen, das die Bindung der Arbeiterschaft an den Betrieb erhöhen sollte. Es reichte
vom Bau von Arbeiterwohnungen oder Wohlfahrtshäusern über den Unterhalt betriebseigener Kinderkrippen, Bibliotheken und Kantinen bis hin zu
"Betriebskassem, die der beruflichen Altersvorsorge («Pensionskassenll), der Absicherung bei Arbeits-
losigkeit und der betrieblichen Fürsorge dienten.
Betriebliche Sozialpolitik war der Katalysator
einer Unternehmerischen Corporate Gouernance,
deren Kennzeichen eine starke Bindung von Kapital und Arbeit, der Einbezug der Gewerkschaften in sozialpartnerschaftliehe Beziehungen, ein
geringer Abhängigkeitsgrad des Produktionsbetriebs von internationalen Kapitalmärkten und
die Kontrolle durch Vertreter einer nationalen
Elite waren. 8 Mit der Bildung von «stillen Reservem wurden die innere Wertsubstanz und
Krisenresistenz der Unternehmen erhöht und
gleichzeitig Steuern <<optimiern>. Resultat war
eine wirtschaftliche «Festung Schweiz», die
wichtige Firmen vor unfreundlichen Übernahmen aus dem Ausland schützen sollte und die
sich gut in das staatspolitische Reduit-Denken
einfügte. 9
Über Jahrzehnte als Erfolgsmodell gewertet, gelangte dieses Arrangement seit dem weltweiten - und in der Schweiz besonders ausgeprägten- wirtschaftlichen Kriseneinbruch Mitte
der 197oer-Jahre an seine Grenzen. Neue Anpassungszwänge und Gewinnchancen ergaben sich
aus der Internationalisierung der Produktion,
der Abnahme von Handelsschranken und der
Öffnung neuer Märkte, aber auch infolge einer
Liberalisierung der globalen Devisen- und Finanzmärkte nach der Aufkündigung des BrcttonWoods-Systems im Jahr 1973. Seit den Ig8oerJahren war eine verstärkte <<Finanzialisierung>> der Unternehmen zu
beobachten.'" In steigendem Masse wurden Profite nun über Finanz- und
Rohstoffmärkteund nicht mehrvornehmlich durch Produktion generiert."
Im Zeitalter der «Globalisierung» setzte sich ein postindustrieller Kapitalismus durch, der zwar einerseits weiterhin auf der- jetzt zunehmend
spezialisierten und erneut rationalisierten - Betriebsproduktion basierte,
andererseits aber dazu überging, industrielle Strukturen als Teil seiner Kapitalverwertungsstrategie zu «kannibalisieren».
Ein diesbezüglich markantes Beispiel war Sulzer in Winterthur. Ende
deng 8oer-Jahre wurde der Konzern gewinnbringend zerlegt, «filetiert» und
so weit abgebaut, dass ein Vierteljahrhundert später nur mehr vier Prozent
10
der ehemaligen Beschäftigten unter dem
Firmennamen Sulzer in Winterthur arbeiteten."Wie aufvielen ehemaligen Industriearealen entstanden auch hier neue
Wohn- und Arbeitsgebiete, die für Immobilieninvestoren interessante Perspektiven boten.'' In der gleichen Zeit bildeten sich Versichcrungskonzerne, in
denen die einstigen Fabrikkassen und
betrieblichen Sozialeinrichtungen in
grosser Zahl zusammengefasst und in
Märkte integriert wurden.' 4 Die Finanzialisierungsprozesse veränderten keineswegs nur die Dienstleistungsberufe
im Banken- und Versicherungssektor,
sondern hatten massive Rückwirkungen auf den ersten und den zweiten Sektor. Durch den neuen Stellenwert der
Börse erhielt die Forderung Auftrieb,
dass die Wertpapierbesitzer in den vollen Genuss der Erträge kommen
müssten, die sich mit einem Unternehmen erzielen lassen, und dass einzig
der maximale Aktiengewinn-der Shareholder Value- relevant für eine erfolgreiche Unternehmenspolitik sei. Aus dieser Perspektive erwiesen sich
die Programme der «betrieblichen Sozialpolitik», die an den Betrieb gebundenen «stillen Reserven» und die nationale Kontrolle des Eigentums als
unnötige Einschränkungen der Renditeoptimierung. Gerade die umfangreichen stillen Rücklagen waren es aber, die Schweizer Unternehmen für
Investoren zu attraktiven Übernahmeobjekten machten.•s
Vor diesem Hintergrund versinnbildlichte die Sprengung der Arbeiterhäuser in Perlen die Befreiung des Kapitals von seinen betrieblichen Fesseln- oderzumindesteine Lockerung dieser Bindungen. Für die langjährige
Bewohnerindes Mietshauses eine Erfahrung von Verlust und Sinnlosigkeit,
war der Akt aus Sicht des Unternehmens eine durchaus «schöpferische Zerstörung», die neue Geschäftsfelder eröffnete. In Meienbergs Reportage kündigte sich das Kommende in einem vom Unternehmen neu gebauten Wohnhochhaus (i<Sternhaus») an, das eine bessere Aussicht, aber auch viermal
höhere Mieten aufwies als die Arbeiterhäuser. Wie andere Schweizer Unternehmen spaltete die Papierfabrik den Immobilienbereich in den 199oer-}ahren in eine Tochtergesellschaft ab («Perlen Immobilien AG»). Im Jahr 2003
fusionierte sie mit der Chemie Uitikon AG zur Unternehmensholding CPH
Chemie+ Papier und ging an die Börse.• 6 Unternehmensumstrukturierungen
11
in Form von Fusionen, Outsourcing oder Downsizing entsprachen einem
allgemeinen Trend. Dank Umzonungen und Sondernutzungsplanungen
wurden ehemalige Industrieareale zunehmend zu Wohn-, Freizeit-, Einkaufs- oder Dienstleistungszwecken genutzt. Ende der 1g8oer-)ahre wuchsen die Immobilien- und Finanzmärkte enger zusammen. Dies äusserte
sich im breiten Angebot von Immobilienfonds, von kotierten und nicht kotierten Immobiliengesellschaften wie auch von strukturierten Immobilienprodukten, die Anleger aus Gründen der Risikodiversifikation als gute Beimischungen zu einem Portfolio schätzten.' 7
Das Geschäft mit Immobilien und stillgelegten Fabrikarealen bringt
beispielhaft zum Ausdruck, dass sich die Unternehmerische Wertschöpfung in der Schweiz aus dem betrieblichen Produktionsarrangement heraus verlagerte. Deutlich wurde dies u.a. auch darin, dass Ende der Iggoer)a hre die von Aktienbesitzern an derBörseverzeichneten Wertsteigerungen
erstmals die gesamten Einkommen durch Erwerbsarbeit überstiegen. Die
Frage, ob sich Arbeit überhaupt noch lohnt, wurde virulent. Und da gleichzeitig immer mehr Menschen aus persönlichen, konjunkturellen oder
strukturellen Gründen aus Arbeitsprozessen herausfielen und auf Sozialleistungen angewiesen waren, stand die Frage nach der Integrationsfähigkeit der «Arbeitsgesellschaft)) erneut zur Diskussion. Was sich ebenfalls
veränderte, war das Profil der Arbeit. Parallel zur Auslagerung der Industrieproduktion in Niedriglohn-und Schwellenländer setzte eine Tertiarisierung der Lohnarbeit ein, die immer stärker von Kommunikationsund Informationstechnologien geprägt war.'" Auch in der Schweiz kam es
zu einer Vermischung von Dienstleistungen und Industriearbeit und
damitauch zu einer Auflösung traditioneller Berufsrollen und Arbeitsmodelle. Gleichzeitig wurde das Unternehmen als Lernort der Gesellschaft
entdeckt. Mit Blick auf die Unternehmerischen Flexibilitätserfordernisse
ertönte in der Politik der Ruf nach neuen Formen eines <<perennierendem
(d. h. ausdauernden) beruflichen Lernens. Mit Life/ong Learning und Learning on the ]ob sollten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Stand gesetzt werden, polyvalente und multifunktionale Qualifikationsprofile zu
erwerben und mit den rasch sich wandelnden Formen der Arbeit mithalten
zu können.•9 Ebenso wichtig wie die Entwicklung des uHumankapitals))
durch Bildung und Qualifizierung wurde die Motivierung, Aktivierung
und Mobilisierung des uHumanvermögenS)) der Angestellten. Die Reorganisation der betrieblichen Lohn- und Leistungspolitik zielte auf eine «Umwandlung des Mitarbeiters zum Mitunternehmen. Praktisch wie ideologisch begann sich das Verständnis von Arbeit- ihrer Anforderungsprofile,
Subjektivierungsformen und Kodifizierungen- vom Modell der betrieblichen «Normalarbeit)) zu lösen. 20
I Z
ARBEIT IM BETRIEB
Mit der Ende des IS.)ahrhunderts von England ausgehenden Industriellen
Revolution setzte der Fabrikbetrieb zu seinem Siegeszug an. Im Unterschied
zum Kaufmanns-, Handels- oder Spekulationskapitalismus band sich das
Kapital nun in erheblichem Mass an die Arbeitskraft." Die kapitalistischen
Produktivkräfte materialisierten sich in hochmechanisierten, fabrikmässig organisierten Produktionsbetrieben, in denen eine wachsende Anzahl
von Menschen gleichzeitig und regelmässig beschäftig war. Zu Beginn des
20.]ahrhunderts definierte Max Weber den «Betrieb)> als «technische Kategorie)), welche die «Art der kontinuierlichen Verbindung bestimmter Arbeitsleistungen untereinander und mit sachlichen Beschaffungsmittelm
kennzeichnet. Darüber hinaus galt ihm der Betrieb als zentrale Organisationsform der Moderne. Bei Weber sind die Trennung von Haushaltund Betrieb, die doppelte Buchführung (die ein eigenes Betriebsvermögen hervorbringt) und die permanente betriebliche Organisation formell freier Arbeit
die Definitionsmerkmale des modernen Kapitalismus, der bei ihm folglich
als «bürgerlicher Betriebskapitalismus)) figuriert. 2'
Die breite Durchsetzung des Betriebes lief parallel mit einer Neubewertung der Arbeit in einem doppelten Sinne. Erstens war der Rekurs auf
die Produktivität und die wertschaffende Qualität der Arbeit für die Delegitimierung absolutistischer Regimes und ständischer Gesellschaften von
zentraler Bedeutung. Dass allein die freie Arbeit den «Wohlstand der Nationen)) in moralischer, zivilisatorischer und ökonomischer Hinsicht erhöhen könne, war ein Kernargument der Aufklärung. Die politischen Forderungen nach Freiheit und Demokratie bezogen ihre Dringlichkeit somit
stets auch aus einem ökonomischen Argument: Arbeit war dann maximal
produktiv, wenn die Arbeitsteilung hoch und die Berufswahl frei waren. 2 "'
Der Glaube an die Möglichkeit menschlicher Selbstverwirklichung durch
freie Arbeit nahm in der ~<Blütezi
des KapitalS)) verschiedene Ausformulierungen an. '5 Die Arbeitswerttheorie, deren Ansätze sich schon bei Adam
Smith finden, die David Ricardo in den 182oer-Jahren ausarbeitete und die
Karl Marx in den 186oer-)ahren zum Grundstein seiner Kritik des Kapitals
machte, nobilitierte Arbeit als exklusives Wertschöpfungsprinzip. Nicht
mehr nur der Boden (wie bei den Physiokraten), auch nicht mehr die staatliche Aussenhandelspolitik (wie bei den Merkantilisten), sondern die Arbeit war Quelle aller Werte. Das Kapital eignete sich den durch Arbeit
geschaffenen Mehrwert an und steigerte diesen durch die «reelle Subsumtion» der Arbeit, d.h. durch eine mit Produktivitätssteigerungen einhergehende <(relative Mehrwertproduktiom. Das Kapital dynamisierte die
Produktivkräfte, es trieb die Entwicklung der Industrie voran, doch es haf-
'3
tetc ihm strukturell der Ruch der illegitimen Aneignung eines durch die
Arbeit geschaffenen <<Surplus» an.' 6 Weit über Marx hinaus und auch in
Fortentwicklung eines religiösen Arbeitsethos und bürgerlicher Lebensideale wurde die «produktive Arbcit11 im ausgehenden 19. Jahrhundert aufgewertet.
Zweitens wurde die zuvor in das Haus, in die Zunft, in die Grund- und
Gutsherrschaft des Landes eingebundene Arbeit «freigesetzt». Immer mehr
Menschen suchten im Jg.Jahrhundert einen Erwerbsarbeitsplatz ausserhalb des Familienhaushalts auf.'7 Die Familie und der Haushalt blieben
zwar weiterhin wichtige Sphären der Wertschöpfung durch Arbeit. Doch
hörten sie weitgehend auf, Orte der bezahlten Erwerbsarbeit zu sein. Als
«Arbeitll galten nun vornehmlich Tätigkeiten, die zu einem steigenden Anteil von Männern ausserhalb des Hauses geleistet wurden. Das «Warenförmig-Werdellll war gleichbedeutend mit einer ökonomischen Aufwertung der Arbeit und ihrer Engführung aufLohnarbeit; aufTätigkeiteil also,
die man verrichtete, um ein Einkommen zu erzielen, das den Lebensunterhalt ermöglichte.'8 Gegenläufig dazu büsste eine Reihe von Arbeiten- so
etwa die Haus- und Familienarbeit wie auchalljene Tätigkeiten, die «freiwilligll und <<ehrenamtlichll erfolgten- ihren Status als Arbeit teilweise oder
ganz ein. Arbeit grenzte sich fortan dreifach gegenüber andern Zuständen
ab: erstens gegenüber der Armut (aus der mittellose Menschen durch Fleiss
und Arbeit entrinnen konnten); zweitens gegenüber einer Vielzahl von Betätigungen, mit denen zwar gesellschaftliche Werte geschaffen, jedoch keine Einkommen generiert wurden, und drittens zum Spiel (insbesondere
zum Wettspiel der Spekulation, das nun zum moralischen Gegenprinzip
der Produktion absank). '9
Produktive, d. h. «richtige'' Arbeitfand zunehmend im Betrieb-in Gewerbestätten, Manufakturen und Fabriken- statt. Als ein Ort der gewerblichen Produktion, im dem zeit- und kraftsparende Maschinen aufgestellt
und in Betrieb gehalten wurden, verlangte die Fabrik nach körperlichen
Verrichtungen in einem arbeitsteilig organisierten Produktionsprozess.
Anders als der alte Handwerksbetrieb beschäftigte die Fabrik eine Vielzahl
von Menschen, die sich einer gänzlich neuen Zeit- und Arbeitsdisziplin
unterwerfen mussten. 30 Männer, Frauen und anfangs auch Kinder arbeiteten bis zu vierzehn Stunden täglich für einen meist geringen Lohn. Die einschneidenden sozialen Folgen der fabrikbetrieblichen Produktionsweise
wurden in der bürgerlichen Öffentlichkeit unter dem Stichwort «PauperismUSII, im ausgehenden Ig.Jahrhundert dann als «soziale Frage~>
verhandelt.
Die Arbeiterbewegung, deren Formierungzunehmend auf den Erfahrungsraum des Betriebs bezogen war, deutete die nämlichen Phänomene in der
Logik des Klassenkampfes. In der sozialistischen Lesart erschien der Indus-
triebetrieb als Verdichtungszone der Ausbeutung der Arbeitskräfte durch
das Kapital.''
Im ausgehenden Ig.Jahrhundert geriet die sozialdemokratische beziehungsweise sozialistische Arbeiterbewegung in den Bann eines weltanschaulichen Marxismus, der das Reden über Arbeit und auch ihre bildliehen
Darstellungen ambivalent machte. Arbeit wurde im Kapitalismus ausgebeutet- im Sozialismus sollte sie herrschend werden. Aufgrund ihrer zentralen Rolle in der Dialektikvon Unterdrückungund Befreiung besass Arbeit
in derlinken Ikonografie einJanusgesicht:'' Auf der einen Seite sah man die
Jammergestalt, die durch das Kapital wie eine Zitrone ausgepresst wurde.
Der physisch prekarisierte Mensch machte eine ausbeutefische Produktionsweise sichtbar, welche die Schaffung wirtschaftlicher Reichtümer auf
immer höherer Stufenleiter mit der Verelendung der Produzentinnen und
Produzenten erkaufte und die damit einen fundamentalen Widerspruch
offenbarte, an dem sie selber zugrunde gehen sollte. Als Quelle der Wertschöpfung erschien Arbeitaber immer auch als Triebkraft gesellschaftlicher
Emanzipation. Diese andere Seite zeigte der «Held der Arbeit~>,
der die Ketten sprengte und die Menschheit in eine neue Gesellschaft führte, in der
eine Herrschaft von Menschen über Menschen nicht mehr möglich und
auch nicht mehr notwendig war. Auch wenn die Ikonografie ambivalent
ausfiel, dominierte doch die positive Referenz auf den «Wert der Arbeitll".
Eine negative Bezugnahme auf Arbeit, wie sie Paul Lafarguc in seinem Pamphlet «Lob der Faulheitll im Jahr 1883 formulierte, blieb in der Arbeiterbewegung die Ausnahme. Deren Ziel bestand in der Befreiung der Arbeitdurch staatliche Regulierungen und durch eine soziale Revolution.
Im Fin deSicc/c (den Jahrzehnten um tgoo) wurde Arbeitimmerwichtigerfür die interne Klassifizierung der Gesellschaft. Soziodemografische
Merkmale wie Beruf, Einkommen oder Arbeitslosigkeit waren zentral,
wenn Statistiken die Gesellschaft repräsentierten oder wenn Publizisten
Kritik an ihr übten. 14 In modernen Interventions- und Sozialstaaten waren
auch die Institutionen des Arbeitsrechts und der Sozialversicherung direkt
auf Arbeit bezogen." Die kategoriale I'ormalisierung der Arbeit durch die
Sozialwissenschaften war Teil eines komplexen Prozesses, in dessen Verlaufjuristische und administrative Institutionen, sozialpolitische Konzepte und Unternehmerische Strategien zur Regulierung der Arbeit geschaffen
wurden, die ihrerseits zur Institutionalisierung eines neuen Verständnisses von Arbeit beitrugen.J 6
Die Schweiz war ein paradigmatischer Fall für diese Entwicklungen.
Mit dem Glarner Fabrikgesetz von 1864 entstand ein international beachtetes Regulierungsmodell für die Fabrikarbeit. Zu einer landesweiten Regelung, die Normalarbeitszeiten und Schutznormen verbindlich festlegteund
14
J
die Betriebe unter staatliche Aufsicht stellte, kam es mit dem Eidgenössischen Fabrikgesetz von 1877/1878. Im Vorfeld hatte die llSchweizerische
Gemeinnützige Gesellschaft)} eine sozialwissenschaftliche Studie vorgelegt, welche die katastrophalen Arbeits- und Lebensverhältnisse der Fabrikarbeiterschaft unverblümt benannt und politischen Druck aufgebaut
hatte. Mit dem neuenGesetz schuf der Staat ein Fabrikinspektorat, das über
die Zustände in den Produktionsbetrieben Bericht zu erstatten hatte. Damit
und mit weiteren Bestimmungen- so mit der 1882. eingeführten Fabril<statistik- griffen staatliche Instanzen erstmals in die innere Ordnung der Betriebe ein." Verhältnismässig früh war das Engagement der Schweiz auch
bei der Ausarbeitung internationaler Richtlinien zum Arbeiterschutz. 1901
entstand in Basel die dnternationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz)), und 1906 wurde in Bern die internationale Konvention zum
Verbot der Nachtarbeit von Frauen abgeschlossen, die als Markstein eines
Arbeiterinnenschutzes galt, dessen frauendiskriminierende Wirkung damals noch kaum beachtet wurden. Alle diese Verrechtlichungsprozesse
zielten auf die Regulierung eines uNormalarbeitstages>l und der Erwerbsarbeit im modernen Industriebetrieb. 38
Gleichzeitig räumte die Schweiz der privatwirtschaftliehen Selbstregulierung und der Unternehmerischen Selbstverantwortung stets grosse Freiheiten ein. Zu ihrer marktliberalen Rahmenpolitik passt auch die Pionierrolle
der Schweiz bei der Durchsetzungvonsogen an nten Gesamtarbeitsverträgen."
Bei diesen kollektiven Arbeitsverträgen, die 1911 ins neue Obligationenrecht
aufgenommen wurden, handelt es sich um schriftlich fixierte Absprachen
(über Lohn, Arbeitszeit oder Friedenspflicht) zwischen Gewerkschaften und
Unternehmen ohne staatliche Beteiligung. Auf derselben Linie lagen die Einrichtungen der Hbetrieblichen Sozialpolitik)): die freiwilligen Anstrengungen,
die private Unternehmer für die Wohlfahrt Hihrer Arbeiten> unternahmen.
Hierzu gehörten Arbeiterwohnungen, Kantinen, Fabrikärzte, Kindergärten,
Betriebskrankenkassen und Pensionskassen ebenso wie Weihnachtsbescherungen und Firmenausflüge, finanzielle Gratifikationen (wie zum Beispiel
ein 13. Monatslohn und Formen der Gewinnbeteiligung), Firmensport, berufliche Weiterbildungsmassnahmen und- als institutioneller Ausdruck der an
die betriebliche Sozialpolitik geknüpften unternehmenspolitischen Zielsetzung- die Arbeiterkommissionen, die seit den 1930er-jahren eine zunehmend
wichtigere Rolle in den ldndustrielJen Beziehungen» spielten. 40 Insgesamt
zielte die betriebliche Sozial- und Personalpolitik auf die Stärkung der llBetriebsgemeinschaft». Anders als die Arbeiterbewegung, die diese 11goldenen
Fesseln» ablehnte und stattdessen auf gesetzliche und arbeitsvertragliche
Festlegungen drängte, priesen bürgerliche Politiker die freiwilligen Unterstützungsangebare als eine liberale Alternative zur staatlichen Sozialpolitik.
t6
Staatliche Regulierungen wurden lange Zeit auf die Bereiche von Bildung und Berufsbildung, Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und- über
die Koppelung von Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung- (Arbeits-)Migrationspolitik zurückgedrängt. Zu einer Bündclung kam es mit dem 1930
gegründeten Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA), das aus
der Fusion des Bundesamts für Industrie und Gewerbe mit dem Eidgenössischen Arbeitsamt hervorging. Im gleichen Zug wurden 1930 das Berufsbildungsgesetz und das daraufbasierende amtliche Berufsverzeichnis verabschiedet. 4 ' Erst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg setzte mit den
llWirtschaftsartikeln» in der Bundesverfassung und der Alters- und Hinterbliebenenversicherung (die 1947 in derselben Volksabstimmung angenommen wurden) ein Ausbau des Sozialstaates und der Verbandsdemokratie ein. In der auf Konsens ausgerichteten Prosperitätskonstellation der
Nachkriegszeit stabilisierte sich ein System von standardisiertem Erwerbseinkommen und standardisierten Sozialleistungen, dessen Ausgangspunkt
das Leitbild der I(Normalerwerbsbiografie» war: die kontinuierliche Gliederung des Arbeitslebens in die drei Phasen Ausbildung, Erwerbsarbeit und
Ruhestand. Als Rollenmodell diente der männliche, verheiratete Facharbeiter. An dieser Norm orientierte sich auch die bürgerliche Frauenbewegung. In den 1950er-Jahren propagierte sie mit dem llDreiphasenmodell»
(Ausbildung und Beruf, Mutterschaft und Familie, Wiedereinstieg in den
Beruf) ein geschlechtsspezifisches Gegenstück, das die männliche Norm
ebenso ergänzte wie stärkteY Weiter gefestigt wurde das ldeal der liNormalarbeit» mit dem Inkrafttreten der Invalidenversicherung im Jahr 19 6o,
dem 1972 angenommenen (aber erst 1985 umgesetzten) Obligatorium der
((ZWeiten Säule)) (Pensionskasse) und der Einführung der obligatorischen
Arbeitslosenversicherung im Jahr 1976.
Die kollektive Organisation der Arbeit brachte es mit sich, dass der
Arbeitnehmer nicht mehr blass für seinen Arbeitgeber arbeitete, sondern
mit einem Teil seiner Arbeit nun auch seine soziale Sicherheit finanzierte.
Umgekehrt bildete ein festes Arbeitsverhältnis in Form einer Anstellung
eine Grundvoraussetzung der gesellschaftlichen Integration. Weitüber ihre
wirtschaftliche Bedeutung hinaus wurde die Erwerbsarbeit im zo.Jahrhundertzum Knotenpunkt einer nationalen Ordnung, deren sozialstaatliebes System sich wesentlich über die Beiträge der Arbeitnehmer und der
Arbeitgeber finanzierte. Sie gerann zum Referenzwert von Moral und Erziehung und wurde zum kulturellen Orientierungspunkt einer Gesellschaft, die sich entsprechend als liArbeitsgesellschaft» beschrieb. 43
Von der wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung derbetrieblichen Arbeit zeugte auch ein gestiegenes wissenschaftliches Interesse.
Im ausgehenden 19. und im zo.Jahrhundert wurde die Industriearbeit zum
'7
I
I
j
Gegenstand verschiedener Disziplinen und Forschungszugänge. • 4 Während
die Psychiatrie und die Pädagogik Arbeit in ihre Erziehungs- und Therapiekonzepte einbauten («Arbeitstherapie!!, 11Erziehung zur Arbeit11), ermöglichten die Arbeitswissenschaft, die Ermüdungsforschung und die Ernährungslehre einen neuen Zugriff auf den arbeitenden Menschen. In Anlehnung an
die Sprache der Thermodynamik wurde der Körper des Arbeiters physikalisch-physiologisch interpretiert; unter Verwendung von Konzepten aus dem
Scientific Management Frederik W. Taylors konnten Rationalisierungsstrategien operativ gemacht werden. Die Vorstellung, dass sich die Produktivität
des «menschlichen Motors11 durch optimierte Formen der Arbeitsorganisation immens steigern liess, war weit über die Unternehmerseite hinaus von
Interesse und löste nach dem Ersten Weltkriegeuropaweit einen US-amerikanisch inspirierten Efficiency Craze aus. DieBetriebswirtschaftslehre (BWL),
die sich in den 192oer-Jahren universitär etablierte, versuchte Wege aufzuzeigen, wie sich das Unternehmerische Profitstreben in der betrieblichen Produktion mit den Forderungen der Gewerkschaften nach höheren Löhnen
(«Massenkaufkraftll) vereinbaren liess. 4 5 Zwar war es in der Nationalökonomie lange umstritten, ob die BWL als wirtschaftliche Disziplin gelten könne.
Der Betrieb erschien hier vielmehr als ein Sonderraum, der aus der Marktwirtschaft herausgelöst war und in dem die Gesetze von Nachfrage und Angebot nicht frei spielten. • 6
Als in den 1950er-Jahren erstmals Fachsystematiken erschienen, die
den Betrieb zur zentralen Grösse der Produktionswirtschaft erklärten- und
das Unternehmen im gleichen Atemzug zur bloss juristischen Erscheinungsform des Betriebs degradierten-, löste dies in der BWL einen eigentlichen
«Methodenstreitl> ausY Angesichts der zentralen Rolle, die dem Betrieb in
wirtschaftlicher ebenso wie in sozialer und kultureller Hinsicht mittlerweile zukam, verlor die Diskussion indes an Bedeutung. Mit der forcierten
Mechanisierung und Automatisierung der Industrieproduktion durch das
Fliessband erhielt die Idee einer produktivitätsbasierten Interessenkonvergenz zwischen Kapital und Arbeit neuen Auftrieb. Gleichzeitig brachte der
Betrieb Subjektivierungsformen hervor, welche die Akzeptanz der betrieblichen Arbeit als der dominanten Beschäftigungsform weiter steigerten. Bereits der ({betriebsame Mensch)), wie ihn Sigfried Kracauerin den 1930er-Jahren zeichnete, deutlicher aber der ({organization man11, den William Whyte
Ende der 19 so er-Jahre kritisch schilderte, gehören zu den neuen Persönlichkeitstypen, die mit der betriebsförmigcn Arbeit in Verbindung stanclen. 48
Whytes 11Mann der Organisto~>
oder ({Gruppenmensch1> war kein Arbeiter
im üblichen Sinn, sondern ein Angehöriger der Mittelschicht. Wie der amerikanische Soziologe hervorhob, fand Arbeit (in Firmen ebenso wie in der Bürokratie) immer häufiger in Grassbetrieben statt. Als Folge davon würde die
18
Lebens- und Denkweise der mittelständischen Berufsschichten- Manager,
Techniker, Wissenschaftler, Offiziere, Geistliche, Ärzte, Juristen usw.- zunehmend im Interesse dieser Organisationsform umgeprägt und geformt.
Auch in den Wirtschaftswissenschaften griff der Produktionsbetrieb um
sich. Mit der <meuen Haushaltstheorie», die Mitte der tg6oer-Jahre durch den
neoliberalen Ökonomen Gary Becker lanciert wurde, setzte eine Aufwertung
der Haushalte zu ({kleinen Fabrikem ein.49 In den 1970er-Jahren prägte der
fabrikmässig organisierte Betrieb den sozialen Erwartungs- und Orientierungshorizont in einem derart hohen Mass, dass kritische Beobachterinnen
und Beobachter verallgemeinernd von einer 11Fabrikgesellschaft>J sprachen.so
In der Schweiz blieb die Fabrik in eine bipolare Geschlechterordnung
eingeordnet. Die langanhaltende wirtschaftliche Prosperität und die rasche
Verbreitung von Gesamtarbeitsverträgen hatten in der Nachkriegszeit die
Grundlage für eine fast reibungslos funktionierende bipartite Sozialpartnerschaft geschaffen, die weitgehend auf gesetzliche Regelungen verzichtete. Der ({Arbeitsfriedel> wurde mittels einer Verklärung des Friedensabkommens in der Metall- und Maschinenindustrie von 1937 zum Mythos
hochstilisiertY Das sozialfriedlichc, weitgehend institutionalisierte Bargaining auf dem Arbeitsmarkt verstärkte zusammen mit dem Einbezug der
Sozialdemokratie in die sogenannte Konkordanzdemokratie die politische
Stabilität. Mit Blick in den historischen Rückspiegel auf die Krisen- und
Kriegszeit dert930er- und beginnenden 194oer-Jahre erschien die Hochkonjunktur der 1950er- und tg6oer-Jahre als eine glückliche Zeit. «Schöne Heimat, frohe Menschem, verkündeten sozialdemokratische Wahlplakate um
tg6o, und: «Der einst erniedrigte Proletarier ist zum selbstbewussten Bürger gewordem, der mit seiner Familie teilhatte am Wohlstand.s' In dieser
Phase des Konjunkturaufschwungs und des Wirtschaftswunders konsolidierte sich die kapitalistische Produktionsform des Fordismus. Massenproduktion und Massenkonsum waren über das Modell der Kleinfamilie
vermittelt, das auf einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zwischen
Mr. Breadwinnerund Mrs. Consumer basierte. Im Übergangvon den 1950erzu den tg6oer-Jahren erreichte die betrieblich organisierte, männlich dominierte Erwerbsarbeit ihr höchstes Sozialprcstigc.s'
AUSSER BETRIEB: NEUE ARBEITSFORMEN
UND ARBEITSDEUTUNGEN
Dieses Selbstbild einer paternalistischen Arbeits- und Konsumgesellschaft
wurde seit Ende der tg6oer-Jahre durch die Neue Frauenbewegung herausgefordert und in der Wirtschaftskrise ab 1974 fundamental erschüttert.
Symptomatisch dafür war der Schock im Frühjahr 1978, als die Reifenfabrik
19
Firestone in Pratteln bei Basel erklärte, dass der Betrieb llwegen hoher Produktionskosten und teurem FrankenkurS)) eingestellt werden müsse. Auf
solche Botschaften war zum damaligen Zeitpunkt niemand vorbereitet.
Nicht die 620 Arbeiterinnen und Arbeiter, die aus heiterem Himmel und
ohne Sozialplan arbeitslos wurden. 11 Statt Treu und Glauben- Lug und Trug
aus USA)), skandierten sie gegen die Chefs des US-Konzerns. Dass diese
trotzvollausgelasteter Produktion, trotzfreiwilligen Lohnverzichts der Belegschaft und trotz des fest vereinbarten Mitspracherechts der Belegschaft
bei Kündigungen die Fabrik kompromisslos schlossen, stiess auch in der
Politik aufUnverständnis. Entgegen allen vorgängigen Zusagen war die Regierung von Basel-Landschaft nicht über die Produhionseinstellung informiert worden. Daraufhin reiste eine Delegation aus Regierungsvertretern
nach Akron/Ohio und legte der US-Konzernspitze einen Sanierungsplan
für das Pratteler Werk vor- ein Rettungsversuch, der indes auf ganzer Linie
scheiterte. In der öffentlichen Wahrnehmung wiedersprach dieses Ende
eines Traditionsbetriebes allem, was man in der Schweiz während vierzig
Jahren unter Sozialpartnerschaft verstanden hatte.s4
Die Schliessungen von Crossbetrieben waren nur ein besonders markanter Ausdruck des allgemeinen Umbruchprozesses, der eine wachsende
Aufmerksamkeit auf sich zog. Auch in der Schweiz wurde die Arbeitswelt
von unterschwelligen Verschiebungen in der Weltwirtschaft, von der Neuformierung der internationalen Arbeitsteilung, aber auch von neuen Produktions- und Kalkulationstechniken erfasst. Gemeinkostenwertanalysen
und betriebswirtschaftliche Rationalisierungsstrategien förderten die
Strukturschwächen der Schweizer Unternehmen Anfang der rg8oer-Jahre
schonungslos zutage. Aufihrer Grundlage senkten Unternehmensführungen die Kosten auf der ganzen Linie und richteten die Betriebe konsequent
auf Rentabilitätssteigerung aus. 55 Im Zuge einer gleichzeitig einsetzenden
Automatisierungswelle, der damit einhergehenden Komplexitätserhöhung
von Planung und Fertigung, aber auch mit dem Bedeutungszuwachs des
Dienstleistungssektors in den rggoer-Jahren, kam die traditionelle -vertraglich abgesicherte, in Betriebsabläufen vetstetigte und weitvoraus planbareIndustriearbeit unter Veränderungsdruck Es setzte eine Umstellung von der
fordistischen Massenproduktion hin zu einem markt- und innovationsorientierten Modell des Unternehmens ein. 56
Nicht nur international, auch in den Betrieben wurde die Arbeitsteilung neu formiert. Durch «flexible Spezialisierung)) in teilautonomen Fertigungsinseln sollte die Belegschaft kurzfristig aufveränderte Marktlagen
reagieren und mit der Firmenkundschaft zugleich eng vernetzt seinY Flankiert von arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen, die aufWeiterbildung, Technologieimport und Innovation setzten, schlugen diese Verände-
20
rungenauf die Arbeitswelt durch. (IComputer-Integrated Manufacturingl)
(CIM) war ein Schlagwort der rg8oer-Jahre. Ansatzpunkt bildete die Erkenntnis, dass die Wettbewerbsfähigkeit der 11Fabrik der Zukunft)) vom
hochintegrierten Einsatz von Robotik und Informatik im ganzen Produktionsprozess abhing. Umgesetzt wurde diese Einsicht mit dem 1989 vom
Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement lancierten IICIM-Aktionsprogramml); dem grössten je in der Schweiz durchgeführten Technologieförderungsprojekt. CJM zielte auf eine neue Verbindung von Innovation,
computergesteuerter Produktionstechnik und qualifizierter Arbeit und
stellte eine generelle Höherqualifizierung der Arbeiterschaftin Aussicht. In
der öffentlichen Wahrnehmung verkörperte CJM beides: Die Hoffnung auf
einen starken und modernen (I Werkplatz Schweiz)), aber auch die Angst vor
Hmenschenleeren Fabriken))s 8 •
In diesem Kontext lancierte die Industriesoziologie die <(Polarisierungsthese)l. Ihrer Ansichtnach profitierte lediglich ein Teil der Belegschaft
vom technischen Wandel in Form von beruflicher Qualifizierung und Weiterbildung. Der ersten Gruppe der (lModernisierungsgewinner)), die dem
Segment der stets höherqualifizierten Arbeit zugehörten, stehe eine grössere Gruppe von «Modernisierungsverliererll)) -und damit ein breiter Sektor
zunehmend unqualifizierter Arbeit- gegenüber. 59 Bald wurde die Polarisierung als Segmentierung gedeutet und zur kritischen Zeitdiagnose der
(!Zweidrittelgesellschaft)) erweitert: Während jene, die in ein Unternehmen
integriert seien, parallel zum Struktur- und Funktionswandel der Produktionsprozesse umgeschult und weiterqualifiziert würden, fänden jene, die
aus den Zentren der Industrieproduktion ausgesondert würden, überhaupt
keine Anstellung mehr. 60 In dieser meu gespaltenen Gesellschaft)) verfügten Arbeitslose kaum mehr über die Chance, je wieder in ein Unternehmen
Eingang zu finden. Die 11Zweidrittelgesellschafu brachte die abnehmende
gesellschaftliche Integrationskraft des betrieblich organisierten Industriesystems auf den Punkt. 11Ausser BetriebH figurierte nun als neue Chiffre für
Ausgesteuertwerden und Hoffnungslosigkeit. Gewerkschaften und Linksparteien forderten in dieser Situation Vollbeschäftigungsprogramme und
reicherten diese mit neuen Forderungen nach Bildungs- und Ausbildungschancen sowie nach qualitativer Arbeitspolitik und ökologisch-arbeitsmedizinischen Massnahmen an. 6 '
Es gab aber auch andere Stimmen. Der Sozialphilosoph und Gesellschaftstheoretiker Andre Gorz etwa deutete den Befund eines liEndes der
Arbeit I) als Lichtblick für gesellschaftliche Emanzipationsbestrebungen. In
seinem 1980 erschienenen Thesenbuch (I Adieu au proletariatH stellte er die
weitgehende Befreiung der Menschen von heteronomen (d. h. fremdgesteuerten und maschinenbcstimmten) Arbeitsformen in Aussicht: Das enorme
21
Produktivitätspotenzial, das in industriellen Produktionsformen steckt,
lasse die Arbeit in hochmechanisierten, zum grossenTeil vollautomatisierten Betrieben zeitlich immer stärker (auf wenige Wochenstunden) zusammenschrumpfen. 1983 plädierte Gorz in HLes ehernins du paradis>> für eine
radikale Umverteilung dieser macwendigen Arbeit» und für ein breites
Nachdenken darüber, was die Menschen mit der neu gewonnenen Freiheit
auf der Grundlage eines hohen materiellen Lebensstandards anfangen sollten!' Mit seiner Vision versuchte er dem Fatalismus einer segregierend
wirkenden <<Zweidrittelgesellschaft» entgegenzusteuern; fürihn lag die Befreiung der Menschen von industriekapitalistischer Ausbeutung und ökologischer Degradierung gerade im konsequenten Vorantreiben eines betrieblich organisierten Industriesystems. In der Automatisierung der Produktion
sah Gorz die Ermöglichungsbedingung für ein Heraustreten der Menschen
aus den Zwängen und Anforderungen eines auch das Alltags- und Familienleben usurpierenden Betriebskapitalismus. Jenseits der Fabrik, in einer
mit vielerlei produktiven und kreativen Tätigkeiten angefüllten Alltagswelt, sollte sich der Sinn des menschlichen Lebens erschliessen lassen.
Ähnliche Emanzipationshoffnungen knüpften sich auch an das Internet- jüngst etwa in der Studie <<The Zero Marginal Cast Society" von Jeremy
Rifkin. Folgt man dem amerikanischen Gesellschaftstheoretiker, so werden die vernetzungsbedingten, durch eine immer effizientere Herstellung,
Kommunikation und Logik erzielten Produktivitätszuwächse die zusätzlichen Kosten für jedes weitere Produkt gegen null drücken und die Preise
einbrechen lassen. In den gegen null Hsinkenden Grenzkosten" sieht Rifkin die Ursache für den Niedergang des Kapitalismus wie auch der profitorientierten Grossunternehmen, die ihn geprägt haben. 6 J In der kommenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der <<collaborative commons»
werde es die traditionelle Arbeit nicht mehr geben. Stattdessen würden
<<prosumers» die Dinge, die sie konsumierten, selber produzieren und miteinander teilen, während die Dinge aufgrund eingebauter Computer selbständig miteinander kommunizierten. Im Vergleich zu den zeitlich-rechtlichen Strukturen derVergangenheitwürden die bekannten Arbeitsformen
im ll!nternet der Dinge» in der Zukunft zunehmend <<verschwimmen». 64
Wie auch immer die Visionen von Gorz bis Rifldn bewertet werden:
Dass sich die Produktionsprozesse und Arbeitsformen und damit verbunden auch die Lebensentwürfe und Lebensformen starkverändert haben und
weiterhin wandeln, gilt als ausgemacht. 65 Seit den rg6oer- und 197oer-Jahren stieg der Prozentsatz erwerbstätiger Frauen und (damit zusammenhängend) der Prozentsatz von Teilzeitbeschäftigten in der Schweiz stetig an. 66
In Form von befristeten Arbeitsverhältnissen, Arbeit auf Abruf, Temporärund Heimarbeit sowie selbständigen oder quasi selbständigen Beschäfti-
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gungsformen wie Franchising oder Factoring schreitet die Flexibilisierung
der <<Normalarbeit» seither weiter voran. Dazu gesellte sich in den 2.00ocrJahren auch die Kurzarbeit, mit der Firmen die konjunkturellen Rückgänge
(nach der Dotcom- und der Immobilienblase) zu kompensieren suchten.G7
Aber auch die Berufswege wurden vom Wandel ergriffen. Die Laufbahnen
wurden diskontinuierlicher und fluider. Mit der 11Entgrenzung» der Erwerbsarbeit begann sich zudem auch ihre Einbindung in kollektive Regelungen
zu lösen. 68
Grosse Teile der schweizerischen Wirtschaft, die seit jeher eng mit
internationalen Märkten verflochten ist, haben sich in den letzten zwanzig
Jahren den technologischen und ökonomischen Veränderungen im Weltrnassstab offensiv angepasst. Für die Schweiz lässt sich eine ausgeprägte
Internationalisierung der Unternehmen im Finanz- und Industriebereich
und- wie gezeigt- ein Wandel der Corporate Gouernance im Zeichen der
Finanzialisierung konstatieren. Durch die Spiegelung seines Erfolgs an der
Börse wurde der Betrieb gleichsam dezentriert. Bewertet wurde nicht mehr
eine nachhaltige Unternehmensorganisation, sondern die oft volatilen Erwartungen von Shareholdern. Implizit positionierte der Shareholder Value
auch die Arbeiterinnen und Angestellten neu. Entgegen empirischen Untersuchungen, die zeigen, dass die Belegschafteines Unternehmens ein durchaus beträchtliches Geschäftsrisiko mitträgt, 6 9 wurde diese als eine Menge
risikoaverser Menschen wahrgenommen, die für ihre Leistungen aufVertragsbasis vergütetwerden und die keine weiteren Ansprüche an das Unternehmen stellen können. Die Gleichsetzung von Risikoträger und Shareholder ermöglichte es, alle Gewinne- und theoretisch auch alle Verluste- den
Eigentümern der Aktien (oder anderer Wertpapiere) zuzurechnen. Auf der
Grundlage solcher Annahmen wurde auch die Schweizer Wirtschaft umgebaut- mit Konzepten und Praktiken, die den Markt näher an Betrieb und
Belegschaft heranrückten.
Bahnbrechend dafürwar das Konzept des <<Humankapitals», das bereits
in den rg6oer-Jahren von der neoliberalen Chicago School vorgeschlagen
wurde. Es konzipierte Arbeit neu- und alternativ zu ihrer Entgegensetzung
zum <<Kapital»- als Humankapital: als durch Bildung und Lebensführung
erworbenen, individuellen Kapitalstock an Fertigkeiten, Wissen, Beziehungen oder Gesundheit, der während einer Payback-Periode in einen Einkommensstrom umgewandelt werden konnte/" Seit den 1970er-Jahren
stiess das Konzept in der Schweiz auf Resonanz- zunächst als Schlagwort
der Bildungspolitik. Im Unternehmen griff es Ende der rg8oer-Jahre um
sich, als sich die Arbeitssphäre vermehrt an den Anforderungen der externen Rechnungslegung und -kontrolle ausrichtete. Neben der Aktivierung
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter interessierte nun auch das Assess-
23
ment, Ranking und Rating ihrer Leistung im Rahmen einer marktorientierten Evaluationskultur. Mit dem «angelsächsischen turm> in der Personalpolitikhin zum Human Resourcesresp. Human Capital Managementwurde
die Personalabteilung als strategische Geschäftseinheit- als «Wertschöpfungs-Zentrum•• oder «Profit-Centen- organisiert, die einerseits der Sicherung und Förderung Unternehmerischen Verhaltens (ccPerformance11) der
Angestellten dienen sowie andererseits sicherstellen sollte, dass die einzelnen Abteilungen ihre Leistungen kostengünstig erbrachten?' Gleichzeitig
öffnete der Shareholder Value die Lohnskala nach oben. Seit den IggoerJahren ist das Topmanagement (später auch die übrigen Kader) über Bonusausschüttungen stärker an den Gewinnen und am Aktienkurs der Firma
beteiligt. Mit der Führung des Unternehmens im Interesse der Aktionäre
korrespondierte eine veritable Explosion der Managervergütungen.l'
Im Übergang vom Betriebs- zum Finanzmarktkapitalismus gerieten
nicht nur die betrieblichen Arbeitsroutinenunter Druck, sondern auch die
auf «Normalarbeit>l angelegten Sozialbeziehungen. Die gegenwärtig konstatierte «Entgrenzung von Arbeit11, verstanden als stärkere Durchdringung
von Arbeits- und Lebenswelt {auf die Konzepte wie Work-Life-Balance,
Health Awareness oder Dual Career Services wiederum reagieren), setzt die
sozialen Sicherungssysteme unter Zugzwang. Auch hier lässt sich eine Verschiebung von der staatlichen Regulierung hin zum Ordnungsmodell des
Marktes beobachten. Der Appell an das individuelle «Vermögen" und die
persönliche Verantwortung geht mit dem Rückbau sozialstaatlicher Garantien einerseits und dem Aufbau einer aktivierenden Sozialpolitik («Hilfe zur
Selbsthilfe••, «Fördern und Fordern11) andererseits einherJ3 Diese Prozesse
zielen auf eine Neujustierung des Verhältnisses von staatlicher Lenkungund
Arbeitsverhältnissen. Sie verweisen gleichzeitig auf den gesteigerten Stellenwert, welcher der individuellen Ressourcenaneignung in der Gegenwart
zukommt. In diesem umfassenden Sinn ist Humankapital zur Schlüsselkompetenz des politökonomischen Regimes der Gegenwart geworden: ein
Sinnbild für das Versprechen, dass sich individueller Einsatz- verstanden
als Nutzung, Aneignung und Investition privater Ressourcen- auszahlt.
Im Konzept des Humankapitals drücktsich somitauch paradigmatisch
eine neue Wahrnehmung des Kapitalismus aus. Es entwirft recht eigentlich
ein Gegenbild zum Klassenmodell, da es Arbeit und Kapital neu codiert. Sie
stehen nicht mehr in spannungsgeladener Polarität einander gegenüber
{wie dies auch noch durch ein sozialpartnerschaftliches Konfliktregelungsmodell gesehen wurde). Vielmehr gelten nun alle wirtschaftlich relevanten
Betätigungen- von der Hilfsarbeit bis hin zur Unternehmensführung- als
Formen von Arbeit, die sich indessen unter Investitionsgesichtspunkten
unterscheiden und deshalb auch mit unterschiedlichen Returns on Invest-
24
ment zu rechnen haben. Wenn jeder Mensch in sein eigenes Kapital investiert, um seine Arbeit zu rentabilisieren, dann verlagert sich der von gesellschaftlichen «Lagern11 gegeneinander geführte Klassenkampf in eine
subjektive Psychologie der Bildung. Der kollektive Interessenantagonismus
der kapitalistischen Gesellschaftwird transformiert in eine allgemeine Konkurrenz aller gegen alle um knappes HumankapitaL Als kultureller Code
weist das Konzept somit über die Arbeitswelt hinaus in die soziale Interaktion und kulturelle Kommunikation, obwohl es mit den wirtschaftlichen
Machtverhältnissen, welche die Arbeitsbedingungen prägen, eng verbunden bleibt.
DEZENTRIERUNG DES BETRIEBS ALS
FORSCHUNGSPERSPEKTIVE
Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass die Geschichtswissenschaft den
Industriebetrieb und die Fabrikgesellschaft genau dann als Forschungsgegenstand für sich in Anspruch nahm, als deren gesellschaftliche Kohäsionskraft und nationale Kontrolle sich zu verflüchtigen begannen. Gerade in der
Schweiz, wo sich die Sozialgeschichte erst relativ spät universitär verankern
konnte, lässt sich eine Gegenläufigkeit beobachten: Während Arbeitswissenschaft, Arbeitsmarktforschung und Wirtschaftswissenschaften seit dem
Kriseneinbruch Mitte der1970er-Jahre zunehmend sensiblerauf die globalen
Dimensionen, auf alltagspraktische Folgen und kulturelle Sinnbezüge von
Arbeit (und Arbeitsverlust) sowie auf neue Arbeits- und Vernetzungsformen
blickten, nahm die Sozial- oder Arbeitergeschichte als Geschichte der politischen Organisation der Arbeiterbewegung erst ihren Anfang74 Im Zentrum
stand die organisierte Fabrikarbeiterschaft und mit ihr auch die im Industriebetrieb geleistete Lohnarbeit. Themen waren industrielle Beziehungen,
gewerkschaftliche Organisationen, betriebliche Herrschaft, Rationalisierungen, Arbeiterwiderstand sowie schliesslich Klassenbewusstsein, Arbeiterkultur und Eigensinn/; Zu einem Gutteil fokussierte die Sozialgeschichte
der Arbeit auf die Entwicklung dieser industriellen Schweiz- so auch deng8r
vom Schweizerischen Sozialarchiv herausgegebene Sammelband c~Arbeits
alltagund Betriebslebenll, der die «Geschichte industrieller Arbeits- und Lebensverhältnisse in der Schweizll nachzeichnet€.76
Eine folgenreiche Dezentrierung erfuhr der Produktionsbetrieb durch
die Frauenbewegung, die in den 1970er-Jahren für die Wertschätzung und
Anerkennung der- in der Regel von Frauen geleisteten- Hausarbeit als Arbeit eintrat.77 In ihrem Gefolge begann die Sozialgeschichte nach der Rolle
zu fragen, welche die Haus- und Familienarbeit für das Funktionieren des
Industriebetriebs spielte. Es entstanden Arbeiten, die sich mit der Rationali-
25
sierung von Hausarbeit beschäftigten und untersuchten, wie sich die Geschlechterordnung ebenso wie die symbolische Ordnung der Sprache auf
die Wahrnehmung und Erfahrung von Arbeit auswirkten. Dennoch blieb
die Idee des nationalen Betriebs auch für die kultur- und genderhistorisch
erweiterte Sozialgeschichte von zentraler Bedeutung. Das galt auch für
Arbeiten aus einer poststrukturalistischen Perspektive. Lange herrschte ein
<<methodologischer Nationalismusn vor, den man erst im Kontext der Kolo8
nialismuskritik der Iggoer-Jahren kritisch zu hinterfragen begann.7 Mit
dem Aufkommen globalgeschichtlicher Ansätze setzte im Fach eine produktive Verunsicherung ein. Nicht genug damit, dass viele ihrer theoretischen Annahmen in Asien, Afrika und Südamerika nicht griffen, sah sich
die Sozialgeschichte bald auch mit dem Umstand konfrontiert, dass ihre vermeintlich neutralen und universalen analytischen Termini -wie Nation,
Fortschritt oder Arbeit - im globalen Kontext als provinziell erschienen.
Durch den Blick auf Arbeit in «Aussereuropa>> wurde unübersehbar, dass die
Fokussierung auf das «Betriebsleben>>, die in der Sozialgeschichte lange Zeit
dominierte, eine Blickverengung mit sich zog und zu einem unterkomplexen, eingeschränkten Verständnis der Geschichte der Arbeit führte. Phänomene wie die Sklavenarbeit in Afrika und Südamerika, der Fortbestand des
Kastensystems in Asien, aber auch die Vielzahl der «atypischen Arbeitsformenn, von denen die Area Studies zu berichten wussten, machten deutlich,
dass Arbeit im Kapitalismus keineswegs dazu tendiert, sich in «Normalarbeit» zu verwandeln.79 In jenen Teilen der Welt, in denen sich kein klassischer Industrialisierungsprozess und damit auch kein Betriebskapitalismus
durchsetzte, benötigen Historikerinnen und Historiker ein ausgeprägtes
Sensorien für unterschiedlichste Formen, Funktionen und Freiheitsgrade
der Arbeit. so Ist dieses einmal ausgebildet, so lässt es sich wieder zurückwenden auf die geografischen Kernzonen der Industrialisierung.
Der Blick «von den Rändern hef)) hilft, den Forschungsfokus aus dem
Gehäuse westlicher Nationalstaaten hinaus zu verschieben. Situiert man die
westliche Erwerbsarbeit im« Multiversum» der globalen Arbeitswelt, so zeigt
sich schnell, dass sie keine Norm, sondern eine historisch erklärungsbedürftige Ausnahme darstellt. Zu ähnlichen Schlüssen kann man angesichts der
Entwicklung kommen, welche die westliche Arbeitswelt in der Zeit <mach
dem Booml> durchlief. I-li er setzte in den vergangenen drei Jahrzehnten eine
Aufweichung der Strukturen betrieblich organisierter A rbcit und eine Auflösung des betriebszentrierten Verständnisses von Arbeit ein. Die damit zusammenhängende Zunahme «atypischen> Arbeitsformen gibt Anlass, die
Normalität des «Normalarbeitsverhältnisses» in Frage zu stellen. Wie die
Prozesse der Deindustralisierung, Globalisierung und Finanzialisierung
weiter verdeutlicht haben, gibt es keine lineare Entfaltungs- und Wachs-
26
tumsgeschichte, die langfristig auf die Entwicklung kapitalistischer Grassunternehmen zuläuft. Ebenso wenig stellen die «Arbeitgesellschaft)} und
der bürgerliche «Betriebskapitalismus» die einzigen Formen des Kapitalismus dar. Dies sind Einsichten, die auch im Westen zu erfahrbaren Tatsachen
geworden sind. Arbeit, deren «Ende>l und «Entgrenzung)} heute im gleichen
Atemzug diagnostiziert wird, erscheint damit als ein Schwundphänomen,
das zugleich omnipräsent ist.
Das doppelte-historiografischeund zeitgeschichtliche- Fragwürdigwerden eingebürgerter Arbeitskonzepte kann als Ausgangspunkt für neue
Fragen an die Geschichte der Arbeit fruchtbar gemacht werden. Die skizzierte Problemstellung ruft nach historischen Untersuchungen, die sich mit
dem Wandel der Arbeit befassen und die ein Sensorium für die Variabilität
und Historizität von Arbeitsformen und Arbeitsdeutungen mitbringen.
Analytisch scheint es sinnvoll, von einem weiten Begriff von «Arbeit» auszugehen, der eine Vielzahl von menschlichen Tätigkeiten umfasst. Arbeit
ist nicht als ein von vornherein festgelegtes, sondern als umkämpftes Konzept zu untersuchen, dessen Organisation und Definition (z. B. als «wertschaffende Arbeit» und «Normalerwerbsarbeit)} ebenso wie als «Hausarbeit)}
«Arbeitslosigkeit» oder «Schwarzarbeit») stets sozial geprägt und politisch
vielfach umstritten war. Davon ausgehend ist nach den Machtverhältnissen
und Prozessen zu fragen, mit Bezug auf welche bestimmte Konzepte, gesellschaftliche Arrangements und Subjektivierungsformen von Arbeit entstanden sind, verbindlich wurden oder an Selbstverständlichkeit einbüssten.
«Ausser Betrieb» ist das gemeinsame Motto der hier versammelten
Beiträge, die sich alle in der einen oder anderen Weise in diese allgemeinen
Überlegungen einordnen. In drei Teilen und innerhalb dieser chronologisch angeordnet, untersuchen sie die Veränderungen der Arbeit, die heute
vor allem im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Wandel der Spätmoderne diskutiert werden, in einer historischen Perspektive. Am Fallbeispiel der Schweiz erkunden die Autorinnen und Autoren neue Gesichtspunkte und Möglichkeitsräume der Geschichte der Arbeit im 19. und zo.
Jahrhundert. Dabei geht es nicht in erster Linie um nationale Besonderheiten. Wegleitend istvielmehr die Einsicht, dass sich globale Prozesse in lokalen Verhältnissen realisieren und dass institutionelle Rahmenbedingungen
und gesetzliche Regulierungen die Deutung und die Wertschätzung jener
Praktiken, die als «Arbeit» bezeichnet werden, wesentlich geprägt haben.
Der vorliegende Band beansprucht nicht, eine umfassende Geschichte der
Arbeit in der Schweiz zu leisten. Die Aufsätze gehen aus ganz unterschiedlichen Forschungskontexten hervor. Gemeinsam machen sie jedoch deutlich, dass Arbeitauch in der Hochphase des Betriebskapitalismus vielfältige
Bezüge zur «ausserbetrieblichem Sphäre unterhielt. 11Ausser Betrieb11 istdie
Perspektive, unter der die Autorinnen und Autoren mitschreiben an einer
erweiterten Geschichte der Arbeit, die auch ein neues Verständnis der Arbeit im Betrieb ermöglicht. Indem es Arbeit im Schnittpunkt zwischen der
Organisation der Produktion, gesellschaftlichen Deutungs- und Bewertungsvorgängen sowie kulturellen Sinnhorizonten und Subjektivierungsformen situiert, kann dieses Buch auch zu neuen Perspektiven auf die Gegenwart anleiten.
DIE BUCHBEITRÄGE
Eröffnetwird das Buch durch den Text-Bild-Beitrag<< Werkhöfe der Spätmoderne. Tramfahrt durch eine Global City>> von Thomas Hengartner und Eva
Lüthi. Im 1<Fiughafentram11 der Stadt Zürich, mit dem der Regionalverkehr
den Anschluss an die Welt sucht, unternehmen der Autor und die Fotografirr eine nächtliche Reise durch eine spätmoderne Arbeitswelt. Die städtebauliche Seite im Blick, stossen sie auf erleuchtete Bürokomplexe, Zuliefererfirmen ebenso wie aufflug- und mobilnetzverbundene Mitreisende-und
damit letztlich auf Spuren, Impressionen und Ambivalenzen einer Globalisierung vor Ort, wie sie in Zürich manifest werden.
Im ersten Teil (Kodifizierungen) steht «Ausser Betrieb>> für eine Verschiebung der Perspektive. Ist der Betriebskapitalismus nicht mehr die
Norm, mit deren Hilfe andere Formen des Tätigseins und der Arbeitsorganisation als Sonderfälle oder Atavismen zu bestimmen sind, so kehrt sich
die Fragerichtung um. Die Norm selber wird erklärungsbedürftig. Und es
stellt sich die Frage, wie ein solch betriebszentriertes Arrangement- und
dazugehörig: die Vorstellung von Arbeit als «Normalerwerbsarbeitn, der
Selbstbeschreibung der Gesellschaft als Arbeitsgesellschaft, dem Konfliktregelungsmodus der Sozialpartnerschaft und einer spezifischen Arbeitsmoral- sich historisch durchsetzen und stabilisieren konnte. Mit einem
Aspekt dieser Frage befasst sich der Beitrag «Arbeitsgesellschaft. Kodifizierungen von Arbeit im 2.0.]ahrhundert11 von Martin Lengwiler, der beim
Wechselverhältnis von Sozialversicherungen und Arbeitsvorstellungen
ansetzt. Der Autor zeigt, dass der Sozialstaat nicht einfach nur passiv auf
Veränderungen in der Arbeitswelt reagierte, sondern diese Veränderungen
(mit)produzierte, indem er kodifizierend auf die subjektiven und die gesellschaftlichen Vorstellungen von Arbeit, Arbeitsproduktivität und arbeitender Subjekte einwirkte. Damit wird deutlich, dass Arbeit auch im 2.o.Jahrhundert ausserBetrieb hergestellt wurde, jenseits der Fabrikmauern und
Industrieareale, mittels sozialstaatlicher, bildungspolitischer oder bürgerrechtlicher Kadi fizierungen, die auf regionalen, nationalen oder transna-
tionalen Ebenen operierten. Eine ähnliche Perspektive nimmt Carola Togni
in ihrem Beitrag «Arbeit und Geschlechterordnung. Die Normalisierung
der Lohnarbeit in der Arbeitslosenversicherung des 2.o.Jahrhunderts 11 ein.
Wie die Autorin vorführt, spielte diese Institution eine zentrale Rolle bei
der Konstruktion und Engführung von Arbeit auf «männliche>! Lohnarbeit
und beim gleichzeitigen Ausschluss und der hierarchischen Unterordnung
von ~<weiblchn1
Beschäftigungsformen (wie insbesondere der Haus- und
Familienarbeit). Überihr System ofEntitlementsgab die ALV eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung vor, die dem «männlichen Alleinernährer eine
«Frau am Herd11 zur Seite stellte. Wie die Autorirr zeigt, geriet dieses Modell
im Verlauf des 2.o.Jahrhunderts jedoch unter politischen und ökonomischen
Anpassungsdruck Zur «Normalerwerbsarbeitll gehört auch die «Normalerwerbsbiografiell. Um diese kreist der Bildessay von Celine Angehrn. Ihr
Aufsatz HBerufsbilder. Das Tableau der modernen Arbeit11macht anschaulich, dass sich die normative Koppelung von Arbeit und Lebenslauf im
zweiten Drittel des 2.0.]ahrhundens intensivierte. Im Zentrum stehen die
Berufsporträts des Basler Berufsberaters Theodor Strübin, die Schulabgängerinnen und Schulabgängern beim Einstieg in die Arbeitswelt helfen
sollten. Indem sie dasHLeben in Berufemals natürliche, für die Persönlichkeitsentwicklungzentrale und zugleich der individuellen Wahl zugängliche Station im Lebenslauf darstellte, war die Berufsberatung eine Schaltstelle, die das Anforderungsprofil einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft
psychotechnisch-pädagogisch umzusetzen half. Erwies sich bereits der Einstieg in die Berufswelt als unsicher und konfliktanfällig, so galt dies auch
für den Ausstieg aus dem Arbeitsleben. Dies legt Matthias Ruoss in seinem
Beitrag« Nach der Arbeit. Der <Pensionierungsschock> in der Nachkriegszeit
zwischen BelastungundAktivierung11 dar. Die Redevom HPensionierungsschock» - einer psychosozialen Belastungsstörung, die auftreten konnte,
wenn Männer ihre Berufsarbeit niederlegten- wurde nach der Einführung
der AHV im Jahr 1948 relevant. Das Rentenalter von 6 5 Jahren provozierte
eine öffentliche Diskussion um biografische Flexibilisierung und Konsumorientierung, für welche die Gerontologie zentrale Schlagwörter lieferte.
Wie die Beiträge im zweiten Teil (Blickwechsel) zeigen, gibt die Dezentrierung des Betriebs den Blick frei auf die vielfältigen Arbeitsformen,
die sich historisch im Vorfeld, neben, gegen oder komplementär zur HNormalerwerbsarbeitll herausgebildet haben, die für deren Konstitution aber
mithin entscheidend sein konnten. Einen unerwarteten Einblick in die Geschichte des «unternehmerischen Selbstll avant Ia lettre erlaubt der Aufsatz
~<Sales
and Sensibility. Handelsreisende zwischen Provisionslogik und Persönlichkeitseinsatz» von Iris Blum zur Appenzeller Vertreter-Firma Just.
Ihr Gründer brachte die Sa/esmanship 1930 aus Argentinen, wo er zuvor als
Bürstenverkäufer gearbeitet hatte, in die Schweiz. Wie Blum zeigt, basierte
der Erfolg dieser 11betriebslosem Form der Verkaufsarbeit von Tür zu Tür
auf einer 11Arbeit an sich)): Ein professioneller Umgang mit Emotionen 11Gefühlsarbeit>> und 11Gefühlsmanagement>> -bildete die Voraussetzung
für einen gelingenden Geschäftsabschluss. Die Autorirr macht deutlich,
dass ein marktvermitteltes Arbeitsverhalten auch im goldenen Zeitalter des
Betriebskapitalismus gewinnbringend kultiviert werden konnte. Darüber
hinaus war der Handelsreisende (ähnlich wie der Versicherungsvertreter)
eine zentrale Institution der Erschliessung neuer Märkte und der kommerziellen Durchdringung von Gesellschaften mit Massenkonsumgütern. Im
Anschluss an Ansätze der Postcolonial Studies, wonach Metropole und Peripherie innerhalb eines einzigen analytischen Feldes zu untersuchen sind,
beleuchtet Marina Lienhard in ihrem Beitrag 11Träge Tropen. Arbeitsvorstellungen ausgewanderter Tropenschüler)) die Konstruktion eines schweizerischen Arbeitsethos. Wie ihre Lektüre der Korrespondenzen ehemaliger
Absolventen der Basler Tropenschule vorführt, wurden Tüchtigkeit und
Selbstdisziplin in Abgrenzung zu einem tropischen Anderen zu schweizerischen Eigenschaften erklärt. Die nicht weissen Arbeitskräfte wurden
demgegenüber oft als träge, faul und dumm taxiert. Die Anrufung dieses
kolonialen Topos und die rhetorische Abgrenzung vom 11primitiven Trieblebem der 11Wilden1> diente der Legitimation von privilegierten Führungsrollen in den Tropen und wirkte zurück auf die Arbeitshaltungen in der
Schweiz. Von den Rändern her blickt auch Urs Germann in die Arbeitsgesellschaft. Im Zentrum des Beitrags 11Travail moralisateur. Konfigurationen
der Arbeit im modernen Strafvollzug>> steht das arbeitende Häftlingssubjekt- und damit gewissermassender andere Pol zum 11freien Lohnarbeiten>.
Zumindestauf den ersten Blickscheint das geschlossene Zwangssystem des
Gefängnisses zur Arbeitsgesellschaft und der hier idealisierten freien Lohnarbeit einen unvereinbaren Gegensatz zu bilden. Wie Germann mittels
einer Analyse ausgewählter historischer Konstellationen indes veranschaulicht, haben sich die Konzepte von Devianz ebenso wie die Praktiken des
Strafvollzugs in den letzten zweihundert Jahren jeweils in Wechselwirkung mit der Arbeitsgesellschaft und dem 11N ormalarbeitsverhältnis» entwickelt. Arbeit ist nicht nur eine Tätigkeit, sondern sie bringt zuweilen auch
ein 11Werk» hervor. In diesem Begriff sind zwei Komponenten von Arbeitdie Tätigkeit und der Ertrag- (noch) vereint. Hier setzt der Beitrag IIKÜnstler an die Seite der Arbeiter! Konzepte von Kunst und Arbeit nach 1g6811 von
Gioia Dal Molin an, der sich mit dem Wandel beschäftigt, den das künstlerische Schaffen in folge des Aufstiegs von Kunstmärkten und des Galerienbooms erfuhr. Im Zentrum steht mit der 11Produzentengalerie Produga>>
eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern, die sich explizit von der
30
Arbeit im 11Kunstbetrieb11 abgrenzte. Die Politisierung des künstlerischen
Arbeitsbegriffs im Rahmen der marxistischen Analyse ging Hand in Hand
mit einer Aufwertung der II Werkstatt>) als Ort, der die 11Entfremdung 11 der
künstlerischen Arbeit zur Aufhebung bringen sollte. Zugleich wollte das
Künstlerkollektiv Einfluss nehmen auf die Produktion des 11Werts der Werke>>. Um den Wertvon Arbeit geht es auch im Beitrag ({Lohn für Hausarbeit?
Befreiungsperspektiven der Frauenbewegung in den 1970er-Jahrellll von
Simona Isler. Während sich die Produga gegen die Gleichsetzungvon Kunstschaffen und Lohnarbeit zur Wehr setzte, forderte die Neue Frauenbewegung einen Lohn für Hausarbeit ein. Das Ziel bestand weniger in der finanziellen Entschädigung unbezahlt geleisteter Haus- und Familienarbeit an
sich. Viel allgemeiner sollte die ForderungzurWertschätzung dervon Frauen geleisteten Arbeit beitragen. Mit dem Programm verband sich eine dezidiert kapitalismuskritische Haltung. Ausgehend von den Debatten in der
Zürcher Frauenbewegung legt die Autorirr die Tücken dieser Forderung in
einer kapitalistischen Gesellschaft dar, in der für Haus- und Familienarbeit
traditionell kein Lohn vorgesehen war. Wer einen solchen einforderte beder
zweckte zwar Anerkennung, war aber mit der Tücke konfrontiert, das~
Wert der Arbeit nun warenförmig repräsentiert wurde.
Dezentrierung kann zu neuen Perspektiven auf Arbeit im Betrieb und
zu einem neuen Verständnis des I{Betriebskapitalismus11 anleiten- dies zeigen die Beiträge im dritten Teil (Grenzverschiebungen). Eine vielversprechende Möglichkeit bieten hier Fragen nach den stets umkämpften Grauzonen und immer wieder neu hergestellten Grenzziehungen zwischen
Arbeit und Nicht-Arbeit. Der erste Beitrag setzt beim Streik an, einem klassischen Kampfmittel der Arbeiterbewegung. Unter dem Titel 11Nicht-Arbeit. Streik und seine Bewertung im 20.Jahrhundert» geht Christian Koller
der Frage nach, wie die sozialistische Arbeiterbewegung mit der Ambivalenz der Arbeit als einer emanzipatorischen Potenz und einem Subordinationsprinzip umging. Der Autor analysiert die konträren Bewertungen von
Streik während der streikintensiven Zeit von der Mitte des 19. bis zur Mitte
des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit setzte sich die positive Bezugnahme auf
den 11Wert der Arbeit» in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung
durch. Die gleichzeitige Bejahung des Streiks verband sich keineswegs mit
einer Ablehnung von Arbeit. Vielmehr sollte Streik den Wert der grundsätzlich akzeptierten Arbeit im Betriebskapitalismus steigern. Wie deutlich
wird, war der- zunehmend national eingefärbte und parteienübergreifend
geteilte- 11Wert der Arbeit» eine zentrale diskursive Ressource beim Aufbau der 11Sozialpartnerschaft». Um die Grenzziehungen zwischen betrieblicher und ausserbetrieblicher Arbeit kreist der Beitrag !(Effizienz im Hauswirtschafts betrieb. Rationalisierung und Emotionalisierung der Hausarbeit
31
~-·
in den <langen) 1950er-Jahrem von Andreas Fasel. Traditionell idealisiert als
eine vom Betrieb gesonderte Sphäre, spielte der Haushalt für die betriebliche Produktion indes stets eine bedeutende Rolle. Das sahen auch die Expertinnen so, die sich seit der Zwischenkriegszeit mit der Hationellem
Führung des Hauswirtschaftsbetriebs befassten. Ihrer Ansicht nach sollte
die Rationalisierung der Fabrik nach dem Vorbild der rationalisierten Küche
geschehen. Wie der Autor am Beispiel des Schweizerischen Instituts für
Hauswirtschaft (SIH) deutlich macht, leistete die vom Institut vorangetriebene Effizienzsteigerung der Hausarbeit zwar einer Angleichung von Hausund Lohnarbeit Vorschub. Allerdings durchkreuzte das Sil-l diese Grenzverwischungwieder, indem es Hausarbeit emotional neu auflud und damit
gleichzeitig «entmaterialisierte)). Mit einer etwas anderen Strategie zur Mobilisierung ausserbetrieblicher Ressourcen im Betrieb befasst sich der Beitrag "Gesundheit am Arbeitsplatz. Betriebliche Fitness in den 196oer- und
1970er-Jahren)) von Flurin Condrau und Niklaus Ingold. Am Beispiel des
Betriebsturnens legen sie dar, wie präventivmedizinische Vorsorgekonzepte, sportwissenschaftliche Leistungsstudien, gewerkschaftliche Humanisierungsforderungen und unternehmefische Zielsetzungen neue Allianzen
eingingen. Daraus resultierte die <<Bewegungspause)): eine fünfminutige
Unterbrechung der betrieblichen Produktion durch kollektive Turnübungen. Über eine Rekonstruktion von Diskurs und Praxis der Bewegungspause machen die Autoren anschaulich, wie sich Veränderungen in Wirtschaft
und Gesellschaft (Flexibilisierung und Risikodenken) in konkrete betriebliche Praktiken (Dehnungsübungen und Gesundheitsprävention) übersetzten. Aber auch politisch stand das Verhältnis von Betrieb und Gesellschaft
in den 197oer-Jahren wieder zur Debatte. Dies zeigt der Beitrag "Demokratie im Betrieb. Die Mitbestimmungsoffensive der schweizerischen Gewerkschaften in den 1970er-Jahren)) von Adrian Zimmermann. Zusammen
mit Sozialpartnerschaft und Arbeitsfriede hatte sich in der Nachkriegszeit
ein relativ stabiles Arrangement der Arbeitsbeziehungen durchgesetzt, das
auf klaren Grenzziehungen- zwischen Betrieb und "Ausserbetrieb)), zwischen Privatwirtschaft und Politik- beruhte. In den Jahren um 1968 wurden solche Grenzziehungen hinterfragt. Im Zentrum des Beitrags steht die
Mitbestimmungsinitiative der Schweizer Gewerkschaften von 1971, die
einerseits als betriebliches Befriedungsinstrument beargwöhnt wurde, andererseits aber eine Aufwertung der Position der organisierten Arbeiterschaft versprach. Zur Abstimmung kam die [nitiative erst 1976- zu einem
Zeitpunkt, da die Folgen der Wirtschaftskrise bereits voll durchschlugenund wurde deutlich abgelehnt. [n der Folge verschob sich der Fokus der Gewerkschaften von Fragen der Gestaltung des Arbeitsplatzes hin zu seiner
Sicherung. Diese für die Gewerkschaften schwierige Zeit mach dem Boom))
32
steht auch im Zentrum des Beitrags "Ein Verständnis für den Gesamtbetrieb. Erinnerungen an die Gewerkschaftsarbeit zwischen 197 0 und 2000 )).
Auf der Grundlage von Interviews mit drei ehemaligen Funktionären und
einer Funktionärin verschiedener Gewerkschaften zeichnen Nicole Peter
und Anja Suter nach, wie diese die Veränderungen einer Arbeitswelt erlebten, die in den 198oer-Jahren zunehmend ausserBetrieb geriet. Vom Wandel betroffen waren die Beziehungen zur Arbeitgeberseite ebenso wie die
Organisation der gewerkschaftlichen Arbeit selbst, die unter Professionalisierungs- und Fusionierungseiruck geriet und von ihren Mitgliedern zunehmend mit Dienstleistungsanforderungen konfrontiert war. Wie die Interviews deutlich machen, stellt der Betrieb alten Zuschnitts für die heute
pensionierten Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen eine Art <4Sehnsuchtsortn dar.
So produktiv der Blick auf die Phänomene «ausser Betrieb)) für die Geschichte der Arbeit in der Schweiz ist, konfrontiert er die Analyse zugleich
auch mit einem Paradox: Während in den Pionierländern des Industriekapitalismus technologisch avancierte Mischformen und Manufacturing and
Services erprobt werden, die den Fabrikbetrieb traditionellen Zuschnitts
porös werden lassen oder auflösen, lässt sich in vielen New/y industrialized countries (N!Cs) eine ausgeprägte Konjunktur des Betriebskonzepts
und- parallel dazu- eine massenhafte Proletarisierung von Menschen beobachten. Laufend entstehen neue grosse und kleine Unternehmen, die
betriebswissenschaftlich geführt werden und in denen Menschen ihren
Lebensunterhalt verdienen. Die Chancen einer Steigerung des materiellen
Lebensstandards werden hier allerdings auf disparate Weise beeinträchtigt
durch ökologische Krisentendenzen und soziale Problemlagen. Wie Marcel van der Linden in seinem Schlusswort deutlich macht, lassen sich diese
Entwicklungsmuster und Problematiken nicht auf einer wirtschaftlichen
Entwicklungsskala verorten. Anstatt von einer Stufentheorie auszugehen,
in welcher auf die Arbeit im Betrieb das «Ausser-Betrieb-Geratenn wirtschaftlich wertschöpfender Tätigkeiten folgt, ist es sinnvoller, von einer
Welt voller Gegenläufigkeiten auszugehen und von einer «Gleichzeitigkeit
des Ungleichzeitigem zu sprechen. In diesem Sinne fordert der Autor einen Ansatz ein, der !<Arbeit in der Erweiterung))- in ihren ausserbetrieblichen ebenso wie ihren aussereuropäischen Verflechtungen- darzustellen
und zu begreifen sucht. «Ausser Betrieb- ausser Europan: Wollte man van
der Linden zuspitzen, so wäre dies ein Motto für die Perspektive, unter der
die Geschichte der Arbeit in der Schweiz (und über sie hinausgehend) weiterzu untersuchen wäre.
33
Meienberg, Niklaus. ~Perln
istein Dorf, das
ganz der Fabrik gehört)), in: Ders. (Hg.). Derwissenschaftliche Spazierstock, Zürich 1985, S.223-240.
Eine gekürzte Version der Reportage erschien unter
dem Titel ((Per1en istein Dorfundeine Fabriklf in
derWeltwache Nr. 29. vom !8.Juli 1985, S.46-47.
zu Stil und Geschichte der Reportage vergleiche
Schrnid. Beatrice. (!Originalton. Redevielfalt in Niklaus Meienbcrgs Reportage tPerlcn ist ein Dorf, das
ganz der FabrikgehörtJn, in: Baumberger. Christa;
Kolberg, Sonja; Renken, Arno (Hg.). Literarische
Polyphonicn in der Schweiz, Bern 2004, S.t83-203.
2.
Zu Perlen: Biihler, Renato. Die Fabrikarbeitersiedlung Perlen. Lebens- und Arbeitswelt, 1930-1990.
Unpublizierte Lizentiatsarbeit, UniversitätZürich
1
2004.
Im Unterschied zu den Fabrikreportagen zielten
die (italienischen) Arbeiteruntersuchungen dezidiert auf eine Mobilisierungder Arbeiterbasis. In der
Schweiz knüpfte man vorab an die deutsche Tradition an. Vgl. Howald, Stefan. «Nachrichten von der
Arbeiterklasse. Zur Entwicklung des publizistischen
Genres der Fabrikreportage in der Schweiz nach
1968ll, in: Durrer, Martin; Lukesch, Barbara (Hg.).
Biederland und der Brandstifter. Niklaus Meienberg
als Anlass. Zürich 1988, S.181-197· Wichtige Vorbilder waren: Wall raff, Günter.lndustriereportagen.
Als Arbeiterin deutschen Großbetrieben, Rcinbck
bei Harnburg 1970; Alquati, Romano. Klassenanalyse
als Klassenkampf. Arbeiteruntersuchungen bei Fiat
und 01ivetti, Frankfurt a. M.1974.
1cFabrikbesichtigungcn11 lautete der Titel eines
4
Sammelbandes mit Fabrikreportagen, die 1986 unter
Meienbergs Herausgeberschaft entstanden. Vgl.
Läderach, Monique; Jmfeld, Al; Wyss, Laure u.a.
(Hg.). Fabrikbesichtigungen, Zürich 1986.
Die Drei-Sektoren-Hypothese mitder Unter5
scheidungzwischen einem ersten Sektor (Landwirtschaft), einem zweiten Sektor (Industrie) und einem
dritten Sektor (Dienstleistungen) gehtauf den französischen Wirtschaftswissenschaftler Je an Fourastie
zurück. Vgl. Fourastie,}ean. Legrand espoirdu
xxeme siede. Fragres technique, progres economique, progres social, Paris 1958 (Pref. deM. Andre
Siegfried); Dcrs. Lestrente glori~use,
ou Ia rev.olution invisib!ede 1946 a 1975, Pans 1979· ZurWirtschaftsgeschichte der Schweiz vergleiche Halbeisen,
Patrick; Müller, Margrit; Veyrassat, Beatrice {Hg.).
Wirtschaftsgeschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, Basclzot2.
.
6 Meienberg, Perlen, $.224. Auf d1e Reportage
wurde mit heftiger Kritik reagiert. Die Fabrikleitung
und derGemeinderatvon Buchrain wiesen den an
der Sprengung eines alten Wohnhauses {tauf~ehäng
tCfliJ Bericht ab. Vgl. Luzcrner Neueste Nachnchten
3
vom 20-7.1985.
Einen überblick überdie Konzepte und Ansätze
7
der 4(betrieblichcn Sozialpolitik» geben: Tanncr,
Jakob. nArbeiterwohlfahrt)l, in: Historisches Lexikon
der Schweiz, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/
D16584.php (5.12.2014) und Bartels, Almuth. Monetarisierungund Individualisierung. Historische
Analyse der betrieblichen Sozialpolitik bei Siemens
(1944-1989), Stuttgart 2013, S.45-66 (Kapirel2:
Betriebliche Sozialpolitik im Wandel. Begriffliche
Grundlagen, theoretische Erklärungsansätzeund
Handlungsspielräume). Fürdie Schweiz istdie Geschichte der betrieblichen Sozialpolitik noch wenig
aufgearbeitet- insbesondere fürdie Zeitnach 1945·
für die Zwischen kriegszeitvergleiche Baumann
Püntener, Karin.t<Widerdie Fluktuation. Die Strategien des Unternehmens Ballyzur Bildung einer
Stammarbeiterschaftll, in: Pfister, Ulrich; Studcr,
Brigitte; Tanner,jakob (Hg.). Arbeit im Wandel. Deutung, Organisation und Herrschaft vom Mittelalter
bis zur Gegenwart {Schweizerisches Jahrbuch für
Wirtschafts- und Sozialgeschichte Band 14), Zürich
1996, S.23~
Querverbindungen zurstaatlichen
Sozialpolitik (Pensionskassen, AHV, 3-SäulenModell) stellt her: Leimgrub er, Matthieu. Solidarity
without the Statc? Business and the Shaping of thc
Swiss Welfare Stare, t8go-2ooo, Cambridge 2.008.
s Degen, Bernard. ((Arbeit und Kapital),, in: Halbeisen, Müller, Veyrassat (Hg.). Wirtschaftsgeschichte
der Schweiz, S.873-92>, S.899f; David, Thomas;
Mach, Andre. <cCorporate Governance. Die schweizerische Variante des Kapitalismusn, in: I-lalbeisen,
Müller, Veyrassat (Hg.). Wirtschaftsgeschichte det
Schweiz, $.831-872.
9 Lüpold, Martin. Der Ausbau der «Festung
Schweiz11. Aktienrechtund Corporate Governance in
der Schweiz, t88t-tg6t, Zürich2oo8; David, Thomas;
Mach, Andre. c1Corporate GovcrnanCCl), in: Halbeisen, Müller, Veyrassat (Hg.). Wirtschaftsgeschichte
der Schweiz, S.831-872.
ro Krippncr. Greta R. <<The Financialization ofthc
American Economy», in: Socio-Economic Review 3
(2005). 5.173-208, S.174·
n
Lüpold, Festung Schweiz, S.904.
2
Bärtschi, Hans-Peter. ~cAufnd
Ahdcr Industrie)),
1
in: Hochparterre 6/7 (2oo6), S.7; Bärtschi, HansPeter. Die industrielle Schweiz vom t8. ins :z.t.Jahrhundert. Aufgebaut und ausverkauft, Baden 2011.
13 Eine aussagekräftige Sparte diesbezüglich wäre
hier die Bierbrauerei. Nach Jahrzehnten relativer
Ruhe wurde der Schweizer Biermarkt in den 197ocrund tg8oer-Jahrcn durch das Brauereistcrben, die
Auflösungdes Bierkartells im Jahr 1991, das Eindringen ausländischer Marken und die sinkende
Nachfrage im Inland völlig umgekrempelt. Die Folge
waren Fusionen mit weltweitagierenden Grosskonzernen. Gleichzeitig zogen Traditionsbetriebewie
Löwenbräu oder Feldschlösschen sichaufs Immobiliengeschäft zurück. Vgl. Kistler, Lukas.~<
Biermarkt
Schweiz. Werschluckt was und wen?l}, in: WochcnzeitungNr. 37vom n.g.2oo8.
.
Pü r das Beispiel der ugroupe mutuell) vcrglet~
14
Leimgruber, Matthieu. Sozialpolitik als Markt? Etn
34
paar geschichtliche Betrachtungen. Vortrag an der
schweizerischen Vereinigung für Sozialpolitik.
18.9.2014- www.svsp.ch/assets/255/SVSP_jahrestagung_20l4_Leimbgruber_DE.pdf(5.12.W14)
15 Schnyder, Gerhard; Widmer, FrCdCric. I<Swiss
Corporate Govcrnance. Institutional Change in thc
law and Corporate PracticCSll, in: Trampusch,
Christine; Mach, Andre {Hg.). Switzerland in Europe.
Continuityand Change in the Swiss Political Economy, New York zon, S.105-123, S.n6; Honegger,
C!audia; Necke!, Sighard; Magnin, Chantal (Hg.).
Strukturierte Verantwortungslosigkeit. Berichte aus
der ßJnkenwelt, Frankfurta.M. 2010.
,5 Ein Stück Papiergeschichte.jubiläumszeitschrift
-125 Jahre Perlen, Rotkreuz tgg8. Zur späteren Entwicklung vergleiche die <cMeilensteinell auf der Hornepage des Unternehmens: www.pcrlen.ch/unterneh·
men (4.12.2014).
17 Im Jahr zooo gelangte eine Reihe bedeutender
Immobilienaktiengesellschaften an die SWX Swiss
Exchange- heute SIX Swiss Exchange. Zur Entwick·
lungvon lmmobilienmärkten in der Schweiz und
ihrer Stellung zwischen Real- und Finanzwirtschaft
und Immovergleiche Gantenbein, Pascal. ~rKedit
bilienpreisen, in: BaslerZeitung Nr. 53 vom 4·3.2014.
18 Gugerli, David; Tanner, Jakob, (!Wissen und
Technologie», in: Halbcisen, Müller, Veyrassat (Hg.).
Wirtschaftsgeschichte der Schweiz, S.265-318, 282f.
19 Gonen, Philipp. (I DerBetrieb als Erzieher-eine
pädagogische Herausfordcrungll, in: Ders. Arbeit,
Berufund Bildung, Bern 2002,$.253-268.
20 DJ.ss das <(Norma1arbcitsvcrhältnisH nie normal
war, ist zu Recht betont worden. Als Orientierungsmodell, das den Erwartungshorizont der Nachkriegszeitprägte, warseine Rolleindessen beachtlich. Vgl.
Castel, Robert. Die Krise der Arbeit. Neue Unsicherheiten unddie Zukunftdes Individuums, Harnburg
:1011; Kocka,Jürgen.t~Ths
zur Geschichte und
Zukunft der Arbeitll, in: Aus Politik und Zeitgsch~
te (APuZ) 21 (zom), S.S-13, S.9. Aus soziologischer
Sicht fürdie Schweiz: Jann, Ben. Erwerbsarbeit, Einkommen und Geschlecht. Studien zum Schweizer
Arbeitsmarkt, Wiesbaden zoo8, S.15-38 (Erosion der
Normalarbcit).
11
Zum Kaufmannskapitalismus vergleiche Kocka,
Jürgen. Geschichte des Kapitalismus, München 2013,
S.23-76; Fulcher,James. Capitalism. A VeryShort
Introduction, NewYorkzoo4.
Zur gleichen Kategorie zählt Weberdie ((Anstalt))
22
und den «Verein». Weber, Max. Wirtschaftund Gesell·
schaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Band
1. 5· Auflage, Tübingen 1980, S.28. Mitdem «bürgerlichen Bctricbskapitalismuslf als Periodisicrungsvorschlag orientiertsich dieser Beitrag explizit: an Welskopp. Themas. 11Das Unternehmen als Körperschaft.
Entwicklungslinien der institutioneBen Bindungvon
Kapital und Arbeit im 19. und 2o.Jahrhunclert», in:
Ellerbrock. Karl·Pcter: Wischcrmann, Clemens
(1-Ig.). Die Wirtschaftsgeschichte vorder Herausfor-
derung durch die Ncw lnstitutional Economics
Dortmund 2.004, S.tg2.-215.
'
23 Weber, Max. Die protestantische Ethik. Eine
Aufsatzsammlung. Band 1, Gütersloh 1991, S.9-26
(Vorbemerkung), S.16.
>4 Smith, Adam. DerWohlstand der Nationen.
Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen
München 1978 (eng!. erstmals 1789),S.9-22.
'
:15 Hobsbawm, EricJ. Die Blütezeit des Kapitals.
Eine Kulturgeschichte der Jahre 1848-1875, Frankfurta.M.198o.
>6 Marx, Kar!. Das Kapital. Band 1 (Matx-EngelsWerke Band 23), Berlin 1981, S.533·
27 Von derzunehmenden sozialen Bedeutungder
Organisationsform des Betriebs legen die Zählungen
von Fabrikbetrieben und Fabrikpersonal Zeugnis ab.
Vergleiche die Zahlen zu den seit188:z.erfolgren Eidgenössischen Betriebszählungen in der Historischen
Statistik der Schweiz online (Industrie und Gewerbe):
www.histecon.uzh.ch/hsso.html (4.12.2014).
;z.R Kocka, Jiirgcn. uM ehr Lustals Last. Arbeit und
Arbeitsgesellschaft in der europäischen Geschichte»,
in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2 (2005),
S.185-206; Eckert, Andreas. «Globale Perspektiven
auf die Geschichte und Gegenwartvon Arbeit- eine
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Manfred (Hg.). Die Zukunftder Arbeit in Europa.
Chancen und Risiken neuer Beschäftigungsverhältnisse, Bietefeld 2009, S.19-32.
29 Tanner, Jakob. «Der Kampfgegen die Armut.
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Dimensionen der Armut, Zürich 2007, S.So-tog;
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in: Dejung, Christof;
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30 Jaun, Rudolf. «<Es muss von Anfang an während
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1990,S.s9-74·
3' Welskopp, Das Unternehmen als Körperschaft,
S.202.
3' Tanner, Jakob. «Erfahrung, Diskurs und kollektives Handeln. Neue Forschungspa.radigmen in
der Geschichte der Arbeiterinnen und Arbeiten1 in·
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33 Türk, Klaus. <Arbeit in der bildenden Kunst.
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34 Zimmermann, BCnedicte. A rbcitslosigkeitin
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35
35 Lengwiler, Martin. Risikopolitik im Sozialstaat.
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36 Rückert,Joachim. «DasReden über Arbeitallgemein und juristischn, in: Ders. Arbeit und Recht
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37 Braun, Rudolf.lndustrialisierungund Volksleben. Veränderungen derLehensformen unter Einwirkung der verlagsindustriellen Heimarbeit in
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19 König, Mario.KVertrag und Gesetz)'· in: Boillat,
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Frankfurta.M.1998; Braun, Rudolf. «Der <gelehrige>
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Berlin (1990}. S.zo1-221.
45 Burren,Susanne. Die Wissenskulturder Betriebs·
Wirtschaftslehre. Aufstieg und Dilemma einer hybriden Disziplin, Rielefeld 2010.
46 Schrader, David E. The Corporation as Anomaly,
Cambridge 1993.
47 Vgl. fürdiese Diskussionen in der Schweiz:
Burren, Wissenskultur der Betriebswirtschaftslehre,
S.g7f.; Ulrich, Hans; Trechsel, Fritz (Hg.). Aktuelle
Fragen der Unternehmung. Beiträge zur Betriebswirtschaftslehre. Gedenkschriftfür Alfred Walther,
Bern 1957.
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49 Becker, Gary S. ~< EineTheorie der Allokation der
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1993, S.97-130, S.101, S.n7.
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51 Leimgruber, Matthieu. Solidarity without the
State. Business and the Shaping ofthe Swiss Welfare
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s• Vgl. dazu Müller, Felix; Tanner, Jakob."'· .. im
hoffnungsvollen Lichteiner besseren Zuknft~.
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Solidarität. Widerspruch, Bewegung. 100 Jahre
Sozialdemokratische Partei der Schweiz, Zürich
1988, S.32S-367.
53 Magnin, ChantaL «Der Alleinernährer. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Wirtschaftswachstum der195oer-]ahrein derSchweizn, in:
Aegerter, Veronika; Graf, Nicole; Imboden, Natalic;
Rytz, Thea; Stöckli, Rita (Hg.). Geschlechthat Me·
thode. Ansälze und Perspektiven in der Frauen~
und
Geschlechtergcschichte, Zürich 1999. S.183-195·
54 11Lugund Trugn, in: DerSpiegel Nr. 23 vom
5.6.1978; Ulmann, Hans-Peter; Erb, Dicter.11 Die
Angst ist einfach grossll. Der Fa11 Firestone. Hintergründe und Auswirkungen der Betriebsschliessung
auf die betroffenen Arbeiler und ihre Familien,
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56 Grass, Peter. «Jobholder-Value und PortfolioWork. Die Neuerfindung der Arbeit», in: Geiser,
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der 199oer Jahre, in: Gilomen, Hans-Jörg; Müller,
Margrit et al. (Hg.). Glohalisierung- Chancen und
Risiken. Die Schweiz in derWeltwirtschaft,I8.-zo.
Jahrhundert, Zürich2003, S. 357-375.
57 Gugerli, Tanncr, Wissen und Technologie, S.282.
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Forschung, Berlin 2009, S.313f.; Ulich, Eberhard.
Arbeitspsychologie.7., neu überarbeitete und erweiterte Auflage. Bcrlin ZOll, s.37Zf.
59 Kern, Horst; Schumann, Michael. Industriearbeit
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Degradation ofWork in the Twentieth Century, New
York1974.
Go Glotz, Peter. Die Arbeit derZuspitzung. überdie
Organisation einer regierungsf;:ihigen Linken, Bcrlin
1984.
61 Kern, Horst; Schumann, Michael. Das Ende der
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Produktion, Milnchen 1985, S.322.
62. Gorz, Andre. Abschied vom Proletariat. Jenseits
des Sozialismus, Frankfurta. M.198o; Gorz, Andre.
Wege ins Paradies. Thesen zur Krise, Automation
und Zukunftder Arbeit, Berlin 1983.
63 Rifkin,Jeremy. The Zero Marginal Cost Society.
The InternctofThings, the Collaborative Commons
and the EclipseofCapitalism, NewYork2014.
64 Diese Szenarien blieben nicht unwidersprochen.
Kritikerinnen weisen einerseits daraufhin, dass hinter
real existierenden Sharingplattformcn (wie Uber oder
Airbnb) oft knallhart gewinnorientierte Unternehmen stehen. Andererseits stellten sie die grundsätzliche Frage, wie erstrebenswert es denn überhaupt sei,
wenn man bislang private uDingc;~
wie die eigene
Wohnung, das Auto oderdie nachbarschaftliehe Hilfe
mit einem Tauschwertversehe und in den ökonomischenKrcislaufeinspcise. Vgl. Halpern, Suc. fCThe
Crcepy NewWave ofthc Internet\!, in: Thc Ncw York
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