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Was ist Leben?

Der Physiker Erwin Schrödinger stellte sich 1944 in seinem Büchlein «What is Life?» die Frage, wie sich die Vorgänge innerhalb eines lebendigen Organismus durch Physik und Chemie erklären lassen. Biologie durch eine physikalische Brille zu betrachten, war schon damals keineswegs originell. Seinen Ruhm verdankt das Buch aber der Tatsache, dass es Francis Crick motivierte, sich der Biologie zu widmen. Dies führte schliesslich zur nobelpreisgekrönten Entdeckung der Doppelhelixstruktur der DNA. Seitdem ist es laut Crick das erklärte Ziel der modernen Biologie, alles mit Physik und Chemie zu erklären. Theologen mögen diese Agenda in der Regel nicht.

Andreas Losch, geboren 1972 in Essen, studierte Evangelische Theologie in Bochum, Wuppertal, Jerusalem und Heidelberg. 2001–2007 absolvierte er Vikariat und kirchlichen Probedienst in Duisburg. Anschliessend arbeitete er an der Universität Bochum zur Transformation der Religion in der Moderne. Seine Dissertation behandelt das Thema «Jenseits der Konflikte. Eine konstruktivkritische Auseinandersetzung von Theologie und Naturwissenschaften». 2011–2014 war er Managing Editor der Martin Buber Werkausgabe, Düsseldorf. Seit 2014 ist er Postdoc am Center for Space and Habitability der Universität Bern und koordiniert dort das Projekt «Life beyond our planet?». Die hier geäusserte Meinung muss nicht der Auffassung von Redaktion oder Universitätsleitung entsprechen. (© Bild: Andreas Losch) Was ist Leben? Von Andreas Losch Der Physiker Erwin Schrödinger stellte sich 1944 in seinem Büchlein «What is Life?» die Frage, wie sich die Vorgänge innerhalb eines lebendigen Organismus durch Physik und Chemie erklären lassen. Biologie durch eine physikalische Brille zu betrachten, war schon damals keineswegs originell. Seinen Ruhm verdankt das Buch aber der Tatsache, dass es Francis Crick motivierte, sich der Biologie zu widmen. Dies führte schliesslich zur nobelpreisgekrönten Entdeckung der Doppelhelixstruktur der DNA. Seitdem ist es laut Crick das erklärte Ziel der modernen Biologie, alles mit Physik und Chemie zu erklären. Theologen mögen diese Agenda in der Regel nicht. Der Oxforder Biochemiker und Priester Arthur Peacocke nannte eine solche Herangehensweise eine «Nichtsalserei». Leben ist «nichts als» Physik und Chemie; stimmt das wirklich? Auch der ungarische Chemiker und Wissenschaftsphilosoph Michael Polanyi votierte gegen die Reduzierbarkeit des Lebens auf Physik und Chemie und für das Festhalten an Sinn und Verantwortlichkeit des menschlichen Lebens. Dafür wurde er von Crick und anderen Biologen als «Vitalist» abgestempelt – also als Anhänger der veralteten Lehre, ein «élan vital» (eine innere Lebenskraft) mache das Besondere des Lebens aus. Wie soll sich die Theologie in dieser Frage verhalten? Soll sie sich überhaupt dazu äussern? Der berühmte Schweizer Theologe Karl Barth hätte wohl gesagt: eigentlich nicht. Im Vorwort zur Schöpfungslehre in seiner Kirchlichen Dogmatik schreibt er: «Die Naturwissenschaft hat freien Raum jenseits dessen, was die Theologie als das Werk des Schöpfers zu beschreiben hat.» Man hat dies als 38 UniPress 163/2015 schiedlich-friedliches Trennungsmodell von Theologie und Naturwissenschaften bezeichnet, und es ist sicher akademisch gesehen eine gesunde Haltung. Spätestens seit Laplace operieren die Naturwissenschaften erfolgreicher ohne die Annahme eines Gottes. Dies bewahrt wiederum die Theologie davor, Gott als Lückenbüsser für ungeklärte Fragen einzusetzen, was ja auch nur dazu führen würde, dass Gott daraus mit dem Fortschritt der Wissenschaft vertrieben würde. Leider wird das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften oft so gesehen, auch wenn dies historisch unzutreffend ist. Die Naturwissenschaften sind jedoch nicht zufällig aus der jüdisch-christlich geprägten europäischen Kultur hervorgegangen. Sicherlich ist das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften aber asymmetrisch. Während die Theologie die Erkenntnisse der Naturwissenschaften zur Kenntnis nehmen sollte (oder zumindest könnte), gerade weil sie die Natur als Schöpfung Gottes betrachtet, sollte die Naturwissenschaft die Finger von der Theologie lassen, gerade aufgrund ihrer Errungenschaft einer methodischen Weltanschauungsfreiheit. Was aber könnte die Theologie dann zur Frage «Was ist Leben» beitragen? Barth fährt an der zitierten Stelle fort: «Und die Theologie darf und muss sich da frei bewegen, wo eine Naturwissenschaft, die nur das und nicht heimlich eine Religionslehre ist, ihre gegebene Grenze hat.» Genau hier liegt das Problem. Ist die an Physik und Chemie orientierte Forschungsagenda der modernen Biologie nur dies, eine Forschungsmethode? Oder behauptet sie darüber hinaus, damit alles herausgefunden zu haben, was es über Leben zu Meinung sagen gibt? Dann wäre sie – so verstehe ich Barth hier – aber eine moderne Art von Naturreligion. Vielleicht könnte die Theologie dann dazu beitragen, dass dieses Ergebnis nicht der letzte Forschungsstand bleibt: Indem sie die Forschenden motiviert, weiter zu suchen. Die Frage «Was ist Leben?» heute zu stellen, heisst ehrlicherweise auch, mit dem derzeitigen Ergebnis der Biologie nicht vollkommen zufrieden zu sein. Wobei die Biologie schon weiter ist als noch zu Cricks Zeiten: Man erwartet, dass noch so etwas wie «Geschichte» zu Physik und Chemie dazukommen muss, um Leben angemessen zu beschreiben, eben eine «Evolution im Sinn von Darwin». Diese Vorstellung kann man übrigens als Erbe einer religiösen Kultur verstehen, welche die Idee einer linearen Heilsgeschichte und damit den Fortschrittsgedanken entwickelt hat. Die Theologie muss darüber hinaus darauf beharren, dass es einen Bereich des Phänomens gibt, das wir «menschliches Leben» nennen, der sich der naturwissenschaftlichen Erkenntnis entzieht. Für uns jedoch wird dieser Aspekt des Lebens gerade der wesentlichste sein. Die Verantwortlichkeit des Menschen für seine Mit- und Umwelt kann und will die Theologie nicht aufgeben. Darin besteht nach ihrer Überzeugung gerade die Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Kontakt: Dr. Andreas Losch, Center for Space and Habitability, c/o Theologische Fakultät, andreas.losch@csh.unibe.ch Weitere Informationen: Mehr zum Berner Projekt rund um die Frage nach Leben dies- und jenseits unseres Planeten: www.lifebeyondourplanet.unibe.ch