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Kunst als Erinnerung an das Bleibende: Der Philosoph Volkmann-Schluck ergründet das Verhältnis von Kunst und Erkenntnis Von Till Kinzel Die Frage nach dem Wesen der Kunst zu stellen heißt sich in tiefste Tiefen zu begeben. Denn was Kunst ihrem Wesen nach sei - das festzustellen traut sich so schnell heute keiner mehr. Lieber spricht man von diesen oder jenen Funktionen der Kunst oder dieses konkreten Kunstwerkes. Das, was der Kunst als solcher – ihrem Wesen nach - eignet, gerät kaum noch in den Blick, zumal die Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst immer weiter erodiert, sieht man einmal von der weithin längst nicht mehr akzeptierten Bindung der Kunst an Ideen des Wahren, Guten und Schönen ab. Es erweist sich zudem, daß die Reflexion auf das Wesen der Kunst immer eine Reflexion auf das Mensch-sein des Menschen einschließt, in seinem Dasein, aber auch in seinem Wesen, wie z. B. Helmut Kuhn in Erinnerung rief (Schriften zur Ästhetik, München 1966, S. 197f.). Die Vorlesungen des Kölner Philosophen Karl-Heinz Volkmann-Schluck (1914-1981), die hier erstmals aus dem Nachlaß veröffentlicht werden, dringen in dieses komplexe Gebiet philosophischer Erörterung mit großer Entschiedenheit und meist klarer, wenn auch oft etwas zu sehr heideggerisierender Sprache ein und bieten so einen vorzüglichen und prägnanten Einstieg in die philosophische Reflexion auf den Kunstcharakter zumal der Literatur. Wie geht Volkmann-Schluck dabei vor? Er geht aus von dem historischen Standpunkt der siebziger Jahre und läßt dann die Kunstauffassungen von Aristoteles und Platon sowie Kant und Schiller Revue passieren, in freilich produktiver Aneignung, denn die überlieferten Vorstellungen, so seine Prämisse und sein Ergebnis, könnten allein im Medium der Verwandlung angeeignet werden. Gleichsam die Klammer des Textes ist die im Anschluß wiederum aufgegriffene Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Erkenntnis bzw. Wahrheit, also die Frage nach derjenigen Wahrheit, deren Erscheinungsform die Kunst ist. Volkmann-Schluck geht richtig vor, wenn er die Selbstverständigung über die Kunst im Umkreis des von Platon thematisierten Wettstreits zwischen Kunst und Erkenntnis (Platon spricht eigentlich von Dichtung und Philosophie) ansiedelt (vgl. Politeia X 607b). Denn deren Verhältnis zueinander besteht im Kampf um den höheren, den höchsten Rang. Aus diesem Streit heraus läßt sich begreifen, wie unterschiedliche Denker sich das Wesen der Kunst dachten: Während für Aristoteles und Platon und noch Kant die Kunst gegenüber der Erkenntnis nachgeordnet ist, kehrt sich bei Nietzsche diese Rangordnung um. Da für Nietzsche auch die Erkenntnis als Illusion entlarvt ist, gewinnt die Kunst den Wettstreit, weil sie um den eigenen Illusionscharakter weiß, während die Erkenntnis sich in unverzeihlicher Naivität selbst für Erkenntnis hält, aber keine ist. Aristoteles’ Unterscheidung von Praxis und Poiesis aufgreifend stellt der Verfasser das Problem heraus, das Kunstwerk als etwas Hervorgebrachtes von anderem Hervorgebrachten etwa handwerklicher Art zu sondern (S. 30). Entscheidend ist nun aber, daß die Kunst durch Darstellung eines Einzelnen etwas vom Wesenhaften aufscheinen läßt, weshalb die Kunst philosophischer und von höherem Ernste als die Geschichte sei (Poetik 1451b1-10), während die Kunst für Platon das Nichtige des Unwirklichen darstellt (S. 101). Divergenzen in der Auffassung vom Wesen der Kunst, so ergibt sich, lassen sich auf Divergenzen in der Auffassung vom Wesen des Seins zurückführen. Die Metaphysik selbst ist daher „das Strittige des Streites von Kunst und Erkenntnis” (S. 105), eine Problematik, die Volkmann-Schluck weiter dadurch zu erhellen sucht, daß er die Ästhetik Kants und Schillers näher beleuchtet. Denn während Kant „das Kunstwerk endgültig zum Gegenstand der Ästhetik” mache, liege das besondere Charakteristikum der Ästhetik Schillers darin, daß er das überlieferte Denken über die Kunst vollendet habe, weil er die beiden von Aristoteles und Platon herausgearbeiteten Seiten zu einer Einheit zusammengefaßt habe (S. 87). Schillers ästhetisches Denken ist dabei Teil seines Versuches, das Wesen des Menschen zu bestimmen, ja die Frage zu beantworten, wie der Mensch als Mensch möglich sei (S. 121). Schiller gründet das Wesen des Menschen auf die Schönheit; Stoff- und Formtrieb verbinden sich gleichsam zum Dritten, dem Spieltrieb, in dem der Mensch erst zu sich als Mensch kommen kann. Volkmann-Schluck nennt Schillers Unterfangen, das Menschsein auf die Schönheit zu gründen, einen erstaunlichen, kühnen Versuch - Schiller erscheint bei Volkmann-Schluck mit einigem Recht weit entfernt von jenem ”Moraltrompeter von Säckingen”, als den ihn Nietzsche einst denunzierte. Vielmehr ermögliche er durch das neue Verständnis des ästhetischen Scheins eine Sicht auf die Kunst, die diese nicht in Konkurrenz zur Erkenntnis bringt, weil der ästhetische Schein ein aufrichtiger, sich selbst genügender Schein sei, der des Wirklichen (im Sinne eines Bezuges auf einen Wahrnehmungsgegenstand) nicht bedürfe. Damit aber wird von der Schillerschen Ästhetik her einsichtig, daß etwa in der abstrakten Kunst nur auf etwas verzichtet wird, „das niemals das Wesentliche der Kunst gewesen ist” (S. 149). Der Schein, den die Dichtung erzeuge, lasse sich in seiner spezifischen Wahrheit nicht an der Erkenntniswahrheit messen; das dichterische Sagen hole in einem Gedicht z. B. Dinge in die Anwesenheit, die so im Kunstwerk präsent, zugleich aber als reale Dinge abwesend sind. Eben dadurch aber werden diese Dinge durch die Kunst davor bewahrt, dem Ge- und Verbrauch anheimzufallen (S. 143). Im Lesen eines Gedichtes kehren wir deshalb, frei von zweckhaften Absichten, „in die Ruhe des reinen Verweilens”, das sowohl Kant wie Schiller in ihrer Ästhetik bedacht haben. Die Aufgabe der Kunst wird daher von Volkmann-Schluck geradezu darin gesehen, in einer Welt des verbrauchenden Konsums, im „alles beherrschenden und verzehrenden Schwund des Verbrauchs“, an etwas Bleibendes zu erinnern, nämlich daran, was „denn eigentlich Menschen und Dinge als die seienden in ihrem einfachen reinen Sein sind“, also unter ihrem formalen Seinsaspekt (S. 147). Indem Volkmann-Schluck zwar nicht dem Begriff, doch der Sache nach die Innerlichkeit des Menschen gegen die „Verrechnung des Menschen nach Leistungsqualitäten“ verteidigt, bietet er erste Schritte auf einem Weg zur Wiedergewinnung der Wirklichkeit in ihrem vollen Umfang, also einschließlich der Innenseite des Menschen, auf die von der Kunst her entscheidendes Licht fallen dürfte. Problematisch dabei ist aber die durch Heidegger vermittelte Betrachtungsweise, die aufgrund ihrer phänomenologischen Prägung die klassischen Auffassungen schon in ihrem hermeneutischen Ansatz verfehlen muß. Es sei allerdings betont, daß sich Volkmann-Schluck der Beschränktheit seines Verständnisses des überlieferten Denkens durchaus bewußt ist (S. 141). Greift man abschließend nochmals den alten Streit über den Vorrang von Kunst und Erkenntnis auf, so erscheint mit Blick auf die Dichtung im Lichte der Schillerschen Ästhetik entscheidend, daß die Wahrheit der Dichtung nicht als Erkenntniswahrheit im Sinne von Übereinstimmungswahrheit gefaßt werden kann. Die Dichtung, befreit aus ihrem Verhältnis zur Erkenntnis (S. 178), birgt im Medium der Sprache etwas in seiner realen Abwesenheit, und zwar so, daß sich schließlich die Frage nach dem Wesen der Kunst als Dichtung, wie sie für die Ästhetik kennzeichnend war, zur Frage nach dem Wesen der Sprache weitet, das Volkmann-Schluck schließlich mit Heidegger im ereignenden Zeigen findet. In diesem Zusammenhang wird auch die Absicht und Grenze der Volkmann-Schluckschen Interpretation des überlieferten Denkens klarer, da es, wie er selbst zugesteht, in der von Heidegger geprägten Hermeneutik, die er sich zueigen macht, im Letzten nicht darum geht, das überlieferte Denken seiner eigenen Intention nach zu verstehen. Wir müßten demgegenüber „im Umkreis der Dichtung das überlieferte Denken verwandeln“, denn beim Überlieferten einfach zu verharren würde heißen, daß „dieses zum gedankenlosen Vorstellen wird, das uns bestimmt“ (S. 179), wodurch also offenbar nach Volkmann-Schlucks Meinung die Autonomie des Denkens durch ihm vorgegebene Ansprüche eingeschränkt wäre. Damit aber teilt Volkmann-Schluck selbst ein verbreitetes Vorurteil, als sei das überlieferte Denken entweder nur im Modus des gedankenlosen Vorstellens oder des Verwandelns greifbar – zumal damit die Frage nach der Wahrheit der Überlieferung schon im Ansatz neutralisiert wird. Sicher wird sich das Denken über die Kunst heute nicht dazu verstehen können, die Auffassungen der Klassiker unvermittelt zu übernehmen, ohne sie im Dialog mit modernen Ansätzen und historisch reflektiert auf ihre Tragfähigkeit hin zu prüfen. Allein: um über dieses klassische Denken mit seinem wertvollen Gehalt an Erkenntnis hinauszukommen, muß es erst richtig verstanden werden. Karl-Heinz Volkmann-Schluck: Kunst und Erkenntnis, hg. von Ursula Panzer, Würzburg: Königshausen & Neumann 2002, ISBN 3-8260-2319-6, 199 Seiten, 25 EUR.