RHEINISCHE
VIERTELJAHRSBLÄTTER
JAHRGANG 79
2015
FESTGABE FÜR MANFRED GROTEN
ZUM 65. GEBURTSTAG
HERAUSGEBER:
A. PLASSMANN · C. WICH-REIF
SCHRIFTLEITUNG: A. PLASSMANN
VERÖFFENTLICHUNG
DER ABTEILUNG FÜR RHEINISCHE LANDESGESCHICHTE
DES INSTITUTS FÜR GESCHICHTSWISSENSCHAFT
DER UNIVERSITÄT BONN
DR. RUDOLF HABELT GMBH · BONN
DEUTSCHE LANDESGESCHICHTE EUROPÄISCH
Grenzen – Herausforderungen – Chancen
Von A n d r e a s R u t z
Wenige Wochen nachdem Alheydis Plassmann und ich das Thema für das
heutige Festkolloquium entwickelt und mit mehreren Doktoranden von Manfred Groten diskutiert hatten1, lief über diverse Mailinglisten eine Studiengangsankündigung, die unser ambitioniertes Projekt ‚Europäische Geschichte regional. Perspektiven der rheinischen Landesgeschichte im 21. Jahrhundert‘ fast
schon provinziell aussehen lässt: Die Universität Würzburg kündigte zum Wintersemester 2014/15 einen Masterstudiengang mit dem Thema ‚Cultural Landscapes – Landesgeschichten im transatlantischen Vergleich‘ an2. Der von Helmut
Flachenecker verantwortete Studiengang widmet sich in vergleichender Perspektive den Kulturlandschaften Ohio und Franken, ihrer Entstehung, dem Ausbau und der weiteren Entwicklung; als „Referenzregion“ wird überdies die
Toskana herangezogen. Dieses Programm ist – so die Werbung der Universität
Würzburg – „international, transnational, vergleichend, herausfordernd“. Statt
wie in unserem Konzept die (rheinische) Landesgeschichte lediglich zu europäisieren, also stärker als bislang die europäischen Verflechtungen regionaler Phänomene und Entwicklungen zu erforschen und bewusst zu machen, wird in
Würzburg nun der globale Vergleich gesucht, wird aus (fränkischer) Landesgeschichte ein Teil der in den letzten Jahren vielbeschworenen ‚global history‘3.
1
Erweiterte und um Anmerkungen ergänzte Fassung meines Einführungsreferats zur Tagung
‚Europäische Geschichte regional. Perspektiven der rheinischen Landesgeschichte im 21. Jahrhundert – Kolloquium für Manfred Groten zum 65. Geburtstag‘, Bonn, 14.11.2014. Zu danken ist Manuel
Hagemann M.A., Jochen Hermel M.A. und Andreas Popescu M.A. für ihre kritischen Anregungen
zur konzeptionellen Ausrichtung der Tagung.
2
Vgl. E-Mail – Forum ‚Geschichte Bayerns‘, URL: https://lists.lrz.de/pipermail/geschichtebayerns/2013-December/002318.html, 04.12.2013; H-Soz-u-Kult, URL: http://hsozkult.geschichte.
hu-berlin.de/chancen/id=9492&type=studiengaenge, 08.01.2014. Die folgenden Zitate ebd.
3
Vgl. zur inhaltlichen Orientierung das im Erscheinen begriffene Handbuch von Akira I r i y e ,
Jürgen O s t e r h a m m e l (Hg.), Geschichte der Welt, bislang 3 Bde., München 2012–2014. Methodisch
wird Globalgeschichte nicht nur als Geschichte von Weltregionen oder Weltsystemen erforscht, sondern auch in regionaler bzw. lokaler Perspektive, wobei Fragen internationaler und insbesondere
transkontinentaler Beziehungen und Verflechtungen im Mittelpunkt stehen; vgl. hierzu ausführlich
Andrea K o m l o s y , Globalgeschichte. Methoden und Theorien, Wien, Köln, Weimar 2011, S. 211–
247, am Beispiel Österreichs und seiner Regionen/Länder. Zur Einführung in die Globalgeschichte
vgl. außerdem Sebastian C o n r a d , Andreas E c k e r t , Ulrike F r e i t a g (Hg.), Globalgeschichte.
Theorien, Ansätze, Themen (Globalgeschichte 1), Frankfurt a.M., New York 2007; Sebastian C o n r a d , Globalgeschichte. Eine Einführung, München 2013. Auch in diesen Publikationen wird auf die
Bedeutung der regionalen Perspektive hingewiesen, allerdings sind mit ‚Regionen‘ hier eher Großregionen im Sinne der angloamerikanischen ‚area studies‘ gemeint und nicht die von der deutschen
Landes- und Regionalgeschichte fokussierten Regionen mittlerer Größe. Eine interessante Diskus-
2
Andreas Rutz
Vordergründig betrachtet geht es in Würzburg wie in Bonn um die gesellschafts- und hochschulpolitische Relevanz der Landesgeschichte. Es gilt, aktuelle
Tendenzen der Forschung wie der gesellschaftlichen Entwicklung aufzugreifen
und in Forschung und Lehre fruchtbar zu machen. Ziel ist es, in die Universität
ebenso wie in die Öffentlichkeit zu kommunizieren, was die Landesgeschichte in
einer sich immer schneller verändernden Welt leisten kann und wieso es sich
lohnt, in sie zu investieren. Dieser Rechtfertigungsdruck ist nicht der schlechteste
Antrieb für wissenschaftliche Innovation, zwingt er doch zu klarer Positionierung und Transparenz. Aber es gibt freilich auch und – so möchte ich betonen –
vorrangig fachimmanente Gründe für eine Erneuerung und Weiterentwicklung
der Landesgeschichte in Deutschland zu einer europäisch orientierten Disziplin.
Dass diese auch ‚regionale Weltbeziehungen‘ in den Blick nimmt, ist durchaus
zu begrüßen4. Kernaufgabe bleibt aber meines Erachtens die Erforschung der jeweiligen Region in ihrem europäischen Kontext. Denn die Konzentration auf
globale Verbindungen lässt, wie auch Johannes Paulmann jüngst betont hat,
„andere Außendimensionen des Regionalen unscharf werden, von den eigenen
Strukturen, die ein Gebiet kommunikativ und kognitiv vernetzen, ganz zu
schweigen.“ Die Weltbeziehungen müssten dementsprechend auch „in ihrem
Zusammenwirken oder in ihren Gegenwirkungen zu den anderen Faktoren resion zu den Problemen und Perspektiven der Globalgeschichte für die deutsche Frühneuzeitforschung bietet Renate D ü r r u.a., Forum: Globalizing Early Modern German History, in: German History 31, S. 366–382. Betont wird hier nicht zuletzt, dass die Auseinandersetzung mit der politischen,
konfessionellen und kulturellen, d.h. der regionalen Vielfalt des Reiches eine gute Voraussetzung
darstellt, Globalgeschichte zu betreiben.
4
Zum Verhältnis von Regional- und Globalgeschichte am Beispiel des deutschen Südwestens im 19. und 20. Jahrhundert vgl. jetzt die wichtigen Überlegungen von Johannes P a u l m a n n ,
Regionen und Welten. Arenen und Akteure regionaler Weltbeziehungen seit dem 19. Jahrhundert,
in: Historische Zeitschrift 296 (2013), S. 660–699. Paulmann greift hier das im Zusammenhang der
Erforschung von Süd-Süd-Beziehungen (zwischen und innerhalb von Afrika, Nahem Osten und
Asien) entwickelte Konzept der ‚Translokalität‘ auf, das Interaktionen zwischen Orten, die Institutionalisierung dieser Beziehungen und die beteiligten Akteure in ihren Wahrnehmungs- und Erfahrungshorizonten untersucht, vgl. einführend Ulrike F r e i t a g , Achim v o n O p p e n , Introduction:
‚Translocality‘. An approach to connection and transfer in regional studies, in: d i e s . (Hg.), Translocality. The study of globalising processes from a southern perspective (Studies in global social history
4), Leiden, Boston 2001, S. 1–21. Paulmann benutzt dieses Konzept in einem erweiterten Verständnis,
das auch ‚Transregionalität‘ umfasst und sich so für die Untersuchung „regionaler Weltbeziehungen
in Europa“ eignet. Der Ertrag dieses Zugriffs besteht in landesgeschichtlicher Hinsicht darin, „das
Bild europäischer Regionen zu dynamisieren und regionale Identitätskonstruktionen im Wandel
zu untersuchen“. In globalgeschichtlicher Perspektive ermöglicht der transregionale Ansatz „lokal
und regional verankerte europäische Welterfahrungen und Weltentwürfe“ zu identifizieren, P a u l m a n n , S. 669. Als Beispiele für jüngere landesgeschichtliche Studien mit globalhistorischem Horizont vgl. Rainald B e c k e r , Nordamerika aus süddeutscher Perspektive. Die Neue Welt in der gelehrten Kommunikation des 18. Jahrhunderts (Transatlantische Historische Studien 47), Stuttgart 2012;
Alexander B e r n e r , Kreuzzug und regionale Herrschaft. Die älteren Grafen von Berg 1147–1225,
Köln, Weimar, Wien 2014; außerdem jüngst die Tagung der Historischen Kommission für Mecklenburg ‚Kapitäne, Konsuln, Kolonisten. Beziehungen zwischen Mecklenburg und Übersee‘, Rostock
17.–18.10.2014, und hierzu den Tagungsbericht von Jan D i e b o l d , in: H-Soz-u-Kult, URL: http://
www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5668, 14.11.2014.
Deutsche Landesgeschichte europäisch
3
gionaler Prozesse“ erfasst werden5. Hier kommt sowohl traditionelleren, auf die
Region als solche orientierten Untersuchungen als auch der landesgeschichtlichen Erforschung europäischer Vernetzungen und Verflechtungen weiterhin
eine wichtige Rolle zu.
In den vergangenen Jahren der Zusammenarbeit mit Manfred Groten habe ich
nicht selten den Satz hören dürfen: „Wenn man schon rheinische Landesgeschichte erforscht, kann man das auch gleich europäisch machen.“ Aber was
heißt das konkret? Wie kann deutsche Landesgeschichte europäisch gedacht
werden? Welches sind die Grenzen, Herausforderungen und Chancen eines
solchen Unternehmens, nicht zuletzt in Bonn? Die diesbezüglich notwendige
methodologische Diskussion wurde bislang noch nicht intensiver geführt. Zwar
haben sich seit den 1990er Jahren verschiedene Tagungen mit der Vielfalt der
regionalgeschichtlichen Forschung in Europa beschäftigt6. Dabei ging es allerdings um die unterschiedlichen Ausprägungen des Faches in den jeweiligen
Ländern und nicht um die Frage der Einbindung der betreffenden Regionen in
den europäischen Kontext. Am ausführlichsten hat sich hierzu Wolfgang
Schmale geäußert, der 1998 in einer Mischung aus historiographischem Rückblick und methodischer Reflexion ‚europageschichtliche Perspektiven für die
Landesgeschichte‘ aufgezeigt und an sächsischen Fallbeispielen exemplifiziert
hat7. Im Mittelpunkt stehen dabei die Methoden des Vergleichs und des Kulturtransfers: Hinsichtlich des Vergleichs rekurriert der Autor auf seine Forschungen
zur Entstehung der Grund- und Menschenrechte in der Frühen Neuzeit, die ganz
wesentlich auf einem regionalgeschichtlichen Vergleich zwischen Kursachsen
und dem Herzogtum Burgund basieren8. Allerdings ist der Vergleich hier weni5
P a u l m a n n (wie Anm. 4), S. 694.
6
Vgl. Stefan B r a k e n s i e k , Axel F l ü g e l (Hg.), Regionalgeschichte in Europa. Methoden und
Erträge der Forschung zum 16. bis 19. Jahrhundert (Forschungen zur Regionalgeschichte 34), Paderborn 2000; außerdem die Beiträge des 37. Tages der Landesgeschichte in München im Jahre 2010 zum
Thema ‚Landesgeschichte und Regionen in Europa. Ziele – Akteure – Institutionen‘, in: Blätter für
deutsche Landesgeschichte 147 (2011), S. 1–130, sowie den Eröffnungsvortrag von Peter Claus H a r t m a n n , Landes- und Regionalgeschichte in Europa in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in:
Blätter für deutsche Landesgeschichte 148 (2012), S. 277–286.
7
Wolfgang S c h m a l e , Historische Komparatistik und Kulturtransfer. Europageschichtliche
Perspektiven für die Landesgeschichte. Eine Einführung unter besonderer Berücksichtigung der
Sächsischen Landesgeschichte (Herausforderungen. Historisch-politische Analysen 6), Bochum 1998.
Vgl. mit Blick auf das Fallbeispiel Sachsen auch Michel E s p a g n e , Matthias M i d d e l l (Hg.), Transferts culturels et région. L‘exemple de la Saxe. Region und interkultureller Transfer am Beispiel Sachsen (Cahier d‘études germaniques 28), Aix-en-Provence 1995; Michel E s p a g n e , Matthias M i d d e l l
(Hg.), Von der Elbe bis an die Seine. Kulturtransfer zwischen Sachsen und Frankreich im 18. und 19.
Jahrhundert (Deutsch-französische Kulturbibliothek 1), Leipzig 21999; Michel E s p a g n e , Transferanalyse statt Vergleich. Interkulturalität in der sächsischen Regionalgeschichte, in: Hartmut K a e l b l e , Jürgen S c h r i e w e r (Hg.), Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und
Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M. u.a. 2003, S. 419–438.
8
Wolfgang S c h m a l e , Archäologie der Grund- und Menschenrechte in der Frühen Neuzeit.
Ein deutsch-französisches Paradigma (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution 30), München
1997; zur Methode des regionalgeschichtlichen Vergleichs vgl. ebd., S. 98–105.
4
Andreas Rutz
ger regional- oder landesgeschichtlich motiviert, resultiert also nicht aus einem
spezifischen Interesse an der Region oder dem Land selbst. Vielmehr ergibt er
sich aus dem Versuch, eine allgemeine Fragestellung der Europäischen Geschichte anhand geeigneter Beispielregionen zu untersuchen9. Gleichwohl liegt
damit ein interessantes Beispiel für die Umsetzung und Umsetzbarkeit einer
vergleichenden Landesgeschichte in europäischer Perspektive vor. Auch hinsichtlich des Kulturtransfers wird bei Schmale die Bedeutung der einzelnen Landesgeschichte als Forschungsobjekt sui generis relativiert, das Beispiel Sachsen
„stellt in diesem Zusammenhang nur eine Option neben anderen wie Bayern,
Preußen, spanisches Baskenland, Waadtland usf. dar“10. In Anlehnung an Michel
Espagne kennzeichnet der Autor seine Beispielregion aufgrund ihrer spezifischen Einbindung in vielfältige Kulturtransferbeziehungen als „Labor übernationaler Kulturbeziehungen in Europa“, was durch den Vergleich mehrerer
solcher ‚Labore‘ noch deutlicher würde11. Hier zeigt Schmale die Möglichkeit
einer Verbindung von historischer Komparatistik und Kulturtransferforschung
auf, die sicherlich bedenkenswert ist. Aber auch in diesem Zusammenhang löst
sich der Blick auf die Region in einer europäischen Perspektive auf, die sich die
für ihre Fragestellung passenden landesgeschichtlichen Fallbeispiele sucht. Die
an eine Region gebundenen bzw. für eine Landesgeschichte zuständigen Landeshistorikerinnen und -historiker müssten genau umgekehrt verfahren, indem
sie aus ihrem regionalen Arbeitsbereich heraus europäisch vergleichende Forschungen und Kulturtransferstudien entwickelten.
Auch wenn das methodische Anliegen des Autors vielleicht sinnvoller in
einem prägnanten Aufsatz hätte propagiert werden können, ist erstaunlich, dass
sich die Landesgeschichte kaum mit Schmales Überlegungen auseinandergesetzt
hat. Der Band taucht zwar regelmäßig in Fußnoten auf, wird aber kaum kritisch
rezipiert12. Bezeichnend für den aktuellen Diskussionsstand zur Europäisierung
der deutschen Landesgeschichte ist, dass der erste Band der jüngst vom Institut
für Bayerische Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München neubegründeten Reihe ‚Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte‘ keine methodische Standortbestimmung seitens der Herausgeber
enthält13. Bayern und Europa werden hier im Titel nebeneinandergestellt, ohne
9
Vgl. S c h m a l e , Historische Komparatistik (wie Anm. 7), S. 81–83.
10
S c h m a l e , Historische Komparatistik (wie Anm. 7), S. 111.
11
S c h m a l e , Historische Komparatistik (wie Anm. 7), S. 114f.
12
Soweit ich sehe, ist der Band auch kaum von landesgeschichtlicher Seite besprochen worden;
vgl. aber die Rezensionen von Jörg E n g e l b r e c h t , in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 70
(1999) [2000], S. 277f.; Karlheinz B l a s c h k e , in: Historische Zeitschrift 271 (2000), S. 132f.; außerdem
Gerhard A m m e r e r , Mikrogeschichte, Vergleich, Transfer & Co. Neue Forschung(sstrategi)en zur
frühneuzeitlichen Landes- und Regionalgeschichte seit den 1970-er Jahren am Beispiel des Erzstifts
Salzburg, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 152 (2012), S. 207–252, hier
S. 229–231.
13
Hubert F e h r , Irmtraut H e i t m e i e r (Hg.), Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum
zur frühmittelalterlichen Baiovaria (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1), St. Ottilien 22014.
Deutsche Landesgeschichte europäisch
5
dass deutlich wird, ob die eine Landesgeschichte mit den übrigen Regionalgeschichten etwas zu tun hat. Noch auffälliger ist das Fehlen einer solchen Standortbestimmung in der von Christof Paulus herausgegebenen Festschrift für
Wolfgang Wüst mit dem für unseren Zusammenhang einschlägigen Titel ‚Perspektiven einer europäischen Regionengeschichte‘ von 201414. Statt einer Methodendiskussion bietet der Band eine Reihe von Spezialaufsätzen, die jeweils auf
eine Region fokussieren, aber keine Perspektiven einer Verknüpfung bieten.
In Manfred Grotens Arbeiten finden sich immer wieder Hinweise auf europageschichtliche Bezüge der rheinischen Landesgeschichte und mögliche methodische Zugänge, allerdings ebenfalls keine systematische Ausarbeitung15. Anzuführen ist hier insbesondere der Aufsatz ‚Perspektiven der mediävistischen
Landesgeschichtsforschung‘ von 2007, der darauf abstellt, dass die landesgeschichtliche Arbeit sich am besten „zur Aufarbeitung von Diffusions- und
Transferprozessen in nationalen und transnationalen Dimensionen“ eigne, und
entsprechende Beispiele aus eigenen Forschungen zur Kultur-, Verfassungs- und
Sozial-, Politik- sowie Reichsgeschichte vorstellt16. Ein Handbuchprojekt zur
europäischen Geschichte des Rheinlands, das wir vor einigen Jahren in der Abteilung angedacht haben, ist leider nicht zustande gekommen. Die Idee war, die
drei großen Epochen Mittelalter, Frühe Neuzeit und Moderne von jeweils einem
Autor in einem Band behandeln zu lassen – und zwar nicht als erschöpfende
Gesamtgeschichte des Rheinlandes. Vielmehr sollte für jede Epoche die spezifische Verflechtung der rheinischen und der europäischen Entwicklungen im
Sinne von wechselseitigen Kulturtransferprozessen herausgearbeitet werden.
Eine solche ‚Neue Rheinische Geschichte‘ bleibt zu schreiben.
Auf eine ältere Tradition grenzüberschreitender Forschung der hiesigen Landesgeschichte will ich nur kurz hinweisen17: Das in den 1920er Jahren in Bonn
entwickelte und von zahlreichen Forschungsinstitutionen übernommene Kon14
Christof P a u l u s (Hg.), Perspektiven einer europäischen Regionengeschichte. Festschrift für
Wolfgang Wüst zum 60. Geburtstag (Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 106), Augsburg 2014.
15
Vgl. Ruth W e b e r (Bearb.), Schriftenverzeichnis Manfred Groten, in: Andreas R u t z , Tobias
W u l f (Hg.), O felix Agrippina nobilis Romanorum Colonia. Neue Studien zur Kölner Geschichte –
Festschrift für Manfred Groten zum 60. Geburtstag (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 48), Köln 2009, S. 265–275.
16
Manfred G r o t e n , Perspektiven der mediävistischen Landesgeschichtsforschung, in: d e r s . ,
Andreas R u t z (Hg.), Rheinische Landesgeschichte an der Universität Bonn. Traditionen – Entwicklungen – Perspektiven, Göttingen 2007, S. 181–195, das Zitat S. 189; vgl. außerdem Manfred G r o t e n ,
Landesgeschichte heute und morgen, in: RhVjbll 63 (1999), S. 296–304, hier S. 303.
17
Ein Relikt des älteren Ansatzes, das bis heute überdauert hat, ist die Bibliothek der Abteilung
für Rheinische Landesgeschichte mit ihren zwei Abteilungen ‚Rheinische Landeskunde‘ (arabische
Signaturen) und ‚Westliche Nachbargebiete‘ (römische Signaturen). Letztere beinhaltet einen reichhaltigen Bestand zu den Benelux-Ländern und Ostfrankreich, der nicht nur als Altbestand im Regal
steht, sondern systematisch weiter gepflegt wird und damit eine entscheidende Grundlage für die
europäische Neuperspektivierung der rheinischen Landesgeschichte darstellt.
6
Andreas Rutz
zept landeskundlicher Kulturraumforschung verstand sich als bewusste Abkehr von der älteren Territorialgeschichte und verzichtete in diesem Sinne auf
die Orientierung an politischen Entitäten. Demgegenüber sollten historische,
sprachhistorische und volkskundliche Phänomene in ihrer räumlichen Verbreitung analysiert und auf dieser empirischen Grundlage Kulturräume und Kulturströmungen identifiziert werden. Dass damit methodisch die Möglichkeit gegeben war, über die eigenen Provinz- oder Staatsgrenzen hinauszuschauen, ist
ebenso einleuchtend wie die Tatsache, dass sich die Kulturraumforschung hervorragend für die territorialen Expansionsbestrebungen des NS-Staates instrumentalisieren ließ, was durchaus im Sinne der beteiligten Wissenschaftler war18.
Die Westforschung der Zwischenkriegszeit und der Zeit des Nationalsozialismus wurde maßgeblich vom Bonner Institut für geschichtliche Landeskunde der
Rheinlande geprägt, das auf diese Weise weite Teile Nordwesteuropas in den
Blick nahm – allerdings nicht im Sinne einer multiethnischen und multikulturellen Europäischen Geschichte, wie sie heute im Zuge des europäischen Integrationsprozesses angestrebt wird19, sondern im Sinne einer Geschichte ethnischer
und kultureller Dominanz Deutschlands in Europa20. Unter geänderten Vorzeichen wurden Forschungen zum Benelux-Raum und Nordfrankreich in Bonn
auch nach dem Zweiten Weltkrieg betrieben21, mit der Emeritierung von Franz
Petri 1968 erfolgte in dieser Hinsicht allerdings ein Bruch: Die rheinische Landes-
18
Vgl. ausführlich Burkhard D i e t z , Helmut G a b e l , Ulrich T i e d a u (Hg.), Griff nach dem
Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen
Raum (1919–1960) (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 6), 2 Bde., Münster u.a.
2003; außerdem in jüngerer Zeit die monographischen Studien von Marc E n g e l s , Die „Wirtschaftsgemeinschaft des Westlandes“. Bruno Kuske und die wirtschaftswissenschaftliche Westforschung
zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik (Aachener Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte
4), Aachen 2007; Thomas M ü l l e r , Imaginierter Westen. Das Konzept des „deutschen Westraums“
im völkischen Diskurs zwischen Politischer Romantik und Nationalsozialismus (Histoire 8), Bielefeld 2009; Bernard T h o m a s , Le Luxembourg dans la ligne de mire de la Westforschung 1931–1940.
La „Westforschung“ et l‘„identité nationale“ luxembourgeoise (Collection de la Fondation Robert
Krieps du meilleur mémoire de Master 2), Luxemburg 2011; sowie den Überblick von Thomas M ü l l e r , Grundzüge der Westforschung, in: Michael F a h l b u s c h , Ingo H a a r (Hg.), Völkische Wissenschaften und Politikberatung im 20. Jahrhundert. Expertise und „Neuordnung“ Europas, Paderborn
u.a. 2010, S. 87–118.
19
Diesen politischen Impetus europabezogener Landesgeschichtsforschung betont H a r t m a n n ,
Landes- und Regionalgeschichte (wie Anm. 6), S. 278f., S. 286; vgl. auch kritisch S c h m a l e , Historische Komparatistik (wie Anm. 7), S. 27–31.
20
Vgl. als besonders exponiertes Beispiel Franz P e t r i , Germanisches Volkserbe in Wallonien
und Nordfrankreich. Die fränkische Landnahme in Frankreich und den Niederlanden und die Bildung der westlichen Sprachgrenze, Bonn 1937; hierzu Martina P i t z , Franz Petris Habilitationsschrift
in inhaltlich-methodischer und forschungsgeschichtlicher Perspektive, in: D i e t z , G a b e l , T i e d a u
(wie Anm. 18), S. 225–246; außerdem zu Petri ausführlich Karl D i t t , Die Kulturraumforschung zwischen Wissenschaft und Politik. Das Beispiel Franz Petri 1903–1993, in: Westfälische Forschungen 46
(1996), S. 73–176.
21
Karl D i t t , Franz Petri und die Geschichte der Niederlande. Vom germanischen Kulturraum
zur Nation Europas, in: Tijdschrift voor Geschiedenis 118 (2005), S. 169–187.
Deutsche Landesgeschichte europäisch
7
geschichte zog sich zunehmend in das bundesrepublikanische Rheinland zurück
und orientierte ihre Forschungsprojekte an den aktuellen nationalen und föderalen Grenzen, was wohl als späte Konsequenz aus der Entgrenzung ihres Forschungsgegenstandes in der NS-Zeit zu bewerten ist22.
Eine stärker grenzüberschreitend-regionale Perspektive als in Bonn wurde für
die rheinische Landesgeschichte in Trier institutionalisiert, wo mit Franz Irsigler
von 1977 bis 2006 ein ehemaliger Assistent des Bonner Instituts den neugegründeten Lehrstuhl für Geschichtliche Landeskunde innehatte. Von 1987 bis 2002
förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Trier den Sonderforschungsbereich 235 ‚Zwischen Maas und Rhein. Beziehungen, Begegnungen und Konflikte in einem europäischen Kernraum von der Spätantike bis zum 19. Jahrhundert‘. Mit der Rhein-Maas-Region wurde hier die zentrale Kontaktzone zwischen
‚Romania‘ und ‚Germania‘ in den Mittelpunkt gerückt und in zahlreichen Einzelprojekten das vielfältige Beziehungsgeflecht zwischen den beiden Kultur- und
Sprachräumen untersucht23. Mit einem grenzüberschreitenden Ansatz und dem
22
Auch die personell und inhaltlich eng mit dem Institut verbundene und nach dem Krieg wiederbegründete Westdeutsche Forschungsgemeinschaft bzw. Arbeitsgemeinschaft für westdeutsche
Landes- und Volksforschung, die grenzüberschreitend orientiert war, wurde nach 1968 nicht mehr
weitergeführt, Marlene N i k o l a y - P a n t e r , Kontinuität und Wandel. Die Arbeitsgemeinschaft
für westdeutsche Landes- und Volksforschung in Bonn (1949/50–1969), in: Norbert M o c z a r s k i ,
Katharina W i t t e r (Hg.), Thüringische und rheinische Forschungen. Bonn – Koblenz – Weimar –
Meiningen. Festschrift für Johannes Mötsch zum 65. Geburtstag, Leipzig, Hildburghausen 2014,
S. 502–526. Zum Bonner Institut vgl. G r o t e n , R u t z (wie Anm. 16); sowie in jüngerer Zeit BerndA. R u s i n e k , Das Bonner Institut für Rheinische Landeskunde, in: Ulrich P f e i l (Hg.), Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionengeschichtlicher
Ansatz (Pariser Historische Forschungen 81), München 2007, S. 31–46; Wilhelm J a n s s e n , Geschichtliche Landeskunde. Ein programmatischer Neuansatz der Landesgeschichte im ersten Viertel des
20. Jahrhunderts, in: Gerhard R e h m (Hg.), Adel, Reformation und Stadt am Niederrhein. Festschrift
für Leo Peters (Studien zur Regionalgeschichte 23), Bielefeld 2009, S. 287–297; Marlene N i k o l a y P a n t e r , Der Steinbach-Lehrstuhl an der Universität Bonn und seine Wiederbesetzung (1960–1962),
in: Benedikt M a u e r (Hg.), Das Heute hat Geschichte. Forschungen zur Geschichte Düsseldorfs, des
Rheinlands und darüber hinaus. Festschrift für Clemens von Looz-Corswarem zum 65. Geburtstag
(Quellen und Forschungen zur Geschichte des Niederrheins 10), Essen 2012, S. 279–295; d i e s ., Die
„Rheinischen Vierteljahrsblätter“ – Autorenkreise und Netzwerke. Ein Überblick, in: Thomas K ü s t e r (Hg.), Medien des begrenzten Raumes. Landes- und regionalgeschichtliche Zeitschriften im
19. und 20. Jahrhundert (Forschungen zur Regionalgeschichte 73), Paderborn u.a. 2013, S. 187–207;
außerdem zum Forschungsumfeld des Instituts Manfred G r o t e n , Landesgeschichte an der Universität Bonn, in: RhVjbll 72 (2008), S. 166–183; d e r s ., Wilhelm Levison und die Rheinische Geschichte,
in: Matthias B e c h e r , Yitzhak H e n (Hg.), Wilhelm Levison (1876–1947). Ein jüdisches Forscherleben zwischen wissenschaftlicher Anerkennung und politischem Exil (Bonner historische Forschungen 63), Siegburg 2010, S. 225–239.
23
Vgl. den bilanzierenden Tagungsband von Franz I r s i g l e r , Zwischen Maas und Rhein. Beziehungen, Begegnungen und Konflikte in einem europäischen Kernraum von der Spätantike bis
zum 19. Jahrhundert. Versuch einer Bilanz (Trierer Historische Forschungen 61), Trier 2006, eine
Liste der Teilprojekte ebd., S. 459–462; außerdem den aus diesem Kontext hervorgegangenen Lebensbilderband von Franz I r s i g l e r , Gisela M i n n (Hg.), Porträt einer europäischen Kernregion. Der
Rhein-Maas-Raum in historischen Lebensbildern, Trier 2005, und den Quellenreader von Winfried
8
Andreas Rutz
konkreten Bezug auf den rhein-maasländischen Raum arbeiten mittlerweile
auch andere landesgeschichtliche Institutionen im Rheinland, namentlich die
Abteilung für Landesgeschichte der Rhein-Maas-Region des Historischen Instituts der Universität Duisburg-Essen mit einem starken Fokus auf Niederrhein
und Niederlanden24 sowie die Juniorprofessur für Geschichte und Kultur der
Region Maas-Rhein am Historischen Institut der RWTH Aachen mit einem starken Fokus auf den Aachener Raum und das Dreiländereck.
So sinnvoll diese Weiterung des regionalen Maßstabs vom Rheinland zur
Rhein-Maas-Region sein mag und so selbstverständlich die rheinische Landesgeschichte auf diese Weise in ein Europa der Regionen bzw. der Euregios hineinwächst, scheint mir das Rhein-Maas-Konzept für den Bonner Zusammenhang
sowohl zu eng als auch zu weit zu sein. Beginnen wir mit Letzterem: Die rheinische Landesgeschichte ist die Geschichte eines spezifischen, gleichwohl nicht
messerscharf definierten Raums, nämlich des Rheinlands oder – in älterer Diktion – der Rheinlande25. Dieses Rheinland umfasst aus Bonner Perspektive traditionellerweise das Gebiet der preußischen Rheinprovinz, also in etwa die
Landesteile Nordrhein und Rheinland von Nordrhein-Westfalen und RheinlandPfalz sowie das Saarland. Geht man von dem Anspruch aus, dass Landesgeschichte in zeitlicher und thematischer Hinsicht unbegrenzt tätig sein kann und
darf, also die Zeit von der Spätantike bis zur Zeitgeschichte mit Blick auf Politik,
Kirche, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur bearbeitet, ergibt sich bereits für diesen begrenzten Raum ein erhebliches Arbeitspensum. Eine Erweiterung des
Raums zwingt notwendigerweise – wenn wir Ludwig Petrys kluges, aber mittlerweile zum bloßen Sprichwort verkommenes Diktum ernst nehmen – zu einer
Begrenzung in zeitlicher und/oder thematischer Hinsicht26. Dass ist für die Bonner Landesgeschichte kein sinnvoll zu beschreitender Weg, da sie – bei aller Bedeutung der anderen landesgeschichtlich arbeitenden Institutionen im Rheinland – als Einzige weiterhin für das Ganze zuständig ist, wie auch die Tagungen,
Publikationen und Projekte in der Ära Groten dokumentieren27. In diesem enger
R e i c h e r t , Gisela M i n n , Rita V o l t m e r (Bearb.), Quellen zur Geschichte des Rhein-Maas-Raumes.
Ein Lehr- und Lernbuch, Trier 2006.
24
Vgl. nur die 2010 begründete Zeitschrift ‚Rhein-Maas. Studien zur Geschichte, Sprache und
Kultur‘.
25
Vgl. zuletzt Wilhelm J a n s s e n , Rheinland – Begriff und Sache. Eine Skizze, in: Heinz D u c h h a r d t , Wilfried R e i n i n g h a u s (Hg.), Stadt und Region. Internationale Forschungen und Perspektiven. Kolloquium für Peter Johanek (Städteforschung A/65), Köln, Weimar, Wien 2005, S. 31–42.
26
Ludwig P e t r y , In Grenzen unbegrenzt. Möglichkeiten und Wege der geschichtlichen Landeskunde (1961), in: Pankraz F r i e d (Hg.), Probleme und Methoden der Landesgeschichte (Wege der
Forschung 492), Darmstadt 1978, S. 280–304.
27
Vgl. nur die Berichte über die Herbsttagungen des Instituts für geschichtliche Landeskunde
der Rheinlande bzw. der Abteilung für Rheinische Landesgeschichte in den RhVjbll seit Jg. 66 (2002)
sowie das Spektrum der Aufsätze und den für das Rheinland mehr oder weniger erschöpfenden
Rezensionsteil ebd.; außerdem Andreas R u t z , Historische Forschung am Bonner Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande 1920–2005 unter besonderer Berücksichtigung der Dissertationen, in: G r o t e n , R u t z (wie Anm. 16), S. 39–66; Jochen H e r m e l , Verzeichnis der historischen
Deutsche Landesgeschichte europäisch
9
definierten Raum übernimmt die Landesgeschichte zudem Servicefunktionen
für regional orientierte Kulturinstitutionen, insbesondere durch Grundlagenforschung, im Rahmen von Projekt- und Veranstaltungskooperationen sowie nicht
zuletzt durch die Ausbildung von Nachwuchs. Das Proprium der Abteilung für
rheinische Landesgeschichte in Bonn ist also die rheinische Landesgeschichte.
Eine grundsätzliche Erweiterung des räumlichen Fokus auf benachbarte Regionen ist vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll.
Wieso habe ich dann aber davon gesprochen, dass das Konzept Rhein-Maas
nicht nur zu weit, sondern gleichzeitig auch zu eng sei? Damit sind wir wieder
bei unserer Ausgangsfrage, wie deutsche Landesgeschichte europäisch gedacht
werden kann. Denn natürlich geht es auch mir heute um die europäischen Perspektiven unseres Faches. Sie erschöpfen sich meines Erachtens aber nicht in der
Erweiterung des räumlichen Fokus über die jeweilige Kernregion hinaus. Dieser
erweiterte Blick ist wichtig, denn er ermöglicht verschiedene weiterführende
Untersuchungsperspektiven – namentlich Vergleich, Kontakt, Transfer und Verflechtung –, auf die ich im Folgenden noch genauer eingehen will. Allerdings
müssen diese Perspektiven nicht notwendigerweise auf benachbarte Räume beschränkt bleiben, sondern sollten eine gesamteuropäische Behandlung erfahren28. Es geht also um eine Landesgeschichte, die sich einerseits ganz klar zu
ihrem jeweiligen Proprium – sei es das Rheinland, Westfalen, Franken, Bayern
usw. – bekennt, andererseits aber von hier ausgehend die europäischen Perspektiven sucht29.
Der Vergleich – um mit dem ersten der genannten Schlagworte zu beginnen
– ist die immer wieder herausgestellte Kür landesgeschichtlicher Forschung30.
Dissertationen am Bonner Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande 1920–2005, in:
ebd., S. 267–282; d e r s ., Verzeichnis der Ferienkurse, Lehrgänge und Tagungen des Bonner Instituts
für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande 1920–2005, in: ebd., S. 283–315.
28
Für ein vergleichendes landesgeschichtliches Arbeiten, das nicht nur die jeweilige Nachbarschaft einbezieht, sondern „räumlich weit übergreifende Gegenüberstellungen“ anstrebt, plädiert
auch Stephan L a u x , Rheinische Frühneuzeitforschung. Traditionen – Stand – Perspektiven, in:
G r o t e n , R u t z (wie Anm. 16), S. 197–231, hier S. 209.
29
Ähnlich hat vor einiger Zeit Jürgen Kocka in einem Impulsreferat zu den Perspektiven der
internationalen Geschichtswissenschaft mit Blick auf das Verhältnis von National- und Globalgeschichte argumentiert: Es gebe methodisch gute Gründe dafür, sich bei historischen Analysen auf
„Phänomene mit begrenzter Erstreckung [...] in ihrer räumlichen und zeitlichen Spezifik“, also
einzelne Staaten oder Nationen, zu konzentrieren. Darüber hinausgehende transnationale Studien
und Vergleiche würden die Forschung erheblich bereichern, die nationale Perspektive aber keineswegs überflüssig machen. Der Vortrag ist als Audiodatei greifbar unter http://www.perspectivia.
net/content/publikationen/sektionen/2011-09-12/impulsreferat, 12.09.2011; vgl. auch Christiane
R e i n e c k e , Tagungsbericht ‚Perspektiven für die internationale Geschichtswissenschaft. Die Deutschen Historischen Institute im Ausland‘, Berlin, 12.09.2011, in: H-Soz-u-Kult, URL: http://www.
hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-3853, 11.10.2011.
30
Vgl. grundlegend Franz I r s i g l e r , Vergleichende Landesgeschichte, in: Carl-Hans H a u p t m e y e r (Hg.), Landesgeschichte heute, Göttingen 1987, S. 35–54; d e r s ., Zu den gemeinsamen
Wurzeln von „histoire régionale comparative“ und „vergleichender Landesgeschichte“ in Frank-
10
Andreas Rutz
Ebenso gebetsmühlenartig wiederholt wird die vermeintliche Tatsache, dass der
landesgeschichtliche Vergleich zu wenig gepflegt würde, die einzelnen Landesgeschichten zu sehr auf ihre jeweilige Region fokussiert blieben31. Es gibt aber
durchaus Beispiele, bei denen eine solche vergleichende Perspektive sehr konsequent angewendet wird – nicht nur auf der Ebene einzelner Monographien und
Aufsätze zu Spezialthemen, sondern auch systematisch im übergreifenden territorialen oder landschaftlichen Vergleich. Als Produkt aus einer Hand ist der
Band von Gerhard Pfeiffer, der in einem souveränen Überblick die politischen,
kirchlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Bayern
und Brandenburg-Preußen von den Anfängen bis in das 20. Jahrhundert miteinander vergleicht, sicherlich eine singuläre Erscheinung32. Praktikabler ist eine
andere Form: So erschien jüngst ein umfangreicherer Sammelband, der die Kulturlandschaften Franken und Südtirol miteinander in Beziehung setzt, indem
jeweils parallel gearbeitete Aufsätze zu zentralen Themenkomplexen wie Identität, Kirche, Nation, Staat, Städtewesen usw. geboten und so Gemeinsamkeiten
und Unterschiede in der Entwicklung zweier räumlich voneinander getrennter
reich und Deutschland, in: Hartmut A t s m a , André B u r g u i è r e (Hg.), Marc Bloch aujourd’hui.
Histoire comparée et sciences sociales (Recherches d‘histoire et de sciences sociales 41), Paris 1990,
S. 73–85. Zum Vergleich als historischer Methode allg. vgl. Heinz-Gerhard H a u p t , Jürgen K o c k a ,
Historischer Vergleich. Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung, in: d i e s . (Hg.), Geschichte
und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt a.M., New York 1996, S. 9–45; Werner D a u m , Günter R i e d e r e r , Harm v o n S e g g e r n , Fallobst und Steinschlag. Einleitende Überlegungen zum historischen Vergleich, in: Helga S c h n a b e l S c h ü l e (Hg.), Vergleichende Perspektiven – Perspektiven des Vergleichs. Studien zur europäischen
Geschichte von der Spätantike bis ins 20. Jahrhundert (Trierer Historische Forschungen 39), Mainz
1998, S. 1–21; Hans S i e g r i s t , Perspektiven der vergleichenden Geschichtswissenschaft. Gesellschaft, Kultur und Raum, in: K a e l b l e , S c h r i e w e r (wie Anm. 7), S. 305–339.
31
Vgl. etwa Karl B o s l , Der deutsche, europäische und globale Sinn einer modernen Regionalgeschichte, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 36 (1977), S. 1–18, hier S. 12f.:
„Auch der Beitrag unserer Landes- und Regionalgeschichte zum allgemeinen deutschen und europäischen Strukturbild ist zu klein, weil man sich zu sehr um sich selbst und seine Details kümmert
und nicht im Vergleich mit anderen Ländern Gesamtstrukturen auf verschiedenen lokalen, regionalen, universalen Niveaus erarbeitet, die Deutschlands jeweilige Position im gesamteuropäischen Rahmen zeigen.“ Vgl. zu dem auf strukturelle Vergleiche zielenden Ansatz Bosls neben dem genannten
Aufsatz auch d e r s ., Bayerische, deutsche und europäische Geschichte. Fragen des Aspektes und der
Interpretation, in: Archiv für Geschichte von Oberfranken 61 (1981), S. 163–177; hierzu auch Maximilian L a n z i n n e r , Patient Landesgeschichte? Neuere Forschungen zur Geschichte (Alt-)Bayerns in
der Frühen Neuzeit, in: Werner B u c h h o l z (Hg.), Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme, Analyse, Perspektiven, Paderborn u.a. 1998, S. 133–144, hier S. 133f.
32
Gerhard P f e i f f e r , Bayern und Brandenburg-Preußen. Ein geschichtlicher Vergleich, München 1988. Der Titel spricht – vermutlich aus verlagstechnischen Gründen – von einem ‚geschichtlichen‘ und nicht von einem ‚landesgeschichtlichen‘ Vergleich. Im Text selbst wird dagegen ganz
selbstverständlich von „Landesgeschichtsschreibung“ (S. 9), dem „Versuch einer vergleichenden
landesgeschichtlichen Betrachtung“ oder dem „landesgeschichtliche[n] Strukturvergleich“ (S. 177)
gesprochen.
Deutsche Landesgeschichte europäisch
11
Regionen herausgearbeitet werden33. Abgesehen von der konsekutiven Lektüre
liefert die Einleitung der Herausgeber Querverbindungen in vergleichender
Perspektive34. Einen noch weiter führenden Ansatz verfolgt das derzeit in Planung befindliche ‚Handbuch Landesgeschichte‘, das von der AG Landesgeschichte im Verband der Historikerinnen und Historiker erarbeitet wird. Zentrale Themen der deutschen Landesgeschichte sollen hier anhand von jeweils
zwei Beispielregionen analysiert werden, wobei die Auswahl der Regionen je
nach Thema unterschiedlich ausfällt und so exemplarische Vergleiche an jeweils
besonders geeigneten Untersuchungsobjekten ermöglicht werden. Den beiden
genannten Projekten gemeinsam ist, dass nicht ein Bearbeiter für unterschiedliche Regionen verantwortlich zeichnet, sondern jeweils ein Experte anhand
eines Fragenkatalogs über seine Kernregion arbeitet. Eine solche Arbeitsteilung
und kollaborative Zusammenarbeit ist mehr als sinnvoll, zumal wenn es sich um
ein systematisch angelegtes Projekt handelt. Denn Landeshistoriker verfügen
zwar häufig über einschlägige Kompetenzen in mehreren Regionen; dass diese
sich aber passgenau in ein größeres, übergreifend geplantes Forschungsprojekt
fügen, dürfte eher Zufall sein35.
Ein kollaborativer Ansatz könnte auch für regional- und landesgeschichtlich
vergleichende Projekte im europäischen Maßstab verwirklicht werden. Aus
Gründen der inhaltlichen Kohärenz und letztlich auch der Chancen einer tatsächlichen Realisierung sollten jedoch nicht Vergleiche auf allen denkbaren Ebenen, sondern einzelne, genau definierte Forschungsprobleme im Mittelpunkt
stehen. Eine Arbeitsteilung im oben genannten Sinne, die jeweils Spezialisten der
betreffenden Regionen zusammenbringt, ist auch deshalb angeraten, weil die
entsprechenden Förderprogramme der Europäischen Union eine solche Zusammenarbeit einfordern36. Das Spektrum der möglichen Themen ist unerschöpflich,
33
Helmut F l a c h e n e c k e r , Hans H e i s s (Hg.), Franken und Südtirol. Zwei Kulturlandschaften
im Vergleich (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 34; Mainfränkische Studien 81), Innsbruck 2013.
34
Helmut F l a c h e n e c k e r , Hans H e i s s , Die Nähe des Fernen. Die Geschichtslandschaften
Franken und Südtirol, in: F l a c h e n e c k e r , H e i s s (wie Anm. 33), S. 9–28.
35
P f e i f f e r (wie Anm. 32), S. 10, begründet die Auswahl seiner beiden Vergleichsregionen
autobiographisch: „Daß mich gerade diese Aufgabe reizte – man hätte Fragen der Komparatistik
etwa auch z.B. für Bayern – Württemberg oder Preußen – Sachsen bzw. Preußen – Österreich aufwerfen können –, beruht auf einer subjektiven Komponente. Ich selbst, gebürtiger Schlesier, ging durch
die Ausbildung am Preußischen Geheimen Staatsarchiv in Berlin in den preußischen staatlichen
Archivdienst, erhielt aber dann als städtischer Archivdirektor in Nürnberg einen Lehrauftrag für
bayerische Kirchengeschichte und schließlich den Lehrstuhl für bayerische und fränkische Landesgeschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg. Schon von meinem Berufsgang her glaube ich daher
Voraussetzungen mitzubringen, die den Versuch eines landesgeschichtlichen Vergleichs zwischen
Bayern und Brandenburg-Preußen erleichtern müßten.“
36
Vgl. in diesem Zusammenhang die Übersicht zu grenzüberschreitenden Projekten der österreichischen Länder und ihrer Nachbarn bei Heinz D o p s c h , Landes- und Regionalgeschichte in
Österreich. Entwicklung – Organisation – Perspektiven, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 147
(2011), S. 7–30, hier S. 22–26. Zur grenzüberschreitenden Kooperation in anderen Regionen vgl. etwa
12
Andreas Rutz
vergleichen lässt sich alles und nichts. Aber was wäre auf der Ebene europäischer Regionen und Landschaften sinnvoll? Die Vergleiche sollten entweder
regionale Unterschiede verdeutlichen und durch Kontrastierung verstehen
helfen, oder sie sollten die regionalen Gemeinsamkeiten aufzeigen und übergreifende Phänomene der Europäischen Geschichte in der jeweiligen Epoche
verdeutlichen. Mitunter dürften beide Aspekte in einem solchen Vergleich aufscheinen – übergreifende Gemeinsamkeiten im großen Ganzen und regionale
Besonderheiten im Detail37.
Kommen wir zu den weiteren Perspektiven, die ich mit den Schlagworten
‚Kontakt‘, ‚Transfer‘ und ‚Verflechtung‘ gekennzeichnet habe. Ein ‚Vergleich‘ ist
prinzipiell auch zwischen Regionen möglich und sinnvoll, die nicht miteinander
im Austausch stehen. In vielen Fällen dürften jedoch – zumindest innerhalb
Europas – zwischen den meisten Regionen Beziehungen unterschiedlichster Art
bestanden haben. Zu nennen wären hier zunächst bloße Kontakte im Bereich von
Politik, Wirtschaft, Kirche, Gesellschaft usw., die in je unterschiedlicher Intensität verlaufen und einzelne Personen, Gruppen, Institutionen oder auch die
Territorien, Provinzen und Länder als solche betreffen können. Wenn solche
Kontakte mit einer gewissen Regelmäßigkeit und mit einer gewissen Intensität
gepflegt werden, ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass es zu kulturellen
Transfers kommt, also zu Austauschprozessen zwischen den betreffenden
Regionen bzw. Kulturräumen und kulturellen Systemen38. Bei diesen Austauschprozessen handelt es sich „um Vorgänge der interkulturellen Übertragung und
Vermittlung von Texten, Diskursen, Medien und kulturellen Praktiken, die
durch je spezifische Muster der Selektion, Mediation und Rezeption gesteuert
Wolfgang N e u g e b a u e r , Brandenburg-preußische Geschichte nach der deutschen Einheit. Voraussetzungen und Aufgaben, in: B u c h h o l z (wie Anm. 31), S. 179–212, hier S. 210–212; Hans-Walter
H e r r m a n n , Kooperierende landesgeschichtliche Forschung im internationalen Schnittpunkt: Saarland – Lothringen – Luxemburg, in: ebd., S. 383–397.
37
Dies gegen Michel E s p a g n e , Sur les limites du comparatisme en histoire culturelle, in: Genèses 17 (1994), S. 112–121, der Vergleiche aufgrund der ihnen angeblich inhärenten Verabsolutierung von Unterschieden und Gegensätzen ablehnt.
38
Vgl. mit der älteren Literatur Matthias M i d d e l l , Kulturtransfer und Historische Komparatistik. Thesen zu ihrem Verhältnis, in: Comparativ. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung 10 (2000), Heft 1, S. 7–41; d e r s ., Von der Wechselseitigkeit der
Kulturen im Austausch. Das Konzept des Kulturtransfers in verschiedenen Forschungskontexten, in:
Andrea L a n g e r , Georg M i c h e l s (Hg.), Metropolen und Kulturtransfer im 15./16. Jahrhundert.
Prag – Krakau – Danzig – Wien (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa
12), Stuttgart 2001, S. 15–51; sowie als jüngste Zusammenfassung der Methodendiskussion Wolfgang S c h m a l e , Kulturtransfer, in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Leibniz-Institut
für Europäische Geschichte Mainz, URL: http://ieg-ego.eu/de/threads/theorien-und-methoden/
kulturtransfer/wolfgang-schmale-kulturtransfer, 31.10.2012.
Deutsche Landesgeschichte europäisch
13
werden“39. Es geht also nicht um den materiellen Austausch von Personen und
Gütern, sondern um einen Transfer von Wissen, Denkrahmen und Handlungsweisen. Diese werden kulturell übersetzt, angeeignet, anverwandelt und dabei
mit Bestehendem vermischt und verknüpft. Der aktive Rezeptionsvorgang ist
für kulturelle Transfers also entscheidend40. In der postkolonialen Theoriebildung, die sich im globalen Maßstab mit solchen Prozessen beschäftigt, finden
sich dafür Begriffe wie ‚kultureller Synkretismus‘, ‚Kreolisierung‘ oder ‚Hybridisierung‘41.
Mit dem letzten zu diskutierenden Schlagwort, dem der ‚Verflechtung‘,
möchte ich Beziehungen zwischen Regionen kennzeichnen, die gleichfalls
Kulturtransfers ermöglichen, aber in struktureller Hinsicht aufgrund ihres Institutionalisierungsgrades eine andere Dimension erreichen. Methodisch liegen
diesbezüglich verschiedene Konzepte wie ‚histoire croisée‘ und ‚shared‘ oder
‚connected history‘ vor, die in unterschiedlichen Akzentuierungen historische
Verflechtungsprozesse in den Blick nehmen42. Institutionalisierte Verflechtungen
zwischen Regionen sehe ich zum einen gegeben durch die Einbindung unterschiedlicher Regionen in übergeordnete Systeme, etwa politische und kirchliche
Strukturen, internationale Vertragswerke oder wirtschaftliche Interessengemeinschaften. Zum anderen sind es Organisationsformen wie Dynastien und
39
Lutz M u s n e r , Kultur als Transfer. Ein regulationstheoretischer Zugang am Beispiel der
Architektur, in: Helga M i t t e r b a u e r u.a. (Hg.), Ent-grenzte Räume. Kulturelle Transfers um 1900
und in der Gegenwart, Wien 2005, S. 173–193, hier S. 173; vgl. S c h m a l e , Kulturtransfer (wie Anm.
38), Abs. 12.
40
Diesbezügliche Forschungen liegen mittlerweile in großer Vielfalt vor, vgl. nur Wolfgang
S c h m a l e (Hg.), Kulturtransfer. Kulturelle Praxis im 16. Jahrhundert (Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit 2), Innsbruck u.a. 2003; Michael N o r t h (Hg.), Kultureller Austausch. Bilanz
und Perspektiven der Frühneuzeitforschung, Köln, Weimar, Wien 2009.
41
Zur Anwendung entsprechender Konzepte in der Geschichtswissenschaft vgl. etwa Michael
B o r g o l t e , Bernd S c h n e i d m ü l l e r (Hg.), Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa (Europa
im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik 16), Berlin 2010; zum
methodischen Hintergrund vgl. den nützlichen Überblick von Florian H a r t m a n n , Kerstin R a h n ,
Kulturtransfer – Akkulturation – Kulturvergleich. Reflexionen über hybride Konzepte, in: Quellen
und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 90 (2010), S. 470–492.
42
Als jüngeres Resümee vgl. Michael W e r n e r , Bénédicte Z i m m e r m a n n , Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in:
Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 607–636; außerdem Agnes A r n d t , Joachim C. H ä b e r l e n ,
Christiane R e i n e c k e (Hg.), Vergleichen, verflechten, verwirren? Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, Göttingen 2011.
14
Andreas Rutz
(Adels-)Familien43, Handelshäuser und Wirtschaftsbetriebe44, religiöse Orden45
oder Vereine46, die in mehreren Regionen ansässig und tätig sind, institutionelle
Beziehungen pflegen und so zur Verflechtung der Regionen beitragen.
Die drei Begriffe Kontakt, Transfer und Verflechtung deuten eine Skala der
möglichen Beziehungen zwischen Regionen an, wobei freilich nicht nur die
Übergänge fließend sind, sondern Kontakt, Transfer und Verflechtung zwischen
Regionen auch parallel auftreten können. Denn es ist ja durchaus vorstellbar,
dass zwei Regionen etwa im politischen Bereich Kontakte pflegen, sich zwischen
ihnen in wirtschaftlicher Hinsicht Verflechtungen ergeben und sich hieraus kulturelle Transfers entwickeln. Die bayerische Landesgeschichte hat in den letzten
Jahren mit einer fast schon systematisch anmutenden Konsequenz solche vielfältigen Beziehungsgeschichten behandelt und dabei nicht nur europäische, sondern auch überseeische Vergleichsregionen einbezogen, zu nennen wären etwa
43
Vgl. u.a. Dorothea N o l d e , Claudia O p i t z (Hg.), Grenzüberschreitende Familienbeziehungen. Akteure und Medien des Kulturtransfers in der Frühen Neuzeit, Köln, Weimar, Wien 2008; Eva
L a b o u v i e (Hg.), Adel an der Grenze. Höfische Kultur und Lebenswelt im SaarLorLux-Raum (1697–
1815) (Echolot. Historische Beiträge des Landesarchivs Saarbrücken 7), Saarbrücken 2009; Maarten
v a n D r i e l , Meinhard P o h l , Bernd W a l t e r (Hg.), Adel verbindet – Adel verbindt. Elitenbildung
und Standeskultur in Nordwestdeutschland und den Niederlanden vom 15. bis 20. Jahrhundert (Forschungen zur Regionalgeschichte 64), Paderborn u.a. 2010; Robert G r a m s c h , Politische als soziale
Grenzen. ‚Nationale’ und ‚transnationale’ Heiratsnetze des deutschen Hochadels im Hochmittelalter,
in: Nils B o c k , Georg J o s t k l e i g r e w e , Bastian W a l t e r (Hg.), Faktum und Konstrukt. Politische
Grenzziehungen im Mittelalter. Verdichtung – Symbolisierung – Reflexion (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 35), Münster 2011, S. 27–42; Andreas R ü t h e r , Grenzenlos. Die Machtträger Dänemarks, Schleswigs und Holsteins im Spätmittelalter als Diener zweier
Herren, in: ebd., S. 73–88.
44
Vgl. u.a. Stefan E h r e n p r e i s , Protestantische Kaufleute als Grenzgänger zwischen dem
Rheinland und den Niederlanden im 16. und 17. Jahrhundert, in: Christine R o l l , Frank P o h l e ,
Matthias M y r c z e k (Hg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung (Frühneuzeit-Impulse 1), Köln, Weimar, Wien 2010, S. 223–235; Mark H ä b e r l e i n ,
Magdalene B a y r e u t h e r , Agent und Ambassador. Der Kaufmann Anton Meuting als Vermittler
zwischen Bayern und Spanien im Zeitalter Philipps II. (Documenta Augustana 23), Augsburg 2013.
45
Vgl. u.a. István György T ó t h , Missionaries as cultural intermediaries in religious borderlands. Habsburg Hungary and Ottoman Hungary in the seventeenth century, in: Heinz S c h i l l i n g ,
István György T ó t h (Hg.), Religion and cultural exchange in Europe 1400–1700 (Cultural exchange
in early modern Europe 1), Cambridge u.a. 2006, S. 88–108; Frank P o h l e , Kloster – Territorium –
Ordensprovinz. Zur Mobilität von Ordensleuten im Rhein-Maas-Raum im 17. und 18. Jahrhundert,
in: R o l l , P o h l e , M y r c z e k (wie Anm. 44), S. 247–260. Als Beispiel für die Institutionalisierung
grenzüberschreitender Forschung vgl. Jozef M e r t e n s , Udo A r n o l d , 25 Jahre ,Historische Studiecentrum’ Alden Biesen. Grenzübergreifende Deutschordensforschung in Belgien, in: RhVjbll 77
(2013), S. 230–265.
46
Gabriele B. C l e m e n s , Sanctus amor patriae. Eine vergleichende Studie zu deutschen und
italienischen Geschichtsvereinen im 19. Jahrhundert (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts
in Rom 106), Tübingen 2004, insb. S. 184–205.
Deutsche Landesgeschichte europäisch
15
Kolloquien und Ausstellungen zu Bayern und Italien47, Bayern und Rom48,
Bayern und Russland49, Bayern und Böhmen bzw. Tschechien50, Bayern und
China51 sowie Bayern und Lateinamerika52. Entsprechende Projekte sind gelegentlich auch für andere deutsche Regionen bzw. Territorien realisiert worden,
etwa für Schwaben und Italien53, den mitteldeutschen Raum und die Niederlande54 wie überhaupt den deutsch-niederländischen Kulturtransfer55 oder
jüngst Kurhannover und England56. Auch Städte bieten sich für entsprechende
Untersuchungen an, wobei insbesondere die Reichs- und späteren Großstädte
aufgrund ihrer zentralörtlichen Funktionen in vielfältigen Austauschbeziehun-
47
Heinz D o p s c h , Stephan F r e u n d , Alois S c h m i d (Hg.), Bayern und Italien. Politik, Kultur,
Kommunikation (8.–15. Jahrhundert). Festschrift für Kurt Reindel zum 75. Geburtstag (Zeitschrift für
bayerische Landesgeschichte. Beiheft 18), München 2001; Hans-Michael K ö r n e r , Florian S c h u l l e r
(Hg.), Bayern und Italien. Kontinuität und Wandel ihrer traditionellen Bindungen, Lindenberg im
Allgäu 2010; Rainhard R i e p e r t i n g e r u.a. (Hg.), Bayern – Italien (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 58), München 2010; Alois S c h m i d (Hg.), Von Bayern nach Italien.
Transalpiner Transfer in der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte. Beiheft
38), München 2010.
48
Iris v o n D o r n , Tagungsbericht ‚Bayerische Römer – Römische Bayern. Lebensgeschichten
aus Vor- und Frühmoderne‘, Rom, 27.–29.11.2014, in: H-Soz-u-Kult, URL: http://www.hsozkult.de/
conferencereport/id/tagungsberichte-5856, 06.03.2015.
49
Alois S c h m i d (Hg.), Bayern und Russland in vormoderner Zeit. Annäherungen bis in die
Zeit Peters des Großen (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte. Beiheft 42), München 2012.
50
‚Tschechien und Bayern. Gegenüberstellungen und Vergleiche‘. Tagung des Collegium Carolinum München und des Historischen Instituts der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in
Prag, gemeinsam mit dem Haus der Bayerischen Geschichte in Augsburg und der Landeszentrale für
politische Bildungsarbeit in München, Prag, 03.06.–06.06.2015; vgl. die Ankündigung bei H-Soz-uKult, URL: http://www.hsozkult.de/hfn/event/id/termine-26582, 30.11.2014.
51
Peter Claus H a r t m a n n , Alois S c h m i d (Hg.), Bayerisch-chinesische Beziehungen in der
Frühen Neuzeit (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte. Beiheft 34), München 2008; Renate
E i k e l m a n n (Hg.), Die Wittelsbacher und das Reich der Mitte. 400 Jahre China und Bayern, München 2009.
52
Peter Claus H a r t m a n n , Alois S c h m i d (Hg.), Bayern in Lateinamerika. Transatlantische
Verbindungen und interkultureller Austausch (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte. Beiheft
40), München 2011.
53
Helmut M a u r e r , Hansmartin S c h w a r z m a i e r , Thomas Z o t z (Hg.), Schwaben und Italien
im Hochmittelalter (Vorträge und Forschungen 52), Stuttgart 2001; Wolfgang W ü s t , Peter F a s s l ,
Rainhard R i e p e r t i n g e r (Hg.), Schwaben und Italien. Zwei europäische Kulturlandschaften zwischen Antike und Moderne (Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 102), Augsburg 2010.
54
Erdmut J o s t , Holger Z a u n s t ö c k (Hg.), Goldenes Zeitalter und Jahrhundert der Aufklärung. Kulturtransfer zwischen den Niederlanden und dem mitteldeutschen Raum im 17. und 18.
Jahrhundert, Halle 2012.
55
Horst L a d e m a c h e r (Hg.), Onder den Oranje boom. Niederländische Kunst und Kultur im
17. und 18. Jahrhundert an deutschen Fürstenhöfen, 2 Bde., München 1999.
56
Katja L e m b k e (Hg.), Als die Royals aus Hannover kamen. Hannovers Herrscher auf Englands Thron 1714–1837, Dresden 2014.
16
Andreas Rutz
gen im europäischen und globalen Rahmen zu analysieren sind57. Immer wieder
thematisiert werden in diesen Zusammenhängen kunsthistorische Transferprozesse als vielleicht augenfälligste Merkmale des kulturellen Austausches in
Europa58.
Auffällig ist, dass bei diesen Beziehungsgeschichten häufig ein Reichsstand
bzw. eine Region des Reiches oder Deutschlands mit einem (späteren) europäischen Nationalstaat verglichen wird, was nicht nur eine Frage der Titelei ist.
Vielmehr spiegeln sich hierin spezifisch deutsche Wahrnehmungsmuster – etwa
‚Italien‘ als kulturelle Einheit und deutscher Sehnsuchtsort. Eine Rolle dürfte
dabei aber auch die engere Einbindung mancher Landes- und Regionalgeschichten in einen übergeordneten, nationalen Rahmen spielen – etwa in Frankreich
mit seiner stark auf die Zentrale orientierten Historiographie, die auch in vielen
regionalspezifischen Studien den Fokus bildet59. Hier wäre sicherlich noch tiefer
zu bohren und neben die Bezugspunkte im nationalen Maßstab auch die regionale Ebene zu setzen, um gezielt die entsprechenden Beziehungsgeflechte herauszuarbeiten. Beispiele hierfür liegen für die vielfältigen Austauschprozesse
mit Venedig60 oder auch für Beziehungen zwischen einzelnen Territorien des
(ehemaligen) Reiches vor61. Für die neueste Geschichte hinzuweisen ist in diesem
57
Joachim D e e t e r s , Klaus M i l i t z e r (Hg.), Belgien in Köln, Köln 1981; Volker K a p p , FrankRutger H a u s m a n n (Hg.), Nürnberg und Italien. Begegnungen, Einflüsse und Ideen (Erlanger
romanistische Dokumente und Arbeiten 6), Tübingen 1991; Joseph P. H u f f m a n , Family, commerce
and religion in London and Cologne. Anglo-German emigrants, c. 1000–c. 1300 (Cambridge studies
in medieval life and thought 4/39), Cambridge u.a. 1998; vgl. jetzt auch in globalhistorischer Perspektive Philipp G a s s e r t u . a . (Hg.), Augsburg und Amerika. Aneignungen und globale Verflechtungen in einer Stadt (Documenta Augustana 24), Augsburg 2013.
58
Über Einzelbeiträge in den genannten Sammelbänden hinaus vgl. auch Volkmar B i l l i g u.a.
(Hg.), Bilder-Wechsel. Sächsisch-russischer Kulturtransfer im Zeitalter der Aufklärung, Köln, Weimar, Wien 2009; Eva-Bettina K r e m s , Die Wittelsbacher und Europa. Kulturtransfer am frühneuzeitlichen Hof (Studien zur Kunst 25), Wien, Köln, Weimar 2012, betr. Bayern und Frankreich und
mit gelegentlichen Verweisen auf die ‚rheinischen‘ Wittelsbacher; vgl. auch die methodischen Überlegungen zur kunsthistorischen Adaption des Forschungskonzepts ‚Kulturtransfer‘ ebd., S. 35–37;
außerdem für die jüngere Zeit Dieter B r e u e r , Gertrude C e p l - K a u f m a n n (Hg.), Das Rheinland
und die europäische Moderne. Kulturelle Austauschprozesse in Westeuropa 1900–1950, Essen 2008.
59
Vgl. nur den Hinweis von H a r t m a n n , Landes- und Regionalgeschichte (wie Anm. 6), S. 280:
„Diese Regionalmonographien über die Normandie, Bretagne, Provence, das Languedoc, das
Limousin etc. bilden dann Mosaiksteine für die Geschichte der Gesellschaft, Demographie, Wirtschaft, Statistik und Mentalité ganz Frankreichs.“ Den Eindruck einer, bei aller regionalen Identitätspflege und methodischen Bedeutung der Annales-Schule, stark auf den Gesamtstaat bezogenen
Regionalforschung vermittelt auch Christine L e b e a u , Was heißt Landesgeschichte in Frankreich?,
in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 147 (2011), S. 103–113.
60
Bernd R o e c k , Klaus B e r g d o l t , Andrew John M a r t i n (Hg.), Venedig und Oberdeutschland in der Renaissance. Beziehungen zwischen Kunst und Wirtschaft (Studi. Schriftenreihe des Studienzentrums in Venedig 9), Sigmaringen 1993; Carolin W i r t z , Köln und Venedig. Wirtschaftliche
und kulturelle Beziehungen im 15. und 16. Jahrhundert (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte
57), Köln, Weimar, Wien 2006.
61
Vgl. in jüngerer Zeit Frank G ö s e u.a. (Hg.), Preußen und Sachsen. Szenen einer Nachbarschaft, Dresden 2014; Frank-Lothar K r o l l , Miloš ¤ e z n í k , Martin M u n k e (Hg.), Sachsen und
Böhmen. Perspektiven ihrer historischen Verflechtung (Chemnitzer Europastudien 16), Berlin 2014.
Deutsche Landesgeschichte europäisch
17
Zusammenhang auf die methodisch wegweisende Studie von Manfred Kittel
zum politischen Denken in Deutschland und Frankreich zwischen 1918 und 1936
anhand der Region Westmittelfranken und dem französischen Departement
Corrèze62.
Ein besonderer Fokus der Forschung muss bei der Untersuchung solcher europäischen Kontakte, Transfers und Verflechtungen zwischen Regionen auf den
Orten, Akteuren und Medien dieser Beziehungen liegen63. Wo finden Kontakte,
Transfers und Verflechtungen statt? In der Vormoderne erfolgen sie an Höfen
und in Städten64, auf Versammlungen wie Reichstagen, Friedenskongressen und
Konzilien65, in Klöstern und Kirchen, an Universitäten und Schulen66, an Grenzen67 und auf Schlachtfeldern68 sowie nicht zuletzt auf Reisen69. Diese Orte müs62
Manfred K i t t e l , Provinz zwischen Reich und Republik. Politische Mentalitäten in Deutschland und Frankreich 1918–1933/36 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 47), München
2000. Dass im Titel von Monographien ein konkreter Hinweis auf die behandelten Regionen fehlt,
ist nicht unüblich. Teilweise lässt der Titel nicht einmal vermuten, dass Landesgeschichte in den betreffenden Studien überhaupt eine Rolle spielt, vgl. etwa S c h m a l e , Archäologie (wie Anm. 8), betr.
Burgund und Sachsen.
63
Bei diesen Stichworten ist noch einmal auf P a u l m a n n (wie Anm. 4) und den von ihm genutzten methodischen Ansatz der ‚Translokalität‘ zu verweisen. Vgl. außerdem zu diesen kulturgeschichtlich inspirierten Fragehorizonten u.a. Silvia Serena T s c h o p p , Wolfgang E.J. W e b e r ,
Grundfragen der Kulturgeschichte (Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2007; Doris B a c h m a n n - M e d i c k , Cultural turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei
Hamburg 32009; Jan K u s b e r u.a. (Hg.), Historische Kulturwissenschaften. Positionen, Praktiken
und Perspektiven (Mainzer Historische Kulturwissenschaften 1), Bielefeld 2010.
64
Werner P a r a v i c i n i (Hg.), Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch (Residenzenforschung 15), 4 Bde., Ostfildern 2003/05; Wolfgang
A d a m , Siegrid W e s t p h a l (Hg.), Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit. Städte und
Residenzen im alten deutschen Sprachraum, 3 Bde., Berlin 2012.
65
Michael R o h r s c h n e i d e r , Arno S t r o h m e y e r (Hg.), Wahrnehmungen des Fremden. Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert (Schriftenreihe der Vereinigung zur
Erforschung der neueren Geschichte 31), Münster 2007.
66
Matthias A s c h e , Peregrinatio academica in Europa im Konfessionellen Zeitalter. Bestandsaufnahme eines unübersichtlichen Forschungsfeldes und Versuch einer Interpretation unter migrationsgeschichtlichen Aspekten, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 6 (2005), S. 3–33; d e r s . , Bildungslandschaften im Reich der Frühen Neuzeit. Überlegungen zum landsmannschaftlichen Prinzip
an deutschen Universitäten in der Vormoderne, in: Daniela S i e b e (Hg.), „Orte der Gelahrtheit“.
Personen, Prozesse und Reformen an protestantischen Universitäten des Alten Reiches (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 66), Stuttgart 2008, S. 1–44.
67
Andreas R u t z , Grenzüberschreitungen im deutsch-niederländisch-französischen Grenzraum, in: R o l l , P o h l e , M y r c z e k (wie Anm. 44), S. 217–222.
68
Thomas B r o c k , Arne H o m a n n , Schlachtfeldarchäologie. Auf den Spuren des Krieges
(= Archäologie in Deutschland 27 [2011], Sonderheft 2); Mark R e i c h e l , Inger S c h u b e r t h (Hg.),
Leben und Sterben auf dem Schlachtfeld von Lützen, Lützen, Göteborg 2011.
69
Vgl. allg. Axel G o t t h a r d , In die Ferne. Die Wahrnehmung des Raums in der Vormoderne,
Frankfurt a. M., New York 2007; sowie als ein Beispiel für den Reisebericht eines rheinischen Adligen
Hans J. D o m s t a (Hg.), Die Reise des Philipp von Merode nach Italien und Malta 1586–1588. Das
18
Andreas Rutz
sen freilich nicht zwangsläufig in der Region selbst, sondern können auch
anderswo in Europa liegen. An ihnen treffen sich die Akteure aus der einen mit
denen anderer Regionen, seien es Fürsten, Adel und Diplomaten, Bischöfe,
Ordensleute und Pfarrer, Magistrate, Bürger und Stadtbewohner, Gelehrte,
Schüler und Studenten, Kaufleute, Juden, fahrendes Volk oder Soldaten. Für die
Moderne wären weitere Akteure und Kristallisationspunkte des Europakontakts
zu nennen70. Ein zentrales Thema in diesem Zusammenhang sind Sprachen und
Fremdsprachenkenntnisse als Grundlage der für Kontakte jeglicher Art notwendigen Kommunikation. Auch hier gilt es, die spezifischen regionalen Bedingungen des Sprachkontakts und der Übersetzungsleistungen zu berücksichtigen71.
Neben der unmittelbaren Kommunikation an den betreffenden Orten, die gegebenenfalls Spuren in Akten und Selbstzeugnissen hinterlassen hat, sind schließlich die Medien des Austauschs einzubeziehen, die gleichsam einen virtuellen
Ort des Kontakts schaffen, etwa Briefe, Bücher, Flugschriften oder Zeitungen72.
Auf dieser vielfältigen Grundlage wären Wahrnehmungen und Erfahrungen des
Kulturkontakts zwischen den Regionen Europas zu analysieren.
Was sind nun also die Grenzen, Herausforderungen und Chancen einer deutschen Landesgeschichte in europäischen Bezügen? Grenzen sind gegeben durch
den eigenen Zuständigkeitsbereich, die eigene Landesgeschichte, die Kern aller
Bemühungen bleiben muss73. Von hier aus lassen sich europäische Perspektiven
Tagebuch (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 12; Beiträge zur Geschichte des
Dürener Landes 28), Münster u.a. 2007.
70
Vgl. jüngst nur die vielfältigen Hinweise bei Karl S c h l ö g e l , Grenzland Europa. Unterwegs
auf einem neuen Kontinent, München 2013.
71
Vgl. als beispielhafte Studien in jüngerer Zeit Helmut G l ü c k , Mark H ä b e r l e i n , Konrad
S c h r ö d e r , Mehrsprachigkeit in der Frühen Neuzeit. Die Reichsstädte Augsburg und Nürnberg
vom 15. bis ins frühe 19. Jahrhundert (Fremdsprachen in Geschichte und Gegenwart 10), Wiesbaden 2013; Claudie P a y e , „Der französischen Sprache mächtig“. Kommunikation im Spannungsfeld
von Sprachen und Kulturen im Königreich Westphalen 1807–1813 (Pariser Historische Studien 100),
München 2013. Vgl. auch die grundlegenden allgemeinen Werke von Helmut G l ü c k , Die Fremdsprache Deutsch im Zeitalter der Aufklärung, der Klassik und der Romantik. Grundzüge der deutschen Sprachgeschichte in Europa (Fremdsprachen in Geschichte und Gegenwart 12), Wiesbaden
2013; Walter K u h f u ß , Eine Kulturgeschichte des Französischunterrichts in der frühen Neuzeit.
Französischlernen am Fürstenhof, auf dem Marktplatz und in der Schule in Deutschland, Göttingen
2014.
72
Vgl. u.a. Georg M ö l i c h , Gerd S c h w e r h o f f (Hg.), Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche
4), Köln 2000; Hermann M a u é u.a. (Hg.), Quasi Centrum Europae. Europa kauft in Nürnberg 1400–
1800, Nürnberg 2002; sowie allg. Andreas W ü r g l e r , Medien in der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie
deutscher Geschichte 85), München 22013.
73
Vgl. hierzu auch D o p s c h , Landes- und Regionalgeschichte (wie Anm. 36), S. 30: „Dieser
Reichtum an Chancen [durch jüngere Forschungsstrategien und -methoden, u.a. die europäische
Perspektive] sollte nicht dazu führen, dass die traditionelle Landesgeschichte den Boden unter den
Füßen verliert und sich von ihrer eigentlichen Basis löst. Der Landeshistoriker wird auch in Zukunft
mit einem Spagat zwischen der Möglichkeit zu großartigen neuen Forschungen und zur dringend
erforderlichen Kärrnerarbeit vor Ort konfrontiert sein.“
Deutsche Landesgeschichte europäisch
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entwickeln, werden Kontakt, Transfer und Verflechtung untersucht und Partner
für überregionale und europäische Forschungskooperationen gefunden. Herausforderungen liegen einerseits in der konsequenten Europäisierung des eigenen,
landesgeschichtlich konzentrierten Blicks, also der gezielten Suche nach Beziehungen zu anderen europäischen Regionen und das Mitdenken des Europabezugs bei allen Forschungsaktivitäten. Andererseits stellt die Konzeption von
Forschungsprojekten im europäischen Rahmen eine Herausforderung für die
Landesgeschichte dar, die es gewohnt ist, auf regionaler Ebene mit den entsprechenden Partnern vor Ort Projekte zu realisieren, und sich nun auf einem neuen
Feld – auch gegen vielfältige Konkurrenz – bewähren muss. Als Chancen sind
nicht nur die Gewinnung neuer Förderer zu nennen, sondern vor allem neue
Einsichten und inhaltliche Impulse – sowohl was die Landesgeschichte als auch
was die Europäische Geschichte betrifft. Denn wie die Mediävistik lange Zeit
entscheidend von der landesgeschichtlichen Perspektive geprägt wurde74, kann
auch die Europäische Geschichte von einer nunmehr europäisch vergleichenden
Landesgeschichte profitieren – zumindest wenn sie die Vielfalt unseres Kontinents und seiner Regionen ernst nimmt75. Hier dürfte denn auch der Schlüssel
dazu liegen, dass in Politik und Gesellschaft das Bewusstsein für die Relevanz
der Landesgeschichte gestärkt wird, was – wie schon eingangs erwähnt – nicht
der schlechteste Antrieb für wissenschaftliche Innovation ist.
74
Matthias W e r n e r , Zwischen politischer Begrenzung und methodischer Offenheit. Wege
und Stationen deutscher Landesgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert, in: Peter M o r a w , Rudolf
S c h i e f f e r (Hg.), Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert (Vorträge und Forschungen
62), Ostfildern 2005, S. 251–364; d e r s ., Die deutsche Landesgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert.
Aufbrüche, Umbrüche, Perspektiven, in: G r o t e n , R u t z (wie Anm. 16), S. 157–178.
75
Vgl. Michael B o r g o l t e , Über europäische und globale Geschichte des Mittelalters. Historiographie im Zeichen kognitiver Entgrenzung, in: Klaus R i d d e r , Steffen P a t z o l d (Hg.), Die Aktualität der Vormoderne. Epochenentwürfe zwischen Alterität und Kontinuität (Europa im Mittelalter.
Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik 23), Berlin 2013, S. 47–65, hier S. 60f. Eine
entsprechende Bedeutung haben regional- und lokalhistorische Forschungen auch für die Globalgeschichte, ebd., S. 61f.; vgl. außerdem jüngst den Themenschwerpunkt ,Lokalität und transnationale
Verflechtungen’, in: Historische Anthropologie 21 (2013), Heft 1. Auch die Hansegeschichte konzentriert sich mittlerweile wieder stärker auf regionalgeschichtliche Zusammenhänge, vgl. Oliver
A u g e , Hansegeschichte als Regionalgeschichte? Zur Diskussion um ein gar nicht so neues Forschungsdesign, in: Michael H u n d t , Jan L o k e r s (Hg.), Hanse und Stadt. Akteure, Strukturen und
Entwicklungen im regionalen und europäischen Raum. Festschrift für Rolf Hammel-Kiesow zum
65. Geburtstag (Einzelveröffentlichung des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde), Lübeck 2014, S. 3–14; außerdem in multidisziplinärer Perspektive Oliver A u g e (Hg.), Hansegeschichte als Regionalgeschichte. Beiträge einer internationalen und interdisziplinären Winterschule
in Greifswald (Kieler Werkstücke A/37), Frankfurt a.M. u.a. 2014.