Zeitschrift der Deutschen
Morgenländischen Gesellschaft
Im Auftrag der Gesellschaft herausgegeben von
Florian C. Reiter
unter Mitwirkung von
Christian Bauer, Desmond Durkin-Meisterernst, Lutz Edzard,
Patrick Franke, Jürgen Hanneder, Herrmann Jungraithmayr,
Karénina Kollmar-Paulenz, Jens Peter Laut,
Joachim Friedrich Quack und Michael Streck
Band 166
2016
Harrassowitz Verlag
Claus Vogel (1933–2012)
Von Jürgen Hanneder und Roland Steiner, Marburg/Halle
Am 16. August 2012 verstarb Prof. Dr. phil. Claus Vogel in Saarbrücken
im Alter von 79 Jahren. Er war ordentliches Mitglied der NordrheinWestfälischen Akademie der Wissenschaften, gewählter Fellow der Royal
Asiatic Society, London, Vorstandsvorsitzender der Helmuth von GlasenappStiftung, aber auch seit mehr als einem halben Jahrhundert Mitglied der
DMG.
Claus Vogel (geboren am 6. Juli 1933 in Saarbrücken) wuchs in Essen
auf, zum Teil unter schwierigen Nachkriegsbedingungen. Die beiden letzten Kriegsjahre verbrachte er im Rahmen der sogenannten Kinderlandverschickung in Tschechien, und es dauerte Monate, bis er nach Kriegsende auf
sich alleine gestellt seine Eltern wiederfand. Nach dem Abitur 1952 bezog er
dann die Philipps-Universität Marburg und studierte Klassische Philologie,
Philosophie, Indologie und Tibetologie. Er promovierte 1956 in Gräzistik
bei Friedrich Müller über die Entstehung der hippokratischen Viersäftelehre (Fächer: Griechisch, Latein und Sanskrit), legte im selben Jahr das
Staatsexamen in den Fächern Griechisch, Latein und Philosophie ab und
war zugleich von 1955–1957 als Hilfskraft am Indisch-Ostasiatischen Seminar der Philipps-Universität Marburg bei Johannes Nobel tätig. Ein
Stipendium der indischen Regierung ermöglichte ihm im Anschluß einen
zweijährigen Forschungsaufenthalt am Deccan College in Pune. Nach seiner
Rückkehr wurde er Assistent bei Wilhelm Rau, der Nobel auf den Marburger Lehrstuhl nachgefolgt war. Dort habilitierte er sich 1964 mit einer
indo-tibetologischen Studie zum Āyurveda und wirkte zunächst als Privatdozent, dann als außerplanmäßiger und ab 1971 als planmäßiger Professor
in Marburg, bis er im Jahre 1976 auf die ordentliche Professur für Indologie an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität nach Bonn berufen
wurde und dort mit seiner Ausrichtung den von seinem Vorgänger FrankRichard Hamm in Bonn begründeten indo-tibetologischen Schwerpunkt
mitprägte. Als Direktor des Indologischen Seminars wurde er zugleich
auch 2. Sprecher des Sonderforschungsbereichs 12 „Zentralasien“. In den
Jahren 1971–1989 wirkte Vogel zusätzlich als Lehrbeauftragter, ab 1989
als Honorarprofessor für Tibetische Sprache und Literatur am Institut für
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Jürgen Hanneder und Roland Steiner
Indologie und Buddhismuskunde der Georg-August-Universität Göttingen.
Die dortigen Lehrveranstaltungen führte er nach seiner Emeritierung im
Jahr 1998 bis ins Jahr 2002 weiter.
Die wissenschaftliche Tätigkeit Claus Vogels1 beginnt mit Arbeiten
zur Medizingeschichte. Vogel hatte in der klassischen Philologie über die
Entstehung der hippokratischen Viersäftelehre2 promoviert und in der Folge
unter anderem über indische (einschließlich tibetischer) Medizin, Erotologie und indische und tibetische Chronologie gearbeitet. Seine Habilitationsschrift von 1964 war dann wieder im Bereich der indischen Medizin
angesiedelt. Sie erschien im folgenden Jahr in den AKM3 und wurde, da
sie die Technik der tibetischen Übersetzer sowie die kanonische tibetische
Überlieferung (Tanjur) behandelte, zugleich zu einem indo-tibetologischen
Standardwerk.
Die Untersuchung buddhistischer, ins Tibetische übersetzter Sanskritwerke blieb auch in der Folge ein Schwerpunkt seiner Forschungen, wozu
er gegebenenfalls auch chinesische Parallelversionen mit heranzog. So gab
er zusammen mit Klaus Wille bis dahin unidentifizierte Sanskrit-Fragmente aus dem Pravrajyāvastu-Abschnitt des nahe Gilgit gefundenen Vinayavastu-Manuskripts heraus. Daneben galt Vogels Interesse auch autochthonen tibetischen Texten wie der Biographie des indischen Tantrikers
Nāropa (11. Jh.) oder dem „Königsspiegel“ (rGyal-rabs gsal-ba’i me-loṅ) des
bSod-nams rgyal-mtshan (1328), dessen 10. Kapitel er edierte und übersetzte.
Ferner widmete sich Vogel lexikalischen Studien zum Pali, dem SanskritKāvya und der indischen Poetik. Ein weiteres Augenmerk Vogels galt der
indologischen Fachgeschichte, und zwar vor allem den Anfängen der Sanskritkunde in Europa und hier wiederum insbesondere den Sanskrit-Studien
des Jesuitenmissionars Heinrich Roth (1620–1668).
Unter den vielen Veröffentlichungen stechen vielleicht zwei Bereiche
heraus, in welchen Vogel als internationaler Fachmann große Anerkennung genoß. Es waren dies die indische Kalenderrechnung und die einheimische indische Lexikographie. Seit der Erstveröffentlichung seines Indian
1 Den Stand der Publikationen und eine Liste der unter Vogels Ägide verfaßten Dissertationen bis zum Jahr 2007 gibt P. Wyzlic: „Publications of Claus Vogel.“ In: D. Dimitrov / M. Hahn / R. Steiner (Hrsg.): Bauddhasāhityastabakāvalı .̄ Essays and Studies
on Buddhist Sanskrit Literature. Dedicated to Claus Vogel by Colleagues, Students, and
Friends. Marburg 2008 (Indica et Tibetica 36), S. xi–xxvi.
2 Marburg 1956.
3 Vāgbhaṭa’s Aṣṭāṅgahṛdayasaṃhitā. The first five chapters of its Tibetan version. Ed.
and rendered into Engl. along with the original Sanskrit by Claus Vogel. Accompanied by a literary introduction and a running commentary on the Tibetan translationtechnique. Wiesbaden 1965 (AKM 37,2).
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Jürgen Hanneder und Roland Steiner
Lexicography4 wurde dieses reichhaltige Nachschlagewerk, welches die
wichtige, aber wenig beachtete Literaturgattung in toto behandelt, nicht
überholt, und es ist davon auszugehen, daß die nun veröffentlichte,5 noch
vom Autor revidierte zweite Auflage für einige Zeit das unangefochtene
Standardwerk bleiben wird.
Als akademischer Lehrer verkörperte Vogel für seine Schüler Prinzipienfestigkeit und Abgeklärtheit in der Beurteilung wissenschaftlicher Sachverhalte. Gründlichkeit und Genauigkeit im Detail gab er stets den Vorrang
vor oberflächlicher Schnelligkeit und weitreichenden, entgegenstehende Daten nicht hinreichend beachtenden theoretischen Entwürfen. Den Hörern
seiner Seminare, denen er in seiner bedächtig abwägenden Art philologische
Probleme des Sanskrits, Palis oder Tibetischen bis in kleinste Details geduldig auseinandersetzte, ermöglichte sein Unterricht eine ganz konkrete
Anschauung davon, zu welchen über den Tag hinaus haltbaren Ergebnissen
beharrlich und methodisch betriebene Philologie führen kann.
Gegenüber Kollegen und Studenten war Vogel – der übrigens auch ein
begeisterter Wanderer mit Freunden war – meist eher zurückhaltender Natur, was sich in geselliger Runde durchaus ändern konnte. So traf man sich
nach dem Mittag im Geschäftszimmer des Bonner Seminars regelmäßig
zu der sogenannten „Teerunde“, die allen Kollegen, Studenten und Gästen
offenstand. Dort konnte man Vogel, dann stets Zigarre rauchend, unter
anderem als profunden Kenner der Fachgeschichte erleben, der es liebte, zu
aller Vergnügen immer wieder neue Anekdoten über die indologischen Altvordern mit Lust am spitzen Witz zum Besten zu geben.
4 Wiesbaden 1979 (A History of Indian Literature 5.4).
5 C. Vogel: Indian Lexicography. Revised and Enlarged Edition. Hrsg. von J. Hanneder und M. Straube. München 2015 (Indologica Marpurgensia 6).