Psychische Beanspruchung durch illegitime Aufgaben
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Psychische Beanspruchung durch illegitime Aufgaben
Norbert K. Semmer, Nicola Jacobshagen, Laurenz L. Meier, Achim
Elfering, Wolfgang Kälin, Franziska Tschan
Norbert K. Semmer, N. Jacobshagen, L. L. Meier, A. Elfering, W. Kälin, F. Tschan
Abstract
Illegitime Aufgaben sind Bestandteil des „Stress-as-Offense-to-Self“-Konzepts,
das an der Universität Bern entwickelt wurde. Es geht von der Annahme aus,
dass viele Situationen vor allem dadurch Stress auslösen, dass sie Ausdruck
mangelnder Wertschätzung sind und damit den Selbstwert bedrohen. Illegitime
Aufgaben sind definiert als Aufgaben, die man von einer Person eigentlich nicht
erwarten kann; das kann daran liegen, dass sie als vermeidbar – und damit als
unnötig – empfunden werden, oder daran, dass sie der beruflichen Kernrolle
nicht entsprechen und deshalb als unzumutbar empfunden werden. Das Kapitel
beschreibt die Merkmale von illegitimen Aufgaben, ordnet sie in die bisherige
Forschung ein und grenzt sie von anderen, bereits bestehenden Konzepten ab.
Zum anderen wird über erste Forschungsergebnisse berichtet, die die Tragfähigkeit des Konzepts zeigen. Das Kapitel endet mit der Diskussion weiterer Forschungsnotwendigkeiten (zum Beispiel im Hinblick auf interindividuelle Unterschiede) sowie praktischer Implikationen (zum Beispiel im Hinblick auf die
Schulung von Führungskräften im Erkennen von und im Umgang mit illegitimen
Aufgaben).
1
Vorbemerkung: Zur Entstehung eines Konzepts
Merkmale der Arbeitsaufgaben stellen seit jeher einen Schwerpunkt arbeitspsychologischer Forschung und Praxis dar (z. B. Ulich 2011). Im Vordergrund
stehen Merkmale wie Ganzheitlichkeit, Komplexität, Variabilität und Bedeutsamkeit der Aufgaben, aber auch Aspekte wie das Feedback durch die Aufgabe,
die Autonomie, die damit verbunden ist, sowie Ausführungsbedingungen wie
etwa die Belastung durch die in einem umgrenzten Zeitraum zu erledigende
Arbeitsmenge (Semmer/Udris 2007). In diesem Beitrag geht es um ein Merkmal
von Aufgaben, das bisher noch wenig Beachtung gefunden hat, nämlich um ihre
(Il-)Legitimität. Was damit gemeint ist, lässt sich am besten an einem Beispiel
illustrieren, das am Anfang der Entwicklung dieses Konzepts steht.
In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts stießen wir in unserer Forschung
zum Thema Stress in der Arbeit auf ein interessantes Phänomen. Wir führten Inter-
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin et al. (Hrsg.), Immer schneller, immer mehr,
DOI 10.1007/978-3-658-01445-2_5, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013
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Norbert K. Semmer, N. Jacobshagen, L. L. Meier, A. Elfering, W. Kälin, F. Tschan
views durch, in denen wir den Merkmalen von Stress-Situationen näher auf den
Grund gehen wollten. Wir gaben unseren InterviewpartnerInnen Situationen vor,
die sie im Hinblick auf Stress beurteilen sollten. Pflegefachleute (fast ausschließlich Pflegefachfrauen) erhielten beispielsweise folgendes Szenario:
Stellen Sie sich einen hektischen Arbeitstag vor. Es ist viel Betrieb, Sie bekommen
laufend neue Patientinnen und Patienten, zu allem Überfluss ist auch noch eine Kollegin plötzlich erkrankt. Einer Ihrer Patienten, der schwer krank ist, läutet relativ
häufig und bittet Sie um alles Mögliche – ob Sie ihm eine Tasse Tee bringen könnten, ob Sie das Fenster öffnen könnten, weil es zu heiß ist, ob Sie das Fenster schließen könnten, weil es zieht, usw. Wie belastend ist so etwas für Sie?
Viele unserer Interviewpartnerinnen gaben darauf eine Antwort wie: „Ach, wissen
Sie, das stresst mich nicht so sehr, das gehört ja zum Beruf!“ Nachdem wir immer
wieder solche und ähnliche Antworten erhielten, gingen wir der Frage nach, was es
denn mit dem „das gehört zum Beruf“ auf sich hatte. Wir führten daher weitere
Interviews durch, die nach demselben Muster konstruiert waren, aber nach der
Antwort „Das gehört doch zum Beruf“ weitergingen. Wir fragten dann:
Stellen Sie sich nun vor: Es ist etwas Zeit vergangen, der Zustand dieses Patienten
hat sich deutlich verbessert, er wird bald entlassen werden. Nach wie vor läutet er
viel nach Ihnen, obwohl er manches, worum er Sie bittet, inzwischen selbst machen
könnte.
Die Reaktion unserer Interviewpartnerinnen veränderte sich nun drastisch: Sie
nahmen die Situation gar nicht mehr gelassen, und es kamen Äußerungen wie
„Wir sind doch kein Hotel!“ oder „Ich bin doch kein Dienstmädchen!“
Die Frage, ob eine Aktivität als zum Kern eines Berufes gehörig empfunden
wurde, schien also eine entscheidende Rolle dafür zu spielen, wie belastend sie
war. Man beachte, dass die Aktivitäten, um die es ging, in beiden Szenarien
genau dieselben waren; die unterschiedlichen Reaktionen haben also nichts mit
der Tätigkeit als solcher zu tun – etwa weil sie unangenehm wäre – und auch
nicht mit Zeitdruck und Hektik. Vielmehr haben die unterschiedlichen Reaktionen mit der sozialen Bedeutung der Aktivitäten zu tun: Im ersten Fall (Patient ist
sehr krank) geht es um die Gesundheit des Patienten; er kann die Handlungen
nicht oder allenfalls mit großer Mühe selbst ausführen, sie für ihn zu erledigen,
wird als Unterstützung seines Heilungsprozesses empfunden. Diese Unterstützung des Heilungsprozesses ist ein Kernelement der beruflichen Rolle von Pflegefachleuten, und damit befinden sich die in Frage stehenden Aktivitäten im
Einklang mit der beruflichen Rolle. Anders ist es im Fall des schon weitgehend
gesunden Patienten: Er braucht diese Unterstützung für seine Heilung nicht
mehr. Sie vom Pflegepersonal zu fordern, entspricht daher nicht mehr deren
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Berufsrolle, sie gilt als „pflegefremde Arbeit“. Mit der Aufforderung, sie auszuführen, wird nun eine andere berufliche Rolle angesprochen, die des Dienstmädchens oder der Kellnerin. Das liegt außerhalb der Kernaktivitäten in der Krankenpflege und wird dort oft als kränkend empfunden: Die Anforderung wird als
nicht legitim wahrgenommen.
Diese kurze Zusammenfassung spiegelt natürlich die langen Diskussionsund Forschungsprozesse nicht wider, die über viele Zwischenschritte, auf die
hier nicht näher eingegangen werden kann, zum Konzept der illegitimen Aufgaben führten (vgl. Semmer/Jacobshagen 2003; Semmer/Jacobshagen/Meier 2006;
Semmer/Jacobshagen/Meier/Elfering 2007). Im Folgenden soll das Konzept
etwas präziser dargestellt werden.
2
Illegitime Aufgaben
Illegitime Aufgaben sind Aufgaben, die man von einer Person legitimerweise
nicht erwarten kann; sie beinhalten also Tätigkeiten, die die Person eigentlich
nicht ausführen müssen sollte. Gemeint sind aber nicht Tätigkeiten, die per se
illegitim sind, wie etwa unmoralische oder illegale Handlungen, welche grundsätzlich von niemandem verlangt werden sollten. Vielmehr geht es um Aufgaben, die in einem bestimmten Kontext als unnötig oder als unzumutbar empfunden werden, die aber unter anderen Umständen möglicherweise als durchaus
legitim empfunden würden. Unnötige Aufgaben sind solche, die als sinnlos empfunden werden (z. B. Dokumente erstellen müssen, die so gut wie nie jemand
liest) oder die nicht existieren würden, wenn in vorhergehenden Stadien besser
gearbeitet worden wäre (z. B. wenn Daten von Hand von einem IT-System in ein
anderes übertragen werden müssen, weil bei der Anschaffung der Systeme nicht
darauf geachtet wurde, ob sie miteinander kompatibel sind). Unzumutbare Aufgaben sind solche, die durch die gegebene berufliche Rolle nicht abgedeckt sind;
sie sollten von jemand anderem erledigt werden (und können für eine andere
berufliche Rolle absolut legitim sein). Die Grenzen zwischen beiden Aspekten
sind nicht immer einfach zu ziehen. So kann eine Ärztin es unzumutbar finden,
dass sie so viel Zeit für Dokumentation verwenden muss, die ihr nachher für ihre
Kernaufgabe, die Behandlung von Patienten, fehlt, und sie kann der Meinung
sein, dass zumindest ein Teil der Dokumentationsaufgaben von jemand anderem
erledigt werden sollte; zugleich kann sie aber auch der Meinung sein, der Dokumentationsaufwand sei insgesamt übertrieben und in dieser Ausführlichkeit unnötig.
100
3
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Identität, Stress und Ich-Bedrohung
Was macht illegitime Aufgaben zu einem speziellen Stressfaktor? Nach unserer
Meinung hängt das damit zusammen, dass illegitime Aufgaben einen Angriff auf
die berufliche Identität darstellen. Wir Menschen neigen dazu, uns mit unserer
beruflichen Rolle zu identifizieren; wir definieren uns unter anderem durch sie;
sie wird zum Bestandteil unserer Identität und unseres Selbstbildes (Ashforth
2001; Haslam/Ellemers 2005; Kahn/Wolfe/Quinn/Snoek/Rosenthal 1964;
Sluss/Ashforth 2007; Stryker/Burke 2000). Damit wird sie aber auch ein „schützenswertes Gut“, denn Menschen streben in der Regel nach einem positiven
Selbstbild. Dies gilt in einem doppelten Sinn: Wir möchten uns selbst positiv
sehen, also einen hohen Selbstwert haben (vgl. z. B. Dauenheimer/Stahlberg/Frey/Petersen 2007; Epstein 1998; Sedikides/Gregg 2008); wir möchten
aber auch, dass wichtige Andere ein positives Bild von uns haben, uns schätzen
und uns respektvoll behandeln (Leary 2007; Semmer/Jacobshagen 2003;
Semmer et al. 2007). Dementsprechend sind Dinge, die unser berufliches Selbstbild gefährden, als besonders belastend einzustufen. Illegitime Aufgaben respektieren unsere berufliche Identität nicht; sie erfordern, dass wir Aktivitäten ausführen müssen, die dem Kern unserer beruflichen Rolle nicht entsprechen. Wir
gehen daher davon aus, dass sie unseren Selbstwert gefährden und deshalb als
Stressfaktor anzusehen sind. In Anlehnung an Thoits (1991) sprechen wir von
„identity-threatening stressors“.
4
Illegitime Aufgaben – theoretische Wurzeln und verwandte Konzepte
Illegitime Aufgaben sind einerseits ein neues Konzept; andererseits sind sie als
spezielle Ausprägung von Konzepten anzusehen, die in der arbeitspsychologischen Stressforschung schon länger diskutiert und erforscht werden.
4.1 Theoretische Wurzeln I – Organisationale (Un-)Gerechtigkeit
Die Forschung zu organisationaler Gerechtigkeit (oder organisationaler Fairness;
diese beiden Begriff werden hier synonym verwendet) und die Stressforschung
existierten über lange Zeit parallel und ohne viele Berührungspunkte (vgl.
Greenberg 2010). Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass ein Mangel an Fairness einen Stressfaktor darstellt (Kivimäki et al. 2002; Kivimäki et al. 2006). Das
Modell der beruflichen Gratifikationskrise (Siegrist 1996, 2002; Siegrist/Dragano
2008) steht in dieser Tradition, und die einschlägige Forschung hat ein Ungleichgewicht zwischen Verausgabung und Belohnung sehr überzeugend als gesundheit-
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lichen Risikofaktor bestätigt (Siegrist 2002; Siegrist/Dragano 2008); Ähnliches gilt
für ein Modell von Burnout, das einen gestörten sozialen Austausch in den Mittelpunkt stellt (z. B. Schaufeli 2006).
Sofern nicht spezifische Umstände (z. B. Krankheit der eigentlich zuständigen Person) die Erledigung an sich illegitimer Aufgaben unumgänglich macht,
erfüllt die Zuteilung illegitimer Aufgaben die drei Bedingungen der sogenannten
Fairness-Theory (Folger/Cropanzano 2001). Ohne diese Aufgaben würde es
keine Verletzung beruflicher Rollenerwartungen geben (die would-Frage); die
verantwortliche Person hätte anders handeln können (die could-Frage), und da
illegitime Aufgaben Rollenerwartungen verletzen, hätte sie auch anders handeln
sollen (die should-Frage). Wenn diese drei Bedingungen gegeben sind, entsteht
die Wahrnehmung mangelnder Fairness.
In unserem Kontext ist nun besonders wichtig, dass das Ausmaß an (wahrgenommener) Fairness als soziale Botschaft gelten kann: Sie signalisiert den
Status, den man in einer sozialen Gruppe einnimmt, das Ausmaß an Akzeptanz,
das man genießt. Dieses Ausmaß an Akzeptanz wiederum ist wichtig für die
eigene Identität und für den eigenen Selbstwert (siehe oben; man spricht hier oft
auch vom „sozialen Selbstwert“; vgl. Cremer/Tyler 2005; Cropanzano/
Byrne/Bobocel/Rupp 2001).
Insofern können illegitime Aufgaben als Spezialfall mangelnder Fairness angesehen
werden. Sie stellen trotzdem ein eigenständiges Konzept dar, das von bisherigen
Fairness-Konzepten nicht abgedeckt ist. Denn Fairness-Theorien können zwar erklären, wie Menschen typischerweise auf Aufgaben reagieren, die sie als illegitim –
und damit als unfair – ansehen, sie können aber nicht erklären, warum diese Aufgaben als illegitim angesehen werden1. Zur Klärung der Frage, warum Aufgaben als illegitim angesehen werden, bedarf es rollentheoretischer Überlegungen.
4.2 Theoretische Wurzeln II – Rollentheorie und Rollenkonflikt
Illegitime Aufgaben haben mit beruflichen Rollen zu tun. Der Kern von Rollen
sind damit verbundene Erwartungen, wenngleich, wie oben dargestellt, ihre Bedeutung viel weiter geht und auch Identität mit einschließt (Kahn et al. 1964).
Man kann von Personen, die eine Rolle einnehmen, erwarten, dass sie bestimmte
Verhaltensweisen zeigen, die mit ihrer Rolle verbunden sind; dazu gehört, dass
sie bestimmte Aufgaben ausführen (Katz/Kahn 1978). Die mit Rollen verbundenen Erwartungen können aber auch miteinander in Konflikt geraten; dies ist als
Konzept des „Rollenkonflikts“ Bestandteil eines der frühesten und einfluss1
Dasselbe gilt für das Konzept des psychologischen Vertrags, das ebenfalls in der Tradition der
Gerechtigkeitsforschung steht (Rigotti 2010; Rousseau/Tijoriwala 1998).
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reichsten arbeitspsychologischen Stress-Konzepte bereits 1964 eingeführt worden (Kahn et al. 1964). So können verschiedene Vorgesetzte unterschiedliche
Erwartungen haben; man spricht dann von einem Inter-Sender-Konflikt (so manche Sekretärin, die für mehrere Vorgesetzte arbeitet, kann ein Lied davon singen). Wenn ein Vorgesetzter heute dies fordert (z. B. höchste Priorität auf Qualität) und morgen etwas anderes (z. B. die Einhaltung von Terminen, koste es, was
es wolle…), ergibt sich ein Intra-Sender-Konflikt. Die mit einer bestimmten
Rolle verbundenen Erwartungen können aber auch mit den Erwartungen in Konflikt geraten, die mit anderen Rollen verbunden sind; ein Beispiel für diesen
Inter-Rollen-Konflikt ist etwa die Schwierigkeit, berufliche Rollen und ElternRollen miteinander zu vereinbaren. Schließlich kann eine Rollenerwartung mit
den Maßstäben der Person selbst in Konflikt geraten, etwa, wenn ein Pazifist in
einer Munitionsfabrik arbeiten muss; man spricht dann von einem PersonRollen-Konflikt (Beehr/Glazer 2005).
Ähnlich wie bei der Diskussion der Fairness-Forschung kann man nun auch
in Bezug auf Rollenkonflikte den Schluss ziehen, dass illegitime Aufgaben als
Spezialfall von Rollenkonflikten, speziell von Person-Rollen-Konflikten, angesehen werden können. Auch hier gilt jedoch, dass die Forschung zu Rollenkonflikten das Konzept der illegitimen Aufgaben nicht wirklich abdeckt. Sie hat den
Person-Rollen-Konflikt kaum beachtet; vielmehr hat sie sich vor allem auf den
Inter-Sender-Konflikt konzentriert (Katz/Kahn 1978, 204) – und wenn sie den
Person-Rollen-Konflikt beachtet hat, hat sie die Vereinbarkeit mit moralischen
Maximen betont (Beehr/Glazer 2005; Kahn et al. 1964), nicht aber die Vereinbarkeit mit beruflichen Rollen und beruflicher Identität. Aspekte von illegitimen
Aufgaben werden allenfalls am Rande erwähnt (so unnötige Aufgaben bei Rizzo/House/Lirtzman 1970). Ähnlich wie bezüglich der Fairness-Forschung gilt
also auch bezüglich der Forschung zum Rollenkonflikt, dass illegitime Aufgaben
als Spezialfall dieses Konzeptes angesehen werden können, aber dennoch einen
eigenständigen Charakter aufweisen.
4.3 Illegitime Aufgaben und andere Stressoren
Illegitime Aufgaben sind zwar spezifische Stressoren, das heißt aber nicht, dass
sie nicht mit anderen Stressoren korrelieren. Für solche Zusammenhänge gibt es
verschiedene Gründe. Zum einen teilen illegitime Aufgaben bestimmte Merkmale mit anderen Stressoren. Wir haben dargestellt, dass eine konzeptionelle Nähe
zu Indikatoren mangelnder Fairness sowie zu Rollenkonflikten besteht. Daraus
folgt, dass illegitime Aufgaben mit diesen Faktoren korrelieren sollten. Da illegitime Aufgaben durch andere – meist Vorgesetze – zugeteilt werden, stellen sie
im weiteren Sinne auch soziale Stressoren dar. Soziale Stressoren werden meist
Psychische Beanspruchung durch illegitime Aufgaben
103
als Konflikte und Spannungen beschrieben (Dormann/Zapf 1999; Frese/Zapf
1987), und da die Zuteilung illegitimer Aufgaben vermutlich (zumindest innerlich) mit Vorwürfen an Vorgesetzte verbunden sein dürfte (siehe oben: die
„could“- und die „should“-Frage), besteht eine gewisse Nähe zum Konzept der
sozialen Stressoren. Darüber hinaus ist die Zuteilung sinnloser Aufgaben eine
der Strategien, die Mobbing kennzeichnen (Hoel/Zapf/Cooper 2002; Zapf 1999).
Zum anderen haben Stressoren generell die Tendenz, miteinander korreliert zu
sein. Unternehmen und Vorgesetzte, die sich um eine gute Gestaltung der Arbeit
und der Arbeitsbedingungen bemühen, tun dies oft in einem umfassenden Sinn,
so dass viele Merkmale gleichzeitig gut – oder weniger gut – gestaltet sind. Auch
ohne dass verschiedene Merkmale konzeptionell verwandt sind, können sie daher miteinander korrelieren, weil sie Ausdruck einer insgesamt guten versus
nicht so guten Arbeitssituation sind. Empirisch finden sich daher typischerweise
Korrelationen zwischen verschiedenen Stressfaktoren (Semmer/Zapf/Greif 1996;
Spector/Jex 1998), und dies ist daher auch für illegitime Aufgaben zu erwarten.
Aus all dem folgt, dass die von uns postulierte Eigenständigkeit des Konstrukts der illegitimen Aufgaben auch empirisch nachgewiesen werden muss. Es
gilt zu zeigen, dass illegitime Aufgaben Indikatoren psychischer und/oder physischer Gesundheit voraussagen, und zwar unter Kontrolle anderer, „etablierter“
Stressoren, und speziell von Indikatoren der Fairness, des Rollenkonflikts sowie
sozialer Stressoren.
5
Illegitime Aufgaben und Gesundheit – Messung und erste
Forschungsergebnisse
In diesem Abschnitt soll dargestellt werden, wie illegitime Aufgaben gemessen
werden und mit welchen Indikatoren psychischer oder physischer Gesundheit sie
zusammenhängen.
5.1 Messung: Die „Bern Illegitimate Tasks Scale“ (BITS)
Auf der Basis verschiedener Voruntersuchungen wurde die „Bern Illegitimate
Task Scale“ entwickelt (Jacobshagen 2006; Semmer et al. 2006)2. Sie enthält 8
Items, je vier zu den Subkonstrukten der unnötigen und der unzumutbaren Aufgaben. Ein Beispiel für unnötige Aufgaben ist: „Gibt es Arbeitsaufgaben in Ihrem Arbeitsalltag, bei denen Sie sich fragen, ob diese überhaupt gemacht werden
müssen?“ Ein Beispiel für unzumutbare Aufgaben ist: „Gibt es Arbeitsaufgaben
2
Die Skala ist bei den Autorinnen und Autoren für Forschungszwecke erhältlich.
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in Ihrem Arbeitsalltag, bei denen Sie der Meinung sind, dass diese jemand anderes machen sollte?“ Die Antworten reichen von 1 (sehr selten/nie) bis 5 (sehr
häufig). Die zwei Subkonstrukte korrelieren hoch miteinander (z. B. zu r = .65 in
der Untersuchung von Stocker/Jacobshagen/Semmer/Annen 2010). Die Gesamtskala hat gute Reliabilitätswerte, die interne Konsistenz (Cronbach’s D) ist typischerweise zwischen .80 und .90 (Semmer/Tschan/Meier/Facchin/Jacobshagen
2010)3.
5.2 Illegitime Aufgaben und Gesundheit
Da illegitime Aufgaben Stressoren darstellen, ist davon auszugehen, dass sie mit
schlechterer psychischer und physischer Gesundheit einhergehen (Zapf/Semmer
2004). Dies gilt zunächst ganz allgemein, d. h. für die verschiedensten Indikatoren, die in der einschlägigen Forschung untersucht werden – angefangen von
psychosomatischen Beschwerden (z. B. Schweißausbrüche, Herzklopfen, Nervosität; Nacken- und Rückenschmerzen, Schlafprobleme) über Irritation (Gereiztheit, Rumination) bis hin zu depressiven Gedanken und Gefühlen (Sonnentag/Frese 2003; Zapf/Semmer 2004), aber auch bezüglich Einstellungen wie
Arbeitszufriedenheit. Auch die entsprechenden physiologischen Reaktionen, die
mit Stress verbunden sind, sind zu erwarten, etwa eine veränderte Kortisol- und
Katecholaminausschüttung oder Veränderungen in Immunparametern (Hamer et
al. 2006).
Darüber hinaus kann man aber postulieren, dass es einige Gesundheitsindikatoren gibt, die in besonderem Maße die Prozesse widerspiegeln, die beim
Konzept der illegitimen Aufgaben postuliert werden. So kann man davon ausgehen, dass illegitime Aufgaben mit Ärger und Kränkung verbunden sind, die typische Reaktionen auf mangelnde Fairness darstellen (Barclay/Skarlicki/Pugh
2005; Cohen-Charash/Spector 2001). Zudem postulieren wir, dass illegitime
Aufgaben „identitätsbedrohend“ (Thoits 1991) sind und den Selbstwert angreifen. Sie sollten daher in der Lage sein, einen tieferen Selbstwert vorherzusagen.
3
Für methodisch Interessierte sei angemerkt, dass Analysen mit Strukturgleichungsmodellen
gute Messmodelle ergeben, wenn man die Skala als Konstrukt zweiter Ordnung abbildet oder
die beiden Subskalen als „isolated parcels“ verwendet. Die Verwendung der Subskalen ist einzeln möglich; sie korrelieren allerdings oft so hoch miteinander, dass sich
Multikollinearitätsprobleme ergeben, wenn man beide zusammen in einer Analyse einsetzt.
Psychische Beanspruchung durch illegitime Aufgaben
105
5.3 Ergebnisse bisheriger Untersuchungen
Wir haben argumentiert, dass für illegitime Aufgaben die berufliche Identität und
die mit ihr verbundenen Kernaufgaben wichtig sind. Daraus folgt, dass es vor
allem Sekundäraufgaben sein sollten, die als illegitim empfunden werden. Ausführliche arbeitsanalytische Interviews ergeben tatsächlich dieses Resultat: Von
den Aufgaben, die zu den Kerntätigkeiten gezählt wurden, wurden rund 10 % als
illegitim empfunden, von den Nebentätigkeiten jedoch rund 64 % (Jacobshagen
2006; Semmer/Jacobshagen/Meier 2006). Ebenfalls erwartungsgemäß zeigen
sich in unseren Untersuchungen Zusammenhänge zwischen illegitimen Aufgaben und verschiedenen anderen Stressoren sowie (in etwas geringerem Ausmass)
mit Ressourcen4.
Entscheidend sind aber die Zusammenhänge mit Indikatoren der psychischen Gesundheit. Illegitime Aufgaben korrelieren mit Irritation beispielsweise
zwischen r = .26 und .48, mit negativen Gefühlen (Ressentiments) gegenüber der
eigenen Organisation zwischen r = .43 und .63, mit psychosomatischen Beschwerden zwischen r = .10 und .36 und mit Arbeitszufriedenheit zwischen r =
-.25 und -.56. Mit einer einzigen Ausnahme (die Korrelation von r = .10 mit
psychosomatischen Beschwerden in einer Untersuchung) sind alle Koeffizienten
statistisch signifikant (alle Werte aus Jacobshagen 2006).
In diesen Analysen fehlt jedoch ein entscheidender Punkt: Um sicher zu
sein, dass „illegitime Aufgaben“ tatsächlich ein eigenständiges Konzept ist, das
sich von anderen Stressoren auch unterscheidet, muss natürlich der Nachweis
geführt werden, dass die Zusammenhänge mit Gesundheit auch erhalten bleiben,
wenn andere Stressoren statistisch kontrolliert sind.
Verschiedene Untersuchungen zeigen eben dies: In einer Untersuchung von
Semmer, Jacobshagen, Meier, Elfering und Tschan (2012) gehen mehr illegitime
Aufgaben mit geringerem Selbstwert, mit höheren Ressentiments gegenüber der
eigenen Organisation und mit mehr Burnout einher, und dabei sind, neben dem
Alter und dem Geschlecht, Rollenkonflikt, soziale Stressoren und mangelnde Reziprozität (Fairness) kontrolliert. Jacobshagen, Semmer, Aronsson und Bejerot
(2012) haben illegitime Aufgaben bei schwedischen Ärztinnen und Ärzten untersucht. Diese hängen mit mehr Stressempfinden, Schlafproblemen und Erschöpfung
zusammen; dabei sind quantitative Anforderungen (Zeitdruck, Arbeitsmenge),
4
Korrelationen mit aufgabenbezogenen Stressoren (ein Index aus Zeitdruck, Unsicherheit,
Unterbrechungen, Konzentrationsanforderungen und arbeitsorganisatorischen Problemen) liegen zwischen r = .48 und .60; mit sozialen Stressoren zwischen r = .41 und .54, mit mangelnder Fairness zwischen r = .48 und .66; bei den Ressourcen ergeben sich Werte zwischen r =
-.16 und -.38 für Kontrolle und zwischen r = -.14 und -.48 für soziale Unterstützung (alle Werte aus Jacobshagen, 2006; mit Ausnahme der beiden unteren Werte für Kontrolle und soziale
Unterstützung sind alle Koeffizienten statistisch signifikant).
106
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Kontrolle und soziale Unterstützung, also die Variablen des um soziale Unterstützung erweiterten Job-Demands-Control-Modells (Karasek 1979) kontrolliert.
Wir hatten postuliert, dass die Zuweisung illegitimer Aufgaben einen Mangel an Respekt und Wertschätzung signalisiere. Stocker et al. (2010) sind dieser
Frage im Rahmen einer Untersuchung zur Wertschätzung nachgegangen. Sie
konnten zeigen, dass der negative Zusammenhang zwischen illegitimen Aufgaben und Arbeitszufriedenheit sowie zwischen illegitimen Aufgaben und Ressentiments gegenüber der eigenen Organisation sinkt, wenn man Wertschätzung
kontrolliert. Wertschätzung mediiert also die Beziehung zwischen illegitimen
Aufgaben und Arbeitszufriedenheit (vollständig) respektive Ressentiments (teilweise); die indirekte Beziehung (d. h. über Wertschätzung) ist in beiden Fällen
statistisch signifikant.
Schließlich seien noch vier Untersuchungen erwähnt, die über die soeben
berichteten Ergebnisse hinausgehen: Semmer et al. (2012) berichten auch eine
Längsschnittuntersuchung; dabei sagen illegitime Aufgaben über einen Zeitraum
von zwei Monaten eine Verschlechterung des Befindens voraus. Semmer et al.
(2010) berichten Zusammenhänge zu so genannten kontraproduktiven Verhaltensweisen. Diese Verhaltensweisen (etwa Überziehen von Pausen, Nutzung der
Arbeitszeit zu privaten Zwecken, unkollegiales Verhalten gegenüber Kolleginnen und Kollegen) sind nicht mit den Zielen der Organisation vereinbar. Sie
wurden in dieser Studie um so häufiger berichtet, je höher die illegitimen Aufgaben eingeschätzt wurden; dabei sind Indikatoren der organisationalen Fairness
sowie in einer der zwei Teil-Studien auch die Persönlichkeitsmerkmale Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit kontrolliert. Und schließlich zeigen Kottwitz,
Meier, Jacobshagen, Kälin, Elfering und Semmer (2012) Zusammenhänge zwischen illegitimen Aufgaben und erhöhter Cortisolausschüttung bei Personen mit
relativ schlechtem Gesundheitszustand.
Zusammengenommen zeigen diese Ergebnisse, dass die erwarteten Zusammenhänge auffindbar sind, dass sie bei statistischer Kontrolle anderer Einflussgrößen erhalten bleiben, dass sie auch im Längsschnitt existieren, dass sie nicht
nur mit Befinden, sondern auch mit Verhalten zusammenhängen, und dass sie
nicht nur für Befragungsdaten gelten, sondern auch für biologische Indikatoren
der Beanspruchung.
6
Randbedingungen und ungeklärte Fragen
Wir meinen, dass unsere bisherige Forschung die Bedeutung illegitimer Aufgaben grundsätzlich bestätigt hat. Trotzdem steht sie in vieler Hinsicht erst am
Anfang. So haben wir bisher illegitime Aufgaben immer nur aus individueller
Sicht erhoben; sie stellen aber ein kulturelles Phänomen dar, denn kulturspezifi-
Psychische Beanspruchung durch illegitime Aufgaben
107
sche Normen bestimmen, was als illegitim gilt und was nicht. Solche Normen
können einen breiteren Kulturkreis betreffen (in manchen Kulturen erwartet man
von einem Vorarbeiter, dass er im Zweifel kräftig mit anpackt – in anderen Kulturen wäre das „unter seiner Würde“). Normen können aber auch betriebliche
Kulturen widerspiegeln, und etwas kann in einem Unternehmen normal sein, im
anderen nicht. Das impliziert auch, dass sie historisch veränderbar sind. So gibt
es derzeit Spitäler, die sich bewusst einen „Hotel-Anstrich“ geben; in einem
solchen Hotel sind möglicherweise Arbeiten für das Pflegepersonal vorgesehen,
die andernorts als „pflegefremde Arbeiten“ gelten würden.
Darüber hinaus ist natürlich mit Unterschieden zwischen Individuen zu
rechnen. Manche interpretieren ihre Rolle eher eng, andere breiter, und Letztere
würden dann wohl weniger empfindlich auf potentiell illegitime Aufgaben reagieren. Manche – z. B. Personen mit einem hohen, aber instabilen Selbstwert
(Meier/Semmer/Hupfeld 2009) – sind empfindlicher gegen Kränkung als andere.
Schließlich gilt es, die beteiligten Mechanismen noch genauer zu klären.
Die Interpretationsprozesse, die bei illegitimen Aufgaben beteiligt sind, und die
damit verbundenen emotionalen Reaktionen haben wir bis anhin nur recht grob
und in erster Annäherung erfasst.
7
Praktische Implikationen
Auch wenn viele Fragen noch ungeklärt sind, haben wir in unseren bisherigen
Untersuchungen zeigen können, dass das Konzept der illegitimen Aufgaben ein
nützliches, wichtiges und eigenständiges Konzept darstellt. Wenn dem so ist, dann
stellt sich natürlich die Frage, was daraus an praktischen Implikationen folgt. Unseres Erachtens ergeben sich vor allem für Führungskräfte Konsequenzen.
Zunächst ist festzuhalten, dass das Konzept der illegitimen Aufgaben bislang kaum bekannt ist, dass aber viele Leute auf die Schilderung dieses Konzepts
mit Aussagen reagieren wie: „Ja, das kenne ich!“; „Sie müssten mal zu uns
kommen!“; „Das sollten Sie mal meinem Chef erzählen!“. Das Phänomen ist
also bekannt, auch wenn es bislang kaum als eigenständiges Konzept umschrieben wird. Dies legt die Annahme nahe, dass bei der Zuteilung von Aufgaben oft
nicht bedacht wird, dass bestimmte Aufgaben illegitim sein könnten. Das gilt für
die explizite Aufgabenzuteilung an bestimmte Personen, aber auch die implizite
Aufgabenzuteilung über die (Re-)Organisation von Abläufen, die dann die Erfüllung bestimmter Aufgaben zur Folge haben (man denke nur an Qualitätssicherungssysteme). Eine erste Implikation unserer Forschung ist daher, dass sich
Führungskräfte mehr als bisher der möglichen Kränkung durch illegitime Aufgaben bewusst sein sollten.
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Für die Führungskräfte steht vermutlich die Notwendigkeit aus Sicht der
Organisation im Vordergrund: Aufgaben müssen erledigt werden. (Das gilt sogar
für unnötige Aufgaben, wenn der „unnötige“ Aspekt in früheren Fehlern liegt,
die jetzt nicht mehr korrigiert werden können: Wenn zwei Computersysteme
nicht miteinander kompatibel sind, aber nun einmal existieren, dann müssen die
Daten vom einen ins andere per Hand übertragen werden.) Die mögliche Kränkung für ihre Mitarbeitenden wird dann nicht gesehen oder angesichts der betrieblichen Notwendigkeiten als zweitrangig erachtet.
Das heißt nun nicht, dass man potentiell illegitime Aufgaben auf keinen Fall
zuweisen darf. Es kann z. B. Umstände geben, die das rechtfertigen. Ein Beispiel
wäre die Krankheit einer Person, die für bestimmte Aufgaben zuständig ist; diese
müssen trotzdem erledigt werden. Ein anderes Beispiel wäre die Situation in
einem Kleinbetrieb: Dort muss auch ein „alter Hase“ u. U. „Anfänger-Arbeiten“
verrichten, weil das in einem kleinen Team nicht anders lösbar ist. Entscheidend
ist hier, dass sich die Führungskräfte dieser Situation bewusst sind und dies auch
deutlich machen. Schon eine Erklärung wie „Ich weiß, dass das eigentlich nicht
Ihre Aufgabe ist, aber unter den gegebenen Umständen…“ vermeidet die potentiell abschätzige Botschaft, die mit einer Zuteilung ohne eine solche Erklärung
verbunden sein könnte; sie signalisiert stattdessen, dass man die betroffene Person und ihre Bedürfnisse und Ansprüche ernst nimmt. Ein solches Vorgehen
entspräche den Kriterien der sog. interaktionellen Gerechtigkeit (Cropanzano et
al. 2001). Vor allem bei Arbeiten, die niemand gerne macht (z. B. Putz- und
Aufräumarbeiten) könnte es auch sinnvoll sein, wenn Vorgesetzte sich selbst
daran beteiligen und damit dokumentieren, dass sie sich für solche Arbeiten
nicht „zu schade“ sind.
Was immer ein Vorgesetzter oder eine Vorgesetzte in solchen Situationen
tut: Entscheidend ist, dass er oder sie sich in Kenntnis und nach Abwägen der
diskutierten Gesichtspunkte zu einem bestimmten Vorgehen entschließt und
nicht unüberlegt Kränkungen provoziert, die unnötig und vermeidbar wären.
Solche Aspekte sollten in Management-Kurse einfließen.
Schwieriger wird es bei potentiell illegitimen Aufgaben, die nicht individuell zugeteilt werden, sondern sich aus Prozeduren und Reorganisationen ergeben.
Umfangreiche Dokumentationsaufgaben im Rahmen der Qualitätssicherung sind
hier einschlägige Kandidaten, aber auch umständliche Rechtfertigungen („hier
muss man für jeden Bleistift einen Antrag schreiben“). Insbesondere wenn Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind, werden oft neue Kontrollmaßnahmen ergriffen, die manchmal über das Ziel hinausschießen, weil sie den 99 % der Mitarbeitenden, die sich korrekt verhalten haben, Zusatzaufwand verursachen (und zugleich Misstrauen signalisieren). Manchmal entsteht dabei der Eindruck, dass der
Aufwand, der nötig ist, um eine Leistung zu dokumentieren, in keinem Verhält-
Psychische Beanspruchung durch illegitime Aufgaben
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nis mehr steht zu dem Aufwand, der nötig ist, um die Leistung zu erbringen.
Anders ausgedrückt: Die Sekundäraufgaben nehmen überhand. Hier muss man
mancherorts aufpassen, dass man nicht über das Ziel hinausschießt und der Illusion erliegt, eine umfangreichere Messung sei auf jeden Fall mit besserer Leistung verbunden (Kerr 1991).
8
Abschließende Bemerkungen
„Illegitime Aufgaben“ sind ein neues Konzept, das die ersten Tests gut überstanden hat: Mit der Bern Illegitimate Tasks Scale liegt ein erprobtes Messinstrument
vor, und die bisherigen Untersuchungen bestätigen, dass das Konzept a) eigenständig ist, weil es die Kontrolle anderer Faktoren „übersteht“, und b) wichtig ist,
weil es mit verschiedenen Gesundheits-Indikatoren zusammenhängt – und das
auch in Längsschnitt-Untersuchungen und mit Indikatoren, die nicht auf Befragung beruhen. Es hat klare Implikationen für die Praxis, und es stößt dort in
Diskussionen meist auf großes Interesse. Auch wenn die Forschung erst am Anfang steht und noch viele Fragen der Klärung bedürfen, ist dies für ein so „junges“ Konzept doch ein vielversprechender Anfang.
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