Johannes Schnocks
Vom frommen Rebellen zum gottgeflligen Heerfïhrer.
Judas und der Makkaberaufstand in der Bibel und bei Hndel
Händels Judas Maccabaeus ist ein prominenter Fall der Wirkung biblischer Texte
im Kontext von Religion und Politik und gleichzeitig ein hochinteressantes
Beispiel für die Anverwandlung eines biblischen Stoffes an die gesellschaftliche
Situation im London der Mitte des 18. Jahrhunderts. Entsprechend ist die Frage
nach dem Verhältnis zwischen Bibeltext und Oratorium ein grundlegender
Schritt, um sich dem Verständnis des Werks zu nähern. Überblickt man allerdings die einschlägigen Einführungen, so wird dem Verhältnis von Thomas
Morells Libretto zu seinen Vorlagen erstaunlich wenig Beachtung geschenkt.
Durchaus typisch sind Zusammenfassungen wie etwa bei Winton Dean: »The
principal source is the first book of Maccabees, chapters 2 – 8; the events described occurred in 166 – 164 b.c. Mattathias, who led the national revolt against
Antiochus Epiphanes of Syria, the defiler of the temple, died in the former year;
Judas restored the temple services in the latter. Morell also used Josephus, who
tells the same story (Antiquities of the Jews, xii, 6 – 10) and includes a few details,
such as the name of the Feast of Lights, which are not in Maccabees.«1 Eine
Ausnahme stellt hier auf den ersten Blick die breiter angelegte Untersuchung des
Librettos durch Ruth Smith dar. Auch diese setzt aber mit einer Rekonstruktion
der historischen Ereignisse des Makkabäeraufstandes auf dem Stand der 1980er
Jahre ein.2 Auf diese Weise wird ein geschlossenes, aus z. T. widersprüchlichen
antiken Literaturwerken gewonnenes modernes Bild der Ereignisse mit dem
Text Morells verglichen.
Hermeneutisch ist diese Vorgehensweise problematisch, weil sie zum einen
dem literarischen Charakter der Vorlagen und dem konzeptionell-theologischen
1 Winton Dean, Handel’s Dramatic Oratorios and Masques, London 1959, S. 465. Vgl. ähnlich
und nur wenig ausführlicher : Hans Joachim Marx, Händels Oratorien, Oden und Serenaten.
Ein Kompendium, Göttingen 1998, S. 137. In beiden Darstellungen wird Judas die Wiedereinweihung des Tempels entsprechend den biblischen Quellen zugeschrieben, ohne dass die
Diskrepanz zum Libretto erwähnt wird.
2 Vgl. Ruth Smith, »The Meaning of Morell’s Libretto of ›Judas Maccabaeus‹«, in: Music &
Letters 79 (1998), S. 50 – 71, hier S. 57 – 61 mit Anm. 24.
10
Johannes Schnocks
Denken Morells, der sich mit dieser Literatur als Altphilologe, Theologe und
Dichter3 höchst kreativ auseinandergesetzt hat, nicht gerecht wird und zum
anderen zu Fehlinterpretationen der Absichten von Morell und Händel verleitet.
In der Abstraktion wird die Rebellion der Makkabäer zum Vorbild, ja zum
Prototypen einer jeden Rebellion, die die Freiheit eines ganzen Volkes zum Ziel
hat und wie hier in der Neuweihe des Tempels in einem religiösen Symbol für die
wiedergewonnene Autonomie ihren sichtbaren Gipfel erreicht. Ein solches
Modell lässt sich dann auch klischeehaft auf die 40er Jahre des 18. Jahrhunderts
in England übertragen: Der übermächtige Feind ist Frankreich, der England mit
einem Expeditionsheer in Gestalt der Jakobiten unter dem ›Young Pretender‹
Charles Edward überfallen lässt. Erst der Heerführer William Augustus, Duke of
Cumberland, kann den drohenden Untergang Englands in der Schlacht von
Culloden verhindern. Entsprechend diesem Klischee wäre der Duke of Cumberland so etwas wie ein neuer Judas Makkabäus, der England vor der Auslöschung und die Church of England vor dem ›Rückfall‹ in den Katholizismus
gerettet hätte. So wird dann auch die Widmung Morells: »To His Royal Highness
Prince William, Duke of Cumberland, This Faint Portraiture of a Truly Wise,
Valiant, and Virtuous Commander« gerne als typologische Gleichsetzung der
beiden Heerführer in diesem Sinn verstanden. Nun ist das Bild, das sich aus den
historischen Quellen ergibt, bekanntermaßen ein sehr anderes als das soeben
skizzierte. Es sind vielmehr eher die Schotten unter ›Bonnie Prince Charly‹,
denen das Etikett der Rebellen gegen einen übermächtigen englischen Feind
zukommt – und genau so wird die Situation ja auch in Händels Occasional
Oratorio dargestellt. Der Duke of Cumberland erhielt schon bald nach den Ereignissen den wenig rühmlichen Beinamen des ›Schlächters von Culloden‹, weil
er mit militärisch unnötiger Brutalität nach der gewonnenen Schlacht die Verletzten und Gefangenen hat ermorden lassen.
So wie die Spurensuche in den historischen Quellen des 18. Jahrhunderts ein
differenziertes Bild vom politischen Umfeld des Oratoriums zeichnen kann,4 so
erlaubt es der Vergleich von Werk und Vorlagen, der in diesem Beitrag skizziert
wird, Verschiebungen in der Anlage der Personen und der Handlung im Libretto
festzustellen und so Händels Judas Maccabaeus präziser zu profilieren. Entsprechend seien zunächst die Vorlagen vorgestellt, die Morell für sein Libretto
benutzt haben dürfte, bevor dann versucht wird, die Unterschiede bei der Verarbeitung des ›Stoffes‹ in Händels Judas Maccabaeus herauszuarbeiten. Am
Schluss wird ein theologisches Fazit stehen.
3 Zu Thomas Morell vgl. Hans Joachim Marx, Händel und seine Zeitgenossen. Eine biographische Enzyklopädie (= Das Händel-Handbuch 1), Teilband 2, Laaber 2008, S. 714 – 716. Vgl.
ebenso den Beitrag von Gabriele Müller-Oberhäuser in diesem Band.
4 Vgl. dazu den Beitrag von Iris Fleßenkämper in diesem Band.
Vom frommen Rebellen zum gottgeflligen Heerfïhrer
I.
11
Der Stoff des Judas Maccabaeus in 1/2 Makk und bei Flavius
Josephus
Die Makkabäerbücher gehören zu den Schriften des Alten Testaments, die nicht
in der Hebräischen Bibel enthalten, sondern nur in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der sogenannten Septuaginta, überliefert sind.
Entsprechend haben sie in den unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften, die
sich auf die Bibel beziehen, unterschiedlichen Status. Im Judentum sind sie
schlicht unkanonisch. Die Geschichte des Makkabäeraufstands findet sich hier
im Talmud und wird auf die Wiedereinweihung des Tempels konzentriert. Dieses
Ereignis wird jährlich in dem sehr populären Chanukkafest gefeiert, wobei in
den Bräuchen und Texten ein Ölwunder und überhaupt die göttliche Hilfe gegenüber dem militärischen Verdienst im Vordergrund stehen. Für katholische
und orthodoxe Christen sind die Makkabäerbücher als deuterokanonische
Schriften Teil des Bibelkanons, während sie in den Kirchen der Reformation als
Apokryphen gelten, also mit Luther als »Bücher : so der heiligen Schrift nicht
gleich gehalten, und doch nützlich und gut zu lesen sind«. Was die Verbreitung
in England betrifft, so kann man darauf verweisen, dass diese Bücher für die
King James Version mit übersetzt und in die ersten Ausgaben aufgenommen
wurden.
Das erste Buch der Makkabäer wurde ursprünglich in hebräischer Sprache
verfasst. Origenes und später Hieronymus (um 400 n. Chr.) lag die inzwischen
vollständig verlorene hebräische Fassung noch vor. Das Buch erzählt uns die
Ereignisse etwa folgendermaßen: In einer Phase, in der die hellenistische Kultur
auch in Jerusalem immer stärker auf dem Vormarsch war, kam es nach einem
Griff des Königs Antiochos IV. Epiphanes nach dem Jerusalemer Tempelschatz
und fortgesetzten Feindseligkeiten schließlich zu einem Religionsedikt, das die
freie Ausübung des Judentums und den ordnungsgemäßen Tempelkult verbot.
Der Priester Mattathias leistete gewaltsamen Widerstand und forderte seine
Söhne auf dem Sterbebett auf, diesen Widerstand weiter zu tragen. Nach dieser
Vorgeschichte in den ersten beiden Kapiteln setzt die eigentliche Erzählung ein,
in der die Geschichte der Söhne des Mattathias erzählt wird, die nacheinander in
vielen Schlachten den erfolgreichen Kampf gegen Antiochus und seine Nachfolger führten und so im Laufe der Jahre weit mehr erreichten als nur die Wiederherstellung der Religionsfreiheit, nämlich eine weitgehende Autonomie ihres
Staatsgebildes von der seleukidischen Oberherrschaft. Der erste dieser Brüder
war Judas mit dem Beinamen »der Makkbäer«, dem es nach entscheidenden
Siegen gelang, den Tempelkult wieder herzustellen. Nachdem er 161 v. Chr. im
Kampf gefallen war, folgte sein Bruder Jonathan und nach dessen Tod als letzter
der Brüder Simon, der die Ämter des Hohenpriesters, Heerführers und Fürsten
12
Johannes Schnocks
zugesprochen bekam. Nach seiner Ermordung folgte ihm sein Sohn, Johannes
Hyrkan I, in diesen Ämtern nach. Auf diesen Endpunkt läuft die Gesamtanlage
der Erzählung in 1Makk hin, so dass das Buch als eine Art Propagandaschrift für
die Rechtmäßigkeit der von Simon und seinen Nachkommen, der Hasmonäerdynastie, beanspruchten Ämterhäufung angesehen werden kann. Entsprechend
wird angenommen, dass es in der Regierungszeit von Johannes Hyrkan I. (134 –
104), also gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. verfasst wurde, um die beanspruchten und keineswegs unangefochtenen Ämter für die nächste Generation
zu sichern.5
Das zweite Buch der Makkabäer ist bis auf zwei vorangestellte Fest-Briefe die
Kurzfassung der fünfbändigen Makkabäererzählung des Jason von Cyrene, der
wohl ein Zeitgenosse von Judas Makkabäus war und sein Werk kurz nach den
berichteten Ereignissen verfasst hat. Im neuesten Kommentar des Buches von
Daniel Schwartz wird die Endgestalt des Buchs um 142 v. Chr. datiert.6 Die
Darstellung umfasst einen wesentlich kleineren Zeitraum als 1Makk und endet
wie auch Händels Oratorium mit dem Sieg des Judas über den seleukidischen
Heerführer Nikanor.
Die Darstellung und Konzeption in den beiden Makkabäerbüchern unterscheidet sich insofern erheblich, als die berichteten Siege in 2Makk nicht das
Verdienst des Judas sind, sondern Gott es ist, der dessen Heer unbesiegbar
gemacht hat. Die Krise, die Jerusalem, der Tempel und die Bevölkerung zu
durchleiden haben, wird in beiden Büchern als Zorneshandeln Gottes interpretiert. In 1Makk erwirkt das Strafgericht der Makkabäerbrüder ein Einlenken
Gottes. In 2Makk dagegen sind es die unschuldigen Opfer der Religionsverfolgung, die Märtyrer, deren Sterben Gottes Zorn in Zuwendung umschlagen lässt.
Diese Zuwendung Gottes erweist sich dann in den Erfolgen des Judas. Damit
sind es auch in 2Makk gerade die Märtyrererzählungen mit ihrem Auferstehungsglauben, besonders 2Makk 7, das Martyrium der sieben Brüder und ihrer
Mutter, die die Wirkungsgeschichte dieses Buches im Judentum wie im Chris-
5 Zu den Einleitungsfragen vgl. Erich Zenger u. a., Einleitung in das Alte Testament (= Studienbücher Theologie 1,1), Stuttgart 62006, S. 317 – 319 (Helmut Engel); Stephanie von Dobbeler, »Makkabäerbücher 1 – 4«, in: WiBiLex 2006 <www.wibilex.de/stichwort/makkabäerbücher>, 09. 02. 2010; Stephanie von Dobbeler, Die Bücher 1/2 Makkbäer (Neuer Stuttgarter
Kommentar. Altes Testament Bd. 11), Stuttgart 1997.
Als deutsche Übersetzung der Makkabäerbücher vgl. nun neben den (katholischen) Bibelübersetzungen: Septuaginta deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hrsg. von Wolfgang Kraus und Martin Karrer, Stuttgart 2009.
6 Vgl. Daniel R. Schwartz, 2 Maccabees (Commentaries on Early Jewish Literature), Berlin 2008,
S. 37. Die Datierung ist abhängig von seiner ungewöhnlichen Bewertung des Textes in 2Makk
1,10; vgl. ebd., S. 143 f. Fällt die Entscheidung an dieser Stelle anders aus, kommt man auf eine
Ansetzung des fertigen Buches um 124 v. Chr.; so z. B. Zenger, Einleitung in das Alte Testament, S. 327 (Engel).
Vom frommen Rebellen zum gottgeflligen Heerfïhrer
13
tentum bestimmt haben. So werden ›die Makkabäer‹ auch in der Kirchengeschichte bald nicht mehr mit Judas Makkabäus und seinen Brüdern, sondern mit
den sieben ermordeten Brüdern und ihrer Mutter aus 2Makk 7 identifiziert und
als Heilige verehrt. Ihr Gedenktag war bis zur Reform des römischen Heiligenkalenders 1969 der 1. August.7 Ihre Reliquien werden in der Kölner St. Andreas Kirche gezeigt.
Flavius Josephus (37/38 – ca. 110 n. Chr.) stammte aus einer Jerusalemer
Priesterfamilie und wechselte im 1. Jüdischen Krieg, in dem er zunächst als
Befehlshaber in Galiläa gegen die Römer kämpfte, 67 n. Chr. ins römische Lager
und wurde ein Freund der Flavischen Kaiserfamilie. Seine griechisch überlieferten Schriften stehen unter diesem biographischen Signum: Sie verteidigen
einerseits die Dignität und moralische Größe des Judentums, das von der tyrannischen Splittergruppe der Zeloten in den Krieg gegen Rom gezogen worden
sei, und sie sind andererseits prorömisch.8 Seine Geschichtswerke sind für
manche Zeitabschnitte, über die er berichtet, die wichtigsten, manchmal sogar
die einzigen Quellen. Auf die Ereignisse der Makkabäerkämpfe geht er zunächst
relativ kurz am Anfang seines Buches über den Jüdischen Krieg (De bello Iudaico, entstanden um 78 n. Chr.) ein. Später in seiner 20bändigen Geschichte des
Judentums (Antiquitates Iudaicae, entstanden um 93 – 94 n. Chr.) findet sich
dann eine breitere und in vielen Aussagen abweichende Darstellung dieser Ereignisse, wobei er auf 1Makk 1 – 13 und zwar bereits in griechischer Übersetzung
zurückgreift.
II.
Struktur und Eigenheiten des Librettos gegenïber den
antiken Texten
In der Literatur wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Händels Judas
Maccabaeus im Vergleich zu zeitgenössischen Opern und Oratorien insofern
strukturell auffällig sei, als eine Entwicklung der ohnehin wenigen Charaktere,
7 Zur Problematik dieses Traditionsbruchs vgl. Georg Braulik, »Verweigert die Westkirche den
Heiligen des Alten Testaments die liturgische Verehrung?«, in: Theologie und Philosophie 82
(2007), S. 1 – 20.
8 Zu Flavius Josephus vgl. im Sinne einer ersten Orientierung das Themenheft: Welt und
Umwelt der Bibel 32, Jg. 9 (2004) und die Lexikonartikel von Heinz Schreckenberg, Art.
»Josephus Flavius«, in: Lexikon für Theologie und Kirche 5, Freiburg i.Br. 31996, Sp. 1005 –
1007, und Günter Mayer, Art. »Josephus Flavius«, in: Theologische Realenzyklopädie 17,
Berlin 1988, S. 258 – 264. Als Textausgaben benutze ich: Flavius Josephus, De Bello Judaico –
der jüdische Krieg, Griechisch und Deutsch, 3 Bde., hrsg. von Otto Michel und Otto Bauernfeind, Darmstadt 31982 und für die Antiquitates: Flavii Iosephi Opera, Bde. I–IV, hrsg. von
Benedikt Niese, Berlin 1955 und Flavius Josephus, Jüdische Altertümer, übersetzt von Heinrich Clementz, Nachdruck in 13. Aufl., Wiesbaden 1998.
14
Johannes Schnocks
ein Widerstreit ihrer Affekte und der daraus resultierenden Handlungen fehle.
Bereits Dean urteilt daher recht hart über das Libretto.9 Nach Jürgen Schläder
»wird deshalb in der Folge der drei Akte die eigentlich übliche Konfliktspannung
eines Dramas mit Exposition, Zuspitzung, Wendepunkt und Lösung in diesem
Oratorium nur äußerlich-schematisch gespiegelt, nicht aber als Strukturmoment der Handlung tatsächlich entfaltet.«10 Schläder zieht daraus folgenden
Schluss: »Die plakative Präsentation zentraler gesellschaftspolitischer Begriffe
und Wertvorstellungen wie Klage, Freiheit, Offensivverteidigung, religiöse
Identität und Frieden ersetzt die übliche Dramaturgie der drei Akte.«11 Vergleicht man das Oratorium mit den Konzeptionen der Makkabäerbücher und
versucht so auch hier ein theologisches Profil herauszupräparieren, so ergibt
sich insofern ein etwas anderes Bild, als die Entwicklung des Oratoriums auf der
Ebene der theologischen Gedankenführung durchaus dramatische Züge besitzt
und der Grundanlage von Exposition, Zuspitzung und Lösung folgt.
Der große Unterschied zwischen Morells Libretto und Händels Oratorium
einerseits und der biblischen Darstellung andererseits fällt bereits mit dem
Einsatz der Handlung bei der Trauerfeier für Mattathias ins Auge. So unterschiedlich in den beiden Makkabäerbüchern der Beginn des Aufstands auch
gezeichnet wird, es geht immer ein theologischer Schuldaufweis voran und
damit eine Interpretation der Notlage des Volkes als Folge des Gotteszorns, der
wegen der Abwendung der hellenisierten Juden von den Geboten der Tora losgebrochen ist. Im Oratorium dagegen ist anfangs unklar, worin denn eigentlich
die Not des Volkes besteht. Welche Rolle hat Mattathias zu Lebzeiten gespielt,
wenn nun sein Tod dazu führt, dass Juda alle Hoffnung auf Freiheit aufgeben
muss?12 Aus seiner Rolle als Oberhaupt einer Truppe von Widerstandskämpfern,
die die Sünder erschlugen, heidnische Altäre niederrissen und Zwangsbeschneidungen durchführten, wie das in 1Makk 2 beschrieben wird, ist das jedenfalls nicht verständlich. Da es die Figur des Mattathias in 2Makk gar nicht
gibt, kommt hier nur ein Rückgriff auf Flavius Josephus in Frage. Hier heißt es
im Jüdischen Krieg (bell. I, 36 f.), Matthias (sic!), der Sohn des Hasmonäus, sei
mit seinen fünf Söhnen gegen Bakchides, den Befehlshaber der Besatzungs9 Vgl. Dean, Handel’s Dramatic Oratorios and Masques, S. 464: »It is impossible to share the
admiration of some writers for this text.« und etwas später : »More serious are the defects of
structure. There is virtually no characterization and little plot; hence no contrast, other than
an occasional swing between corporate cheerfulness and corporate gloom.« (Ebd., S. 465).
10 Jürgen Schläder, »Der patriotische Held. Politische Moral und Gesellschaftsentwurf in ›Judas
Maccabaeus‹«, in: Beiträge zur Musik des Barock. Tanz – Oper – Oratorium. Bericht über die
Symposien der internationalen Händel-Akademie Karlsruhe 1994 bis 1997. Günter Könemann zum 65. Geburtstag, hrsg. von Hans Joachim Marx (= Veröffentlichungen der internationalen Händel-Akademie Karlsruhe 6), Laaber 1998, S. 295 – 310, hier S. 304.
11 Ebd.
12 Vgl. »Your sanguine hopes of liberty give o’er« (Nr. 1).
Vom frommen Rebellen zum gottgeflligen Heerfïhrer
15
truppen des Antiochus angetreten, habe diesen erdolcht und etwas später ein
feindliches Heer geschlagen und aus dem Land vertrieben.13 So sei er durch
gütiges Geschick zur Herrschaft gelangt. Morell scheint eine solche Situation
einer bereits recht etablierten Herrschaft voraus zu setzen, wenn er in den ersten
Nummern des Librettos den Satz »Your hero, friend and father is no more.«
(Nr. 1) weiter ausgestaltet.
Das Oratorium beschreibt nun einen Erkenntnisweg, den das Volk und mit
ihm die Zuhörerschaft durchläuft. Die eher richtungslose Klage der ersten
Nummern erhält im Rezitativ »Not vain is all this storm of grief« (Nr. 4) eine
theologische Orientierung, wenn der Israelitish Man der Verzweiflung entgegen
hält: »Distractful doubt and desperation / Ill becomes the chosen nation /
Chosen by the great I AM«. Es ist also die exklusive Gottesbeziehung Israels auf
die hier verwiesen wird. Bezeichnend ist nun aber – und hier unterscheidet sich
das Oratorium grundlegend von den Makkabäerbüchern –, dass diese Gottesbeziehung zumindest an dieser Stelle nicht als von menschlicher Seite gestört
angesehen wird. Das eigentliche Bittgebet in Gestalt des Chores »Oh Father,
whose Almighty pow’r« (Nr. 5) spricht daher auch keine Vergebungsbitte aus,
sondern wendet sich sofort den Bitten um Einigkeit und um eine rettende
Führerpersönlichkeit zu.
Die Antwort in Form eines göttlichen Orakels an Simon ist eine Eigenheit des
Oratoriums gegenüber allen Quellen.14 Wie es scheint, taucht das Motiv der
prophetischen Begabung eines Hasmonäers erst in Bezug auf den Sohn des
Simon, Johannes Hyrkan, auf und zwar nur bei Flavius Josephus (bell. I, 68).15
Simons Rezitativ »I feel the Deity within« und seine anschließende Arie »Arm,
arm ye brave!« (Nr. 6) hat für das Oratorium mehrere Funktionen. Es charakterisiert Simon, der hier zum ersten Mal in Erscheinung tritt, als die Figur, der
eine religiöse Deutungshoheit für das Geschehen zukommt. Damit steht er in
deutlichem Kontrast zum Simon in 2Makk, der hier nur als Unterheerführer
seines Bruders Judas genannt wird (2Makk 8,22; 10,19 f.; 14,17 vgl. ebenso
13 Diese Darstellung steht in deutlichem Widerspruch zu 1Makk 9,1 – 22, dem Bericht über die
entscheidende Schlacht gegen Bakchides, bei der Judas fällt.
14 Smith, »The Meaning of Morell’s Libretto of ›Judas Maccabaeus‹«, S. 59, notiert diesen
Unterschied ebenfalls, sieht eine Aufteilung der Macht auf politische bzw. militärische
Führung auf Simon und Judas allerdings schon vorgegeben, was wohl einer Fehlinterpretation von 1Makk 2,65 entspringt: entsprechend der in der Herrschaft Simons gipfelnden
Gesamtanlage des Buches wird dieser in den folgenden Kapiteln zunächst noch unbedeutende Sohn bereits im »Testament« des Mattathias verankert und als »Vater« bezeichnet, was
seiner späteren Funktion als faktischer Haupterbe und Dynastiegründer entspricht. Mit
einem politischen »Amt« während der Zeit des Aufstandes unter Judas hat das nichts zu tun.
Ein solches Amt ist auch nicht aus 1Makk,3 – 9 und erst recht nicht aus 2Makk abzuleiten.
15 Ein prophetisches Element ganz anderer Art ist der Traum des Judas in 2Makk 15,11 – 16, in
dem er vom Propheten Jeremia ein heiliges Schwert übergeben bekommt, um die Feinde zu
schlagen.
16
Johannes Schnocks
1Makk 5,17.20 f.55). In 1Makk entwickelt sich seine Figur von dieser Position
über eine eher gleichberechtigte militärische Stellung neben dem nach dem Tod
des Judas herrschenden Jonatan (1Makk 9 – 12) und wird von Kap. 13 an zur
Hauptperson, die an Machtfülle und Legitimation durch das Volk in den Ämtern
des »großen Hohepriesters, Feldherrn und Führers der Juden«16 die Stellung
seiner Brüder deutlich überragt. Diese Stellung am Ende des Buches wird in der
Aussage des sterbenden Mattathias in 1Makk 2,65, der verständige Simon solle
seinen Brüdern zum Vater werden, also seiner Einsetzung als Haupterbe, vorbereitet.17 All dies hat aber nichts mit der Begabung als Prophet zu tun, die ihm
von Morell zugesprochen wird.
Wenn Simon von einer Offenbarung der Gottheit zwischen den Cheruben
spricht, so ist das mehr als einfach nur alttestamentliches Kolorit. Das Bild von
Gott als dem, der auf den Cherubim thront, begegnet vor allem in den Psalmen.18
Die Ausstattung des Jerusalemer Tempels platziert die Bundeslade als Ort der
Gottesgegenwart zwischen zwei riesigen vergoldeten Cheruben (1Kön 6,24 – 28).
So stellt die Szene, die Simon schildert, so etwas wie eine visionäre Audienz
Gottes dar, die etwa an die Berufungsvision des Jesaja in Jes 6 erinnert. In dieser
Audienz wird Judas als Retter berufen und mit Befreiung und Sieg beauftragt.
Bibeltheologisch werden wirklich alle Register gezogen. Deutlicher kann man
nicht ausdrücken, dass Judas ein reines Werkzeug Gottes ist.
Das hat nun zur Folge, dass der Kampf, den Judas führt, die Sache des
Himmels selbst ist. Damit ergibt sich eine gewisse Parallele zu 2Makk 8,5. Hier
heißt es, dass Judas, als er ein Heer aufgestellt hatte, unbesiegbar war, weil der
Zorn Gottes sich in Erbarmen gewandelt hatte. Konzeptionell folgt diese Aussage
in 2Makk aber den großen Märtyrerberichten, und das Erbarmen Gottes wird
auf diese Weise motiviert. Im Oratorium dagegen gibt es keinen Bericht über
Menschen, die sich eher zu Tode martern lassen, als Schweinefleisch zu essen,
und so faktisch Gott zum Einlenken bewegen. Wir haben es also mit einer völlig
anderen Kausalität zu tun: Die Vision des Simon bestätigt, dass Gott selbst den
Kampf des Judas gut heißt und zwar um seiner selbst willen. Das wird in der
folgenden Arie klar ausformuliert. Der »cause of Heav’n« (Nr. 6) besteht in der
Verteidigung von »nation, religion, and laws«. Diese Werte werden durch den
Rekurs auf eine göttliche Offenbarung sozusagen absolut gesetzt. Bemerkenswerterweise antwortet dann auch das Volk nicht, dass es Judas, dem Heerführer
16 Vgl. die Datierung in 1Makk 13,42 nach der Ära Simons, des !qwieq´yr lec²kou ja· stqatgcoO ja· Bcoul´mou Iouda¸ym.
17 Vgl. entsprechend Jos. Ant. XII, 283. Vgl. Schwartz, 2 Maccabees, S. 324 mit Anm.1.
18 Vgl. Ps 80,2; 99,1 und das Psalmgebet des Hiskija in 2Kön 19,15; Jes 37,16. In 1Sam 4,4; 2Sam
6,2; 1Chr 13,6 ist die Formulierung mit der Bundeslade verbunden, also mit dem Gegenstand, über dem Gott im Tempel thronend vorgestellt wurde.
Vom frommen Rebellen zum gottgeflligen Heerfïhrer
17
gehorchen wolle, sondern sich dem Zepter von Judah, also in der Sprache des
Oratoriums den Forderungen der Nation unterstelle.
Im Vergleich mit der biblischen Vorlage ist eine weitere Verschiebung
ebenfalls von größter Wichtigkeit. In 1Makk 2 spielt das Stichwort des Eifers eine
große Rolle. Wie einst der Ahnvater der Hohenpriester, Pinhas (vgl. Num 25),
eifert hier Mattathias für die Tora, indem er einen Mord begeht, so den Aufstand
auslöst und in der Logik von 1Makk auf diese Weise für seine Dynastie das
Hohepriestertum als Erbbesitz erwirbt. Der Eifer ist dabei eine freie menschliche
Reaktion, gewissermaßen die Konsequenz einer Grundentscheidung, und zieht
dann unter Umständen ein gewalttätiges Handeln nach sich. In der Arie Simons
fällt nun das Stichwort des Eifers ebenfalls, aber es ist nicht das Ergebnis einer
individuellen menschlichen Entscheidung für die Tora, sondern die Forderung
eines göttlichen Orakels: »Arm, arm ye brave! a noble cause, the cause of Heav’n
your zeal demands« (Nr. 6). Der Eifer ergibt sich aus der Legitimierung der
Kriegsziele.
Damit ist nun im Oratorium der Weg bereitet für den ersten Auftritt des
Titelhelden (Nr. 7). Judas tut, was er auch in den Makkabäerbüchern vor den
Schlachten tut. Er ermutigt die Kämpfer, indem er an siegreiche und oft wunderbare biblische Kriegserzählungen erinnert. Die Szene, auf die er sich im
Oratorium bezieht, die Schlacht Josuas gegen die fünf Könige, bei der Sonne und
Mond auf dessen Befehl hin still standen (Jos 10), wird allerdings weder in den
Makkabäerbüchern noch bei Josephus in diesem Zusammenhang erwähnt.
Morell kommt es hier offenbar auf die Endbetonung seiner letzten Verszeile an:
»[…] Till kings he had destroy’d, and kingdoms won.«
Im B-Teil der folgenden Arie fällt dann auch das Stichwort, das die folgenden
Rezitative und Arien bestimmt: »Liberty«. Als Motiv für den Kampf findet sich
die Freiheit nicht in der Bibel,19 sondern nur bei Josephus, und zwar in der Rede
des sterbenden Mattathias an seine Söhne: »Bedenkt, dass Gott, wenn ihr in
dieser Gesinnung verharrt, euch nicht verlassen, sondern euch eure verlorene
Selbständigkeit und Freiheit wieder verleihen wird, damit ihr in Sicherheit nach
euren eigenen Gebräuchen leben könnt. Sind auch eure Leiber sterblich und
hinfällig, so wird doch das Andenken an eure Thaten euch Unsterblichkeit
verschaffen. Im Hinblick darauf […] gebt, wenn es notwendig ist, gern euer
Leben dahin.«20 Diese bei Josephus noch erheblich längere Rede greift Morell auf
und bringt sie in Nr. 13 auf eine hochdramatische und prägnante Kurzform:
19 Vgl. lediglich die Notiz im Nachhinein in 1Makk 14,26 über Simon: »Denn er und seine
Brüder und das Haus seines Vaters waren eine Stütze und haben die Feinde Israels im Kampf
vertrieben, und sie verschafften ihm Freiheit.« (Übersetzung: Septuaginta deutsch). Dies ist
der einzige Beleg von 1keuheq_a in 1/2Makk. Zum Adjektiv 1ke}heqor vgl. in einem etwas
anderen Sinn: 1Makk 2,11 und die Dekrete 1Makk 10,33; 15,7; 2Makk 9,14.
20 Jos. Ant. XII, 281 f. (Übersetzung: Clementz).
18
Johannes Schnocks
Mattathias spricht »Then, faintly, with expiring breath, ›Resolve, my sons, on
liberty, or death!‹«
Beim Eingangschor des zweiten Aktes (Nr. 18) ist es wichtig, die Sprechrichtung in die Interpretation mit einzubeziehen. »Fall’n is the foe: so fall Thy
foes, oh Lord!« ist Rede an Gott. Die soeben gewonnene Schlacht wird hier also
coram deo bedacht, bevor sie dann ausführlich als Heldentat des Judas gewürdigt
wird. Musikalisch haben wir es hier entsprechend noch nicht mit einem Triumphgesang zu tun.21 Die Tonart ist d-moll,22 als Bläser kommen nur zwei
Oboen zum Einsatz, die aber fast ausschließlich colla parte zum Sopran geführt
sind. Höchst effektvoll und interessant im Rahmen der im ersten Akt vorgefundenen Konzeption sind nun die piano-Takte, in denen sie nicht den Sopran
verstärken und die Geigen von ihren das ganze Stück prägenden SechzehntelLäufen zu in Achteln unterteilten ganztaktigen Akkorden wechseln (T. 49 f.; 52 –
54; 72 – 75). Der Text »Fall’n is the foe« wird hier durch eingeschobene Pausen
gedehnt und erhält so einen völlig anderen, eher erschrockenen Charakter.23 Der
ganze Chor scheint eine durchaus ambivalente Reflexion auf die Gewalterfahrung der ersten Schlacht zu sein. Menschlich gewendet könnte man schlicht
sagen: Auch eine gewonnene Schlacht ist etwas Grauenhaftes. Theologisch
müsste man allerdings weiter gehen: Wenn Judas Makkabäus als Werkzeug
Gottes gegen die Gottesfeinde angetreten ist, um die Sache des Himmels auszufechten, wie das im ersten Akt dargestellt wurde, so hat sich in diesen Kämpfen
auch eine erschreckend gewalttätige Seite Gottes selbst gezeigt.
Es ist dieses Signum der Ambivalenz von Gewalt und göttlichem Wirken unter
das der zweite Akt von Anfang an gestellt wird. In den ersten Nummern (Nr. 19 –
23) wird nun einerseits der Sieg gefeiert und dem Judas gehuldigt, andererseits
lenkt Judas selbst in seinem Dank für diese Huldigung den Blick weg von seiner
eigenen Leistung auf das Wirken Gottes. Was meines Erachtens zu wenig gesehen wird, ist, dass es sich hierbei nicht einfach um Frömmigkeitsrhetorik auf der
21 Vgl. Marx, Händels Oratorien, Oden und Serenaten, S. 139.
22 Walter Serauky, Georg Friedrich Händel, sein Leben – sein Werk. IV. Band: Von Händels
»Semele« bis zum Abschluss des »Judas Makkabäus« (1743 – 1746), Leipzig 1957, S. 508,
interpretiert die Tonart folgendermaßen: »Die Wahl der Tonart d-moll für diesen SiegesChor ist außerordentlich bezeichnend; sie offenbart, dass die Siegesfreude angesichts der
schweren Opfer, welche der Sieg gekostet, keine ungetrübte ist, dass man andererseits im
Volke ahnt, der letzte Kampf sei noch nicht durchgestanden.« Diese Deutung muss sich
allerdings fragen lassen, wo denn an dieser Stelle des Oratoriums – im Gegensatz zum dritten
Akt – oder sogar selbst in den Makkabäerbüchern die Opfer erwähnt würden oder eine
Ahnung über die bevorstehenden Kämpfe artikuliert würde. Vielmehr bricht der Botenbericht Nr. 24 unvermittelt in die Siegesfeier hinein.
23 Vgl. völlig zu Recht Serauky, Georg Friedrich Händel, S. 509: »Doch nicht nur Triumph über
die Besiegung der Feinde, sondern auch plötzliches Erschrecken über deren Untergang weiß
Händel durch ruckartig eintretendes Piano unter gleichzeitig durchgeführter homophonakkordischer Arbeit plastisch in Erscheinung treten zu lassen«.
Vom frommen Rebellen zum gottgeflligen Heerfïhrer
19
Ebene der Figuren handelt, ja noch nicht einmal um so etwas wie eine plakative
Präsentation gesellschaftspolitischer Wertvorstellungen,24 sondern dass wir es
mit dem Konzept der Wirklichkeitsdeutung des Oratoriums zu tun haben. Die
Dramatik liegt dabei darin, dass diese religiöse Wirklichkeitsdeutung laufend
mit einer Darstellung der reinen Geschehensebene kontrastiert wird. So geschieht es auch hier. Auf die Arie des Judas folgt sofort ein neuer Botenbericht,
der nun die Konfrontation mit Gorgias ankündigt (Nr. 24). Die Reaktion darauf
ist zunächst eine Volksklage (»Ah! wretched, wretched Israel!«, Nr. 25), der
Händel »auf bisher noch nicht gehörte Weise Ausdruck«25 verleiht, und der Trost
des Simon (Nr. 26), dann der Alarmruf des Judas mit dem Rezitativ »My arms!«
und der berühmten Arie »Sound an alarm!« und die Gefolgschaft seiner Krieger
im Chor »We hear the pleasing dreadful call« (Nr. 27).
Im Blick auf die biblischen Vorlagen ergibt sich nun eine etwas verwirrende
Situation in der Akkoluthie der Ereignisse, die Morell sehr geschickt gelöst hat,
indem er eine ganz andere Struktur über die erzählte Geschichte legt. Das
Problem besteht darin, dass einige Namen der feindlichen Feldherren in den
Makkabäerbücher z. T. mehrfach begegnen und es unklar ist, ob es sich jeweils
um dieselbe Person handelt.26 Nimmt man das aber an, so ergeben sich
Schwierigkeiten, die einzelnen Auseinandersetzungen zu harmonisieren und in
ein zeitliches Verhältnis zur Wiedereinweihung des Tempels zu setzen. So folgen
in 1Makk auf die ersten Kämpfe gegen Appolonius und Seron (1Makk 3,10 – 26)
Siege gegen Gorgias und Lysias, wobei hier anfangs auch ein Nikanor erwähnt
wird. Dann kommt es zur Wiedereinweihung des Jerusalemer Tempels durch
Judas, dem Chanukkafest. Es folgen nun kleinere Feldzüge und die unentschiedene Schlacht gegen Lysias, bei der Eleasar, ein Bruder des Judas, den
größten Elefanten tötet und sein Leben dabei opfert. Dann schließen sich der
Sieg gegen Nikanor, das Bündnis mit Rom und die aussichtslose Schlacht gegen
Bakchides an, bei der Judas Makkabäus fällt. In 2Makk gibt es nur eine gewonnene Schlacht gegen einen Nikanor, bevor Antiochus IV. Epiphanes als
reumütiger Sünder stirbt und Judas den Tempel wieder einweiht. Dann erst
folgen die Auseinandersetzungen mit Gorgias, ein strahlender Sieg mit Hilfe von
himmlischen Erscheinungen gegen Lysias und weitere Feldzüge. Ein weiterer
Kampf gegen Gorgias ist der einzige Fall in 2Makk, in dem jüdische Kämpfer in
einer Schlacht den Tod finden, weil sie heidnische Amulette trugen. Es folgen
Kämpfe gegen den König Antiochus Eupator und dann die romanhafte Episode
24 Vgl. Schläder, »Der patriotische Held«, S. 304.
25 Marx, Händels Oratorien, Oden und Serenaten, S. 139.
26 Vgl. zur Problemlage Jonathan A. Goldstein, I Maccabees. A new translation with introduction and commentary (= The Anchor Bible 41), Garden City/New York 1984, S. 259;
Goldstein, II Maccabees. A new translation with introduction and commentary (= The Anchor Bible 41 A), New York, NY 1984, S. 486.
20
Johannes Schnocks
mit Nikanor, deren Ende mit der siegreichen Schlacht auch das Ende des Buches
ist. All diese Ereignisse ziehen sich über viele Jahre hin. Allein die Episode mit
Nikanor, wie sie in 2Makk angelegt ist, würde Stoff genug für eine Barockoper
mit allen denkbaren Entwicklungen und Konflikten der beteiligten Charaktere
bieten, die von den Kritikern des Libretto in Händels Judas Maccabaeus vermisst
werden.
Schon dieser Vergleich der Handlungsstränge der Makkabäerbücher macht es
offensichtlich, dass die dauernde Folge von Kämpfen kaum geeignet ist, dramatisch umgesetzt zu werden. Es ist aber wichtig zu sehen, dass Morell nicht nur
einfach seinen Stoff strafft, sondern vielmehr eine Geschichte erzählt, die eine
bis dahin überhaupt nicht vorhandene Konzeption mit Elementen aus den
Makkabäerbüchern verbindet, und harte Widersprüche zu seinen Vorlagen in
Kauf nimmt. Dabei erlaubt er sich den Kunstgriff einer zeitweisen Trennung der
Handlung und des Personeninventars in zwei Bereiche. Etwas vergröbernd
könnte man sagen, er trennt Religion und Politik, Kirche und Staat oder schon
etwas präziser : Kult und Kampf. Um hier von Anfang an jedes Missverständnis
zu vermeiden: Auch in dieser Trennung behält die militärische Seite einen klaren
Bezug zum Handeln Gottes, der selbstverständlich im Hintergrund des gesamten Geschehens steht. Die Trennung bezieht sich vielmehr auf das Handeln der
Menschen.
Wie sieht das nun aus? Nach dem Rezitativ des Boten (Nr. 24) und dem
Klageschrei des Volkes (Nr. 25) deutet Simon, der ja bereits im ersten Akt mit
prophetischer Begabung und damit mit einer religiösen Deutungshoheit ausgestattet wurde, die erneute Kriegsgefahr als Züchtigung im Sinne einer Bußübung, der sich das Volk nun zu unterziehen habe. Das ist ein völlig anderer Ton
als sein »Arm, arm ye brave!« des 1. Aktes, lenkt aber wiederum zur Aktion des
Volkes um. Es geht nach dieser Auskunft nicht mehr darum, was Gott tut,
sondern darum, was die Menschen tun. Judas reagiert prompt mit seinem Ruf
»My arms!« (Nr. 27), fordert seinen Feind Gorgias heraus und geht dann mit
»Sound an alarm« (Nr. 27) daran, seine Gefolgschaft zu sammeln. Was er selbst
entwirft und vorlebt, ist eine und zwar im Oratorium notwendige Handlungsoption, auf das »chastisement« der erneuten Kriegsgefahr zu reagieren: Wenn
der Alarm für die Sache Gottes gegeben wird, gilt: »Who listeth, follow«. Der
Chor greift das in der bruchlosen Fortsetzung dieser strahlenden D-Dur-Arie auf
und versichert Judas der Gefolgschaft, buchstäblich mit Pauken und drei
Trompeten. Er bringt aber ein ganz entscheidendes Element mit ins Spiel: die
Möglichkeit des Todes, der hier durch eine Generalpause mitten im Stück und
der Fortsetzung in d-moll geradezu schockierend ins Bewusstsein gerufen
wird.27 Aus diesem d-moll arbeitet sich der ganze Chor in Sekundschritten
27 Vgl. Schläder, »Der patriotische Held«, S. 300: »Die neue Gesinnung freilich, der Tod für das
Vom frommen Rebellen zum gottgeflligen Heerfïhrer
21
aufwärts. Dazu erklingt der Text: »if to fall, if to fall, for laws, religion, liberty we
fall«. Beim letzten »fall« ist wieder D-Dur erreicht, die Trompeten und Pauken
setzen erneut ein und schweigen auch bei der Wiederholung des Textes von nun
an nicht mehr. Händel lässt hier den Chor ein Einverständnis in die mögliche
Lebenshingabe für die Werte der Gemeinschaft entwickeln.28
Es wirkt zunächst fast befremdlich, wenn auf diese Proklamation Simon mit
seinem Rezitativ »Enough« (Nr. 28) antwortet und eine Ämterteilung zwischen
ihm und Judas vorschlägt. Judas soll weiterhin als Heerführer fungieren, während er selbst sich um die Instandsetzung des Heiligtums kümmern möchte.
Eine solche Ämterteilung widerspricht vollständig allen antiken Vorlagen, die
einerseits Judas selbst den Tempel wieder einweihen lassen und andererseits in
der Person des Simon gerade auf eine Vereinigung der Ämter von Hohenpriester
und Heerführer zusteuern. Was bezweckt Morell damit?
Einerseits gelingt ihm so eine Art Szenenwechsel: Das Heer des Judas kann als
in die Schlacht gezogen angesehen werden und die Blicke konzentrieren sich nun
auf das Geschehen am Jerusalemer Tempel. Andererseits wird nun erst Morells
theologische Konzeption vollständig entfaltet, wie es überhaupt zu der Kriegsnot
kommen konnte, von der bisher schon so ausführlich die Rede war. Auch hier
übernimmt er nicht genau das Konzept eines der Makkabäerbücher, aber er
lehnt sich doch an alttestamentliche Vorstellungen an.
Vaterland, geht dem Volk nicht mühelos über die Lippen. Händel illustrierte das Entsetzen
vor der möglichen Katastrophe (›if to fall‹) mit einer abrupt auf der Dominante eintretenden
zweitaktigen Generalpause (S. 136, Takt 96), der gebräuchlichen musikalischen Figur für
Tod, mit einer auffälligen Rückung in die Mollvariante der Tonika D-Dur und einer totalen
dynamischen Zurücknahme, die den klanglichen Militarismus der voraufgehenden Arie und
des Chorsatzes selber zu zerreißen droht.« Selbst Dean, Handel’s Dramatic Oratorios, S. 468,
der fast den gesamten zweiten Akt als »thin stuff« bezeichnet, muss hier einräumen: »A finer
stroke is the interruption of the following chorus by a quiet modulating sequence at the
words ›If to fall‹.«
28 Schläder, »Der patriotische Held«, S. 299 f., weist zu Recht auf die Verschiebung gegenüber
Nr. 6 hin: »Simons zuvor eher staatsmännisch entworfene Programmatik von nation, religion, and laws, die es zu verteidigen gelte, wird vom Volk pragmatisch umgedeutet in den
Kampf for laws, religion, liberty. In sorgsam miteinander verzahnten Argumentationsschritten ist diese Identifikation des Volkes mit den ungeheuerlichen Inhalten dieses Freiheitsbegriffs vorbereitet. Unmittelbar anschließend an die ausführliche liberty-Explikation
des 1. Aktes verknüpft Judas Makkabäus unter Berufung auf das Legat seines sterbenden
Vaters Mattathias den Freiheitsbegriff ausdrücklich mit dem Tod auf dem Schlachtfeld (im
Rezitativ Nr. 19 [= Chrysander Nr. 13; J.S.] ›So will’d my father‹), womit unverhohlen die
Märtyrer-Problematik einer staatserhaltenden Kriegsführung anklingt. […] Angesichts
äußerster Bedrohung der kulturellen Grundlagen, wie sie Mitte des 2. Aktes formuliert wird,
stimuliert der Kampfaufruf des Führers beim Volk freilich die fatale Märtyrergesinnung vom
notwendigen Opfer für eine politische Idee. Das Oxymoron vom schrecklich schönen Klang
der Kriegstrompete (›we hear the pleasing dreadfull call‹) illustriert den ambivalenten
Charakter dieses nunmehr bedingungslosen Engagements für die Freiheit.«
Zur Liberty-Thematik vgl. auch den Beitrag von Jürgen Heidrich in diesem Band.
22
Johannes Schnocks
Die Aussage des Rezitativs lautet: Solange der Zionsberg, also der Tempel, der
Sitz Gottes auf Erden, in Ruinen liegt, kann es keinen Frieden für Israel und also
auch keinen dauerhaften Erfolg in der Schlacht geben. Dieses Motiv des Zusammenhangs zwischen dem Zustand des Tempels bzw. des Kults und dem
Wohlstand des Gemeinwesens stammt aus dem Buch des Propheten Haggai, wo
es darum geht, dass der Tempel nach dem babylonischen Exil wieder aufgebaut
werden soll. Der schlechte Zustand des Tempels, von dem bisher im Oratorium
ja noch gar nicht die Rede war, wird dabei auf die Kurzform gebracht: Er liegt in
Trümmerhaufen und ist von den Heiden betreten worden.29 Diese Kurzform nun
erinnert an einen Psalm mit enormer Wirkungsgeschichte gerade im europäischen Mittelalter.30 Ich meine Ps 79,1: »Gott, die Heiden sind in dein Erbe gekommen, sie haben deinen heiligen Tempel verunreinigt, sie haben Jerusalem zu
Trümmerhaufen gemacht.« Morell kombiniert hier also zwei alttestamentliche
Theologumena, die vermutlich seinem Publikum geläufiger waren als die
Makkabäerbücher. Auf diese Weise umgeht er vollständig die Begründungswege
der Makkabäerbücher über den Gotteszorn, der wegen Missachtung der
Speisevorschriften, der Beschneidung und der Sabbatheiligung im Zuge der
Hellenisierung über Juda hereingebrochen sei. Es gelingt ihm so, eine allgemeinere, für anglikanische Christen genau so wie für die Juden der Londoner
City akzeptable Religiosität zu zeichnen und ihre Förderung und Einhaltung als
in Krisenzeiten notwendig einzufordern, ohne dabei etwa das Essen von
Schweinefleisch oder das Unterlassen der Beschneidung als schlimme religiöse
Vergehen im Sinne der Makkabäerbücher brandmarken zu müssen.
Die Ämterteilung zwischen den beiden Makkabäerbrüdern bekommt so noch
eine weitere Dimension: Neben die bereits entwickelte Forderung, dass in der
Kriegsbedrohung dem Ruf zu den Waffen bedingungslos zu folgen ist, tritt der
zweite Anspruch, dass jeder religiöse Missstand gerade in der Krise beseitigt
werden muss. Die Arie des Simon lässt dabei nicht zu, dass Frömmigkeit und
Tapferkeit als die beiden hier geforderten Tugenden gegeneinander ausgespielt
werden: »With pious hearts, and brave as pious«. Frömmigkeit und Tapferkeit –
also ausgesprochen individuelle Tugenden – haben nach Morell hier zuerst eine
Gemeinschaftsfunktion.
Auch wenn es dann in den folgenden Rezitativen und Arien um heidnische
Kulte der Antike gehen mag, so ist doch im Schlusschor des 2. Aktes nur noch
schwer zu trennen zwischen Götzenkult und Heiligenverehrung und der anti29 Vgl. Nr. 28: »For Sion, holy Sion, seat of God, / In ruinous heaps, is by the heathen trod«.
30 Die an diesen Psalm anknüpfenden Denkmuster der Legitimierung von Gewalt haben sich in
den Kreuzzugsaufrufen der Päpste niedergeschlagen. Diese Zusammenhänge sind auf der
Tagung »Denkmuster christlicher Legitimation von Gewalt« des Exzellenzclusters »Religion
und Politik« im Oktober 2009 von Gerd Althoff und mir aufgewiesen worden. Die Publikation der Vorträge in einem Tagungsband ist in Vorbereitung.
Vom frommen Rebellen zum gottgeflligen Heerfïhrer
23
katholische Impuls somit wohl nicht zu überhören: »We never, never, will bow
down / To the rude stock or sculptur’d stone. / We worship God, and God alone«
(Nr. 31). Dass die letzte Zeile dann zunächst mit einer an Kirchenmusik erinnernden »Choral-Episode feierlichen Charakters«31 vertont ist, verstärkt diese
Polemik gegen den Katholizismus oder in zeitgenössischer Diktion: gegen
»Popery«.
Der 3. Akt beginnt nun mit dem sogenannten »feast of lights«. Dabei fallen
einige Details auf. Zunächst stammt, wie oft bemerkt worden ist, die Bezeichnung »Lichterfest« nicht aus der Bibel, sondern von Josephus (Ant. XII, 325) und
bezeichnet hier das jährliche Fest, das der Wiedereinweihung des Tempels unter
den Makkabäern gedenkt. Gemeint ist das jüdische Chanukkafest. Erstaunlich
ist nun, dass in der Eröffnungsarie des 3. Aktes jeder Hinweis darauf fehlt, dass
hier entsprechend der Ereignisfolge der Makkabäerbücher nicht ein jährliches
Fest, sondern seine Geburtsstunde, die Wiedereinweihung des gereinigten
Tempels begangen wird. Ebenso überlagert im folgenden Rezitativ die Rede vom
aufsteigenden Weihrauch und dem Gebet des Volkes die Erwähnung der Flammen auf dem Brandopferaltar, um dessen Einweihung es eigentlich gehen sollte.
Das anschließende Gebet um Frieden und die Arie, die bereits den mit Laute und
Harfe begleiteten Psalmengesang32 der Friedenszeit heraufbeschwört, sind dann
gänzlich im England des 18. Jahrhunderts genauso passend wie sie es für die Zeit
der Neuweihe des Tempels unter den Makkabäern wären.33
Interessant ist dann das Inventar der beteiligten bzw. besser der nicht beteiligten Personen. Die Arien und Rezitative sind dem Israelitischen Mann und
der Israelitischen Frau in den Mund gelegt. Simon, der im vorangegangenen Akt
die Initiative zur Wiederherstellung des Kultes ergriffen hatte, kommt nicht vor.
Noch deutlicher gilt das für Judas Makkabäus, dem Hauptakteur dieser Episode
in den Makkabäerbüchern und bei Josephus, der hier als abwesend vorgestellt
werden muss. Die wichtige Geste, dass es der siegreiche Heerführer Judas und
niemand sonst ist, der den Tempelkult wieder einrichtet, und so die Führung in
allen Bereichen für sich beansprucht, ist im Oratorium damit komplett ausgeklammert. Die Betonung liegt vielmehr darauf, dass das Volk hier betend und
singend kultisch agiert – so wie auch im Blick auf militärische Aktivitäten der
Akzent in Nr. 27 und in der noch ausstehenden Nr. 38 darauf liegt, dass das Volk
dem Ruf zu den Waffen folgt.
31 Serauky, Georg Friedrich Händel, S. 530.
32 Mit »Jesse’s son«, David, ist hier nicht nur ein biblischer Musiker, sondern auch eine königliche Gestalt genannt.
33 Bezeichnenderweise spricht Serauky, Georg Friedrich Händel, S. 531, bei seiner Schilderung
der Szene nicht von der Wiedereinweihung des Tempels: »So versammelt sich denn – dies der
gleichsam szenische Hintergrund – das Volk unter Vorantritt eines Priesters, um in feierlicher Prozession im Tempel des Herrn den Gottesdienst zu begehen.«
24
Johannes Schnocks
Die Referenz auf die Neuweihe des Jerusalemer Tempels ist also massiv auf die
Entstehungssituation des Oratoriums hin umgestaltet worden. Was die Arie
Nr. 34 mit ihrem Lobgelübte für Friedenszeiten bereits auf religiöser Ebene
erahnt, folgt dabei nun auf militärischer Ebene im direkt anschließenden Rezitativ.
Der Bote berichtet hier von zwei siegreichen Schlachten, wobei wir von
Gorgias, gegen dessen Heer Judas ja im 2. Akt losgezogen war, nichts mehr
erfahren. Blickt man in die Makkabäerbücher – oder auch in die »Altertümer«
des Josephus – so werden hier die militärischen Ereignisse von einigen Jahren so
sehr konzentriert, dass der Eindruck entsteht, Judas sei nur zu einer einzigen
Militärexpedition mit mehreren siegreichen Schlachten ausgerückt. Diese
Konzentration erlaubt eine Verschiebung der Kausalität: Die Sammlung des
Volkes im rechtgläubigen Gottesdienst wird zur Voraussetzung für das Kriegsglück. Gleichzeitig sind sowohl der funktionierende Kult als auch die gewonnene
Schlacht Ausdruck des Friedenszustands, der mit den drei Werten »laws, religion, liberty« umschrieben worden ist.
Im Oratorium stehen die beiden Bereiche Kult und Krieg nun zunächst auch
im dritten Akt unverbunden nebeneinander. Das Rezitativ des Boten stellt einen
überraschenden Umschwung vom Geschehen am Tempel zur Szene des siegreich heimkehrenden Heerführers dar. Dass nun anders als in den ersten Aufführungen dieser Triumphzug mit »See the conqu’ring hero comes« einen
glänzenden, aus dem Oratorium Joshua übernommenen zusätzlichen Akzent
bekommt, verstärkt diesen Eindruck nur.
Die hier beobachtete Zweiteilung scheint bisher nicht für die Struktur des
Oratoriums ausgewertet worden zu sein. Es ergeben sich zwei Fragen: Lässt sich
erstens diese Aufteilung von Zuspitzung und Lösung auf die zwei Bereiche Kult
und Krieg auch in der musikalischen Struktur des Oratoriums feststellen, hat
Händel sie also übernommen? Und zweitens: Wo finden die beiden Bereiche
wieder zusammen?
Der Höhepunkt der kriegerischen Ebene im zweiten Akt und gleichzeitig ein,
vielleicht der dramatische Höhepunkt des Oratoriums ist die große Arie des
Judas mit anschließendem Chor »Sound an alarm« (Nr. 27) in D-Dur. Simon
setzt dem nach seinem Rezitativ »Enough« die g-moll-Arie »With pious hearts«
(Nr. 28) entgegen. Es ist nach der Ämterteilung der ihm zukommenden Weg, auf
die Drohung der Völker zu reagieren. Dieser Umschwung in B-Tonarten setzt
sich in »Wise men, flatt’ring« (F-Dur, Nr. 30) und dem Duett mit Chor »Oh!
never, never bow we down« (c-moll, Nr. 31) fort, wobei der Chor freilich in CDur den zweiten Akt beschließt. Der dritte Akt beginnt dann mit der F-Dur-Arie
»Father of Heav’n« (Nr. 32). Das Accompagnato-Rezitativ »See, See« beginnt in
B-Dur. Die Arie »So shall the lute and harp awake« (Nr. 34) steht ebenfalls in BDur.
Vom frommen Rebellen zum gottgeflligen Heerfïhrer
25
Das Rezitativ des Boten moduliert dann von C-Dur je nach Fassung nach ADur bzw. D-Dur und schafft so den Übergang zu »See the conqu’ring hero
comes« (Nr. 36) und dem folgenden Marsch in G-Dur und dem Chor »Sing unto
God« in D-Dur (Nr. 37). Wir sind also nach einem langen Ausflug in die BTonarten wieder in die Kreuztonarten zurückgekehrt. Die Verteilung von B- und
Kreuztonarten fällt dabei mit dem Auseinandertreten der beiden Ebenen von
Kult und Krieg zusammen, oder besser : die im Libretto angelegten zwei Bereiche
der Krisenbewältigung werden also in der Tat auch klanglich als zwei Bereiche
kenntlich gemacht.34
Die Antwort auf die zweite Frage, wo es wieder zur Synthese kommt, ergibt
sich aus dem folgenden von Judas selbst im Rezitativ »Sweet flow the strains«
(Nr. 38) eingeleiteten Themenwechsel vom Gotteslob angesichts des Siegs zum
Gedenken an die Gefallenen, das sich dann besonders in der Arie »With honor let
desert be crown’d« entfaltet. Die Arie knüpft einerseits »an die Tradition der
heroischen Trompeten-Arie an«35, steht andererseits aber nicht wie üblich in DDur oder C-Dur, sondern in a-moll. Inhaltlich wird hier wieder das Thema
aufgegriffen, dass dem Alarmsignal der Trompete in jedem Fall zu folgen sei.
Nun aber schließt sich nicht wie im 2. Akt die Frage an, für welche Werte die
Soldaten die Möglichkeit des Todes auf sich nehmen, sondern es geht um ihre
Perspektive nach der Schlacht. Dabei ist es höchst bemerkenswert, dass hier eine
Aussage gemacht wird, die unabhängig davon gilt, ob der Krieg am Ende gewonnen oder verloren wurde. Es geht einzig um das Verdienst des Engagements.
Im Fall des persönlichen Siegs und damit des Überlebens wird den Kämpfern
irdischer Lohn zuteil, im Fall des Todes dagegen ist es der Lohn der »far more
happy skies« (Nr. 38). Die religiöse Dimension auf der Ebene Krieg hat damit
eine wichtige Metamorphose durchlaufen. Zuvor bestand sie entweder in der
Geschichtsmächtigkeit Gottes, der entsprechend der Gerechtigkeit der Kriegsgründe Sieg oder Niederlage zuteilt und unter Umständen auch durch Wundertaten durchsetzt, oder darin, dass »religion« in aller Abstraktheit des Wortes
ein auch kriegerisch zu verteidigender Wert sei. Nun geht es dagegen um eine
religiöse Hoffnung für den einzelnen Kämpfer – wenn man so will um sein
persönliches, den Tod transzendierendes Gottesverhältnis. Damit aber ist die
militärische Ebene nun gedanklich im Bereich des persönlichen Religionsvollzugs angekommen, der zuvor bereits die kultische Ebene geprägt hatte – man
denke nur etwa an Nr. 31 »Oh! never, never bow we down«. Im Blick auf die
Tonarten kehrt diese Dimension nun wieder zurück mit dem g-moll-Chor »To
34 Die hier vorgetragene Beobachtungen zur Verteilung der Tonarten sind also wesentlich
begrenzter, aber auch deutlicher mit den Textsignalen des Libretto verknüpft als bei dem
bereits von Serauky, Georg Friedrich Händel, S. 547, kritisierten Versuch von Hans Stephan,
einen planvollen tonalen Aufbau des ganzen Oratoriums zu entwerfen.
35 Marx, Händels Oratorien, Oden und Serenaten, S.140.
26
Johannes Schnocks
our great God be all the honor giv’n« (Nr. 40) – nun aber nicht mehr im Gegenüber zu einer militärischen Ebene, sondern umfassend, die verschiedenen
Themen- und Handlungsstränge in sich aufnehmend. Die Arie bzw. das Duett
»Oh lovely peace, with plenty crown’d« steht dann in der gleichnamigen DurTonart, G-Dur. Auch hier wird noch einmal das Motiv der Signaltrompete aufgenommen, nun aber wird angesichts des neu gewonnenen Friedens gefordert,
sie durch Vogelgezwitscher zu ersetzen. Damit hat nicht der Krieg als Dauerzustand das letzte Wort, sondern der Wunsch nach einem Frieden ohne Krieg.
Die letzte Arie des Simon und der Schlusschor stehen in D-Dur.
III.
Fazit
Die vorgestellten Beobachtungen seien in einigen knappen Thesen zusammengefasst:
– Es ist völlig richtig, dass das Libretto keine Handlungsimpulse aus dem Widerstreit der Affekte seiner Charaktere gewinnt. Die Struktur des Oratoriums
folgt aber durchaus dem Schema der Exposition im ersten Akt, der Zuspitzung im zweiten Akt und der Wendung und Lösung im dritten Akt. Allerdings
wird diese Struktur dadurch verkompliziert, dass die Wende gewissermaßen
gedoppelt wird. Morell nimmt hier die größten Eingriffe gegenüber seinen
Vorlagen vor, indem er eine Ämterteilung zwischen Judas und Simon und
damit verbunden eine zeitweilige Trennung militärischer und kultischer
Aufgaben einführt. Er erreicht damit Aussagen zur Krisenbewältigung, die für
die Situation in England ebenso gültig waren wie in der im Oratorium erzählten Fabel. Auf militärischer Ebene ist dies die bedingungslose Bereitschaft zur Gefolgschaft, also zur Landesverteidigung in den Krieg zu ziehen.
Auf kultischer Ebene ist es das ebenso entschlossene Bekenntnis zu Restauration und Pflege der angestammten Religion. Auf beiden Ebenen entsteht so
nationale Einigkeit durch die Aktivität des Volkes.
– Morell erweist sich im Umgang mit seinen Vorlagen als geschickt und theologisch gebildet. Er vermeidet in den Makkabäerbüchern konstitutive, aber
für sein Publikum nicht unmittelbar zu aktualisierende Elemente wie eine
Geschichtserklärung über das Theologumenon des Gotteszorns, den Opferkult am Tempel oder die Schilderung der Religionsverfolgung insbesondere
mit den Angriffen auf das jüdische Verbot, Schweinefleisch zu essen, auf die
Beschneidung und auf die Sabbatheiligung. Stattdessen importiert er die
Vorstellung, dass ein Gemeinwesen ohne florierenden Kult keinen Erfolg
haben könne, aus dem Propheten Haggai und kleidet die Ablehnung von
Götzendienst in ein Gewand, das leicht als polemische Ablehnung des Katholizismus verstanden werden kann.
Vom frommen Rebellen zum gottgeflligen Heerfïhrer
27
– Die im Oratorium genannten Werte »nation«, »religion«, »laws« und
schließlich »liberty« werden als göttlich sanktionierte Werte dargestellt, für
die höchster Einsatz gefordert ist. Dieser Einsatz wird in der Terminologie
von 1Makk 2 mit »Eifer« (»zeal«) umschrieben, auch wenn das Konzept ein
anderes ist. Dieser Eifer äußert sich zunächst in der Bereitschaft zu militärischer Gewalt. Später wird dieser Bereitschaft das Eintreten für einen korrekten Religionsvollzug an die Seite gestellt.
– Über Judas Makkabäus selbst ist ein wesentlicher Unterschied zwischen dem
Oratorium und den Makkabäerbüchern festzuhalten: Morell lässt ihn in sein
Amt als Heerführer durch eine an Simon ergangene Prophetie eingesetzt
werden, während er in den Makkabäerbüchern und besonders deutlich in
2Makk ein selbsternannter Rebellenführer ist, der von Verstecken in der judäischen Wüste aus allmählich seine Mitstreiter sammelt und zu ersten Angriffen führt. Schon nach den Makkabäerbüchern können Judas und seine
Brüder die unterschiedlichen Widerstandsgruppen in der Bevölkerung nur
für eine begrenzte Zeit hinter sich bringen36 – und die Realität wird sicherlich
noch weniger einträchtig ausgesehen haben. Morell interessiert das alles
selbstverständlich nicht. Ihm geht es um die Einheit des Volkes, das auf sein
Klagegebet hin mit Judas einen von Gott berufenen Heerführer bekommt.
Dieser Heerführer ist ganz den Idealen des Volkes verpflichtet und lehnt nach
Nr. 15 jedes über die Wiederherstellung von Frieden hinausgehende Kriegsziel ab. Er weiß sein Kriegsglück abhängig vom Plan Gottes und davon, dass
das Volk dem Kriegsalarm folgt. Nach der letzten gewonnenen Schlacht gilt
sein erster Gedanke den Gefallenen und ihrem himmlischen Schicksal.
– Ganz auf dieser Linie liegt ebenfalls, dass das Oratorium nichts von der
Neuweihe des Tempels als einem Symbolakt des siegreichen Herrschers weiß,
sondern den Gottesdienst als Aktivität des Volkes darstellt.
Insgesamt hat der Vergleich mit den Vorlagen gezeigt, dass Morell in hervorragender Kenntnis der Makkabäerbücher und anderer biblischer Texte sowie der
Werke von Flavius Josephus einen sehr eigenständigen Text geschaffen hat, der
eine Reihe von theologischen und gesellschaftlichen Themen behandelt und zu
einem komplex strukturiertem Ganzen verbindet. Händel folgt den Struktursignalen des Librettos und verstärkt und erweitert die Aussagelinien mit seiner
Musik. Das so entstandene Werk ist zweifellos zu vielschichtig, um durch eine
Identifikation des Judas mit dem Duke of Cumberland adäquat interpretiert
werden zu können. Die Widmung konfrontiert den siegreichen Duke of Cumberland vielmehr mit dem Idealbild eines Heerführers, der als Person völlig
hinter seine theologisch sanktionierte Rolle zurücktritt, die zudem deutlich an
das Volk rückgebunden ist. Die eigentliche dramatische Entwicklung des Ora36 Vgl. etwa die Rolle der Asidäer in 1 Makk 7.
28
Johannes Schnocks
toriums erlebt dann auch nicht Judas, sondern das Volk – sei es das Judäische,
wie es hier präsentiert wird, oder das Englische, das im Publikum sitzt und sich
in diesem Spiegel erblicken kann.