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Wilde Tiere und herrschaftliche Repräsentation in Brandenburg-Preußen im 17. und 18.Jahrhundert von Andreas Rutz Zuweilen gibt es eine Koinzidenz zwischen der schönen Literatur und der Wissenschaft. Themen, die hier auftauchen, interessieren plötzlich auch dort und umgekehrt. Auf einmal reden alle davon und keiner weiß, wer eigentlich angefangen hat. So war es vor einigen Jahren bei Daniel Kehlmanns Bestseller „Die Vermessung der Welt“, der zeitgleich mit dem spatial turn Furore machte. 1 Und so ist es auch mit der „Pfaueninsel“, dem jüngsten Roman von Thomas Hettche. 2 Er handelt von dem kleinwüchsigen Schlossfräulein Marie Strakow, die fast ihr gesamtes Leben auf der von Joseph Lenné und Karl Friedrich Schinkel für Friedrich Wilhelm III. (reg. 1797– 1840) neu gestalteten Havelinsel bei Potsdam verbrachte. Die Handlung – Maries Liebe zu Gustav, dem Neffen des Hofgärtners Ferdinand Fintelmann – ist fiktiv. Das Personal aber ist historisch verbürgt. Neben der Zwergin lebten in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts noch andere als ‚Monster‘ wahrgenommene Menschen auf der Pfaueninsel: ein Riese, ein ‚Mohr‘ und ein Südseeinsulaner, außerdem eine ganze Menagerie wilder Tiere, unter anderem Lamas, Affen, Löwen, Kängurus, Bären, Rentiere und zahlreiche Vögel. Herrscher aus aller Welt bereicherten dieses Bestiarium über die Jahre mit immer neuen lebenden Geschenken. 1832 zählte man 847 Tiere, die ein Jahrzehnt später den Grundstock für den Zoologischen Garten in Berlin bildeten. 3 Der Roman nimmt diese historische Konstellation des Zusammenlebens 1 Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt. Reinbek 2005; vgl. zur Koinzidenz des Romans und des „spatial turn“ Gerd Schwerhoff, Historische Raumpflege. Der „spatial turn“ und die Praxis der Geschichtswissenschaften, in: Wilfried Reininghaus/Bernd Walter (Hrsg.), Räume – Grenzen – Identitäten. Westfalen als Gegenstand landes- und regionalgeschichtlicher Forschung. (Forschungen zur Regionalgeschichte, Bd. 71; Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, NF., Bd. 9.) Paderborn 2013, 11–27, hier 11. 2 Thomas Hettche, Pfaueninsel. Köln 2014. 3 Vgl. zur Pfaueninsel u. a. Michael Seiler, Die Pfaueninsel. Hrsg. zum 200. Gartenjubiläum 1993. 2.Aufl. Potsdam 2000, hier 33f. ein Inventar der Menagerie bei Übergabe an den Zoologischen Garten 1842; außer- 334 DOI 10.1515/hzhz-2017-0028 Angemeldet | andreas.rutz@uni-bonn.de Autorenexemplar Heruntergeladen am | 02.10.17 09:12 von Menschen, ‚Monstern‘ und exotischen Tieren auf und fragt nach unserem Verhältnis zur Natur, der Abgrenzung von Mensch und Tier und der Würde des Individuums. Was hier durchscheint, ist ein Themenfeld, das auch in der Wissenschaft in jüngerer Zeit zunehmend diskutiert wird, nämlich das Verhältnis von Mensch und Tier – nicht als herkömmliche Geschichte von Viehhaltung, Jagd oder ähnlichem, sondern als komplexe Beziehungsgeschichte. Dabei fokussieren die sogenannten Human-Animal Studies zum einen auf Tiere als Akteure, also die Frage, wie Tiere bei der Strukturierung menschlicher Gesellschaften mitwirken. Zum anderen geht es um den Menschen und sein self-fashioning, also seine Identitätsbildung und Selbstdarstellung durch einen bestimmten Umgang mit Tieren. 4 In diesem Sinne möchte ich im Folgenden den Umgang der drei ersten preußischen Könige – Friedrich I. (reg. 1701–1713), Friedrich Wilhelm I. (reg. 1713–1740) und Friedrich II. (reg. 1740–1786) – mit wilden Tieren analysieren und zeigen, dass das Mensch-Tier-Verhältnis jeweils einem bestimmten Herrschaftsverständnis entsprach und dessen Repräsentation auf der europäischen Bühne diente. 5 Die Gliederung ist an den drei Protagonisten orientiert, um diesbezügliche Brüche und Entwicklungen aufzuzeigen. dem als zeitgenössische Quelle Gustav Adolph Fintelmann, Wegweiser auf der Pfaueninsel. Kommentierter Nachdruck der Ausgabe von 1837. Hrsg. v. Michael Seiler. Berlin 1986, zur Menagerie 17–25, 52–55; zum Zoologischen Garten in Berlin Heinz-Georg Klös/Hans Frädrich/Ursula Klös, Die Arche Noah an der Spree. 150 Jahre Zoologischer Garten Berlin. Eine zoogärtnerische Kulturgeschichte 1844–1994. Berlin 1994. 4 Vgl. zum theoretischen und interdisziplinären Hintergrund Roland Borgards/Esther Köhring/Alexander Kling (Hrsg.), Texte zur Tiertheorie. Stuttgart 2015; Roland Borgards (Hrsg.), Tiere. Kulturwissenschaftliches Handbuch. Stuttgart 2016; für die Geschichtswissenschaft u. a. Paul Münch, Tiere und Menschen. Ein Thema der historischen Grundlagenforschung, in: ders. (Hrsg.), Tiere und Menschen. Geschichte und Aktualität eines prekären Verhältnisses. Paderborn 1998, 9–34; Silke Bellanger/Katja Hürlimann/Aline Steinbrecher, Tiere – eine andere Geschichte?, in: dies. (Hrsg.), Tiere – eine andere Geschichte. (Traverse. Zeitschrift für Geschichte 2008, H.3.) Zürich 2008, 7–11; Mieke Roscher, Human-Animal Studies, Version 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte [25.01.2012], http://docupedia.de/zg/Human-Animal_Studies (Zugriff 14.11.2016); Gesine Krüger/Aline Steinbrecher/Clemens Wischermann (Hrsg.), Tiere und Geschichte. Konturen einer Animate History. Stuttgart 2014. Zur Geschichte von Mensch und Tier in der Frühen Neuzeit vgl. u. a. Heinz Meyer, Frühe Neuzeit, in: Peter Dinzelbacher (Hrsg.), Mensch und Tier in der Geschichte Europas. Stuttgart 2000, 293–403; Linda Kalof/Brigitte Resl (Eds.), A Cultural History of Animals. 6 Vols. Oxford/New York 2007, hier Vol. 3 und 4; Paul Münch, Feinde, Sachen, Maschinen – Freunde, Mitgeschöpfe, Verwandte. Menschen und andere Tiere in der Vormoderne, in: Sophie Ruppel/Aline Steinbrecher (Hrsg.), „Die Natur ist überall bey uns“. Mensch und Natur in der Frühen Neuzeit. Zürich 2009, 19–39; Pia F. Cuneo (Ed.), Animals and Early Modern Identity. Farnham 2014. 5 Einen vergleichbaren methodischen Ansatz verfolgt Thomas W. Gaethgens, Friedrich I., Friedrich Wil- Angemeldet | ,andreas.rutz@uni-bonn.de Autorenexemplar A . RUTZ WILDE TIERE UND HERRSCHAFTLICHE REPRÄSENTATION Heruntergeladen am | 02.10.17 09:12 335