Impressum
Ausstellung
Idee und Projektleitung: Tomas Lochman
Konzept: Tomas Lochman
(Vorarbeit: Thomas Späth und Studenten
der Universität Basel)
Mitarbeit: Mireille Studerus, Agathe Mauron,
Therese Wollmann, Esau Dozio
Technischer Support, Graphik: Felix Ackermann
Exponate: Cinémathèque Suisse (Lausanne)
und diverse Privatpersonen
Publikation
Redaktion: Tomas Lochman,
Thomas Späth, Adrian Stähli
Lektorat: Stefan Hess
Graphische Maske der SkulpturhallePublikationsreihe: Martine Waltzer
Gestaltung, Fotos, Bildbearbeitung:
Felix Ackermann www.argutezza.ch
Bildvorlagen: Cinémathèque Suisse de Lausanne,
Sammlung der Skulpturhalle
sowie Privatpersonen
Druck: Basler Druck + Verlag AG, bdv
Gedruckt mit Unterstützung der
Berta Hess-Cohn Stiftung, Basel
© 2008 Skulpturhalle Basel,
Cinémathèque Suisse und die Autoren
Umschlagbild: Plakate zum Film Der
Raub der Helena (1924) und Fabiola
(1949) sowie Standfoto zum Film
The Fall of the Roman Empire (1964)
Rechts: Ausschnitt aus einer Super
8-Heimfilmversion des Filmes Quo
Vadis (1951) – vgl. Abb. 148
Verlag der
Abguss-Sammlung des Antikenmuseums
und der Sammlung Ludwig
Mittlere Strasse 17, CH-4056 Basel
ISBN 978-3-905057-25-6
Antike im Kino
Auf dem Weg zu einer
Kulturgeschichte des Antikenfilms
Herausgegeben von
Tomas Lochman
Thomas Späth
Adrian Stähli
Teil I:
Begleittexte zur gleichnamigen
Sonderausstellung der
Skulpturhalle Basel
16. April – 2. November 2008
Teil II:
Akten des gleichnamigen Kolloquiums
auf Castelen / Augst bei Basel,
20.–22. September 2005
Inhaltsverzeichnis
Antike im Kino – eine Einleitung
I
Tomas Lochman
10
Begleittexte zur Sonderausstellung ‹Antike im Kino› der Skulpturhalle Basel
1
2
Der Antikenfilm und seine Phasen
Tomas Lochman
20
Stummfilmzeit 1896–1927
20
Übergangszeit ca. 1927 – ca. 1935
22
Die ‹Golden Ages› des Sandalenfilms 1949–1965
24
Die Zwischenphase 1965–2000
27
Die neue Generation von Antikenfilmen seit 2000
28
Technische Neuerungen
28
Länderspezifisches
29
Filmplakate
30
Der Antikenfilm und seine Themen
Geschichte
Tomas Lochman
mit Beiträgen von
Adrian Stähli und
Mireille Studerus
34
34
Mythologie
40
Literatur I: Antike Autoren
44
Literatur II: Moderne Vorlagen
50
Typologie
54
Körperwelten
67
Ausstattungen
74
II
Akten zum Kolloquium ‹Antike im Kino› auf Castelen / Augst bei Basel,
20.–22. September 2005
Einleitung:
Unterwegs zu einer Kulturgeschichte des Antikenfilms
Thomas Späth
84
1
Les deux périodes antiquisantes du
cinéma italien
Pierre Sorlin
88
2
Der italienische ‹Peplum›. Nationale Mythologie und
internationale Schaulust
Irmbert Schenk
98
3
Die faschistische Antike im Film
Adrian Stähli
106
4
Prekäre Moderne. Antikisierende Körperbilder im Ufa-Film
Wege zu Kraft und Schönheit
Klaus Kreimeier
120
5
‹Versteinerte Akteure› und ‹lebende Statuen›: Antike
Skulpturen als Bedeutungsträger im Film
Tomas Lochman
128
6
Hauptsache schön? Zur cineastischen Inszenierung Helenas
Anja Wieber
142
7
‹Her infinite variety›. 1001 Kleopatra-Konstruktion
Diana Wenzel
158
8
Spartacus – Männermuskeln, Heldenbilder
oder: die Befreiung der Moral
Thomas Späth
und Margrit Tröhler
170
9
Roger Moore en Romulus. Tite-Live lu par Cinecittà
(L'Enlèvement des Sabines, Richard Pottier, 1961)
Natacha Aubert
194
10
Dans les pas d’Achille et d’Alexandre
Michèle Lagny
202
11
Troy, Alexander, Gladiator und das Strömen der heissen Luft Christoph Schneider
12
Gladiatoren vor Falludscha. Eine Bildbeschreibung
Hannes Veraguth
216
13
Antikenfilme ohne klassische Antike? Das Beispiel China
Martin Korenjak
228
14
Historiker schaffen antike Bilder für den Einsatz
in der Schule
Angelika Meier
und Tatjana Timoschenko
238
210
III
Anhang
Filmographie (Auswahl)
bearbeitet von
Therese Wollmann
248
Bibliographie
258
Personenregister
262
Bildnachweise
266
1
Pause bei den Dreharbeiten
zu Spartacus (S. KUBRICK, USA
1960) – Vgl. auch Abb. 195
Vorne von links nach rechts:
Jean SIMMONS (Varinia), John
DALL (Glabrus), Nina FOCH (Helena), Joanna BARNES (Claudia),
Peter USTINOV (Batiatus) und
Laurence OLIVIER (Crassus)
II.3
Die faschistische Antike im Film
Adrian Stähli
Den Antikenfilmen ist es in der Regel um ein authentisches Bild der Antike zu tun, die sie auf die
Leinwand bringen.1 Diese Authentizität misst sich
freilich nicht am Anspruch einer historisch und archäologisch korrekten Rekonstruktion von Handlungsszenarien und Dekor, sondern an der Plausibilität der von den Filmen entworfenen Antike
im Hinblick auf die Erwartungen des Publikums,
an das sie sich richten. Das Kino reproduziert (und
produziert) moderne Mythen über die Antike –
und damit natürlich die kulturellen Vorstellungen
und Ideologien, die diese Mythen bedienen: Antikenfilme aktualisieren die Antike auf die moralischen und ästhetischen Haltungen, die kulturellen und sozialen Verhältnisse und die politischen
und ideologischen Konflikte der Gegenwart hin.
Zugespitzt gesagt: die Filme zeigen nicht die Antike, sondern die Zeit, in der sie entstanden sind; sie
geben weniger Auskunft über die Antike selbst als
vielmehr darüber, in welcher Weise sie dazu benutzt wird, Aussagen über die eigene Gegenwart
zu formulieren oder die Gegenwart in der Antike
zu reflektieren.2
Dies ist aber nicht alles. Die Antike, die das Kino
entwirft, muss auch filmtechnischen und filmästhetischen Anforderungen genügen, vor allem
aber den genretypischen Erwartungen an grandiose Massenauftritte, Schlachtszenen, Gladiatorenkämpfe, Wagenrennen, luxuriöse Festbankette, monumentale Architekturkulissen, exotisches
Ambiente, begehrenswerte Frauen und mehr oder
weniger spärlich bekleidete Helden. Die Antike, auf
die der Film zurückgreift, muss so beschaffen und
aufbereitet sein, dass sie diese Erfordernisse in geeigneter Weise berücksichtigt. Es sind also ganz
bestimmte, gezielt ausgewählte und keineswegs
zufällige Bilder der Antike, die das Kino benutzt.
106
Gleichzeitig erfinden die Filme diese Bilder nicht
jeweils neu, sondern greifen auf gut etablierte, traditionelle Darstellungsformen der Antike zurück,
die innerhalb des Genres selbst geprägt und konventionalisiert wurden. Der Antikenfilm verweist
auf sich selbst zurück, nutzt erfolgreich erprobte
Darbietungs-, Gestaltungs- und Wirkungsmodelle
des Genres und kann so auf Erwartungshaltungen und Sehgewohnheiten des Publikums reagieren. Letztlich wurzeln viele diese Stereotypen des
Genres in der Tradition der literarischen und visuellen Darstellung und Vergegenwärtigung der
Antike in der populären Unterhaltungskultur des
19. Jahrhunderts. Romane, Gemälde, Dioramen,
Panoramen, Jahrmarkts- und Ausstellungsspektakel (wie die sogenannten Pyrodramen) bildeten
ein Repertoire von Bild- und Erzählmustern aus,
das die Vorstellung von der Antike prägte und
einem breiten Publikum vertraut war.3 Dieses Repertoire griffen die Antikenfilme gerade wegen
seines Unterhaltungs- und Sensationswerts von
Anfang an auf, und darauf greifen sie bis heute
zurück (Abb. 131 f).4 Aufgrund der starken Traditionsbindung und Konventionalisierung des Genres
perpetuieren, bestätigen und popularisieren sie so
fortlaufend Bilder der Antike, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen.5
Im Folgenden sollen zwar die Antikenfilme als Dokumente der Sozial- und Kulturgeschichte gelesen
werden.6 Das Interesse wird sich aber nicht darauf
richten, was das Antikenbild, das die Filme entwerfen, über die Entstehungszeit dieser Filme aussagt.
Vielmehr wird es darum gehen, woher die Bilder
der Antike stammen, auf die Filme zurückgreifen,
und welche Interpretationen der Antike diesen Bildern zugrunde liegen. Im engeren Sinne soll es um
die faschistische und nationalsozialistische Inter-
130 Die faschistische Vision der römischen Antike: Scipione l’Africano (Italien 1937)
107
131 Bildtraditionen des 19. Jahr132 hunderts: Théodore CHASSÉRIAU, ‹Le Tepidarium›, 1853 (Musée d’Orsay, Paris) und Szene
aus Gli ultimi giorni di Pompei
(Italien 1926)
108
pretation (oder Instrumentalisierung) der Antike
im Film gehen, und dies wiederum in einer ganz
bestimmten Hinsicht: Es wird danach gefragt, ob
und in welcher Form unter den beiden totalitären
Regimes entwickelte und von ihnen propagandistisch verwertete Mythen der Antike in das Genre
des Antikenfilms eingegangen sind. Thema sind
also nicht die jeweils besonderen Rezeptionsformen der Antike im nationalsozialistischen und
im faschistischen Film sowie die Schlüsse, die aus
ihnen für das zeitgenössische Antikenverständnis
zu ziehen wären (zumal im Italien Mussolinis nur
verhältnismässig wenige und im Dritten Reich
überhaupt keine Antikenfilme gedreht wurden).7
Vielmehr geht es um die Wirkung nationalsozialistischer und faschistischer Bilder der Antike auf das
Kino ausserhalb des Filmschaffens in Nationalsozialismus und Faschismus – mit anderen Worten:
um das Nachleben einer faschistisch geprägten
Vorstellung der Antike im Kino seit den 1950erJahren. Gezeigt wird dies an zwei Beispielen: zum
einen an visuellen Vorstellungen der Antike, insbesondere von antiker Architektur; zum anderen
an filmischen Visualisierungs- und Inszenierungstechniken von Antike im Film.
Das sicherlich eindeutigste Beispiel einer ‹nationalsozialistischen› Inszenierung der Antike im Kino
der jüngsten Zeit findet sich in Ridley SCOTTs Gladiator (USA 2000). Eine komplette Sequenz des Films
orientiert sich in ihrer narrativen Struktur, in der
filmischen Inszenierung und in ihrer ästhetischen
Wirkung an Leni RIEFENSTAHLs Triumph des Willens
(Deutschland 1935), dem in offiziellem Auftrag gedrehten Propagandafilm des NSDAP-Parteitags
von 1934 in Nürnberg.8 Ridley SCOTT hat diese evidente Bezugnahme in Interviews offenbar selbst
bestätigt.9 Die Sequenz zeigt den triumphalen Einzug des Thronusurpators Commodus in Rom. Die
Stadt, die hier nach rund einer Stunde zum ersten
Mal im Film vor Augen tritt, erscheint als düsteres
Ebenbild des korrupten Willkürregimes, mit dem
der neue Kaiser von nun an über sie herrschen
wird, und denselben Zweck der Charakterisierung
seiner Herrschaft als einer totalitären Diktatur
verfolgt offenbar auch das RIEFENSTAHL-Zitat.
Die Sequenz beginnt mit einer Kamerafahrt aus
der Vogelperspektive über die Stadt, deren Gebäude erst allmählich unter den sich lichtenden
Wolken erkennbar werden; sie imitiert darin die
Anfangssequenz aus Triumph des Willens, die den
Anflug Hitlers über Nürnberg zeigt, wobei sich
auch hier mit der Ankunft des Diktators die Wolkenfelder über der Stadt teilen und das Sonnenlicht auf sie fällt. Die in Gladiator folgende Fahrt
des Commodus in der Quadriga, in einem freien
Korridor zwischen den Spalieren der römischen
Bevölkerung, die ihn mit unverhohlener Empörung
und Ablehnung empfängt, ist der Fahrt Hitlers
durch die – ihm allerdings zujubelnde – Bevölke-
rung in den Strassen Nürnbergs nachempfunden,
vor allem aber Hitlers Auftritten während des
Parteitags im Luitpoldhain. Und ebenso prominent wie in RIEFENSTAHLs Parteitagsfilm rückt auch
SCOTT beim Vorbeifahren der Quadriga die Truppenstandarten ins Bild, die zudem motivisch ganz
offensichtlich diejenigen der NSDAP imitieren. Die
die Sequenz in Gladiator abschliessende Ankunft
des Commodus vor der Treppe, die zum Amtssitz
der Senatoren (oder ist es der Kaiserpalast?) hinaufführt, sein Aufstieg zu den ihn erwartenden Senatoren, mit den zu Karrees formierten römischen
Soldaten im Hintergrund (Abb. 134), ist in der Wahl
der Kamerastandpunkte und -blickwinkel, der
Bildausschnitte und der Abfolge der Einstellungen
nahezu eine Kopie der berühmten Sequenz in Triumph des Willens, die Hitlers Abschreiten der aufmarschierten Kolonnen von SA und SS anlässlich
der Totenehrung der ‹Gefallenen der Bewegung›
und der Weihung von Standarten mit der ‹Blutfahne› in der Luitpoldarena zeigt (Abb. 133).
In Gladiator erfolgt die Bezugnahme auf RIEFENSTAHLs Film durch die gezielte Wahl einer filmischen Inszenierungsform, die sich in Bildkomposition, Arrangement des Settings und der Statisten,
Kamerablickpunkten, Schnitt, Erzählweise und
Lichtführung als Zitat der wohl bekanntesten
und meistgezeigten Sequenzen aus RIEFENSTAHLs
Triumph des Willens zu erkennen gibt. Dies trifft
jedoch nicht zu auf die Architekturkulisse des antiken Rom im Hintergrund, obwohl man auch hier
Anklänge an nationalsozialistische Aufmarschplätze und Gauforen wie etwa in München oder
Weimar erkennen wollte.10 Die Architektur folgt in
ihrem Habitus jedoch einem – freilich ins Masslose
gesteigerten – antikisierenden Barock (selbst Kirchenkuppeln sind im Hintergrund erkennbar) und
orientiert sich erkennbar nicht an faschistischer
oder nationalsozialistischer Architektur, bestenfalls in den sich bis zum Horizont übereinandertürmenden Monumentalbauten vage an die theatralischen urbanistischen Entwürfe Albert Speers.
Auch die Kostümierung der Soldaten und der Prätorianergarde erinnert zwar an das Schwarz von
SS-Uniformen, aber ebenso sehr an den schwarzgekleideten martialischen Bösewicht, wie er aus
nahezu jedem Mystery- und Science-Fiction-Film
geläufig ist.
Ridley SCOTT verwendete RIEFENSTAHLs Filmsprache
nach eigener Aussage, um ein negatives Bild von
Commodus’ Regentschaft zu entwerfen. Der Film
unterscheidet sich damit deutlich von seinem un-
mittelbaren Vorbild, The Fall of the Roman Empire
von Anthony MANN (USA 1964), in dem die Darstellung korrupter Herrschaft nicht durch Rekurs
auf filmische Inszenierungsmittel des Faschismus,
sondern weitgehend durch die Filmerzählung erfolgt. Die Architekturkulisse des antiken Rom erscheint zwar auch hier als Spiegel der politischen
Antagonismen im untergehenden Imperium und
insbesondere der Schreckensherrschaft des grössenwahnsinnigen Commodus, doch wird nicht
auf die an sich nahe liegenden, faschistisch inspi-
133 Die Ordnung des Terrors: Aufmarsch von SS- und SA-Formationen vor dem ‹Führer› in
Triumph des Willens (Leni RIEFENSTAHL, Deutschland 1935)
109
134 ‹RIEFENSTAHL-Ästhetik›: Gladiator (USA 2000)
rierten Architekturen zurückgegriffen – ganz im
Gegenteil: Das im Film als Hauptschauplatz der
politischen Auseinandersetzungen immer wieder prominent ins Bild gesetzte Forum Romanum
gehört zu den archäologisch überzeugendsten
Rekonstruktionen antiker Architektur in der Geschichte des Kinos (Abb. 135 u. 103–107).11
Im Gegensatz dazu zitiert Gladiator öffentliche
Inszenierungs- und Selbstdarstellungsformen des
nationalsozialistischen Partei- und Führerkults,
die durch zahllose Photographien wie gerade auch
durch Leni RIEFENSTAHLs Verfilmung verbreitet und
als solche auch identifizierbar sind: Die visuellen
Klischees, die SCOTT einsetzt, dürften zumindest einem Teil des Publikums geläufig sein. Freilich stellt
sich die Frage, ob diese Zitate auch in dem vom Regisseur angestrebten Sinn einer Diffamierung von
Commodus’ Gewaltherrschaft funktionieren. So
werden die zu Karrees geordneten Menschenmassen gerade innerhalb des Genres des Antikenfilms
wohl kaum vorrangig mit nationalsozialistischen
Parteiaufmärschen assoziiert. Das Motiv, dessen
Erfolg im Kino vermutlich tatsächlich auf RIEFENSTAHL zurückgeht, gehört seit den 1950er-Jahren
zum gängigen Bildvokabular der Darstellung römischer Truppen oder des römischen Volkes im
Film, und dient dabei durchaus nicht nur der negativen Kennzeichnung römischer Soldaten als Vertreter einer repressiven Obrigkeit oder als eisern
funktionierender Kriegsmaschine wie in Stanley
KUBRICKs Spartacus (USA 1960) (Abb. 136),12 sondern
erscheint auch ganz neutral als die typische Art
110
und Weise, sich in Massenszenen, Prozessionszügen oder Triumphfeiern zu formieren, so etwa in
William WYLERs Ben Hur (USA 1959) und in Joseph
L. MANKIEWICZ’ Cleopatra (USA 1963, Abb. 111).13 Die
geordneten Kolonnen sind längst als akzeptable
Darstellungsform von militärischer Macht und im
Besonderen der römischen Armee etabliert und
kaum noch als Verweis auf nationalsozialistische
Gewaltherrschaft verständlich – sie sind zum geläufigen Stilmittel der filmischen Darstellung von
Macht geworden.
Andererseits aber spielt Ridley SCOTT – ob beabsichtigt oder nicht – seine RIEFENSTAHL-Zitate aus,
um bei seinem Publikum genau denselben Effekt
der visuellen Überwältigung durch eine spektakuläre Szenerie zu erzielen, auf den auch die nationalsozialistischen Aufmärsche und ihre filmische
Umsetzung durch RIEFENSTAHL setzten. SCOTTs Bildregie bedient zweifellos die Faszination faschistischer Massenchoreographien, revitalisiert damit
die faschistischen Ursprünge eines Bildmotivs –
und diskreditiert so gerade seine eigene Absicht,
dieses Motiv als Kritik an der totalitären Herrschaft
des Commodus einzusetzen.
So trägt in Gladiator die filmische Darstellung der
Kolossalarchitektur, der Menschenmassen und
der pompösen Inszenierung von Macht zu einer
grundsätzlichen Billigung, ja Verklärung von Roms
imperialer Grösse bei, die der Film ja an sich auch
keineswegs in Frage stellt. Gladiator ist damit im
zeitgenössischen politischen Zusammenhang
mitnichten – wie oft behauptet wurde – als eine
Problematisierung der Grossmachtrolle Amerikas
zu werten,14 sondern ganz im Gegenteil als deren
Affirmation. Was in Gladiator allein zur Debatte
steht, ist die Art und Weise der Machtausübung,
die diesem Imperium angemessen sei. So dürfte
es denn auch genau diese Affirmation des imperialen Anspruchs sein, die amerikanische Soldaten
dazu ermunterte, in Falludja in den Kriegspausen Kampfszenen aus Gladiator nachzuspielen.15
Ridley SCOTTs RIEFENSTAHL-Imitation erweist sich
somit als höchst problematisch. Das Zitat aus RIEFENSTAHLs Triumph des Willens trägt in Gladiator
nicht primär, wie vom Regisseur angenommen,
zur ideologischen Kompromittierung der Commodus-Herrschaft bei, sondern setzt zunächst einmal
die ästhetischen Wirkungsmechanismen, die RIEFENSTAHL mit dem Ziel einer positiven Charakterisierung nationalsozialistischer Macht entwickelte,
erneut in ihr Recht.
Lässt sich über den Gladiator hinaus in den Antikenfilmen der Einsatz einer faschistisch inspirier-
ten oder geprägten Antike nachweisen? Handelt
es sich womöglich gar um ein typisches, zumindest
aber unter bestimmten Bedingungen wiederkehrendes Genremerkmal des Antikenfilms? Handelt
es sich gar um die Normalvorstellung einer pom-
135 Das Forum Romanum in The
Fall of the Roman Empire (USA
1964, vgl. auch Abb. 103–107)
136 Die geordneten Reihen der
Macht: Spartacus (USA 1960)
111
137 Pferderennen und intrigante
138 Isis-Priester: Gli ultimi giorni di
Pompei von Eleuterio RODOLFI
(Italien 1913)
112
pösen, beeindruckenden, monumentalen und überwältigenden Antike, die letztlich ohne Rücksicht auf
ihre ideologische Herkunft verwendet wird?
Besonders aussagekräftig ist hier der italienische
Antikenfilm der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dessen grösste Kassenerfolge und innovativste Leistungen in die Jahre einer Intensivierung
des italienischen Nationalismus und der kolonialistischen Expansion (Okkupation des osmanischen Libyen, 1911) sowie in die frühen Jahre des
faschistischen Regimes fallen. Die italienischen
Antikenfilme dieser Periode sind in hohem Masse
geprägt von den sozialen und politischen Prozessen der Herausbildung einer sich auf das antike,
imperiale Rom berufenden nationalen Identität.
Ihren ersten Höhepunkt erreichte die von staatlicher Seite propagierte ‹romanità›, die Wiedererrichtung des römischen Kaiserreichs im modernen Italien, unmittelbar vor der Invasion in Libyen;
unter Mussolini wurde sie zum kardinalen Leitbild
der faschistischen Propaganda und der Selbstinszenierung des Regimes. Die in Italien produzierten Antikenfilme der Zeit – die natürlich überwiegend Stoffe der römischen Geschichte aufgreifen
– reflektieren diese Situation unmittelbar, ergreifen gelegentlich sogar Partei (etwa in den Auseinandersetzungen zwischen katholischer Kirche
und säkularem Staat), und wählen – ganz im Sinne
der ‹romanità› – meist eine Erzählperspektive, die
eine klar positive Sicht der Römer und der römischen Gesellschaft entwirft. Die italienischen Antikenfilme trugen so durch ihre massenwirksame
Verbreitung einer ‹erfundenen Tradition› (Maria
WYKE) in erheblichem Masse selbst zum Kult um
die ‹romanità› und zur Entwicklung eines in der
römischen Antike fundierten nationalen Selbstverständnisses bei.16
In ihrer Stoffwahl setzten diese Filme zwar ganz
überwiegend auf die erfolgreichen Bestseller
des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wie Edward
BULWER-LYTTONs ‹The Last Days of Pompeii› (1834)
oder Henryk SIENKIEWICZ’ ‹Quo Vadis?› (1896), die
eine bürgerlich-verklärende Sicht der römischen
Antike mit christlicher Moral und Heilslehre, aber
auch mit fantastischer Exotik und spektakulären
Schlachtszenen oder Gladiatorenkämpfen zu verknüpfen wussten (Abb. 137). Durch gezielte Modifizierungen gegenüber diesen Vorlagen strichen die
Filme jedoch die moralische Überlegenheit Roms
heraus – etwa in den beiden 1913 entstandenen
Versionen von Gli ultimi giorni di Pompei durch gezielte Abweichungen von BULWER-LYTTONs Romanvorlage: Der Protagonist der Handlung ist nun
Römer, nicht mehr Grieche, und er wird am Ende
auch nicht zum Christentum bekehrt; der Vesu-
vausbruch, der Pompeji zerstört, erscheint nicht
mehr als Gottesgericht, das die dekadenten römischen Bewohner Pompejis für ihre Ausschweifungen und ihre Tugendlosigkeit bestraft, sondern als
Reinigung der Stadt von den fremden, orientalischen Elementen (verkörpert durch den Isis-Kult
des frivolen Arbakes), die sich in ihr festgesetzt haben und die intakte römische Gesellschaft zu unterwandern und zu verderben drohen (Abb. 138).17
Mehr als nur eine Bezugnahme auf Tagespolitik – die Invasion in Libyen, die als Rückholung eines genuinen Bestandteils des antiken römischen
Imperiums gerechtfertigt wurde – ist auch Cabiria
von Giovanni PASTRONE (Italien 1914). Darin wird
die Bedrohung Roms durch Hannibal mit dem
Schicksal der in Karthago als Sklavin gehaltenen
Römerin Cabiria parallelisiert, die dem Moloch geopfert werden soll. Scipios Invasion in Afrika und
die Zerstörung des karthagischen Reichs beendet
beide Bedrohungen. Die Ausstattung des Films
unterstreicht den Kontrast von römischer und
orientalisch-afrikanischer Welt: Dem bukolischländlichen Leben in prachtvollem, lichtdurchflutetem klassizistischem Villeninterieur wird die
Jugendstilvision einer von opulentem exotischem
Dekor überwucherten, gleichsam byzantinischen
Architektur des Moloch-Tempels entgegengesetzt
(Abb. 128 f, 139 f).18
Die Architekturkulissen und Ausstattungselemente der frühen italienischen Antikenfilme orientieren sich an ganz unterschiedlichen Vorlagen: an Bildern der akademischen Malerei des 19.
Jahrhunderts – so in Gli ultimi giorni di Pompei von
Carmine GALLONE und Amleto PALERMI (Italien 1926,
Abb. 131 f, 141 f) –, am Jugendstil und vor allem an
der Neo-Renaissance des italienischen Historismus. Charakteristisch ist für diese Filme ein ungewöhnlich hoher Anspruch auf Authentizität der
Kulissen, die sich teilweise an erhaltenen antiken
Gebäuden oder an archäologischen Rekonstruktionen orientieren (die freilich ihrerseits von der
zeitgenössischen Architektur beeinflusst sind).19
Gegen diese klassizistisch-antiken Dekorationen
wird – so erneut in Gli ultimi giorni di Pompei von
1926 – kontrastierend eine fantastische Art-décoAusstattung gesetzt, die das orientalisch-luxuriöse Interieur des Hauses des Isis-Priesters Arbakes
kennzeichnet: Der politische und ideologische
Antagonismus von Rom und Orient wird durch die
Wahl unterschiedlicher Ausstattungsstile herausgestrichen.20
Das Motivrepertoire der frühen italienischen Antikenfilme greift also konventionelle kulturelle
Stereotypen auf, die für die populäre Vorstellung
der römischen Antike seit dem 19. Jahrhundert
charakteristisch sind, spitzt sie aber auf den ideologischen Gegensatz von Rom und barbarischem,
139 Idyll und orientalischer Pomp:
140 Cabiria (Italien 1914)
113
141 Strassenszene in Gli ultimi gi142 orni di Pompei (Italien 1926)
und The Flower Market von
Lawrence ALMA-TADEMA, 1868
(Manchester City Art Galleries)
114
orientalischem Afrika zu. Ihrer nationalistischen
Ausbeutung kam die Filmtauglichkeit dieser Motive entgegen: Sie entsprachen populären Bildern der
Antike und erfüllten genretypische Erwartungen.
Erheblich anders sieht es bei dem einzigen in den
1930er-Jahren und bis zum Ende des faschistischen
Regimes in Italien gedrehten Kolossalfilm aus, Scipione l’Africano von Carmine GALLONE (1937), der
in unmittelbarem Zusammenhang mit der Eroberung von Äthiopien und der Ausrufung des Imperiums durch Mussolini im Jahr 1935 mit staatlichen
Mitteln produziert wurde – im Übrigen der erste
in Cinecittà gedrehte Film überhaupt.21 In seinem
aggressiven militaristischen Imperialismus, der
überdeutlichen Analogisierung von Scipio mit
dem ‹Duce›, den in permanenter Kriegsekstase
die Truppen und ihren Anführer mit dem Faschistengruss empfangenden Volksmassen sowie den
fortwährend durchs Bild getragenen Fasces gibt
sich Scipione l’Africano ganz unverblümt als Propagandafilm zu erkennen (Abb. 130, 143 f). Seine
Ausstattung – sogar die Architektur des Palastes
der ägyptischen Königin – ist denn auch dem monumentalen, weitgehend schmucklosen Klassizismus der faschistischen Staatsarchitektur nachempfunden, wie er seit den frühen 1930er-Jahren
bei urbanistischen Grossbauprojekten (etwa dem
Foro Italico in Rom) als adäquatem Ausdruck der
‹romanità› üblich wurde. In diesem Fall muss
zweifellos von einer faschistischen Interpretation
der antiken Architekturkulissen ausgegangen werden, die gezielt als Chiffren eine Analogisierung
der römischen Republik und ihrer Expansionskriege mit dem Faschismus und seinem militärischen
Kolonialismus unterstützten. Die Antike sollte genau so aussehen wie das gegenwärtige Rom, die
Hauptstadt des wiederauferstandenen römischen
Imperiums.
Selbstverständlich hat man sich im italienischen
Nachkriegskino von einer solch eindeutigen faschistischen Semantisierung der Antike distanziert.22 Gleichwohl hat die faschistische Vereinnahmung der Antike in den Filmen nachgewirkt.
In den oft billig produzierten ‹Sandalenfilmen›
der 1950er- und 1960er-Jahre, dem italienischen
Pendant zu den nunmehr marktbeherrschenden
amerikanischen Monumentalfilmen, tauchen regelmässig an Stelle eigens errichteter Architekturkulissen die Bauwerke und Skulpturenensembles
des faschistischen Rom auf, etwa die protzigen
Gebäudeklötze des E.U.R. (ab 1937) oder die Statuen des Stadio delle Marmi auf dem Olympiagelände des Foro Italico (1928–32, Abb. 30, 73).23 Sie
treten in diesen Filmen gleichberechtigt neben die
fiktiven Rekonstruktionen antiker Tempel, Plätze
und Häuser in Cinecittà und müssen vom Publikum offenbar als ebenso ‹authentische› antike Architekturen wie diese gesehen worden sein.
So wurden zwei Strassenszenen in La battaglia di
Maratona von Jacques TOURNEUR (Italien / Frankreich 1959) in den düsteren Arkaden des Complesso dell’Archivio di Stato (1938–1942) im E.U.R.
in Rom gedreht – ganz offensichtlich, weil sich
die pompösen Säulenreihen der Fassaden als besonders geeignete antikisierende Kulisse anboten
(Abb. 145).24 Die furchteinflössenden Fassaden des
Fiat-Gebäudes (1939–1952, heute Sitz des Museo
della Civiltà Romana) mit ihren bedrückenden, an
ägyptische Tempel erinnernden Eingangskorridoren (Abb. 146) stellen in Due notti con Cleopatra
von Mario MATTOLI (Italien 1953, Abb. 147) den Palast der Kleopatra dar, während derselbe Gebäudekomplex mit der wuchtigen, die beiden Flügel
des Fiat-Baus untereinander verbindenden Säulenhalle in Don CHAFFEYs Jason and the Argonauts
(USA 1963) als Palast von Jasons Vater in Thessalien herhalten muss.25
Ganz offensichtlich soll in diesen Fällen die faschistische Repräsentationsarchitektur nicht als
solche erkannt werden. Sie wird – so in La battaglia
di Maratona – neben etruskischen Wandmalereien (in einem römischen Haus!) eingesetzt, um die
Suggestion des antiken Griechenland im frühen
5. Jahrhundert v. Chr. zu erzeugen. Eine ähnlich eklektische Verwendung antiker und antikisierender
Dekors findet sich beispielsweise auch in Sergio
LEONEs Il Colosso di Rodi (Italien / Spanien / Frankreich 1961), in dem pseudo-assyrische Statuen,
minoische Wandmalereien, römisches Retikulatmauerwerk und das Löwentor von Mykene das
frühhellenistische Rhodos zum Leben erwecken.26
Analog dürfte das bekannte Stadtmodell von Rom
eher aufgrund seiner beeindruckenden Wirkung
in Filmen eingesetzt worden sein, als aufgrund
seiner ideologischen Implikationen – so in Quo
Vadis von Mervyn LEROY (USA 1951) (Abb. 148).27
Das Modell im Massstab 1:250 wurde wie andere
Modelle römischer Bauten anlässlich der von Mussolini in Auftrag gegebenen Mostra Augustea von
1937 verfertigt und darf in manchen architektonischen Einzelformen wie auch in der ins GrandiosÜberdimensionale gesteigerten klassizistischen
Monumentalität noch der letzten Mietskaserne
in der Tat als eine faschistisch gefärbte Vision des
antiken Rom gelten. In Gladiator wird es für die
Flugansicht der Stadt Rom in der genannten, dem
Anflug Hitlers auf Nürnberg in Triumph des Willens nachempfundenen Szene eingesetzt, also immerhin innerhalb einer Sequenz, die explizit einer
an RIEFENSTAHL orientierten Regie folgt. Dennoch
greift der Film das ‹ideologische Kapital› des Modells nicht ab, sondern benutzt es bloss als bereits
vorhandene und deshalb geeignete Kulisse, statt
sie durch eine neu gebaute zu ersetzen.
Mit anderen Worten: antik inspirierte faschistische
Architekturen sind in italienischen, gelegentlich
auch amerikanischen (aber in Italien gedrehten)
Filmen zu Versatzstücken des visuellen Haushalts von Antikenfilmen geworden, ohne dass ihre
ideologische Herkunft explizit entfaltet wird. Sie
wurden als geeignete Ausstattungselemente von
Filmen unterschiedslos neben Vorlagen der Salonmalerei des 19. Jahrhunderts, klassizistischen
Neo-Renaissance-Architekturen oder den antiken
143 Ekstase des Faschismus: Sci144 pione l’Africano (Italien 1937)
115
145 > Archivio di Stato (1938–42) im
E.U.R., Rom
146 >> Ehemaliges Fiat-Gebäude
(1939–52) im E.U.R., Rom
147 >> Das ehemalige Fiat-Gebäude als Palast der Kleopatra
in Due notti con Cleopatra von
Mario MATTOLI (Italien 1953)
Denkmälern selbst verwendet und gehörten offenbar zum selbstverständlichen Motivrepertoire,
auf das man bei der Visualisierung der Antike im
Film zurückgriff. Sie treten immer dann auf, wenn
Monumentalität, imperiale Grösse oder besondere Pracht erzielt werden soll, gelegentlich aber einfach auch, wenn ein urbanes Ambiente gefordert
war. Dieses ganz Unspezifische der faschistischen
Architekturen im Film gilt auch dann, wenn man
in Erwägung zieht, dass die italienischen Antikenfilme der Nachkriegszeit in zunehmendem Masse
als italienisch-amerikanische Ko-Produktionen für
den Vertrieb auch in den USA produziert worden
sind28 und deshalb auch auf die Erwartungen des
amerikanischen Kinos Rücksicht nahmen, in dessen Antikenfilmen Rom und das römische Reich
vorwiegend als Spiegelbild des ‹Dritten Reichs›
thematisiert wurden:29 Die faschistischen Gebäude des zeitgenössischen Rom dürften dem amerikanischen Publikum kaum vertraut genug gewesen sein, um als solche erkannt zu werden, und sie
erinnerten bestenfalls vage an die Herrschaftsarchitektur des nationalsozialistischen Deutschland.
Der an sich naheliegende Gedanke, die gerade
erwünschte Analogisierung des antiken Rom mit
dem ‹Reich des Bösen› durch den gezielten Einsatz von faschistischer Architektur als Filmkulisse
zu fördern, wird jedenfalls von den Filmen selbst
nicht unterstützt, die die Bauten der MussoliniZeit eher beiläufig und meist ganz unspektakulär,
116
oft auch durch den gewählten Kameraauschnitt
nur für den Kenner als solche identifizierbar ins
Bild setzen.
Man kann es aber auch umdrehen: Die Gleichgültigkeit des Kinos gegenüber den von ihm verwendeten visuellen Motiven bringt es auch mit sich,
dass Bildvorstellungen der Antike durch das Kino
perpetuiert werden, die eine faschistisch geprägte Auffassung der Antike entwerfen (oder auf sie
zurückgehen).30 Die Differenzen, die zwischen den
unterschiedlichen historischen Auffassungen der
Antike bestehen, werden so eingeebnet: Diese
sind zu einer Visualisierung der Antike alle gleich
akzeptabel, das Kino bedient sich beliebig aus dem
Fundus der visuellen Vorlagen, unbekümmert um
die Ideologien, die diese Vorlagen jeweils produziert hatten.
Das Problem, das die Verwendung dieser Bildvorlagen und Austtatungselemente aufwirft, besteht
also nicht darin, dass der Antikenfilm in den Augen der Historiker oder der Archäologen die Antike
falsch darstellt, sondern dass er die Antike in visuellen Stereotypen präsentiert, die ihrerseits ‹falsche›, nämlich ideologisch gefärbte Bilder unserer
eigenen jüngeren Vergangenheit von der Antike
weitertransportieren. Eine Antike, die so eindeutig
ideologische Interessen bedient, ist wohl seit den
1950er-Jahren bis heute nirgendwo so präsent wie
im Antikenfilm.
148 Nero erklärt seine Stadt: Italo
GISMONDIs Modell des antiken
Rom von 1937 in Quo Vadis?
(USA 1951)
117
Anmerkungen
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Zu den Antikenfilmen siehe vor allem die Gesamtdarstellungen von WYKE 1997 und SOLOMON 2001, die Synthese
von WIEBER 2002 und die Beiträge in AZIZA 1998, JOSHEL,
MALAMUD, MCGUIRE 2001 und KORENJAK, TÖCHTERLE 2002.
Einen Überblick über das Genre geben ferner SEESSLEN
1996, S. 7–37, 231–234, COTTA RAMOSINO, DOGNINI 2004, JUNKELMANN 2004 und das Nachschlagewerk von SMITH 2004.
Zur Frage, ob und wie der Antikenfilm als ein eigenes Genre des Kinos zu definieren sei, siehe vor allem GONZALÈS
1990, AZIZA 1998, S. 7–11; COTTA RAMOSINO, DONIGNI 2004,
S. 1–4; RUSSELL 2007, S. 7–15.
Grundsätzlich zum Verhältnis von Kino und Geschichte,
von filmischer Rekonstruktion der Vergangenheit und
der rekonstruktiven Arbeit des Historikers SORLIN 1980,
SOBCHACK 1990, FERRO 1993, ROSENSTONE 1995 und Linda
SCHULTE-SASSE, Entertaining the Third Reich. Illusions of
Wholeness in Nazi Cinema, Durham, London, 1996, S. 17–43
sowie die Beiträge in ROTHER 1991 und SOBCHACK 1996; speziell zur Frage der historischen Authentizität von Antikenfilmen vgl. SOBCHACK 1990, WYKE 1997 und WINKLER 2004a,
S. 16–24; zu
u Antikenfi
Antikenfilmen
lmen als Dokumente sich wandelnder historischer Auffassungen der Antike vor allem WYKE
1997.
Vgl. allgemein zur Vorgeschichte des Kinos Stephen
HERBERT, A History of Pre-Cinema. I–III, London / New York
2000; zu den Panoramen und Dioramen ferner Stephan
OETTERMANN, Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums, Frankfurt a.M. 1980; zu den Zirkus- und
Bühnenspektakeln und den Pyrodramen MALAMUD 2001;
MALAMUD 2001a; zum populären Bild insbesondere der römischen Antike im 19. Jahrhundert BONDANELLA 1987, Norman VANCE, The Victorians and Ancient Rome, Oxford 1997
und EDWARDS 1999.
So vor allem GONZALÈS 1990, S. 140, PARIGI 1994, WYKE 1997,
BLOM 2001, JUNKELMANN 2004, S. 61–89. Die Bedeutung
des Spektakulären als Spezifikum der Darstellung von Geschichte (des Ereignischarakters von Geschichte, der die
historische Erzählung überlagert) gerade im Antikenfilm
unterstreicht SOBCHACK 1990.
Zur prägenden Bedeutung des Kinos für das populäre
Wissen über die Antike siehe WYKE 1997.
Vgl. SORLIN 1980.
Den besten Überblick über das Kino und seine soziale
Funktion im ‹Dritten Reich› verschafft Eric RENTSCHLER,
The Ministry of Illusion. Nazi Cinema and Its Afterlife, Cambridge (Mass.), London, 1996; für das Italien Mussolinis
sind dies Marcia LANDY, Fascism in Film. The Italian Commercial Cinema, 1931–1943, Princeton 1986, BRUNETTA 1991
und BRUNETTA 1993, II; zur Produktion von Antikenfilmen
im faschistischen Italien siehe unten. Zur grundsätzlichen
Frage, inwiefern die Filme im ‹Dritten Reich› und im faschistischen Italien als direkter Ausfluss von Ideologie und
als Mittel der Propaganda zu verstehen oder aber auf zeitgenössische Mentalitäten und Wertvorstellungen hin zu
lesen seien, vgl. LANDY a.O., S. 3–29, RENTSCHLER a.O., S. 1–24,
SCHULTE-SASSE 1996, Sabine HAKE, Popular Cinema of the
Third Reich, Austin 2001, S. 1–22.
Zu SCOTTs Gladiator siehe vor allem die Beiträge in WINKLER 2004, ferner ARENAS 2002, WIEBER 2002a, COTTA RAMOSINO, DOGNINI 2004, S. 131–151, JUNKELMANN 2004 und zuletzt
RUSSELL 2007, S. 156–186; zur historischen Genealogie der
Filmerzählung und Bildsprache des Films POMEROY 2004,
WINKLER 2004a und WINKLER 2004b; der Bezug auf RIEFEN-
STAHLs
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Triumph des Willens wird ausführlich von POMEROY
2004 erörtert. Zu Triumph des Willens siehe Rainer ROTHER,
Leni Riefenstahl: die Verführung des Talents, Berlin 2000,
S. 75–97, Lutz KINKEL, Die Scheinwerferin. Leni Riefenstahl
und das «Dritte Reich», Hamburg 2002, S. 62–88, Jürgen
TRIMBORN, Riefenstahl. Eine deutsche Karriere, Berlin 2002,
S. 198–231.
POMEROY 2004, S. 114.
So POMEROY 2004, S. 116.
Zu The Fall of the Roman Empire siehe WINKLER 1995, WYKE
1997, S. 183–188, SOLOMON 2001, S. 83–90, COTTA RAMOSINO,
DOGNINI 2004, S. 133–137;; zur architektonischen Inszenierung Roms und insbesondere des Forum Romanum im
Film vgl. WINKLER 1995, S. 146–149. Zur Abhängigkeit von
SCOTTs Gladiator von The Fall of the Roman Empire siehe
POMEROY 2004, S. 117 f, JUNKELMANN 2004, S. 177–193, WINKLER 2004a, 27.
Zu KUBRICKs Spartacus siehe vor allem WYKE 1997, S. 34–72,
FUTRELL 2001 und zuletzt WINKLER 2007, ferner GÜNTHER
2004 und JUNKELMANN 2004, S. 151–165.
Zu WYLERs Ben Hur SOLOMON 2001, S. 205–213, WINKLER
2001b, S. 65–73, COTTA RAMOSINO, DOGNINI 2004, S. 124 f; zu
MANKIEWICZ’ Cleopatra zuletzt WENZEL 2005, S. 217–242.
So etwa CYRINO 2004, vgl. dagegen ROSE 2004 zur Affirmation imperialer Macht in Gladiator.
Siehe den Beitrag von Hannes VERAGUTH in diesem Band.
Vgl. zu den italienischen Antikenfilmen vor 1943 vor allem
BRUNETTA 1991, S. 62–71, 115–118, 146 f, 150–154, BRUNETTA
1993, I, S. 52 f, 130–230, WYKE 1997, WYKE 1999, ferner LANDY a.O., S. 175–229, BONDANELLA 1987, S. 207–251, Massimo
CARDILLO, Tra le quinte del cinematografo. Cinema, cultura
e società in Italia 1900–1937, Bari 1987, REDI 1994, S. 27–34,
REDI 1999, S. 84–92, sowie die beiden Beiträge von Pierre
SORLIN und Irmbert SCHENK in diesem Band. Zur ‹romanità› und dem Rekurs auf die Antike im italienischen Nationalismus und im Faschismus siehe im Überblick Luisa
QUARTERMAINE, «‹Slouching toward Rome›: Mussolini’s imperial vision», in: T. J. CORNELL, Kathryn LOMAS (Hg.), Urban
Society in Roman Italy, London 1995, Marla STONE, «A flexible Rome: Fascism and the cult of romanità», in: EDWARDS
1999, S. 205–220 und zuletzt Philippe FORO, «Romaniser la
nation et nationaliser la romanité: l’exemple de l’Italie»,
in: Anabases 1, 2005, S. 105–117 mit weiterführenden Literaturhinweisen.
Vgl. WYKE 1997, S. 161–165, WYKE 1999, S. 195–197 zu beiden
Fassungen von Gli ultimi giorni di Pompei (von Eleuterio
RODOLFI bzw. Giovanni Enrico VIDALI, beide Italien 1913).
Vgl. zu Cabiria BRUNETTA 1991, S. 55–61, BRUNETTA 1993,
I, S. 92–106, 173–177, SORLIN 1996, S. 35–38, WYKE 1999,
S. 200–204, SOLOMON 2001, S. 47–49, COTTA RAMOSINO,
DOGNINI 2004, S. 67; zur Architektur und Ausstattung des
Films PARIGI 1994.
Zur Ausstattung der frühen italienischen Antikenfilme
und ihren Vorbildern siehe PARIGI 1994.
Vgl. zu Gli ultimi giorni di Pompei von GALLONE und PALERMI vor allem WYKE 1997, S. 165–171 und die Beiträge in REDI
1994; zu Architektur und Ausstattung des Films PARIGI
1994.
Zu Scipione l’Africano siehe LANDY a.O., S. 194–200, CARDILLO a.O., S. 153–167, BRUNETTA 1991, S. 220 f, 228 f, BRUNETTA
1993, II, S. 146–149, COTTA RAMOSINO, DOGNINI 2004, S. 65.
Der direkte Bezug von Scipione l’Africano auf Mussolini,
das faschistische Italien und die Invasion in Afrika (der
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gelegentlich bestritten wird, so von SORLIN 1996, S. 76–83)
wurde 1937 gleichsam offiziell von Luigi FREDDI bestätigt
und auch von BOTTAI in einem Sonderheft des Filmmagazins Bianco e nero hergestellt («Mussolini ist Scipio»):
Wyke 1997, S. 21 f, 51 f.
Zum italienischen Film der Nachkriegszeit BRUNETTA 1991,
BRUNETTA 1993, III–IV, zu den Antikenfilmen BRUNETTA
1991, S. 280–298, 406–438, 608–610, BRUNETTA 1993, III,
S. 574–582, IV, S. 394–397, WYKE 1997.
Zur Architektur des E.U.R. siehe Carlo CRESTI, Archittetura
e fascismo, Firenze 1986, S. 192–209, Luigi DI MAJO, Italo
INSOLERA, L’Eur e Roma dagli anni Trenta al Duemila, Bari
1986; zu derjenigen des Foro Italico CRESTI a.O., S. 79–87,
Memmo CAPORILLI, Franco SIMEONI (Hg.), Il Foro Itaico e lo
Stadio Olimpico. Immagini dalla storia, Roma 1990, Antonella GRECO, Salvatore SANTUCCIO, Foro Italico, Roma 1991.
Zu La battaglia di Maratona siehe LAGNY 1998, SMITH 2004,
S. 98 f.
Zu Due notti con Cleopatra siehe SOLOMON 2001, 293, SMITH
2004, S. 266, WENZEL 2005; zu Jason and the Argonauts siehe SOLOMON 2001, S. 112–115, SMITH 2004, S. 150 f.
Zu Il Colosso di Rodi siehe SMITH 2004, S. 57.
Zu LEROYs Quo Vadis siehe WYKE 1997, S. 138–146, WINKLER
2001b, S. 55–65, KITTSTEIN 2005.
Zu den um 1950 einsetzenden italienisch-amerikanischen
Koproduktionen, insbesondere bei den ambitionierten
Antikenfilmen, siehe BRUNETTA 1991, S. 280–298, BRUNETTA
1993, III, S. 31–34, 46–59, 152–176, IV, S. 3–27.
So WINKLER 2001b.
In eine ähnliche Richtung zielt die Argumentation von
Eckhard PABST, «Heldenplätze. Architekturbilder als historische Kulissen», in: Hans KRAH (Hg.), Geschichte(n).
NS-Film – NS-Spuren heute, Kiel 2000, S. 175–192, der den
Einsatz nationalsozialistisch inspirierter filmischer Inszenierungsmittel in einem Videoclip von Michael JACKSON
untersucht.
119
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