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Arntz, Reiner (Hg.): La traduzione. Nuovi approcci tra teoria e pratica. Neapel, CUEN 1995 Innsbruck, A Peter Sandrini Identität und Standortbestimmung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Übersetzung sind ein wiederkehrendes Thema in einschlägigen Vorträgen und Publikationen. Die Auffassung der Übersetzungswissenschaft als Teil der angewandten Sprachwissenschaft, wobei der Blickwinkel vorwiegend auf die sprachliche Ebene gerichtet ist, oder als Teil der Literaturwissenschaft, wenn es um die Übertragung literarischer Werke geht, trifft nicht den Kern des Problems. Es geht vielmehr darum, der Komplexität und Vielfältigkeit übersetzerischen Handelns gerecht zu werden und damit auch Erkenntnisse anderer Disziplinen zu integrieren. Übersetzungs- bzw. Translationswissenschaft ist in diesem Sinne als eine der Kommunikation verpflichtete interdisziplinäre Disziplin zu verstehen, was im vorliegenden Band, der schriftlichen Fassung einer Vortragsreihe, die im Frühjahr 1994 an der Europäischen Akademie in Bozen stattgefunden hat, sehr gut zum Ausdruck kommt. Der Herausgeber Reiner Arntz nennt in seiner Einleitung fünf große Bereiche der Übersetzungswissenschaft, aus denen Beiträge im Band vertreten sind. Damit soll keinesfalls die gesamte Übersetzungswissenschaft abgedeckt werden, was bei insgesamt neun Beiträgen kaum möglich wäre, sondern die Breite des übersetzungswissenschaftlichen Spektrums aufgezeigt werden: Von der Übersetzungstheorie über die Fachsprachenforschung zur Text- und Psycholinguistik bis zur maschinengestützten Übersetzung. In den Bereich Übersetzungstheorie fällt der Beitrag Hans J. Vermeers zur Sprachauffassung und Übersetzungstheorie Walter Benjamins und dessen Überlegungen zur Übertragung von literarischen Werken, dem Wert des Originals und der Rolle der Übersetzung im Kulturkreis der Zielsprache. Es handelt sich dabei m.W. um die erste Veröffentlichung eines Textes dieses Autors in italienischer Sprache. Vielleicht wäre aber gerade deshalb ein Beitrag mit einer für das Vermeersche Schaffen etwas zentraleren Thematik (Skopostheorie) wünschenswert gewesen. Nach den philosophisch-literarischen Ausführungen Vermeers vermittelt Mary Snell-Hornbys Aufsatz einen gelungenen Überblick über die „traduttologia“ bzw. Translationswissenschaft als moderner Wissenschaftsdisziplin und ihren verschiedenen Schulen und Ausrichtungen. Betont wird dabei ihre interdisziplinäre Charakteristik, die Erkenntnisse benachbarter Gebiete nutzt und umsetzt. Der Text wird als reiner Ausgangspunkt, die Übersetzung als ein die sprachliche Ebene transzendierender kreativer Prozeß dargestellt; kennzeichnend hierfür insbesondere folgende Stelle: „quanto maggiori sono gli elementi non linguistici da cui un testo dipende, tanto più complessi si rivelano i problemi traduttivi.“(62) In eine etwas andere Richtung weisen die Ausführungen von Wolfram Wilss als drittem übersetzungstheoretischen Beitrag: „tradurre è anzitutto un’attività linguistica“ (292) und daraus folgernd die Wichtigkeit des Ausgangstextes: „un testo originale è un fattore autonomo, dal quale il processo traduttivo dipende in tutte le sue dimensioni“ (291). Aufgabe der Übersetzungswissenschaft ist es damit, für den Übersetzungsprozeß konkrete Anleitungen und Hilfen zu geben: „La scienza della traduzione è una scienza ausiliaria che deve possedere un valore informativo pratico“ (285). In ähnlicher Weise argumentiert Paola Filippi für eine feste Korrelation zwischen Ausgangs- und Zieltext: „... costitutiva relazione intercorrente fra testo di partenza e testo di arrivo, vale a dire della relazione di equivalenza intercorrente fra originale e traduzione, fra modello e riproduzione.“ (77) oder auch Reinhard Schmidt: „la traduzione sa trovare equivalenze di significato“ (166). Die Übersetzungskritik als „Rekonstruktion der Hierarchie von Äquivalenzforderungen“ (zitiert nach Koller, 78) bedarf nach Filippi des umstrittenen Begriffs der Äquivalenz, der an anderer Stelle als nicht faßbar abgelehnt wird (Snell-Hornby:47). Eine kontrastive Untersuchung zur Verständlichkeit der deutschen Übersetzung des italienischen Zivilgesetzbuches für den Laien, insbesondere in Hinblick auf Deiktik, kataphorische und anaphorische Elemente im Text nimmt Marcello Soffritti in seinem Beitrag vor. Ein kleiner Einwand sei gestattet, der aber dem insgesamt höchst interessanten Beitrag keinen Abbruch tut: Der als Beispiel für eine gelungene deutsche Terminologie bei fehlenden deutschen oder österreichischen Termini herangezogene „curatore dello scomparso“ (111) wird im österreichischen Erbrecht als „Abwesenheitskurator“ (Pedevilla 1993), nicht „Kurator des Vermißten“ bezeichnet. Der Herausgeber des Bandes beschäftigt sich in einem eigenen Beitrag mit der Übersetzung von Rechtstexten und der dieser Art innewohnenden Problematik. Arntz zeigt anhand von terminologischen und textsortenspezifischen Beispielen auf, daß der Spielraum für den Übersetzer bei Rechtstexten relativ eng ist. Zu Recht beklagt Reiner Arntz dabei die etwas stiefmütterliche Behandlung der Rechtsübersetzung in der bisherigen übersetzungswissenschaftlichen Literatur, dennoch scheinen zahlreiche neuere Forschungsansätze seit 1994 erfolgversprechend zu sein (z.B. Sarcevic 1997, Morris 1995, Sandrini 1996, mehrere dänische Forschungsprojekte). Zwei weitere Beiträge beschäftigen sich mit der maschinengestützten Übersetzung bzw. mit der maschinengestützten multilingualen Textproduktion, in denen zu Recht auf die textuelle Ebene und deren Bedeutung für die Übersetzung eingegangen wird. Die Tendenz zur Definition von Übersetzungswissenschaft als eigenständiges interdisziplinäres Forschungsgebiet, das sich die Erkenntnisse mehrerer Disziplinen zu eigen macht und in mehreren Fachgebieten angewandt werden kann, findet ihren Niederschlag auch in der italienischen Terminologie: Während es z.B. im Sammelband „Tradurre. Teoria ed esperienze“ (1986) noch keine einheitliche Bezeichnung für die wissenschaftlich-theoretische Auseinandersetzung mit der Übersetzung gibt, schlägt etwa Siri Nergaard (1995) vor: „Scegliamo di chiamarla Translation Studies con la denominazione inglese [...] che [...] ci sembra la più appropriata rispetto a teoria o scienza della traduzione.“ (Nergaard 1995:2). Die italienischen Autoren im vorliegenden Band verwenden entweder die Bezeichnung scienza della traduzione (Schmidt:165, aber auch bewußt als Übersetzung für Übersetzungswissenschaft in Wilss:284) oder teoria della traduzione bzw. la traduzione allgemein, während von den Übersetzerinnen der Terminus traduttologia gewählt wurde, der bereits von Arcaini (1992) eingeführt wurde: „... disciplina universitaria autonoma (traduttologia)“ (Arcaini 1992:9). Kleinere formale Mängel, ein Satzfehler (33), Grammatikfehler (z.B. 25, 50), fehlendes Sachregister, können dennoch den positiven Gesamteindruck nicht beeinträchtigen. Die Übersetzung deutscher und österreichischer Autoren ermöglicht eine gewisse Brückenfunktion zur deutschsprachigen Übersetzungswissenschaft, die in Italien bisher kaum rezipiert worden ist. Es handelt sich in diesem Sinne um einen durchaus zu empfehlenden Band, der aufgrund der interessanten Beiträge nicht nur an das italienische Publikum gerichtet ist. Literatur : Arcaini E. (Hg.) (1992): La traduzione. Saggi e documenti. Ministero dei Beni culturali ed ambientali: Istituto poligrafico della Zecca dello Stato Pedevilla, A. (1993): Testamentarische Erbfolge. Successione testamentaria. Innsbruck Dipl.-Arb. phil. Morris, Marshall (Hg.) (1995): Translation and the Law. ATA Schloarly Monograph Series VIII, Amsterdam: John Benjamins Nergaard, Siri (Hg.) (1995): Teorie contemporanee della traduzione. Milano: Bompiani Sandrini, Peter (1996): Terminologiearbeit im Recht. Deskriptiver begriffsorientierter Ansatz vom Standpunkt des Übersetzers. Wien: TermNet Sarcevic, Susan (1997): New Approach to Legal Translation. The Hague: Kluwer Law International