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Martin Kirves Das Ornament als Erkenntnisform Die Entwurfstheorie der South Kensington School Erschienen 2019 auf ART-Dok URN: urn:nbn:de:bsz:16-artdok-65755 URL: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2019/6575 DOI: 10.11588/artdok.00006575 Ornament als Erkenntnisform Die epistemische Entwurfstheorie der South Kensington School Knowledge is the great source of Ornament Christopher Dresser Martin Kirves 4 5 Inhalt I. Räumliche Flatness 4 II. Die Verselbständigung des Ornaments 18 III. Architektonische Transparenz und ornamentaler Exzess 24 IV. Das institutionalisierte Ornament 28 V. Die kulturelle Natur des Ornaments 34 VI. Die grammatische Struktur des Ornaments 45 VII. Die botanische Natur des Ornaments 51 VIII. Die Poetik des Ornaments 57 6 7 I. Räumliche Flatness Gemäß seiner traditionellen Bestimmung als Dekorum kommt dem Ornament keine autonome semantische Dimension zu, die unabhängig von dem ihm über‐ geordneten Werk, dessen dekorativer Teil es ist, Bestand hätte. Um das Ornament als eigenständige Erkenntnisform zu perspektivieren, ist es daher zunächst erforderlich, sein anschauliches Potenzial zu untersuchen, in welches sich ein genuin ornamental vermitteltes Wissen einzulagern vermag. Aus diesem Grund eröffnen wir die Betrachtung mit einer kleinen Phänomenologie des ornamentalen Raums, die wir anhand unseres zentralen Untersuchungsgegenstandes entwickeln werden.1 Betrachten wir die erste Abbildung, wird unser Blick von dem freigesetzten Bewegungspotenzial der Formenkonfigurationen ergriffen. Dabei schließen sich die einzelnen Elemente zu Wirbelmotiven zusammen, die sich aus der Ebene hervor‐ zuwölben und das Muster über sich selbst hinauszutreiben scheinen, wie es insbesondere am weißen Kranz der oberen Umschlagbewegung zu beobachten ist. Zugleich verbinden sich die Binnenfüllungen der hochzüngelnden Motive jedoch mit dem insgesamt als Fond wirkenden Weiß, wodurch die sich vom Grund loslösenden figurativen Strukturen an den Grund zurückgebunden werden. Dieses Prinzip der figuralen Aktivierung des Grundes bestimmt die gesamte Musterstruk‐ tur und wird durch eine Alternation farbiger und weißer Kompartimente ermög‐ licht, denen das Potenzial als Teil des Grundes oder Teil der Figur zu fungieren zukommt. Die vermittels der konkreten Ausformung und Anordnung der Kompar‐ timente erfolgende Ausrichtung dieser Potenzialität bewirkt, dass sich auf der Ebene der kleinsten Motiveinheiten das dominierende Figur‐Grund‐Verhältnis umkehrt: Die weißen Kompartimente gewinnen figurale Prägnanz, während die farbigen, sich zur Fläche zusammenschließend, den Grund bilden. Die derart innerhalb der Binnenstrukturen als Fond fungierenden Farbflächen geben aber Die folgenden Überlegungen sind Teil eines laufenden Projekts und haben daher, was die verwendeten Begrifflichkeiten betrifft, einen vorläufigen, eher heuristischen als systematischen Charakter. Auch werden, insbesondere im letzten Teil, Aspekte nur angeschnitten, die einer weiteren Ausführung bedürfen. Ebenfalls in einer bewusst abkürzenden Weise wurden die aus der dargelegten Ornamenttheorie hervorgehenden kunstmethodischen Abzweigungen angezeigt. 1 4 1. Christopher Dresser, Knowledge is Power, 1862. 5 wiederum jene Makroformen vor, die ihrerseits auf einem weißen Grund zu liegen scheinen. Die Figur‐Grund‐Relation, die sich durch eine Differenz zweier Ebenen konsti‐ tuiert, wird folglich keineswegs durch das Ineinssetzen dieser Ebenen nivelliert, vielmehr aktualisiert sie sich innerhalb eines komplexen Wechselverhältnisses immer wieder neu, wobei der Grund gleichsam vor die Figur und die Figur hinter den Grund zu treten vermag. Hieraus resultiert die fluktuierende Lebendigkeit, welche den semantischen Fokus des Musters ausmacht. Um die vermittels des zeitlich indizierten Figur‐Grund‐Umkehrungsgeschehens entstehende Räumlichkeit näher zu bestimmen, ziehen wir zur Kontrastierung im Folgenden Vergleichsbeispiele heran, um den ornamentalen Raum gemäß seiner konstellativen Möglichkeiten zu durchmessen. Da die fragliche Räumlichkeit prinzipiell der Logik der Figur‐Grund‐Relation folgt, wird zu ihrer Bestimmung die jeweilige Verfasstheit der Zwischenräumlichkeit ausschlaggebend sein. Zwischen‐ raum meint hier sowohl einen Modus des Hintereinander wie des Nebeneinander. Ersteres, insofern die Figur‐Grund‐Relation per definitionem ihre Relate in ein tiefenräumliches Verhältnis zueinander setzt; Letzteres, da sich ein Figur‐Grund‐ Verhältnis nur zu etablieren vermag, wenn die Figur den Grund durch ihre im Modus des Nebeneinander formierten Zwischenräume freigibt. Indem es aber der Grund ist, der die vor ihm liegende Ebene als Figur ausweist und der Grund einzig durch die Zwischenräume der Figur Präsenz gewinnt, gibt die Figur nicht allein den Grund durch ihre Zwischenräume frei; sie wird überhaupt erst durch die zwischen‐ räumlich organisierte Logik des Nebeneinander konstituiert. Für den Grund hingegen gilt gerade umgekehrt, dass er keinerlei Zwischenräume aufweisen darf, um sich nicht selbst als etwas vor einem Grund Liegendes zu setzen. Hieraus folgt allerdings nicht, dass der Grund notwendigerweise eine homogene Struktur aufzuweisen hätte. Die Ebenen der Figur und des Grundes können sogar – wie wir sehen werden – ihrerseits eine räumliche Extension aufweisen, ohne dabei das für die Figur‐Grund‐Relation konstitutive Differenzverhältnis aufzugeben. Beide in ihrem internen Zusammenhang den ornamentalen Raum konstituie‐ renden Aspekte – das tiefenräumliche Verhältnis verschiedener im Modus des 6 Nebeneinander strukturierter Ebenen – ist keineswegs hinreichend, um eine Bestimmung des Ornaments vorzunehmen, da weder eine systematische Abgren‐ zung zur Schrift noch zum Bild allein raumlogisch möglich ist. Weder die Schrift, bei der das Nebeneinander dominiert, noch das Bild, bei dem das Hintereinander bestimmend ist, schließen die zu untersuchende ornamentale Figur‐Grund‐Relation kategorial aus. Vielmehr partizipieren sie an dieser, wodurch dem Ornament bereits in raumlogischer Hinsicht die Rolle eines vermittelnden Modus zwischen Schrift und Bild zuwächst. Auch wenn Schrift, Ornament und Bild in dieser Hinsicht in einem graduellen Kontinuitätsverhältnis zueinander stehen, lassen sich inner‐ halb dieser Kontinuität dennoch qualitative, sie voneinander separierende Sprünge markieren, die im Anschluss an den Gang durch den ornamentalen Raum zu entwickeln wären. Nehmen wir zur Bestimmung des innerornamentalen Raums also weitere konk‐ rete Typen ornamentaler Räumlichkeit in den Blick, um sie hinsichtlich ihrer spezifischen zwiefachen zwischenräumlichen Verhältnisse zu untersuchen. Hatten wir hinsichtlich des betrachteten Musters beobachtet, dass die Figur‐Grund‐ Relation keineswegs eingeebnet wird, artikuliert sich die Figuration andererseits ebenso wenig vor dem Grund, indem sie sich durch ein In‐Differenz‐Setzen zum Grund als vom Grund unabhängige Figur etablierte, wie dies auf dem der Grammar of Japanese Ornament and Design (1889) Thomas W. Cutlers entnommenem Beispiel der Fall ist (Abb. 2). Hier drängt die vermittels einer kontinuierlichen Selbstartikulation der Figuration initiierte Abstoßungsbewegung vom Grund den Grund zurück. Indem sich die Figuration derart in einer Selbstausdifferenzierungs‐ bewegung vor dem Grund entfaltet, konstituiert sie sich als eine unabhängige Sphäre, die ontologisch in qualitativer Weise vom Grund geschieden ist. Als ihr autopoetisches Prinzip exekutierende Entität erfährt die Figuration eine Substan‐ zialisierung, während der Grund, der einzig die indefinite Artikulationsfläche der Figuration bereitstellt, ontologisch diffundiert. Hier bildet der Grund keine eigenstände mit der Figuration korrespondierende Entität, womit eine ontologische Symmetrie zur Figur gegeben wäre, die es erlaubte, dass der Grund Teil der Figuration zu werden vermag und – wie beim vorherigen Beispiel – die 7 durch die Zwischenräume der Figuration scheinend, vordergründig präsent wird. Damit wächst der im Modus des Nebeneiander organisierten Zwischenräumlichkeit das Primat zu, obwohl auch das tiefenräumliche Hintereinander phänomenal in Erscheinung tritt, indem die Figuration vor dem Grund zu schweben scheint. Unmittelbar augenfällig wird das Schweben, sobald Figur und Grund eine andere Einfärbung erhalten (Abb. 3). Der übliche Schwarz‐weiß‐Kontrast für Darstellungssysteme wie die Schrift, bei der es, um sie als Schrift zu realisieren, auf eine Nivellierung der Tiefenräumlichkeit zugunsten des Gewahrens des zwischenräumlichen Nebeneinanders ankommt – was die Sehgewohnheit automatisch praktiziert –, eliminiert die stets mitgegebene Tiefenräumlichkeit, die dennoch auch im Fall der Schrift stets latent vorhanden ist. Daher kaprizieren sich Ansätze, welche Bildlichkeit mit der idealen Flächigkeit des Bildträgers identifizieren, um das Bild als eine der (Zwischenraum‐)Logik der Fläche folgende Entität zu definieren, auf eben jene Darstellungsformen, für welche 2. Thomas W. Cutler, A Grammar of Japanese Ornament and Design, 1889, Plate 58. 3. dass. farblich modifiziert autogenetische Bewegung der Figuration durch das Figur‐Grund‐Verhältnis selbst initiiert würde. Da die im zweiten Beispiel hinzugewonnene ‚Substanzialität‘ auf der Ebene der Figuration jedoch keine ihren ontologischen Status sichernde Eigenräumlichkeit aufweist, wird die Figur‐Grund‐Symmetrie trotz der durch die verschiedenen paradigmatisch das Diagramm einstehen mag, bei denen, um das Dargestellte ‚zu lesen‘, automatisch die optische Nivellierung der phänomenal stets mitgegebenen tiefenräumlichen Dimension vollzogen wird.2 Solches Absehen von der materialiter zwar an die Fläche gebundenen, mit dieser aber keineswegs identischen Tiefen‐ räumlichkeit belegt, dass diese Bestimmung der Bildlichkeit einem versteckten Logozentrismus folgt. Die in der Flachheit implizite Räumlichkeit entfaltet sich, wenn aus den Figura‐ tionen Figuren werden, die eine eigenräumliche Extension aufweisen, wie dies beim dritten Beispiel, der Ornament‐Grotteske Jean Bérains der Fall ist (Abb. 4). Die Seinsweisen von Figur und Grund gegebenen Asymmetrie optisch restituiert, Eigenräumlichkeit der im Vergleich zum japanischen Ornament zu plastischen Treten überhaupt erst durch den Grund als eine mit der Figuration kontrastierende Kontrastfläche. Die tiefenräumliche Dimension ist nun nicht mehr als ein die Relate woran beide Relate gleichermaßen Anteil haben: Artikuliert sich die Figuration auch als ontologisch unabhängige Sphäre vor dem Grund, wird ihr In‐Erscheinung‐ Gebilden gewordenen ornamentalen Entitäten negiert den Grund nicht nur ontologisch als etwas ihr gegenüber Substanzloses, sondern auch als optische Fläche ermöglicht. Damit ‚materialisiert‘ sich der ontologisch diffundierende Grund Figur und Grund auf Distanz haltender Zwischenraum gegeben, vor dem die Pendant angezogen. Diese doppelte Verfestigung des Grundes zur Fläche erzeugt 2 zur opaken Fläche, von der sich die Figuration klar und deutlich abhebt. Zugleich wird der Grund seitens der raumlosen Flachheit der Figuration als ihr optisches einen die Prägnanz der Figuration herstellenden Kontrast, bei dem der Grund, 8 Vgl. dazu: Sybille Krämer: ‚Operationsraum Schrift‘. Über einen Perspektivenwechsel in der Betrachtung der Schrift. In: Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine. Hrsg. v. Gernot Grube, Werner Kogge und Sybille Krämer, München 2005, S. 23‐57. 9 Figuration ‚schwebt‘. Das Nebeneinander der figurativen Ebene ist durch das Hinter‐ und Ineinander der bildgegenständlichen Ornamente zu einem eigenen Tiefenraum erweitert worden, dessen infiniten Grenzbereich der Grund markiert.3 Da die Figuren keinen Schatten auf den Grund werfen, wird er allerdings gerade durch den ontologischen Kontrast mit der Gegenständlichkeit der Ornamentik als immaterielle Fläche restituiert, wodurch die Figur‐Grund‐Differenz als solche gesichert wird. War das vorherige Beispiel durch eine ontologische Asymmetrie und eine optische Symmetrie gekennzeichnet, liegt hier eine sowohl ontologische wie optische Asymmetrie vor. Wird der Grund schließlich als Hintergrund einer durch die Eigenräumlichkeit der Bildgegenstände evozierten Räumlichkeit definit, erscheinen die Bildgegens‐ tände innerhalb eines sie umgebenden, keineswegs notwendigerweise zentralpers‐ pektivisch aufgebauten Stellraums. Damit ist der ornamentale Raum zum konven‐ tionellen Bildraum, der Grund zum Hintergrund geworden, dessen konkret gegenständliche Ausformung optisch wie ontologisch von derselben tiefenräumlichen Qualität wie die Bildgegenstände ist, die nunmehr keine explizite sich von einem Grund abhebende ornamentale Figuration ausbilden. Die räumliche Extension der differenten Ebenen Figur und Grund haben sich zu einem homoge‐ nen Raumgefüge zusammengeschlossen, welches den Figur und Grund trennenden Zwischenraum aufhebt und alle im Bild gegebenen Entitäten gleichermaßen in sich fasst. Innerhalb dieses Raumgefüges vermag die Figur‐Grund‐Relation einzig indirekt als ornamentales Verhältnis präsent zu werden, indem die figürlichen Motive in ihrer spezifischen Anordnung eine die Eigenräumlichkeit reduzierende figurative Konstellation ausbilden, die sich von dem sie umgebenden, nun als Grund fungierenden Raummilieu abhebt und auf diese Weise dezidiert gegen die Stell‐ raumlogik opponiert. Solche ornamentalen Kompositionsmuster informieren als Infrastruktur der Darstellung zwar unterschwellig den Blick; sie müssen aber erst durch einen bewussten, den Bildraum negierenden Sehakt entdeckt werden, wie es 4. Jean Bérain, Ornament‐Grotteske, um 1690. 10 Dieser „undefinierte Raum“, wie ihn Friedrich Piel begrifflich fasst, „ist – vom Ornament her gesehen –nicht mehr als ursprüngliches Relat zu fassen “, weshalb die Relation als solche mehr und mehr verloren gehe (Friedrich Piel: Die Ornament‐Grotteske in der italienischen Renaissance. Zu ihrer kategorialen Struktur und Entstehung, Berlin 1962, S. 36). 3 11 die ornamentale Figurenanordnung des Portinari‐Alatrs von Hugo van der Goes beispielhaft veranschaulicht (Abb. 5).4 Erst auf den zweiten, den Stellraum durchkreuzenden Blick zeigen sich die Bildfiguren als eine das Jesuskind heiligen‐ scheinartig umschließende Figuration. Der visuell mitgegebene und dennoch erst zu entdeckende ornamentale Aspekt entlarvt nicht den ‚illusionären Charakter‘ des Bildes, sondern erweitert sein semantisches Potenzial, welcher konkreter Gehalt damit auch immer verbunden sein mag. Insbesondere in der Moderne gewinnt dieser Aspekt immer größere Relevanz, so dass er – man denke nur an Matisse oder Hodler5 – den Stellraum ornamental zu rekonfigurieren beginnt. Fällt auch die implizite Ornamentalität weg, weist der Stellraum hinsichtlich der Figur‐Grund‐Beziehung eine Affinität zum lebensweltlichen Erfahrungsraum auf. Hier wie dort sind Figur‐Grund‐Relationen gegeben, doch ist die Grenzziehung zwischen Figur und Grund einem letztlich willkürlichen Akt unterworfen. Besteht doch der Grund in diesem Fall zumeist aus einer Ansammlung figürlicher Entitäten, 5. Hugo van der Goes, Portinari Altar, um 1475. umgebenden Raummilieu heraus, so dass sich der figürlich strukturierte Umgebungsraum zu einer Art visuellem Grund zusammenzieht. Anders verhält es die ihrerseits in einer tiefenräumlichen Relation zueinander stehen. Erst der Aufmerksamkeitsfokus hebt von sich aus einen Gegenstand als Figur aus dem es Theodor Hetzer, der die ornamentale Formierung der Bildfiguren als ein die Bildeinheit stiftendes Kompositionsprinzip aufgezeigt hat, fasst diese Form der Ornamentalität als „das Ornamentale, das sich nicht zum Ornament objektiviert“ (Theodor Hetzer: Das deutsche Element in der italienischen Malerei des 16. Jahrhunderts. In: ders.: Das Ornamentale und die Gestalt, Stuttgart 1978, S. 15‐286, hier S. 48). Otto Pächt hat solche Motivzusammenhänge in ihrer „Doppelwertigkeit“ als einerseits raumdarstellende, andererseits Bildmuster erzeugende Größen untersucht (Otto Pächt: Gestaltungsprinzipien der westlichen Malerei des 15. Jahrhunderts. In: ders.: Methodisches zur kunsthistorischen Praxis. Ausgewählte Schriften, München 1977, S. 17‐ 58). Zu den bildtheoretischen Konzepten von Hetzer und Pächt siehe: Martin Dobbe: Das Ornamentale als bildtheoretisches Konzept? In: Ornament. Motiv – Modus – Bild. Hrsg. v. Vera Beyer u. Christian Spies, München 2012, S. 316‐347. Einen Nachvollzug der qua abgebildeter Ornamentik aufscheinenden Infrastruktur des Bildes entwickelt Vera Beyer: Unding Ornament? Abgebildete Vorhänge zwischen Ornament und Figur in der niederländischen Malerei des 15. Jahrhuderts. In: ebd., S. 27‐57. 5 Vgl. dazu: Gottfried Boehm: Ausdruck und Dekoration. Matisse auf dem Weg zu sich selbst. In: Matisse. Figur. Farbe. Raum. Hrsg. v. Pia Müller‐Tamm, Ostfildern‐Ruit 2005, S. 277‐289 und Oskar Bätschmann: Realismus im Ornament. Ferdinand Hodlers Prinzip der Einheit. In: Ferdinand Hodler. Eine symbolistische Vision. Hrsg. v. Katharina Schmidt, Ostfildern 2008, S. 19‐33. 4 12 sich innerhalb des ornamentalen Raums, der gerade dadurch konstituiert wird, dass der Grund nicht erst durch einen Akt der Aufmerksamkeit als solcher gesetzt wird, sondern einzig als Grund und nicht anders wahrgenommen werden kann. Damit legt der ornamentale Raum, im Unterschied zu bildlichem Stellraum und innerweltlichem Erfahrungsraum, seine Wahrnehmung eindeutig fest. Die absolvierte kursorische Betrachtung verdeutlicht hinreichend, dass die flatness zwar den konventionellen Bildraum, aber keineswegs die Bildräumlichkeit als solche negiert.6 Vielmehr generiert gerade die Raumreduktion neue Raumquali‐ täten, die durch spezifische Figur‐Grund‐Verhältnisse ornamental verfasste Räume Bereits der ‚geistige Vater‘ der flatness, Clement Greenberg, hebt daher hervor: „The flatness towards which Modernists painting orients itself can never be utter flatness. [...] The first mark made on a surface destroys its virtual flatness [...]“ (Clement Greenberg: Modernist Art. In: Charles Harrison; Paul Wood: Art in Theory. 1900‐1990. An Anthology of Changing Ideas, 1992, S. 754‐ 760, hier S. 758). 6 13 erzeugen. Um die dabei stets virulente räumliche Dimension anzuzeigen, sollte – Greenberg folgend – generell von Flachheit, nicht von Flächigkeit gesprochen werden, bezeichnet doch ‚Flachheit‘ einen räumlichen Modus, während ‚Flächigkeit‘ eine der räumlichen Dreidimensionalität entgegengesetzte Zweidimensionalität meint. Lassen wir zur Charaktersierung der einzelnen ornamentalen Raumstufen nochmals, nun in der Gegenrichtung, die sukzessive Raumreduktion Revue passieren. Der klassische Stellraum kann insofern mit Newton als ‚absoluter Raum‘ bezeichnet werden, da er ‚von sich aus‘ die in ihm erscheinenden Gegenstände positioniert und damit die perspektivische Gegebenheit der Dinge festlegt. Innerhalb eines solchen Raumes können, abgesehen von der angedeuteten ornamentalen Verfestigung einzelner Motivverbünde, Ornamente oder Muster als dargestellte Gegenstände vorkommen, denen motivintern zwar eine eigene räumliche Struktur zukommt, die allerdings nicht bildraumbestimmend ist. Anders verhält es sich, wenn, wie angedeutet, die ornamentale Raumlogik in der Moderne auf den Bildraum als solchen ausgreift und den Stellraum in ein von der Figur‐ Grund‐Relation getragenes ornamentales Spannungsverhältnis versetzt.7 Mit der Bérain‐Grotteske ist innerhalb unserer Beispielreihe der ornamentale Bildraum eröffnet, der in Abgrenzung zum Stellraum durch die Konstellation der Bildgegenstände generiert wird und daher, im Anschluss an Leibniz, als ‚relationa‐ ler Raum‘ gefasst werden könnte. Dabei tritt zum Gefüge der sich zu Figurationen zusammenschließenden Bildgegenstände das kontrastierende Relat des Bildgrun‐ als Teil der Figuration auch derselbe ontologische Status, ohne dass Figur und Grund – wie beim Stellraum – dadurch als solche indifferent würden. Insgesamt lässt sich für den Wandel vom konventionellen Bildraum zum orna‐ mentalen Binnenraum folgendes Verhältnis feststellen: Die mit der Reduktion der Räumlichkeit zur Flachheit erfolgende stufenweise Entsubstanzialisierung der Bildfiguren bewirkt ihre Neusetzung als ornamentale Figurationen, wobei im Gegenzug der Bildgrund zunächst optisch und dann ontologisch an Substanz gewinnt.8 In dieser substanziellen Aufwertung des Grundes liegt die Affinität der modernen Malerei zu Ornament und Muster begründet, ohne dass die Bilder dadurch raumlogisch oder semantisch flach wären.9 Die Grenzen des durch die differenten Figur‐Grund‐Relation erzeugten orna‐ mentalen Raums sind dann erreicht, wenn entweder die Figur‐Grund‐Ebenen zugunsten der Raumhomogenität des konventionellen Bildraums aufgehoben werden oder die differenten Ebenen Figur und Grund durch eine Negation des tiefräumlich ausgerichteten Zwischenraums nivelliert werden und der ornamentale Raum zum bloßen Muster wird, wie dies beim Schachbrettmuster der Fall ist. Um die Figur‐Grund‐Relation und damit die binnenräumliche Extension des ornamen‐ talen Raums zu gewährleisten, müssen Figur und Grund phänomenal als etwas Differentes gegeben sein. Daher stellt die ‚Intelligibilität des Grundes‘ für Edgar Allen Poe das Qualitätsmerkmal jeglicher Flächendekoration dar.10 An einer Analyse dieser Raumstruktur anhand der Werke französischer Modernisten arbeitet Martin Sundberg. 8 Diese Verhältnisbestimmung ist Reformulierung des von Carl Nordenfalk aufgestellten „allgemeinen Strukturgesetzes“, dass „die relative Gegenständlichkeit eines ornamentalen Musters und seine relative Bindung an die materielle Grundfläche in umgekehrtem Verhältnis zueinander stehen“ (Carl Nordenfalk: Bemerkungen zur Entstehung des Akanthusornaments. In: Acta Archaeologica 5, 1934, S. 257‐265, hier S. 262). 9 Um die Logik der modernistischen Malerei zu erfassen, ergänzt Rosalind Krauss die Kategorien ‚Figur‘ und ‚Grund‘ um ihre Negate ‚Nicht‐Figur‘ und ‚Nicht‐Grund‘, wobei die modernistische Malerei den Grund zum Nicht‐Grund negiere, und ihn dadurch zu einer mit dem Vordergrund zusammenfallenden Figur werden lasse (Rosalind E. Krauss: The Optical Unconscious, Cambridge 1993, S. 16). Damit ist die Figur‐Grund‐Differenz dialektisch aufgehoben, obwohl gerade die zur Plausibilisierung herangezogenen Bilder Mondrians ihre Spannung aus dem Vorhandensein der zugleich raumnegierenden wie raumbildenden Figur‐Grund Differenz beziehen. 10 Edgar Allan Poe: Philosophy of Furniture. In: The Complete Works of Edgar Allan Poe, Bd. 10: Miscellany, New York ‐ London 1900, S. 44‐53, hier S. 47 f. 14 15 des hinzu. Diesem wächst beim japanischen Muster selbst eine raumgenerierende Relevanz zu, indem die fehlende Eigenräumlichkeit der Figuration den diffusen Raumgrund zur Fläche materialisiert, vor der die Figuration als zwischenräumlich getrennte Entität erscheint. Beim zuerst betrachteten Muster wird eben dieser Zwischenraum aktiviert, indem die Figuration nicht vor, sondern mit und durch den Grund formiert wird. Innerhalb dieses ornamentalen Inversionsraumes kommt dem Grund nicht allein dieselbe optische Qualität wie der Figuration zu; ihm eignet 7 Vor dem Hintergrund der vom konventionellen Bildraum zum bloßen Muster der Entweder‐Oder‐Logik widerspricht. Der eine Aspekt wird nicht, wie beim Hase‐ schehen erzeugt wird, bei dem sich die Relate Figur und Grund wechselseitig wie raum‐, sowohl bewegungs‐ wie simultanitätsbildend, wobei beide Aspekte führenden Reihung stellt das zuerst betrachtete Muster den Kulminationspunkt des ornamentalen Raums dar, dessen spezifische Räumlichkeit durch ein Inversionsge‐ immer wieder anders positionieren. Dieser sich stets neu konfigurierende Flächen‐ raum ist folglich durch eine spezifische Zeitlichkeit bestimmt, die durch einen neuerlichen Blick auf das Muster näher gefasst werden soll (Abb. 1). Die figurativen Formationen entfalten sich fächerartig als Abfolge von Mikroflä‐ chen, die klar und deutlich vor dem jeweiligen Grund durch Zwischenräume voneinander getrennt und als Einzelelemente ausgestellt sind. Damit ist die den übergeordneten Formen innewohnende Bewegung nicht fließend; vielmehr geht sie aus der Sukzession akkurat voneinander abgegrenzter Intervalle hervor, deren Binnenausformungen wiederum durch einen ihnen immanenten Bewegungsimpuls bestimmt werden, der in der Abfolge der proportional variierenden Kompartimen‐ te über die Einzelformen hinaus freigesetzt wird. Damit ist die Entfaltung der Wirbelmotive nicht als kontinuierliches Aufwachsen, sondern als Bewegungsforma‐ tion gegeben. Beruht die spezifische Räumlichkeit des Musters auf einer die ‚Fläche‘ verräum‐ lichenden dynamischen Figur‐Grund‐Polarität, ist die spezifische Zeitlichkeit dieser Dynamik selbst wiederum durch eine Polarität gekennzeichnet: Die wechselseitige Positionierung der Relate Figur und Grund erfolgt durch die verschiedenen Aktualisierungsmodi Bewegung und Stillstand, die sich ihrerseits durchkreuzen: Zum einen wird die Bewegung durch eine Sukzession stillgestellter, klar und deutlich voneinander diskriminierter Elemente hervorgerufen, so dass die daraus resultierende Bewegungswirkung das Paradox einer sich selbst aufführenden Partitur einzulösen scheint – und tatsächlich ist diese Art der Ornamentik zeitge‐ nössisch als visuelle Musik aufgefasst worden –, zum anderen stellt sich die aus den Einzelelementen synthetisierte Bewegung zugleich analytisch als simultan gegebene Struktur dar. Die Phänomenalität des gezeigten Musters zeichnet sich somit durch ein Zu‐ gleich von Flächigkeit und Räumlichkeit, von Simultanität und Bewegung aus, das 16 Enten‐Beispiel, durch den anderen ausgeschlossen, vielmehr ist das Figurieren des Musters Resultat eines Sowohl‐als‐Auch: Jedes seiner Elemente ist sowohl flächen‐, phänomenal in einem sich immer wieder neu konfigurierenden Verhältnis ko‐ präsent sind, was dem Muster seine fluktuierende Lebendigkeit verleiht.11 Dabei bilden die einzelnen Elemente ein lückenloses Ordnungsgefüge, innerhalb dessen jedem Teil eine auf das Ganze bezogene strukturbildende Funktion zukommt, die wiederum vom Ganzen her bestimmt wird. Die doppelte strukturelle Selbstdeter‐ mination des Ganzen, das durch seine Teile formiert wird, die sie seinerseits in ihrer Formierung ausrichtet, schließt Kontingenz apriorisch aus, was uns zum Motto des Musters „Knowledge is Power“ führt. Dieses Diktum geht auf die Ursprünge der Aufklärungsepoche zurück und bildet die fundamentale Prämisse von Francis Bacons Novum Organum (1620), mit dem er den methodologisch richtungsweisenden Versuch unternahm, Wissen empirisch zu fundieren. Der in Majuskeln gehaltene Schriftzug ist auf einer das Musterfeld nach oben hin rahmenden Banderole platziert, deren flache Erscheinung das Binnenfeld des Musters als Ereignisraum ausweist und zugleich mit der Aussage „Wissen ist Macht“ die Frage aufwirft, inwiefern der zeitlich konstituierte Ereignisraum einen Raum der Erkenntnis eröffnet. Mit dem Versuch ihrer Beantwortung wechseln wir von der Betrachtung der formalen Seite des Musters zur Explikation seines Gehalts. Das Motto, welches explizit den Gehalt aufruft, verleiht dem Muster als inscriptio einen emblematischen Charakter. Das Besondere dieses Emblems besteht – wie gezeigt werden soll – allerdings darin, dass es seinen Gehalt nicht im Modus einer allegorischen Symbolik, sondern vermittels seiner spezifischen raum‐zeitlichen Struktur konkret veranschaulicht. In diesem Sinne bestimmt Gottfried Boehm ‚Figuration‘ als ein prozessuales, sich im Sehen aktualisierendes Figurieren, das sich zwischen den Relaten Figur und Grund vollzieht (Gottfried Boehm: Die ikonische Figuration. In: Gottfried Boehm; Gabriele Brandstetter; Achatz von Müller (Hg.): Figur und Figuration. Studien zu Wahrnehmung und Wissen, Paderborn 2007, S. 31‐52, hier S. 38). 11 17 II. Die Verselbständigung des Ornaments Damit das Ornament überhaupt unabhängig von einem ihm übergeordneten Ganzen, einen für sich bestehenden semantischen Gehalt zu entfalten vermag, bedurfte es eines Verselbständigungsprozesses des traditionellerweise als Beiwerk und Dekorum verstandenen Ornaments. Es musste zu einer eigenständigen, vom übergeordneten Werkzusammenhang unabhängigen Ganzheit werden. Mit dieser Verselbständigung gehen zwei wesentliche, die Sinnerzeugung und den Status des Ornaments betreffende Wandlungen einher: Durch die Etablierung des Ornaments als eines prinzipiell unabhängigen Sinnganzen geht sein Gehalt nicht mehr aus einer ornamentalen Transformation des ihm vom Übergeordneten her Eingespeis‐ ten hervor, sondern muss nun gänzlich genuin ornamental generiert und zur Darstellung gebracht werden, womit sich eine Änderung seines Status vollzieht. Als in sich vollständige Sinneinheit ist das Ornament kein subordiniertes Addendum mehr, sondern grenzt sich semantisch nach außen hin ab. Dadurch erzeugt es eine Rahmung, die keineswegs formal in Erscheinung treten muss, dem Ornament aber dennoch einen bildhaften Charakter verleiht. Aufgrund dieser bildlichen Valenz Das Ausmaß dieses fundamentalen Wandels, der es überhaupt erst ermöglichte, dass das Ornament zu einer Erkenntnisform im Sinne einer sich von Bacon herleitenden empirisch‐naturwissenschaftlichen Aufklärung werden konnte, wird fassbar, wenn Dressers Muster‐Emblem der bildlichen Darstellung eines anderen Ornamenttyps gegenübergestellt wird (Abb. 6). Dabei handelt es sich um das Frontispiz von Friedrich August Krubsacius` Abhandlung Gedanken von dem Ursprunge, Wachsthume und dem Verfalle der Verzierungen in den schönen Künsten (1759). Die im Titel anklingende dreigliedrige Zyklik: Ursprung, Wachstum und Verfall kündigt bereits die Diagnose an, dass die Kunst der Verzierungen im Niedergang begriffen sei. Mit dieser Einschätzung steht der sächsische Hofbaumeis‐ ter und spätere Professor für Baukunst der Dresdner Akademie keineswegs alleine da. Seit den späten 1740er Jahren wurden insbesondere in den protestantisch geprägten Gebieten Deutschlands polemische Invektiven gegen eine neue Orna‐ mentform laut, die ihren Ursprung in Frankreich hatte und von dem Goldschmied Juste‐Aurèle Meissonnier etabliert worden war – gegen die Rocaille. Trieb diese insbesondere in den Innenräumen der Hôtels des städtischen Adels konnte das Ornament zu einer treibenden Kraft der Moderne, insbesondere in der üppige Blüten, blieb ihr in Frankreich der Sprung vom Profan‐ in den Sakralbereich ihm übergeordneten Ganzen, zur unüberwindlichen Schwierigkeit gerät, die das Michael Feichtmayr gegen 1755 geschaffene Rocaille für die Wallfahrtkirche Malerei werden. Die Kehrseite der Verselbständigung des Ornaments liegt allerdings darin, dass seine ursprüngliche Aufgabe, die Applikation innerhalb eines Ornament schließlich als Applikat sowohl aus der Architektur wie aus dem zum Industriedesign gewordenen Kunsthandwerk verdrängen sollte. Welche Stellung das Ornament durch seine Verselbständigung und den damit einhergehenden bildhaften Charakter in England ab den 1840er Jahren gewinnt, geht aus einem späteren Aufsatztitel Christopher Dressers, dem Urheber des betrachteten Muster‐Emblems, hervor: Ornamentation considered as high art (1871). Ein Aufsatz, der, seiner Intention gmäß, eigentlich ‚Ornamentation considered as highest art‘ lauten müsste. Das Ornament, ehemals eine Marginalie, der innerhalb der ‚hohen Künste‘ keinerlei Platz zukam, nimmt nun die Spitzenposi‐ verwehrt, während sie in den Kircheninnenräumen des Reichsgebietes, vor allem in den süddeutschen und österreichischen Ländern aufblühte, wie es die von Johann Vierzehnheiligen Balthasar Neumanns eindrucksvoll vor Augen führt (Abb. 7).12 In Frankreich hingegen kam es nach der Veröffentlichung erster Vorlagen durch Meissonnier augenblicklich zu klassizistischen Gegenreaktionen, namentlich von dem als Illustrator der Encyclopédie tätigen Akademiker Charles Nicolas Cochin le Jeune. Eine Kritik, die ihr immer lauter werdendes Echo in den Aufklärungszentren Deutschlands fand.13 Vor diesem Hintergrund stellt Krubsacius` Schrift den Konzentrationspunkt einer vehementen Kritik an einer sich gegenüber der Architektur verselbständigenden Ornamentform dar. tion der Hierarchie der Künste ein und wird mit Dressers Muster‐Emblem zu einer absoluten Form, die, wie die Umschrift Knowledge is Power ankündigt, das Wissen, 12 Zum Aufkommen der Rocaille und ihrer Verbreitung in den Hôtels des französischen Adels siehe: Fiske Kimball: The Creation of Rococo Decorative Style, New York ‐ Dover, 1980. 13 Eine kommentierte Quellenkompilation bietet: Mario‐Andreas von Lüttichau: Die deutsche Ornamentkritik im 18. Jahrhundert, Hildesheim u.a. 1983. 18 19 potenziell in toto in sich zu enthalten vermag. Besenreisig, voller Drachen, Schlangen und anderm Ungeziefer, denen es am meisten ähnlich sieht.14 Keines der aufgezählten Ingredienzen weist irgendeinen Eigenwert auf; durchweg handelt es sich um minderwertige Gegenstände wie Abfälle oder absonderliche Kreaturen. Die Rocaille wird als additiv zusammengesetztes Konglomerat entlarvt, dessen Bestandteile keinerlei materielle Dignität aufweisen. Als Summe von Nichtigkeiten, so die Konsequenz, weist sie trotz ihrer hypertroph‐opulenten Erscheinung keinerlei ornamentalen Gehalt auf. Vielmehr konterkariert ihr defizitärer „Mischmasch“ die eigentliche, sich von ‚ornare‘ herleitende Funktion des Ornaments, nämlich ihren Träger zu schmücken. Die mit „Besenreisig, voller Drachen, Schlangen und anderem Ungeziefer“ kulminierende Aufzählung ruft hingegen ungeheuerliche Scheußlichkeiten, etwa einen Hexenbesen, und mit ihm schwarzmagische Prozeduren auf, die aus dem Hässlichen einen schönen Schein zu erzeugen suchen. Ein Trugbild, das sich, einmal durchschaut, als Betrug erweist und 6. Friedrich August Krubsacius, Gedanken von 7. Johann Michael Feichtmayr, Wallfahrts‐ dem Ursprunge, Wachsthume und dem Verfalle kirche Vierzehnheiligen, um 1755. der Verzierungen in den schönen Künsten, 1759. Seinen Feldzug gegen die Rocaille eröffnet Krubsacius mit der Frage, worum es sich bei diesem Gebilde denn eigentliche handele und stellt fest, dass nicht einmal die Ornamentkünstler darauf eine Antwort zu geben vermöchten. Und tatsächlich gibt es zeitgenössisch keine positive Theorie der Rocaille. Um also Aufklärung darüber zu verschaffen, was es mit der Rocaille auf sich habe, lässt er sie für seine Abhand‐ lung in einer Art und Weise nachstechen, die sie analytisch auf ihre Bestandteile zurückführt, so dass nun offensichtlich wird, womit man es zu tun habe: Dieweil [die Künstler] also nicht wissen, was es seyn soll: so nehme ich mir die Freyheit, es ihnen durch beygefügtes Exemple zu erklären und zu sagen: Es sey ein Mischmasch, a) Von Schilf und Stroh, b) Knochen, c) Scherbeln, d) Spänen, e) Flederwischen, f) verwelk‐ ten Blumen, g) zerbrochenen Muscheln, h) Lappen, i) Federn, k) Hobelspäne, l) abge‐ schnittene Haarlocken, m) Steinen, n) Fischschuppen, o) Gräten, p) Schwänzen und q) 20 mit Mitteln erzeugt wurde, die der Natur und damit dem die Schöpfung durchwal‐ tenden Vernunftprinzip zuwider laufen. Hiermit spitzt Krubsacius die spätestens seit Vitruv virulente Kritik gegen eine eigengesetzlich verfasste Ornamentik zu, die – so der Vorwurf – das rationale Ordnungsfüge des Werks irrational konterkariert. Das sich als etwas Eigenständiges gebärdendes Ornament vermag – wie Krubsacius an der Rocaille verdeutlicht – einzig etwas Unbenennbares, begrifflich nicht zu Fassendes hervorzubringen; dunkle und konfuse Vorstellungen, deren Aufklärung zeigt, dass es sich um bloße „Hirngespinste“ handelt, um Phantastereien, die bereits Vitruv zu seiner Zeit scharf kritisierte hatte.15 Aus sich heraus vermag das Orna‐ ment kein Ordnungsgefüge zu etablieren. Erweist sich ein solches Ornament auch als semantisch leeres Gebilde, ist es dennoch gefährlich, indem es als betrügeri‐ scher ornamentaler Schein das Werk durch eine Maskierung als etwas ausgibt, das es selbst nicht ist. Eine Einschätzung, die sich im frühen zwanzigsten Jahrhundert zum Topos der Lügenhaftigkeit des Ornaments auswächst und in Adolf Loos` Friedrich August Krubsacius: Gedanken von dem Ursprunge, Wachsthume und dem Verfalle der Verzierungen in den schönen Künsten, Leipzig 1759, S. 35f. 15 Die Kritik findet sich im 5. Abschnitt des 7. Buches von De architectura libri decem. 14 21 Schlachtruf gipfelt, innerhalb der zivilisierten Welt sei Ornament nichts anderes als Verbrechen.16 Die harsche Kritik der Aufklärung negiert das Ornament jedoch keineswegs als solches. Als Zierrat hat es nicht nur seine Berechtigung, ist es in die ihm übergeord‐ nete Werkstruktur einpasst, um diese vermittels seiner Eigenformen verfeinernd hervorzuheben und auf diese Weise den spezifischen Charakter des Ganzen semantisch zu festigen; damit erfüllt es seine notwendige Funktion als adäquates Dekorum. Emanzipiert sich das Ornament allerdings von seiner dienenden Funktion, wird es, so Vitruv und Krubsacius, regellos. Eben der geforderten strukturellen Eingliederung widersetzt sich die Rocaille. Sie profiliert sich, wie das Beispiel Vierzehnheiligen veranschaulicht, als ein von der architektonischen Struktur unabhängiges, frei vor der Wand stehendes Gebilde, das durch einen markanten Schattenwurf zusätzlich als nicht zur Wand gehörend ausgewiesen wird. Damit erreicht das Ornament innerhalb des architektonischen Zusammen‐ hangs eine neue Qualität: Es etabliert eine jenseits der Baustruktur angesiedelte ontologische Ebene, die als eigenständige ornamentale Sphäre in eine Interaktion mit der Architektur tritt. Inwiefern damit der Ornament‐Werk‐Zusammenhang in einem positiv‐produktiven Sinne neu konfiguriert wird, kann hier nicht weiter verfolgt werden. Für unseren Zusammenhang ist es hinreichend, die von Krubsa‐ cius festgestellte, heftig attackierte Verselbständigung des Ornaments festzuhalten. Es stößt sich werkintern vom Werk ab, wodurch es – zunächst unter kritischen Vorzeichen – überhaupt erst als etwas Eigenständiges in den Blick gerät. Damit wird das Ornament als etwa Für‐sich‐Seiendes konstituiert, als eine von außen indeterminierte Leerform, die zum Entfaltungsraum einer dem Ornament inne‐ wohnenden Eigengesetzlichkeit zu werden vermag. orientierten Kunsttheorie, wodurch der Bildcharakter des Ornaments vorbereitet wird. Über William Hogarths ‚Line of Beauty‘ (1753) und Karl Philipp Moritz` Metaphysische Schönheitslinie (1793) wird das Ornament als ein genuin lineares Gebilde reformuliert. Damit gerät es in das Fahrwasser des klassischen designo‐ Diskurses und mit ihm in den Horizont der produktiven Einbildungskraft, um sich schließlich zur romantischen Arabeske ‚zu verfestigen‘, deren sich im Modus des ‚freien Spiels‘ realisierende innere Zweckmäßigkeit letztlich das schlechthin Unverfügbare visuell erfahrbar werden lässt.17 Das Ornament ist zur absoluten Form geworden. Zu einer isolierten Idealität, der nicht allein die Materialität und der konkrete Ort, sondern – als literarisches Generierungsprinzip – sogar die Anschaulichkeit abhanden gekommen ist. Und dennoch ist diese imaginäre Phase des Ornaments für seine re‐materialisierte Neufassung von entscheidender Bedeutung. Die in der Totalisierung gipfelnde Verselbständigung des Ornaments ermöglicht überhaupt erst Dressers ornamentale Wissenschaftslehre, für die sein Muster‐Emblem einsteht. Der Wandel des sich ontologisch wie semantisch verselbständigenden Ornaments von einem per se A‐Rationalem zum privilegierten ens rationale, führte dazu, dass das Ornament zum Instrument naturwissenschaft‐ lich geleiteter Wahrheitssuche werden konnte. Dieser veränderte Status musste der Schaffung einer neuen Ornamentik zum unhintergehbaren Ausgangspunkt werden. Um den ornamentalen Ist‐Zustand aufzurufen, von welchem sich Dressers ‚Ex‐ perimental‐Ornamentik‘ abhebt, begeben wir uns an jenen Ort, wo dem Ornament der größte Auftritt im 19. Jahrhundert beschert wurde, auch wenn dieser für vor allem negative Schlagzeilen sorgte. Die endgültige Isolierung des Ornaments aus seiner werkinternen relationalen Rückbindung vollzieht sich – wie hier nur angedeutet werden kann – unter nun affirmativen Vorzeichen in der architekturfernen Sphäre der an der Malerei 16 Loos lehnt Ornamentalität aber keineswegs kategorisch ab. Der in Ornament und Verbrechen formulierten, zeitlich indizierten und dennoch prinzipiellen Ornamentkritik setzt Loos mit Das Prinzip der Bekleidung (1898) eine ornamentale Bekleidungstheorie der Architektur entgegen, die er beim ‚Looshaus‘ am Michaeler Platz (1910‐11) realisiert. 17 „[...] arabesk ist jene durch die Dichtungskraft [...] hervorgebrachte Form, in der sich die unendliche Fülle ahnungsweise manifestiert.“ (Karl Konrad Pohlheim: Die Arabeske. Ansichten und Ideen aus Friedrich Schlegels Poetik, München u.a. 1966, S. 56). 22 23 III. Architektonische Transparenz und ornamentaler Exzess Mit der ersten Weltausstellung fand 1851 in London ein Ereignis unerhörten Ausmaßes statt. Bereits die Dimensionen des Ausstellungsgebäudes überstiegen alles bisher Gesehene. Joseph Paxtons ‚Crystal Palace‘ übertraf mit seinen 560 Metern Länge und 137 Metern Breite, wie im Ausstellungskatalog hervorgehoben, um ein Vierfaches die Ausmaße von Sankt Peter in Rom.18 Damit war es das größte Gebäude der Welt, dessen Inneres – so das Konzept der Ausstellung – in einer monumentalen Schau die kulturellen Erzeugnisse der gesamten Menschheit versammelte. Vor diesem Hintergrund ist der Vergleich mit Sankt Peter durchaus nicht allein auf die räumlichen Verhältnisse zu beziehen. Hatte die französische Revolution Rom durch einen Tempel der Vernunft ersetzen wollen, wird das abstrakte Vernunftprinzip in London anthropologisch geerdet. Die ausgestellten Erzeugnisse des menschlichen Geistes konstituieren in ihrer Summe eine die Partikularität der Glaubensgemeinschaften übersteigende Universalität: das Commonwealth der Menschheit. Die derart konstituierte universale Gemeinschaft präsentiert sich, wiederum anhand der gezeigten Produkte, in ihrer kulturellen Ausdifferenzierung. Damit dokumentiert die Weltausstellung zum einen den kulturellen status quo der Menschheit, zum anderen etabliert sie durch die unmittelbare Vergleichbarkeit der Produkte ein Konkurrenzverhältnis zwischen den kulturellen Sphären. Innerhalb dieses Vergleichs fiel trotz des zur Schau gestellten technischen Fort‐ schritts die Einschätzung der englischen Erzeugnisse, ja, der westlichen Produkte überhaupt, ernüchternd aus. Ernüchternd, sobald nämlich jene Marginalie zum Beurteilungsmaßstab erhoben wurde, die für sich betrachtet keinen eigenständigen Gegenstand bildete, dafür aber so gut wie allen ausgestellten Objekten zukam: das Ornament. Bei der Revision der ausgestellten Produkte hinsichtlich ihrer Ornamentik zeige sich, so der Tenor der Kritik, dass bei den westlichen Erzeugnissen einzig Ornamen‐ te vergangener Epochen kopiert würden, die als willkürliche Applikationen die Objekte überwucherten, während Funktion und Material der Gegenstände bei ihrer 18 The Industry of All Nations 1851. Illustrated Catalogue, London 1851, S. XXI. 24 Ornamentierung unberücksichtigt blieben. Die durch seine Verselbständigung erfolgte prinzipielle Lockerung zwischen Ornament und Träger führte zu einem Vagieren des Ornaments, das sich im Modus historischer Stile regelrecht an den Gegenständen festzuklammern suchte und diese förmlich überkrustete – „orna‐ ment ran riot at the Great Exhibition”, beschreibt ein späterer Lehrer der South Kensington School, Frank P. Brown, diesen Ausnahmezustand, den eine willkürliche Auswahl an Gebrauchsgegenständen, wie sie etwa eine Reihe von Scheren darstellt, vor Augen führt (Abb. 8).19 Fernöstliche Produkte, insbesondere indische Teppiche, erfuhren gerade auf‐ grund ihrer Ornamentik hingegen höchste Wertschätzung. Dabei wurde der Ornamentik der morgenländischen gegenüber derjenigen der westlichen Erzeug‐ nisse eine überzeitlich gültige A‐Historizität zugeschrieben, auf die wir noch zurückkommen werden.20 Gerade die formulierte Kritik an der sowohl funktionalen und materiellen wie zeitgemäßen Unangemessenheit des Ornaments wertete dieses abermals in einer kategorialen Weise auf, indem das Applizierte als das Wesentliche des Werkes fokussiert wird: Nicht der Gegenstand ist die Beurteilungsinstanz für sein Deko‐ rum; die Ornamentik selbst wird zum Maßstab für das Gelungen‐ oder Misslungen‐ sein des Objekts, zum Kriterium, anhand dessen der fragliche Gegenstand wesent­ lich beurteilt werden kann. Als ein derartiges tertium comparationis wird das Ornament zu einer die Gesamtheit der Gegenstände aller kulturellen Sphären miteinander verbindenden Größe, deren supponierte universale Verständlichkeit im Fall der westlichen Produkte allerdings einer babylonischen Sprachverwirrung gewichen ist. Die Weltausstellung führt das zu lösende Problem auf eine besonders frappie‐ rende Weise vor Augen: Wie kann das sich als ordnungsloser, reproduktiv agieren‐ der Exzess gebärdende Ornament mit einer durch den Crystal Palace Frank P. Brown: South Kensington and its Art Training, London 1912, S. 11. So bescheinigt etwas Owen Jones den indischen Teppichen „the nicest adjustment of the massing of the ornament to the colour of the ground; every colour or tint, from the palest and most delicate to the deepest and richest shades, receiving just the amount of ornament that it is adapted to bear” (Owen Jones: The Grammar of Ornament, London 1856, S. 79). 19 20 25 exemplifizierten, allein schon aufgrund ihrer Materialien Glas und Eisen gänzlich neuartigen Architektur zusammengebracht werden, die sich zudem, im Vergleich mit Sankt Peter, als transparente Raumhülle gleichsam selbst zum Verschwinden bringt? Dabei stellt diese aus maschinell angefertigten modularen Grundeinheiten bestehende Architektur, die sich nach einem Baukastenprinzip wie ein Gerüst zusammensetzen lässt, selbst ein industrielles Erzeugnis dar und wurde zunächst vor allem als ausgestelltes Industrieprodukt und nicht als eine Architektur betrachtet, die für ein neues Bauen richtungsweisend wäre. Folglich wurde der Crystal Palace nach dem Ende der Weltausstellung auch wieder abgebaut, um dann allerdings 1854 in Sydenham dauerhaft wiedereröffnet zu werden, bis er schließ‐ lich 1936 einem Brand zum Opfer fiel.21 Die Selbsttransparenz der Architektur, könnte man sagen, fokussierte den Blick auf das Ornament. Nur vom Ornament ausgehend, betont der für die Innendekora‐ tion des Crystal Palace zuständige Architekt Owen Jones, könne eine neue Architek‐ tur entstehen, denn das Ornament sei die Seele des Bauwerks.22 Die von Heinrich Hübsch aufgeworfene Frage In welchem Style sollen wir bauen? (1828) ist folglich nicht durch den Rückgriff auf historische Stilrichtungen zu beantworten, sondern einzig vom innovativen Potenzial des Ornaments her zu lösen. Hierin zeigt sich symptomatisch, dass das Ornament bis ins 20. Jahrhundert hinein zu einem alle Bereiche der Kunst betreffenden Schlüsselproblem wurde und den gemeinsamen Ausgangspunkt verschiedenster kunstreformatorischer Konzeptionen darstellte, eingeschlossen jene, die eine Erneuerung der Künste nur durch die Negation jeglicher Ornamentik für möglich hielten. 8. The Industry of All Nations, Illustrated Catalogue, 1851, S. 27, 93. 26 21 Siehe dazu: Carla Yanni: The Crystal Palace: A Legacy in Science. In: Die Weltausstellung von 1851 und ihre Folgen. Hrsg. v. Franz Bosbach u. John R. Davis, München 2002, S. 119‐126. 22 Jones 1856, S. 155, 83. Und William Morris wird ergänzen, dass das Ornament das Bauwerk überhaupt erst zur Architektur erhebe (William Morris: Artist, Writer, Socialist, 2 Bd. Hrsg. von May Morris, London 1966. Bd. 1., S. 266). Zu Owen Jones` gestalterischem Mitwirken an der Weltausstellung siehe: Carol A. Hrvol Flores: Owen Jones. Design, Ornament, Architecture, and Theory in an Age in Transition, New York 2006, S. 79‐99. 27 IV. Das institutionalisierte Ornament Als Industrieprodukt markiert der Crystal Palace zugleich das Ausgangsproblem, welches das Ornament zunächst unabhängig von seiner architektonischen Anbindung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt und schließlich zur Anliegen motiviert, die seine Ausrichtung bestimmten: ein ökonomisches und ein moralisches. Die Government School of Design war auf Empfehlung des die Regierung in ökonomischen Angelegenheiten beratenden Board of Trades ins Leben gerufen Organisation der Weltausstellung geführt hatte: Wie habe eine Ornamentik worden. Eine adäquate ornamentale Veredelung sollte, insbesondere angesichts künstlerisch verfasstes ‚ornament engeneering‘ geben? Wohlstand des Landes befördern. Das von Adolf Loos formulierte ökonomisch‐ industriell hergestellter Produkte beschaffen zu sein? Kann es ein den präzisen Konstruktionsprinzipien des Crystal Palace entsprechendes und dennoch genuin Um die Grundlagen einer solchen neuen Ornamentik zu schaffen, ist, nachdem die Society of Arts, insbesondere Henry Cole, auf die Dringlichkeit, Richtlinien einer neuen Ornamentik zu schaffen, insistiert hatte, unter Federführung des Akademie‐ künstlers William Dyce 1837 die Government School of Design ins Leben gerufen worden.23 Zunächst im Somerset House in Strand ansässig, siedelte sie im Zuge ihrer ersten Reform unter der Leitung Henry Coles 1853 ins Malborough House über und wurde fortan aufgrund ihrer Lage als South Kensington School bezeich‐ net. Zur Schule gehörte eine Sammlung von Anschauungsgegenständen, welche, nachdem sie durch den Ankauf von Objekten der ersten Weltausstellung enorm angewachsen war, einen eigenständigen Bau, das South Kensington Museum erhielt, aus dem schließlich das Victoria and Albert Museum hervorgegangen ist. Um das Ziel, eine künstlerische Ausbildung einzurichten, die den mit der indus‐ triellen Revolution aufgekommenen Produktionsmitteln gerecht wird, hatte Dyce im Vorfeld eine Besichtigungsreise der in Frankreich und Deutschland bereits bestehenden Kunstgewerbeschulen unternommen, die ihn allerdings zu dem enttäuschenden Ergebnis führte, dass bei den bestehenden Ausbildungsgängen die Ornamentik keineswegs auf die neuen Produktionsbedingungen abgestimmt sei, weshalb in dieser Hinsicht ein gänzlicher Neuanfang nötig wäre. Dieser staatlich gesteuerte ornamentale Neuanfang war durch zwei miteinander verbundene Zur turbulenten, von Reformen geprägten Geschichte der South Kensington School siehe: Frank P. Brown: South Kensington and its Art Training, London 1912, Quentin Bell: The Schools of Design, London 1963, Stuart Macdonald: The History and Philosophy of Art Education, London 1970, Christopher Frayling, The Royal College of Art. One Hundred and Fifty Years of Art and Design, London 1987. 23 28 der wachsenden Anzahl französischer Importe, die internationale Konkurrenzfä‐ higkeit der maschinell erzeugten Produkte gewährleisten und dadurch den moralische Argument, die Ornamentierung eines Gegenstandes bedeute eine kostenverursachende, die menschliche Arbeitskraft ausbeutende Mehrarbeit, rechtfertigte ursprünglich gerade die Notwendigkeit des Ornaments, indem das Ornament den Mehrwert des Gegenstandes überhaupt erst herstellt, wobei Mehrwert hier ganz im Sinne von Karl Marx, der ab 1849 in London ansässig war, zu verstehen ist.24 Zur Mehrwertherstellung ist seitens der ausführenden Kräfte gerade keine erhöhte körperliche Arbeit nötig, da die anvisierte Ornamentik maschinell reproduzierbar sein soll. Die den Mehrwert herstellende Arbeit ist folglich keine Arbeit am Gegenstand selbst, sondern in den ornamentalen Ent‐ wurfsprozess verlagert, der die Vorlagen für die maschinelle Vervielfältigung liefert. Damit erfolgt eine dezidierte Abgrenzung von der körperlichen Arbeit, wodurch die Herstellung der Ornamentik als geistige Tätigkeit nobilitiert wird. Entsprechend heisst es bei Dresser, der ornamentierte Gegenstand werde durch einen geistigen Prozess, nicht durch handwerkliche Tätigkeit veredelt, wobei er, auch im pekuniären Sinne, umso wertvoller werde, je mehr geistig verfasstes Wissen in ihn eingehe, das als Schönheit des Gegenstandes manifest wird.25 Die damit einhergehende Trennung zwischen ornamentalem Entwerfen und Endprodukt unterzieht John Ruskin einer vehementen Kritik, die sich, abermals konform mit der marxschen Theorie, als Entfremdungsprozess reformulieren lässt, bei dem als Kehrseite des vom geistigen Anteil an der Produktherstellung abge‐ schnitten Arbeiters, der Ornamentkünstler selbst den Bezug zur Produktion des Adolf Loos: Ornament und Verbrechen. In: Ders.: Sämtliche Schriften in zwei Bänden. Hrsg. v. Franz Glück, Wien – München, S. 78‐89, hier S. 83. 25 Christopher Dresser: Principles of Decorative Design, London ‐ Paris ‐ New York, 1873, S. 1f. 24 29 Gegenstandes verloren hat. Nur in der konkreten Arbeit am Gegenstand, so Ruskin, nung ‚Kunstgewerbe‘ nahelegt, sondern in seinem vollen Bedeutungsanspruch in sei eine gewisse Unvollkommenheit der Produkte, in der sich – gemessen am wurde etwa das Aktzeichnen, überhaupt das Freihandzeichnen als solches, während die maschinell genormten Produkte in ihrer Perfektion tote Gegenstände Potenzialität bereitzustellen. vermag sich die Freude an der Arbeit im Produkt niederzuschlagen und als seine spezifische Lebendigkeit manifest zu werden.26 Kennzeichen dieser Lebendigkeit göttlichen Werk – das letztlich zum Scheitern verurteilte menschliche Bemühen zeige, welches jedoch als individuelle Spur eines liebevollen Bemühens aufscheine, seien.27 Auf diesen Entwicklungsstrang, den das Ornament mit Ruskin und den ‚Naturalisten‘ nimmt, kann hier nicht weiter eingegangen werden. Gerade die unterschwelligen Berührungen mit der South‐Kensington‐School, die sich etwa anhand des gemeinsamen Ausgangspunkts, der Gotik, und ihrer jeweiligen, für eine bestimmte Naturauffassung stehende Deutung aufzeigen ließen, sollten sich für die Arts­und­Crafts‐Bewegung und den Jugendstil als äußerst produktiv erweisen. Mit der von Ruskin beklagten Trennung der Werkschöpfung in einen geistigen und einen materiellen Herstellungsprozess lässt sich zugleich der Übergang vom ‚Ornament‘ und ‚Kunsthandwerk‘ zu ‚Muster‘ und ‚Design‘ markieren, wie er sich in der Abfolge der Titel der wichtigsten für die South‐Kensington‐School verfassten Lehrbücher, Owen Jones` Grammar of Ornament (1856) und Christopher Dressers The Art of Decorative Design (1862), zeigt, auch wenn diesen Begriffen keine absolute kategoriale Kraft zukommt. In den Quellen werden die Bezeichnungen ‚pattern‘ und ‚ornament‘ durchaus beliebig gebraucht. Der unklare Status des ornamentalen Entwerfens schlägt sich wiederum in der vielfachen Umbenennung der Government School of Design nieder, die entsprechend Dressers programmati‐ schem Aufsatz Ornamentation considered as high art ab 1853 National Art Training School und ab 1896 schließlich ihren heutigen Namen Royal College of Arts erhielt. Die Aufnahme des Begriffs ‚art‘ in den Namen weist bereits auf das Anliegen hin, die unter den skizzierten gewandelten Vorzeichen inaugurierte ornamentale Entwurfs‐ tätigkeit als der Hochkunst ebenbürtig zu klassifizieren, wobei der Begriff ‚Kunst‘ nicht in einer gattungstheoretisch orientierten Unterordnung, wie ihn die Bezeich‐ 26 „All noble ornamentation is the expression of man`s delight in God’s work.” (John Ruskin: The Stones of Venice. Bd. 1: The Foundations, London 1851, S. 43). 27 John Ruskin: The Stones of Venice, Bd. II: The Sea Stones, London 1851, S. 161. 30 Anschlag gebracht wurde, was naturgemäß zu einem Konkurrenzverhältnis mit der Royal Academy of Art führen musste. Um die Kompetenzen auseinander zu halten, zunächst der akademischen Ausbildung vorbehalten, schließlich aber doch wieder eingeführt, um für die schöpferische Entwurfstätigkeit die höchste künstlerische Der besondere ideelle Status, welcher dem Ornament zugemessen wurde, geht über den rein ökonomischen Aspekt hinaus und führt uns zum zweiten Anliegen des ornamentalen Neuanfangs: zur moralischen Kapazität des Ornaments. In der Tradition der Aufklärung stehend sollte vermittels der potenziellen Omnipräsenz ornamental veredelter Gegenstände der allgemeine Geschmack gehoben und damit der seit Anthony Earl of Shaftesbury virulente moral sense gefestigt werden, um auf diese Weise den moralischen Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken.28 Das Ornament wurde also mit den zentralen Staatsaufgaben Wohlstand und Erziehung betraut, was die South Kensington School durchaus mit den gesell‐ schaftsreformatorisch‐utopischen Anliegen eines Ruskin verbindet. Um die ihm zugedachten höchsten Aufgaben einlösen zu können, musste das Ornament zunächst institutionell als etwas Eigenständiges etabliert werden, anstatt im Fahrwasser des Kunstgewerbes als Annex der Künste zu gelten. In dieser Hinsicht ist wiederum die ursprüngliche Namensgebung ‚Government School of Design‘ aufschlussreich. Mit ihr sollte die staatliche Institution keineswegs in die Reihe der herkömmlichen, seit dem Aufkommen des Dilettanten florierenden Londoner Privat‐Zeichenschulen eingegliedert werden. Vielmehr bezeichnete das sich vom designo ableitende design den Status der anvisierten Tätigkeit, wobei der ornamen‐ tale Entwurf von einer idea seinen Ausgang nimmt und nicht von etwas bereits Vorhandenem ausgeht, zu dem es als untergeordnete Größe hinzutritt. Der ornamentale Entwurf folgt allerdings im Unterschied zum freikünstlerischen einer anderen, durch bestimmte noch darzulegende Gesetzmäßigkeiten determinierten Dem für die Epoche der Aufklärung fundamentalen Zusammenhang von ‚moral sense‘ und Kunst habe ich eine eigene Untersuchung gewidmet: Das gestochene Argument. Daniel Nikolaus Chodowieckis Bildtheorie der Aufklärung, Berlin 2012. 28 31 Zweckmäßigkeit. Damit weist er eine Verwandtschaft zum architektonischen Plan Damit die derart unabhängige Ornamentik die ihr zugesprochene moralische auf, nur dass dieser Plan mit dem Produkt identisch ist. Der ornamentale Entwurf Wirkintensität zu entfalten vermag, ist die Herstellung ornamentaler Produkte Architekturen zu realisieren, was die Dimensionen des neuen schöpferischen erst eröffnet werden, weshalb der „Ornamentunterricht“ durch eine gezielte, an der ist bereits das Ornament, das als Vorlage für seine maschinelle Vervielfältigung dient. Vor diesem Hintergrund eröffnet sich die Möglichkeit, gleichsam ideale Raumes der Ornamentik charakterisiert. Enthält das designo bereits das Ganze vollständig, ist das Ornament – entwurfs‐ theoretisch – ebenfalls in sich vollständig, während es, seiner oben dargelegten klassischen Bestimmung zufolge, etwas per se Unvollständiges darstellt. Zwar wurde in den im Umfeld der South Kensington School entstandenen Schriften stets allein allerdings nicht hinreichend; vielmehr muss eine adäquate Rezeption durch die Teilhabe am geistig‐produktiven Prozess ornamentaler Schöpfung überhaupt South Kensington School erfolgende Lehrerausbildung bis in die Volksschulen hinein ausgedehnt wurde.30 Auf diesem Weg sollte zugleich eine breite Nachfrage an Qualitätsornamentik hervorgerufen und für künstlerischen Nachwuchs gesorgt werden. Zur Rezeption wie zur Erzeugung qualitätvoller Ornamentik bedarf es folglich betont, die spezifische fitness des Ornaments bestehe darin, deiktisch auf die eines ornamentalen Sehens, das auf ein spezifisches Wissen rekurriert, was industriell erzeugbare Objekte in den Blick rückten, bei denen der Gegenstand in 1862 stattfindenden Londoner Weltausstellung publizierten Schrift The Art of Funktionalität des Gegenstandes, seine ihm eigene fitness zu verweisen, und dennoch erfuhr das Ornament eine faktische Verabsolutierung, indem vor allem seiner Funktion als Ornamentträger ornamental zum Verschwinden gebracht wird, da diese Objekte wiederum etwas anderes schmücken, das sie aus‐ bzw. bekleiden, wie dies bei Teppichen, Tapeten, Vorhänge, Tischdecken, Kleidung, kurz: bei textilen Produkten aller Art der Fall ist. Sie stellen die ‚Leitprodukte‘ der von South Kensington ausgehenden Ornamentdebatte dar. So wurden etwa im Journal of Design and Manufactures anhand kritischer Besprechungen in die Hefte eingebun‐ dener originaler Stoffmusterproben programmatisch erläutert, welchen Prinzipien eine Ornamentik zu folgen habe. Den textilen Leitprodukten eignet ein materieller Flächencharakter, der die Bildhaftigkeit des Ornaments forciert und damit dessen Eigenständigkeit stützt.29 Die mit der Bildhaftigkeit gegebene interne Vollständig‐ keit ermöglichte es, die kreativen Prozesse vom gegenständlichen Endprodukt zu entkoppeln. Damit gewinnt der ornamentale Entwurf das Potenzial eines indeter‐ minierten Experimentalraums, was sich wiederum im Titel von Dressers Studies in Design (1875) niederschlägt. unseren Blick erneut auf Dressers Muster‐Emblem mit seinem programmatischen Motto „Knowledge is Power“ lenkt. Es findet sich im letzten Teil seiner zur zweiten, Decorative Design, die als Lehrbuch für die South Kensington School konzipiert ist, zu deren erster Schülergeneration Dresser gehörte. Sie stellt zugleich den ambitio‐ niertesten Versuch dar, die seit der Gründung der Government School of Design entfachte, durch die Erfahrung der Weltausstellung noch verschärfte Debatte über den Status des Ornaments und seine angemessenen Ausformungsprinzipien theoretisch zu fundieren. Auch wenn The Art of Decorative Design für einen schulischen Rahmen verfasst wurde, sollte sie dennoch eine möglichst flächendeckende Breitenwirkung entfalten, was Dresser dadurch zu erhöhen suchte, dass er sein Lehrwerk unter dem Titel Principles of Decorative Design (1873) in eine vereinfachte Form brachte, um das ‚ornamentale Wissen‘ auf diesem Wege jedem talentierten Arbeiter zugänglich zu machen und dazu aufzufordern, bei ihm Entwürfe zur kritischen Beurteilung einzureichen. Das Ornament‐Emblem, in Dressers Lehrbuch als Exempel höchster Könner‐ schaft gipfelnd, prangte als Signet seines eigenen Schaffens auch an der Tür seines Arbeitszimmers. Die von ihm praktizierte Entwurfstätigkeit ist jedoch nicht 29 Siehe dazu: Joseph Masheck: The Carpet Paradigm. Critical Prolegomena to a Theory of Flatness. In: Art Magazine 51, 1976, S. 82‐109. 32 diejenige eines ingeniösen Künstlergenies; sie basiert, wie die Umschrift mitteilt, 30 Brown 1912, S. 14. 33 auf einem Wissen, das keineswegs esoterisch, sondern prinzipiell jedem zugänglich ist und schulisch gelehrt werden sollte. Ein Wissen, das durch ein diszipliniertes, dezidiert gegen eine ‚Genieethik‘ gerichtetes Arbeitsethos erlernt und angewendet werden kann, weshalb Dresser mahnt, derjenige, der achtzehn Stunden arbeite, lerne dreimal so viel wie jemand, der nur sechs Stunden tätig sei.31 Auf welche Weise sind nun aber Prinzipien zu gewinnen, nach denen eine quali‐ tätvolle Ornamentik erzeugt werden kann? V. Die kulturelle Natur des Ornaments Mit der oben skizzierten Verselbständigung des Ornaments geraten die histori‐ schen Ornamente retrospektiv als isolierte Entität in den Blick. Vor diesem Hintergrund unternimmt es Owen Jones in einer historischen Gesamtschau, das Ornament auf die ihm eigenen inneren Gesetzmäßigkeiten hin zu untersuchen, um überzeitlich gültige Gestaltungsrichtlinien abzuleiten, auf deren Grundlage die sich als Potpourri historischer Stile agierende ornamentale Willkürlichkeit zugunsten eines neuen zeitgemäßen Stils durchbrochen werden könnte. Resultat seiner Untersuchung ist das ebenfalls für die South Kensington School verfasste Handbuch The Grammar of Ornament (1856). In ihm zeigt Jones die in allen partikulären ornamentalen Formen obwaltenden „general laws“ auf und stellt sie, in 37 propositions zusammengefasst, als eine Sehanleitung der Grammar voran, die von Jones` eigenem Blick auf die historischen Ornamente zeugt.32 Bei diesen Gesetzmäßigkeiten handelt es sich vor allem um formale Distributi‐ onsverhältnisse, nach denen, Jones zufolge, all jene ornamentalen Formen aufge‐ baut seien, die über Kultur‐ und Sprachgrenzen hinweg als schön empfunden und auf diese Weise verstanden würden. Damit stellt die Ornamentik eine Universal‐ sprache der Schönheit dar, die sich zu einzelnen, als kulturelle und historische Stile gegebenen Dialekten ausdifferenziert hat. Bei ihrer Untersuchung entdeckt Jones die Reichhaltigkeit der ornamentalen gegenüber der gesprochenen Sprache: So sei es nahezu unmöglich, die Formunterschiede zwischen arabischem, türkischem und persischem Ornament in Worte zu fassen, während sie doch klar und deutlich vor Augen stünden (Abb. 9).33 Hatte Krubsacius anhand des Maßstabs der Sprache das sich verselbständigende Ornament als etwas begrifflich nicht Fassbares und daher Nichtiges bestimmt, wird es nun zu einer universal verständlichen, der gesproche‐ nen Sprache vorgängigen eigensprachlich verfassten Kommunikationsform, deren grammatische Struktur Jones aufzudecken sucht, weshalb seine Ornamentanalysen einen durchaus philologischen Anspruch aufweisen. Die überzeitliche und interkulturelle Verständlichkeit gelungener Ornamente liegt, Jones zufolge, darin begründet, dass die grammatische Struktur der Ornamen‐ tik auf jenen weit fundamentaleren, die Ausformung der Schöpfung bestimmenden Strukturprinzipien basiert, nach denen sich das Wachstum der Pflanzen vollzieht.34 Hieraus folge jedoch nicht, dass zur Schaffung gelungener Ornamente die äußere Erscheinung des Blatt‐ oder Rankenwerks so akkurat als irgend möglich zu kopieren wäre. Eine derart hervorgebrachte Ornamentik sei geradewegs Kennzeichen kulturellen Verfalls.35 Inwiefern reale Pflanzen der Ornamentik eine adäquate Vorlage sein können, zeigt Jones anhand des ägyptischen Ornaments, das ihm für den Ursprung der Ornamentgeschichte einsteht. Zur anthropologischen Fundierung des Ornaments eröffnet die Grammar of Ornament zwar mit einem Kapitel über ‚Savage Tribes‘, doch beginne sich der „ornamentale Instinkt“ auf dieser Kulturstufe erst allmählich zu regen, während die als Morgenröte der Zivilisation verstandene, sich durch einen qualitativen Wissenszuwachs auszeich‐ nende ägyptische Kultur den ersten tatsächlichen Ornamentstil hervorgebracht habe, deren Ornamentik sich im Gegensatz zu den ‚Savage Tribes‘ an konkreten Pflanzen, dem Lotus und Papyrus, orientiere.36 Dresser 1873, S. 4. Als Entwurfs‐ und Beurteilungsrichtlinien wurden sie zur Etablierung eines ornamentalen Kanons bereits vor dem Erscheinen der Grammar für einen Penny seitens der South Kensington School vertrieben. Jones 1856, S. 63. Jones 1856, S. 24 . 35 Jones 1856, S. 70. 36 Jones 1856, S. 13. Eine Argumentation, die Adolf Loos in Ornament und Verbrechen (1908) umkehren und die Ornamentik innerhalb des zivilisatorischen Fortschritts als Atavismus brandmarken wird. 34 35 31 32 33 34 9. Owen Jones, Grammar of Ornament, Tafeln XXXIV, XXXVI, XLVL. Um die Art und Weise der naturalistischen Erdung des Ornaments zu veranschauli‐ chen, zeigt Jones als Eröffnung des insgesamt acht Tafeln umfassenden Kapitels zum ägyptischen Ornament eine Zusammenstellung der vorbildlichen Pflanzen und ihrer ornamentalen Ausformungen (Abb. 10). Als Bekrönung der Mittelachse ist auf der Tafel eine Lotusblüte „drawn from Nature“ dargestellt, neben der jeweils links und rechts der ägyptischen Ornamentik entnommene „representations“ des Lotus zu sehen sind.37 Die Anordnung verdeutlicht, dass die Natur den absoluten Maßstab darstellt, von dem die Ornamentformen deduziert wurden. Dabei ist die ‚veristi‐ sche‘ Darstellung des Lotus durch die Negation der Eigenräumlichkeit des pflanzli‐ chen Motivs bereits derart stilisiert, dass sie selbst wie ein ornamentales Muster wirkt. Einzig der durchschnittene Stiel gibt die flächenhafte Form als dreidimensio‐ nales Gebilde zu erkennen. Aufgrund dieser Seherfahrung vermag sich innerhalb der Blüte ein moderater farbperspektivischer Raum zu etablieren, der durch die gelben, den Blütenboden anzeigenden Farbsprengsel und den Farbverlauf inner‐ halb der Blütenblätter evoziert wird. Die ornamentale oder, in Jones` Terminologie, die repräsentationale Darstellung des Lotus fixiert das im veristischen Abbild 37 Jones 1856, S. 19. 36 10. Owen Jones, Grammar of Ornament, Tafel IV. 37 aufscheinende Ordnungsmuster vermittels einer vollständigen Negation der Eigenräumlichkeit auf der Fläche. Der Lotusstiel ist zur querschnittlosen Linie geworden, die, um ihren Charakter als Stiel in der Fläche zu bewahren, von einer braunen Kontur nach außen hin begrenzt wird. Die Konturlinie überwölbt auch die einzelnen Blütenblätter, wodurch eine nach außen abgegrenzte Form erzeugt wird, die sich als Figur vom Grund der Tafel abhebt, mit dem sie durch ihren Flächencha‐ rakter zugleich in ein Korrespondenzverhältnis tritt, welches bei der Darstellung des Naturvorbildes nicht gegeben ist und die im ersten Abschnitt dargelegte ornamentale Räumlichkeit forciert. Erst die raumreduzierende Entmaterialisierung des Naturvorbildes stellt jene ideale flatness her, die es erlaubt, das Ornament als surface decoration in die Oberfläche einzulassen und auf diese Weise eine ornamen‐ tal verfasste Bildräumlichkeit zu erzeugen, was anhand der zweiten Abfolge von ‚veristischer‘ Darstellung und ornamentaler Repräsentation verfolgt werden kann. Die Figuren sieben, acht und neun veranschaulichen Stamm und Blüte der Papy‐ rus‐Pflanze, während die Figur zehn ihre Repräsentation zeigt, deren Dreigliedrig‐ keit aus Basis, Schaft und Kapitell zugleich das Modell der ägyptischen Säule vorgibt. Von diesem ornamentalen Säulenschema ausgehend, das abermals durch eine raumreduzierende Entmaterialisierung des Naturvorbildes hergestellt wurde, wird dann, so die bildliche Argumentation, die Materialität der Säule wiederge‐ wonnen, was auf Tafel VI (Abb. 11) veranschaulicht wird. Figur eins zeigt ein Kapitell aus Luxor. Seine Hohlkehle wird von gleichmäßig angeordneten filigranen Blütenstengeln durchzogen, so dass der Kapitellkörper strahlenförmig aus den stilisierten Blättern des Kapitellkranzes hervorzuwachsen scheint. Dieser Effekt stellt sich gerade dadurch ein, dass sich die ornamentalen Pflanzen nicht als eigenständige Gebilde frei vor dem Kapitellkörper artikulieren, sondern, in seine Oberfläche eingelassen, mit dieser einen homogenen Verbund bilden. Um die derart erzeugte Oberflächenintegrität vor Augen zu führen, sind die untersichtig gegebe‐ nen Kapitelle dezidiert als räumliche Bauteile ausgestellt. Sie weisen – wie der ‚veristische‘ Lotus der zuvor betrachteten Tafel – einen deutlichen Querschnitt auf, während der Lichtfleck anzeigt, dass die Ornamentik keinen Eigenschatten auf den Kapitellkörper wirft, sondern einen integralen Bestandteil seiner planen Oberflä‐ chenstruktur bildet. Anders das römische Kapitell (Abb. 12): Hier weist der 38 11. Owen Jones, Grammar of Ornament, Tafel VI. 39 12. Owen Jones, Grammar of Ornament, S. 46, 47. ornamentale Akanthus durch seine materielle Erscheinung eine markante Eigen‐ räumlichkeit auf, die weit über jene gegenüber gezeigte veristische Darstellung des pflanzlichen Vorbildes hinausgeht. In welcher Weise sich das römische Ornament durch diese Materialisierung vor dem Grund artikuliert, führt wiederum die Tafel XXVI vor Augen (Abb. 13). Insbesondere auf der Figur fünf wirft das kräftige Rankenwerk einen den eigentli‐ chen Baukörper verdunkelnden Schatten. Hier tritt die Eigenkörperlichkeit der Ornamentik an die Stelle der beim ägyptischen Kapitell so prägnant hervorgehobe‐ nen Körperlichkeit des Bauteils, wodurch die Konsistenz der vom Baukörper vorgegebenen Oberflächenstruktur zerstört wird. Wie bei den Objekten der Weltausstellung beklagt, überwuchert das Ornament den Gegenstand. Es ist Addendum, nicht Ingredienz. Nur wenn die Ornamentik, so die Position der 40 13. Owen Jones, Grammar of Ornament, Tafel XXXVI. 41 Grammar, auch innerhalb der Baukunst im Modus der flatness gegeben ist, vermag zu verleihen.39 Auf diese Weise entsteht eine den ornamentalen Kanon der charakterisieren. Damit ist eine seine Eigenmaterialität negierende Oberflächenor‐ Naturgesetzmäßigkeiten eine subjektive Ausformung darstellt. Trotz der subjekti‐ sie als integraler Teil der Oberflächenstruktur des Baukörpers diesem eine ornamentale Räumlichkeit einzuschreiben und ihn auf diese Weise wesentlich zu namentik keineswegs oberflächlich, sondern für den Baukörper semantisch von fundamentaler Bedeutung. Darüber hinaus wird das Flächenornament, wie das Kapitell von Luxor vorführt, auch plastisch wirksam, indem die Lotusblüten vermittels ihrer Oberflächenintegri‐ tät die scharfe Begrenzungskontur des Kapitellkörpers vorgeben. Das materiell‐ haptische Rankenwerk des römischen Kapitells hingegen reduziert die Ornamentik jeweiligen kulturellen Sphäre bildende conventional form, welche bezüglich eben dieser Sphäre objektiv ist, während sie hinsichtlich der qua Ornamentik aktivierten ven Komponente ist das Ornament als conventional form jedoch kein den Schriftzei‐ chen vergleichbares arbiträres Gebilde, da seine Syntax auf strukturellen Naturge‐ setzmäßigkeiten basiert, die bei der Generierung der Ornamente eine spezifisch ausgeprägte Modifikation erfahren. Aufgrund der beschriebenen Polarität zwischen seiner ‚objektiven‘ und ‚subjek‐ tiven‘ Dimension kommt dem historischen Ornament eine doppelte Relevanz als auf eine bloße Oberflächenerscheinung, so dass die Natur gerade durch die Erkenntnisform zu: Zum einen stellt es durch die visuelle Präzisierung der Imitation der äußeren Erscheinung eines raumreduzierenden Abstraktionsaktes, ihres Entstehens. Damit ist die Grammar of Ornament nicht nur eine Grammar of naturalistische Ausformung der Ornamentik denaturalisiert wird. Um demgegenü‐ ber eine gelungene ornamentale representation zu erzeugen, bedarf es anstatt der der die Struktur des Naturvorbildes von den äußerlichen Kontingenzen purifiziert und auf diese Weise das sich in allen Exemplaren durchhaltende Naturgesetz zur Erscheinung bringt.38 Damit wächst dem Ornament das Potenzial einer naturwis‐ senschaftlichen Erkenntnisform zu: Im Modus der abstrahierenden flatness wird die strukturelle Beschaffenheit der natürlichen Pflanzen in einer Deutlichkeit sichtbar, wie sie am Naturobjekt selbst nicht zutage tritt. Indem die ornamentalen Formen die harmonisch gefügte Proportionalität der Naturgesetzmäßigkeiten in ihrer Schönheit zur Darstellung bringen, veranschaulichen sie die idea der Pflanze und mit ihr diejenige des pflanzlichen Wachstums überhaupt. In dieser Hinsicht ist die Grammar of Ornament zugleich eine Grammar of Nature. Allerdings wurde die objektive Seite der ornamentalen Idealisierung innerhalb der von Jones in der Grammar of Ornament entfalten Ornamentgeschichte jedoch um willen ihrer subjektiven Dimension unreflektiert praktiziert: Stets ging die Pflanzenstrukturen ein Wissen über die Natur bereit, zum anderen eröffnet es durch das Wie der jeweiligen Präzisierung ein Wissen über die kulturelle Formation Nature, sondern zugleich eine Grammar of Culture. Die einzelnen Ornamentstile stehen aber keineswegs gleichberechtigt nebenei‐ nander. Bei der Beurteilung ihrer Qualität ist die subjektive Seite, der sich in der Ornamentik artikulierende kulturelle Ausdruckswille, der objektiven Seite, inwiefern die Ornamentik tatsächlich gemäß Naturgesetzmäßigkeiten ausgeführt wurde, nicht allein untergeordnet; der Ausdruckswille weist genau dann eine umso höhere moralische Dignität auf, je adäquater die Ornamentik entsprechend den Naturgesetzlichkeiten konstruiert worden ist, was wiederum ihre überzeitlich wirksame Schönheit verbürgt. In ihr liegt die aktuelle Potenzialität einer solchen Ornamentik, auch wenn sie durch eine spezifisch kulturelle Einfärbung nicht einfach übernommen werden darf. „[…] for the most perfect examples of what is usually termed „Conventionalized nature” […] are manifestations of natural objects as undisturbed by surrounding influences and unmarred by casualties.” (Christopher Dresser: The Art of Decorative Design, London 1862, S. 38). 39 Entsprechend lautet Jones` proposition 2: „Architecture is the material expression of the wants, the faculties, and the sentiments, of the age in which it is created” (Jones 1856, S. 5). Im Ägypten‐ Teil wird dann die symbolische Kraft einer freilich genuin zur architektonischen Struktur gehörenden Ornamentik zum primären kulturellen Ausdrucksmittel: „Ornament ever has expressed the sentiments of the age” (Jones 1856, S. 23). Diese semantische Dimension des Ornaments hebt Dresser ebenfalls hervor: „[…] ornament, like architecture, must express the sentiments of the age in which it is created” (Dresser 1862, S. 10). 42 43 entdeckte Struktur mit einer ornamentalen Rekonfiguration einher, die von einem Ausdruckswillen gesteuert darauf zielt, dem Ornament einen symbolischen Gehalt 38 Indem die Naturgesetzmäßigkeiten derart als Bewertungskriterium den kulturellen Ausprägungen übergeordnet sind, ist Jones` in der Grammar of Ornament prakti‐ zierter Historismus durch eine radikale Enthistorisierung angeleitet, die es ermöglicht, die verschiedenen Ornamentformen nach denselben Kriterien zu analysieren und zu bewerten. Daher steht auch nicht die spezifische Motivik in ihrer historisch gegebenen Symbolik im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern die jeweilige Behandlung der Formen. Ein Vorgehen, das zusätzlich gestützt wird, indem die kulturellen Sprünge innerhalb der Ornamentgeschichte weniger durch Erfindungen neuer Motive bestimmt seien, als dass sie von einer anderen Durchbil‐ dung derselben Formen gekennzeichnet würden.40 Hierin kündigt sich eine Auffassung der Ornamentgeschichte als von einem Wollen getragener formimma‐ nenter Entwicklungsprozess an, wie ihn Alois Riegl ausarbeiten wird, so dass die Entstehung der formalistischen Kunsttheorie gleichsam aus dem Geist der Ornamentik hervorgeht. 41 Riegl nimmt dabei allerdings die Ornamentik der von Jones als Verfallszeit übergangenen Spätantike in den Blick, um ihr formproduktives Potenzial aufzuzei‐ gen, das gerade unabhängig von Jones` naturalistisch fundierten Richtlinien wirksam ist. Damit entbindet Riegl die Ornamentgeschichte vom Maßstab der Natur, weshalb er das die Ornamentik formierende Prinzip dezidiert als Kunstwol‐ len bezeichnet.42 Der angezeigte Vorgriff auf die Perspektive Riegls geht in der Grammar of Ornament mit einem im Moment ihres Aufkommens erfolgenden Auseinandertreten von formalem und ikonographischem Zugang einher, lange bevor sich diese mit Riegl und Panofsky methodisch verfestigen sollten und zum bewusst reflektierten Vermittlungsproblem wurden. Wie aber ist die jenseits dieser beiden Methoden angesiedelte, von ihnen aus‐ geblendete naturalistische Rückbindung zu verstehen? Und wie sind die von Jones als Grammar bezeichneten ornamentalen Strukturprinzipien genau beschaffen? VI. Die die grammatische Struktur des Ornaments Derjenige ornamentale Stil, welchem aufgrund des Maßstabs erfüllter Naturge‐ setzmäßigkeiten die größte überzeitliche Relevanz zukommt, ist Owen Jones zufolge der maurische (Abb. 14), weshalb er die wichtigsten ornamentalen Gestaltungsprinzipien anhand dieser Ornamentik erläutert. Zunächst und vor allem zeichne sie sich durch eine vollkommene Figur‐Grund‐Relation aus: „In Moresques ornament the relation of the areas of the ornament to the ground is always perfect; there are never any gaps or holes”.43 Figur und Grund sind auf eine sich gegenseitig durchdringende Art und Weise ineinander gesetzt, wie dies eingangs anhand von Dressers Muster‐Emblem aufgezeigt wurde. Dadurch wird ein intensiver ornamen‐ taler Spannungsraum erzeugt, dessen strukturelles Gefüge entsprechend dem Diktum natura non facit saltus keinerlei Abgründe aufweist. Und eben hierin zeigt sich die Naturanalogie dieses offensichtlich doch geometrischen Gefüges: Die ornamentale Struktur wird nicht durch die Anwendung einer sie von außen kontrollierenden Regel gebildet, sondern stellt die Freisetzung der internen Organisationsform des Ornaments selbst dar. „Every ornament“, so Jones, „contains a grammar in itself.”44 Die konstruktive Entfaltung des Ornaments folgt mithin keinem willkürlichen Akt, sondern exekutiert die als Eigengesetzlichkeit gegebene grammar des Ornaments: das ihm – in Entsprechung zur Natur – a priori einge‐ schriebene Prinzip, von dem einzig im Modus der Degeneration abgewichen wird. Das grammatische Prinzip basiert auf der Vermittlung der ornamentalen Syntax, die aus drei „primary figures“ besteht. Bei diesen handelt es sich nicht um die paradigmatischen geometrischen Formen Dreieck, Quadrat und Kreis, sondern, was eine höherstufige Geometrie impliziert, um Linientypen: Gerade, Diagonale und Kurve.45 Die grammatische Verbindung dieser syntaktischen Elemente zu einer ornamentalen Ganzheit hat, wie Jones beispielhaft erläutert, in graduellen Über‐ gängen zu erfolgen (Abb. 15). Während die Linie A eine ausgewogen propor‐ Jones 1856, S. 58. Jones 1856, S. 66. 45 Diese Linientypologie folgt William Robsons Grammigraphia, or the Grammar of Drawing (1799). Siehe dazu auch: David Brett: Drawing and the Ideology of Industrialization. In: Design Issues 3,2 (1986), S. 59‐72. 43 Dresser 1873, S. 9. Alois Riegl: Stilfragen. Grundlegung zu einer Geschichte der Ornamentik, Berlin 1893. 42 Alois Riegl: Spätrömische Kunstindustrie, Darmstadt 1992. 40 41 44 44 45 15. Owen Jones, Grammar of Ornament, S. 67. 16. Owen Jones, Grammar of Ornament, S. 68. tionierte Stufung aufweist, erzeugt die in der Figur B die beiden Kurven miteinan‐ der verbindende Vertikale aufgrund ihrer Länge einen Bruch im Liniengefüge: Das Auge ist daran gehindert über die Zäsur hinwegzugleiten und die Figuration als Bewegungsfluss wahrzunehmen. Eben dieses irritierende Missverhältnis findet sich auch bei der Figur D. Komplettiert das Auge die Figur A durch eine imaginäre, in der Figur C dargestellten Linie, wird es im Fall der Figur D auf konträren Bahnen in verschiedene Richtungen geleitet, wodurch die Struktur ihre den Blick absorbie‐ rende Kraft verliert. Anderseits darf, damit sich das Auge nicht in einer undurch‐ schaubar bleibenden Ordnung verliert, die Lineatur keine kontinuierlich fließende sein. Es bedarf verschiedener zu vermittelnder Linientypen, damit sich eine durch feste Distributionsverhältnisse fixierte Struktur etabliert, welche die Lineatur in eine den Grund einbindende Flächenformation überführt und die Struktur visuell als gesetzmäßig verfasstes Ordnungsgefüge transparent werden lässt. Auf welche Weise die drei Linientypen zusammenwirken, erläutert Jones an‐ hand eines weiteren ‚gestaltpsychologischen‘ Schemas (Abb. 16). Grundlage des ornamentalen Gefüges ist ein aus geraden Linien bestehendes Raster, das als solches zwar symmetrisch ausgewogen sei, aber monoton wirke. Werden an den Kreuzungspunkten des Rasters Diagonallinien eingetragen, wird das Auge von diesen Spannungspunkten angezogen, was der visuelle Sinn als Wohlgefallen erlebe. Durch Hinzufügung der aus kurvierten Linien bestehenden Kreise ist 14. Owen Jones, Grammar of Ornament, Tafel XLII. 46 schließlich ein aus den drei Linientypen zusammengesetztes harmonisches Verhältnis hergestellt, das eine genussvolle Betrachtung eröffne. 47 17. Albrecht Dürer, Unterweysung der Messung, 1525. Obwohl ein solches Schema innerhalb der Argumentation dezidiert nicht als Ornament, sondern als Veranschaulichung des visuellen Zusammenwirkens der 18. Owen Jones, Grammar of Ornament, S. 73. drei Linientypen zu verstehen ist, verweist es in seiner ersten Stufe – dem Raster – ton School lehrte, stellt Jones fest, die rastererzeugende Tätigkeit des Webens „give rendes Liniengerüst, das als velum zwischen Motiv und Bild situiert ist, wie es die nenen Kenntnissen der Naturgesetzlichkeiten, ein ornamental produktives dennoch auf die spezifische Existenzebene des Ornaments, das gleichsam innerhalb der Quadratur situiert ist. Hier ist sie jedoch kein virtuelles, die Motivik adjustie‐ bekannte Darstellung in Dürers Unterweysung der Messung (1525) zeigt (Abb.17). Auch ist das Raster nicht als Hilfsliniengefüge im Bild situiert, das innerbildlich eine der Darstellung externe Metaebene eröffnet, die nur um willen der Übertragbarkeit des Motivs nicht wieder entfernt wird. Bei dem fraglichen Raster handelt es sich vielmehr um eine die ornamentale Formierung bestimmende Modifikationsmatrix, die als Grundlage der ornamentalen Struktur unauflöslich mit dieser verwoben ist.46 Entwicklungsgenetisch betrachtet hat das beim Weben materiell angefertigte Raster überhaupt erst eine naturanaloge Ornamentik evoziert. In Übereinstimmung to a rising people the first notion of symmetry, arrangement, disposition, and distribution of the masses”.47 Damit ist bereits, unabhängig von empirisch gewon‐ Empfinden für das die Natur durchwaltende „universal law of equilibrium“ gegeben. Darüber hinaus bleibt die Materialität von Jones innerhalb seiner von der geistigen Entwurfstätigkeit her gedachten Ornamenttheorie allerdings unberück‐ sichtigt und wird erst durch Semper als formbestimmender Faktor aufgezeigt. Bei Jones sind die Raster Idealitäten, innerhalb deren sich die Ornamentik noch vor ihrer materiellen Ausführung konkretisiert. So zeigen die diagrammatischen Schemata (Abb. 18) zwei um diagonale Linien ergänzte Rasterstrukturen, die der auf Tafel XXXIX gezeigten maurischen Ornamentik unterliegen. Damit aus den Eine Verhältnisbestimmung von Matrix, Raster und Ornament bietet Christian Spies: Das Ornament als Matrix. Zwischen Oberfläche und Bild. In: Vera Beyer; Christian Spies (Hg.): Ornament. Motiv – Modus – Bild, München 2012, S. 374‐400. 47 Jones 1856, S. 24. Gottfried Semper beschreibt die textile Kunst als „Urkunst“, da sie neben der Zweckmäßigkeit zuerst eine auf Verschönerung abzielende bewusste Formenwahl ermöglichte, womit Ornament und Kunst als gleichursprünglich gefasst werden (Gottfried Semper: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder Praktische Ästhetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreude. Erster Band: Textile Kunst, Frankfurt a. M. 1860, S. 13). Vgl. Dazu: Birgit Schneider: Die Konsequenz des Stoffes. Eine Medientheorie des Ornaments ausgehend von Gottfried Semper. In: Ornament. Motiv – Modus – Bild. Hrsg. v. Vera Beyer u. Christian Spies, München 2012, S. 255‐279. 48 49 mit Gottfried Semper, der während seines Londoner Exils nicht allein an der Einrichtung der Weltausstellung beteiligt war, sondern auch an der South Kensing‐ 46 Abkunft der bei der selbstreproduktiven Verästelung des Rasters waltenden graduellen Übergänge der Linientypen. Abschließend fasst Jones die wichtigsten, vom maurischen Ornament erfüllten Gesetzmäßigkeiten nochmals zusammen: „equal distribution, radiation from parent stem, continuity of line, tangential curvature”.49 Diese durch Dressers Emblem mustergültig in ihrem Zusammenwirken exemplifizierten Prinzipien verbürgen die innere Lebendigkeit, mit der das Diagramm ornamental belebt wird. Vermittels der aufgezählten grammatischen Prinzipien, nach denen die drei Linientypen als syntaktische Elemente miteinander verbunden werden, wird eine ornamentale Struktur generiert, die als geometrisches Arrangement gegeben ist. 19. Owen Jones, Grammar of Ornament, S. 69. Diagrammen Ornamente werden, müssen sich die Figur‐Grund‐Relationen visuell ‚substanzialisieren‘. Dies geschieht zum einen durch die ‚Verräumlichung‘ des Liniengefüges zu Binnenflächen, zum anderen durch die bisher unberücksichtigt Folglich lautet die achte proposition: „All ornamentation should be based upon a geometrical construction“.50 Dabei sind, gemäß der klassischen Definition der Grazie, diejenigen Proportionsverhältnisse am schönsten, deren Gesetzmäßigkeit am verborgensten bleibt, weshalb Dresser den „want of simplicity“ als einen „chief fault” bezeichnet.51 Vielmehr seien, im Anschluss an Hogarths Line of Beauty, Beide intrikate Formverhältnisse höherer Ordnung zu kreieren, die nicht auf der die das Ornament vom Schema unterscheidet und mit den lebendigen Strukturen nen des menschlichen Körpers (1854) dargelegten Goldenen Schnitt zu Nutze gebliebene, ebenfalls gesetzmäßigen Verhältnissen folgende Farbgebung.48 Mittel aktivieren die internen Figur‐Grund‐Wechselwirkungen, wodurch eine Dressers Muster‐Emblem entsprechende ornamentale Räumlichkeit entfaltet wird, der Natur verbindet, denen in der schematischen Darstellung kein Artikulations‐ raum zur Verfügung steht. Die grammatischen Prinzipien, nach denen die drei Linientypen zu vermitteln seien, leitet Jones folgerichtig wiederum aus der Natur ab (Abb. 19). Wie die veristische Darstellung des Akanthus (Abb. 12), veranschaulicht hier das Weinblatt, dass das Raster nicht vorgängig gegeben ist, sondern sich seinerseits innerhalb eines dynamischen Prozesses entfaltet, der im Pflanzenreich stets von der Hauptli‐ nie eines Mutterstamms ausgeht, die sich zusehends verästelt. Damit ist das ornamentale Raster eine lebendige Struktur, dessen Selbstreproduktion wiederum das Kastanienblatt aufzeigt, indem ein Blatt – proportional variiert – aus dem anderen hervorwächst. Das eingerollte Blatt schließlich demonstriert die natürliche 48 22 der von Owen Jones formulierten 37 prospositions beziehen sich auf Farbverhältnisse. 50 Kreisform, sondern der Hyperbel basieren und sich proportionale Differenzialver‐ hältnisse wie den von Adolf Zeising in seinem Werk Neue Lehre von den Proportio­ machen.52 VII. Die botanische Natur des Ornaments Stellt die Natur mit der Lotusblüte auf der ersten Tafel zum ägyptischen Ornament den Initialpunkt der ornamentgeschichtlichen Entwicklung dar, sind, wie Jones anhand des maurischen Ornaments aufzeigt, auch für die abstraktesten Ornament‐ formen aus der Natur deduzierte Gesetzmäßigkeiten maßgeblich. Darüber hinaus Jones 1856, S. 69. Jones 1856, S. 5. 51 Dresser 1873, S. 108. 52 Dresser 1862, S. 92, 102. 49 50 51 schließt die Grammar of Ornament mit einem Kapitel „Leaves and Flowers from Nature“. Die zehn Tafeln dieses Teils hat Dresser angefertigt. Sie stellen seine ersten öffentlichen Arbeiten dar und können als Ausgangspunkt seines eigenen Schaffens angesehen werden. Die erste Tafel (Abb. 20) zeigt abermals Kastanienblätter, die so gegeben sind, als ob sie sich von unten gegen eine Glasscheibe drückten, wodurch ihre Struktur im Modus einer raumreduzierenden flatness freigegeben wird und die schattenlo‐ sen grün‐weißen Blätter vor dem ockerfarbenen Grund in einer äquidistanten Distribution als Strukturverbund erscheinen. Die Überschneidungen der Blätter und die in den Raum zurücktretenden verschatteten Stiele verweisen allerdings darauf, dass es sich nicht um Ornamentik, sondern um eine veristische Darstellung handelt, welche die Blätter jedoch nicht allein für ihre ornamentale Verwendung prädisponiert, sondern zudem das gesamte Wissen ornamentaler Gesetzmäßigkei‐ ten enthält: „The single example of the chest‐nut leave contains the whole of the laws which are to be found in Nature.“53 Dennoch sind, Jones` und Dressers Verständnis zum Trotz, solche ornamentalen Vorstudien, insbesondere von der arts and crafts‐Bewegung, als Ornamentik verwendet worden. Bereits im Vorwort der Grammar hatte Jones gefordert: „return to Nature for fresh inspiration”.54 Eine Forderung, die jedem Studenten mit dem letzten Teil der Grammar aufgegeben war, dessen Tafeln der Naturbetrachtung die adäquate ornamentale Ausrichtung verleihen sollten. Damit endet der ornamentgeschichtli‐ che Parcours der Grammar mit dem Ruf: „Zurück zur Natur!“ Eine Parole, die aber nicht im Sinne Rousseaus als Versuch missverstanden werden darf, eine verloren‐ gegangene Naivität wiederzugewinnen, welche die wilden Stämme gesetzmäßig formierte Ornamente habe schaffen lassen. Schließlich, so zitierten wir Jones, entfaltet sich der ornamentale Trieb erst mit dem zivilisatorischen Wissensschub der Ägypter, die ihre Ornamentik nicht aus Naivität, sondern aufgrund ihres Wissens als Erste unmittelbar aus der Natur ableiteten. Der gravierende Unter‐ schied zur ägyptischen Epoche besteht allerdings darin, dass die Ornamentik – wie 53 54 Jones 1856, S. 157. Jones 1856, S. 2. 20. Owen Jones, Grammar of Ornament, Tafel XCI. 52 53 jeder eigenständige ornamentale Stil – symbolisch den gemeinsamen Grund des besteht der Ausdrucksgehalt nun in den Strukturgesetzen der Natur selbst. Der angesichts der ornamentalen Sprachverwirrung der Weltausstellung aber offen‐ feststellt: „Knowledge is the great source of ornament”.58 Damit fällt der kulturrela‐ Ornamentsprachen keinerlei die gegenwärtige Gesellschaft bindende Kraft auf, Emblem programmatisch veranschaulichte Ziel zu erreichen, stehen zwei mitei‐ kulturellen Gefüges zum Ausdruck bringt, wodurch das Ornament eine die Gesellschaft bindende sympathetische Kraft ausstrahlt. Ein solcher Grund ist sichtlich verlorengegangen. Jones spricht von einem „uncertain state“, sogar von einem „present chaos“.55 Die kopierten Stile weisen als historisch vergangene weshalb Jones` durchaus berechtigte Befürchtung darin bestand, mit seiner Grammar of Ornament zum bloßen Kopieren historischer Stile noch beizutragen, obwohl sein Werk dezidiert kein Vorlagenbuch sein sollte. Vor diesem Hintergrund ist der letzte Teil des Buches als programmatischer Einschnitt innerhalb des ornamentgeschichtlichen Ablaufs zu verstehen, der sich zur Schaffung einer zeitgemäßen Ornamentik nicht einfach zurückblättern lasse. absolute Maßstab zur qualitativen Beurteilung der Ornamentik soll seinerseits ornamental zum Ausdruck gebracht werden, weshalb Dresser programmatisch tive Aspekt der Ornamentik mit ihrer naturalistischen Rückbindung zusammen, die subjektive Seite soll in der objektiven aufgehen. Um dieses von Dressers Muster‐ nander verbundene Wissensressourcen zur Verfügung: die von Owen Jones` Grammar abgedeckte Ornamentgeschichte und die Botanik, deren Erkenntnisse Dresser in seinen Schriften für eine ornamentale Entwurfslehre fruchtbar gemacht hat, um Kunst und Wissenschaft wieder einander anzunähern – „art and science dwell too widely apart”. 59 In einer zwölfteiligen, 1858 in der South Kensington School abgehaltenen Vorle‐ Welchen Gehalt aber könnte eine neue Ornamentik zum Ausdruck bringen? Auf sungsreihe Botany as adapted to the arts and art­manufactors, fordert Dresser ‚instiktmäßig‘ eine Ornamentik geschaffen wurde, welche die jeweilige kulturelle Beobachten einer einzelnen Pflanze – wozu er den Zeitrahmen von einem Monat sende Antwort: Das Charakteristikum der eigenen Zeit bestehe in einem zur Anwendung kommt. welchen semantischen Fokus hin sind die als propositions formulierten Regeln anzuwenden, wenn seit jeher vermittels eines ornamentalen Kunstwollens Formation wie selbstverständlich adäquat zum Ausdruck brachte? Hierauf gibt Dresser die für die South Kensington School und ihre Entwurfspraxis richtungswei‐ epistemischen Vorsprung, weshalb er dazu aufruft: „Manifest the knowledge of our age! Proclaim to generation yet unborn the nature and extent of our discoveries”.56 Folglich stellt das Wissen selbst, einschließlich seiner methodischen Gewinnung denjenigen Gehalt dar, den eine künftige Ornamentik zum Ausdruck zu bringen habe: „[...] we have knowledge which is waiting to be embodied in form […]”.57 Damit ist nicht allein ornamentgeschichtlich, sondern innerhalb der geistesge‐ schichtlichen Entwicklung der Menschheit ein prekärer Punkt erreicht: Wurde in der Ornamentik der Vergangenheit unbewusst auf die Strukturprinzipien der Natur zurückgegriffen, um sie gemäß eines Ausdruckswillens produktiv anzuwenden, Jones 1856, S. 156. Dresser 1862, S. 168. 57 Dresser 1862, S. 15. 55 56 54 eindringlich zum Studium der Botanik auf. Im Rückgriff auf Goethes Versuch die Metamorphose der Pflanze zu erklären (1790) erläutert er, dass das minuziöse empfiehlt – mehr Wissen eröffne, als das hastige Betrachten der floralen Fülle vieler Länder.60 Ein Wissen, dass in der prozessualen Struktur des Muster‐Emblems Die von Jones vor allem auf die äußerlich sichtbaren Strukturen bezogenen Gesetzmäßigkeiten werden von Dresser nun im ‚Innenraum‘ der Pflanzen aufge‐ funden, wodurch ornamentale Strukturen hervorgebracht werden können, die weitgehend vom pflanzlichen Phänotyp entkoppelt sind und dennoch denselben Dresser 1862, S. 17. Dresser 1862, S. 43. Für seine 1859 erschienenen Werke Unity in Variety as Deduced from the Vegetable Kingdom und The Rudiments of Botany, Structural and Physiological erhielt Dresser auf Betreiben von Matthias Schleiden seitens der Jenaer Universität die Ehrendoktorwürde (David Brett. The Interpretation of Ornament. In: Journal of Design History 1,2, (1988), S. 103‐111, hier S. 110). 1860 sollte schließlich die Berufung Dressers auf den Lehrstuhl für Botanik der Londoner Universität erfolgen. Schleidens eigene Bücher, die wiederum Dresser als Ausgangspunkt seiner Forschungen dienten, waren auf Englisch verfügbar: The Plant. A Biographie (1848) und Principles of Scientific Botany (1849). 60 Dresser 1862, S. 23. 58 59 55 organischen Strukturprinzipien folgen; Prinzipien, wie sie etwa aus Matthias Schleidens 1838 für die Pflanzen formulierter Zelltheorie hervorgehen, nach der das Kontinuum des Wachstumsprozesses nicht homogen, sondern – wie auf Dressers Muster‐Emblem – durch die selbstreproduktive Vervielfältigung eines Grundelements in sich diskret strukturiert ist und als Zellenverbund eine lebendige Rasterform bildet.61 Damit wird die Ornamentik selbst zur Wissenschaft, deren Forschungspraxis das ornamentale Entwerfen darstellt, das auf nicht weniger zielt als „to discover the ultima thule of life“.62 Für ein solches ornamentales Erforschen der Prozesse des Lebendigen kann die Botanik nicht der Ziel‐, sondern nur der Ausgangspunkt sein. Neben den anderen an der South Kensington School unterrichteten naturwissenschaftlichen Disziplinen stellt sie aber aus mehreren Gründen die Leitdisziplin dar. Sie lässt nicht allein die struktur des Organischen garantiert das Kristalline die sich noch in unendlicher Repetition durchhaltenden, gesetzmäßig verfassten Strukturverhältnisse. Damit liefert Dresser eine aus dem Zentrum des Organischen abgeleitete Rechtfertigung für die Prävalenz der unveränderlichen Struktur gegenüber der veränderlichen äußeren Erscheinung, von welcher zur Gewinnung einer conventional form abstrahiert werden müsse. Diese Abstraktion abstrahiert nun gerade nicht von der Lebendigkeit, wodurch sie einzig eine tote Form hervorbringen würde, wie Ruskin der South Kensington School vorwirft, sondern zielt geradewegs auf den Kern des Lebendigen.64 Damit zeigen sich die späterhin von Worringer in Abstraktion und Einfühlung (1907) schroff gegeneinander gestellten Paradigmen des Organischen und des Kristallinen hier in gegenseitiger Durchdringung, wobei die abstrakte Ornamentik der South Strukturen des Lebendigen auf eine anschauliche Weise zugänglich werden; der Kensington School sogar dezidiert das Potenzial einer Einfühlung bereitstellt, die Pflanzen die anorganische und die organische Natur miteinander verbinden.63 In werden. Flora kommt als Untersuchungsgegenstand darüber hinaus innerhalb der als prozessualer Zusammenhang verstandenen Natur eine Schlüsselposition zu, da die Unity in Variety as Deduced from the Vegetable Kingdom (1860), dem botanischen Propädeutikum zur Art of Decortive Design, weist Dresser darauf hin, dass die Zellkerne der Pflanzen eine kristalline Struktur aufweisen. Als festgefügte Kern‐ In Rekurs auf Schleiden ist für Dresser die Zelle das strukturbildende Apriori der Pflanzenfor‐ men: „The prototype of all vegetable structures is a cell” (Christopher Dresser: Unity in Variety, London 1860, S. 6). Daher gilt im Pflanzenreich das auch für die Ornamentik fundamentale Prinzip: „[...] the growth in principle consists in nothing more than the addition of sucessive units [...] (Dresser 1860, S.33). Des Weiteren stellt Dresser fest: „[...] all vegetable increase by developing in a centrifugal manner“ (Dresser 1860, S. 12), was die Wirbelmotivik seines Muster‐Emblems ornamental zur Darstellung bringt. 62 Dresser 1862, S. 49. Barbara Whitney Keyser arbeitet vor diesem Hintergrund die Relevanz der auf morphologischen Strukturäquivalenzen basierenden transzendentalen Anatomie, wie sie von Richard Owen vertreten wurde, für die Ornamentik der South Kensington School heraus (Barbar Whitney Keyser: Ornament as Idea. Indirect Imitation of Nature in the Design Reform Movement. In: Journal of Design History 11,2 (1998), S. 127‐144). 63 Dresser 1862, S. 118: „[...] the vegetabel world stands between the mineral and the animal kingdom – that vegetable arrange the mineral constituents of the earth into organic matter such as is suited to the bulding up the animal body – […]”. Pflanzen vermitteln zwischen dem minerali‐ schen und dem animalischen Bereich der Natur, indem sie Mineralien in organische Stoffe umwandeln, die wiederum den animalischen Körper aufbauen. 61 56 Dresser als sympathetische Kommunikation konzeptualisiert, der wir – als höchster Form der ornamentalen Wissenschaft – im abschließenden Kapitel nachgehen VIII. Die Poetik des Ornaments „The designer`s mind”, formuliert Dresser die einzulösende Utopie der ornamenta‐ len Wissenschaft, „must be like the vital force of the plant.”65 Ist dies der Fall, ist der Ornamentkünstler keineswegs zum bloßen Medium der Natur geworden, in dessen Werken sich ihre Wachstumsprinzipien als potenziell unendlich variable Struktu‐ ren selbst zur Darstellung bringen. Vielmehr ist er ein zweiter Schöpfer, der seine Ideen in einer der Natur analogen Weise ornamental ausformt. Damit ist die 64 John Ruskin: The Deteriorative Power of Conventional Art over Nations (1858). In: The Two Path: Being Lectures on Art and its application to Decoration and Manufacture, Delivered in 1858‐ 1859, Kent 1887, S. 1‐53. 65 Dresser 1862, S. 188 f. Erste Überlegungen zum Status des ‚mind‘ in Dressers Ornamenttheorie bietet: Andrea Schlieker: Theoretische Grundlagen der „Arts and Crafts“‐Bewegung. Untersuchun‐ gen zu den Schriften von A. W. N. Pugin, J. Ruskin, W. Morris, C. Dresser, W. R. Lethaby und C. R. Ashbee, Bonn 1986, S. 171‐173. 57 höchste der von Dresser angeführten drei Stufen ornamentalen Schaffens erreicht. Zuunterst steht „natural adaption”, die angepasste Wiedergabe der äußeren Erscheinung der Pflanzen, wie sie an den westlichen Produkten der Weltausstel‐ lung allerorts zu beobachten war und insbesondere bei den sich durch eine materielle flatness auszeichnenden, ikonisch verfassten Gegenständen praktiziert worden ist (Abb. 21), während die indischen Teppiche eine ihrer materiellen flatness adäquate ornamentale flatness aufweisen.66 Auf „natural adaption“ folgt „conventional treatment”, welches – wie Dressers Kastanienblatt – die von allen äußerlichen Einflüssen purifizierte „intention of nature“, also einen geistigen Gehalt veranschaulicht. Dabei stellt die Konturlinie für die Flächenstruktur der conventional form zwar ein entscheidendes Moment dar, sie wird aber keineswegs durch diese konstituiert. Während die Umrisslinie als eine gleichsam eigenständige Entität die äußere Form bestimmt, soll demgegenü‐ ber das innere Design des Erkenntnisgegenstandes, von dem die conventional form abgeleitet ist, zur Darstellung kommen, wofür die Farbe eine der Linie nebengeord‐ nete Bedeutung hat. Die conventional form ist keine durch eine Konturlinie bestimmte Figur, sondern eine aus der raumreduzierenden flatness hervorgehende, sich aus relationalen, ihrerseits flächenbestimmten Teilen zusammensetzende Figuration, weshalb Dresser fordert, auf die Ausarbeitung der Zwischenräume ebensoviel Sorgfalt zu verwenden wie auf die positiven Formen selbst.67 Der sich figurativ‐flächenhaft aufspannende Charakter der conventional form, auf welchem auch die genuin ornamentale Ausformung basiert, stellt den wesentlichen Unter‐ schied zum konturbestimmten klassizistischen Ornament einerseits und zur kontinuierlichen Lineatur des romantischen Ornaments andererseits dar. Anhand der conventional form soll vermittels der wesentlichen Merkmale des Darstellungsgegenstandes ein Schema seines Typus geschaffen werden. Grundlage des Schemas ist allerdings nicht der Gegenstand selbst, sondern die Reflexion auf sein mentales Bild. Wie wirksam solche von mentalen Bildern ausgehenden Darstellungen sind, belegt Dresser anhand der populären Schematisierung von 66 67 Alle folgenden Zitate: Dresser 1862, S. 37 ff. Dresser 1862, S. 182. 21. The Industry of All Nations, Illustrated Catalogue, 1851, S. 135. 58 59 Blumen: Bereits ein Punkt und konzentrisch angeordnete, in einer intensiven Farbe wurde, sondern – einer idea folgend – selbst geistigen Ursprungs ist. Diese Idee hat gehaltenen Kreise um diesen Punkt sind hinreichend, um die Idee einer Blume zu sich allerdings aus den Strukturgesetzmäßigkeiten der Natur zu speisen: „[…] the tru­facsimilie des Darstellungsgegenstandes zu schaffen, ohne dazu das Original object nor any intention of nature”.71 Diese höchste Stufe ornamentalen Schaffens erwecken.68 Demgegenüber muss die wissenschaftliche conventional form aller‐ dings all jene Eigenschaften veranschaulichen, die es ermöglichen, nach ihnen ein next grade of decorative art is the embodying in form a mental idea which has been suggested by nature, and yet the form neither represents any actually existing gesehen haben zu müssen.69 In dieser Hinsicht ist die conventional form ein Bauplan ist im Verhältnis zur untersten, der „natural adaption“, als „embodiment of mind in auf die in ihm ausgestellten Pflanzen bezieht, denen im Ausstellungskatalog ein Schöpfung übersteigende geistige Entität schafft „[a] purely ideal ornament“.73 Statt seines Darstellungsgegenstandes, worin die Verwandtschaft zur Ingenieurkunst des Crystal Palace liegt, der sich als überdimensionales ‚Gewächshaus‘ seinerseits eigenes, von dem an der South Kensington School lehrenden Botaniker und Zoologen Edward Forbes verfasstes Kapitel – On the vegetable world as contributing to the great exhibition – gewidmet ist.70 Zur Erstellung der conventional form einer Pflanze sind zwei ihrer Ansichten – Aufsicht und Querschnitt – zu bevorzugen. Sie verobjektivieren den subjektiven form” keine abgeleitete Imitation, sondern selbstverursachte Kreation: „it being wholly a creation of the soul”.72 Eine Kreation, die eine die Faktizität der ontischen Gedankenbilder als conventional forms von empirischen Gegenständen abzuleiten, besteht die höchste Form der Ornamentik also darin, Gedankenbilder zu schaffen, deren Darstellungsgegenstand selbst gedanklich verfasst ist. Hiermit eröffnet sich die künstlerisch‐poetische Dimension der ornamentalen Wissenschaft. Wissenschaft ist eine solche Ornamentik nicht allein, weil sie auf den qua con­ Blickpunkt und offenbaren in ihrer der conventional form affinen raumreduktiven ventional forms entdeckten Strukturgesetzmäßigkeiten der faktischen Schöpfung werden. Damit gibt die conventional form durch ein Weniger an Wahrnehmbaren so Dresser, „is the image in man of the creator”.74 Als apriorisches Prinzip kann der Prävalenz zugleich die wesentlichen Merkmale der Pflanze, die dann, vom phäno‐ menalen Überschuss purifiziert, in der conventional form als Strukturgefüge fixiert mehr zu sehen: Das vermittels akkurater Betrachtung entstandene, zur konkret sichtbaren conventional form präzisierte mentale Bild ermöglicht es dem Betrach‐ ter, den Darstellungsgegenstand wesentlich zu erfassen, so dass er ihn mental zu re‐konstruieren vermag. Damit wird der Rezipient zum produktiven Nachschöpfer; nicht des als conventional form gegebenen ornamentalen Bildes, sondern des Erkenntnisgegenstandes selbst, den er dank seiner ornamentalen Darstellung geistig nachzubilden vermag. Die conventional form ist ein „vehikle of thougt“ – ein Gedankenbild, das dann am reichhaltigsten ist, wenn es nicht von einem realen Gegenstand abgeleitet Dresser 1862, S. 32. 69 Christopher Dresser: Botany, as adapted to the Arts and Art‐Manufacture. Lectures on Artistic Botany in the Department of Science and Art XI, In: Art Journal 48 (Dec 1858), S. 362‐ 364, hier S. 363. 70 Edward Forbes: On the vegetable world as contributing to the great exhibition. In: The Industry of All Nations 1851. Illustrated Catalogue, London 1851, S. I‐VIII. 68 60 basiert, sondern vor allem, da nun der den Menschen mit Gott verbindende Geist als strukturgesetzmäßig verfasster Erkenntnisgegenstand zugänglich wird. „Mind”, Geist allerdings nicht als solcher angeschaut und daher auch nicht in eine conven­ tionl form gebracht werden. Aus diesem Grund bleibt die ornamentale Kreation auf die entdeckten Strukturgesetzmäßigkeiten der vegetabilen Natur verwiesen: „[…] modified and adapted, and clothed in the mind of the artist, and yet be sufficiently characteristic to awaken the desired thought.”75 Während die Idee einer naturalistisch fundierten ornamentalen Einkleidung bedarf, spricht sich sowohl im Eingekleideten wie in der Art der Einkleidung der ornamental Präsenz gewinnende Geist des Urhebers aus: „[…] the ornamental Dresser 1862, S. 39. Dresser 1862, S. 40. 73 Dresser 1862, S. 40. 74 Dresser 1871, S. 218. 75 Dresser 1862, S. 33. Entsprechend lautet Jones` proposition 13: „Flowers and other natural objects should not be used as ornaments, but conventional representations founded upon them sufficiently suggestive to convey the intended image to the mind […]” (Jones 1856, S. 6). 71 72 61 composition […] must embody the mind of its producer“.76 In eben diesem geistigen Gehalt liegt die ornamentale Qualität des Ornaments, während die auf rein Ausformung auf eine Sublimierung der ornamentalen Struktur zielt. So zeichne sich das Ornament der Griechen weniger durch eine spezifische Symbolik als durch mechanische Weise erzeugten Formen, wie diejenigen des Kaleidoskops, dieser jahrhundertelange Verfeinerung der einmal gefundenen Formen aus.80 Die which mind is conveyed throughout the world”.78 Strukturen verbürgt. Damit ist die höchste Form der Ornamentik keineswegs gedanklichen Dimension entbehren.77 Aufgrund des für das Ornament konstituti‐ ven mentalen Gehalts stellt Dresser fest: „Decorative art is an ornamental car in Der Weg zur Erzeugung derart gedanklich verfasster ornamentaler Formen war das Experiment, das eine analytische und eine synthetische Seite aufwies: Im zerlegenden Experimentieren wurden Strukturen der Pflanzen entdeckt, die ornamentale Ideen evozierten. Den analytischen Vorgang ornamentaler Konventio‐ nalisierung beschreibt Richard Redgrave rückblickend als revolutionäre Methode der Formgewinnung: „To erxercise their invention, the following method was devised by the art superintendent – a method wholly new […]. It consisted first in the ornamental analyses of plants and flowers, displaying each part separately according to its normal law of growth, not as they appear viewed perspectively, but diagrammatically, flat to the eye; so treated, it was found that almost all plants contain many distinct ornamental elements, and that the motives to be derived from the vegetable kingdom were inexhaustible.”79 Die analytisch entdeckten Strukturen wurden zum Ausgangspunkt eines synthetischen Experimentierens, das eine durch diese Strukturen hervorgerufene poetische Idee vermittels von Form‐ und Farbverhältnissen in ein adäquates ornamentales Gedankenbild überführt. Damit kann die derart praktizierte Erzeugung von Ornamenten als eine Form von Gedankenexperimenten gefasst werden, die darauf zielen, einer Idee konkrete Anschauung zu verleihen. Die semantische Artikulation der Idee speist sich bei der idealen Ornamentik nicht aus ikonografischer Symbolik, wie dies beim Lotus der Ägypter als Fruchtbar‐ keitssymbol der Fall war, sondern aus der jeweiligen Konkretion der Formen, deren potenziell universale Verständlichkeit solcher aus ‚sublimierten‘ Formen bestehen‐ den ornamentalen Gedankenbilder wird wiederum durch ihre naturanalogen esoterisch, vielmehr hat sie einen „cosmopolitan character“, der das Esoterische als konkrete Formerfahrung exoterisch zugänglich werden lässt.81 Sie ist ein a‐ symbolischer Symbolismus, dessen Gehalt sich in einer lebendigen Anschauung vermittelt, wie dies eingangs anhand von Dressers Muster‐Emblem dargelegt worden ist. Die Kapazität zu einem unmittelbaren Verstehen unterscheidet die Ornamentik kategorial von der Historienmalerei: „Ornamentation is [...] symbolised imagination or emotion, simply and purely; and herein it differs essentially from pictorial art, which in its highest development is symbolized imagination or emotion, represen‐ ting idealized reality”.82 Damit wird – was die Grenzen der konventionellen Kunst übersteigt – die Formierung eines semantischen Gehalts unter Absehung einer gegenständlich verfassten Bildrealität ermöglicht. Vor diesem Hintergrund zeigt sich der Ursprung der abstrakten Kunst aus dem Geiste des Ornaments.83 Das anhand von Dressers Muster‐Emblem eingangs exemplifizierte Seh‐Erlebnis ist eine unmittelbare mind‐to‐mind Kommunikation,84 die es erlaubt, den als conventional form gegebenen ornamental verfassten Gedanken, die „poetic idea”,85 in einer sie re‐produzierenden Weise nachzuvollziehen.86 Ziel ornamentaler Kunst ist es, dass der Künstler ein möglichst intensives Erleben der ornamental evozier‐ 76 Christoper Dresser: Development of ornamental Art in the International Exhibition, London 1862, S. 6. 77 Dresser 1862, S. 96. 78 Dresser 1862, S. 35. 79 Richard Redgrave: A century of painters of the English School, with critical notes of their works, and an account of the progress of art in England. Bd. II, London 1866, S. 564 f. Dresser 1873, S. 9. Dresser 1871, S. 219. 82 Dresser 1871, S. 218. 83 Vgl. dazu: Markus Brüderlin: Die Einheit in der Differenz. Die Bedeutung des Ornaments für die abstrakte Kunst des 20. Jahrhunderts. Von Philipp Otto Runge bis Frank Stella, Wuppertal 1995. 84 Dresser 1862, S. 34. 85 Jones 1856, S.23. 86 Dresser 1862, S. 34. 62 63 80 81 ten, als Erkenntnisgegenstand gegebenen „mental idea“ bewirkt.87 Damit ist das ornamentale Erkennen affektiv bestimmt. Die in ihrer Intensität mit der Wirkung separation in order to impress the cosmetic of nature on the production of human industry”.92 Die Kosmetik der Natur ist also nichts um ephemerer Effekte willen von Musik in Analogie gesetzte mentale Bewegtheit wird von Jones und Dresser als äußerlich Aufgetragenes, sondern basiert auf der Ordnungsstruktur des Kosmos power“.89 Der repose entspricht ein als „great want of repose“ anthropologisch tet. Um als ein derartiger „moral teacher“ zu wirken, muss die Ornamentik „truthful, „repose“ gefasst,88 wobei Dresser den energetischen Aspekt weit mehr als Jones betont: „Nothing is so pleasing as the [ornamental] manifestation of a strong vital fundiertes psychisches Verlangen, welches das Ornament, wie das Brot für den Körper, zur mentalen Notwendigkeit macht.90 ‚Repose‘ wird einerseits im Anschluss an Kants als harmonisch austariertes, lustvoll empfundenes freies Spiel der Verstandeskräfte, andererseits, im Anschluss an Schopenhauer, als „absent of any want“ gefasst, wobei die repose allerdings – anti‐schopenhauerianisch – von einer die Schöpfung durchwaltenden Harmonie getragen wird. Eben diese Harmonie soll Dressers Muster‐Emblem in ihrer selbst, die an der Oberfläche zur sichtbaren Schönheit wird. Sie vermag den Geist des Betrachters zu veredeln, was eine Sensibilisierung seines moral sense beinhal‐ beautiful and powerful in expression [...]“ sein.93 Schlechte Ornamentik hingegen vermag den Charakter zu degradieren. Damit ist der für die Kunst der Aufklärung fundamentale Zusammenhang des Wahren, Guten und Schönen, bevor er sich als Leitkategorie der Kunst gänzlich auflösen sollte, auf das Terrain der Ornamentik hinübergewechselt, die damit für eine kurze Zeit zur höchsten aller Künste aufsteigt. strukturellen Lebendigkeit erfahrbar machen, womit es zu einem überkonfessionel‐ len Mediationsbild wird. Durch seine eingangs analysierte räumliche wie zeitliche Sowohl‐als‐auch‐Struktur, nach der jedes seiner Elemente sowohl flächen‐, wie raum‐, sowohl bewegungs‐ wie simultanitätsbildend ist, ist die Betrachtung des übergeordneten harmonisch austarierten Gefüges des Musters zugleich eine Form höchster Bewegtheit. Ein gutes Ornament, so Dressers test of intimacy, hält diese Bewegtheit aufrecht; es zeichnet sich dadurch aus, dass, je länger seine Betrachtung währt, es desto schöner wirke.91 Die Schönheit als Kern der ornamentalen Poesie stellt bereits die Primärqualität der empirisch gewonnenen conventional form dar, wie es William Dyce in seinem zur Gründung der Government School of Design verfassten programmatischen Lehrbuch von 1842/43 darlegt. Mit der qua mentaler Reduktion freigelegten Struktur werde zugleich die essentielle Schönheit des Gegenstandes extrahiert: „Beauty is a quality separable from nature`s objects. […] [The Designer] makes the Dresser 1862, S. 39. Jones 1856, S. 5 (proposition 3), Dresser 1862, S. 150. 89 Dresser 1862, S. 98. 90 Jones 1865, S. 15. 91 Dresser 1862, S. 6. Basel, 2012 87 88 64 92 William Dyce: The Drawing Book of the Government Schools of Design, London 1842‐43. 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