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K's Medialitätsverhandlungen: Kupers Verwandlung Kafkas (2012)

2012

This paper was written for the GSA annual conference in 2012. It analyzes a particular page in Peter Kuper's comic adaptation of Franz Kafka's DIE VERWANDLUNG, highlighting Kuper's deconstruction of reading conventions of comics and, doing so, discussing a different approach towards adaptations.

1|V or tr ag: GSA 20 12 von Peter Schei npfl ug K‘s Medialitätsverhandlungen: Kupers Verwandlung Kafkas. Einleitung: Meine Damen und Herren, Sie werden die berühmte Anekdote kennen: Als Kafka die Druckfahnen seiner Erzählung DIE VERWANDLUNG erhielt, schrieb er seinem Verleger Kurt Wolff: „Das nicht, bitte das nicht! … Das Insekt selbst kann nicht gezeichnet werden.“ Kafkas Spiel mit Signifikantenketten und der Materialität der Sprache und die allegorischen Lesarten seiner Texte sind inzwischen Gemeinplätze. Gerade für diese so plastisch erzählte Erzählung, DIE VERWANDLUNG, verbat sich der Autor jede Transformation der bildlichen Sprache in ein sprechendes Bild. Doch gerade von dieser Erzählung Kafkas kursieren gegenwärtig drei verschiedene Adaptionen im Medium Comic: Eine von Robert Crumb und David Zane Mairowitz aus dem Jahr 1993, eine von Peter Kuper aus dem Jahr 2003 und eine von Corbeyran und Horne aus dem Jahr 2009. Nun ist der Comic aber gerade ein visuelles Medium, das mit Schrift und vor allem Bild operiert. Die Comic-Adaptionen von DIE VERWANDLUNG müssten mithin als Sündenfälle erscheinen. Denn Kafkas Bildverbot, das er allein auf das Cover bezog, wird in den Comic-Adaptionen gänzlich 2|V or tr ag: GSA 20 12 von Peter Schei npfl ug ausgeschrieben bzw. ausgemalt. Die Comic-Adaptionen scheinen dem literarischen Text und seiner gewünschten nicht-literalen Lesart diametral entgegenzustehen. Umso interessanter ist es für uns jedoch, die Strategien der Comic-Adaptionen im Umgang mit Kafkas Bildverbot zu analysieren. Mit der Comic-Adaption von Robert Crumb hat Georg Mein sich detailliert in einem Aufsatz auseinandergesetzt. Zudem hat vor allem auch Monika Schmitz-Emans bereits mehrere Aufsätze den Comic-Adaptionen von Kafkas Texten gewidmet und diverse Aspekten analysiert, wie Stile, verschiedene Lesarten, Strategien der Bezugnahme zum Prätext oder Strategien der Inkorporation von populären Intertexten. Ich will hingegen auf einen speziellen Aspekt allein einer ComicAdaption hinweisen: Die Medialitätsverhandlungen der Comic-Adaption von Peter Kuper, die auch als Reflexion über Literaturadaptionen gelesen werden kann. I Im Jahr 2003 wurde diese Comic-Adaption von Peter Kuper erstmals in den USA veröffentlicht. Kuper hat daneben noch andere Erzählungen Kafkas adaptiert, doch allein DIE VERWANDLUNG erschien als eigenständiges ‚Werk‘. Ich zitiere einige Auszüge aus dem Vorwort: In 1904, eight years before Franz Kafka wrote The Metamorphosis in Prague, across the ocean a cartoonist named Winsor McCay created 3|V or tr ag: GSA 20 12 von Peter Schei npfl ug „Dream of the Rarebit Fiend,“ a comic strip that appeared in New York’s Evening Telegram. In each one-page installment a character was trapped in a world that grew more surreal with each panel––a gentleman’s leg inflates and demolishes a mansion, a suitor’s lover crumbles into confetti and blows away, a lady’s alligator handbag morphs into a monster and devours her. Finally, in the last panel, the character awakens to reality, vowing never again to eat the nightmare-inducing rarebit cheese before bedtime. Of course, Franz Kafka never allowed his characters to enjoy the relief of awakening to normalcy from their disturbing dreams. Still, the two artists had much in common, including a shared genius for rendering the anxious intersection of reality and dreamscape. Kafka may never have been a comic strip fan, but his angst-ridden characters in reality-bending scenarios are ideally suited to this medium. The adaptation of The Metamorphosis couldn’t exist without Kafka’s illuminating words, but owes a visual debt to McCay’s tailblazing excursions into the absurd darkness of slumberland. […] Es mögen Ihnen bei diesem eher persönlichen Vorwort einige Friktionen aufgefallen sein: Kafkas Schriften werden mit einem Zeitungscartoon verglichen, den Kafka zwar wohl nie gelesen haben mag. Doch beiden wird von Kuper, dem auteur der Comic-Adaption, eine ähnliche surreale Qualität zugesprochen. Kuper geht in Absatz zwei noch einen Schritt weiter und 4|V or tr ag: GSA 20 12 von Peter Schei npfl ug postuliert, dass die surrealen Handlungen und die visuelle Sprache Kafkas „ideal“ für den Comic geeignet seien, da dessen Medialität surreale Erzählungen privilegiere. Kupers kühne These der essentiellen Surrealität des Mediums Comic lässt sich wohl kaum halten. Dies widerlegen sowohl die den Markt dominierenden Superheldencomichefte als auch die Tatsache, dass surreale Texte stets mit den Konventionen eines Mediums spielen – sei dies in der Literatur, in der Malerei, im Film oder im Comic. Doch man kann Kuper auch dahingehend lesen, dass er lediglich als „Surrealismus“ prominent bezeichnet, was als „Medialitätsverhandlungen“ einem breiten Publikum schwer zu vermitteln wäre. Liest man Kupers Comic-Adaption hinsichtlich seiner Medialitätsverhandlungen, so kann darin gar eine Reflexion über die Literaturadaption im Allgemeinen gelesen werden. Folgen wir dieser Spur vom postulierten Surrealismus zur Medialitätsverhandlung: II Kuper führt durch prominente Versatzstücke des Surrealismus die Reflexion über visuelle Narrationen behutsam ein. So wählt Kuper beispielsweise prominente Symbole für seine Illustrierung. 5|V or tr ag: GSA 20 12 von Peter Schei npfl ug Sie sehen hier das Stundeglas, in dem mit der Zeit statt eines Sandes das Geld nach unten fällt, das die Eltern noch schuldig sind. Die finanzielle Schuld verschlingt Gregor gleichsam wie Treibsand. Hier sehen Sie beispielsweise Gregors Wecker, das Symbol seines anstrengenden Berufs als Reisevertreter. Der Wecker zieht konzentrische Kreise, vermisst und determiniert Gregors Leben. Darin eilt eine Angestellten-Figur panisch im Uhrzeigersinn ewig im Kreis. Diese offensichtlich surrealistisch inspirierten Bildkompositionen finden sich alle zu Beginn der Adaption. Dadurch wird der Fokus auf Bilder als Bedeutungsträger und ihre erzählende Funktion gelegt, ohne den Leser zu irritieren, da sich ihm die Bilder schnell erschließen. Im Anschluss daran treten die prominenten Symbole jedoch zurück zugunsten eines subtileren Spiels mit den Möglichkeiten des Comics innerhalb seiner Konventionen. 6|V or tr ag: GSA 20 12 von Peter Schei npfl ug Im Anschluss sowohl an das Spiel mir surrealen Versatzstücken, aber auch einem Cartoon-Stil variiert beispielsweise die Größe der Figuren. Dieses Stilmittel betrifft vor allem den Vater. Je aggressiver er ist, desto größer wird er auch gezeichnet. Auf dieser Seite sehen sie beispielsweise den Vater, der nach Gregors Tod die drei Herren der Wohnung verweist. Im ersten Panel ist die Familie an den linken unteren Rand gedrängt, als die Herren ihre vorherige Überlegenheit ausspielen. Im Bild darunter ist der Kopf des Vaters, der aggressiv die Folgeleistung seines Befehls einfordert, geradezu zum grotesken Cartoon eines Tyrannen vergrößert. Ähnlich aber noch überwältigender ist diese Doppelseite, die unmittelbar dem fatalen Apfelwurf vorausgeht. Wie Sie sehen können, dominiert der Vater wieder die gesamte linke Seitenhälfte, die er fast in der ganzen Höhe einnimmt, während er zugleich aus dem Panel herausragt. Das Besondere an dieser Doppelseite ist nun jedoch, dass er auch die nächste Seite überragt und 7|V or tr ag: GSA 20 12 von Peter Schei npfl ug dominiert. Auch in dieser Panel-Anordnung wird surreal mit dem Lesefluss gespielt. Der Wurf der Mütze, die der Vater vermeintlich bereits von der linken Seite aus von sich wirft, ereignet sich in der kausalen Logik der Narration erst auf der rechten Seite. Vor dem Mützenflug sehen Sie jedoch auf der rechten Seite zuerst oben eine metaphorische Größendarstellung, da Gregor im Angesicht des Vaters auf die reale Größe eines Insekts geschrumpft zu sein scheint. Panisch schaut er zum Vater auf, der oben aus dem Panel ragt, gleichsam die Ordnung sprengt. Interessant ist auch das Panel unten links, in die panelinterne Zeit prekär wird. Einerseits wird Gregors Bewegung als Spur nachgezeichnet ist und andererseits erscheint sein Gesicht doppelt. Die Zeit scheint geronnen: Die Panik der schnellen Kopfbewegung wird als Gleichzeitigkeit zweier Blicke in unterschiedlichen Richtungen visualisiert. Außerdem landet nun endlich die Mütze, deren Werfen irgendwo zwischen der linken Seite und der Mitte der rechten Seite stattfand. Diese Spur als Anzeige der Bewegung im Panel und des Zeitverlaufs ist in seiner Cartoonhaftigkeit deswegen interessant, da sie ebenfalls als Inszenierung einer klaustrophobischen Wahrnehmung Gregors gelesen werden kann. Während die Bewegungen des Vaters und seiner Wurfgeschosse die Panelgrenzen sprengen, wird Gregor in die Enge getrieben und erscheint geradezu in den Grenzen des Panels festgesetzt, innerhalb derer er nur umherirren kann. Ich möchte diese Doppelperspektive betonen, die Kupers Comic-Adaption erlaubt: Einerseits spielt er mit den Ausdrucksmöglichkeiten des Comics, mit 8|V or tr ag: GSA 20 12 von Peter Schei npfl ug der Interdependenz von Text und Bild, um die Erzählperspektive Gregors zu intensivieren und Bilder für seine psychische Verfassung zu finden. Dabei werden jedoch die Konventionen der Erzählung im Comic und seiner Rezeption immer wieder an ihre Grenzen getrieben. Bis sie, wie wir sehen werden, schließlich gebrochen werden: III Auf dieser Seite sehen Sie, wie Gregor gerade die Freuden des Krabbelns durch den Raum entdeckt hat. Der kommentierende Text beginnt oben auf der Seite über der ersten Panelreihe und grabbelt dann an den Panels entlang. Nun ist daran zweierlei interessant. Im Text heißt es an der zweiten Biegung: „[…] he had taken up the habit of crawling crisscross over the walls.“ Und ebenso wie Gregor quer über die Wände krabbelt, verläuft auch der Text quer über die Panel. Denn die Lese-Reihenfolge der Panel allein wäre: Zuerst die Panelreihe oben, dann das längliche Panel darunter, dann das hochkante Panel links darunter und dann schließlich das 9|V or tr ag: GSA 20 12 von Peter Schei npfl ug Panel unten rechts. Doch diese konventionelle Folge der Panel im Lesefluss entspricht nicht der kausalen Anordnung der Panel auf der Seite. Durch den Textverlauf wird eine Lesefolge vorgenommen, die auf die obere Panelreihe erst das Panel unten links, dann das längliche Panel in der Mitte und dann das Panel unten rechts folgen lässt. Die Leserichtung der Panels, die dem krabbelnden Text folgt, ist selbst „crisscross“ zur konventionellen Panelstruktur eines Comics. Als Überhöhung der Bedeutung des Textverlaufs für das Geschehen der Seite fällt Gregor ausgerechnet dann, als der Text plötzlich endet und seine vorderen Beinchen daran keinen halt mehr haben. Diese kleine Pointe ist zugleich eine Reflexion über die Frage nach der Machtverteilung in der Interdependenz von Bild und Kommentartext. Wir fassen also noch einmal unsere erste Erkenntnis zu dieser speziellen Sequenz zusammen: Kuper weist auf zweierlei Weise humorvoll auf die Dominanz des Textes über die Bilder hin: Einerseits gibt der Text eine Lektüre vor, die der konventionellen Lesart widerspricht. Und andererseits scheint der Kommentartext das Bild selbst zu determinieren. Man könnte die Bilder auch in der kausalen Folge der Bilder lesen: Zuerst die Panelreihe oben, in der er das Krabbeln an der Wand erprobt. Darauf folgte jedoch durch eine Ellipse unmittelbar das mittlere Bild, in dem Gregor den Halt verliert. In dem Bild unten rechts fiele er brutal zu Boden. Blickt man nun jedoch auf das letzte Bild 10 | V o r t r a g : GSA 20 12 von Peter Schei npfl ug der Seite, das man zuvor noch nicht betrachtete, so klettert Gregor im Panel unten links wieder die Wand hinauf. Um im Panel darüber wieder den Halt zu verlieren, im Panel rechts unten zu landen und im Panel links unten wieder die Wand zu erklimmen, um im Panel darüber den halt zu verlieren… Die kausale Verkettung der Panel lässt die drei unteren Panel als Endlosschleife von Gregors wiederholtem Sturz von der Decke lesen. Die Seite offeriert damit drei Leseweisen: [1] Die konventionelle Panelfolge, die keine kohärente, kausale Abfolge der Inhalte der einzelnen Panel erlaubt. [2] Die Panelfolge, die durch den Kommentartext konstituiert wird und „crisscross“ über die Panelanordnung krabbelt und die Lesekonventionen des Mediums bricht. [3] Und die kausale Abfolge der Panel, die ebenfalls mit den Lesekonventionen des Comics bricht und in einer Endlosschleife von drei Bildern endet. Dieses Spiel mit der Frage der Determination des Bildes durch den Text kann jedoch selbst als Reflexion über Intermedialität gelesen werden: Denn der Text lenkt die Lektüre der Bilder – die auch in ganz anderer Folge gelesen werden können – ebenso wie die berühmte geschriebene Vorlage vermeintlich immer schon die Lektüre der bildlichen Adaption zu lenken scheint. Andre Bazin fragte in einem Aufsatz von 1952, was man als eine ‚gelungene‘ Literaturadaption verstehen könne. Er kam zu dem Schluss, dass die intermediale Adaption keine Imitation der Erzählstrategien des Prätextes sein 11 | V o r t r a g : GSA 20 12 von Peter Schei npfl ug könne. Stattdessen, so Bazin, gälte es die Effekte des Prätextes zu imitieren. Jedoch müsse das adaptierende Medium dafür mit den eigenen medialen Mitteln und Erzählstrategien spielen und nicht denen des Prätextes. Ich führe hier in aller Kürze Andre Bazin an, da Kuper in seiner Comic-Adaption von Kafkas VERWANDLUNG eine ähnliche Weise der Literaturadaption reflektiert. Wie wir anhand der zuvor ausgeführten Beispiele gesehen haben, spielt Kuper immer wieder mit den Konventionen des Mediums Comic und bricht sie wiederholt. Dadurch zeigt er wiederholt diverse mediale Konventionen wie etwa die Interdependenz von Bild und Text oder die Interdependenz von Bilderfolge und Lesefluss explizit auf. Die diversen Irritationen der Konventionen des Lesens eines Comics ist gleichsam ein virtuoses Spiel mit dem Medium und seinen Effekten, das Kafkas Sprachspielen vergleichbar ist. Kupers Antwort auf Kafkas Bilderverbot ist die spielerische Reflexion über die Möglichkeiten der Bilder in einem Comic generell und in einer Comic-Adaption als einer Literaturadaption im speziellen. Er adaptiert mithin nicht allein die Handlung des Prätextes, sondern die irritierenden Effekte der Medialitätsverhandlungen – jedoch reflektiert Kuper über das Medium seiner Adaption. Danke für Ihre Aufmerksamkeit! 12 | V o r t r a g : GSA 20 12 von Peter Schei npfl ug Literatur: 1. Comics • Robert Crumb/ David Zane Mairowitz (1993/2010): Kafka Kurz Und Knapp, Frankfurt aM: Zweitausendeins. • Corbeyran/Horne (2009/2010): Die Verwandlung von Franz Kafka, München: Knesebeck. • Peter Kuper (2003): The Metamorphosis, New York: Three Rivers Press. 2. Theoretical references • André Bazin (1952/2004): Für ein unreines Kino. Plädoyer für die Literaturverfilmung. In: Was ist Film?, Ed. by Robert Fischer, Berlin: Alexander, p. 110–138. 3. Aufsätze über Comic-Adaptionen von Kafka: • Mein, Georg (2009): Kafka mit Crumb? Literarische Bildung im Spannungsverhältnis von Text und Bild. In: Der Deutschunterricht, Nr. 6/2009, p. 23–28. • Schmitz-Emans, Monika (2004): Kafka in European and US Comics. Inter-medial and inter-cultural transfer processes. In: Revue de littérature comparée, Nr.. 132, p. 485–505. • Schmitz-Emans, Monika (2006): Kafka's Metamorphosis: Observations on Kafka's Reception in the Comics. In: Ana Gabriela Macedo und Orlando Grossegesse (eds.): Poeticas Inter-Artes/Interart Poetics, Braga: Universidade do Minho, p. 19–52.